Musikkulturen im VergleichWolfgang Mart<strong>in</strong> Stroh — <strong>Klezmermusik</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>ren Gewehren unter e<strong>in</strong>em tanzenden Tangopaar knien. Alle Personen des Bildes s<strong>in</strong>ddem Tode geweiht. Die Häftl<strong>in</strong>ge stehen oben und überleben trotz ihres Todes – dieWächter jedoch gehen unter trotz ihrer Gewehre (Abb. 3).Abb. 2: Rap-Version der »Tsen Brider«4) Musik im KZTabelle 3: Text zu »Yidish-Tango« (Tango-Version von »Schpil’sche mir a lidele«)shpil zhe mir a tangooys <strong>in</strong> yidish,zol dos zayn misnagdishtsi khasidish.di bobele aleynzol kenen dos farshteynun take a tensele geyn.shpil, shpil, klezmerl, shpil,vi a yidish harts hot gefil.shpil, shpil mir a tentsele,oy, shpil,shpil, ikh bet dikh,mit neshome, mikt gefil.shpil zhe mir a tangooys fun pleytim,fun dem folk tsezeytn untseshpreytn,az k<strong>in</strong>der, groys un kleyn,zoln kenen dos farshteynun take a tentsele geyn.shpil zhe mir a tango,nor nisht arish,zol dos zayn nisht arish,nisht barbarish,az di sonim zoln zen,az ikh nokh tantsn ken,un take a tentsele mit bren!shpil zhe mir a tango oysfun sholem.zol dos zayn a sholem,nisht keyn kholem,az Hitler mit zayn raykhzol di kapore vern glaykh –dos vet zayn a tentsele far aykh!yivo-Schreibweise (mit Abweichungen)aus der »Kemp<strong>in</strong>«-Version.E<strong>in</strong>e im kz gesungene Tango-Version von »Schpil’sche mir a lidele« (Tab. 3) zeigt,wie sich <strong>in</strong> Musik Lebenswille und Widerstand artikulieren können. Das Bild vomLamm, das sich zur Schlachtbank führen lässt, wird durch dies Lied revidiert. In sarkastischemTon wird der ursprüngliche Text umfunktioniert und politisiert. Der Gestus derMusik wird mit dem des Widerstandliedes »Eyns tswey drey« (nach Hanns Eisler »E<strong>in</strong>heitsfrontlied«)identisch. Die Idee dieser Musik wird wiederum von Schüler<strong>in</strong>nen undSchülern <strong>in</strong> Bildern dargestellt. So zeigt e<strong>in</strong> Standbild, wie die Häftl<strong>in</strong>ge, e<strong>in</strong> anderes,wie die kz-Wächter e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>schlägige Tango-Aufführung sehen und empf<strong>in</strong>den. Nach e<strong>in</strong>erlängeren Diskussion um e<strong>in</strong>e Darstellung, die möglichst viel von der Gesamtsituationdes Liedes zusammenfasst, wurde e<strong>in</strong> Bild entwickelt, <strong>in</strong> dem die Wächter mit ih-Abb. 3: Szenische Interpretation von »Yidish-Tango«VI. FazitIm Zentrum der szenischen Interpretation von <strong>Klezmermusik</strong> steht die »wirkliche Musik«,das heißt Musik im konkreten Lebenszusammenhang. Wir versuchen also <strong>in</strong> derSchule, die Lebensrealität zu rekonstruieren, nachzufühlen. Dabei entsteht Empathieim S<strong>in</strong>ne der erwähnten aktuellen Diskussion der politischen Bildung. Diese Empathieentsteht auf e<strong>in</strong>e sehr s<strong>in</strong>nliche und lustvolle Weise. Sie ist frei von moralischem Zeigef<strong>in</strong>ger.Und es gibt ke<strong>in</strong>e Vor-Interpretationen durch die Lehrer<strong>in</strong> und den Lehrer. Eswird nicht vorgegeben, wie die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler zu fühlen haben! Es werdenLernumgebungen geschaffen, <strong>in</strong> denen die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler Gefühle entwickelnkönnen. Es f<strong>in</strong>den auch – meist symbolisch <strong>in</strong> Haltungen – Diskussionen und Reflexionenvon Gefühlen statt. Es werden aber ke<strong>in</strong>e Gefühle als Lernziel vorgegeben.Dies sche<strong>in</strong>t mir der wichtigste und vielleicht auch der genu<strong>in</strong>e musikalische Beitragzu politischer Bildung zu se<strong>in</strong>. Insbesondere zur Holocaust-Pädagogik.Im Gegensatz zu vielen aktuellen Versuchen, das Fach Musik ganz generell, sozusagenvon der Musik an sich her, zu legitimieren, bezieht sich me<strong>in</strong>e Argumentation aufganz bestimmte musikalische Inhalte, auf ganz bestimmte didaktische Ansätze und methodischeVerfahren. Ich me<strong>in</strong>e, Musikunterricht leistet nicht generell e<strong>in</strong>en »unverzichtbarenBeitrag« zu politischer Bildung, sondern nur ganz bestimmter Musikunterricht.Das Beispiel e<strong>in</strong>es solchen Unterrichts ist die szenische Interpretation von <strong>Klezmermusik</strong>.272273