56 2. ELEMENTE DER VARIATIONSRECHNUNGDie Konstante λ nennt man wie<strong>der</strong> Lagrange-Multiplikator. Man kann offenbar die Rollen <strong>von</strong> L und Mvertauschen, so dass eine Lösung auch wie<strong>der</strong> ein Kandidat <strong>für</strong> ein Extremum <strong>von</strong> ∫ M unter <strong>der</strong> Bedingung∫ ∫ b L = 0 ist. Weiter ist zu beachten, dass sich bei einer Bedingung <strong>der</strong> Forma dtM (t, ⃗x (t) , ⃗x′ (t)) = constnichts än<strong>der</strong>t, weil man nur eine Konstante <strong>von</strong> M abzuziehen hätte, was an <strong>der</strong> Euler-Lagrange-Gleichung <strong>für</strong>L ∗ nichts än<strong>der</strong>t.1.2.1. Beispiel: Die Wahrscheinlichkeitsverteilung mit maximaler Entropie bei vorgeschriebenen ParameternMittelwert und Streuung. Die zugehörige Wahrscheinlichkeitsdichte sei f, dann lautet das Problem:Maximalisiere∫ ∞−∞unter den BedingungenDie Lagrangefunktion lautet− ln (f (x)) f (x) dx∫ ∞−∞Die Euler-Lagrange-Gleichung ist hier einfach:f (x) dx = 1,∫ ∞−∞xf (x) dx = µ,L ∗ (y) = −y ln (y) + λy + αxy + βx 2 y.∫ ∞−∞− ln (y) − 1 + λ + αx + βx 2 = 0, also mit Konstanten c, γ:y (x) = γe c+αx+βx2 = γe c+αx+βx2 .x 2 f (x) dx = σ 2 .Nun kommt β > 0 sicher nicht in Frage <strong>für</strong> eine Wahrscheinlichkeitsverteilung. Sonst ist ∫ ∞f (x) dx = 1 nicht−∞zu erfüllen. β = 0 ist ebenfalls unmöglich, aus demselben Grund. Quadratische Ergänzung liefert: c+αx+βx 2 =( ) 2β x + α 2β + c −α 24β . Es bleibt: y (x) = δe β(x+ 2β α ) 2 .Damit ist die Form <strong>der</strong> Normalverteilung bereits erreicht, man denke nur daran, dass β = − 1 2 · β′ und √ ( )β ′ indie Klammer x + α 2βzu ziehen ist. Anschließend bringt man die Klammer auf die Form ( )x−µ 2σ und bestimmt1den Vorfaktor δ zuσ √ . Es kommen also nur Normalverteilungen in Frage <strong>für</strong> unser Extremalproblem, und2πsie bilden auch tatsächlich Extrema.2. Variationsrechnung <strong>für</strong> Skalarfel<strong>der</strong>Wir haben <strong>für</strong> die Herleitung <strong>der</strong> Euler-Lagrange-Gleichung wesentlich die partielle Integration genutzt. Esist eine allgemeine Tatsache, dass die partielle Integration im mehrdimensionalen Fall (also <strong>für</strong> Skalarfel<strong>der</strong>)durch Integralsätze (man denke im Wesentlichen an den Satz <strong>von</strong> Gauß) ersetzt werden kann (man nennt <strong>der</strong>enAnwendung dann zuweilen sogar ’partielle Integration’). Auf diese Weise können wir auch die Euler-Lagrange-Gleichung <strong>für</strong> die Variationsrechung mit einem Skalarfeld gewinnen:S 13. Es sei L eine in einem Gebiet stetig differenzierbare Abbildung (⃗x, y, ⃗v) ↦→ L (⃗x, u, ⃗v) , ausgeschriebenin Koordinaten: ⃗x = (x 1 , ..., x n ) , ⃗v = (v 1 , ..., v n ) . Es sei s ein lokales Extremum <strong>für</strong> das Funktional∫I[u] = d⃗xL (⃗x, u (⃗x) , grad y (⃗x)) .K(Hier wird also eingesetzt: y xi (⃗x) <strong>für</strong> v i .) Dann gilt die folgende Euler-Lagrange-Gleichung:L ⃗y (⃗x, s (⃗x) , grad s (⃗x)) −n∑(L vi (⃗x, s (⃗x) , grad s (⃗x))) xi= 0i=1Zum Verständnis: Die resultierende DGL ist eine partielle Differentialgleichung, im Allgemeinen 2. Ordnungund im Allgemeinen auch nichtlinear. Wir schauen ein einfaches Beispiel an, um das Funktionieren zu sehen:Sei L (x, y, z, u, v 1 , v 2 , v 3 ) = 1 (2 v21 + v2 2 + ) v2 3 . Also haben wir nur L (v1 , v 2 , v 3 ) , L hängt we<strong>der</strong> <strong>von</strong> u ab (demSkalarfeld, das hier wegen <strong>der</strong> unabhängigen Variablen y einen an<strong>der</strong>en Namen braucht), noch <strong>von</strong> x, y, z (denunabhängigen Variablen des Skalarfeldes). Wir haben L v1 (v 1 , v 2 , v 3 ) = v 1 usw. Die Einsetzungen im Integral
2. VARIATIONSRECHNUNG FÜR SKALARFELDER 57und entsprechend in <strong>der</strong> Euler-Lagrange-Gleichung lauten, wenn wir kurz w x <strong>für</strong> ∂∂xu(x, y, z) usw. schreiben (in<strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> partiellen Differentialgleichungen sehr üblich und praktisch):( ∂L∂x u(x, y, z), ∂ ∂y u(x, y, z), ∂ )∂z u(x, y, z)= L (u x , u y , u z ) = 1 ( u22 x + u 2 y + u 2 z)und∂∂x L v 1(w x , w y , w z ) + ∂ ∂y L v 2(w x , w y , w z ) + ∂ ∂z L v 1(w x , w y , w z ) = 0, d.h. konkret∂∂x w x + ∂ ∂y w y + ∂ ∂z w z = w xx + w yy + w zz = 0.Die resultierende Differentialgleichung ist im Beispiel linear, sogar mit konstanten Koeffizienten, es ist dieLaplacegleichung, die man auch div grad u = 0 schreiben kann. Das Beispiel ist insofern recht instruktiv, alsman direkt zeigen kann, dass eine Lösung dieser partiellen Differentialgleichung, welche auf einer Randflächeeines Körpers K vorgeschriebene Werte hat, ein solches Minimum darstellt (<strong>für</strong> die so gegebene Randbedingung).So führt <strong>der</strong> Zusammenhang dieser partiellen Differentialgleichung mit <strong>der</strong> Variationsrechnung direkt auf einewesentliche Eigenschaft <strong>der</strong> Lösungen dieser Differentialgleichung. Umgekehrt schließt man aus <strong>der</strong> Eindeutigkeit<strong>der</strong> Lösung <strong>der</strong> Randwertaufgabe <strong>für</strong> die Laplacegleichung wie<strong>der</strong>, dass ein Minimum des Variationsproblemseindeutig bestimmt ist.