13.07.2015 Aufrufe

NeuLand – Ein Garten in Bewegung Betül Durmaz Die ... - a tempo

NeuLand – Ein Garten in Bewegung Betül Durmaz Die ... - a tempo

NeuLand – Ein Garten in Bewegung Betül Durmaz Die ... - a tempo

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

06 | 07 im gespräch09 | 2013<strong>Die</strong> soziale Herkunftist entscheidend<strong>Betül</strong> <strong>Durmaz</strong> im Gespräch mit Ralf Lilienthal | Fotos: Wolfgang Schmidt<strong>E<strong>in</strong></strong> Zeitungsartikel brachte den Ste<strong>in</strong> <strong>in</strong>s Rollen. Nach e<strong>in</strong>em Jahrzehnt engagierter, aber unsichtbarer Sonderschulpädagogik <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gelsenkirchener Brennpunktschulewurde aus der selbstbewussten Frau mit türkischer Migrationsgeschichte e<strong>in</strong>e Buchautor<strong>in</strong> («Döner, Machos und Migranten»), e<strong>in</strong>e Sozialpreiskandidat<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> Talkshowgast<strong>–</strong> kurz gesagt: e<strong>in</strong>e öffentliche Person. Nimmt man die Film- und Fernsehkarriere ihres Bruders Erkan <strong>Durmaz</strong> dazu, wird das Interview mit <strong>Betül</strong> («die nicht stehenbleibt») <strong>Durmaz</strong> nicht zuletzt auch zu e<strong>in</strong>em anerkennend-erstaunten Blick auf e<strong>in</strong> türkisches Gastarbeiter-Ehepaar, das <strong>in</strong> Deutschland vor allem e<strong>in</strong>es wollte:nach se<strong>in</strong>er Fasson glücklich werden. www.betuldurmaz.deRalf Lilienthal | Ke<strong>in</strong> Migrantenk<strong>in</strong>d ohne Migranten-Eltern <strong>–</strong> derProlog zu Ihrer eigenen Biographie spielt sicherlich <strong>in</strong> Istanbul, woIhre Eltern den Entschluss fassten, nach Deutschland zu gehen. Washat das Ehepaar <strong>Durmaz</strong> bewogen, se<strong>in</strong>e Heimat zu verlassen?<strong>Betül</strong> <strong>Durmaz</strong> | Ke<strong>in</strong>e wirtschaftlichen Gründe! Me<strong>in</strong>e Elterngehörten der Istanbuler Mittelschicht an. Sie lebten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er 90 m²-Eigentumswohnung. Me<strong>in</strong> Vater besaß e<strong>in</strong>en Kiosk und war ane<strong>in</strong>er Autowerkstatt beteiligt. <strong>Die</strong> Aussichten auf e<strong>in</strong> auskömmlichesLeben waren gut. <strong>Die</strong> Aussichten auf e<strong>in</strong> selbstbestimmtes Lebennicht. Vor allem me<strong>in</strong>e Mutter hatte sich durch ihre Heirat e<strong>in</strong>eBefreiung aus der Unterdrückung durch ihre Familie erhofft.Stattdessen kam sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Haushalt, der durch die ältereSchwester ihres Mannes dom<strong>in</strong>iert wurde. Daher erschienDeutschland, das me<strong>in</strong> Vater bereits als Gastarbeiter kennengelernthatte, beiden als realistischer Zufluchtsort aus der Enge der sozialenKontrolle.hat me<strong>in</strong> Vater dann geantwortet. Natürlich war das nicht religiösbed<strong>in</strong>gt, sondern kulturell, folkloristisch. Me<strong>in</strong> Vater ist e<strong>in</strong> überzeugterMoslem und gleichzeitig der toleranteste Türke, den ich kenne!RL | Was nicht nur e<strong>in</strong> Licht auf ihren Vater wirft, sondern auch aufdie verschlungenen Wege der Integration. <strong>E<strong>in</strong></strong> türkischer Gast -arbeiter mit Weihnachtsbaum und Vere<strong>in</strong>sbuch gilt offensichtlichnicht <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie als Gastarbeiter oder Türke, sondern alsKumpel!?BD | «Amigo» <strong>–</strong> das war der Vere<strong>in</strong>s-Spitzname me<strong>in</strong>es Vaters! Ja, wirwaren tatsächlich voll <strong>in</strong>tegriert. Aber es war e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>seitigeIntegration, denn für unsere Kultur haben sich die anderen ke<strong>in</strong>bisschen <strong>in</strong>teressiert. Me<strong>in</strong>e Eltern dagegen haben alles dafür getan,um <strong>in</strong> Deutschland zu Hause zu se<strong>in</strong>. Sie sprachen gut deutsch,haben uns e<strong>in</strong>e gute Schulbildung ermöglicht und unsere deutschenFreunde jederzeit gastfreundlich aufgenommen.RL | Als Sie <strong>–</strong> nach Zwischenstationen <strong>in</strong> Österreich und Süd -deutschland <strong>–</strong> im Ruhrgebiet ankamen, wartete neben der erhofftenFreiheit vor allem schwere Fabrikarbeit auf ihre tatkräftigenEltern. Welche Lebensbed<strong>in</strong>gungen hat die Familie damals vorgefunden<strong>–</strong> aus der Sicht des kle<strong>in</strong>en Mädchens <strong>Betül</strong>?BD | Wir lebten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>fachen, überwiegend von Deutschenbewohnten Viertel und waren dort Exoten. Aber weil vor allemme<strong>in</strong> Vater als begeisterter Fußballfan sich mit großem Eifer <strong>in</strong> dietypisch deutsche Vere<strong>in</strong>smeierei stürzte, waren auch wir K<strong>in</strong>der vonAnfang an ganz natürlich <strong>in</strong>tegriert. Freizeiten, Nikolaus- und Weih -nachtsfeiern <strong>–</strong> wir haben das geliebt. Unsere Eltern auch. «Was?»,haben unsere türkischen Freunde gefragt, «warum habt ihre<strong>in</strong>en Tannenbaum?» <strong>–</strong> «Weil der schön ist, e<strong>in</strong>fach schön!»,RL | Also e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dheit mit viel Licht und wenig Schatten?BD | Ich habe mich oft sehr e<strong>in</strong>sam gefühlt, weil me<strong>in</strong>e Elternwahns<strong>in</strong>nig viel gearbeitet haben. Me<strong>in</strong>e Mutter hatte zwei Jobs.Erst e<strong>in</strong> Achtstundentag <strong>in</strong> der Fabrik, danach e<strong>in</strong>e Putzstelle. Me<strong>in</strong>Vater arbeitete im Wechselschicht-Rhythmus. Und trotzdem habensich beide, wann immer es g<strong>in</strong>g, Zeit für uns genommen <strong>–</strong> es g<strong>in</strong>geben nur nicht so oft! Auch der chronische Geldmangel hat michtotal angenervt. Me<strong>in</strong>e Schulfreund<strong>in</strong>nen auf dem Gymnasiumhatten Klavier- oder Ballettunterricht, ich bekam e<strong>in</strong>e Plastik -blockflöte. Und wenn ich <strong>in</strong> der Schule e<strong>in</strong>mal nicht weiterwusste,brauchte ich me<strong>in</strong>e Eltern gar nicht erst fragen, ob sie mir helfenkönnten. Nachhilfe war nicht bezahlbar und Bücher, mit denenman arbeiten konnte, hatten wir auch nicht.▲

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!