04.12.2012 Aufrufe

Nina Franoszek Deutsche in Amerika

Nina Franoszek Deutsche in Amerika

Nina Franoszek Deutsche in Amerika

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

NINA FRANOSZEK www.n<strong>in</strong>afranoszek.com<br />

Gunter Klötzer<br />

German Americans –<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>in</strong> <strong>Amerika</strong><br />

E<strong>in</strong> Beitrag zum transatlantischen Diskurs<br />

Cirka 120 <strong>in</strong> Deutschland unserer Tage<br />

Geborene geben Auskunft über ihre<br />

Beweggründe, <strong>in</strong> die USA auszuwandern.<br />

Onl<strong>in</strong>e-Version unter:<br />

http://www.deutsche-<strong>in</strong>-amerika.net/<br />

<strong>N<strong>in</strong>a</strong> <strong>Franoszek</strong><br />

Schauspieler<strong>in</strong><br />

Venice Beach, CA, 21. Juli 2004<br />

Actor<br />

Venice Beach, CA, July 21th, 2004<br />

Woher kommen Sie und seit wann leben sie <strong>in</strong> den USA?<br />

Ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> West Berl<strong>in</strong> geboren, lebte <strong>in</strong> Wien und e<strong>in</strong>igen anderen Städten und pendle seit<br />

1991 zwischen NYC, LA und Berl<strong>in</strong> h<strong>in</strong> und her. Seid 1997 ist Los Angeles me<strong>in</strong><br />

Lebensmittelpunkt.<br />

Warum s<strong>in</strong>d Sie hier?<br />

Los Angeles ist e<strong>in</strong>e wichtige Station <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben. Eventuell die wichtigste. Ich hatte von<br />

Anfang an e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Gewissheit, dass ich hierher gehöre und fühle mich hier zu Hause. Die<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Deutsch- Jüdischen Immigranten und die Aufarbeitung der<br />

eigenen Familiengeschichte fand hier statt. Die Freunde und Arbeitskollegen aus den<br />

amerikanischen Co-Produktionen, <strong>in</strong> denen ich mitgewirkt hatte, redeten mir zu. Das Mekka<br />

DEUTSCHE IN AMERIKA, 2005 1


NINA FRANOSZEK www.n<strong>in</strong>afranoszek.com<br />

der Filmbranche ist hier und ich sah die Möglichkeiten, auch hier me<strong>in</strong>er Profession<br />

nachzugehen und mich Fortzubilden. Es hat den Entschluss damals sicherlich bekräftigt.<br />

Ist Ihnen Ihre deutsche Herkunft wichtig?<br />

Ja, sie macht mich aus, da komm ich her. Ich verdanke Deutschland sehr viel: me<strong>in</strong>e gute<br />

Ausbildung, me<strong>in</strong>e Karriere, me<strong>in</strong> kulturpolitisch, gesellschaftliches Verantwortungsgefühl,<br />

me<strong>in</strong> Umweltbewusstse<strong>in</strong> und die besten Freunde der Welt.<br />

WelchesVerhältnis haben Sie zu Ihrer Familie?<br />

Me<strong>in</strong> Bruder lebt <strong>in</strong> Miami, vertritt die Familie sozusagen an der Ostküste und me<strong>in</strong>e Mutter ist<br />

e<strong>in</strong>e weltreisende Künstler<strong>in</strong>, die grade auch e<strong>in</strong>e Ausstellung <strong>in</strong> LA hatte. Durch ihre K<strong>in</strong>der<br />

hat sie ihre Welt und ihren Horizont noch mehr erweitert hat. Nach dem Tod me<strong>in</strong>es Vaters<br />

s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong> Bruder und ich ausgewandert. Das er sozusagen um die Ecke ist fühlt sich sehr gut<br />

an.<br />

Welche Bedeutung haben für Sie Arbeit, Wohnung, Partnerschaft, Familie?<br />

Arbeit = Kreativität und Ausdruck me<strong>in</strong>er Seele. Wohnung = Auftank<strong>in</strong>sel, Spielplatz,<br />

Meditationsraum, Herberge. Partnerschaft = Ergänzung, Ausgleich, Geben und Nehmen, guter<br />

Sex. Familie = Wurzeln, Freude, Freunde, Zuhause. Ich liebe me<strong>in</strong>en Beruf als Schauspieler<strong>in</strong><br />

sehr und empf<strong>in</strong>de es als e<strong>in</strong> großes Privileg, mit me<strong>in</strong>er Leidenschaft Geld verdienen zu<br />

dürfen! Durch me<strong>in</strong>e künstlerische Tätigkeit und das nie Wissen, wann und wie viel ich bald<br />

wieder verdienen werde, lebe ich eher bescheiden, dafür aber <strong>in</strong>tensiv und nur fünf M<strong>in</strong>uten<br />

vom Meer entfernt. Es wahrt mir auch die künstlerische Freiheit.<br />

Me<strong>in</strong>e Wohnung ist hell und e<strong>in</strong> Ruhepol <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em aufregenden, vom vielen Reisen geprägten<br />

Leben. Partnerschaft, Familie und Freunde s<strong>in</strong>d die wichtigste Grundlage <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben.<br />

Was schätzen Sie besonders an der deutschen Gesellschaft, was weniger?<br />

Ich schätze unsere Lebensqualität, Erziehung, Gesundheitsfürsorge, soziale Sicherheit,<br />

Umweltbewusstse<strong>in</strong>, Kultur, Musik, Literatur, bildende Kunst. Ich verstehe nicht, warum wir<br />

anfangen Schulausbildung, Kultur und Krankenversicherung kostenpflichtig zu machen und die<br />

negativen Seiten der <strong>Amerika</strong>nischen Gesellschaft zu kopieren. E<strong>in</strong> Ausdruck von absolut<br />

sehnsüchtig verzücktem Unverständnis, macht sich auf dem Gesicht e<strong>in</strong>es <strong>Amerika</strong>ners breit,<br />

wenn ich versuche ihm zu erklären was e<strong>in</strong>e Kur ist und wie viele <strong>Deutsche</strong> die jährlich <strong>in</strong><br />

Anspruch nehmen. Ich schätze es, dass unsere Zielsetzung das soziale Wohlergehen der<br />

Geme<strong>in</strong>schaft ist. Unsere unglaubliche Geschichte bee<strong>in</strong>druckt mich sehr. Unsere Tiefe und<br />

Vielschichtigkeit, e<strong>in</strong> Land voller Potenzial, dass es selbst noch nicht ganz so sieht. Ich schätze<br />

weniger, dass die rechtsextremistische NPD <strong>in</strong> den sächsischen Landtag e<strong>in</strong>zieht. In<br />

Deutschland herrscht die Idee, dass der Kuchen kle<strong>in</strong> ist, dass man sich se<strong>in</strong> Stück hart<br />

ergattern muss und bloß nichts abgeben darf. In <strong>Amerika</strong> dagegen ist Fülle, Tischle<strong>in</strong>-Deck-<br />

Dich-Mentalität angesagt. Deutschland ersche<strong>in</strong>t mir oft eng wie e<strong>in</strong>e Puppenstube. Unendlich<br />

reich doch zutiefst unzufrieden. Gerne betroffen, vergangenheitsbezogen, romantisch<br />

veranlagt, sentimental und verliebt <strong>in</strong> die Sündenbockrolle. Ich hoffe, wir lassen das bald se<strong>in</strong><br />

und erkennen und schätzen, wie viel wir trotz, oder grade wegen unserer Geschichte der Welt<br />

zu bieten haben.<br />

Was ist typisch deutsch?<br />

Neid, faul se<strong>in</strong>, aber sich dabei nicht erwischen lassen, nicht wirklich arbeiten wollen, aber<br />

Ansprüche stellen, Schadenfreude, Geiz, Kle<strong>in</strong>lichkeit, verh<strong>in</strong>dernde Bürokratie, P<strong>in</strong>geligkeit,<br />

Nörgeln, schlecht gelaunt se<strong>in</strong>, Ham wa nich, geht nich-Haltung, glücklich oder gut gelaunt<br />

se<strong>in</strong> gilt als oberflächlich, übers Wetter redend, sich mit der Vergangenheit rausredend,<br />

rassistisch gegen sich selbst, gegene<strong>in</strong>ander, S<strong>in</strong>nsuche, Spirituelle Suche, Besser-wisserei,<br />

Ordnungsliebe, Gehorsamkeit, Vere<strong>in</strong>smeierei, Ellenbogen-gesellschaft, große Träume, kle<strong>in</strong>e<br />

Gegenwart, <strong>in</strong> der guten alten Zeit lebend, zwischen Größenwahn und<br />

M<strong>in</strong>derwertigkeitsgefühlen schwankend, Selbst-bezogenheit, sich sehr ernst und wichtig<br />

nehmen, mittlerweile aber auch über sich lachen können, pathetisch, gestresst, verzweifelt,<br />

Problem-orientierung, ängstlich, Gefühle werden kontrolliert, Wut ist als e<strong>in</strong>zige Emotion<br />

DEUTSCHE IN AMERIKA, 2005 2


NINA FRANOSZEK www.n<strong>in</strong>afranoszek.com<br />

gesellschaftsfähig, Schmerz nicht, bei gleichzeitiger Liebe zum Leiden, Selbstmitleid,<br />

Zynismus, unzufriedene ja aber-Gesellschaft, um se<strong>in</strong> Image besorgt se<strong>in</strong>, es ist wichtig, was<br />

die anderen über e<strong>in</strong>en denken: Sei wie alle anderen auch. Sei auf der Hut. Mache alles so wie<br />

man es dir gesagt hat. Du darfst ke<strong>in</strong>e Fehler machen und niemals zugeben, dass du welche<br />

gemacht hast. Bestrafe Dich, wenn du Fehler machst! Man muss für alles e<strong>in</strong>e Erlaubnis haben,<br />

Angst vor Beurteilung, die Idee, dass die <strong>Deutsche</strong> Kultur überlegen ist, Wer nicht deutsch ist,<br />

ist im Unrecht. Immer noch e<strong>in</strong>e die Väter ablehnende Gesellschaft. Die Frauen haben die<br />

Hosen an. Bier. Romantiker. Von Karl May bis Wagner. He<strong>in</strong>e, Rilke Hölderl<strong>in</strong>, Fassb<strong>in</strong>der, die<br />

RAF, He<strong>in</strong>o und soviel mehr. Me<strong>in</strong> <strong>in</strong>neres Bild: Deutschland ist grün. Klare Seenketten, <strong>in</strong> die<br />

wir im Sommer nackt e<strong>in</strong>tauchen und auf denen wir im W<strong>in</strong>ter melancholisch<br />

Schlittschuhbahnen ziehen… Es ist schon geme<strong>in</strong>, das me<strong>in</strong> kulturelles Erbe diese ganzen<br />

Eigenschaften be<strong>in</strong>haltet und ich damit <strong>in</strong>fiziert und identifiziert b<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> Glück, das ich hier<br />

nicht noch die polnischen oder jüdischen Merkmale aufschreiben soll, die mich auch noch<br />

ausmachen... Als Berl<strong>in</strong>er empf<strong>in</strong>de ich mich übrigens auch noch mal anders: All free men,<br />

wherever they may live, are citizens of Berl<strong>in</strong>, and, therefore, as a free man, I take pride <strong>in</strong><br />

the words ›Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>er.« (President John F. Kennedy, June 26, 1963). Adolf Hitler’s<br />

»Völkische Beobachter« hat die Hauptstadt damals folgendermaßen denunziert: ‘e<strong>in</strong><br />

Schmelztiegel alles Bösen – Prostutierte, Kneipen, K<strong>in</strong>os, Marxismus, Juden, Stripper,<br />

tanzende Negern und all die üblen E<strong>in</strong>flüsse der sogenannten Modernen Kunst’. E<strong>in</strong><br />

amerikanische Politiker behauptete das gleiche übrigens von Hollywood und Los Angeles.<br />

Was fällt Ihnen zum Thema Heimat e<strong>in</strong>?<br />

Da wo ich mich zuhause fühle. Da wo ich willkommen b<strong>in</strong>. In me<strong>in</strong>em Herzen.<br />

Fühlen Sie sich als <strong>Deutsche</strong>?<br />

Ja, da komm ich her. Wie e<strong>in</strong> Baum habe ich dort me<strong>in</strong>e Wurzeln, aber me<strong>in</strong>er Arme<br />

erstrecken sich mittlerweile <strong>in</strong> die Welt.<br />

Welchen E<strong>in</strong>fluss hat Deutschland auf <strong>Amerika</strong>?<br />

Im allgeme<strong>in</strong>en Gesellschaftsbild fast ke<strong>in</strong>en, außer Oktoberfeste, Bier, Sauerkraut, Wurst, und<br />

den Wunsch nach e<strong>in</strong>em Mercedes, Porsche, BMW oder dem neuen Käfer von VW. Alte<br />

Nazibilder herrschen bei der breiten Masse vor und werden durch e<strong>in</strong>seitig dargestellte Zweite<br />

Weltkriegsfilme weiter untermauert. Wir haben im Jahr 2003 <strong>in</strong> den USA 137 Billionen Dollar<br />

<strong>in</strong>vestiert. <strong>Deutsche</strong> Filmfonds f<strong>in</strong>anzieren mit deutschen Steuergeldern Hollywoodfilme<br />

(Chicago etc.), während bei uns die Filmförderung (z. B. Hamburg) gestrichen wird. Man sollte,<br />

<strong>in</strong> dem Fall also eher von Geldfluss als von E<strong>in</strong>fluss reden, denn <strong>in</strong> den amerikanischen Medien<br />

ist das Deutschland von heute mehr oder weniger nicht präsent. Ich setze weiterh<strong>in</strong> auf den<br />

<strong>Deutsche</strong>n Film. Er kann und wird dazu beitragen, das sich die Menschen e<strong>in</strong> neues Bild von<br />

Deutschland machen. Filme wie »Lola rennt«, »Rosenstrasse«, »Das Wunder von Bern« und<br />

»Good bye Len<strong>in</strong>«, um nur e<strong>in</strong>ige Erfolge der letzten Jahre zu nennen, verfehlen ihre Wirkung<br />

nicht. Es gilt noch viel Arbeit zu leisten, als kulturpolitisch motivierter und verantwortlicher<br />

Mensch.<br />

Was schätzen Sie besonders an der amerikanischen Gesellschaft, was weniger?<br />

Ich muss hier erwähnen, dass ich e<strong>in</strong>e Angel<strong>in</strong>a b<strong>in</strong>, also e<strong>in</strong> Mensch der <strong>in</strong> Los Angeles lebt.<br />

Me<strong>in</strong>e Freunde hier und anderswo s<strong>in</strong>d vorwiegend Künstler, Intellektuelle, Schriftsteller,<br />

Musiker, Theater- und Filmemacher, Heiler und Spirituell ausgerichtete Menschen. Das George<br />

W. Bush liebende <strong>Amerika</strong> und der mittlere Westen s<strong>in</strong>d mir fremd. Ich bewege mich zwischen<br />

den urbanen, kosmopolitischen Zentren LA, NYC und Berl<strong>in</strong> h<strong>in</strong> und her, die ich, mit ihren sehr<br />

<strong>in</strong>dividuellen Zügen, nicht als unbed<strong>in</strong>gt für Deutschland oder <strong>Amerika</strong> besonders typisch<br />

empf<strong>in</strong>de. Obwohl, machen nicht genau diese Zentren Deutschland und <strong>Amerika</strong> aus? Ich liebe<br />

Kalifornien, Flip Flops (Badelatschen), legere Klamotten, die Freundlichkeit hier und natürlich<br />

das Meer. Ich schätze die Liberalität, das Informelle, und die <strong>in</strong>dividuelle Freiheit an der<br />

Westküste, die Vielfalt, das Multikulturelle und das Recht auf Gleichheit, die Offenheit, unseren<br />

Enthusiasmus, unseren Optimismus, das Innovative, sich ständig Verändernde, sich<br />

Vorwärtsbewegende, Zukunftorientierte, Lösungs-orientierte, Junge, Spirituelle, Wegweisende,<br />

Mut machende, Freiheitsliebende, Experimentelle th<strong>in</strong>k out of the box-Denken. Der Glaube<br />

DEUTSCHE IN AMERIKA, 2005 3


NINA FRANOSZEK www.n<strong>in</strong>afranoszek.com<br />

daran, dass Menschen sich verändern können und umlernen können und jeder e<strong>in</strong>e zweite<br />

Chance kriegt, falls er die braucht und es tatsächlich noch immer das Land der unbegrenzten<br />

Möglichkeiten ist und jeder es schaffen kann. LA ist me<strong>in</strong>e Plattform, me<strong>in</strong>e Landefläche, me<strong>in</strong><br />

erweiterter Horizont, me<strong>in</strong> vergrößertes Spielfeld, me<strong>in</strong> Multikultureller Mikrokosmos, me<strong>in</strong><br />

Hollywood Mythos, me<strong>in</strong> Sodom und Gomorra, me<strong>in</strong>e größte Aversion, me<strong>in</strong>e große Liebe,<br />

me<strong>in</strong>e große Unbekannte, me<strong>in</strong> Rausch, me<strong>in</strong>e Nüchternheit, me<strong>in</strong>e Le<strong>in</strong>wand, me<strong>in</strong>e<br />

Projektionsfläche, me<strong>in</strong>e Illusion, me<strong>in</strong>e Realität, me<strong>in</strong>e Stadt der Engel, me<strong>in</strong> Spiritueller<br />

Rückzug, me<strong>in</strong> homöopathisches Mittel, me<strong>in</strong>e Läuterung, me<strong>in</strong> Venedig, me<strong>in</strong> Zuhause, me<strong>in</strong>e<br />

Nichtdef<strong>in</strong>ition. Ich schätze weniger: den Hang Schauspieler als M<strong>in</strong>isterpräsidenten oder gar<br />

zum Präsidenten zu wählen. Das Ego der amerikanischen Politiker und ihre Liebe zur<br />

Kolonialisierung und Bombardierung anderer Länder. Die Waffenliebe und die Angst; die Angst<br />

vorm Nachbarn und die Angst zu verlieren was man hat. Die re<strong>in</strong>e Profitorientierung der<br />

amerikanischen Wegwerfgesellschaft, ohne Empf<strong>in</strong>den für die Umwelt. Das offensichtlich<br />

momentane Des<strong>in</strong>teresse gegen die immer größer werdende Armut und die vielen anderen<br />

Missstände im eigenen Land vorzugehen, wie z. B., die Zustände <strong>in</strong> den amerikanischen<br />

Gefängnissen, <strong>in</strong> den Indianer Reservaten, die Atmosphäre erwärmenden Umweltbelastungen,<br />

die hohe Verschuldung und Abhängigkeit der amerikanischen Bürger von Kreditkarten, die von<br />

ke<strong>in</strong>em funktionierendes Sozialsystem aufgefangen werden. Die Ignoranz der <strong>Amerika</strong>ner, die<br />

nicht <strong>in</strong>formierenden bzw., selektiv <strong>in</strong>formierenden, aber dafür Angst schürenden Medien, die<br />

Bush Politik, Reality TV, Jerry Spr<strong>in</strong>ger. Silikontitten, die e<strong>in</strong>heitlich operierte Stupsnase, und<br />

das nicht mehr enden wollendes Bottox-Gr<strong>in</strong>sen aufgespritzter Lippen ohne Bekenntnisse. In<br />

<strong>Amerika</strong> wird leider grade Politik und Patriotismus durche<strong>in</strong>ander gebracht und es ist wichtig<br />

das wir nicht verlieren, was wir haben… Der <strong>Amerika</strong>ner liebt primitive Lösungen für komplexe<br />

Problemen, die er sich als Aufkleber an die Stossstange kleben kann, ohne tiefer reflektieren<br />

zu müssen.<br />

Als Künstler fühle ich mich verantwortlich und sehe es als me<strong>in</strong>e Aufgabe an, Schwarz-Weiß-<br />

Malerei oder Gut contra Böse-Weltanschauungen differenziert zu Betrachten, Nuancen sichtbar<br />

und Dogmen transparent zu machen, zur Debatte anzuregen und zur Reflektion zu verleiten.<br />

Was ist typisch amerikanisch?<br />

Das Gott permanent neu def<strong>in</strong>iert wird, denn Gott segnet <strong>Amerika</strong>. Überlegenheitskomplex, Big<br />

Brother-Syndrom, Hypokrisie, Kapitalismus und Globalisierung. Es geht nicht mehr um<br />

Nationen, sondern nur noch um Konzerne weltweit. Die Liebe zum Colt und weltweit der größte<br />

Waffenhersteller und Lieferant zu se<strong>in</strong>. Die amerikanische Gesellschaft, ist von so vielen<br />

Werten und Glaubenssätzen, von praktisch jedem Teil der Welt bee<strong>in</strong>flusst und so vielschichtig,<br />

das es für mich schwer ist die Grundwerte des <strong>Amerika</strong>nischen Systems auszumachen. Wie <strong>in</strong><br />

Europa ist auch jeder Staat verschieden. Allgeme<strong>in</strong> kann man vielleicht sagen, dass<br />

<strong>Amerika</strong>ner Angeber sentimental, omnipotent, größenwahns<strong>in</strong>nig, ignorant, vom Elend im<br />

eigenen Land wegschauend, ihre Geschichte verleugnend, sich überlegen fühlend und<br />

selbstbezogen s<strong>in</strong>d. Verallgeme<strong>in</strong>erungen s<strong>in</strong>d aber gefährlich. Sicher ist, dass wir e<strong>in</strong> Volk von<br />

E<strong>in</strong>wanderern s<strong>in</strong>d, multikulturell, aber auch ethno-zentrisch, widersprüchlich, im hier und<br />

jetzt. Wir s<strong>in</strong>d Freiheitsliebende Individualisten. Der <strong>Amerika</strong>ner wird von jung an ermutigt<br />

unabhängig zu se<strong>in</strong> und se<strong>in</strong>e eigenen Ziele im Leben zu verwirklichen. <strong>Amerika</strong>ner werden<br />

belohnt, umso mehr sie sich anstrengen ihre Ziele zu erreichen. Es geht um die persönliche<br />

Leistung, Erfolg und Geld, nicht so sehr um die Pflege der persönlichen Beziehungen. Jeder ist<br />

für se<strong>in</strong> Leben selbst verantwortlich und se<strong>in</strong> vorankommen. Jeder kann es schaffen. Die Idee<br />

der richtigen Gelegenheit ist angesagt und Konkurrenzfähigkeit, um zu gew<strong>in</strong>nen. E<strong>in</strong>e bessere<br />

Zukunft wird jedem versprochen, der hart genug dafür arbeitet. Obsession mit Massenmedien,<br />

Konsum, Körperbild und die Liebe zum gefallen Sohn, der wieder auf die Be<strong>in</strong>e kommt prägen<br />

das Bild der <strong>Amerika</strong>nische Gesellschaft. Der Kapitalismus br<strong>in</strong>gt die Bombardierung mit<br />

Werbung und Produkten mit sich. So wird z.B. e<strong>in</strong> unerreichbares idealisiertes Frauenbild<br />

künstlich erschaffen, um tausende von Schönheitsprodukten und Operationen zu vermarkten<br />

etc. Der mittlere Westen ist weiß, religiös, Christlich, Protestantisch, Prüde, Familienorientiert,<br />

Männer und Frauen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihren geschlechtsspezifischen Rollen festgelegt. Baseball und<br />

Football. Ich spiele seit ich hier b<strong>in</strong> Softball– die sanftere Form des Baseballs. Der Sport gibt<br />

mir e<strong>in</strong> tieferes Verständnis für die Gesellschaft. Die Individualität ist wichtig, aber man muss<br />

auch e<strong>in</strong> Teamplayer se<strong>in</strong>. Es geht alles um das geme<strong>in</strong>same Spiel, da darf der e<strong>in</strong>zelne sich<br />

nicht zu wichtig oder ernst nehmen, sonst fliegt er raus. E<strong>in</strong>e arrogante Attitüde kreiert hier<br />

DEUTSCHE IN AMERIKA, 2005 4


NINA FRANOSZEK www.n<strong>in</strong>afranoszek.com<br />

schnell e<strong>in</strong> Problem, <strong>in</strong> Deutschland könnte das gleiche Auftreten als Führungsqualität<br />

<strong>in</strong>terpretiert werden. Me<strong>in</strong> <strong>in</strong>neres Bild: Unendliche Weite. Das Falkenpärchen kreist über dem<br />

Grand Canyon. Irgendwo dah<strong>in</strong>ten ist Las Vegas. Nichts zieht mich dorth<strong>in</strong>. Wir stehen mit<br />

dem Surfbrett im Wasser und warten auf die große Welle, Der Delph<strong>in</strong> lacht, der Coyote heult,<br />

Was macht der Wal nochmal und wer war P<strong>in</strong>ochio?<br />

Mit welchen Erwartungen s<strong>in</strong>d Sie <strong>in</strong> die USA gekommen?<br />

Ich erwartete die größte Herausforderung me<strong>in</strong>es Lebens, beruflich, privat, mental, spirituell<br />

und wurde dar<strong>in</strong> nicht enttäuscht.<br />

Identifizieren Sie sich mit den USA und der Stadt, <strong>in</strong> der Sie leben?<br />

Ne<strong>in</strong>, aber ich lebe gerne <strong>in</strong> Los Angeles und b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> waschechter Berl<strong>in</strong>er – das prägt.<br />

Was be<strong>in</strong>haltet für Sie der <strong>Amerika</strong>nische Traum? Gehen Sie ihm nach?<br />

›Jeder‹ kann es schaffen sagt der amerikanische Traum und wenn das heißt drei Jobs<br />

gleichzeitig zu arbeiten. Und wer noch nicht Millionär ist, strebt zum<strong>in</strong>dest an se<strong>in</strong> eigener Boss<br />

se<strong>in</strong>, zwei K<strong>in</strong>der zu haben, e<strong>in</strong>en Hund, e<strong>in</strong> Häuschen mit Garten mit e<strong>in</strong>em weißen<br />

Lattenzaun drum rum und glücklich bis ans Lebensende. Ich persönlich stelle den materiellen,<br />

<strong>in</strong>dividuellen Erfolg, immer mehr <strong>in</strong> Frage. In e<strong>in</strong>er globalisierten Welt kann ke<strong>in</strong> Traum mehr<br />

Gültigkeit haben, der nur auf <strong>in</strong>dividuelle Lebensverbesserung abzielt. Wenn die ganze Welt an<br />

den amerikanischen Traum glaubte, würde sie sich selbst zerstören. Ich gehe me<strong>in</strong>en Träumen<br />

nach, die s<strong>in</strong>d nicht unbed<strong>in</strong>gt <strong>Amerika</strong>nisch. Aber ich liebe den Optimismus.<br />

Welche Bedeutung hat der Kontakt zu anderen <strong>Deutsche</strong>n <strong>in</strong> <strong>Amerika</strong> für Sie?<br />

Wir s<strong>in</strong>d Auswanderer, oft Gleichges<strong>in</strong>nte, mutig, risikobereit, oft Leute, die handeln und nicht<br />

nur reden. Selfmade men and women aber nicht nur Autodidakten sondern vor allem auch<br />

absolute Profis und Stars. Wer sich mag, unterstützt sich. Uns verb<strong>in</strong>det oft die gleiche<br />

Mentalität und manchmal auch der gleiche E<strong>in</strong>wanderungsanwalt. In der Fremde liebt man<br />

se<strong>in</strong>e Heimat mehr, das trifft auf jedenfall auf mich zu. Die Heimat besteht allerd<strong>in</strong>gs oft nur<br />

noch im Kopf als Momentaufnahme des Deutschlands vor der eignen Immigration <strong>in</strong>s Ausland.<br />

Me<strong>in</strong> West und Ost-Berl<strong>in</strong> gibt es gar nicht mehr. Das Berl<strong>in</strong> von heute ist e<strong>in</strong>e neue Stadt, wo<br />

ich immer wieder out b<strong>in</strong>, wenn ich mich nicht jedes Mal neu orientiere. Wir konservieren<br />

geistig das Deutschland unsere Auswanderung und setzen es <strong>in</strong> dieser Verfremdung <strong>in</strong> der<br />

Fremde fort. Ich f<strong>in</strong>de es sehr <strong>in</strong>teressant, wie unterschiedlich und teilweise weltfremd das<br />

Deutschlandbild der Auslandsdeutschen ist und es dadurch auch zu Missverständnissen<br />

untere<strong>in</strong>ander kommen kann. Kürzlich traf ich jemanden, der vor 20ig Jahren mit 18 Jahren<br />

ausgewandert war und der nicht wusste, dass es e<strong>in</strong>e Deutsch-Türkische Generation <strong>in</strong><br />

unserem Alter <strong>in</strong> Deutschland gibt, die mittlerweile die ausgezeichneten Preisträger des<br />

<strong>Deutsche</strong>n Filmes s<strong>in</strong>d. Natürlich begegnet auch der Immigranten-Ossi der amerikanischen<br />

Welt noch mal ganz anders als der Immigranten-Wessi und die Auswanderungsgründe s<strong>in</strong>d<br />

eventuell andere. Aber darüber wird diese Umfrage hier sicherlich Auskunft geben. Als<br />

deutscher Kulturschaffender f<strong>in</strong>de ich den Abstand und den Blickw<strong>in</strong>kel aus der Fremde auf<br />

me<strong>in</strong> Heimatland sehr <strong>in</strong>spirierend, aufschlussreich und immer wieder motivierend. Es hat zur<br />

fruchtbaren Ause<strong>in</strong>andersetzung mit me<strong>in</strong>er eigenen Identität geführt und der Fähigkeit<br />

manches aus der Ferne klarer zu sehen.<br />

Pendeln Sie oft zwischen Deutschland und <strong>Amerika</strong>?<br />

Ja, da ich immer wieder für Filmangebote nach Deutschland komme. Welche Veränderungen<br />

haben Sie nach dem 11. September wahrgenommen? Direkt danach waren wir alle vere<strong>in</strong>t, für<br />

e<strong>in</strong>ander da, dem Wohl des Nächsten zugewendet, friedlich, reflektierend, liebevoll, spirituell,<br />

uns auf die wahren Werte des Lebens bes<strong>in</strong>nend. Heute regiert die Angst, mehr Hilflosigkeit,<br />

Misstrauen, Aggression und Wut liegen <strong>in</strong> der Luft, Fe<strong>in</strong>dlichkeit, Gereiztheit, Angst vor<br />

Kontrollverlust, mehr Kontroversen, aber auch Konfusion, Angst vor dem Imageverlust<br />

<strong>Amerika</strong>s wegen dem Krieg gegen Irak, ebenso wie bl<strong>in</strong>de Wut gegen den bösen Rest der Welt.<br />

Unangenehm.<br />

DEUTSCHE IN AMERIKA, 2005 5


NINA FRANOSZEK www.n<strong>in</strong>afranoszek.com<br />

Welchen E<strong>in</strong>fluss hat <strong>Amerika</strong> auf Deutschland?<br />

E<strong>in</strong>en unwahrsche<strong>in</strong>lich großen. Vom Oskar bis zum Reagan Begräbnis, wir s<strong>in</strong>d bei jedem<br />

Ereignis der <strong>Amerika</strong>ner live dabei, ohne das der große Bruder das nur ahnt. Durch die<br />

Befreiung der <strong>Amerika</strong>ner und ihre Besatzung von West Deutschland hat <strong>Amerika</strong> e<strong>in</strong>en<br />

immensen E<strong>in</strong>fluss auf uns ausgeübt und tut es weiterh<strong>in</strong>. 15 Millionen <strong>Amerika</strong>nische Soldaten<br />

und ihre Familien waren seit Kriegsende <strong>in</strong> Deutschland stationiert. Nach dem 11. September<br />

g<strong>in</strong>g die Identifizierung teilweise soweit, dass wir glaubten selbst <strong>Amerika</strong>ner zu se<strong>in</strong>, was sich<br />

sowohl <strong>in</strong> den Medien, als auch <strong>in</strong> Filmen wie z. B. »September« von Max Färberböck<br />

ausdrückte, bis zu <strong>Deutsche</strong>n, die aus Zusammengehörigkeitsgefühl T-shirts mit der Aufschrift:<br />

‘Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> <strong>Amerika</strong>ner’ trugen, anstatt zum Beispiel ‘Solidarität mit den <strong>Amerika</strong>nern’. In der<br />

<strong>Deutsche</strong>n Gesellschaft und <strong>in</strong> den Medien haben amerikanische Schauspieler und Musiker<br />

e<strong>in</strong>en wesentlich höheren Stellenwert, als deutsche Künstler und gelten als Vorbilder. <strong>Deutsche</strong><br />

Stars werden mit Passion gestürzt und niedergemacht. Die Franzosen und auch die Briten und<br />

Spanier haben da e<strong>in</strong> ganz anderes Selbstwertgefühl als wir und schätzen auch ihre Künstler<br />

dementsprechend. Es ersche<strong>in</strong>t mir, als haben wir immer noch große Angst vor deutschen<br />

Helden, und adoptieren uns lieber e<strong>in</strong>en Bruce Willis. Die Geschichte holt uns auch hier wieder<br />

e<strong>in</strong>. Ich wünschte wir hätten mehr Selbstvertrauen und Liebe zu unserer Identität. Manchmal<br />

habe ich das Gefühl, wir übernehmen gerne mit e<strong>in</strong>er anhimmelnden Blauäugigkeit den ganzen<br />

Uns<strong>in</strong>n der <strong>Amerika</strong>ner, anstatt von ihren Fehlern zu lernen und <strong>in</strong>novative eigene Wege<br />

e<strong>in</strong>schlagen. Obwohl das vor allem <strong>in</strong> den neuen Bundesländern im Anzug ist. Im<br />

sprachpathologischen Alltag entwickeln wir uns <strong>in</strong> die Denglisch-Richtung, die sich <strong>in</strong> der<br />

Umgangsprache und auf Werbeflächen breit macht. Das diese neue Sprachform nichts mit der<br />

amerikanischen Umgangssprache zu tun hat, sche<strong>in</strong>t uns dabei nicht zu stören. E<strong>in</strong>e weitere<br />

l<strong>in</strong>guistisch <strong>in</strong>teressante Ergänzung entsteht durch unsere konstante Berieselung der<br />

deutschen Synchronfassungen amerikanischer Filme und Fernsehserien. (Als First Mover sollte<br />

ich eigentlich mit der Fantasie-Talke ne verdammt coole, amus<strong>in</strong>g Comedy Action anpowern.)<br />

Über kurz oder lang wird daraus e<strong>in</strong> neues <strong>Amerika</strong>nisch entstehen, e<strong>in</strong> deutsches<br />

<strong>Amerika</strong>nisch und wir, wir werden uns e<strong>in</strong>fach zu den besseren <strong>Amerika</strong>ner erklären. Dann<br />

haben wir endlich wieder e<strong>in</strong>e Identität gefunden, auf die wir stolz se<strong>in</strong> können.<br />

Würden Sie wieder nach Deutschland gehen? Warum?<br />

Deutschland ist me<strong>in</strong> Heimatdorf, vertraut, aber auch e<strong>in</strong> bisschen eng. Es ist gut zu wissen,<br />

dass es da ist. Das ich jederzeit heimkehren kann, es immer wieder neu entdecken werde,<br />

denn da bewegt sich viel und auch me<strong>in</strong>s dazu tun vermag. Ob ich je ganz zurück komme weiß<br />

ich nicht. Ich denke da erst noch an Italien, Paris, Tahiti... na ich fang jetzt gar nicht erst an...<br />

DEUTSCHE IN AMERIKA, 2005 6

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!