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Ganzen Text lesen - Michael Josten

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Eine andere Ansicht zur MaibachfarmI.Früher nannte man sie Hühnerfarm. Als Kinder spazierten wir mit unseren Eltern oft dorthin.Nachmittags gab es Kuchen und Limonade, abends dann zwei Hühnereier und eine ScheibeSchwarzbrot mit Butter, die sogenannten Farmschnittchen. Im Sommer saß man draußenauf der Terrasse und schaute den im Ahrweiler Tal grasenden Kühen zu. Neben der Terrasseführte der von der Quarzkaul kommende Fahrweg an den Hühnerställen entlang zu denToiletten und einigen mehr schlecht als recht zusammengezimmerten Schuppen hinter demHaus. Dort verbrachten wir Kinder nach unserer Limo meistens die Zeit und spielten aufeinem kleinen in den Wald führenden Pfad. Die Bedienung rechnete die Kosten des Verzehrsohne Blöckchen und Kugelschreiber im Kopf zusammen und lief anschließend den Gästenmit dem Wechselgeld hinterher. Ausflüge zur Hühnerfarm fanden zu meinem Ärgerbevorzugt an Sonntagen statt, an denen der örtliche Fußballverein ein Auswärtsspiel hatte.Dann blieb nur unspektakuläres Freizeitvergnügen.So konnte das nicht bleiben. Die Eigentümer der Maibachfarm, wie das Anwesen eigentlichheißt, ein Geschwisterpaar ohne eigene Kinder, würden mit steigendem Alter nicht mehr dasStehenbleiben der Zeit sicherstellen. Jenseits allen romantisierenden Landlust-Hochglanzesbedeuten Ackerbau und Viehzucht eine Menge schwerer Arbeit. Es war daher zu erwarten,dass der Grundbesitz mitsamt Ausflugslokal dereinst den Eigentümer wechseln würde, wennsich denn ein solventer Interessent finden würde. Das ließ nicht lange auf sich warten.II.§35 des Baugesetzbuchs regelt das Bauen im Außenbereich. Nach dieser Bestimmung ist einBauvorhaben außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile nur dann zulässig, wennöffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist undbestimmte als Privilegierungen bezeichnete Ausnahmefälle vorliegen, zum Beispiel dasVorhaben einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient. Grundsätzlich soll das Bauenim Außenbereich aber unterbleiben. Einzelheiten sind in einem seitenlangen Paragraphengeregelt, der beide charakteristische Unarten moderner deutscher Gesetzestexte aufweist:Liebe zum Detail und Unlesbarkeit für die Bürger.Über einen Bauantrag und damit über die Frage, ob die Voraussetzungen für die Zulässigkeiteines Bauvorhabens im Außenbereich vorliegen, entscheidet die Baugenehmigungsbehörde,vorliegend also die Kreisverwaltung Ahrweiler. Sie hat dies gemäß § 36 des Baugesetzbuchsim Einvernehmen mit der Gemeinde zu tun.Die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler war deshalb von Anfang an in das Bauantragserfahreneinbezogen.


III.Zunächst gewann die ganze Umgebung. Geflickte Weidezäune, regelmäßig abgeernteteObstbäume, Fruchtwechselwirtschaft auf den Feldern und Schafherden zur Beweidung derWiesen. Ein Biolandhof war entstanden. Mit zugehörigem Laden für den Verkauf dererzeugten Produkte und einem ökologischen Weingut obendrein. Wo vorher nur ein paarHühner um das Haus herum liefen, schnatterte nun eine große Schar Gänse und zur Freudevieler Kinder i-a-ten einige Esel durchs Tal. Auch der alte Fahrweg zum Wohnhaus, der nurnoch aus Schlaglöchern bestanden hatte, wurde fachgerecht asphaltiert. Der neuenEigentümerin und dem eingesetzten Verwalter schien das alles aber nicht recht zu genügen.Und so schepperte bald eine endlose Kolonne von Baufahrzeugen durch den Wald.Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Auch bedarf nicht jedes Bauvorhabenim Außenbereich einer künstlerischen Baubegleitung. Doch das Ahrweiler Tal musste einigesüber sich ergehen lassen. Eine - zurückhaltend ausgedrückt - umfangreiche Bautätigkeitsetzte ein und ließ keinen Winkel des Maibachfarmgeländes unberührt. Südlich des altenWohnhauses, in dem sich auch das Ausflugslokal befunden hatte, entstand ein garantiertarchitekturfreies Ensemble von allerlei Neubauten, das weder mit einer bestandssicherndenModernisierung des alten Aussiedlerhofs zu tun hatte noch als behutsame Erweiterung desbestehenden Betriebs bezeichnet werden konnte. Die Großbaustelle mitten im Wald führtezu völlig Neuem. Mittelpunkt des neuerdings Weingut Maibachfarm genannten Betriebswurde von jetzt an ein voluminöses Kellereigebäude (mit einem künstlichem Wasserfall zurBarrique-Klimatisierung und anderen Späßen wie einer Sauna im Weinfass).Finanziert wurde das alles durch jede Menge Spielgeld, das die mutmaßlich steinreiche neueEigentümerin ihrem Verwalter zur Verfügung gestellt hatte, der sich damit in einen wahrenKauf- und Baurausch steigerte. Kein Weinberg, keine Obstwiese und kein brachliegendesFeld der benachbarten Flur „Auf Roderschen“ war zu verschattet, um nicht irgendwann demLandhunger der Maibachfarm zu erliegen und deren Grundbesitz weiter zu vergrößern.Was der lokale Boulevard längst vermutet hatte, kam schließlich ans Licht: Auch seine kurzzuvor stolz verkündete Aufnahme in den örtlichen Heimatverein rettete den seit Ende der1990er Jahre tätigen Verwalter der Maibachfarm nicht mehr vor der Aufdeckung diverserunredlicher Machenschaften. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen ihn. Der Prozessendete zwischenzeitlich durch sein umfassendes Geständnis. Dass er tatsächlich außerhalbseiner Vollmacht und zum Schaden seiner Auftraggeberin gehandelt hatte, steht hier nichtim Vordergrund. Manche beklagten zwar in erster Linie das spekulationsbedingte Ansteigender Grundstückspreise für Landwirtschaftsflächen. Aber jetzt, nachdem sich die Wogen desSkandals geglättet haben, sollte sich die öffentliche Aufmerksamkeit einer naheliegendenFrage zuwenden, die viel eher nach einer offenen Diskussion verlangt:Wie konnte man das alles nur genehmigen?


IV.Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich habe am Maibachklämmchen Staudämmegebaut und an der Leywoog heimlich die erste Zigarette geraucht. Ich bin die Quarzkaulhochgeklettert und wieder runtergerutscht. Das Ahrweiler Tal ist seit einem halbenJahrhundert ein wichtiger Ort meines Lebens, meiner Heimat. Man möge mir nachsehen,wenn ich zugebe, dass ein Spaziergang von der Quarzkaul bis zu dem riesigen Baum mit demMutter-Gottes-Bild, hinter dem endlich die freie Landschaft beginnt, bei mir nicht nurfassungsloses Kopfschütteln auslöst, sondern auch manche stille Träne in die Augen drückt.Der Gebäudekomplex des Weinguts Maibachfarm nimmt nicht weniger Raum in Anspruchals die Betriebsgebäude einer stattlichen regionalen Winzergenossenschaft. Nur mit demUnterschied, dass diese sich in aller Regel nicht mitten im Wald oder in einem wegen seinerLandschaft von vielen geliebten malerischen Seitental befinden. Der Betrachter fragt sich:Was soll das eigentlich an dieser Stelle? Das Ahrweiler Tal hat oberhalb der Maibachklammseit Menschengedenken nicht einen Weinstock gesehen. Wer ist bloß der Idee verfallen,ausgerechnet hier einen größeren Weinwirtschaftsbetrieb anzusiedeln? Jeder Versuch derLegitimierung eines derartigen Bauvorhabens durch die Rechtsfigur des Bestandsschutzeswäre vollkommen abwegig. Gab es keine kritische Stimme in den beteiligten Baubehörden?Wurde der Stadtrat als gewählte Vertretung der Bürger unserer Stadt mit der Beratung undEntscheidung über ein solches Ansinnen der neuen Eigentümerin der Maibachfarm befasst?Oder betrachtete man die Erteilung des städtischen Einvernehmens etwa als Geschäft derlaufenden Verwaltung, als ginge es nur um neue Stühle für das Rathaus?Viele Bürger befürchten um die gestalterische Eigenart, die unsere Stadt prägte und dieBewohnern und Gästen gleichermaßen besondere Identifikationspunkte vermittelte. Dabeigeht es nicht nur um die Fassaden markanter Gebäude, deren Verschwinden wegen desgleichförmigen Stils vieler aktueller Bauvorhaben schmerzlich bemerkt wird. Auch wennunsere Landschaft in Mitleidenschaft gezogen wird, verändert Bad Neuenahr-Ahrweiler seinErscheinungsbild nicht eben zum Vorteil.Wir sollten erkennen, dass es um die grundsätzliche Frage geht, wer darüber entscheidet,wie Veränderungsprozesse vor sich gehen sollen. Werden sie nur von Investoren gesteuertund mit den beteiligten Behörden hinter verschlossenen Türen bestenfalls besprochen?Oder werden in Zukunft die Bürger offener an Entscheidungen über die Gestaltung unsererGemeinschaft beteiligt - wie es unserer Demokratie gut zu Gesicht stehen würde?(März 2013)

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