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Morgen Kinder wirds was geben - Dr. Andreas Weber

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GREENPEACE MAGAZIN X.XX Fotos: XXBlind STAND > satzspiegel; text nach oben (linkKürzlich fragte ich unvorsichtigerweisemeine Tochter nach ihrerMeinung bei Tisch. Ich hatte, wiemeist mittags in der Woche, gekocht. Ein bisscheneilig vielleicht. Wie häufig Pasta. Wie immer – sowar ich sicher – mit Liebe. Emma, acht Jahre alt,hatte gerade die nach dem Rezept einer italienischenFreundin hergestellte Salsa mit frischen Zutatender Saison verschmäht und ihre Nudeln unter einerSchlackeschicht aus Butter, Zimt und Zucker beerdigt.Mit der Betonung auf Zucker.Ich fragte sie: „Was ist der schlimmste Fehler,den Eltern bei der Ernährung der <strong>Kinder</strong> machenkönnen?“Emmas Antwort kam mit vollem Mund, aus demdie braunsaftigen Zuckerspaghetti baumelten: „Dasses zu wenig Erdbeeren mit Schlagsahne gibt!“Ein Seufzer der Resignation von der anderen Tischseite.Ich brauchte meine Frau gar nicht anzusehen.Sanft widersprach ich, mit Blick auf meineschlürfende Tochter: „Gerade nicht. Ich habe gelernt,dass Eltern sich nach zwei Grundregeln richten sollen.Erstens: Sie bestimmen, wie viel eingekauft wirdund <strong>was</strong> auf dem Tisch steht. Zweitens: Die <strong>Kinder</strong>entscheiden, <strong>was</strong> sie davon essen und wie viel. Somachen wir das jetzt auch.“„Aber das geht doch gar nicht!“, unterbrach michmeine Tochter empört. „Das stimmt doch bei unsalles nicht! Die Schokolade ist alle! Gummibärchenauch! Das ist doch alles aufgefressen!“Wer über Essen spricht, redet unweigerlich übersich selbst. Wer sich damit beschäftigt, welcheNahrung <strong>Kinder</strong> zu sich nehmen sollen, warum, wieviel, und zu welchem Zweck – der spricht nicht alleinüber Kalorien und Spurenelemente, sondern immerzugleich über Familie. Auch über die eigene. Überdas, <strong>was</strong> sie gelingen lässt, <strong>was</strong> sie zusammenhält„Von einem Menschen gezwungen zu werden,bestimmte Gerichte zu sich zu nehmen“, so der TherapeutJesper Juul, „ist wie zum Sex gezwungen zu werden.“und <strong>was</strong> sie in Schieflage bringt. Wer über die Speisegewohnheitenvon <strong>Kinder</strong>n nachdenkt und darüber,welche Art der Ernährung für sie gesund ist, ihrerSeele guttut und das Band zwischen ihnen und denEltern stärkt, der findet sich mitten in der Psychologiedes chaotischen Mini-Kosmos am häuslichenEsstisch wieder.Es ist ganz einfach so: Wer über <strong>Kinder</strong> und Essenschreibt, schreibt über die Liebe.Die Tischsituation birgt in vielen Familien echtesKatastrophenpotenzial – auch heute noch. Zwarmüssen sich Eltern hierzulande meistens nicht mehrdamit abquälen, hungrige Mäuler zu stopfen. Beiuns lassen sich selbst mit geringem Budget <strong>Kinder</strong>wachstums gerecht versorgen. Noch nie waren soviele hochwertige Nährstoffe so preiswert aufzutreibenwie heute in den Industriestaaten.Und dennoch: Fragt man Eltern, dann machenAngst und schlechtes Gewissen, dass ihre Kleinenzu viel oder zu wenig essen, dass sie vom Essen zufett werden oder zu mager, zu träge oder schlecht inder Schule, einen besonders schmerzlichen Teil derErziehungsqualen aus.Der Esstisch ist die real gewordene Familienhölle.Die Psychologin Annette Kast-Zahn verweistin ihrem Buch „Jedes Kind kann richtig essen“ aufeine nicht repräsentative Umfrage unter 400 Elternpaaren.Diese wurden in einer Arztpraxis nach denEssgewohnheiten ihrer vier bis fünf Jahre altenSprösslinge befragt. Das Ergebnis: 20 bis 30 Prozentder Eltern empfanden das Essverhalten ihrer Kleinenals problematisch. Entweder befürchteten sie, die<strong>Kinder</strong> äßen zu einseitig. Oder sie hatten Angst, dasssie zu wenig zu sich nähmen.Zu wenig! Und das im Zeitalter der Adipositas.Im Jahr 2006 veröffentlichte das Robert-Koch-Institutdie groß angelegte „Studie zur Gesundheit von<strong>Kinder</strong>n und Jugendlichen in Deutschland“ (KiGGs).14.000 <strong>Kinder</strong> und Jugendliche wurden untersucht.Das erschreckende Ergebnis: Jedes sechste deutscheKind ist zu dick.Vor diesem Hintergrund könnte man meinen,Papa und Mama fahndeten ängstlich nach möglichenSpeckfalten am Bauch ihrer Kleinen. Aber weit gefehlt:Nur drei Prozent der Eltern, so Kast-Zahn,trieb diese Sorge um. Auch heute noch, in Zeiten desÜberflusses, bangen Eltern offenbar darum, ob ihreKleinen genug bekommen. Zu wenig und zu einseitigalso essen die <strong>Kinder</strong> nach Meinung vieler Eltern.Sie verzweifeln etwa daran, dass sie wochenlang aufNudeln-ohne-alles bestehen. Dass sie ihr Demeter-Gemüse ausnahmslos von der Gabel auf den Tellerzurückplatschen lassen – von theatralischem Würgenuntermalt. Dass sie überhaupt nur Ketchup zu sichnehmen, und dabei laut schmatzen, die Ellenbogenauf den Tisch gestützt wie ein Bierkutscher. Dass siebeim Sonntagsfrühstück bei Freunden fünf EsslöffelZucker im Tigerenten-Tee versenken.Wer selbst Nachwuchs hat oder ein bisschen Feldforschungbetreibt, stellt erstaunt fest: Das Überangebotan Speisen bewirkt paradoxerweise keine Entspannungbei Tisch. Eher eine Verschiebung4 5

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