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Ein Leitfaden für Selbsthilfegruppen Download - Wildwasser

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<strong>Ein</strong> <strong>Leitfaden</strong> <strong>für</strong> <strong>Selbsthilfegruppen</strong>von der <strong>Wildwasser</strong> Selbsthilfe und Beratung BerlinMit diesem <strong>Leitfaden</strong> möchten wir unsere 30 jährige Erfahrung in der Selbsthilfearbeit zu sexueller Gewalt in derKindheit teilen. Er soll eine Unterstützung sein, um sich im Rahmen von Selbsthilfearbeit, insbesondere in einerSelbsthilfegruppe, mit erlebter sexueller Gewalt und deren Folgen auseinanderzusetzen.Zentral <strong>für</strong> die Entstehung dieser Art von Selbsthilfearbeit sind grundlegende gesellschaftspolitische Haltungen. Wirstellen sie in diesem <strong>Leitfaden</strong> kurz vor, auch weil darüber der Rahmen der Arbeit in den <strong>Selbsthilfegruppen</strong> definiertwird.Die Darstellung von Arbeitsmethoden und Hinweisen zum Umgang mit Gruppendynamiken soll die Arbeit von Gruppenkonkret unterstützen. Allen, die <strong>für</strong> sich noch in der Entscheidungsfindung sind, möge das eine deutlichere Vorstellungvon der Arbeit vermitteln.Unser <strong>Leitfaden</strong> richtet sich auch an Menschen, die an Orten leben, in denen es bisher keine Strukturen gibt, über diesich Gruppen gründen. Wir hoffen, hiermit Anstöße zu geben.Im Jahr 1982 gründeten Frauen in Berlin die erste Selbsthilfegruppe zum Thema sexueller Gewalterfahrung in derKindheit. Sehr schnell wurde klar, dass es einen sehr großen Bedarf gab, aus dem heraus immer mehr Gruppenentstanden. Gemeinsam mit einer Gruppe von Frauen, die im beruflichen Kontext mit sexuellem Missbrauchkonfrontiert waren (Sozialarbeiterinnen, Erzieherinnen), wurde 1983 der Verein <strong>Wildwasser</strong> gegründet.Dass die Gründung genau in dieser Zeit stattfand ist kein Zufall.Die 70er und 80er Jahre waren in vielen Teilen der Welt geprägt von verschiedenen emanzipatorischen Bewegungen,wie der Anti-Psychiatriebewegung, der Selbsthilfebewegung und vor allem der Frauenbewegung. Diese Frauen, die <strong>für</strong>ihre Rechte und <strong>für</strong> Gleichberechtigung kämpften, begannen auch öffentlich über häusliche Gewalt und sexuelle Gewaltgegen Frauen und Mädchen zu sprechen. Es gab keinerlei adäquate Unterstützungsangebote zur Auseinandersetzungmit der erlebten Gewalt und deren Folgen und auch nur ein geringes kritisches gesellschaftspolitisches Bewusstsein zudiesem Thema. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee, sich mit anderen Betroffenen zusammenzuschließen, um dieeigenen Anliegen zu formulieren und Unterstützungsmodelle und Angebote auf der Basis eines emanzipatorischenSelbstverständnisses zu entwickeln.Der betroffenen-kontrollierte Ansatz, wie wir unsere Arbeitsweise bezeichnen, verbindet das Wissen und dieErfahrungen Betroffener mit dem Kampf um selbstbestimmte Räume und öffentlichen Bewusstseinswandel.Von zentraler Wichtigkeit ist die Schaffung eines Rahmens, in welchem Betroffenen zu keiner Zeit die Verantwortung <strong>für</strong>ihr Handeln abgesprochen wird und in welchem sie eingeladen sind, ihre eigene Sprache zu entwickeln und ihreAuseinandersetzung mit der erlebten Gewalt in einem breiteren Kontext zu verorten.Wir verstehen unsere Arbeit keineswegs als Teil oder Ergänzung des sogenannten „psychosozialen Hilfesystems“,sondern positionieren uns bewusst außerhalb von diesem.Die Stärke eines solidarischen und parteilichen Ansatzes sehen wir nicht zuletzt darin, dass er nichts Weiteresvoraussetzt - außer der Überzeugung, dass Veränderungen möglich sind.Wir hoffen, mit diesem <strong>Leitfaden</strong> die Idee der Selbsthilfearbeit gegen sexuelle Gewalt weiterzutragen und Mut zumachen, sich auf diesen Weg zu begeben.Impressum und Copyright:<strong>Wildwasser</strong>Selbsthilfe & BeratungFriesenstr. 610965 BerlinTel.: 030 / 693 91 92selbsthilfe@wildwasser-berlin.de1 von 8


Inhaltsverzeichnis:1. Grundlegende Haltungen2. Warum Selbsthilfe?3. Wie entsteht eine Selbsthilfe - Gruppe?4. Das Gruppengründungstreffen5. <strong>Ein</strong> Vorschlag zum Ablauf eines Gruppentreffens6. In der Gruppe zusammenarbeiten / Umgang miteinander7. Schwierigkeiten und Probleme / Übergriffe in Gruppen8. Themenvorschläge9. Wenn die Gruppe ihre Arbeit beendet10. Nachsatz1. Grundlegende HaltungenAusgehend davon, dass (sexuelle) Gewalt ihre Ursachen in menschlichen Lebensbedingungen und gesellschaftlichenZusammenhängen hat, die auf macht- und gewaltvollen Strukturen basieren, kann die Erfahrung von sexueller Gewalt inder Kindheit niemals ausschließlich ein individuelles Problem sein. Um sexueller Gewalt gegen Kinder (und Erwachsene)angemessen begegnen zu können, ist es wichtig diese als gesamtgesellschaftliches Problem zu begreifen, welches durchdie herrschenden Strukturen erst ermöglicht wird.Sexuelle Gewalt gegen Kinder findet vor allem vor dem Hintergrund des Machtgefälles zwischen Männern und Frauenund zwischen Erwachsenen und Kindern statt. Der Umgang mit der Gewalterfahrung wird im weiteren Leben oftmalsdurch andere Machtverhältnisse und Lebensumstände erschwert, denen wir unterworfen sind. So unterliegen wir demgesellschaftlichen Zwang uns als Frau oder als Mann zu definieren, und das jeweils in sehr engen Rollenbildern. Wirgehen davon aus, dass diese Vorgaben <strong>für</strong> alle Menschen hinderlich sind, <strong>für</strong> Betroffene von sexueller Gewalt könnensie jedoch die Auseinandersetzung mit ihren Erfahrungen erheblich verkomplizieren.Sexuelle Gewalt wird zumeist durch Täter und Täterinnen aus der Familie oder dem nahen sozialen Umfeld ausgeübt.Um hier entgegen wirken zu können, müssten grundlegende hierarchische Strukturen zum Beispiel in den Familien, inSchulen und in Sportvereinen in Frage gestellt werden. Doch gerade diese tabuisieren sexuelle Gewalt gegen Kinderweiterhin.Auch wird sexuelle Gewalt allgemein beispielsweise im juristischen System einem Raster entsprechend sortiert, welchesoftmals mit dem individuellen Erleben der Betroffenen nur wenig zu tun hat. So können Taten strafrechtlich als wenigoder gar nicht relevant definiert werden, gleichzeitig aber <strong>für</strong> die Opfer der Taten tiefgreifende Konsequenzen haben.Wenn von den Folgen der Gewalt gesprochen wird geraten häufig nur irgendwelche Symptome in den Blick. DieEntwicklung neuer Ideen zur Bearbeitung der erlebten Gewalt ist wichtig, die Tendenz diese in therapeutischen undpsychiatrischen Angeboten zu verorten, jedoch sehr problematisch und oftmals folgenreich.So mögen traumatologische Konzepte <strong>für</strong> viele gewaltbetroffenen Menschen zur Anerkennung ihres Leids vorerstbedeutsam sein - wenn daraus jedoch die <strong>Ein</strong>sortierung in ein diagnostisches System <strong>für</strong> (psychische) Krankheitenerfolgt, ist es zumeist schwierig sich selbst wiederzufinden, seine Autonomie zurückzuerlangen u.v.m.Gewalt macht eben nicht krank im medizinischen Sinne, und lässt sich nicht einfach mit einer, wie auch immerdefinierten, Medizin therapieren. Sie ist nicht aus ihrem gesellschaftlichen Kontext zu lösen.Zusammen mit den Zerrbildern von gewaltbetroffenen Menschen in Filmen, Büchern und Zeitungsartikeln lässt all dasviele Betroffene zögern, sich Unterstützung zu suchen und über das Erlebte zu sprechen.Wir begreifen Gewalt als eine auf Machtstrukturen basierende Handlung, die einen Menschen auf ein Objekt reduziert.Sexuelle Gewalt bedeutet <strong>für</strong> die Betroffenen oft eine totale Reduzierung auf einen Objektstatus. Sie machen dieErfahrung, dass ihre Selbstbestimmung, ihre Wünsche und Grenzen nichts zählen beziehungsweise komplettübergangen, negiert werden. Da ein Mensch zu sein sich aber unter anderem dadurch definiert, Wünsche, Intentionen,Ziele etc. zu haben, kommt dies einem Negieren des Menschseins gleich.Die unmittelbaren Gefühle beim Widerfahren sexueller Gewalt beschreiben die meisten als „Angst, Ohnmacht,Hilflosigkeit, nichts wert sein…“ Unmittelbar danach sprechen viele von einem „ausgesondert worden sein“, „fremdsein gegenüber anderen Menschen“.Für uns folgt daraus, dass von Anfang an die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit und die Vermeidung von neuenSituationen des Ausgeliefertseins im Mittelpunkt stehen.2 von 8


Gewalt als Gewalt zu bezeichnen, die eigene Erfahrung als Gewalterfahrung zu definieren, ist der Beginn derWiederaneignung des Subjektstatus. Gewalt ist kein persönliches Stigma, sondern erlebtes Unrecht.2. Warum Selbsthilfe?Nach unseren eigenen Erfahrungen kann eine Selbsthilfegruppe ein guter Rahmen sein, in dem eine eigene Sprache undeigene Definitionen über das Erlebte entwickelt werden können. Durch mein eigenes Sprechen über sexuelle Gewaltund über die Folgen, die diese <strong>für</strong> mein aktuelles Leben hat, beginne ich mir mein Leben wieder anzueignen. Ich sprecheselbst, es wird nicht über mich gesprochen. Dies bedeutet auch, meine eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Interessenwahr zu nehmen, selbstverantwortlich mit ihnen umzugehen und zu erfahren, dass diese von anderen anerkanntwerden. Für die Gruppenarbeit bedeutet dies auch die Anerkennung der Bedürfnisse der anderen. Anerkennung ist eingegenseitiger Prozess, in dem unterschiedliche Interessen offen verhandelt werden müssen.Über den Kontakt und den Austausch kann die Isolation, die Vereinzelung als Folge der Gewalt überwunden werden.Von anderen zu hören, ihr Erleben und die von ihnen entwickelten Strategien und Auswege kennenzulernen, kann <strong>für</strong>die eigene Reflexion hilfreich und unterstützend sein.Um die Auswirkungen sexueller Gewalt besser zu verstehen, ist es wichtig, im Kopf zu behalten, dass nicht alleMenschen auf vergleichbare Situationen gleich reagieren. Wir sind alle mit unterschiedlichen Lebensbedingungenkonfrontiert, nehmen diese auf dem Hintergrund unserer bisherigen Lebenserfahrung wahr, haben <strong>Ein</strong>schätzungen überHandlungsmöglichkeiten, haben unterschiedliche Ziele und Bedürfnisse. Genau auch mit dieser Unterschiedlichkeiteinen guten Umgang zu finden, über verschiedene Bedürfnisse zu sprechen und sie zu respektieren, um dann einen <strong>für</strong>alle stimmigen Weg zu finden, ist ein zentrales Lernfeld der Selbsthilfearbeit.<strong>Ein</strong>e Gruppe ist auch ein Rahmen, indem die Teilnehmenden ganz konkret erleben können, über welche Fähigkeiten,Potentiale und Ressourcen sie selbst und die anderen verfügen. Denn wir alle verfügen über erheblich mehrLebenserfahrungen als die erlebte Gewalt. Und wir alle verfügen im Prinzip über alle Fähigkeiten zu Veränderung - hinzu einem möglichst selbstbestimmten Leben.Unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen können diese allerdings in unterschiedlicher Weise eingeschränktsein. Und so gehört <strong>für</strong> uns, neben der Auseinandersetzung mit der individuell erlebten Gewalt, zur Selbsthilfearbeitauch ein kritisches Reflektieren der gesellschaftlichen Umstände, die diese Gewalt möglich machten. Der gemeinsameAustausch mit anderen kann dabei hilfreich sein, die Vorstellung von sexueller Gewalt als individuelles Schicksal kritischzu hinterfragen. In diesem Sinne verstehen wir Selbsthilfearbeit auch als politische Arbeit.Zentral in der Selbsthilfearbeit ist die Eigenverantwortung. Alle Teilnehmenden sind <strong>für</strong> sich selbst verantwortlich, allesind verschieden, brauchen unterschiedliches und es gibt nicht ‚den einen richtig Weg‘. Das gilt auch <strong>für</strong> die Arbeit in derGruppe. In jeder Gruppe kommen unterschiedliche Personen mit unterschiedlichen Bedürfnissen zusammen und immerwieder müssen gemeinsame Themen und Abläufe von Gruppentreffen neu ausgehandelt werden. Dennoch gibt eseinige Grundsätze und Strukturen die sich <strong>für</strong> viele Gruppen bewährt haben und auf die im Folgenden eingegangenwird. Und trotzdem sollte jede Gruppe selbst die <strong>für</strong> sie passenden ‚Regeln‘ finden und es empfiehlt sich diese im Blickzu behalten und nach Bedarf immer wieder neu zu diskutieren und zu verändern.Und nicht zuletzt: Selbsthilfearbeit kann sehr bereichernd sein und auch Spaß machen!3. Wie entsteht eine Gruppe?Um eine neue Gruppe zu gründen braucht es zweierlei: andere Personen und einen Raum der da<strong>für</strong> genutzt werdenkann. Wenn klar ist, <strong>für</strong> welche Menschen die Gruppe sein soll (Frauen? FrauenLesbenInterTrans*? Komplettgenderoffen?), finden sich ganz gut andere Interessierte mit Aushängen in Selbsthilfetreffpunkten und Räumen in denenwir uns jeweils gerne bewegen. Für die Kontaktaufnahme kann die Erstellung einer anonymen E-Mailadresse günstigsein. Um einen passenden Raum zu finden haben wir folgende Erfahrungen gemacht: Sich in privaten Räumen zu treffenist <strong>für</strong> den Rahmen einer Selbsthilfegruppe oft zu intim und nimmt der gastgebenden Person die Möglichkeit sich ausder Gruppe entfernen zu können, wenn sie das möchte. Oft eignen sich deshalb öffentliche Räume besser, doch sich ineinem Café/einer Bar zu treffen ist häufig zu laut, mit Störungen verbunden und fühlt sich zu wenig sicher an. Bewährthaben sich Gruppenräume von Selbsthilfekontaktstellen, Anti-Gewalt-Projekten, Nachbarschaftszentren und anderenöffentlichen sozialen und politischen Projekten und <strong>Ein</strong>richtungen.Die Gruppengröße kann stark variieren. Zu Gruppengründungen laden wir jeweils 12 Interessierte ein, die meistenGruppen pendeln sich so bei 5 – 8 festen Teilnehmenden ein. <strong>Ein</strong>e gut funktionierende Gruppe kann aber auch schonmit mehr als 2 Personen stattfinden. Wichtig ist vor allem, einen vertrauensvollen Rahmen zu schaffen. Dazu kann3 von 8


eitragen, auf Verbindlichkeit und Kontinuität zu achten und dazu Absprachen zu treffen. Die Gruppen welche wir amAnfang begleiten, sind nach Beginn geschlossene Gruppen, das heißt es können nicht fortlaufend neue Personenhinzukommen und die Gruppe kann leichter als solche zusammenwachsen.Bevor ich mich entscheide Teil einer Selbsthilfegruppe zu werden kann es hilfreich sein, mir selbst vorab einige Fragenzu stellen:- Habe ich in meinem Leben gerade Raum und Zeit <strong>für</strong> eine Auseinandersetzung mit der erlebten sexuellen Gewalt undderen Folgen?- Möchte ich mich auf die anderen Teilnehmenden der Gruppe einlassen / habe ich Raum mir auch Lebensrealitäten undProbleme anderer anzuhören?- Was wäre mein persönliches Ziel in einer Selbsthilfegruppe? Was möchte ich erreichen durch die Teilnahme an einerGruppe?- Was wünsche ich mir von den Anderen im Miteinander?- Was <strong>für</strong> Regeln/ welche Struktur brauche ich, um mich in einer Gruppe wohl fühlen zu können?4. Das GruppengründungstreffenBei in unserem Projekt stattfindenden Gruppengründungen sind die letzten vier Fragen immer auch Grundlage einesersten Austausches.Weitere Punkte, die wichtig sind zu besprechen bei einem ersten Treffen :- Festlegung eines Zeitrahmens- gibt es eine Pause?- wie häufig trifft sich die Gruppe?- wie anonym ist die Gruppe?- Ablauf der nächsten GruppentreffenAus unserer Erfahrung sind maximal zwei Stunden sinnvoll und zu Beginn ein Treffen wöchentlich. Später können sichdie Abstände zwischen den Gruppentreffen auch vergrößern. Wir finden sehr wichtig, dass nichts aus der Gruppeweitergetragen wird, was die Identifikation der anderen Teilnehmenden ermöglicht!Andere Diskussionspunkte können sein: Wie geht man außerhalb der Gruppe miteinander um? Grüßt man sich? Dürfenandere wissen, dass man sich aus einer Selbsthilfegruppe kennt?5. <strong>Ein</strong> Beispiel zum Ablauf eines Gruppentreffens:Beginn mit einem ‚Anfangsblitzlicht‘Alle nehmen sich am Anfang kurz Zeit um wahrzunehmen, wie jede Person <strong>für</strong> sich da ist. Es geht tatsächlich darum, diemomentane Befindlichkeit in zwei - drei Sätzen zu formulieren und nicht um den vergangenen Tag oder die vergangeneWoche. Jede_r <strong>Ein</strong>zelne spricht <strong>für</strong> sich selbst und das Gesagte bleibt unkommentiert stehen. Wer nichts sagen möchtesollte das signalisieren, da die Gruppe warten wird bis alle zu Wort gekommen sind. Dieses Vorgehen räumtautomatisch allen Anwesenden den Raum zum Sprechen ein, er muss nicht explizit eingefordert werden.Außerdem kann es gut sein, eine kurze ‚Resterunde‘ zu machen, falls etwas vom letzten Gruppentreffen geblieben seinsollte und besprochen werden muss.An einem gemeinsamen Thema arbeitenSinnvoll ist es, sich auf ein Thema zu einigen, dabei zu bleiben und auch auf die Form des Gesprächs zu achten: Habenalle in der Gruppe genug Raum um sich einzubringen? Was wünscht die gerade sprechende Person? Mag sie einfachreden oder kann daraus eine Diskussion entstehen?4 von 8


Besonders wenn bereits länger miteinander gearbeitet wurde, ist es <strong>für</strong> alle bereichernd, sich wirklich Zeit <strong>für</strong> einenAbschied zu nehmen. In diesem Rahmen sollten vor allem auch die positiven Erfahrungen im Miteinander und diejeweils erfolgten individuellen Entwicklungen benannt und gewürdigt werden. Auch wenn eine Person aufgrund vonkonflikthaften Situationen die Gruppe verlässt, macht nach unseren Erfahrungen dieses Vorgehen Sinn. In aller Regelhat es vor dem Konflikt auch viele gute und stärkende Momente gegeben und es ist wichtig, diese bewusst in denFokus zu rücken.Bleiben Teilnehmende einfach weg, so führt dies immer zu Irritationen. Es wird dann oft über einen längeren Zeitraumviel Energie verwendet, um darüber zu spekulieren, warum die Person nicht mehr da ist und ob sie wohl wiederkommt.Wir schlagen den Gruppen in so einer Situation vor, sich einen Zeitpunkt zu setzten, zum Beispiel nach den nächstendrei Treffen, ab dem die Person nicht mehr als Teil der Gruppe betrachtet wird. Meldet sie sich bis dahin nicht, kann dieGruppe bei dem entsprechenden Treffen die Person in Abwesenheit verabschieden. AusschlüsseManchmal treten Verhaltensweisen oder Haltungen einzelner zum Vorschein, die <strong>für</strong> den Rest der Gruppe nicht tragbarsind, beispielsweise ein latent aggressives Verhalten, rassistische Überzeugungen u.a. Es ist dann wichtig, dies offen inder Gruppe zu besprechen und unter Umständen auch gemeinsam zu entscheiden, dass diese Person nicht mehrwillkommen ist. Das ist oftmals ein schwieriger Prozess. Nicht selten gehen eher nach einander die anderenTeilnehmenden, bis sich die Gruppe dann de facto aufgelöst hat. Es ist nicht einfach und erfordert Mut, in der Gruppeoffen über und mit der betreffenden Person zu sprechen. Für die Gruppen, die das aufgebracht haben, ist es dannjedoch ein großer Gewinn <strong>für</strong> die weitere Zusammenarbeit. Übergriffe in Gruppen<strong>Selbsthilfegruppen</strong> können einen sehr besonderen Raum zur Auseinandersetzung mit der erlebten sexuellen Gewaltdarstellen. Es ist aber keineswegs so, dass sie vollkommenen Schutz bieten können. Selbst Gewalt erlebt zu haben, istkeine Garantie da<strong>für</strong>, selber nicht auch gewalttätig werden zu können. So kann es auch vorkommen, dass Teilnehmendesich anderen gegenüber aggressiv und sexuell übergriffig verhalten. Insbesondere bei sexuellen Grenzüberschreitungenkann es dann zu Dynamiken und Verhaltensweisen kommen, die denen der sexuellen Gewalterfahrung in der Kindheitsehr ähnlich sind. Es ist <strong>für</strong> die Person, die den Übergriff erlebt hat, unter Umständen sehr schwierig, ihn überhaupt alssolchen zu identifizieren und zu benennen. Vielleicht finden Relativierungen im Sinne von: ‚Bestimmt hat es die anderePerson gar nicht so gemeint‘, ‚es ist eigentlich gar nichts passiert‘ oder ‚es ist nur meine eigene Empfindlichkeit‘, statt.Es ist wichtig, auch in diesem Zusammenhang das eigene Empfinden ernst zu nehmen. Dabei kann Unterstützungaußerhalb der Gruppe helfen, beispielsweise in einer Beratungsstelle aber auch durch selbstorganisierteZusammenhänge, die zum Thema arbeiten.Dies gilt nicht nur individuell, sondern auch <strong>für</strong> die gesamte Gruppe. Auch hier kann es zu verleugnenden undrelativierenden Reaktionen kommen, da dies zur Dynamik der Übergriffe gehört. Wichtig ist, diese dann als solche zubegreifen und einen anderen Umgang damit zu entwickeln.Ist die Person, die sich übergriffig verhalten hat, bereit hier<strong>für</strong> die Verantwortung zu übernehmen und sich mit ihremVerhalten auseinanderzusetzen, so kann dies auch eine Chance <strong>für</strong> alle darstellen. Ist sie es nicht, so sollte die Personaus der Gruppe ausgeschlossen werden.8. Themenvorschläge <strong>für</strong> GruppentreffenEs gibt Gruppen, die sich ziemlich stark um verschiedene Themen herum strukturieren, es werden im Vorhinein Themengesammelt an denen alle in der Gruppe Interesse haben. Das Thema <strong>für</strong> das nächste Treffen wird dann zuvor festgelegtund eventuell auch bereits damit zusammenhängende Fragen, damit sich zwischenzeitlich alle damit beschäftigenkönnen. Um eine Idee zu vermitteln, was solche Themen sein könnten, hier eine kleine Beispielsammlung:- Selbstwahrnehmung - auch hinsichtlich der verschiedenen Bilder von Betroffenen sexueller Gewalt in derÖffentlichkeit- Grenzen setzen / Umgang mit gesetzten Grenzen- mit Menschen im persönlichen Umfeld über die erlebte Gewalt sprechen / Outingsituationen- Verhältnis zur Herkunftsfamilie / zum Umfeld was nicht schützend eingriff- Umgang mit alten Gefühlen / Mustern- Umgang mit Angst7 von 8


- Umgang mit Wut- Umgang mit den Folgen der erlebten Gewalt in Liebesbeziehungen- Sexualität- Möglichkeiten, sich selbst Sicherheit zu geben- Was kann ich tun um mit mir in schweren Situationen/mit schweren Gefühlen einen liebevollen/guten Umgang zuhaben?- Gesamtgesellschaftliche Erfordernisse zur Verhinderung sexueller Gewalt gegen Kinder- Wie gehe ich mit der „Unbeweisbarkeit“ des Erlebten um?- Glaube ich mir selbst? Wie kann ich das Vertrauen in mich stärken?9. Wenn die Gruppe ihre gemeinsame Arbeit beendetWie lange eine Gruppe zusammen arbeitet, hängt ganz von den Teilnehmenden ab. So kann es sein, dass nach einemJahr <strong>für</strong> Alle die Ziele, die sie sich <strong>für</strong> die Arbeit in der Gruppe gesteckt hatten, erreicht wurden. Andere arbeiten überviele Jahre zusammen und der Charakter der Gruppe verändert sich in Richtung Freundschaft. Für gelingendeSelbsthilfearbeit gibt es keine zeitlichen Vorgaben. Wichtig ist, sich im Gruppengeschehen immer wieder den Raum zunehmen, zu überprüfen wie die Situation aktuell ist.Es ist sehr unterschiedlich, wie leicht oder wie schwer es <strong>für</strong> <strong>Ein</strong>zelne ist Abschied zu nehmen. Nach unserenErfahrungen ist es aber <strong>für</strong> alle hilfreich sich Zeit und Raum <strong>für</strong> das aktive Beenden der Gruppe zu nehmen. Und darinauch nochmals ganz bewusst die besonderen Momente der jeweils persönlichen Entwicklung und auch derGruppendynamik wahrzunehmen. Manche mögen sich darüber hinaus mit einem gemeinsames Essen oder Festvoneinander verabschieden.10. NachsatzNicht alle Eventualitäten im Gruppengeschehen können im Rahmen eines solchen <strong>Leitfaden</strong>s bedacht und beleuchtetwerden.Vielmehr wurde versucht, die am häufigsten auftretenden Themen, mit denen wir in der Gruppenarbeit konfrontiertsind, aufzugreifen und zu umreißen.Was <strong>für</strong> alle, die sexuelle Gewalt in der Kindheit erlebt haben, gilt, hat auch <strong>für</strong> jede Gruppe Gültigkeit: es ist wichtig,nicht mit dem Thema alleine zu bleiben. In schwierigen Gruppensituationen ist es notwendig nach Unterstützung zufragen, zum Beispiel hier im Projekt oder in anderen Zusammenhängen.Selbsthilfearbeit ist auch politische Arbeit, aus der heraus andere Ideen, Aktivitäten und Impulse hervorgehen können.8 von 8

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