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Zeugen Jehovas als Häftlinge in Ravensbrück - Jwhistory.net

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Dezember 2002 ravensbrückblätter 7-8Schwerpunkt: Verfolgung der <strong>Zeugen</strong> <strong>Jehovas</strong><strong>Zeugen</strong> <strong>Jehovas</strong> <strong>als</strong> <strong>Häftl<strong>in</strong>ge</strong> <strong>in</strong> <strong>Ravensbrück</strong>„Den hunderten Bibelforscherfrauen / sei zu Ehre und Achtung gesagt …“„… daß ihre religiösen Lieder / am Sonntag-Nachmittag / allen <strong>Häftl<strong>in</strong>ge</strong>n im Lager Herz undHirn erbauten.“ Maria Günzls Gedicht ehrt die Mithäftl<strong>in</strong>ge mit dem „lila W<strong>in</strong>kel“. 1 Zu der Häftl<strong>in</strong>gsgruppe,die lange zu den „vergessenen“ NS-Opfern zählte, gehört Gertrud Pötz<strong>in</strong>ger. Wieviele Frauen war sie im religiösen Untergrundwerk der <strong>Zeugen</strong> <strong>Jehovas</strong> (ZJ) oder Bibelforscheraktiv (die Glaubensgeme<strong>in</strong>schaft ließ sich nicht zum Führerkult und Nation<strong>als</strong>ozialismus pressen)und kam nach Verhaftung, Verurteilung und dreie<strong>in</strong>halb Jahren E<strong>in</strong>zelhaft <strong>in</strong> Breslau (1938–1941)<strong>in</strong> das Frauen-KZ. Die „<strong>Ravensbrück</strong>er<strong>in</strong>nen“-Ausstellung <strong>in</strong> der Mahn- und Gedenkstätte <strong>Ravensbrück</strong>thematisiert auch ihre Leidensgeschichte. 2 Soweit namentlich erfasst, waren rund 1.100Bibelforscher aus mehreren Ländern im KZ <strong>Ravensbrück</strong> (über 830 Frauen und 260 Männer), vondenen 144 dort oder anderswo das Leben verloren. 3Zwei Zeug<strong>in</strong>nen <strong>Jehovas</strong> aus dem Untergrundwerk, die später <strong>in</strong><strong>Ravensbrück</strong><strong>in</strong>haftierrt waren: Charlotte Müller und Ilse Unterdörfer. Foto: privatDie Frauen, von der SS <strong>als</strong> „Bibelwürmer“ verhöhnt,gehörten zu den ersten <strong>Häftl<strong>in</strong>ge</strong>n, dieman im Mai 1939 von der Lichtenburg nach<strong>Ravensbrück</strong> transportierte – unter den <strong>in</strong>sgesamt974 Gefangenen waren 388 Bibelforscher<strong>in</strong>nen.4 Bereits <strong>in</strong> den KZ Mor<strong>in</strong>gen und Lichtenburghatten die ZJ-Frauen über 40 % desHäftl<strong>in</strong>gsbestandes gestellt, zeitweise sogar98 %! 5 Der Anteil der ZJ-Männer an den jeweiligenKZ-Belegstärken betrug <strong>in</strong> der Vorkriegszeitzwischen 5 und 10 %; sie wurden isoliertgehalten, mit Sonntagsarbeit und Schreibverbotbelegt sowie <strong>in</strong> der Strafkompanie „bis an denRand der Vernichtung“ (e<strong>in</strong> Betroffener) gepe<strong>in</strong>igt.6 Männer wie Frauen der <strong>als</strong> unbeugsamgeltenden ZJ waren „besonderes Hassobjekt derSS“, die „mit unvorstellbarer Grausamkeit“(Garbe) gegen sie wütete, was nach Kriegsbeg<strong>in</strong>neskalierte. 7 Erna Ludolph schildert, wieder Kommandant am 19. Dezember 1939 dieBibelforscher<strong>in</strong>nen aufforderte, für die SoldatenMunitionstaschen zu nähen, und weil sie sichweigerten, sie daraufh<strong>in</strong> wochenlang mit Stehappellen,Dunkel- und Hungerarrest <strong>in</strong> überfüllten,eiskalten Zellen bestraft wurden. 8 Danachmußten die Frauen, verspottet von den anderen<strong>Häftl<strong>in</strong>ge</strong>n, <strong>als</strong> „Strafblock“ Schwerstarbeit imSchnee verrichten, woran Rosa Möll er<strong>in</strong>nert:„Als die Stiefk<strong>in</strong>der des Lagers / völlig erschöpftund abgemagert / s<strong>in</strong>d wir ‚Friedhofskolonne‘genannt. / So schauten wir aus – skelettverwandt.“9 Mit dem Abschwören ihresGlaubens hätte e<strong>in</strong> ZJ se<strong>in</strong>e Freilassung bewirkenkönnen; nur wenige unterschrieben. DasLager ließ sogar Briefpapier mit dem Aufdruck„Die Schutzhaftgefangene ist nach wie vorhartnäckige Bibelforscher<strong>in</strong> ...“ bedrucken. DieTaktik der SS, sie <strong>als</strong> „Besichtigungsblock“besonderer Schikanen und Geme<strong>in</strong>heiten auszusetzen,g<strong>in</strong>g nicht auf – die Frauen bliebensolidarisch. Doch die Wahrnehmung der Bibelforscher<strong>in</strong>nendurch Angehörige anderer Häftl<strong>in</strong>gsgruppenwar ambivalent, schwankte zwischenRespekt/Bewunderung und Unverständnis– sogar Ablehnung, was ideologisch bed<strong>in</strong>gtse<strong>in</strong> konnte, wie die Beschreibung der Blockältestenund Atheist<strong>in</strong> Margarete Buber-Neumannzeigt. 10 Die Lage der ZJ „verbesserte“ sich graduellerst ab 1942/43, <strong>als</strong> man begann,die Arbeitskraft der <strong>Häftl<strong>in</strong>ge</strong>effizienter auszubeuten. Hohe NS-Funktionäre unterwarfen die ZJ, denenFlucht und Sabotage fremd waren,der Zwangsarbeit <strong>in</strong> SS-Haushalten, Lebensbornheimen,Handwerkskommandos oder Landgütern,wobei sie deren Fleiß, Ehrlichkeitund handwerkliches Geschickmit <strong>in</strong>s Kalkül zogen. 11 (Sie blieben<strong>als</strong> <strong>Häftl<strong>in</strong>ge</strong> erniedrigt, rechtlos, derWillkür des Wachperson<strong>als</strong> ausgeliefert,unzureichend verpflegt usw.) ImLager organisierten die Frauen Bibelstundenund tauschten Briefe mit demKZ Sachsenhausen aus, woraufHimmler am 4. Mai 1944 e<strong>in</strong>e Durchsuchungbefahl und die „Rädelsführer<strong>in</strong>nen“bestrafen ließ. 12


Dezember 2002 ravensbrückblätter 7-8Nach der „Evakuierung“ des Lagers im April1945 hielt die <strong>in</strong>ternationale Gruppe der ZJ gutzusammen und half sich gegenseitig zu überleben.13 Im Nachkriegsdeutschland förderten sieden Wiederaufbau der Geme<strong>in</strong>den, gehörten <strong>in</strong>der DDR aber bald wieder zu den Verfolgten,wobei viele <strong>in</strong> ihrem körperlich geschwächtenZustand die unmenschlichen Zuchthausstrafennicht überlebten. 14 Es ist zu wünschen, dass dieEr<strong>in</strong>nerung an die <strong>Ravensbrück</strong>er <strong>Häftl<strong>in</strong>ge</strong> mitdem „lila W<strong>in</strong>kel“ auch künftig <strong>in</strong> Ausstellungenund Publikationen wach gehalten wird. DieGedenkstätte <strong>Ravensbrück</strong> wäre bereit, e<strong>in</strong>eSonderausstellung zu beherbergen – an e<strong>in</strong>emAusstellungskonzept wird noch gearbeitet. 15Johannes Wrobel(<strong>Jehovas</strong> <strong>Zeugen</strong>, Geschichtsarchiv, 65617 Selters/Taunus)1 Maria Günzl, Trost im Leid, Stuttgart 1976, S. 19.2 Brümann-Güdther, Elisabeth/Jacobeit, Sigrid (Hg.), <strong>Ravensbrück</strong>er<strong>in</strong>nen. Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten,Bd. 4, Brandenburg 1995, S. 60-63.3 Wenn nicht anders angegeben, liegen den Aussagen Informationen aus dem Geschichtsarchiv der <strong>Zeugen</strong> <strong>Jehovas</strong>, Selters/Taunuszugrunde.4 Philipp, Grit: Kalendarium der Ereignisse im FKL <strong>Ravensbrück</strong> 1939-1945. Berl<strong>in</strong> 1999, S. 27.5 Harder, Jürgen u. Hesse, Hans (Hg.): „Und wenn ich lebenslang <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em KZ bleiben müßte.“ Die Zeug<strong>in</strong>nen <strong>Jehovas</strong> <strong>in</strong> denFrauenkonzentrationslagern Mor<strong>in</strong>gen, Lichtenburg und <strong>Ravensbrück</strong>, Essen 2001, S. 12.6 Garbe, Detlef: Zwischen Widerstand und Martyrium. Die <strong>Zeugen</strong> <strong>Jehovas</strong> im „Dritten Reich“, München 1999, S. 403.7 Garbe 1999 (Anm. 6), S. 407, 412ff.8 Videodokumentation „Standhaft trotz Verfolgung – <strong>Jehovas</strong> <strong>Zeugen</strong> unter dem NS-Regime“, Wachtturm-Gesellschaft, 65617Selters, 78 M<strong>in</strong>. (Unterrichtsversion 28 M<strong>in</strong>.), 1996 (kostenfrei).9 Harder/Hesse 2001 (Anm. 5), S. 239.10 Harder/Hesse 2001 (Anm. 5), S. 110, 138-140. Buber-Neumann, Margarete: Als Blockälteste bei den Bibelforschern / E<strong>in</strong>Reich der Ordnung / Besichtigung / Moderne Märtyrer, <strong>in</strong>: dies.: Als Gefangene bei Stal<strong>in</strong> und Hitler – E<strong>in</strong>e Welt im Dunkel,Berl<strong>in</strong> 1997, S. 245-267. Vgl. Yonan, Gabriele: <strong>Jehovas</strong> <strong>Zeugen</strong> – Opfer unter zwei deutschen Diktaturen 1933-1945, 1949-1989,Berl<strong>in</strong> 1999, S. 51ff.: „Sie hatte <strong>als</strong> Atheist<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e besonderen Sympathien für die Bibelforscher und ihre religiösen Motive. Anmanchen Stellen spürt man die Absicht, sie lächerlich zu machen, gleichzeitig die Unfähigkeit, Parallelen zur eigenen ehemaligenkommunistischen Weltanschauung zu ziehen. Gerade deshalb wirkt die Darstellung realistisch und authentisch.“11 Vgl. Garbe 1999 (Anm. 6), S. 451ff. Harder/Hesse 2001 (Anm. 5), S. 184f.12 Jahrbuch der <strong>Zeugen</strong> <strong>Jehovas</strong> 1974, Wiesbaden 1974, S. 204.13 Elfriede Löhr, Überlebende des KZ <strong>Ravensbrück</strong>, schildert die gegenseitige Hilfe <strong>in</strong> der „Standhaft“-Videodokumentation(Anm. 8).14 Dirksen, Hans-Hermann: „Ke<strong>in</strong>e Gnade den Fe<strong>in</strong>den unserer Republik“ – Die Verfolgung der <strong>Zeugen</strong> <strong>Jehovas</strong> <strong>in</strong> der SBZ /DDR 1945–1990, Berl<strong>in</strong> 2001.15 Gespräch des Verfassers mit Frau Dr. Jacobeit am 16. Januar 2002 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>.Meist vergeblich zur Unterschrift vorgelegt: Verpflichtungserklärung für <strong>Zeugen</strong> <strong>Jehovas</strong>Dokument: Geschichtsarchiv der <strong>Zeugen</strong> <strong>Jehovas</strong>

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