Pioniere | Vor 15 Jahren begann im Landkreis Soltau das Biogas ...
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TIITELTHEMA<br />
Die Zukunft <strong>im</strong> Blick<br />
<strong>Pioniere</strong> | <strong>Vor</strong> <strong>15</strong> <strong>Jahren</strong> <strong>begann</strong> <strong>im</strong> <strong>Landkreis</strong> <strong>Soltau</strong> <strong>das</strong> <strong>Biogas</strong>-Zeitalter. Damals beschlossen 20<br />
Landwirte, eine Baugruppe zu bilden und auf ihren Höfen <strong>Biogas</strong>anlagen zu integrieren. Damit betra-<br />
ten sie Neuland. Denn damals hatte man kaum Erfahrung mit der exotischen Technik. Das erworbe-<br />
ne Know-how wurde später in eine Firma für Anlagenbau eingebracht.<br />
28 | joule 5.2010
Heinrich Weseloh (rechts) und Wilken Corleis<br />
joule 5.2010 | 29
TITELTHEMA<br />
Es beginnt mit einer Meldung<br />
der Landwirtschaftskammer<br />
in Lüneburg: in<br />
einem Rundschreiben kündigt<br />
die Kammer <strong>im</strong> Sommer 1995<br />
an, <strong>das</strong>s die Bundesregierung in<br />
Bonn ab August erstmals den<br />
Bau von Behältern für die <strong>Biogas</strong>erzeugung<br />
fördert. Das Rundschreiben<br />
geht auch bei der<br />
Landberatung in <strong>Soltau</strong> in Nie-<br />
Mitte der Achtziger Jahre produzierten<br />
in Bayern 50 Landwirtschaftsbetriebe<br />
<strong>Biogas</strong>. Viele<br />
dieser ersten Pilotanlagen liefen<br />
nur wenige Jahre. Die Anlage<br />
von Peter Meitinger <strong>im</strong> <strong>Landkreis</strong><br />
Aichach-Friedberg liefert noch<br />
heute nachhaltiges <strong>Biogas</strong>.<br />
Gut fürs Dorf<br />
Rückblick: 1982 betreibt der damals<br />
26-Jährige einen Schweinemastbetrieb<br />
mit 49 ha Fläche.<br />
Für <strong>das</strong> Thema <strong>Biogas</strong> interessiert<br />
sich Meitinger zu diesem<br />
Zeitpunkt bereits seit mehreren<br />
<strong>Jahren</strong>. Nicht Gewinnaussichten<br />
befeuern seine Neugier, sondern<br />
konkrete Ideen, wie er seine<br />
Betriebsabläufe verbessern<br />
30 | joule 5.2010<br />
dersachsen ein. Es kommt auf<br />
den Tisch von Manfred Dannenfeld,<br />
seinerzeit Chef der Landberatung.<br />
„Be<strong>im</strong> Lesen der Meldung fiel<br />
Dannenfeld auf, <strong>das</strong>s die Regierung<br />
keine <strong>Vor</strong>gaben machte,<br />
wie groß die Gärfläche max<strong>im</strong>al<br />
sein sollte”, sagt Hinrich<br />
Prigge, der Nachfolger Dannenfelds.<br />
„Es war nur angegeben,<br />
kann: Erstens soll die vergärte<br />
Gülle eine pflanzenverträglichere<br />
Düngung ermöglichen. Zweitens<br />
will Meitinger seinen Nachbarn<br />
entgegenkommen: In seinem<br />
Dorf führt er den einzigen Vollerwerbsbetrieb<br />
mit intensiver<br />
Viehhaltung. Wenn er die Frischgülle<br />
auf den Acker bringt, beschweren<br />
sich die Bewohner<br />
über den Gestank. Das soll sich<br />
mit vergärter Gülle ändern. Drittens<br />
will er Stall, Haus und Herd<br />
mit <strong>Biogas</strong> versorgen. Wie ernst<br />
Peter Meitinger den Bau einer <strong>Biogas</strong>anlage<br />
realisieren will, zeigt<br />
sich bereits auf seiner Hochzeit:<br />
Zu dieser wünscht er sich einen<br />
Gasherd – den er auch bekommt<br />
und der bis heute mit <strong>Biogas</strong><br />
Töpfe erwärmt.<br />
<strong>das</strong>s man 200 DM pro m 3 Gärfläche<br />
bekam.” Denn tatsächlich<br />
kostet es damals nur 80 DM, einen<br />
m 3 Gärfläche neu zu bauen,<br />
sagt Prigge. Das heißt, wer<br />
die staatliche Förderung in Anspruch<br />
n<strong>im</strong>mt, bekommt nicht<br />
nur die echten Baukosten erstattet,<br />
sondern noch 120 DM pro m 3<br />
zusätzlich. <strong>15</strong> Jahre später lässt<br />
sich nicht mehr klären, wie und<br />
Nach längerer Bauphase mit<br />
Unterstützung der Bayerischen<br />
Landesanstalt für Landtechnik<br />
n<strong>im</strong>mt er seine eigene <strong>Biogas</strong>anlage<br />
1982 endlich in Betrieb.<br />
Insgesamt investiert er 70.000<br />
warum damals die Regierung<br />
mehr Geld zur Verfügung stellt<br />
als nötig. Im Ministerium in Berlin<br />
gebe es heute keine Mitarbeiter<br />
mehr, die damals mit den<br />
Details befasst waren, sagt ein<br />
Sprecher des Landwirtschaftsministeriums.<br />
Für die Abwicklung<br />
der Anträge und die Bewilligung<br />
des Geldes war <strong>das</strong> Bundesamt<br />
für Wirtschaft zuständig, sagt er.<br />
„Die <strong>Biogas</strong>anlage passt genau in unseren Betrieb“<br />
Foto: Rouven Zietz<br />
1<br />
DM. Das Finanzamt erstattet ihm<br />
5.000 DM als Investitionszulage.<br />
Er entscheidet sich zunächst für<br />
ein exotisches Konzept:<br />
Ein 60 m 3 Stahlbehälter, der als<br />
Gärraum fungiert, schw<strong>im</strong>mt wie
1. Die 500kW-<strong>Biogas</strong>anlage von<br />
Heinrich Weseloh liegt <strong>im</strong> <strong>Landkreis</strong><br />
<strong>Soltau</strong><br />
2. Weseloh beschickt seine Anlage<br />
unter anderem mit Getreide<br />
Dort heißt es, man habe 1995 und 1996<br />
den Bau von insgesamt 170 <strong>Biogas</strong>anlagen<br />
finanziert und dafür umgerechnet rund 4<br />
Mio. € ausgegeben. Ein kleiner Teil davon<br />
wird nach <strong>Soltau</strong> überwiesen.<br />
Denn dort ist Manfred Dannenfeld der<br />
Gedanke gekommen, <strong>das</strong>s man mit dem<br />
zusätzlichen Geld einen Teil der Baukosten<br />
abdecken könnte, um eine <strong>Biogas</strong>anlage<br />
zu bauen, sagt Prigge. Dannenfeld ruft eine<br />
Versammlung ein und stellt die Idee zur<br />
eine Flasche in einem beheizten Wasserbad.<br />
Der Wasserbehälter ist aus Beton und<br />
innen mit einer dicken Folie ausgekleidet.<br />
Ein 0,5 PS starker Motor dreht den Behälter<br />
und mischt die Gülle. Doch schon kurz<br />
nach den ersten Betriebsstunden stellen<br />
Meitinger und seine Helfer fest, <strong>das</strong>s die<br />
eingesetzte Folie <strong>im</strong> Wasserbad dem massiven<br />
Gewicht nicht standhält. Das Becken<br />
ist undicht. Alle Versuche, die Folie dauerhaft<br />
abzudichten, scheitern.<br />
Drei Jahre später beginnen Meitinger und<br />
Landtechnik-Mitarbeiter, die Anlage zu<br />
sanieren. Der Stahltank wird nun am Boden<br />
befestigt. Die Heizungsrohre sind jetzt<br />
direkt <strong>im</strong> Gärbehälter eingebaut. Ein Gebläsebrenner<br />
und Ofen, überhalb der Anlage,<br />
beheizen <strong>das</strong> Substrat auf 35 Grad.<br />
Ein Güllequirl, mit einem 10 PS-Motor,<br />
Gezeigt: Landwirt Peter Meitinger<br />
vor seiner <strong>Biogas</strong>anlage, die er 1982<br />
in Betrieb genommen hat.<br />
Diskussion. 20 Landwirte erklären sich bereit,<br />
eine Baugruppe zu bilden; bald darauf<br />
beginnen die nötigen Planungen und <strong>Vor</strong>bereitungen.<br />
Initiator und Kopf der Gruppe<br />
ist Landwirt Hans-Hermann Jacobs.<br />
Jacobs geht seit <strong>Jahren</strong> die Idee <strong>im</strong> Kopf<br />
rum, auf seinem Hof <strong>Biogas</strong> zu produzieren.<br />
Ende der achtziger Jahre hat er zu ersten<br />
Mal eine Anlage gesehen, bei einem<br />
Bekannten.<br />
Erste Möglichkeit für Landwirte<br />
Seitdem lässt ihn <strong>das</strong> Thema nicht mehr los.<br />
Weil die Rahmenbedingungen nicht st<strong>im</strong>men,<br />
n<strong>im</strong>mt er von einer eigenen Anlage<br />
zunächst Abstand. 1990 erlässt die Bundesregierung<br />
dann <strong>das</strong> sogenannte Strom-<br />
rührt die Gülle nun alle drei Tage. Zusätzlich<br />
baut <strong>das</strong> <strong>Biogas</strong>team noch einen 450<br />
m 3 großen Nachgärraum. Insgesamt investiert<br />
Meitinger nochmals 50.000 DM.<br />
Einfach, aber sinnvoll<br />
2<br />
Durch die Hanglage des Schweinestalls<br />
lässt Landwirt Meitinger in einem Kanal bis<br />
heute die Gülle ohne Pumpe alle drei Tage<br />
in den Gärbehälter fliessen. Täglich erzeugt<br />
die Anlage 60 m 3 Gas. Für <strong>das</strong> Beheizen der<br />
Anlage braucht Meitinger <strong>15</strong> m 3 . 12 Gasstrahler<br />
benötigen für den Schweinestall<br />
25 m 3 <strong>Biogas</strong>. Der Rest sind für <strong>das</strong> Wohnhaus<br />
und die Küche best<strong>im</strong>mt. „Die Anlage<br />
passt genau zu unserem Betrieb. Denn wir<br />
denken schon <strong>im</strong>mer in geschlossenen<br />
Betriebsabläufen. Um <strong>das</strong> zu erreichen,<br />
ist mir ein einfaches System am liebsten,<br />
sagt <strong>Biogas</strong>-Pionier Peter Meitinger und<br />
blickt zufrieden auf seine Anlage, die seit<br />
24 <strong>Jahren</strong> ohne Unterbrechung aus Gülle<br />
Gas macht. Rouven Zietz<br />
<strong>Biogas</strong><br />
joule 5.2010 | 31
<strong>Biogas</strong><br />
1. Einsatz für den Notfall: Das Hochreiter-Aggregat auf dem Betrieb<br />
von Heinrich Weseloh war 10 Jahre in Betrieb.<br />
2. Das antike Aggregat hat eine Leistung von 75 kW. Heute sorgt<br />
<strong>das</strong> Jenbacher BHKW JMS 312 mit 500 kW für den Strom.<br />
einspeisegesetz; damit bekommen<br />
Landwirte zum ersten Mal<br />
eine nennenswerte Vergütung je<br />
eingespeiste kWh Strom.<br />
Damit lassen sich dann die Betriebskosten<br />
decken; die Baukosten<br />
für eine <strong>Biogas</strong>anlage muss<br />
ein Landwirt selbst aufbringen.<br />
Bis sich die Investition rechnet,<br />
können Jahrzehnte vergehen.<br />
Deshalb verbreiten sich <strong>Biogas</strong>anlagen<br />
auch nur sehr zögerlich.<br />
1995 gibt es weniger als 300 Anlagen<br />
in Deutschland, heißt es<br />
be<strong>im</strong> Fachverband <strong>Biogas</strong> in<br />
Freising. Mit dem geplanten<br />
neuen Förderprogramm könnte<br />
man jetzt einen Teil der Baukosten<br />
bezahlen. Darauf hat Jacobs<br />
gewartet. Denn trotz aller Sympathie<br />
für die neue Technik weiß<br />
er ganz genau, <strong>das</strong>s jede Investition<br />
sich lohnen muss. Sonst<br />
hat es keinen Sinn. “Wir waren<br />
auf der Suche nach zusätzlichen<br />
Einnahmequellen für unsere Hö-<br />
32 | joule 5.2010<br />
fe. Aber es musste sich natürlich<br />
auch rechnen.” Mit dem Fördergeld<br />
für die Gärbehalter konnte<br />
man auch noch einen Teil der<br />
Technik bezahlen, die man für<br />
eine <strong>Biogas</strong>anlage braucht.<br />
Bewährte Landtechnik<br />
Die Baugruppe macht sich daran,<br />
Informationen zusammenzutragen;<br />
man n<strong>im</strong>mt Kontakt<br />
zu Landwirten in ganz Deutschland<br />
auf, die bereits eigene Anlagen<br />
gebaut haben; Jacobs fährt<br />
bis nach Ansbach in Franken, um<br />
Anlagen <strong>im</strong> Betrieb zu besichtigen.<br />
Was er sieht, ist in der Regel<br />
übliche, vielfach bewährte<br />
Landtechnik. Denn Mitte der<br />
neunziger Jahre gibt es so gut wie<br />
keine spezielle Anlagentechnik.<br />
“Die Technik damals war uns in<br />
der Regel vertraut. Was wir nicht<br />
wussten, und <strong>das</strong> machte uns<br />
viel mehr Sorge, war, wie man<br />
1<br />
die Anlage beziehungsweise den<br />
Gärprozess schließlich in Gang<br />
setzen würde.”<br />
Knapp ein Jahr später <strong>im</strong> Spätsommer<br />
1996 bewilligt <strong>das</strong> Bundesamt<br />
die Anträge der Baugruppe<br />
auf Förderung der<br />
Baumaßnahmen. „Mit der Bewilligung<br />
verknüpft war eine Frist, in<br />
der die Arbeiten stattfinden mussten”,<br />
sagt Heinrich Weseloh (Titelfoto<br />
rechts) . Er ist damals auch<br />
auf der Suche nach zusätzlichen<br />
Einnahmequellen für seinen Hof.<br />
Als er von der Baugruppe hört,<br />
die <strong>im</strong> <strong>Landkreis</strong> <strong>Biogas</strong>anlagen<br />
bauen will, schließt er sich ihr an.<br />
Gülle und die damit verbunde-<br />
2<br />
ne Geruchsbelastung seien <strong>im</strong>mer<br />
ein Thema gewesen <strong>im</strong><br />
Raum <strong>Soltau</strong>; dem könnte man<br />
mit einer <strong>Biogas</strong>anlage abhelfen<br />
und zudem noch was verdienen,<br />
denkt sich Weseloh.<br />
Ende August hat er den Brief<br />
der Behörde mit der Bewilligung<br />
<strong>im</strong> Briefkasten. Plötzlich muss es<br />
schnell gehen. „Bis November<br />
hatten wir Zeit – nicht mehr.”<br />
Seiner Berechnung nach kostet<br />
eine Anlage etwa 300.000 DM,<br />
wenn sie in Eigenregie von den<br />
Landwirten selbst geplant und<br />
gebaut wird. Damit beginnt <strong>das</strong><br />
unsichere Terrain: Keiner aus der<br />
Gruppe hatte bis dahin eine An-<br />
Fotos: Fotomoment
lage gebaut; und jetzt muss es<br />
gleich be<strong>im</strong> ersten Mal klappen,<br />
<strong>im</strong> Spätherbst muss alles fertig<br />
sein. Ein Start in ein kleines<br />
Abenteuer.<br />
Gleiche Anlage für alle<br />
Mit dem Bau der Garbehälter<br />
betraut man auswärtige Firmen;<br />
den Rest machen Handwerker<br />
aus der Region und die Landwirte<br />
selbst. Man bildet Arbeitsgruppen.<br />
Alle Baugruppen-Mitglieder<br />
bekommen die gleiche<br />
Anlage: einen Gärbehalter mit<br />
600 oder 1.000 m 3 Fassungsvermögen,<br />
dazu je zwei Hochreiter-Motoren<br />
á 22 kW Leistung.<br />
Auf den Bau eines zusätzlichen<br />
Speicherbehälters verzichtet man<br />
aus Kostengründen.<br />
Weseloh gehört zu der Gruppe,<br />
die für den Bau der Gärbehälter<br />
zuständig ist. Der Gruppe ist klar,<br />
<strong>das</strong>s sie Wärmequellen einplanen<br />
muss, um den Gärprozess später<br />
in Gang zu setzen. Aber wie es<br />
genau gehen soll, weiß keiner so<br />
genau. Die Gruppe trifft sich; man<br />
debattiert mögliche Lösungen.<br />
Soll man Heizschlangen in die<br />
Wände und den Boden des Behälters<br />
einbetonieren? Oder ist es<br />
besser, einen Wärmetauscher einbauen<br />
zu lassen? Man entscheidet<br />
sich für Heizschlangen. Und wie<br />
müssen die verlegt werden? Die<br />
Landwirte sehen sich fragend an.<br />
„Wir wussten nicht, ob es besser<br />
ist, die Heizungsleitung in die Behälterwand<br />
einzubauen oder später<br />
von innen vor die Wand zu<br />
montieren.” Wieder wird überlegt<br />
und diskutiert. Sie beschließen,<br />
die Heizungen einbetonie-<br />
ren zu lassen. Schritt für Schritt<br />
nehmen die Anlagen so Formen<br />
an. Rechtzeit vor dem Beginn des<br />
Winter sind die Bauarbeiten beendet;<br />
alle Anlagen sind fertig. Das<br />
Geld vom Bundesamt kann nun<br />
nicht mehr wegen Fristüberschreitung<br />
zurückgefordert werden.<br />
Jetzt beginnt die Feinarbeit, <strong>das</strong><br />
Abst<strong>im</strong>men der Komponenten auf<br />
die Besonderheiten der Anlagen.<br />
Sie dauert Jahre; Prozessführung,<br />
Gasmessung, Motor- und Pumpensteuerung,<br />
Ex-Schutz: Überall<br />
betritt die Gruppe Neuland,<br />
fertige Lösungen aus dem Katalog<br />
gibt es nicht. „Bei der Haltbarkeit<br />
der Technik haben wir uns<br />
sehr verschätzt”, sagt Jacobs. Alle<br />
Metallteile mit einfacher Beschichtung<br />
habe er an seiner<br />
Anlage inzwischen gegen Edelstahlkomponenten<br />
austauschen<br />
müssen. Das einfache Metall<br />
war den Anforderungen nicht gewachsen<br />
und schnell korrodiert.<br />
Lehrgeld. Bei der Feinjustierung<br />
entsteht viel Know-how. Jacobs<br />
und andere exper<strong>im</strong>entieren eine<br />
Zeit lang mit Silomais als Gärstoff;<br />
außerdem entwickeln sie<br />
begeh- und befahrbare Fermenterdecken<br />
und auf diesen Decken<br />
montierte Rührwerksysteme. Das<br />
spricht sich rum. Immer mehr Besucher<br />
wollen Jacobs‘ Anlage sehen.<br />
Danach gründen einige Besucher<br />
eigene Firmen.<br />
Das können wir auch, sagen<br />
sich einige Landwirte aus der Baugruppe<br />
von 1995; sie beschließen,<br />
ihr gesammeltes Know-how<br />
zu Geld zu machen und gründen<br />
2000 ebenfalls eine Firma für Anlagenbau<br />
mit dem Namen Euro<br />
<strong>Biogas</strong>. Inzwischen hat die Firma<br />
80 Hofanlagen und drei Großanlagen<br />
gebaut, sagt der Geschäftsführer<br />
von Euro <strong>Biogas</strong>, Wilken<br />
Corleis (Titelfoto, links). Weseloh<br />
und Jacobs haben ihre Anlagen<br />
seit 1995 mehrfach erweitert. Mit<br />
<strong>Biogas</strong> verdienen ihre Höfe seitdem<br />
jedes Jahr gutes Geld. Allein,<br />
ohne Hilfe der Kollegen aus<br />
der Baugruppe, hätten sie <strong>das</strong> Projekt<br />
damals wohl nicht auf sich genommen,<br />
sagen beide Landwirte.<br />
Das Scheitern droht zwar nie;<br />
aber je größer <strong>das</strong> Projekt, umso<br />
größer die Wahrscheinlichkeit,<br />
<strong>das</strong>s mal was schief geht. Jedesmal,<br />
wenn einen Landwirt aus der<br />
Baugruppe mal der Mut verlässt,<br />
weil die Zeit knapp wird oder <strong>das</strong><br />
»Wir wollten damals raus aus<br />
der Rolle der Landwirte als<br />
Rohstofflieferanten für die Industrie «<br />
eigene Wissen an Grenzen stößt,<br />
kann er sich in der Baugruppe Rat<br />
holen.<br />
Man zieht an einem Strang. Allen<br />
geht es um neue Einnahmequellen<br />
für den Hof. Aber es ist<br />
nicht nur <strong>das</strong> Geld. Es geht um<br />
mehr, sagt Jacobs: „Wir wollten<br />
damals auch raus aus der Rolle<br />
der Landwirte als Rohstofflieferant<br />
für die Industrie.” Eine Bi-<br />
TITELTHEMA<br />
ogasanlage, so glaubt er damals,<br />
könne ein Ausweg aus dieser Situation<br />
sein.<br />
Und heute? Inzwischen sind<br />
viele dem Beispiel der Baugruppe<br />
aus <strong>Soltau</strong> gefolgt. Die Beziehung<br />
zwischen Landwirtschaft<br />
und Nahrungsmittelindustrie hat<br />
sich tatsächlich geändert.<br />
Konkurrenz <strong>im</strong> Nacken<br />
Es gibt mittlerweile fast 5000<br />
<strong>Biogas</strong>anlagen in Deutschland.<br />
Tausende Landwirte haben in <strong>Biogas</strong><br />
investiert und mitgeholfen,<br />
<strong>das</strong>s die Hersteller ihre Produkte<br />
verbessern konnten. Noch ist <strong>Biogas</strong>technik<br />
vor allem Landtechnik.<br />
Hans-Hermann Jacobs sagt,<br />
<strong>das</strong>s müsse auch in Zukunft so<br />
bleiben. E-on hat <strong>im</strong> <strong>Vor</strong>jahr den<br />
<strong>Biogas</strong>rat gegründet, der, so sagen<br />
es einige Experten, nur darum gegründet<br />
wurde, um den Landwirten<br />
die <strong>Vor</strong>herrschaft in Sachen<br />
<strong>Biogas</strong> streitig zu machen. „Ein<br />
Hans-Hermann Jacobs,<br />
Landwirt und <strong>Biogas</strong>betreiber<br />
aus dem <strong>Landkreis</strong> <strong>Soltau</strong> in<br />
Niedersachsen.<br />
Nebeneinander von landwirtschaftlichen<br />
Anlagen und von Energieversorgern<br />
betriebenen Anlagen,<br />
ist wünschenswert”, sagt<br />
Martin Pehnt vom Institut für Energie-<br />
und Umweltforschung (ifeu)<br />
in Heidelberg. Das heißt, Landwirte<br />
müssen sich auf mehr Konkurrenz<br />
einstellen. Aber, wie heißt<br />
es: Konkurrenz belebt <strong>das</strong> Geschäft.<br />
Holger Dirks<br />
joule 5.2010 | 33