13.07.2015 Aufrufe

Download Programmheft - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin

Download Programmheft - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin

Download Programmheft - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Zu den Werken67Zu den WerkenMichail Glinka,Gemälde von Ilja Repin, 1887Berlioz begegnete mirmit außerordentlicherFreundlichkeit, wasman vom größten Teilder Pariser Künstler,die unerträglich hochmütigsind, nicht behauptenkonnte.Michail GlinkaGlinkas Talent ist eine ungewöhnlicheVielseitigkeit und Elastizitäteigen; sein Stil hat den seltenenVorzug, sich nach dem Willen desKomponisten, den Forderungen unddem Charakter des jeweils gewähltenSujets entsprechend zuwandeln.Hector BerliozKompositionslehrer hoch geschätzt wurde (die Musikhochschulegab es damals noch nicht). In Spanien faszinierte ihn der ›Cantejondo‹, der »tiefinnere Gesang«, dem auch der Flamenco entstammt;mit seiner ›Jota aragonesa‹ versuchte er, den Charakterdieser Musik zu treffen. Der Vater der nationalrussischen Schuleging also bei anderen nationalen Schulen in die Lehre. Dass dasNationale, für das man gern einen stilisierten bis vermeintlichenVolkston atmosphärisch anreicherte, letztlich nur einen besonderenAkzent in einer größeren Kulturgemeinschaft setze, ist nochheute kein selbstverständlicher Gedanke.Glinkas ›Walzer-Fantasie‹ weist nach Frankreich, in die Kultur derSalons vor allem, erst in zweiter Linie ins Milieu der öffentlichenKonzerte. Er schrieb das Werk 1839 zunächst für Klavier. Der Anlasswar ein höchst persönlicher: Liebe. Der 35-Jährige fühlte sich inseiner Ehe nicht mehr glücklich. Die Standardbiographien schiebendie Verantwortung dafür allein seiner Frau und ihrer oberflächlichenLebenslust zu. Der Befund wäre wohl zu überprüfen. Jedenfallslernte der Komponist im Hause seiner Schwester die jungeJekaterina Kern kennen und verliebte sich in sie; seine Empfindungenwurden erwidert. Für Jekaterina schrieb er seine ›Walzer-Fantasie‹,versteckte die eigentliche Widmung bei der Veröffentlichungjedoch hinter einer unverfänglichen. »Der geschmeidige und kapriziöseRhythmus dieses Walzers«, schreibt die Glinka-BiographinWera Wasina-Grossman, »schien gleichsam die anmutige Gestaltdes Mädchens, ihren unbeschwerten Gang und die rasche und ungezwungeneArt ihrer Bewegung nachzuzeichnen. Die ganze Kompositionbildet quasi ein Porträt in Tönen.« Ihre kreisende Formerinnert an das Wirken einer »Idée fixe«.Im Frühjahr 1844 begab sich Michail Glinka auf eine Reise nachParis. Ein Jahr blieb er in Frankreichs Hauptstadt, lernte dort HectorBerlioz kennen und fand in ihm einen engagierten Fürsprecher seinerWerke und Vorhaben. Berlioz nahm Stücke aus Glinkas Oper indie Konzerte auf, die er im Zirkus an den Champs-Élysées veranstalteteund dirigierte. Dadurch kam Glinka seinerseits auf die Idee,ein Konzert vorwiegend mit eigenen Werken zu arrangieren. Es fandam 10. April 1845 im Saal des Klavierbauers Henri Herz statt und botin einem Querschnitt seines Schaffens auch eine eigens hergestellte<strong>Orchester</strong>fassung seines Jekaterinenwalzers. Berlioz, der auchals Kritiker tätig und bei manchen wegen seiner spitzen Feder gefürchtetwar, spendete seinem russischen Kollegen viel lobendeWorte und nutzte die Gelegenheit, Glinka in der Breite seinesSchaffens zu porträtieren. Die Walzer-Partitur ging allerdings nachdem denkwürdigen Konzert verloren, deshalb instrumentierte derKomponist seine Tanzfantasie in h-Moll 1856 ein weiteres Mal.Die Skrupel und das Opus 1In der Geschichte Sergei Tanejews und seiner Kunst begegnet mandem Drama des Extrembegabten, der an sich selbst die höchstenAnsprüche stellt. Eigentlich legte er eine Bilderbuchkarriere vor. Als19-Jähriger schloss er sein Musikstudium in Moskau mit höchsterAuszeichnung ab. Neben der Tonkunst beschäftigte er sich auchmit Natur- und Geisteswissenschaften; seine Kenntnisse perfektionierteer in Paris. Mit 22 Jahren wurde er als Professor an dasMoskauer Konservatorium, mit 29 zu dessen Direktor berufen. Erbekleidete dort den Lehrstuhl, den vorher Nikolai Rubinstein innehatte.Mit Pjotr Tschaikowsky hatte er einen der Großen seiner Zeitzum Lehrer und zum Freund. Der Ältere legte ihm sogar seine Werkezur Begutachtung vor, denn er traute Tanejews Urteil. Der richtetestreng – so streng, wie er sich selbst gegenüber war. Wenn einKunstwerk an die Öffentlichkeit kam, musste es nach seinem Ethosvollkommen sein, durch seinen Ausdruck ebenso überzeugen wiedurch seine ästhetische Gestalt, und die wollte wohl bedacht sein.»Bevor er mit der eigentlichen Arbeit an einem großen Werk begann«,schreibt der französische Musikologe Michel Calvocoressi,»trug er sein gesamtes thematisches Material zusammen undschrieb darüber alle möglichen kontrapunktischen Vorstudien,Fugen, Kanons und so weiter. Erst wenn er dadurch sein Materialvollständig beherrschte – wenn er es sozusagen gepresst, gerollt,durchgeknetet und all seine verborgenen Möglichkeiten entdeckthatte – begann er mit der eigentlichen Komposition.« So hochlegte er seine Maßstäbe, dass er über vierzig Werke komponierte,ehe er dem ersten das offizielle Gültigkeitssiegel in Form einerOpusnummer gab.Mit seinem Opus 1 schuf Tanejew der russischen Musikgeschichtezugleich ein Novum. Geistliche Kantaten hatten in ihr bis dahin keineTradition. In der orthodoxen Kirche war konzertante Musik verboten,selbst Chorgesang ließen nur liberal Gesinnte gegen Ende des19. Jahrhunderts zu, Instrumente waren auf keinen Fall erlaubt. Andererseitsgalt nicht nur in Russland das Aufführen ausgesprochenchristlicher Werke in weltlichen Räumen lange noch als Sakrileg.Tanejew komponierte ›Johannes Damascenus‹ als Kantate für Chorund <strong>Orchester</strong>. Wo war ihr Platz im kulturellen Leben? Ihr Text, einGedicht von Alexei Tolstoi (1817–1875), dem Cousin von Leo Tolstoi,stammte zwar aus der zeitgenössischen Literatur, gehörte aber eindeutigzur geistlichen Poesie, denn er fingiert eine Ansprache, dieein alt und lebenssatt gestorbener Heiliger aus dem Grab an seinehinterbliebenen Glaubensgenossen und an Gott richtet. Johannesvon Damaskus, der 754 im Alter von 104 Jahren aus dieser Welt geschiedensein soll, war für die orthodoxe Kirche von großer Bedeutung.In einer der zahllosen innerchristlichen Auseinandersetzungen—––Sergei Tanejew›Johannes Damascenus‹BesetzungVierstimmiger gemischter Chor2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten,2 Fagotte, 4 Hörner,2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba,Pauken, StreicherSergei Tanejew, um 1885Seien Sie doch endlicheinmal Sie selbst undstützen Sie sich festauf Ihre eigenen Kräfte!Sie sind zu bescheiden;tragen Sie IhrHaupt höher, wenn Siewollen, dass man IhnenAchtung entgegenbringt!Pjotr Tschaikowsky an Sergei Tanejew


Zu den Werken89Zu den WerkenFür seine Komposition wählte Tanejew zwei Formen, die in der europäischenTradition besonders eng mit geistlicher Musik verknüpftwurden: den Choral und die Fuge. Mit einem Choral ohne Worteeröffnet das <strong>Orchester</strong> den ersten Satz und damit das gesamteWerk. Ein Choral, a cappella gesungen, steht am Anfang des zweitenSatzes und nimmt dort gelegentlich Züge einer liturgischen Deklamationan. Als Fuge überschrieb Tanejew das Schlussstück. Diehohe Kunst des Komponierens bestimmt aber auch schon dengrößten Teil des weit gespannten ›Adagio ma non troppo‹, mit demsein Opus 1 beginnt. Der Komponist zeigte sich stolz darüber, dass»in der Kantate alle möglichen kniffligen kontrapunktischen Verflechtungeneingearbeitet sind, die ich mit großem Eifer ausgearbeitethabe«. Im strengen Satz, der sich an Johann Sebastian BachsKunst orientiert, erreichte Tanejew eine Objektivierung seiner Musik,in der Formulierung seiner Themen, mit der er sich auch aufden russischen Kirchengesang bezog, und mit ihrer expressivenVerarbeitung gelang ihm eine besondere Eindringlichkeit des Werkes,das er als erstes veröffentlichungswürdig fand.Auf dem Gebiet des Kontrapunkts,der thematischen Verarbeitung, derkunstvollen formalen Gestaltung warTanejew ein Meister, wie ihn dierussische Musik bislang noch nichtgekannt hatte.Leonid Sabenejew›Das Begräbnis des Heiligen Odilon‹,Fresko in der Armenischen Kathedralein Lwiw (Lemberg) vonJan Henryk Rosen, 1925verteidigte er die Heiligkeit und Nützlichkeit von Ikonen und wehrtesich dagegen, sie durch Berufung auf das Bilderverbot im zweitender zehn Mosaischen Gebote aus dem frommen Leben zu verbannen.– Die Uraufführung der Johannes-Kantate fand schließlich ineinem Rahmen statt, der zwischen geistlicher und weltlicher Kulturvermittelte: in einem Gedenkkonzert für Nikolai Rubinstein.Tanejew verteilte die vier Strophen aus Alexei Tolstois Gedicht nachinhaltlichen Gesichtspunkten auf drei musikalische Sätze. Der Situationsbeschreibungdes Verstorbenen (Strophen 1 und 2) widmeteer den ersten und längsten Satz. Der zweite enthält Johannes’ Bittean seine Brüder, um der unsterblichen Liebe willen für ihn zu Gottzu beten. An ihn wendet er sich in der letzten Strophe direkt: AmJüngsten Tag möge der Höchste seinen »entschlafenen Diener« zusich in die himmlischen Wohnungen aufnehmen. Im Gedicht ist alldies Johannes von Damaskus in den Mund gelegt. Bei Tanejew aberwird es vom Chor gesungen. Die individuelle verwandelt der Komponistin eine gemeinschaftliche und geschichtliche Perspektive. ImVerhältnis des Menschen zu Gott wirkt der Heilige als Vorbild undPrototyp zugleich.Die neue ÄsthetikGute Kunst erweitert das Bewusstsein. Den Menschen stehen dafürseit alters auch andere Mittel zur Verfügung. Berlioz, der Mann mitder starken Vorstellungskraft, brachte im Geiste beide zusammen.Seine ›<strong>Symphonie</strong> fantastique‹ nannte er im Untertitel ›Episodenaus dem Leben eines Künstlers‹; sein »Ziel« war es nach eigenemBekunden, dessen gesellschaftliche Ausnahmeexistenz »zu schildern,soweit diese musikalisch darstellbar« sei. Irgendwann greiftder liebesgeplagte und -verzagte Kunst-Held zum Rauschmittel,denn wo die Verzweiflung am größten, ist die Droge am nächsten.Dann wird entfesselt, was jenseits der Grenzen eines normalenLebens und Erlebens liegt, nicht himmlisch schön, aber schönschaurig. So sagt es ein umfangreiches Programm, das Berlioz zuseiner <strong>Symphonie</strong> verfasste und bei Aufführungen verteilt wissenwollte. »Da dieses Instrumental-Drama durch keinen Worttext unterstütztwird, bedarf sein Plan einer vorherigen Erklärung«, meinteer. Das wurde in einer Zeit gesagt, in der man in Frankreich diestarke Wirkung von Beethovens <strong>Symphonie</strong>n durch »poetische Erklärungen«verständlich machen wollte.Mit seiner <strong>Symphonie</strong> samt zugehöriger Erläuterung schuf Berliozdie Gattung der romantischen Programmmusik, die engen Kontaktzur Literatur pflegte. Er stieß damit die Fülle der Tondichtungen an,die im 19. und frühen 20. Jahrhundert entstanden und heute einewesentliche Abteilung im Repertoire großer Konzertorchester bilden.Mit ihrer Erfahrung im Gedächtnis wird man über die Notwendigkeiteines erläuternden Programms heute anders denken als in—––Hector Berlioz›<strong>Symphonie</strong> fantastique‹Besetzung2 Flöten (2. auch Piccolo),2 Oboen (2. auch Englischhorn),2 Klarinette (1. auch KleineKlarinette), 4 Fagotte, 4 Hörner,2 Trompeten, 2 Cornets àpistons, 3 Posaunen, Tuba,4 Pauken, Schlagwerk (Becken,Große Trommel, Tamburin,2 Glocken), 2 Harfen, StreicherHector Berlioz, Lithografie vonAugust Prinzhofer, 1845


Zu den Werken10 11Zu den WerkenIch hatte rasendenErfolg. Die ›<strong>Symphonie</strong>fantastique‹ wurdemit Geschrei und Getrampelbegrüßt. ›Lamarche au supplice‹wurde da capo verlangt.Hector Berlioz nach derUraufführung an Humbert FerrandHarriet Smithson, Gemälde vonClaude-Marie Dubufe, 1830den Pionierzeiten der Symphonischen Dichtungen; man wird dermusikalischen Gestalt größere Aufmerksamkeit zukommen lassen.Der Form nach enthält Berlioz’ ›Fantastische‹ alles, was zur Gattungstraditionder klassisch-romantischen <strong>Symphonie</strong> gehört: einengewichtigen Hauptsatz, dessen Bedeutung durch eine vorangestellteEinleitung noch erhöht wird; ein Scherzo, das seine Herkunftaus der Sphäre des Tanzes deutlich zu erkennen gibt; einen langsamenSatz mit den obligatorischen gesanglichen Zügen und ein ausgedehntesFinale, dem ein Marsch in gemessenem Tempo wie eineverselbständigte Introduktion vorangeht. – Die Einleitung ist vonPausen durchsetzt, als sammle einer seine Gedanken, sie wirdvon raschen Gesten durchzogen, als solle der Flug der Fantasiecharakte risiert werden. Dann, nach harten, nachzitternden Schlägenbricht es endlich durch, das Thema, das zur Hauptsache desganzen Werkes werden soll; nicht laut und mächtig klingt es auf,sondern zart in der Ersten Violine und der Flöte, von den Streicherndezent begleitet. »Idée fixe« nannte es der Komponist; dem Künstler,dem imaginären Subjekt der <strong>Symphonie</strong>, erscheine es immerzusammen mit dem Bildnis einer Frau, »die in sich alle Reize desIdealwesens vereinigt, das er sich in seiner Vorstellung erträumthat«, erläutert er in seinem Programm. Als »fixe Idee« bezeichneteer es, weil er es in der ganzen <strong>Symphonie</strong> nicht mehr los wird. Dergesamte erste Satz dreht sich um dieses musikalische Traumgebilde;was sich sonst an konsistenten Themengestalten zeigt, dientnur seiner besseren Beleuchtung. Es taucht im zweiten Satz wiederauf, mitten in der Walzerszene, die an der Stelle des symphonischenScherzos steht, und es nimmt die Gangart und Atmosphäre seinerUmgebung an. Aus der Art, wie Berlioz es auftreten lässt, erahntman: Es wird erblickt wie eine Tänzerin beim Ball; wenn sie so gesehenwird, muss sie, die Frau hinter dem Thema, sich zumindest ander Seite, wenn nicht in den Armen eines anderen befinden.Berlioz ließ in das Programm der ›Fantastique‹ Autobiographischeseinfließen: seine Liebe zu der Schauspielerin Harriet Smithson, diemit einer britischen Shakespeare-Kompanie öfter in Paris gastierte.1827 sah er sie zum ersten Mal. Er bewundert sie, verehrte sie, »dieWirkung ihres dramatischen Genies auf meine Fantasie und meinHerz kann nur mit derjenigen verglichen werden, die der Dichterselbst auf mich ausübte«. Irgendwann wagte er es, ihr näherzutreten,schließlich heiratete er sie. Als er die ›<strong>Symphonie</strong> fantastique‹komponierte, befand er sich noch im ersten Stadium, in jener»vague des passions«, dem melancholischen Gewoge der Leidenschaften,mit dem der Dichter François-René de Chateaubrianddiesen exquisiten Seelenzustand bezeichnete.Den dritten, langsamen Satz überschrieb Berlioz als ›Szene auf demLande‹. Er nahm damit auf Beethovens Sechste <strong>Symphonie</strong>, die›Pastorale‹, Bezug. Seit Frühjahr 1828 dirigierte François-AntoineHabeneck die Pariser Konservatoriumskonzerte und gestaltete seineProgramme vorwiegend mit Werken von Beethoven; er machtesie in Paris erst richtig bekannt. Berlioz wühlten sie ähnlich auf wiedie Aufführungen der Shakespeare-Dramen. Seine Pastoral-Szenein der ›Fantastique‹ beginnt und endet mit einem Solo des Englischhorns.Am Anfang erhält es ein Echo der Oboe, am Ende wird esmit der Drohung eines Paukengewitters hinterlegt. Sein Melos unddie ferne Replik der Oboe erinnern an die »Kuhreigen«, die sichSchweizer Hirten von einem Berg zum andern zuspielten. Die Szenerie,die Berlioz beschwört, gemahnt an Lord Byrons ›Manfred‹-Drama. In den lyrischen Hauptteil mischt sich – wiederum verwandelt,aber erkennbar – die »Idée fixe« ein. Sie wirkt selbst dort, wosie in gegenseitiger Nachahmung und Antwort von den Holzbläserngespielt wird, nicht eben idyllefördernd. Vor ihrer Hartnäckigkeitversagen offenkundig auch die Heilkräfte der Natur, auf welche dieRomantiker sonst so gerne setzten.Mit der ›Szene auf dem Lande‹ endet laut Berlioz’ Programm derdrogenfreie Teil der ›<strong>Symphonie</strong> fantastique‹. Im vierten Satz erlebeder Künstler im Opiumrausch seinen eigenen Gang zum Richtplatz,wo er wegen Mordes an seiner Geliebten enthauptet werden solle.Durch die genaue Tempovorschrift verhindert Berlioz, dass sein eingängigesMarschthema in Fröhlichkeit umkippt. Dass er jedoch hartan deren Grenze manövriert, gehört ebenso zu den grotesken Elementendieses Satzes wie das Fragment der »Idée fixe« unmittelbarvor dem harten Schlag, zu dem wohl in des Künstlers Alptraum dasFallbeil der Guillotine seine Mission erfüllt hat.Das Finale der ›<strong>Symphonie</strong> fantastique‹ musste und sollte schockieren.Es mischt einen Hexentanz aus Reitermarsch, Sturmfigurenund Zerrbildern der »Idée fixe« mit der Melodie des ›Dies irae‹,dem Tonsymbol des Jüngsten Gerichts aus der lateinischen Totenmesse.Erst kommen sie nacheinander, dann gleichzeitig. Manchehielten die Mixtur aus liturgisch Erhabenem und quirligem bisjohlendem Teufelszeug für Blasphemie. Selbst Schumann äußerteBedenken. Die eigentliche Provokation aber bestand darin, dassBerlioz in seinem Finale den Triumph der Freiheit, der Versöhnungoder der Freude, wie man ihn von Beethoven kannte, durch denTriumph des Schreckens ersetzte und damit in der Musik etwasvorwegnahm, das wenig später durch Edgar Allan Poe und CharlesBaudelaire in der Literatur zur Geltung kam: den »Choque« als die»exemplarische Bewusstseinshaltung des modernen Künstlers«(Karl Heinz Bohrer) zu seiner Umwelt.Mit der »Idée fixe« hat Berlioz alserster die Technik des »Erinnerungsmotivs«aus der Oper in die Instrumentalmusikübertragen und damitfür die Programmmusik des 19. Jahrhundertsentscheidende Bahnen abgesteckt.– Element der Oper ist auchdas Evozieren bildhaft-szenischerWirkungen, beispielsweise durch dieGlocken im ›Dies irae‹ des Finales,die laut Anweisung hinter der Bühneaufzustellen sind.Wolfgang DömlingDieser junge Musiker, von seinemInstinkt auf neue Wege geleitet, hatzahlreiche Kampfgefährten unter derstets nach Neuheiten gierigenJugend.François-Joseph Fétisüber die Uraufführung›Trauer über den Verlust Lenores‹,Illustration von Gustave Doré zuEdgar Allan Poes ›Der Rabe‹, 1884


DSO intern12Der VerkannteTugan Sokhiev zu Sergei Tanejew und seiner KantateDSO: Maestro, Sergei Tanejew ist ein seltenerGast in unseren Programmen. 18 Jahre ist esher, seit zum letzten Mal ein Werk von ihm ineinem DSO-Konzert gespielt wurde. Damalsdirigierte Vladimir Ashkenazy die Ouvertüre zuder Oper ›Orestie‹. Braucht Tanejew russischeDirigenten?Tugan Sokhiev: Nein, so wenig wie Tschaikowsky,Rachmaninoff oder Prokofjew. Aber natürlichkennen russische Musiker seine Werkebesser, weil sie in Konzerten und im Studiumhäufiger mit ihnen in Berührung kommen.Außerhalb Russlands ist Tanejew leider kaumbekannt.DSO: Woran liegt das?TS: Bestimmt nicht an der Qualität seiner Musik.Vermutlich kommt Verschiedenes zusammen.Er drängte nicht, wie andere, auf die Aufführungseiner Werke auch im internationalen Musikleben.Er war ein zurückhaltender Mensch, seinenKompositionen gegenüber voller Zweifel. Fürihn musste ein Werk absolut perfekt sein; wenner sich dessen nicht sicher war, gab er es nichtan die Öffentlichkeit. So fehlte seinen Kompositionender erste kräftige Aufführungsschub, derfür die weitere Wirkung oft entscheidend ist.Außerdem gehörte er zur Übergangsgenerationzwischen den Romantikern wie Tschaikowskyund den prägenden Künstlern des frühen 20.Jahrhunderts wie Rachmaninoff und Skrjabin.Diese Generation hatte es auch in anderen Ländernschwer, denken Sie etwa an Edward Elgarin Großbritannien.DSO: Und wie verhielt er sich zu diesen bestimmendenGenerationen?TS: Er bildete die Brücke zwischen ihnen. Beiden einen studierte er, bei Tschaikowsky Komposition,bei Nikolai Rubinstein Klavier. Dieanderen – Skrjabin, Rachmaninoff, Ljapunow,Glière – unterrichtete er. Er wurde ja sehr jungals Lehrer an das Konservatorium in Moskauberufen.DSO: War er also in erster Linie ein pädagogischerMittler?TS: Vor allem ein musikalischer, besondersdurch seine Werke. Er verfügte über eine universaleBildung – in Sprachen, in Wissenschaftenund Künsten. Seine ganze geistige Erfahrungkonzentrierte er im Komponieren. Ehe er einWerk niederschrieb, fertigte er zahlreiche Vorstudienan wie ein klassischer Maler. Wie einWissenschaftler probierte er aus, welche Möglichkeitenin seinem musikalischen Material lagen.Dann setzte der kreative Prozess ein. Mitder Ausarbeitung begann er erst, wenn ihm derGesamtverlauf klar war. Komponieren verlangtefür ihn technische Präzision, blieb aber einehoch emotionale Angelegenheit. Beides gehörtefür ihn zusammen.DSO: Ist ›Johannes Damascenus‹ ein russischesWerk?TS: Die Kantate geht auf manches ein, was dierussische Künstlerszene damals bewegte. AlexeiTolstois Gedicht, aus dem Tanejew seine Versewählte, löste bei der Veröffentlichung starkeKontroversen aus; die Zensur wollte es wegenPassagen über Kunst und Macht verbieten. DerChoral, mit dem das <strong>Orchester</strong> beginnt und derChor schließt, zitiert das Kontakion aus dem orthodoxenTotenoffizium, einen der populärstenliturgischen Gesänge. Tschaikowsky lässt esspäter in seiner ›Pathétique‹ anklingen. In dieserHinsicht ist ›Ioann Damaskin‹ tatsächlich einrussisches Werk.Die Fragen stellte Habakuk Traber.BUNDESWEIT GUTES PROGRAMMMIT DEUTSCHLANDRADIO.Erleben Sie unsere Programme in neuer Qualität im Digitalradio.WWW.DIGITALRADIO.DE9021_Anzeige_Deutschland_132x195.indd 1 06.12.13 12:51


Die Künstler—––Die Künstler14 15Die KünstlerTugan Sokhievist seit September 2012 Chefdirigent und Künstlerischer Leiter desDeutschen <strong>Symphonie</strong>-<strong>Orchester</strong>s <strong>Berlin</strong>, seit 2008 hat er dieselbeFunktion beim Orchestre National du Capitole de Toulouse inne.Eine feste künstlerische Partnerschaft verbindet ihn außerdem mitdem Mariinski-Theater in St. Petersburg und dem PhilharmoniaOrchestra London. Als Gastdirigent für Konzert und Oper ist er vielgefragt. Seine Debüts bei den Wiener (2009) und <strong>Berlin</strong>er Philharmonikern(2010) führten unmittelbar zu Wiedereinladungen. In diesemJahr debütierte er mit großem Erfolg beim Chicago SymphonyOrchestra und beim Gewandhausorchester Leipzig. In jüngster Zeitdirigierte er u. a. die Philharmonischen <strong>Orchester</strong> in Montpellier,Moskau, München, Oslo, Rotterdam und Strasbourg, die Rundfunkorchesterin Frankfurt, Helsinki, Paris, Stockholm, Tokio, Turinund Wien sowie das Bayerische Staatsorchester und das KoninklijkConcertgebouworkest Amsterdam. Tugan Sokhiev wurde 1977 inWladikawkas geboren. Nach zwei Jahren Dirigierunterricht bei AnatoliBriskin begann er bei Ilja Musin in St. Petersburg zu studieren.Bereits während seiner Studienzeit leitete er Produktionen desMariinski-Theaters. Seitdem wurde er von renommierten Opernhäusernwie der New Yorker Met, der Wiener Staatsoper und derHouston Grand Opera verpflichtet.Das deutsche symphonie-orchester berlinhat in den 67 Jahren seines Bestehens das <strong>Berlin</strong>er Musikleben unddas weltweite Ansehen der Stadt in der Zeit ihrer Teilung und in derneuen Ära als Hauptstadt wesentlich geprägt. Gegründet wurde es1946 vom Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS). Obwohl Aufnahmenfür den Senderbedarf die Arbeit zunächst bestimmten, legtedas <strong>Orchester</strong> schon kurz nach seiner Gründung eigene Konzertserienauf. Dadurch bedeutete die Schwerpunkt-Verlagerung vomStudio- zum Konzertorchester, die alle Radioensembles betraf, keinenBruch in der Entwicklung. Bereits unter seinem ersten ChefdirigentenFerenc Fricsay erwarb sich das damalige RSO <strong>Berlin</strong> einenausgezeichneten Ruf durch seinen transparenten und flexiblenKlang, seine Stilsicherheit, sein Engagement für die Gegenwartsmusikund seine Offenheit für mediale Chancen. Diese besondere Kulturwurde von seinen Nachfolgern weitergeführt und bereichert. NachLorin Maazel, Riccardo Chailly, Vladimir Ashkenazy, Kent Nagano undIngo Metzmacher ist Tugan Sokhiev seit 2012 der siebte Chefdirigentund Künstlerische Leiter des <strong>Orchester</strong>s. Das DSO und der RIAS Kammerchorsind Ensembles der Rundfunk <strong>Orchester</strong> und Chöre GmbH.rias kammerchorDas künstlerische Profil des RIAS Kammerchores ist in seinem Facettenreichtumunverwechselbar. Unter den Berufschören ist der RIASKammerchor der Pionier in historischer Aufführungspraxis. Seitseiner Gründung 1948 als Chor des Rundfunks im amerikanischenSektor (RIAS) setzt er sich außerdem beispielhaft für die Musik derGegenwart und der Moderne ein. In diesem Spannungsfeld gewinnenauch die Werke des klassischen und romantischen Repertoires inden Interpretationen des Chores intensive Klangrede mit Tiefenschärfe.2013 erhielt das Ensemble die Nachtigall, den Ehrenpreisdes Preis der deutschen Schallplattenkritik e. V. und wurde 2010 vonder Zeitschrift Gramophone unter die zehn besten Chöre der Weltgewählt. Seit 2007 setzt Hans-Christoph Rademann Akzente in derEntwicklung des Chorklanges. Unter seiner Leitung hat der Chor inder Breite seiner stilistischen Ausdrucksmöglichkeiten hinzugewonnen.Dem RIAS Kammerchor verdanken zahlreiche Werke ihre UrundErstaufführung sowie ihre Verankerung im Repertoire. Die Einstudierungdieses Konzerts übernahm Michael Alber, Professor fürChorleitung an der Staatlichen Hochschule für Musik in Trossingenund bis 2012 Chordirektor an der Staatsoper Stuttgart.151601____TUGAN SOKHIEVAnastasia Kalagina SopranSasha Cooke MezzosopranRundfunkchor <strong>Berlin</strong>Mahler <strong>Symphonie</strong> Nr. 2›Auferstehungssymphonie‹Mi 15. & Do 16. Januar 201420 Uhr PhilharmonieEinführung Habakuk Traber 18.55 UhrKarten ab 20 €Foto David Beecroft


Das <strong>Orchester</strong>16—––<strong>Deutsches</strong> <strong>Symphonie</strong>-<strong>Orchester</strong> <strong>Berlin</strong>Chefdirigent undKünstlerischerLeiterTugan SokhievEhemaligeChefdirigentenFerenc Fricsay †Lorin MaazelRiccardo ChaillyVladimirAshkenazyKent NaganoIngo MetzmacherEhrendirigentenGünter Wand †Kent Nagano1. ViolinenBernhard Hartog1. KonzertmeisterWei Lu1. KonzertmeisterNNKonzertmeisterNNstellv. KonzertmeisterOlga PolonskyIngrid SchliephakeIsabel GrünkornIoana-Silvia MusatMika BambaDagmar SchwalkeIlja SeklerPauliina Quandt-MarttilaNari BrandnerNikolaus KneserMichael MückeElsa BrownKsenija Zečević2. ViolinenAndreas SchumannStimmführerEva-ChristinaSchönweißStimmführerinJohannes Watzelstellv. StimmführerClemens LinderRainer FournesMatthias RoitherStephan ObermannEero LagerstamTarla GrauJan van SchaikUta Fiedler-ReetzBertram HartlingKamila GlassMarija MückeBratschenIgor BudinsteinSoloAnnemarieMoorcroftSoloBirgit Mulch-Gahlstellv. SoloVerena WehlingLeo KlepperAndreas ReinckeLorna Marie HartlingHenry PieperAnna BortolinEve WickertTha s CoelhoVioloncelliMischa Meyer1. SoloNN1. SoloDávid AdorjánSoloAdele BitterAndreasLichtschlagMathias DondererThomas RößelerCatherine BlaiseClaudia BenkerLeslie Riva-RuppertSara MinemotoKontrabässePeter PühnSoloNNSoloChristine Felschstellv. SoloGregor SchaetzChristian SchmidtGerhardt Müller-GoldboomMatthias HendelUlrich SchneiderRolf JansenFlötenKorneliaBrandkampSoloGergely BodokySoloRaphael Weidlichstellv. SoloFrauke LeopoldFrauke RossPiccoloOboenThomas HeckerSoloViola WilmsenSoloMartin Kögelstellv. SoloIsabel MaertensMax WernerEnglischhornKlarinettenSelina LohmüllerSoloNNSoloRichardObermayerstellv. SoloBernhard NusserJoachim WelzBassklarinetteFagotteKaroline ZurlSoloJörg PetersenSoloDouglas Bullstellv. SoloHendrik SchüttMarkus KneiselKontrafagottHörnerBarnabas KubinaSoloPaolo MendesSoloOzan Cakarstellv. SoloD. Alan JonesGeorg PohleJoseph MironNNTrompetenJoachim PliquettSoloFalk MaertensSoloHeinzRadzischewskistellv. SoloRaphael MentzenMatthias KühnlePosaunenAndrás FejérSoloAndreas KleinSoloSusann ZieglerRainer VogtTomer MaschkowskiBassposauneTubaJohannes LippHarfeElsie BedleemSoloPaukenErich TrogSoloJens HilseSoloSchlagzeugRoman Lepper1. SchlagzeugerHenrik MagnusSchmidtstellv. 1. SchlagzeugerThomas LutzNOCHMALWEIL S SO SCHÖN WARDIE KONZERTBÜHNE IM INTERNETERLEBEN SIE TUGAN SOKHIEV MIT DEMDEUTSCHEN SYMPHONIE-ORCHESTER BERLINUND DEM RIAS KAMMERCHOR LIVE UND ALSABRUF AUF ARTELIVEWEB.COM


ONOONO SPASchenkenSie Sie einenDay Spa80 €du kommstzurück zu dirdu kommstzurück zu dirSchenkenSie einenDay Spa80 €SPASPALIVE Im RAdIO und Im WEBTHE MANDALA HOTEL | POTSDAMER PLATZ | BERLINFON 030 590 05 11 00 | WWW.ONOSPA.DEdeutschlandradio Kulturund ARTE LIVE WEB freuen sich, Ihnen dasdeutsche <strong>Symphonie</strong>-<strong>Orchester</strong> <strong>Berlin</strong>und den RIAS Kammerchor gemeinsam zupräsentieren.www.deutschlandradiokultur.dewww.arteliveweb.com

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!