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KoNKRet - Magazin Humanité

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4/2010<br />

Suchdienst SRK<br />

Die Rückkehr der<br />

verlorenen Kinder<br />

Chronische Schmerzen<br />

Frieden schliessen mit<br />

dem Feind<br />

Illettrismus<br />

Das belastende Geheimnis<br />

Pakistan<br />

Nach der Flut<br />

die Winterkälte


Impressum<br />

<strong>Humanité</strong> Ausgabe 4<br />

Dezember 2010<br />

ISSN 1664-1159<br />

Titelbild und Rückseite: Caspar Martig<br />

Herausgeber: Schweizerisches Rotes Kreuz,<br />

Rainmattstrasse 10, Postfach, 3001 Bern<br />

Telefon 031 387 71 11, info@redcross.ch,<br />

www.redcross.ch<br />

Spenden: Postkonto 30-9700-0<br />

Adressänderungen: E-Mail an<br />

aboservice@redcross.ch oder<br />

Telefon 031 387 71 11<br />

Redaktionsadresse: Schweizerisches<br />

Rotes Kreuz, Redaktion <strong>Humanité</strong>,<br />

Postfach, 3001 Bern,<br />

humanite@redcross.ch,<br />

www.magazin-humanite.ch<br />

Redaktion: Tanja Pauli (Redaktionsleitung),<br />

Urs Höltschi (Public Fundraising), Hana Kubecek<br />

(Gesundheit und Integration), Isabelle Roos<br />

(Corporate Partnerships), Christine Rüfenacht<br />

(Sekretariat der Kantonalverbände), Karl Schuler<br />

(Internationale Zusammenarbeit), Christina<br />

Williamson (Kommunikation)<br />

Mitarbeitende dieser Ausgabe: Wanda Arnet,<br />

Daniela Boschi, Mario Böhler, Myrlande Buendia,<br />

Philippe Bender, Markus Mader, Marco Ratschiller,<br />

Lucy Schweingruber, Beat Wagner<br />

Abo-Kosten: Das Abonnement kostet CHF 6.–<br />

pro Jahr und ist für SRK-Gönnerinnen und<br />

SRK-Gönner im Beitrag enthalten.<br />

Erscheinungsweise: vier Mal jährlich<br />

Sprachen: deutsch und französisch<br />

Gesamtauflage: 122 500<br />

Bildrechte aller Fotos ohne Hinweis:<br />

Schweizerisches Rotes Kreuz<br />

Übersetzungen: Übersetzungsdienst SRK<br />

Gestaltungskonzept: Effact AG, Zürich<br />

Layout, Lektorat und Druck: Vogt-Schild Druck AG,<br />

Derendingen<br />

Nächste Ausgabe: Februar 2011<br />

2 <strong>Humanité</strong> 4/2010<br />

neutral<br />

Drucksache<br />

No. 01-10-516051 – www.myclimate.org<br />

© myclimate – The Climate Protection Partnership<br />

4<br />

IMO-COC-025036<br />

RepoRt – Suchdienst SRK<br />

4 Die Rückkehr der verlorenen Kinder<br />

8 Interview – «Jedes Schicksal berührt mich auf<br />

seine Weise»<br />

12 eRLeBt – Chronische Schmerzen<br />

Frieden schliessen mit dem Feind<br />

15 ÜBeRZeUGt – Das Rote Kreuz und die Schweiz<br />

ein Geschenk an die Welt<br />

16 <strong>KoNKRet</strong> – Hilfe des SRK weltweit<br />

Unsere Delegierten<br />

18 <strong>KoNKRet</strong> – Illettrismus<br />

Das belastende Geheimnis<br />

21 eNGAGIeRt – Europäisches Jahr der Freiwilligenarbeit 2011<br />

Freiwillig. engagiert. Menschlich.<br />

22 eNGAGIeRt – Rea Ammann, Freiwillige Jugendrotkreuz<br />

Freundschaft auf Augenhöhe<br />

25 <strong>KoNKRet</strong> – Pakistan<br />

Nach der Flut die Winterkälte<br />

29 KReUZ & QUeR<br />

ein bunter Mix<br />

Rätsel/Cartoon<br />

12<br />

16<br />

18<br />

21<br />

22<br />

25<br />

© Caspar Martig


© Caspar Martig<br />

Suchdienst SRK – Informationen von unbezahlbarem Wert<br />

Liebe Leserin, lieber Leser<br />

Wovor haben Sie am meisten Angst? Vielleicht denken Sie jetzt: «Dass ich einen<br />

geliebten Menschen durch einen Unfall oder durch eine Krankheit verlieren<br />

könnte.» Einen Menschen durch Verschwinden zu verlieren, daran denken die<br />

wenigsten. Aber Angehörige von vermissten Personen bringen es in einem Satz<br />

auf den Punkt: «Die Ungewissheit ist am schlimmsten.»<br />

Diese endlose Verzweiflung hat für mich das Gesicht einer Mutter, die ihren Sohn<br />

sucht. Als ich nach meiner Studienzeit in Sri Lanka als Delegierter beim Internationalen<br />

Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) gearbeitet habe, stand sie allwöchentlich<br />

am Strassenrand, um mich zu fragen, ob ich ihren Sohn gefunden hätte. Die Frau<br />

muss oft lange gewartet haben, um mir immer wieder diese eine Frage zu stellen.<br />

Leider musste ich sie immer enttäuschen. Ihr Gesicht werde ich nie vergessen.<br />

So unnachgiebig wie die Angehörigen selber suchen, recherchieren auch die Mitarbeitenden<br />

des Suchdienstes SRK. Aber sie tun dies strukturiert und können auf<br />

das globale Netz unserer Rotkreuz­Organisationen zurückgreifen. Der Rotkreuz­<br />

und Rothalbmondbewegung wird weltweit Vertrauen, Beachtung sowie Respekt<br />

entgegengebracht. Das ist die Basis für viele erfolgreiche Familienzusammenführungen.<br />

Der Suchdienst SRK hat entscheidend zu einer Wendung im Leben von zwei haitianischen<br />

Kindern beigetragen. Lesen Sie die bewegende Geschichte von Michel<br />

und Nastasie ab Seite 4.<br />

Ich wünsche Ihnen und Ihren Liebsten eine sorglose und schöne Weihnachtszeit.<br />

Herzliche Grüsse<br />

Markus Mader<br />

Direktor des Schweizerischen Roten Kreuzes<br />

eDItoRIal RubRIK<br />

<strong>Humanité</strong> 4/2010 3


RePoRt<br />

Suchdienst SRK<br />

Die Rückkehr<br />

der verlorenen Kinder<br />

Nastasie lächelt bei den Hausaufgaben. Das allein ist nicht aussergewöhnlich. Aber es grenzt an ein<br />

Wunder, dass sie und ihr Bruder Michel das Erdbeben in Haiti überlebt haben. Dank der Hilfe vom<br />

Suchdienst des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) konnte die Mutter ihre tot geglaubten Kinder<br />

wieder in die Arme schliessen.<br />

TExT: CHRISTINA WILLIAMSoN<br />

BILDER: CASPAR MARTIG<br />

4 <strong>Humanité</strong> 4/2010


<strong>Humanité</strong> 4/2010 5


RePoRt<br />

ibt es hier auch Erdbeben?», fragt<br />

GMichel als erstes, kaum ist er in der<br />

Schweiz gelandet. Seine Mutter drückt<br />

ihn an sich. Das Wiedersehen im Flughafen<br />

Basel kommt ihr unwirklich vor.<br />

Während Tagen und Wochen wusste<br />

sie nicht, ob ihre Kinder noch am Leben<br />

sind.<br />

Carrefour, Haiti, 12. Januar 2010<br />

Es war ein gewöhnlicher Dienstagnachmittag<br />

nach der Schule. Nastasie befand<br />

sich im oberen Stockwerk des Hauses. Ihr<br />

Bruder Michel lernte mit seinem Freund<br />

Christoph am Küchentisch Algebra. «Ich<br />

Michel erzählt vom tag des<br />

Bebens, als wäre es gestern<br />

gewesen.<br />

stand kurz auf, um etwas zu holen. Auf<br />

einmal wackelte das ganze Haus so<br />

stark, dass ich neben dem Kühlschrank<br />

zu Boden fiel. Mit einem Schlag wurde<br />

mir bewusst, dass alles zusammenbricht.<br />

Ich wusste, dass ich ganz schnell ins Freie<br />

kriechen muss, sonst ist es aus.» Michel<br />

erzählt von dem Tag, als wäre es erst gestern<br />

gewesen. Er ist ernst, spricht überlegt,<br />

erinnert sich an die Details.<br />

Seine Schwester fand er vor dem Haus.<br />

Wie durch ein Wunder war sie unversehrt<br />

geblieben. Christoph, Michels bester<br />

Freund, wurde tot aus den Trümmern<br />

geborgen. Auch die zwei Tanten, bei<br />

denen die Kinder gewohnt hatten, waren<br />

umgekommen.<br />

Zur gleichen Zeit im Berner Seeland<br />

Benita Millien wurde abrupt aus dem<br />

Schlaf gerissen: «In Haiti ist alles kaputt,<br />

alle sind tot!», schrie ein Freund verzweifelt<br />

am Telefon. Benita Millien war erst<br />

am Tag zuvor von ihrem einmonatigen<br />

Besuch in Haiti zurückgekehrt. Sie arbeitet<br />

schon seit fünf Jahren in der Schweiz,<br />

um für den Lebensunterhalt der Familie<br />

in Haiti aufzukommen. Sie stand unter<br />

Schock, schloss sich in ihrem Zimmer ein,<br />

probierte wie besessen jede Person in Haiti<br />

anzurufen, die sie kannte. Sie konnte<br />

nicht essen, nicht schlafen, nicht arbeiten.<br />

«Ich wusste nicht, ob meine Kinder noch<br />

lebten, ich wusste nicht, wie es meinen<br />

Verwandten ging, nichts!»<br />

6 <strong>Humanité</strong> 4/2010<br />

Im Chaos nach dem erdbeben<br />

Nachdem sie ihr Haus und ihre nächsten<br />

Verwandten verloren hatten, waren die<br />

beiden Kinder auf sich alleine gestellt. Sie<br />

schlugen sich mit dem bisschen Bargeld<br />

durch, das Michel noch in seiner Jeans<br />

Die Freude über das<br />

Wiedersehen am Flughafen<br />

Basel war überwältigend<br />

© SRK<br />

Sport überwindet die<br />

Sprachbarriere, denn<br />

Fussballfan Michel<br />

spricht Französisch,<br />

seine neuen Kollegen<br />

sind Deutschschweizer<br />

gefunden hatte. Sie schliefen auf Matratzen<br />

am Strassenrand oder in verlassenen<br />

Autos. Michel hatte keine Möglichkeit,<br />

die Mutter zu informieren, dass er und<br />

«Tasi», wie er seine kleine Schwester liebevoll<br />

nennt, am Leben waren.


Eines Tages begegneten Michel und Nastasie<br />

im Chaos von Carrefour der Mutter<br />

eines Schulfreundes. Die Frau nahm sich<br />

spontan der Kinder an, obwohl ihr eigenes<br />

Haus stark beschädigt war.<br />

Endlich, nach Tagen der Ungewissheit,<br />

klingelte bei Benita Millien das Telefon:<br />

Michel und Nastasie sind am Leben!<br />

Das Rote Kreuz schaltet sich ein<br />

Kaum waren die ersten Tränen der Freude<br />

abgewischt, meldete sich Benita Millien<br />

beim Suchdienst des SRK: Sie wollte<br />

ihre Kinder so schnell wie möglich in die<br />

Schweiz holen. Sie hatten in Haiti keine<br />

Verwandten mehr und würden sonst in ein<br />

Der weltweite Suchdienst des<br />

Roten Kreuzes berät und<br />

betreut Angehörige, bis die<br />

Suche abgeschlossen ist.<br />

Waisenheim kommen. Der weltweite Suchdienst<br />

des Roten Kreuzes hilft Familien, die<br />

Angehörige aus den Augen verloren haben<br />

und unterstützt die Betroffenen bei der Familienzusammenführung.<br />

Als erstes registrierte<br />

Jeanne Rüsch, Mitarbeiterin des Suchdienstes<br />

SRK, die Kinder in der internationalen<br />

Rotkreuz-Datenbank als unbegleitete Min-<br />

derjährige und informierte das Internationale<br />

Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Haiti<br />

über deren Aufenthaltsort. Das IKRK klärte<br />

sofort ab, ob sich die Kinder in einer – den<br />

Umständen entsprechend – sicheren Umgebung<br />

und Betreuung befanden.<br />

Dann machte sich das Rote Kreuz mit Benita<br />

Millien an die Arbeit: Gesuche und<br />

Formulare mussten ausgefüllt und fristgerecht<br />

bei Bundesämtern in der Schweiz<br />

und in der Botschaft in Haiti eingereicht<br />

werden, damit die Kinder Pässe, ein Einreisevisum<br />

und Flugtickets erhielten.<br />

ein neues Leben in der Schweiz<br />

Dank der Hilfe des SRK konnte Benita<br />

Millien alle Formalitäten trotz der emotionalen<br />

Belastung der Situation bewältigen.<br />

Mittlerweile leben die Kinder seit einigen<br />

Monaten in der Schweiz und gehen hier<br />

zur Schule. Sie müssen jetzt Deutsch lernen,<br />

Französisch sprechen sie fliessend.<br />

Michel ist im Fussballverein, wo er Freundschaften<br />

geschlossen hat. Auf die Frage,<br />

ob es ihm in der neuen Schule gefällt,<br />

meint er nachdenklich: «Nein, ich habe oft<br />

Angst im Unterricht, denn … das Schulgebäude<br />

ist so gross.» Das Trauma des Erdbebens<br />

sitzt noch tief.<br />

➥ redcross.ch/haiti<br />

KuRz beFRaGt<br />

Zur aktuellen Lage<br />

in Haiti<br />

Karl Schuler<br />

Der Kommunikationsleiter der<br />

Internationalen Zusammenarbeit<br />

SRK war auf einem<br />

Arbeitseinsatz in Haiti und<br />

steht in Kontakt mit unseren<br />

Mitarbeitenden vor Ort.<br />

RePoRt<br />

Ist die Zerstörung immer noch<br />

sichtbar?<br />

Ja, sogar im Stadtzentrum liegen vielerorts<br />

noch Trümmer und Schutthaufen<br />

des Erdbebens vom Januar. Man hat<br />

berechnet, dass es bei täglich 300<br />

Lkws sechs Jahre dauert, bis sämtlicher<br />

Schutt weggeräumt sein wird.<br />

Wie leben die Menschen in<br />

Haiti heute?<br />

Mich beeindruckt die Lebenskraft und<br />

Improvisationsfähigkeit der Haitianer.<br />

Noch leben schätzungsweise 1,2 Millionen<br />

Menschen in Zelten oder unter<br />

Planen, die den starken Regenfällen<br />

kaum standhalten. Mit Drainagen und<br />

der Verteilung von weiterem Material<br />

für eine trockene provisorische Unterkunft<br />

versucht man das Schlimmste zu<br />

verhindern. Das Rote Kreuz sorgt auch<br />

für sauberes Trinkwasser. Das ist immer<br />

etwas vom Wichtigsten, um Seuchen<br />

wie die Cholera zu vermeiden.<br />

Braucht es weiterhin Spenden?<br />

Ja, für den längerfristigen Wiederaufbau.<br />

Das SRK beispielsweise baut<br />

600 erdbebensichere Behausungen<br />

für obdachlose Bauern auf. In Léogane<br />

wurde die zerstörte Primarschule<br />

in provisorischen Holzbauten untergebracht,<br />

und in unseren Zelten ist<br />

die einzige Tuberkulose-Klinik des<br />

Landes vorübergehend stationiert.<br />

Aber das ist nur der Anfang, der eigentliche<br />

Wiederaufbau wird Jahre<br />

dauern.<br />

➥ redcross.ch ➞ Spenden+Helfen<br />

<strong>Humanité</strong> 4/2010 7


RePoRt<br />

Interview<br />

«Jedes Schicksal berührt mich<br />

auf seine Weise»<br />

Trotz Internet ist die Suche nach Vermissten für Privatpersonen fast unmöglich. Es braucht eine vertrauenswürdige,<br />

neutrale Organisation, die international vernetzt ist wie das Rote Kreuz. Im Interview erzählt<br />

Nicole Windlin, die Leiterin vom Suchdienst SRK, wie ihre Arbeit das Leben vieler Menschen verändern kann.<br />

INTER V IEW:<br />

CHRISTINA WILLIAMSoN<br />

Wieso braucht es den Suchdienst?<br />

Noch heute ist es so, dass im abgelegendsten<br />

Dorf irgendwo im Kongo ein Bote mit<br />

einem Velo einer Familie eine Rotkreuz-<br />

Nachricht von einer vermissten Person<br />

überbringt. Wir erreichen dank unserem<br />

weltweiten Netz auch schwer zugängliche<br />

Winkel der Welt, selbst wenn es dort weder<br />

Telefon noch Internet gibt. Wir arbeiten<br />

eng mit dem IKRK und den nationalen<br />

Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften<br />

zusammen. So erhalten wir Informationen,<br />

die sonst niemand erhalten würde, wie beispielsweise<br />

Informationen über registrierte<br />

8 <strong>Humanité</strong> 4/2010<br />

Nicole Windlin hat Einblick<br />

in Schicksale von Menschen,<br />

die keinen Kontakt mehr zu<br />

ihren Angehörigen haben<br />

Gefangene. Wir arbeiten alle mit demselben<br />

Emblem und den gleichen Grundsätzen.<br />

Darin liegt die Kraft der weltweiten<br />

Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung.<br />

Mit welchen Anliegen kommen die<br />

Leute zu Ihnen?<br />

Die meisten suchen ein Familienmitglied,<br />

das sie durch Krieg, auf der Flucht oder<br />

wegen einer Naturkatastrophe aus den<br />

Augen verloren haben. Manchmal geht es<br />

aber auch darum herauszufinden, welches<br />

Schicksal eine verstorbene Person zum Beispiel<br />

im Zweiten Weltkrieg erlitten hat.<br />

Woher sind die Menschen, die ihre<br />

Angehörigen suchen?<br />

Viele haben einen Migrationshintergrund.<br />

Aber wir erhalten auch Anfragen<br />

aus dem Ausland, weil eine Person in der<br />

Schweiz gesucht wird. Und natürlich gibt<br />

es Fälle, wo Schweizerinnen und Schweizer<br />

jemanden suchen, zum Beispiel den<br />

leiblichen Vater. Manchmal auch in der<br />

Schweiz selber.<br />

Viele Menschen sind seit dem Konflikt<br />

in Ex-Jugoslawien bis heute verschollen.<br />

Welche Chance haben diese<br />

Angehörigen noch?<br />

Nach so vielen Jahren wissen die meisten<br />

Angehörigen, dass die vermisste Person<br />

mit grösster Wahrscheinlichkeit tot ist.<br />

Aber ohne Beweis können sie nicht loslassen.<br />

Sie warten auf die Ausgrabung<br />

von Massengräbern. Anhand von sogenannten<br />

«Ante Mortem-Daten», also<br />

Vortodesdaten, werden die Toten identi-<br />

«Unsere Nachrichten erreichen<br />

sogar orte, in denen es weder<br />

telefon noch Internet gibt.»<br />

fiziert. Dabei können Zähne, aber auch<br />

verheilte Knochenbrüche oder Eheringe<br />

wichtige Hinweise geben.<br />

Müssen Sie auch traurige Nachrichten<br />

überbringen?<br />

Ja, leider. Viele Familien sind jedoch darauf<br />

gefasst. oft ist es für sie sogar be-


Das weltumspannende Netzwerk des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes erreicht auch abgelegene Orte<br />

freiend, endlich die Wahrheit zu erfahren.<br />

Eine junge Frau, deren Vater schon seit<br />

Jahren verschwunden ist und die selbst<br />

an seinem ungewissen Schicksal fast verzweifelt,<br />

sagte mir einmal: «Manchmal<br />

wünsche ich mir zu wissen, dass er tot ist.<br />

Dann könnte ich einen Monat lang weinen.<br />

Aber danach könnte ich mich wieder<br />

aufraffen und anfangen, zu leben.»<br />

Gibt es Geschichten, die Sie<br />

besonders berühren?<br />

Jedes Schicksal berührt mich auf die eine<br />

oder andere Weise. Spontan erinnere<br />

ich mich an einen Fall, bei dem uns die<br />

Sterbebegleiterin einer betagten Dame<br />

anrief. Die Sterbende suchte ihre ehemals<br />

beste Freundin, mit der sie sich vor Jahren<br />

zerstritten hatte. Wir konnten diese Freundin<br />

ausfindig machen und erfuhren später,<br />

dass die beiden über zwei Stunden<br />

am Telefon intensiv gesprochen und sich<br />

versöhnt haben.<br />

Wann wird die Arbeit zu belastend?<br />

Als letztes Jahr der Konflikt in Sri Lanka<br />

sehr akut war, meldeten sich Hunderte<br />

von Menschen bei uns. Diese Massen-<br />

© CICR/SPoERRI, Priska<br />

aPRoPoS<br />

Der Suchdienst SRK braucht<br />

Ihre Spende<br />

RePoRt<br />

verzweiflung bei der tamilischen Bevölkerung<br />

in der Schweiz hat mich psychisch<br />

gefordert. Die Erwartungen an uns, die<br />

Hoffnung, die das Rote Kreuz für diese<br />

Menschen bedeutete, übten einen unglaublichen<br />

Druck aus.<br />

Was überwiegt?<br />

Das Gute! Wenn es bei einem Fall ein Happy<br />

End gibt, dann ist dieser positive Aspekt<br />

so gut, dass er all die negativen und schweren<br />

Momente unserer Arbeit ausgleicht.<br />

Eine Familienzusammenführung wie im Fall<br />

der haitianischen Familie Millien ist wahnsinnig<br />

schön! (siehe S. 4–7)<br />

➥ redcross.ch/suchdienst<br />

Der Suchdienst SRK sucht weltweit<br />

nach Vermissten, hilft bei der Zusammenführung<br />

von Familien und spielt<br />

eine zentrale Rolle bei der Aufarbeitung<br />

von persönlichen Schicksalen in<br />

Kriegen.<br />

Nichts kann ein Leben positiver wenden,<br />

als einen geliebten Menschen<br />

wiederzufinden. Aber selbst die Gewissheit,<br />

dass ein Mensch verstorben<br />

ist, kann bei der Verarbeitung seines<br />

Schicksals und bei der Trauer helfen.<br />

Die vier Mitarbeiterinnen bearbeiten<br />

pro Jahr über 400 Fälle. Aufgrund<br />

des Konfliktes in Sri Lanka wurden<br />

zudem im vergangenen Jahr über<br />

2600 Suchanfragen von in der<br />

Schweiz lebenden tamilischen Familien<br />

gestellt.<br />

Die Nachfrage nach den Angeboten<br />

des Suchdienstes ist gross. Das SRK<br />

stellt den Dienst allen in der Schweiz<br />

wohnhaften Personen kostenlos zur<br />

Verfügung. Wir sind überzeugt, dass<br />

jeder Mensch – unabhängig von seiner<br />

finanziellen Lage – die Möglichkeit<br />

haben soll, ihm nahe stehende,<br />

vermisste Personen ausfindig machen<br />

zu können. Um den weltweiten Suchdienst<br />

weiterhin zu ermöglichen, sind<br />

wir auf Ihre Spende angewiesen.<br />

<strong>Humanité</strong> 4/2010 9


21 000 Mitarbeitende<br />

4500 Volunteering-Tage im Jahr 2009<br />

Eine Bank,<br />

die ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt<br />

Wir sind stolz auf das soziale Engagement unserer Mitarbeitenden. Im Rahmen unserer Partnerschaft mit dem<br />

Schweizerischen Roten Kreuz unterstützen wir dessen gemeinnützige Projekte mit Freiwilligeneinsätzen.<br />

credit-suisse.com/volunteering


überraschungspaket für<br />

Facebook-Fans des SRK<br />

Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) nutzt<br />

die neuen Medien, um so möglichst zeitnah<br />

und direkt zu informieren. Deshalb ist<br />

es auf Facebook präsent. Facebook-User<br />

finden uns auf facebook.com/swissredcross<br />

und können dort nur noch «Gefällt<br />

mir» anklicken, um ihre Solidarität zu zeigen.<br />

Mit etwas Glück gewinnen Sie eines<br />

von fünf Überraschungspaketen, wenn Sie<br />

sich bis am 31. Dezember 2010 registrieren.<br />

Das Los entscheidet. Die Gewinnerinnen<br />

und Gewinner werden über ihr Facebook-Profil<br />

kontaktiert. Wer noch nicht auf<br />

Facebook ist, kann sich hier informieren:<br />

➥ redcross.ch/facebook<br />

unsere bestätigung für<br />

Ihre Grosszügigkeit<br />

Spenden an das Schweizerische Rote<br />

Kreuz sind gemeinnützige Zuwendungen<br />

und können von den Steuern abgezogen<br />

werden. Eine Spendenbestätigung erhalten<br />

alle, die im Laufe des Jahres 2010<br />

dem SRK mindestens ein Mal gespendet<br />

haben. Auf dieser Bestätigung sind alle<br />

Spenden an das SRK aufgelistet. Die<br />

Spendenbestätigung des SRK wird Mitte<br />

Januar 2011 verschickt.<br />

Schulklasse sammelte für Kinder in Not<br />

Die Klasse 9c aus dem Schulhaus Worbboden<br />

in Worb engagierte sich vorbildlich.<br />

Sie hat in ihrer Freizeit Kuchen<br />

gebacken und diese am freien Samstagmorgen<br />

vor dem lokalen Einkaufszentrum<br />

verkauft. Ihre Lehrerin Rebekka Reusser:<br />

«Es war eine gute Erfahrung für die ganze<br />

Klasse. Schön, dass unser Einsatz<br />

vom Schweizerischen Roten Kreuz so<br />

Jedem Kind die gleichen Chancen<br />

Das Rote Kreuz Baselland hat zusammen<br />

mit dem Baselbieter Bündnis für Familien<br />

das Frühförderungsprogramm «schrittweise»<br />

lanciert. Es richtet sich an sozial und<br />

wirtschaftlich benachteiligte Familien mit<br />

Kindern im Alter von eineinhalb bis drei Jahren.<br />

Eine Hausbesucherin besucht die Familien<br />

regelmässig während 18 Monaten. Sie<br />

spielt mit den Kleinen und zeigt der Mutter,<br />

KuRz & büNDIG<br />

geschätzt wurde und man uns am Stand<br />

unterstützt hat.» Der gesamte Erlös floss<br />

in die Patenschaft des SRK für Kinder in<br />

Not. Eliane Boss, Verantwortliche für die<br />

Patenschaft, sagt: «Ich freue mich, wenn<br />

sich Jugendliche zugunsten von Kindern<br />

in Not engagieren. Die Schüler der Klasse<br />

9c haben dies mit viel Elan und Herzblut<br />

getan.»<br />

wie sie ihr Kind in seiner Entwicklung unterstützen<br />

und fördern kann. Damit wird das<br />

Kind frühzeitig auf die Spielgruppe oder<br />

den Kindergarten vorbereitet. So werden<br />

Integrationsprobleme von Anfang an überwunden.<br />

Das Ziel ist es, dass später in der<br />

Schule alle Kinder die gleichen Chancen haben.<br />

Elterntreffen runden das Angebot ab.<br />

➥ srk-baselland.ch/integration<br />

© Patrick Lüthy, olten<br />

<strong>Humanité</strong> 4/2010 11


RubRIK eRlebt<br />

Chronische Schmerzen<br />

Frieden schliessen mit<br />

dem Feind<br />

Jede Form von Ablenkung könnte helfen<br />

Wer Schmerzen hat, kann kaum an etwas anderes denken. Man wünscht sich nichts sehnlicher, als dass die<br />

Schmerzen weggehen. Chronische Schmerzen beeinträchtigen die Lebensqualität massiv. Was wenn die Ursache<br />

unfassbar schlimmer ist als die Schmerzen selber?<br />

TExT: TANJA PAULI BILDER: CASPAR MARTIG<br />

12 <strong>Humanité</strong> 4/2010


s ist wie beim Puzzeln. Man versucht<br />

Everschiedene Teile zu einem Bild zusammenzusetzen»,<br />

beschreibt Anna Hirschi<br />

ihre Arbeit mit traumatisierten Patientinnen<br />

und Patienten, die an chronischen<br />

Schmerzen leiden. Was sich aus den Gesprächen<br />

ergibt, ist leider ein grausames,<br />

schreckliches Gesamtbild. Denn Menschen,<br />

die zu ihr kommen, haben nicht<br />

einen Unfall oder einen schweren Schicksalsschlag<br />

erlitten. Ihnen ist noch Gravierenderes<br />

geschehen. Sie wurden von<br />

anderen Menschen gefoltert, gedemütigt,<br />

vergewaltigt oder vertrieben. Das Ambulatorium<br />

für Folter- und Kriegsopfer des<br />

SRK hilft diesen Menschen mit verschiedenen<br />

Therapieformen, damit sie ihren<br />

Alltag wieder bewältigen können. Denn<br />

das Leid von Folteropfern drückt sich oft<br />

in Form von körperlichen Schmerzen aus,<br />

die einem Arzt unerklärlich erscheinen.<br />

Weil die opfer keine Worte finden für die<br />

Gewalt, die ihnen angetan wurde.<br />

«Was die Folter für mich an Schmerz bedeutet,<br />

können Worte nicht beschreiben;<br />

die Erinnerung an das Geschehene hat<br />

sich tief in meine Seele, aber auch in meinen<br />

Körper eingegraben.»<br />

Das erste offene Gespräch<br />

Die furchtbaren Erlebnisse werden verdrängt<br />

und niemandem anvertraut. Die<br />

Fachleute im Ambulatorium des SRK<br />

wissen: Das Vertrauen von Menschen,<br />

Die Balance im Leben wieder finden – wortwörtlich und im übertragenen Sinn<br />

Wie oft die<br />

Patienten einen Termin<br />

im afk brauchen,<br />

ist unterschiedlich<br />

eRlebt<br />

die gefoltert wurden, zu gewinnen ist<br />

sehr schwer. Noch nie zuvor haben die<br />

Betroffenen mit jemandem über die dunkelsten<br />

Stunden ihre Lebens gesprochen.<br />

Die Fachleute des Ambulatoriums bleiben<br />

meist die einzigen, welche die grausame<br />

Wahrheit je erfahren und diese Geschichten<br />

ernst nehmen. Sie reagieren mit Mitgefühl,<br />

nicht mit Mitleid. Mit Gesprächen,<br />

die in die Vergangenheit führen, versuchen<br />

sie den wahren Hintergrund der<br />

Schmerzen auszuloten.<br />

Die Therapeuten und Therapeutinnen des<br />

Ambulatoriums SRK gehen einfühlsam,<br />

aber ganzheitlich vor. Wie beim Puzzeln<br />

fügen sie aus den Symptomen – z.B. den<br />

chronischen Schmerzen selber – dem Erlebten<br />

und den Emotionen das Gesamtbild<br />

zusammen. Erst wenn sie die genau-<br />

<strong>Humanité</strong> 4/2010 13


eRlebt<br />

Anna Hirschi zeigt dem Patienten einfache Übungen für zu Hause<br />

en Zusammenhänge verstanden haben,<br />

versuchen sie zusammen mit der Patientin<br />

oder dem Patienten eine geeignete Strategie<br />

zu finden, die sich bewährt.<br />

eine enorme Herausforderung<br />

Leider kann bei chronischen Schmerzen<br />

auch die beste Therapie kein schmerzfreies<br />

Leben ermöglichen. Zu tief sitzt<br />

das Trauma bei Menschen, die gefoltert<br />

wurden.<br />

«Mein Körper ist sehr, sehr müde. Schmerzen<br />

meiner Hände begleiten mich andauernd,<br />

bei jeder Arbeit und bei allem, was<br />

ich tue. Aber ich kämpfe immer, jeden<br />

Tag, in jedem Augenblick, in jeder Sekunde,<br />

dagegen. Sogar im Schlaf habe ich<br />

Schmerzen in meinen Händen und Beinen.<br />

Das Gefängnis und die Folter haben<br />

in meinem Körper schlimme Erinnerungen<br />

hinterlassen. Auch wenn ich diese ignoriere<br />

und aus meinem Gehirn verbanne,<br />

melden sie sich und erinnern mich an die<br />

schlimmen Erlebnisse.»<br />

14 <strong>Humanité</strong> 4/2010<br />

Und hier lauert die ganz grosse Herausforderung:<br />

Die Patientin oder der Patient<br />

soll lernen, sich nicht auf die Schmerzen<br />

zu konzentrieren. Im Gegenteil, wie ein<br />

ständiger Begleiter sollen die Schmerzen<br />

akzeptiert werden. Das mag zuerst schon<br />

fast höhnisch klingen, macht aber Sinn,<br />

wenn man sich genauer überlegt, dass<br />

Körper und Psyche untrennbar sind. So<br />

sind Schmerzen oft Ausdruck einer De-<br />

«Die Schmerzen tun mir jetzt<br />

weniger weh.»<br />

pression, und die Depression wiederum<br />

kann das Schmerzempfinden ins Unerträgliche<br />

verstärken. Ein Patient, dem<br />

es psychisch besser ging nach einer<br />

Gesprächstherapie, hat gesagt: «Die<br />

Schmerzen tun mir jetzt weniger weh.»<br />

Diese Aussage verdeutlicht den Zusammenhang<br />

präzis.<br />

Anna Hirschi weiss aus Erfahrung: «Wenn<br />

man nicht mehr gegen den Schmerz ankämpft<br />

ist das schon viel. Kombiniert mit<br />

aPRoPoS<br />

Ambulatorium für Folter- und<br />

Kriegsopfer SRK (afk)<br />

Überlebende von Folter, Krieg und<br />

Vertreibung erhalten im afk medizinische<br />

und psychotherapeutische Hilfe<br />

sowie Sozialberatung. Während der<br />

Bürozeiten beantwortet das afk-Team<br />

auch telefonische Anfragen. Es erteilt<br />

allgemeine Auskünfte und bietet kurze<br />

Beratungen an. Bei Bedarf erfolgt eine<br />

vertiefte Situationsanalyse.<br />

Seit der Eröffnung des Ambulatoriums<br />

1995 stieg die Zahl der Patienten stetig<br />

an. 2009 wurden über 2738 Konsultationen<br />

durchgeführt. Die Patienten stammen<br />

aus rund 50 Ländern, in denen die<br />

Menschenrechte nicht respektiert werden.<br />

Das afk leistet auch Öffentlichkeitsarbeit<br />

und sensibilisiert die Bevölkerung<br />

für die Anliegen der Folteropfer.<br />

Das afk wird zu einem grossen Teil<br />

über Mittel des SRK finanziert. Spenden<br />

sind herzlich willkommen. Postkonto<br />

30-9700-0, Vermerk «afk»<br />

einer gezielten Körperübung, kann man<br />

lernen, sich von den Schmerzen nicht<br />

besiegen zu lassen.» Die Behandlung<br />

chronischer Patienten beinhaltet immer<br />

auch Hilfe zur Selbsthilfe. In der Therapie<br />

lernen die Patienten auch verschiedene<br />

Körperübungen, die sie in akuten Stresssituationen<br />

selber anwenden können. Sie<br />

werden auch motiviert, lieber ein Freudebuch<br />

anstatt Schmerzbuch zu führen.<br />

Jeder Mensch ist anders und findet mit<br />

der Fachperson seine persönliche Lösung,<br />

die das Schmerzempfinden senkt.<br />

Die Herausforderungen und die persönliche<br />

Belastung in Anna Hirschis Beruf<br />

sind gross. Aber sie weiss: «Nur nichts<br />

tun ist schlimmer. Diese Menschen haben<br />

Hilfe verdient und brauchen sie wirklich<br />

dringend. Für viele wäre das Leben sonst<br />

nicht mehr lebenswert.»<br />

➥ redcross.ch/ambulatorium<br />

Die kursiv gedruckten, anonymen Zitate stammen aus Patientendossiers<br />

des afk und stammen nicht von der abgebildeten<br />

Person.


Das Rote Kreuz und die Schweiz<br />

ein Geschenk an die Welt<br />

Das Rote Kreuz wurde in der<br />

Schweiz gegründet. Dafür wird<br />

unser Land international immer<br />

bewundert. Henry Dunants Gedanken<br />

beeinflussten die Schweizer<br />

Aussenpolitik. Gilt dies auch noch<br />

heute und morgen?<br />

TExT: PHILIPPE BENDER<br />

Im Jahr, in dem sich Henry Dunants Todestag<br />

(30.10.1910) zum hundertsten<br />

Mal jährt, ist es nicht abwegig, wichtige<br />

Fragen zu stellen:<br />

Soll stolz hervorgehoben werden, dass zwischen<br />

der Schweiz und dem Roten Kreuz<br />

Verbindungen bestehen? Ist es angebracht,<br />

weiterhin verherrlichend auf das gemeinsame<br />

Symbol – das Zeichen des roten und<br />

des weissen Kreuzes – hinzuweisen? Ein so<br />

starkes Symbol, dass es als Ausdruck echter<br />

Menschlichkeit unsere Nation unter den<br />

Nationen der Welt hervorhebt?<br />

Schon 1963 hatte Bundesrat Friedrich<br />

Traugott Wahlen mit Stolz erklärt: «Das<br />

Rote Kreuz ist das schönste Geschenk,<br />

das die Schweiz der Völkergemeinschaft<br />

gemacht hat.» Einige Jahre darauf doppelte<br />

sein Kollege Hans-Peter Tschudi<br />

nach: «Falls man die Existenz der kleinen<br />

Schweiz rechtfertigen muss, ist das Rote<br />

Kreuz – das seit über einem Jahrhundert<br />

zum Wohl aller Menschen dieser Erde zuverlässig<br />

geführt worden ist – allein schon<br />

eine ausreichende Rechtfertigung. Unsere<br />

Landesflagge ist seit mehr als hundert Jahren<br />

eng mit dem Gedanken der Wohltätigkeit<br />

und der Barmherzigkeit verbunden.»<br />

Aber eine Minderheit würde dies gerne<br />

ausblenden. Statt Not auszumerzen sei<br />

die humanitäre Arbeit nur darauf ausgerichtet,<br />

Leid zu lindern. Aber vertuscht eine<br />

solche Behauptung nicht die Tatsache,<br />

dass in der Welt tagtäglich Menschen gerettet<br />

werden, gegen Unrecht angekämpft<br />

und Hilfe geleistet wird, wo es nötig ist?<br />

Nun, es ist eine Tatsache, dass das Rote<br />

Kreuz in der Schweiz entstanden ist und es<br />

hat sich von hier aus entwickelt. Dies vor<br />

allem dank dem «Geist von Genf» und der<br />

Neutralitätspolitik. Aber dies ist auch dem<br />

Schweizer Volk zu verdanken, welches in<br />

schwierigen Zeiten seine Grosszügigkeit bewiesen<br />

hat. Es fanden sich glücklicherweise<br />

stets beherzte Männer und Frauen, um die<br />

humanitäre Schweiz zu verkörpern. Der<br />

Zweite Weltkrieg liefert uns einige bewundernswerte<br />

Beispiele dieser «Gerechten»:<br />

«Sie stellten die Liebe zu den Menschen und<br />

zum Leben nötigenfalls über die Gesetze des<br />

Staates», schrieb Jean-Claude Favez, Professor<br />

für Geschichte an der Universität Genf.<br />

Selbstverständlich darf die enge Verbindung<br />

zwischen der Schweiz und dem Roten<br />

Kreuz kein Vorwand sein, um einen humanitären<br />

Nationalismus zu kultivieren. Vielmehr<br />

übeRzeuGt<br />

Ausschnitt aus dem Bourbaki-Panorama von Luzern: 1871 nahm die Schweiz 87 000 französische Soldaten auf, darunter<br />

16 000 Verwundete. Dadurch verbreitete sich das Ideal des Roten Kreuzes. Die Schweiz entwickelte daraus eine der<br />

Maximen ihrer Aussenpolitik: Neutralität, verbunden mit Menschlichkeit.<br />

sollte sie die Diskussion beleben, über die<br />

Rolle, die unser Land auf internationalem<br />

Parkett zu spielen hat. Die Diskussion auch<br />

darüber, was unsere Pflicht ist, wenn wir<br />

dem Ideal von Henry Dunant treu bleiben<br />

wollen. Nämlich die Solidarität gegenüber<br />

den Schwächsten fördern, für die Unversehrtheit<br />

aller Menschen eintreten, auf Frieden<br />

hinarbeiten, ungeachtet des Kampfes<br />

der Kulturen und der Interessen.<br />

Schliesslich wirft diese Debatte die zentrale<br />

Frage auf, welchen Platz unser Land<br />

in der Welt einnehmen soll: Will die<br />

Schweiz nur ein Kleinstaat im Europa<br />

sein? oder eine Nation, die nach höheren<br />

Werten strebt? Nämlich genau deshalb,<br />

weil sie verbunden ist mit dem Roten<br />

Kreuz und dem humanitären Völkerrecht,<br />

das sich wie ein letzter Schutzwall gegen<br />

die Unmenschlichkeit erhebt.<br />

Philippe bender<br />

Er ist Historiker und<br />

Mitarbeiter des Kommunikationsdienstes<br />

SRK.<br />

© Emanuel Ammon/AURA<br />

<strong>Humanité</strong> 4/2010 15


<strong>KoNKRet</strong><br />

lateinamerika<br />

(von links nach rechts)<br />

Amilcar Albán, Ecuador<br />

Anne-Catherine Bickel, El Salvador<br />

Claudio Stauffer, Honduras<br />

Eduardo Lambertín, Bolivien<br />

Albino Portillo, Paraguay<br />

Volker Sitta, Regionaldelegierter<br />

16 <strong>Humanité</strong> 4/2010<br />

Hilfe des SRK weltweit<br />

unsere Delegierten<br />

25 Gesichter, 25 Persönlichkeiten. Als Delegierte arbeiten sie für das<br />

Schweizerische Rote Kreuz (SRK) in 25 Ländern auf vier Kontinenten.<br />

Sie setzen sich ein, um in den ärmsten Regionen der Welt nachhaltig<br />

und langfristig die Lebensbedingungen zu verbessern.<br />

TExT: KARL SCHULER BILDER: IRIS KREBS<br />

afrika<br />

Ömer Güven, Ägypten<br />

Maria Katulu, Swasiland<br />

Ursula Schmid, Sudan<br />

Edoh Adjakly, Togo<br />

Kamilou Wahabou, Mali<br />

Sylvia Froelicher, Eritea<br />

Seth Addae-Kyereme, Ghana


osteuropa<br />

Mihela Hinic, Bosnien<br />

Lina Langer, Rumänien/Moldawien<br />

Susanne Egloff, Weissrussland<br />

Menschlichkeit kennt keine Grenzen.<br />

In vernachlässigten Regionen der<br />

ärmsten Länder ist unsere Kompetenz im<br />

Gesundheitsbereich besonders notwendig.<br />

Deshalb engagiert sich das SRK neben der<br />

Katastrophenhilfe schon seit Jahren auch<br />

im langfristigen Aufbau von Gesundheitsdiensten.<br />

Dabei arbeitet es vorwiegend mit<br />

lokalen Teams. In jedem Land nimmt eine<br />

Vertreterin oder ein Vertreter des SRK die<br />

Koordination wahr. In Pakistan und Haiti<br />

wird sich das SRK langfristig für den Wiederaufbau<br />

einsetzen und auch in diesen<br />

Ländern durch Delegierte vertreten sein.<br />

Lateinamerika: In Bolivien, Paraguay<br />

und Ecuador arbeitet das SRK mit einhei-<br />

asien<br />

Frank Urbanski, Vietnam<br />

Bruno Gremion, Tibet<br />

Chansouk Phandolack, Laos<br />

Nguyen Phu Son, Vietnam<br />

Jean-Marc Thomé, Laos<br />

Tobias Schüth, Kirgistan<br />

Kamal Baral, Nepal<br />

Helmut Rählmann, Bangladesch<br />

Amitabh Sharma, Indien<br />

mischen Bauernorganisationen zusammen.<br />

In schlecht versorgten Gebieten<br />

wird die Selbsthilfe der Menschen unterstützt<br />

und eine gesundheitliche Basisversorgung<br />

gewährleistet. In Honduras und<br />

El Salvador steht die Katastrophenvorsorge,<br />

so z.B. der Schutz vor den gefürchteten<br />

Hurrikans, im Zentrum der Arbeit.<br />

Afrika: In acht afrikanischen Ländern setzt<br />

sich das SRK gegen die dramatische Verbreitung<br />

von Aids ein. Dabei stehen präventive<br />

Massnahmen zur Vermeidung neuer<br />

Ansteckungen im Vordergrund. Ausgebildete<br />

einheimische Rotkreuz-Freiwillige setzen<br />

sich in ihrem Dorf allgemein für bessere hygienische<br />

Bedingungen ein, um Epidemien<br />

<strong>KoNKRet</strong><br />

zu verhindern. Die Bekämpfung von Armutsblindheit<br />

durch die operation des grauen<br />

Stars ist ein weiteres wichtiges Tätigkeitsfeld.<br />

Asien: Auch in Nepal und Tibet engagiert<br />

sich das SRK seit Jahren im augenmedizinischen<br />

Bereich. In Asien wie auch in Afrika<br />

besonders bedeutsam ist der Zugang<br />

der Menschen zu sauberem Trinkwasser.<br />

osteuropa: In den osteuropäischen Ländern<br />

Rumänien, Moldawien, Weissrussland<br />

und Bosnien bildet das SRK Gesundheitspersonal<br />

auf Gemeindeebene aus,<br />

um die spitalexterne Pflege zugunsten verarmter<br />

Bevölkerungsgruppen zu fördern.<br />

➥ redcross.ch ➞ Ausland<br />

<strong>Humanité</strong> 4/2010 17


<strong>KoNKRet</strong><br />

Leerer?<br />

Illettrismus<br />

Das belastende Geheimnis<br />

Wie schreibt man das Wort «Lehrer»? Maria Cantieni weiss es nicht. Obschon sie die Schule besucht hat,<br />

kann sie kaum richtig lesen und schreiben. Sie verheimlichte diese Schwäche. So wie viele Betroffene,<br />

deren tägliches Leben geprägt ist durch Scham, Isolation und Vertuschung.<br />

TExT: CHRISTINE RÜFENACHT<br />

18 <strong>Humanité</strong> 4/2010<br />

Lehrer?<br />

Lerer?<br />

© www.beham.li


aria Cantieni* ist keine Analphabetin.<br />

MMit diesem Begriff werden Menschen<br />

bezeichnet, die nie eine Schule besucht haben.<br />

Aber Maria Cantieni hat in Graubünden<br />

alle Schuljahre durchlaufen, und ihre<br />

Schwäche wird als Illettrismus bezeichnet.<br />

Sie war eine schlechte Schülerin, doch darüber<br />

hat sich leider nie jemand Gedanken<br />

gemacht. Die Dreissigjährige hat Mühe, im<br />

Telefonbuch einen Namen zu finden, die<br />

Packungsbeilage eines Medikaments zu lesen<br />

oder einen Bancomaten zu benutzen.<br />

Sie braucht immer jemanden, der ihr hilft.<br />

Illettrismus ist in der<br />

Schweiz häufiger, als man<br />

vermuten würde.<br />

Maria Cantieni hält sich mit unqualifizierten<br />

Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Über<br />

die Jahre hat sie Strategien entwickelt, um<br />

ihr Handicap zu verbergen: Wenn sie lesen<br />

muss, hat sie gerade ihre Brille vergessen.<br />

Wird sie aufgefordert, etwas zu schreiben,<br />

schützt sie einen dringenden Anruf vor.<br />

Doch noch immer verursachen ihr derartige<br />

Situationen Schweissausbrüche. So ergeht<br />

es den meisten der rund 800 000 Erwachsenen,<br />

die in der Schweiz an einer Schreibund<br />

Leseschwäche leiden. Maria Cantieni<br />

hat dieses Versteckspiel bis zu jenem Tag<br />

gespielt, an dem sie eine Familie gründete.<br />

Genauer gesagt, bis sie ihre beiden Töchter<br />

baten, ihnen eine Geschichte vorzulesen.<br />

Als gute Mutter möchte Maria ihnen<br />

diesen Wunsch erfüllen. Daher besucht sie<br />

nun den Kurs Lesen und Schreiben, den das<br />

Rote Kreuz Graubünden im September in<br />

Chur und Sargans lanciert hat.<br />

Valeria Seglias war früher Primarlehrerin und leitet<br />

die Kurse<br />

Valeria Seglias nimmt den Teilnehmenden die Schwellenangst und stärkt deren Selbstvertrauen<br />

Schlaflose Nächte und Herzrasen<br />

Vor der definitiven Anmeldung trifft sich<br />

Valeria Seglias mit den Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmern der Kurse. Schon jetzt<br />

sind einige nervös oder haben gar panische<br />

Angst: Einer hat die ganze Nacht<br />

kein Auge zugetan, eine Frau hat nicht einmal<br />

ihren Mann in ihre Pläne eingeweiht.<br />

Das zeigt, wie sehr diese Menschen unter<br />

ihrem Problem leiden. «Viele Leseschwache<br />

haben einen Minderwertigkeitskomplex,<br />

fühlen sich wertlos, manchmal schon<br />

seit ihrer Kindheit», erklärt Valeria Seglias.<br />

Seit September bringt sie zwei Frauen und<br />

drei Männern Lesen und Schreiben bei.<br />

Da deren Kenntnisstand dem von Viertklässlern<br />

entspricht, werden sie mehrere<br />

Monate brauchen, um sich von ihrer Bürde<br />

zu befreien. Doch sie werden es schaffen,<br />

denn sie haben ein klares Ziel: Maria<br />

Urs Chiara, Leiter des Projekts: «Der Kurs kann die<br />

gesamte Lebenssituation verbessern.»<br />

<strong>KoNKRet</strong><br />

möchte ihren Töchtern eine Geschichte<br />

vorlesen, Patrick eine Lehrstelle finden. «Es<br />

ist sehr befriedigend, ihnen zu helfen, sich<br />

das Leben einfacher zu machen», betont<br />

Valeria Seglias, die früher als Primarlehrerin<br />

gearbeitet hat.<br />

Der Kurs «Besser Lesen und Schreiben»<br />

des Roten Kreuzes ist das einzige derartige<br />

Angebot in Graubünden. Er richtet<br />

sich an Personen deutscher Muttersprache<br />

In Graubünden bietet das<br />

Schweizerische Rote Kreuz<br />

Kurse an, in denen diese<br />

Menschen Lesen und Schreiben<br />

lernen und wieder<br />

Vertrauen fassen können.<br />

mit einer Lese- und Schreibschwäche. Das<br />

sind etwa die Hälfte der 20 000 Personen,<br />

die im Kanton von Illettrismus betroffen<br />

sind. Das Rote Kreuz engagiert sich für<br />

sie, weil Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten<br />

in mehrfacher Hinsicht benachteiligt<br />

sind: Sie werden ausgegrenzt<br />

und haben geringere Chancen, einen Arbeitsplatz<br />

zu finden, wie Urs Chiara, Leiter<br />

und Initiant des Projekts, festhält. Daraus<br />

können sich auch gesundheitliche Probleme<br />

ergeben. Für Eltern ist die Situation<br />

noch schwieriger. Da sie ihre Kinder bei<br />

den Schulaufgaben nicht richtig betreuen<br />

können, besteht die Gefahr, dass diese in<br />

den gleichen Teufelskreis geraten.<br />

*Fiktiver Name<br />

➥ srk-gr.ch<br />

<strong>Humanité</strong> 4/2010 19


KuRz & büNDIG<br />

Stars singen für das Rote Kreuz<br />

Als musikalisches Dankeschön an die 100<br />

Millionen Rotkreuz-Freiwilligen auf der ganzen<br />

Welt entstand das Rotkreuz-Lied «Dreamin’<br />

of the Day» mit Stars wie Paul Young,<br />

The Commodores, Christina Stürmer, Lou<br />

Bega, Udo Jürgens, Peter Maffay, Udo<br />

Lindenberg und vielen mehr. Geschrieben<br />

Grundwissen im bereich Gesundheit<br />

Die Internetplattform migesplus.ch informiert<br />

über das schweizerische Gesundheitswesen<br />

und über alle grundlegenden<br />

Gesundheitsthemen. Zum Beispiel über<br />

© shutterstock<br />

Die Hunde von REDoG müssen im Katastrophenfall<br />

Verschüttete zielsicher aufspüren<br />

können. Für Ausbildung und Prüfungen<br />

brauchen die Hunde möglichst realitätsge-<br />

wurde der Titel vom Musikproduzenten Peter<br />

Wolf. Rechtzeitig zum Jahr der Freiwilligen<br />

2011 erscheint das Lied in einer deutschen<br />

und englischen Version. Der Song<br />

wird ab sofort auf CD und online im Internet<br />

in den üblichen Musikshops verkauft. Der<br />

Verkaufserlös geht an das Rote Kreuz.<br />

Ernährung, Psyche, Bewegung, Prävention<br />

oder über die Gesundheit von Kindern und<br />

im Alter. Besonders Migrantinnen und Migranten<br />

sollen sich auf der mehrsprachigen<br />

Website in ihrer Muttersprache informieren<br />

können. Leicht verständlich wird erklärt,<br />

was man tun kann, um gesund zu bleiben<br />

oder an welche Stellen man sich wenden<br />

kann, wenn gesundheitliche Probleme auftreten.<br />

Mit diesen Informationen schliesst<br />

das Schweizerische Rote Kreuz eine Informationslücke<br />

und entwickelt die Internetplattform<br />

laufend weiter. Ein Newsletter informiert<br />

dreimal jährlich über die neuesten<br />

Publikationen und kann abonniert werden:<br />

➥ migesplus.ch<br />

Mitarbeitende von Swiss Re übten mit ReDoG<br />

© Swiss Re<br />

20 <strong>Humanité</strong> 4/2010<br />

© pro omnia<br />

© pro omnia<br />

treue Gegebenheiten und «echte opfer».<br />

Für einen Tag spielten 50 Mitarbeitende von<br />

Swiss Re diese opfer und liessen sich dafür<br />

an den beiden Einsatztests für Katastrophen-<br />

© pro omnia<br />

ausgebildete babysitter<br />

Welche Eltern wünschen sich nicht,<br />

einen verlässlichen Babysitter zu finden?<br />

Das Schweizerische Rote Kreuz kommt<br />

diesem Wunsch entgegen: Jedes Jahr<br />

bringt es rund 7500 Jugendlichen die<br />

Finessen der Kinderbetreuung bei. Die<br />

ausgebildeten Babysitter wissen, worauf<br />

es ankommt beim Schoppen geben,<br />

kennen altersgerechte Spiele und sind<br />

für die Gefahren sensibilisiert, die Kleinkindern<br />

drohen. Eltern können ihnen somit<br />

ihren Nachwuchs unbesorgt anvertrauen.<br />

Die Rotkreuz-Kantonalverbände<br />

bilden die Jugendlichen nicht nur aus,<br />

sondern vermitteln ihre Adressen auch<br />

an Eltern, die sich einen unbeschwerten<br />

Abend gönnen möchten.<br />

➥ redcross.ch/babysitting<br />

© Thomas Wüthrich<br />

hunde in Epeisses GE und Wangen a.d.A.<br />

unter Trümmern «begraben». Am Einsatztest<br />

stellten die Katastrophenhunde-Teams<br />

ihr Können unter Beweis. Der Rückversicherungskonzern<br />

hatte seine Mitarbeitenden<br />

für diesen Sozialeinsatz einen Tag von<br />

der Arbeit freigestellt. «Swiss Re ist einer<br />

langen Tradition verpflichtet, sich sozial zu<br />

engagieren. In unserer Unternehmenskultur<br />

nimmt das soziale Engagement eine wichtige<br />

Stellung ein», kommentiert Angela Marti<br />

von Swiss Re. Für Martin Österreicher, Mitglied<br />

des Group Management Board, Leiter<br />

der Division Casualty, war es eine eindrückliche,<br />

spannende Erfahrung: «Wenn auch<br />

nur einer dieser Hunde einen Menschen im<br />

Ernstfall retten kann, war es diese Übung<br />

mehrere Tausend Mal wert.»


Das SRK will symbolisch 50 000 Mal «Danke» sagen und den Freiwilligen seine Anerkennung zeigen<br />

europäisches Jahr der Freiwilligenarbeit 2011<br />

eNGaGIeRt<br />

Freiwillig. engagiert. Menschlich.<br />

Freiwilligenarbeit hat viele Formen und Gesichter. Gemeinsam ist ihnen, dass sie meist im Hintergrund bleiben.<br />

Wer im Hintergrund wirkt, bleibt oft verkannt. Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) weiss, wie viel es seinen<br />

Freiwilligen verdankt. Es will seine Anerkennung sichtbar machen.<br />

TExT: BEAT WAGNER BILDER: ANDRI PoL<br />

Für das SRK stehen tagtäglich fast<br />

50 000 Freiwillige im Einsatz bei<br />

Rettung, Betreuung, Entlastung, Unterstützung<br />

und Integration. ohne sie wäre<br />

die Hilfe für die verletzlichsten Menschen<br />

unserer Gesellschaft undenkbar. Sie leisten<br />

einen unverzichtbaren Beitrag zum<br />

Funktionieren des Gesundheits- und Sozialwesens<br />

der Schweiz. Um die Freiwilligenarbeit<br />

zu koordinieren, braucht es<br />

aber eine organisation wie das SRK. Es<br />

bietet in seinem Kompetenzgebiet Weiterbildungsmöglichkeiten<br />

an und ist eine<br />

wichtige Drehscheibe sowie Anlaufstelle<br />

für die Freiwilligen.<br />

Das SRK wird im Verlauf des nächsten Jahres<br />

der Bevölkerung zeigen, wie vielfältig,<br />

spannend und lehrreich das freiwillige Engagement<br />

ist. Anlass dafür ist das Europäische<br />

Jahr der Freiwilligenarbeit 2011. Das<br />

SRK gehört zusammen mit anderen Partnern<br />

zur Trägerschaft «Freiwilligenjahr 2011».<br />

Ein Schwerpunkt bildet eine Sensibilisierungskampagne.<br />

Dafür werden aus jedem<br />

Bereich des SRK Freiwillige fotografiert<br />

bei ihrem jeweiligen Engagement. Diese<br />

zwölf Personen stehen stellvertretend für<br />

alle rund 50 000 Freiwilligen des SRK.<br />

«<strong>Humanité</strong>» wird berichten über ihre Erlebnisse,<br />

über die Schicksale, denen sie<br />

begegnen, über die Freuden und Leiden,<br />

die sie teilen. Die erste solche Geschichte<br />

finden Sie auf der Folgeseite.<br />

Freiwillige schenken anderen ihre Anteilnahme<br />

– aus Liebe zum Menschen. Sie<br />

leben Solidarität in unserer Gesellschaft<br />

und geben damit ein Vorbild. Wir alle<br />

schulden ihnen dafür Dank.<br />

➥ freiwilligenjahr2011.ch<br />

<strong>Humanité</strong> 4/2010 21


eNGaGIeRt<br />

Rea ammann, Freiwillige Jugendrotkreuz<br />

Freundschaft auf augenhöhe<br />

Schon als 16­Jährige wollte Rea Ammann mehr als Gleichaltrige. Nicht mehr Klamotten, mehr Spass oder<br />

mehr Ferien, sondern mehr tun für andere. An einem Referat vom Schweizerischen Roten Kreuz Basel­Stadt<br />

hörte sie vor vier Jahren, dass man sich beim Jugendrotkreuz für Sozialeinsätze melden kann.<br />

TExT: TANJA PAULI BILDER: ANDRI PoL<br />

22 <strong>Humanité</strong> 4/2010


Wenn man die heute 20-Jährige von<br />

ihrem «Sozialeinsatz» erzählen<br />

hört, kommt einem dieses Wort seltsam<br />

unpassend vor. Es ist mehr damit verbunden,<br />

nämlich echte Freundschaft. Aus<br />

Respekt spricht Rea Ammann zwar ganz<br />

professionell von ihren beiden «Klienten»,<br />

aber man spürt mit jedem Satz, dass es<br />

für sie keine Arbeit im eigentlichem Sinne<br />

ist. Viel mehr eine andere Art von Freizeit,<br />

bei der beide Seiten profitieren.<br />

Für Rea Ammann war von Anfang an<br />

klar, dass sie sich am liebsten für Gleichaltrige<br />

einsetzen möchte. Das Jugendrotkreuz<br />

verfügt über eine Datenbank, um<br />

Menschen, die einen Freiwilligeneinsatz<br />

leisten möchten und solche, die einen<br />

Sozialeinsatz brauchen, zusammenzubringen.<br />

So hat sie zuerst einen ebenfalls<br />

16-jährigen jungen Mann mit einer<br />

geistigen Behinderung kennengelernt.<br />

Seine Mutter hat sie aufgeklärt über die<br />

Besonderheiten, welche die Behinderung<br />

mit sich bringt. Auch heute noch haben<br />

sie regelmässig Kontakt. Wenn der junge<br />

«Viele meinen vermutlich,<br />

man müsse etwas Besonderes<br />

können und trauen es sich<br />

nicht zu.»<br />

Mann neue Kleider braucht, ist Rea Ammann<br />

die ideale Modeberaterin. «Das<br />

ist doch was ganz anderes, ob ich als<br />

Gleichaltrige ihn begleite oder seine Mutter»,<br />

meint sie.<br />

Die heute 20-Jährige klingt lebenserfahren<br />

und reif. Es erstaunt nicht, dass sie,<br />

die mit ihrer offenen, sympathischen Art<br />

leicht auf Menschen zugehen kann, sich<br />

zur Sozialarbeiterin ausbilden lassen will.<br />

Sie spricht schnell und wirkt stets gut gelaunt,<br />

ohne überschwenglich zu werden.<br />

Sie weiss, was sie sagt und hat auf alles<br />

eine schnelle, umfassende Antwort. Nur<br />

auf die Frage, ob es an ihrem Freiwilligenengagement<br />

auch negative Aspekte<br />

gibt, kommt ihr nichts in den Sinn. Alles<br />

klingt fast selbstverständlich und einfach,<br />

dass man sich zwangsläufig fragt, warum<br />

sich nicht mehr Jugendliche für andere<br />

engagieren. «Ich denke, viele meinen<br />

vermutlich, man müsse etwas Besonderes<br />

können und trauen es sich nicht zu. oder<br />

sie wissen nicht, an welche Stelle sie sich<br />

Ein gutes Gespräch von<br />

Frau zu Frau, davon<br />

profitieren beide<br />

Rea Ammann (links) und<br />

Manuela Saladin haben<br />

sich dank dem SRK Basel-<br />

Stadt kennengelernt und<br />

sind enge Freundinnen<br />

geworden<br />

wenden können. Aber das Jugendrotkreuz<br />

berät uns ja und bietet auch Weiterbildungen<br />

an.»<br />

Rea Ammann weiss aus Erfahrung: «Behinderte<br />

Menschen wissen selber am besten,<br />

wo ihre Grenzen liegen und sagen,<br />

was möglich ist.» Schon öfters erstaunt<br />

war sie über Manuela Saladin, die auf<br />

den Rollstuhl angewiesen ist. Seit anderthalb<br />

Jahren unternehmen Rea Ammann<br />

und Manuela Saladin regelmässig etwas<br />

eNGaGIeRt<br />

zusammen. Sie gehen in eine Bar etwas<br />

trinken, ins Kino oder shoppen. Auch an<br />

der Herbstmesse Basel alle schnellen und<br />

verrückten Achterbahnen auszuprobieren,<br />

war möglich. «Das hätte ich zuerst nicht<br />

gedacht. Aber es ging einfach! Alle haben<br />

uns sofort geholfen mit dem Rollstuhl<br />

und um in die Bahnen einzusteigen. Es<br />

war toll!» Sie erzählt, dass sie schon ganz<br />

automatisch in Gedanken einen Ausflug<br />

vorausplant. Wo könnte es für den Rollstuhl<br />

Hindernisse geben? Woran ist sonst<br />

noch zu denken? «Einkaufen ist meist problemlos,<br />

ins Kino zu kommen ist schon<br />

ein bisschen umständlicher.» Ihr starkes<br />

Verantwortungsbewusstsein kommt trotzdem<br />

unverkrampft rüber. Man kann sich<br />

gut vorstellen, wie die beiden Frauen zusammen<br />

ihre Freizeit geniessen und dabei<br />

die Gehbehinderung von Manuela in den<br />

Hintergrund rückt. Eine wie Rea Ammann<br />

hat man gerne zur Freundin.<br />

➥ redcross.ch/freiwillige<br />

<strong>Humanité</strong> 4/2010 23


der letzte wille kann<br />

ein neuer anfang sein.<br />

Bitte senden Sie mir gratis den Testament-Ratgeber<br />

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Bitte nehmen Sie Kontakt mit mir auf<br />

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Schweizerisches Rotes Kreuz, Eliane Boss, Rainmattstr. 10,<br />

Postfach, 3001 Bern, E-Mail: aboservice@redcross.ch<br />

Postkonto 30-9700-0, www.redcross.ch/legat<br />

Mit einer letztwilligen Verfügung stellen Sie sicher, dass Ihr Vermögen<br />

in Ihrem Sinn und Geist verteilt wird. Der kostenlose Testament-Ratgeber<br />

des Schweizerischen Roten Kreuzes hilft Ihnen dabei. Damit Ihre Werte<br />

weiter leben.<br />

RZ_D_Inserate_E+L_101124.indd 1 24.11.10 10:27


Pakistan<br />

Nach der Flut<br />

die Winterkälte<br />

Es ist die grösste Naturkatastrophe in der Geschichte Pakistans. Die Überflutung<br />

des Flusses Indus hinterliess vom Norden bis zum Süden eine breite Spur der Zerstörung.<br />

Der Winter wird für die obdachlosen Bauernfamilien noch härter sein als früher.<br />

Das Rote Kreuz setzt sich für sie ein.<br />

TExT: KARL SCHULER BILDER: oLIVIER MATTHYS<br />

<strong>KoNKRet</strong><br />

<strong>Humanité</strong> 4/2010 25


<strong>KoNKRet</strong><br />

Man könnte den 50-jährigen Razek<br />

Fazely äusserlich für einen Schweizer<br />

Bauern halten, würde er nicht die typische<br />

Mütze der Paschtunen tragen. Auf<br />

unseren Vergleich hin lächelt der Mann<br />

mit den blauen Augen verschmitzt und<br />

meint, der Bart eines Schweizers in seinem<br />

Alter sei wohl noch nicht so ergraut<br />

vor lauter Kummer. Und wer könnte ihn<br />

nicht verstehen, seinen Kummer, wenn<br />

man seine Geschichte gehört hat? Sie<br />

steht stellvertretend für viele Kleinbauern<br />

in Pakistan.<br />

Die Geschichte von Razek Fazely<br />

Das Überleben war schon vor der Naturkatastrophe<br />

schwierig für den Pachtbauern.<br />

Er lebt mit seiner Frau und den sieben<br />

Kindern im Dorf Agra in der Nähe von<br />

Charsadda (s. Karte). Sein Hof liegt über<br />

Die Flut zerstörte das Haus<br />

und vernichtete die existenzgrundlage<br />

der Bauernfamilie.<br />

einen Kilometer entfernt von einem Nebenfluss<br />

des Indus. Dennoch wurde dieser<br />

Ende Juli überflutet. Dies bedeutete für ihn<br />

den Verlust seiner ganzen Existenzgrundlage.<br />

Die Familie brachte sich auf dem<br />

Flachdach in Sicherheit. «Meine Frau und<br />

die jüngeren Kinder wurden nach vier<br />

aPRoPoS<br />

Indus – von der Lebensader zur Bedrohung<br />

Mit dem Amazonas oder dem Nil, die mit über 6500 Kilometern<br />

als die längsten Flüsse der Welt gelten, kann er<br />

zwar nicht mithalten. Trotzdem ist der 3180 Kilometer lange<br />

Indus der grösste Fluss des indischen Subkontinentes. Er<br />

entspringt im Tibet und fliesst bei Karachi in das Arabische<br />

Meer. Dabei durchquert er Pakistan der Länge nach von<br />

Norden bis zum Süden. Er sorgt für fruchtbaren Boden und<br />

somit für reiche Ernten von Weizen, Reis, Zuckerrohr und<br />

Baumwolle. Durch die ausserordentlich heftigen Monsunregen<br />

überflutete der Indus ab Ende Juli ganze Landstriche.<br />

Vor allem in den Provinzen Punjab und Sindh im Süden des<br />

Landes ist der Fluss auf eine Breite von bis zu 20 Kilometern<br />

angeschwollen und hat Millionen von Menschen in die<br />

Flucht getrieben. Landlose Bauern, die in einem feudalen<br />

System von den Grossgrundbesitzern abhängen, verloren<br />

ihre Existenzgrundlage. Auch die Pacht- und Kleinbauern<br />

im Norden des Landes sind stark betroffen.<br />

26 <strong>Humanité</strong> 4/2010<br />

Razek Fazely hat wie Millionen Bauern alles verloren<br />

Tagen von einem Helikopter gerettet», erzählt<br />

er. «Ich habe mit den älteren Söhnen<br />

ausgeharrt und den Hausrat bewacht.»<br />

Heute türmt sich der kompakte Schlamm<br />

fast bis zum Dach des langgezogenen<br />

Hauses aus Lehm und Ziegelstein. Um<br />

vor der Instandstellung diese feste Schuttmasse<br />

abzutragen, muss bei einem Baugeschäft<br />

ein Bagger gemietet werden.<br />

Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK)<br />

übernimmt dafür die Kosten und unterstützt<br />

ihn und die anderen Kleinbauern in<br />

IRAN<br />

180 km<br />

AFGHANISTAN<br />

Belutschistan<br />

Karatschi<br />

dieser Gegend so ganz direkt, damit der<br />

Wiederaufbau überhaupt möglich wird.<br />

Zusätzlich braucht Razek Fazely Getreide-Saatgut,<br />

damit er wenigstens nächstes<br />

Jahr wieder ernten kann.<br />

Kleinbauern sind auf<br />

Nahrungshilfe angewiesen<br />

Der Bezirk Charsadda liegt in der Provinz<br />

Khyber Pakhtunkhwa im Norden Pakistans<br />

und wurde zusammen mit dem benachbarten<br />

Swat-Tal besonders stark von<br />

den Überschwemmungen heimgesucht.<br />

Hier leben eine Million Menschen, die<br />

hauptsächlich in der Landwirtschaft tätig<br />

sind. Die grosse Mehrheit als kleine Pachtbauern<br />

wie Razek Fazely. Über die Hälfte<br />

der Bevölkerung ist von den Fluten betroffen,<br />

indem sie entweder Land und Ernte<br />

verloren haben oder ihr Haus ganz oder<br />

teilweise zerstört wurde. Mais und Reis<br />

haben sie vor allem angebaut, um sich<br />

selber zu versorgen. Die Zuckerrohrfelder<br />

waren ihre Einkommensquelle. Nun ist<br />

alles zerstört. Um die Not zu lindern, entschloss<br />

sich der lokale Rote Halbmond mit<br />

Unterstützung des SRK, die bedürftigsten<br />

20 000 Familien während zwei bis vier<br />

Monaten mit Nahrungsrationen zu unterstützen.<br />

Monatlich erhält jede Familie<br />

insgesamt 30 Kilo Mehl, Linsen, Speiseöl,<br />

Zucker, Salz und Gewürze. «Sämtliche<br />

Indus Indus Indus<br />

Waziristan<br />

Sindh<br />

Charsadda<br />

Peschawar<br />

Indus<br />

Indus<br />

Sukkur-Damm<br />

Sukkur<br />

Hyderabad<br />

Grafik: Loris Succo,<br />

© Neue Luzerner Zeitung<br />

Khyber-<br />

Pakhtunkhwa<br />

FLUT IN<br />

PAKISTAN<br />

Multan<br />

Punjab<br />

Gilgit-<br />

Baltistan<br />

INDIEN<br />

Islamabad<br />

Mässig betroffen<br />

Stark betroffen<br />

Staudämme


Noch ist das Haus von Adnan unbewohnbar – das SRK setzt Bagger ein, die den Schutt abtragen<br />

Die Menschen sind in ihre Dörfer zurückgekehrt und improvisieren ihr Leben draussen<br />

Nahrungsmittel beschaffen wir im Land<br />

selber. Wir geben den Leuten das, was<br />

sie kennen und schätzen», meint der SRK-<br />

Logistiker Franz Lankeshofer.<br />

ein Winter-Camp beim Bahnhof<br />

In den Sommermonaten fanden viele Flutopfer<br />

ein vorübergehendes obdach in<br />

Schul- und Spitalgebäuden. Ab oktober<br />

mussten sie diese jedoch verlassen, da<br />

der Schulbetrieb wieder aufgenommen<br />

Das SRK versorgte die<br />

Menschen im provisorischen<br />

Camp mit Zelten, Decken,<br />

Öfen und Haushaltartikeln.<br />

wurde und die Spitäler den Platz für ihre<br />

Patienten beanspruchten. Die meisten<br />

zogen in ihre Dörfer zurück. So wie Razek<br />

Fazely, der – wie so manche ande-<br />

re auch – ein zerstörtes Haus vorfand.<br />

Viele aber liessen sich am Strassenrand<br />

oder auf freiem Feld nieder, wo sie angesichts<br />

des hereinbrechenden Winters<br />

von der Kälte bedroht sind. Deshalb hat<br />

das engagierte Team des lokalen Pakistanischen<br />

Roten Halbmondes beschlossen,<br />

auf dem Gelände des stillgelegten<br />

Bahnhofes der Stadt ein Camp mit Zelten<br />

Dr. Nakash vom Roten Halbmond behandelt die Patienten<br />

im stillgelegten Bahnhof<br />

aPRoPoS<br />

<strong>KoNKRet</strong><br />

Rotkreuzhilfe in pakistan<br />

Die Fluten in Pakistan machten 12 Millionen<br />

Menschen obdachlos und<br />

zerstörten grossflächig die Felder.<br />

Tausende von Freiwilligen des Pakistanischen<br />

Roten Halbmondes leisteten<br />

Überlebenshilfe für die Flutopfer.<br />

Das SRK setzte für die Soforthilfe<br />

2,5 Millionen Franken ein. Dabei arbeitete<br />

das logistische und medizinische<br />

Team vor ort eng mit dem lokalen<br />

Roten Halbmond zusammen. In den<br />

am stärksten betroffenen Provinzen des<br />

Sindh im Süden, Punjab im Zentrum<br />

und Khyber Pakhtunkhwa im Norden,<br />

er hielten 30 000 Familien alle zwei<br />

Wochen eine Nahrungsration aus<br />

30 Kilo Linsen, Mehl, Speiseöl, Salz,<br />

Zucker und Tee. In mehreren Camps<br />

verteilte das SRK ausserdem 700<br />

Zelte sowie Haushaltsortimente und<br />

hygienische Artikel. Für die nächsten<br />

zwei bis drei Jahre beteiligt sich das<br />

SRK vor allem im nördlichen Distrikt<br />

Charsadda am Wiederaufbau der<br />

Existenzgrundlage von Pachtbauern<br />

sowie an der Infrastruktur im Gesundheitsbereich.<br />

und Trinkwasser für 150 Familien einzurichten.<br />

Das SRK lieferte die Zelte, Decken, Öfen<br />

und Haushaltsortimente. Im ehemaligen<br />

Wartesaal des Bahnhofgebäudes werden<br />

Patientinnen und Patienten des Camps und<br />

der umliegenden Wohnviertel von einem<br />

medizinischen Team betreut. «Wir behandeln<br />

vorwiegend Durchfallerkrankungen<br />

und Hautentzündungen», sagt der zuständige<br />

Arzt Dr. Nakash. «Ebenso wichtig ist<br />

jedoch die Information der Bevölkerung<br />

darüber, wie sich Krankheiten durch bessere<br />

Hygiene vermeiden lassen. Viele<br />

Frauen sind auch am Thema Familienplanung<br />

interessiert.» Das seit Jahren stillgelegte<br />

Bahnhofgelände von Charsadda ist<br />

auf unerwartete Weise neu belebt worden.<br />

Es wurde zum grossen Wartesaal, in dem<br />

alle auf einen besseren Frühling hoffen.<br />

➥ redcross.ch/pakistan<br />

<strong>Humanité</strong> 4/2010 27


© Shutterstock<br />

«2 � Weihnachten» ist eine gemeinnützige Aktion und wird vom 24.12.2010 bis 08.01.2011 bereits<br />

zum 14. Mal vom Schweizerischen Roten Kreuz, der Schweizerischen Post und der SRG SSR idée suisse<br />

gemeinsam durchgeführt. Spenden Sie während der Weihnachtszeit Lebensmittel und Artikel des<br />

täglichen Bedarfs für bedürftige Menschen im In- und Ausland.<br />

So funktioniert es<br />

Packen Sie Ihre Geschenke in eine ganz normale Kartonschachtel.<br />

Das Paket bringen Sie auf die Post und sagen<br />

am Schalter, dass es sich um ein «2 � Weihnachten»-Paket<br />

handelt. Die Post transportiert Ihr Paket kostenlos zum<br />

Schweizerischen Roten Kreuz. Oder kaufen Sie Ihr Paket<br />

online unter www.2xweihnachten.ch<br />

Eine Aktion von:<br />

2 � Weihnachten<br />

Weil Schenken Freude macht<br />

Tipps für Ihr Paket<br />

Besonders erwünscht sind Lebensmittel wie Teigwaren, Reis<br />

und Konserven, die noch mindestens sechs Monate haltbar<br />

sind. Auch Hygiene- und Toilettenartikel, Schulmaterial und<br />

neue Kinderschuhe werden dankbar entgegengenommen.<br />

Spenden Sie bitte keine Kleider, da hier der Bedarf bereits<br />

durch die Altkleidersammlungen abgedeckt ist. Bei Plüsch-<br />

tieren übersteigen die Gaben immer wieder die Nachfrage.


Karibische Küche<br />

ein bunter Mix<br />

Heute nennt es sich trendig «Fusion Kitchen», wenn Kochrezepte aus<br />

unterschiedlichen Kulturen abgeändert und kombiniert werden. Dabei ist<br />

es nichts Neues, mit verschiedenen Kochrichtungen zu experimentieren.<br />

In der Karibik haben seit Hunderten von Jahren die verschiedensten<br />

Völker genau das getan.<br />

TExT: TANJA PAULI<br />

In Haiti wird meist unter freiem Himmel gekocht. Im<br />

Hintergrund rechts ein sturmsicheres Haus, welches vom<br />

SRK errichtet wurde.<br />

Die karibische Küche spiegelt die<br />

rund 1500-jährige Geschichte der<br />

Inselgruppe. Völker aus völlig unterschiedlichen<br />

Kulturen haben ihre Spuren<br />

hinterlassen: Die Ureinwohner, die diese<br />

Region vor der Landung der Europäer<br />

besiedelten, die Europäischen Kolonialmächte<br />

(Grossbritannien, Spanien, Frankreich,<br />

Niederlande), die Sklaven aus Afrika<br />

und schliesslich auch Menschen aus<br />

Indien, die im 19. und 20. Jahrhundert<br />

als Arbeitskräfte geholt wurden. Die traditionellen<br />

Rezepte dieser Völker wurden<br />

vermischt und mit karibischen Gemüsesor-<br />

ten und Früchten ergänzt. Auch wenn allgemein<br />

der Begriff Karibische Küche als<br />

oberbegriff verwendet wird, hat die unterschiedliche<br />

Geschichte der einzelnen<br />

Inseln und Küstenregionen zu eigenen lokalen<br />

und regionalen Küchen geführt, die<br />

sich trotz vieler Gemeinsamkeiten unterscheiden.<br />

In Haiti würzt man die Speisen<br />

zwar für den europäischen Geschmack<br />

recht intensiv, aber weniger scharf als in<br />

anderen Regionen. Man nimmt an, dass<br />

die haitianische Küche weniger von der<br />

indischen beeinflusst wurde. Es darf auch<br />

nicht ausser Acht gelassen werden, dass<br />

der Grossteil der Menschen über die Jahrhunderte<br />

hinweg arm war. Armut ist heute<br />

noch ein Problem in vielen Teilen der Karibik<br />

und ganz besonders in Haiti.<br />

Am Sonntag ein Festmahl<br />

Das Rezept mit Poulet, das wir hier vorstellen,<br />

ist deshalb kein Alltagsgericht, sondern<br />

ein wahres Sonntagsessen. Es stammt<br />

von Myrlande Buendia, die ihre Kindheit<br />

in Haiti verbracht hat und sich noch genau<br />

erinnert: «Der Sonntag war ein Festtag für<br />

alle haitianischen Arbeiterfamilien. Es war<br />

der einzige Tag, an dem man es sich leisten<br />

konnte, dieses köstliche Pouletgericht<br />

zuzubereiten. Die Kinder und die Erwachsenen<br />

sehnten den Tag ungeduldig herbei.<br />

Man war immer zu irgendeinem onkel<br />

oder einer Tante eingeladen, um gemeinsam<br />

dieses Festmahl zu geniessen. Ich<br />

habe mich immer gefragt, wer eigentlich<br />

die Ungeduldigeren waren – die Kinder<br />

oder die Erwachsenen!»<br />

➥ magazin-humanite.ch/rezepte<br />

aPRoPoS<br />

KReuz & queR<br />

poulet nach haitianischer Art<br />

Für 4 Personen<br />

Zutaten: 1 Freilandpoulet, ca. 1,7 kg,<br />

1 kleine Limette, halbiert, Salz und Pfeffer,<br />

2 Esslöffel (30 ml) Zitronensaft, 3<br />

bis 4 Gewürznelken, 2 Teelöffel (10 ml)<br />

scharfe Sauce der Marke «Matouk‘s»<br />

oder Tabasco, 2 Knoblauchzehen,<br />

gehackt, 2 Zweiglein Petersilie, fein<br />

gehackt, 2 Esslöffel (30 ml) Tomatenpüree,<br />

¾ Tasse (180 ml) Wasser, ¼ Tasse<br />

(60 ml) Pflanzenöl, 1 Stückchen Butter,<br />

1 mittelgrosse Zwiebel<br />

Zubereitung<br />

1. Die Haut des Poulets entfernen. Das<br />

Poulet in Stücke schneiden und diese in<br />

eine grosse Schüssel legen. Das Poulet<br />

mit den Limettenhälften einreiben, mit<br />

Wasser spülen und das Wasser wegleeren.<br />

2. Salz, Pfeffer, Zitronensaft, Nelken,<br />

Sauce, Knoblauch und Petersilie mischen.<br />

Das Poulet mit dieser Marinade<br />

gut einreiben und im Kühlschrank zwei<br />

Stunden ziehen lassen.<br />

3. Das Tomatenpüree mit Wasser verdünnen.<br />

4. Das Öl in einem Schmortopf erhitzen<br />

und die Pouletteile darin anbraten. Den<br />

Saft der Marinade auffangen und mit<br />

dem Tomatenpüree mischen. Wenn die<br />

Pouletstücke rundum gut angebraten<br />

sind, die Zwiebel beigeben. Die Tomatensauce<br />

über das Fleisch geben und<br />

ein Stückchen Butter darauf legen. Zugedeckt<br />

auf kleinem Feuer eine Stunde<br />

lang köcheln lassen. Vor dem Servieren<br />

mit Salz und Pfeffer abschmecken.<br />

Teigwaren, Reis oder Gemüse dazu<br />

servieren.<br />

© bab.ch/Stockfood<br />

<strong>Humanité</strong> 4/2010 29


kreuz & quer<br />

Für <strong>Humanité</strong> zeichnet «Karma» alias Marco Ratschiller. Er ist Cartoonist und Chefredaktor des Satire-<strong>Magazin</strong>s Nebelspalter.<br />

labyrinth<br />

Vom Start bis ans Ziel wird der Weg mit feinen Linien markiert.<br />

Den gefundenen Weg ausfüllen – und schon erscheint das Bild.<br />

30 <strong>Humanité</strong> 4/2010<br />

( C ) C o n c e p t i s P u z z l e s<br />

4 0 0 2 5 0 1<br />

HuMANITé 3/2010<br />

Lösungswort des letzten Kreuzworträtsels:<br />

FRIeDeNSNoBeLpReIS<br />

Wir gratulieren den Gewinnerinnen<br />

und Gewinnern:<br />

Erika Baumgartner, Mollis<br />

Trudi Clematide, Gossau<br />

Lotti Küng, Wohlen<br />

Robert Perrinjaquet, Boudry<br />

Anne-Marie Riat, Bure<br />

Übrige Lösungen der letzten<br />

Ausgabe:<br />

3<br />

6<br />

1<br />

2<br />

8<br />

5<br />

4<br />

9<br />

7<br />

5<br />

1<br />

8<br />

6<br />

4<br />

7<br />

3<br />

9<br />

2<br />

2<br />

5<br />

4<br />

1<br />

9<br />

7<br />

6<br />

8<br />

3<br />

2<br />

4<br />

6<br />

3<br />

5<br />

9<br />

8<br />

7<br />

1<br />

9<br />

8<br />

7<br />

3<br />

4<br />

6<br />

5<br />

2<br />

1<br />

7<br />

9<br />

3<br />

2<br />

1<br />

8<br />

5<br />

6<br />

4<br />

6<br />

4<br />

2<br />

9<br />

5<br />

1<br />

7<br />

3<br />

8<br />

3<br />

8<br />

1<br />

4<br />

7<br />

6<br />

9<br />

2<br />

5<br />

8<br />

1<br />

3<br />

6<br />

7<br />

4<br />

9<br />

5<br />

2<br />

4<br />

6<br />

5<br />

9<br />

2<br />

1<br />

7<br />

8<br />

3<br />

7<br />

9<br />

5<br />

8<br />

3<br />

2<br />

1<br />

6<br />

4<br />

9<br />

2<br />

7<br />

5<br />

8<br />

3<br />

1<br />

4<br />

6<br />

1<br />

2<br />

9<br />

7<br />

6<br />

3<br />

8<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

4<br />

8<br />

3<br />

5<br />

2<br />

1<br />

9<br />

5<br />

7<br />

6<br />

4<br />

2<br />

8<br />

3<br />

1<br />

9<br />

8<br />

3<br />

2<br />

1<br />

9<br />

4<br />

6<br />

5<br />

7<br />

4<br />

3<br />

8<br />

5<br />

1<br />

9<br />

2<br />

7<br />

6<br />

06010016102<br />

1<br />

5<br />

9<br />

7<br />

6<br />

2<br />

4<br />

3<br />

8<br />

06010014902<br />

Die Lösung zum Sudoku, zum Wortsuchspiel<br />

und zum Labyrinth finden<br />

Sie in der nächsten Ausgabe oder im<br />

Internet.<br />

➥ magazin-humanite.ch<br />

4 0 0 0 6 1 2


Kreuzworträtsel<br />

GeWINNeN<br />

Wir verlosen unter allen korrekt<br />

eingeschickten Lösungswörtern des<br />

Kreuzworträtsels fünf Armbanduhren<br />

mit Rotkreuz-Emblem. Die formschöne<br />

Uhr aus Edelstahl mit Lederarmband<br />

ist bis 100 m wasserdicht.<br />

Senden Sie das Lösungswort und<br />

Ihre Adresse in einem E-Mail an<br />

crosswords@redcross.ch oder<br />

auf einer Postkarte an:<br />

Schweizerisches Rotes Kreuz<br />

<strong>Magazin</strong> «<strong>Humanité</strong>»<br />

postfach<br />

3001 Bern<br />

Einsendeschluss:<br />

10. Januar 2011<br />

Wortsuchspiel<br />

Sudoku<br />

kreuz & quer<br />

Füllen Sie die leeren Felder mit<br />

den Zahlen von 1 bis 9. Dabei<br />

darf jede Zahl in jeder Zeile,<br />

jeder Spalte und in jedem der<br />

neun 3 x 3-Blöcke nur einmal<br />

vorkommen.<br />

Finden Sie die 20 Wörter horizontal, vertikal und diagonal.<br />

Die Buchstaben können für mehrere Wörter gelten.<br />

8<br />

1<br />

4<br />

3<br />

4<br />

3<br />

6<br />

2<br />

3<br />

8<br />

5<br />

2<br />

7<br />

6<br />

3<br />

4<br />

1<br />

2<br />

3<br />

9<br />

4<br />

3<br />

9<br />

8<br />

1<br />

6<br />

1<br />

9<br />

2<br />

6<br />

8<br />

7<br />

5<br />

7<br />

2<br />

9<br />

7<br />

3<br />

9<br />

3<br />

5<br />

8<br />

C o n c e p t i s P u z z l e s 06010016103<br />

5<br />

9<br />

9<br />

4<br />

7<br />

3<br />

2<br />

6<br />

9<br />

1<br />

6<br />

5<br />

6<br />

8<br />

7<br />

4<br />

1<br />

8<br />

C o n c e p t i s P u z z l e s 06010014903<br />

<strong>Humanité</strong> 4/2010 31


Suchdienst SRK<br />

ein Vergissmeinnicht –<br />

weil wir die Verschwundenen<br />

nicht vergessen,<br />

sondern nach ihnen suchen.<br />

unsere Hilfe braucht<br />

Ihre Spende.<br />

Postkonto 30-9700-0

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