Horizonte 11 - Mayenfels
Horizonte 11 - Mayenfels
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Geschickte Finger machen bewegliche Gedanken<br />
Betrachtungen über den Handarbeitsunterricht<br />
an einer Rudolf Steiner Schule<br />
Stricken, häkeln, sticken, nähen<br />
– muss das heute noch sein? In der neueren<br />
Gehirnforschung wird den Sinneserfahrungen<br />
und dem eigenen praktischen Tun eine grosse<br />
Bedeutung für das Lernen beigemessen. Diese<br />
fördern die Voraussetzung für differenziertes<br />
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Sprechen und bewegliches Denken. Flinke<br />
Finger und flinke Gedanken verleihen Lebenssicherheit.<br />
In der Handarbeit übt das Kind<br />
koordinierte feinmotorische Bewegungsabläufe<br />
ein, erfühlt die Eigenarten der verschiedenen<br />
Materialien, lernt Harmonien und Formen und<br />
Farben erkennen. Das Begreifen der Welt durch<br />
schöpferische Eigentätigkeit ist durch nichts<br />
anderes zu ersetzen. Fingerfertigkeit, die das<br />
Kind sich in der Handarbeit erwirbt, wirkt sich<br />
in seiner gesamten Entwicklung aus. Mit jeder<br />
feinen Bewegung wird das Gehirn differenziert<br />
geformt. Je geschickter das Kind seine Finger<br />
bewegen kann, desto lebendiger und geschmeidiger<br />
werden seine Gedanken.<br />
Durch die Arbeit am Objekt wachsen<br />
Ausdauer, Konzentration, Genauigkeit und<br />
Phantasie<br />
Sich nur mit einer Sache beschäftigen<br />
und dazu noch stillsitzen, das fällt den<br />
Kindern heute schwer. So wird im Handarbeitsunterricht<br />
auch der Durchhaltewille ausgebildet<br />
und gestärkt. Durch das künstlerische Gestalten<br />
und durch die Arbeit am Objekt wachsen<br />
Ausdauer und Konzentration, Genauigkeit und<br />
Phantasie. Auch der Schönheitssinn wird entwickelt.<br />
Das gleichmässige, rhythmische Arbeiten<br />
hilft Willenskräfte zu entfalten.<br />
In den ersten drei Schuljahren lernen<br />
die Kinder verschiedene Techniken kennen:<br />
Stricken, Häkeln, Sticken, Nähen und anderes<br />
mehr. Etwas Neues beginnt in der vierten<br />
Klasse mit dem Kreuzstich. Die Kinder müssen<br />
sich bei dieser Arbeit räumlich zurechtfinden,<br />
im Oben und Unten, im Rechts und Links, im<br />
Hinten und Vorne. Das ist eine Herausforderung,<br />
da alle Kreuzstiche in der gleichen Richtung<br />
stehen müssen. Jedes Kreuz wird zuerst<br />
zu Ende gestickt, bevor das nächste beginnt.<br />
Zudem besteht die Aufgabe darin, eine freie<br />
Form symmetrisch zu gestalten. Diese Arbeit<br />
macht die Kinder wach und gibt ihnen Halt.<br />
Sie fördert durch das wiederholende Bilden der<br />
Überkreuzung ihre Konzentrationsfähigkeit.<br />
Mit allen kindlichen Gefühlskräften arbeiten<br />
die Kinder an ihren Puppen und Tieren<br />
Anhand des Sockenstrickens in der<br />
fünften Klasse werden die Kinder in das Dreidimensionale<br />
geführt. Sie erleben, dass durch<br />
das Auf- und Abnehmen von Maschen dem<br />
Gestrickten eine Form gegeben werden kann,<br />
dass Hülle gebildet wird.<br />
Das Thema der sechsten Klasse ist<br />
das Nähen von Puppen und Tieren. Es gilt, den<br />
Puppen einen „seelischen Ausdruck“ zu geben<br />
oder beim Tier etwas typisch Wesenhaftes<br />
sichtbar zu machen. Das Muster der Puppe<br />
oder des Tieres wird ausgeschnitten, die einzelnen<br />
Teile werden mit kleinen Stichen zusammengenäht.<br />
Die Formen werden durch Stopfen<br />
modelliert. Das erfordert viel Aufmerksamkeit<br />
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