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Formen, Ursachen und biologische Bedeutung ... - uli-reyer.ch

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354 INNERARTLICHE AGGRESSIONFtinf<strong>und</strong>zwanzigstes Kapitel<strong>Formen</strong>, <strong>Ursa<strong>ch</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>biologis<strong>ch</strong>e</strong> <strong>Bedeutung</strong>innerartli<strong>ch</strong>er Aggression bei TierenDie Aussage, jemand verhalte si<strong>ch</strong> aggressiv, erweckt bei vielen Leutenvor aHem die Vorstellung von Tatli<strong>ch</strong>keiten <strong>und</strong> korperli<strong>ch</strong>en Auseinandersetzungen.Andere beurteilen eine Handlung weniger na<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>en Formmerkmalenals vielmehr na<strong>ch</strong> der dahinterstehenden Motivation. Ftir sieauBert si<strong>ch</strong> Aggression unter anderem au<strong>ch</strong> dann, wenn si<strong>ch</strong> jemand ineine Tatigkeit »verbeiBt« oder ein Problem »in Angriff nimmt« <strong>und</strong> es»bewaltigt«. Dritte s<strong>ch</strong>lieBli<strong>ch</strong> verbinden mit dem Begriff die VorsteHungvon Arger, Zorn, Abneigung <strong>und</strong> HaB, von Feindseligkeit, Angriffslust <strong>und</strong>Zerstorungswut. Eine sol<strong>ch</strong>e Beurteilung na<strong>ch</strong> den begleitenden Geftihlenist jedo<strong>ch</strong> in der Verhaltensfors<strong>ch</strong>ung ni<strong>ch</strong>t zulassig, da wir tiber die subjektivenEmpfindungen der Tiere ni<strong>ch</strong>ts wissen.Au<strong>ch</strong> die beiden anderen MaBstabe sollte man zum besseren Verstandnistrennen. Wenn die Form gemeint ist, spre<strong>ch</strong>en wir in diesem Kapitel vonaggressiven Handlungen oder aggressiven Verhaltensweisen; dagegen bentitzenwir die Begriffe aggressive Motivation, Aggressionstrieb <strong>und</strong> Aggressivitatftir den Gesamtkomplex der inneren physiologis<strong>ch</strong>en Zustande, die zusammenmit den auslOsenden AuBenreizen zu einer bestimmten Verhaltensweiseftihren. Die Ausdrticke »Motivation« <strong>und</strong> »Trieb« behandeln wir indiesem Zusammenhang als glei<strong>ch</strong>bedeutend.Wona<strong>ch</strong> definiert man, we1<strong>ch</strong>e Verhaltensweisen aus dem Gesamtrepertoireeines Tieres aggressiv sind? Einige Beispiele, auf die spater mehrfa<strong>ch</strong>verwiesen wird, sollen diese Frage klaren:Winkerkrabben [Uea] leben in sandigen <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>lammigen Gezeitenzonenaller warmen Meere in di<strong>ch</strong>ten Kolonien. Sowohl Mann<strong>ch</strong>en als au<strong>ch</strong> Weib<strong>ch</strong>engraben senkre<strong>ch</strong>te, bis ins Gr<strong>und</strong>wasser rei<strong>ch</strong>ende Gange, in die sie si<strong>ch</strong>bei Flut <strong>und</strong> beim Nahen von FreBfeinden zurtickziehen. Kommt eine Krabbeden Lo<strong>ch</strong>ern anderer Koloniemitglieder zu nahe, lauft der Besitzer auf siezu, greift sie an der S<strong>ch</strong>ere, s<strong>ch</strong>iebt den Gegner zurtick oder versu<strong>ch</strong>t beiWiderstand au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Drehungen dessen Waffe abzubre<strong>ch</strong>en (s. AbbildungJ.Die Meere<strong>ch</strong>sen (Amblyrhynehus eristatus) leben in mehreren Unterartenauf den Inseln des Galapagos-Ar<strong>ch</strong>ipels. Zur Zeit der Eiablage streiten dieWeib<strong>ch</strong>en urn die sandigen Platze zwis<strong>ch</strong>en den Fe1sen, um dort ihre Eierzu vergraben. In der Regel unterwirft si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> einem kurzen, kraftemessendenKopfstoBen ein Tier <strong>und</strong> wei<strong>ch</strong>t zurtick j do<strong>ch</strong> kann si<strong>ch</strong> die Auseinandersetzungau<strong>ch</strong>zum BeiBkampf steigern- (s. AbbildungJ.Von H.-U. ReyerMannli<strong>ch</strong>e Winkerkrabbengreifen im Kampf mit denS<strong>ch</strong>eren ineinander. Bri<strong>ch</strong>tdabei eine S<strong>ch</strong>ere ab,wa<strong>ch</strong>st dem Tier bei derna<strong>ch</strong>sten Hautung an derselbenStelle eine kleineS<strong>ch</strong>ere na<strong>ch</strong> <strong>und</strong> die andereS<strong>ch</strong>ere wa<strong>ch</strong>st zurgrogen aus. Deshalb istbei einigen Mann<strong>ch</strong>en dieHnke S<strong>ch</strong>ere groJ>er, beianderen die re<strong>ch</strong>te.Meere<strong>ch</strong>senkarnpfendur<strong>ch</strong> Kopfstogen.


BEGRIFFSKLARUNGEN 355Die Jagdmethode der nordamerikanis<strong>ch</strong>en Rots<strong>ch</strong>wanzbussarde {Buteo jamaicensis)besteht darin, auf hohen Baumen zu warten, bis si<strong>ch</strong> ihre Beutetiere- vor allem Nager - am Boden zeigen. Dann stoBen sie hinab.Benutzt ein Bussard den Sitzbaum eines anderen Paares, so kommen dieEigentumer in s<strong>ch</strong>nellem Flug sofort herbei, sturzen si<strong>ch</strong> auf den Eindringling<strong>und</strong> stoBen ihn - falls er ni<strong>ch</strong>t augenblickli<strong>ch</strong> flieht - yom Baum.Und ein letztes Beispiel: Zur Fortpflanzungszeit versammeln si<strong>ch</strong> dieMahnenrobben (Otaria byronia) an den Kusten Sudamerikas. Die Mann<strong>ch</strong>entreffen zuerst ein, <strong>und</strong> die starksten Bullen teilen in BeiBkampfen dieUferzone unter si<strong>ch</strong> auf. Damit si<strong>ch</strong>ern sie si<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>zeitig einen Harem,denn die Weib<strong>ch</strong>en mussen in ihrem Berei<strong>ch</strong> landen (Abb. S. 3691.Die Motivationen dieser Verhaltensweisen sind s<strong>ch</strong>wierig festzustellen.lhre <strong>Formen</strong> (S<strong>ch</strong>erenfassen, KopfstoBen, Hinabwerfen, BeiBenj sind vonTierart zu Tierart so vers<strong>ch</strong>ieden wie die Situationen, in denen sie auftreten.Sie ahneln si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> in ihren Auswirkungen <strong>und</strong> Funktionen.Daher nennt man aggressiv die Handlungen eines Tieres, mit denen einanderes verletzt, unterworfen oder vertrieben wird, <strong>und</strong> ferner soI<strong>ch</strong>e Verhaltensweisen,die - bei glei<strong>ch</strong>bleibender AuBensituation - mit diesen Handlungenin einem engen zeitli<strong>ch</strong>en Zusammenhang stehen (s. au<strong>ch</strong> S. 16 ff.).1m englis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> ist der Ausdruck »agonistic behaviour«(agonistis<strong>ch</strong>es VerhaltenJ verbreitet. Er umfaBt all das, womit Auseinandersetzungenbewaltigt werden - s<strong>ch</strong>lieBt also sowohl die Aggression als au<strong>ch</strong>das Flu<strong>ch</strong>tverhalten ein <strong>und</strong> beinhaltet ferner jene Verhaltensweisen, diesi<strong>ch</strong> aus einer Oberlagerung der beiden ergeben (Drah- <strong>und</strong> Demutsgebarden).Das na<strong>ch</strong>stehende S<strong>ch</strong>ema setzt die genannten Begriffe zueinander inBeziehung.S<strong>ch</strong>ematis<strong>ch</strong>e Darstellungder Zusammensetzung desagonistis<strong>ch</strong>en Verhaltens.AggreSSiVe Hal1dl~ng I/ oder YerhaltenswelSe I1I Auslijs. Aeiz +Aggressivitalloroh-u,OemUISgeblirdenr-1 ....Riehen. Maiden II Yerbergen>! Auehl'Yerhalten IAggressive Handlungenin innerartli<strong>ch</strong>enKonkurrenzsituationenDie meisten Auseinandersetzungen im Tierrei<strong>ch</strong> entstehen, wenn jedesvon zwei oder mehr Lebewesen die glei<strong>ch</strong>en Objekte fur si<strong>ch</strong> beanspru<strong>ch</strong>t.SoI<strong>ch</strong>e Situationen, die vor allem zwis<strong>ch</strong>en Artgenossen vorkommen, nenntman Konkurrenzsituationen, die beteiligten Tiere Konkurrenten oderRivalen. Ferner findet man aggressive Verhaltensweisen im Spiel (s. S. 316L<strong>und</strong> man kann sie experimentell, z. B. dur<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>merz, auslOsen Is. S. 381).Die umstrittenen Objekte sind - wie die Beispiele auf S. 354 f. zeigen - oftsehr vers<strong>ch</strong>ieden: WohnlO<strong>ch</strong>er, Eiablageplatze, Sitzbaume, Weib<strong>ch</strong>en <strong>und</strong>ahnli<strong>ch</strong>es. Meistens werden ni<strong>ch</strong>t nur diese Objekte selbst verteidigt, sonclemau<strong>ch</strong> ein bestimmter umgebender Bezirk. Die Bussarde greifen in derRegel s<strong>ch</strong>on an, wenn der Fremde si<strong>ch</strong> dem Baum bis auf eine gewisse Ent­


356 INNERARTLICHE AGGRESSIONfernung genahert hat. Einen so1<strong>ch</strong>en Bezirk, in dem die blo£e Anwesenheiteines oder mehrerer Besitzer die glei<strong>ch</strong>zeitige Anwesenheit von Rivalen auss<strong>ch</strong>lieEt,bezei<strong>ch</strong>net man als Revier oder Territorium. Als Besitzer giltimmer derjenige, dem ein anderer wei<strong>ch</strong>t. Der Streit um Reviere ist der haufigsteAniaE fur aggressive Auseinandersetzungen.In einem Revier kann ein Einzeltier (Winkerkrabbe, Meere<strong>ch</strong>se), einPaar (Rots<strong>ch</strong>wanzbussard) oder ein Harem {Mahnenrobben) lebenj es kann ­wie das Jagdgebiet des nordamerikanis<strong>ch</strong>en Wolfes - Besitz eines Familienverbandessein 6der - wie der S<strong>ch</strong>lafplatz eines Paviantrupps (Papia Ulsinus)- no<strong>ch</strong> grdEeren Groppen gehdren. Bei man<strong>ch</strong>en Arten werden dieReviere weiter aufgeteilt. 1m Revier eines Mann<strong>ch</strong>ens der Buntbars<strong>ch</strong>artLamprolagus cangalensis zum Beispiel grenzen mehrere Weib<strong>ch</strong>en Unterreviereabo Das Mann<strong>ch</strong>en darf den Besitz seiner Haremsdamen dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>wimmen,aber keine von ihnen das Gebiet ihrer Na<strong>ch</strong>barinnen.Neben diesem weitverbreiteten innerartliclIen (intraspezifis<strong>ch</strong>en) RevierverlIaltenaber kennt man seltenere Beispiele dafur, daB dartiber hinaus Angehdrigevers<strong>ch</strong>iedener Arten Gebiete gegeneinander abteilen. Dabei handeltes si<strong>ch</strong> um Tiere, die glei<strong>ch</strong>e Anspru<strong>ch</strong>e an Nahrong oder andere Umweltfaktorenstellen. Sol<strong>ch</strong>e zwisclIenartliclIen [interspezifis<strong>ch</strong>en) Revieresind von mehreren S<strong>ch</strong>matzerarten (Gattung OenantlIe) <strong>und</strong> von den Kolonienvieler Ameisenarten bekannt. In der Regel ma<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedeneArten jedo<strong>ch</strong> keine Konkurrenz, <strong>und</strong> ihre Gebiete ubers<strong>ch</strong>neiden si<strong>ch</strong>.Die Grenzen der Reviere sind oft dur<strong>ch</strong> nattirli<strong>ch</strong>e Landmarken wieWaldrander; einzeln stehende Baume} Hecken, Wege} Senken} Flu£1aufe,Steine <strong>und</strong> ahnli<strong>ch</strong>es gekennzei<strong>ch</strong>net Is. Abbildung). Tiere} die ihr gesamtesRevier ubersehen kdnnen - sei es aus hoheren Wassers<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten (Fis<strong>ch</strong>el,sei es von Baumwipfeln (Vogel) oder wei! das Gelande offen ist (Mahnenrobben)-, verteidigen jeden Punkt innerhalb dieser Grenzen, wenn au<strong>ch</strong>die Heftigkeit yom Zentrum zum Rand abnimmt. Bodenlebende Saugetieresind dagegen in di<strong>ch</strong>ten Biotopen ni<strong>ch</strong>t nur im Uberblick starker einges<strong>ch</strong>rankt,sondern meist au<strong>ch</strong> an wenige gangbare Pfade geb<strong>und</strong>en, wennsie zugig vorankommen wollen. Sie konzentrieren ihre Verteidigung auf diesesWegenetz <strong>und</strong> auf die Punkte, die es miteinander verbindet. Das sindS<strong>ch</strong>laf- <strong>und</strong> Nahrungsplatze, Harn- <strong>und</strong> Kotstellen} Gegenstande, an denensie si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>euern, Orte, wo sie si<strong>ch</strong> sonnen oder wo sie balzen, Wasserlo<strong>ch</strong>erzum Trinken <strong>und</strong> Baden <strong>und</strong> so weiter. Die nebenstehende s<strong>ch</strong>ematis<strong>ch</strong>e AbbildungliiEt si<strong>ch</strong> mit geringfiigigen Anderungen auf die Reviere von Fu<strong>ch</strong>s,Da<strong>ch</strong>s} Bar <strong>und</strong> andere Raubtiere iibertragen, aber au<strong>ch</strong> auf die von Huftierenwie Reh <strong>und</strong> zahlrei<strong>ch</strong>e Antilopenarten.Diese Platze su<strong>ch</strong>t das Tier na<strong>ch</strong> einem mehr oder weniger strengen»Fahrplan« zu vers<strong>ch</strong>iedenen Tageszeiten auf. Trifft es dabei einen Rivalen,vertreibt es ihn. Zu einer anderen Zeit jedo<strong>ch</strong>} wenn es si<strong>ch</strong> in einemanderen Abs<strong>ch</strong>nitt seines Reviers aufhalt, kann derselbe Rivale denselbenpfad oder Platz ungehindert benutzen <strong>und</strong> nun sogar seinerseits Artgenossenvon dart verjagen. In sol<strong>ch</strong>en Hillen erfolgt die Besitzaufteilung einesGebietes ni<strong>ch</strong>t nur im Raum} sondern au<strong>ch</strong> in der Zeit. Raumli<strong>ch</strong> konnensi<strong>ch</strong> die Bezirke ubers<strong>ch</strong>neiden, wie das bei den Jagdgebieten von HauskatzenReviere oderTerritorienDas Revier eines Pra<strong>ch</strong>tlibellen-Mann<strong>ch</strong>ensistdur<strong>ch</strong> Landmarken begrenzt.Die punktierte Liniekennzei<strong>ch</strong>net den Eiablageplatz.Revier eines Siiugetieres.H1, H2 <strong>und</strong> H3: Heim 1.,2. <strong>und</strong> 3. Ordnung. H:Hindemis. HK: Ham- <strong>und</strong>Kotstelle. K: Komfortstel­Ie. B: Badeplatz. F: E/;­platz. V: Vorratsplatz. T:Trinkplatz. M: Marlderungsstelle:Dicke Linie:Reviergrenze. Gepunktet:S<strong>ch</strong>onzone. Dur<strong>ch</strong>gezogeneLinie: We<strong>ch</strong>sel, gestri<strong>ch</strong>elt:Nebenwe<strong>ch</strong>sel.


REVIERVERHALTEN 357Rcvierverhalten verwandterArtenRevierverhalteninnerhalb einer ArtRevier <strong>und</strong>UmweltRevier <strong>und</strong>Kampfkraftder Fall istj glei<strong>ch</strong>zeitiger Besitz ist jedo<strong>ch</strong> ausges<strong>ch</strong>lossen (s. DefinitionS. 356). Auf wel<strong>ch</strong>e Weise unerwartete Begegnungen <strong>und</strong> Auseinandersetzungenvermieden werden, ist no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t geklart. Paul Leyhausen vermutet, daBdie Urinmarken, wel<strong>ch</strong>e Katzen auf ihren Wegen hinterlassen - ahnli<strong>ch</strong> denBlocksignalen eines Eisenbahnnetzes - ein na<strong>ch</strong>folgendes Tier informieren,ob si<strong>ch</strong> jemand auf dem We<strong>ch</strong>sel befindet <strong>und</strong> wie nah er ist. Eine fris<strong>ch</strong>eMarke konnte bedeuten: »Abs<strong>ch</strong>nitt ges<strong>ch</strong>lossen«; eine altere: »Du kannstvOIsi<strong>ch</strong>tig weitergehen«, <strong>und</strong> eine sehr alte: »Dur<strong>ch</strong>gang frei«.Verwandte Arten - zum Beispiel Angehorige derselben Familie - unters<strong>ch</strong>eidensi<strong>ch</strong> oft in ihrem Revierverhalten. So findet im Revier der Dreizehenmowe(Ri8sa tridactyla) Paarbildung, Balz, Begattung, Bebrlitung <strong>und</strong> Aufzu<strong>ch</strong>tder Jungen bis zum Flliggewerden statt, wahrend die La<strong>ch</strong>mowe (Lamsridib<strong>und</strong>u8] flir einige dieser Tatigkeiten vers<strong>ch</strong>iedene Platze wahlt.Au<strong>ch</strong> innerhalb einer Art gibt es Unters<strong>ch</strong>iede - <strong>und</strong> zwar individuelle,altersabhangige <strong>und</strong> ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsspezifis<strong>ch</strong>e. Starkere <strong>und</strong> aggressivere Tiereerobern im allgemeinen graBere Revierej junge nehmen oft no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, sehralte oft ni<strong>ch</strong>t mehr an den Auseinandersetzungen teil. Kommen - wie beiKampflaufern (Philoma<strong>ch</strong>u8 pugnax), Paradiesvogeln <strong>und</strong> anderen Tiergruppen- die Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter nur zur Balz <strong>und</strong> Paarung zusammen, grlinden<strong>und</strong> verteidigen ledigli<strong>ch</strong> die Mann<strong>ch</strong>en Reviere, in die sie ein oder mehrereWeib<strong>ch</strong>en locken. Bleiben die Partner wahrend der Aufzu<strong>ch</strong>t der Jungenbeisammen, so leistet bei vielen Singvogeln <strong>und</strong> substratbrlitenden Buntbars<strong>ch</strong>endas Mann<strong>ch</strong>en die Hauptarbeit bei der Revierverteidigung <strong>und</strong>kampft VOI allem an den Grenzen, wahrend das Weib<strong>ch</strong>en flir die Brutsorgt <strong>und</strong> erst eingreift, wenn si<strong>ch</strong> ein Eindringling dem Na<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>s nahert.In seltenen Fallen sind die Rollen vertaus<strong>ch</strong>t; so beim Buntbars<strong>ch</strong> Tilapiamacrocephala <strong>und</strong> bei den Laufhlihn<strong>ch</strong>en oder Kampfwa<strong>ch</strong>teln (FamilieTurnicidae). Bei anderen Vogelarten verteidigen zwar beide Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terdas gemeinsame Revier, aber jedes vorwiegend gegen seinen glei<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>enKonkurrenten.Diese Beispiele zeigen, daB es da8 Revierverhalten oder da8 Revier ni<strong>ch</strong>tgibt. Neben den genannten Unters<strong>ch</strong>ieden sind variable Umweltfaktorenein weiterer Gr<strong>und</strong> flir die Vielfalt. Jeder Aquarianer weiB, daB er bei vielenFis<strong>ch</strong>arten die Anzahl der Reviere in einem Becken erhohen kann, wenn eres rei<strong>ch</strong>er bepflanzt. Sol<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede in der Verteilung <strong>und</strong> Anzahlvon »Si<strong>ch</strong>tblenden« gibt es nattirli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in der Natur. Sie beeinflussenForm <strong>und</strong> GroBe der Reviere <strong>und</strong> damit die Populationsdi<strong>ch</strong>te in einem Gebiet.Die Populationsdi<strong>ch</strong>te, die au<strong>ch</strong> von anderen Faktoren (z. B. Nahning<strong>und</strong> Feinddruck) reg<strong>uli</strong>ert wird, wirh ihrerseits auf die ReviergroBe zurtick.Daher findet man in s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> besiedelten Gebieten wenige groBe, in di<strong>ch</strong>tbewohnten zahlrei<strong>ch</strong>e kleinere Reviere. Eine sol<strong>ch</strong>e Verkleinerung hatjedo<strong>ch</strong> ihre Grenzen. Beim Dreista<strong>ch</strong>ligen Sti<strong>ch</strong>ling (Ga8terosteus aculeatus)kann die Zahl der Territorien in einem Gebiet nur so lange auf Kosten derbereits vorhandenen erhoht werden, wie jedes dieser Reviere mehr als 45mal 45 Quadratzentimeter Fla<strong>ch</strong>e umfaBt.Um das zu verstehen, muB zuna<strong>ch</strong>st eine andere Beoba<strong>ch</strong>tung ges<strong>ch</strong>ildertwerden, die an vielen Tierarten gema<strong>ch</strong>t wurde: Gerat ein Re­


358 INNERARTLICHE AGGRESSIONvierbesitzer a in das Gebiet seines Na<strong>ch</strong>barn b, greift der ihn an, treibtihn tiber die Grenze zurtick, gelangt dabei aber im Eifer der Verfolgung oft inden Bezirk vO ll a, der dann umdreht, nun seinerseits b zurtickjagt <strong>und</strong> dabeitiber das Ziel hinauss<strong>ch</strong>ieGt. Das Ganze wiederholt si<strong>ch</strong> einige Male. Dabeidringen die Kampfer immer weniger weit in das fremde Gebiet ein, s<strong>ch</strong>wingenwie ein Pendel allmahli<strong>ch</strong> aus <strong>und</strong> kommen an einem Punkt zumStillstand, wo sie gegeneinander drohen, ohne anzugreifen. Dieser dur<strong>ch</strong> dasKrafteglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t gekennzei<strong>ch</strong>nete Punkt ist die Reviergrenze. NikoTinbergen hat diese Verhaltnisse in einem einfa<strong>ch</strong>en Versu<strong>ch</strong> ans<strong>ch</strong>a<strong>uli</strong><strong>ch</strong>demonstriert (s. Abbildung). Er zeigt, daB die Kampfkraft <strong>und</strong> Kampfbereits<strong>ch</strong>aft(der aggressive Wert, wie J. v. d. Assem es ausdruckt) yom Zentrumna<strong>ch</strong> auGen hin abnimmt. Die s<strong>ch</strong>ematis<strong>ch</strong>e Abbildung unten hilit, dieTheorie zu erlautern: Kennt man die Grenze, kann man dur<strong>ch</strong> einenVerglei<strong>ch</strong> der aggressiven Werte voraussagen, wer an wel<strong>ch</strong>er Stelle siegenwird (z. B. a bei E, b bei D). Man kann au<strong>ch</strong> vorherbestimmen, wo si<strong>ch</strong> einNeuankommling am erfolgrei<strong>ch</strong>sten ansiedeln kann - namli<strong>ch</strong> auf derGrenze Ie) zwis<strong>ch</strong>en zwei Revierbesitzern. Dort ist erstens die Aggressionder beiden Na<strong>ch</strong>barn glei<strong>ch</strong> gering, <strong>und</strong> zweitens ri<strong>ch</strong>ten sie einen Teildavon no<strong>ch</strong> gegeneinander. Urn diesen Punkt zu erobern, muG der Ne<strong>uli</strong>ngtiber eine Kampfkraft verftigen, die mindestens so groG ist, wie die von a<strong>und</strong> b an dieser Stelle. Je naher jedo<strong>ch</strong> deren Reviere zusammenliegen, destohoher ist der aggressive Wert, den der Ne<strong>uli</strong>ng mitbringen muG, urn si<strong>ch</strong>dur<strong>ch</strong>zusetzen. Von einer bestimmten Di<strong>ch</strong>te an gelingt ihm das ni<strong>ch</strong>t mehr,weil die dur<strong>ch</strong> den Revierbesitz gestarkte Kampfkraft der etablierten Besitzerdann bereits auf der Grenze zu ho<strong>ch</strong>, ihre Verteidigung zu heftig ist.AggresslverWert KAggresslverWertKKd,eK,E C 0E C 0Dieses Modell zur Erklarung, warum eine Revierverkleinerung ihre Grenzenhat, ist natlirli<strong>ch</strong> stark vereinfa<strong>ch</strong>t, da es geeignete Orte, Unters<strong>ch</strong>lupfmogli<strong>ch</strong>keiten<strong>und</strong> andere Umweltfaktoren ni<strong>ch</strong>t berticksi<strong>ch</strong>tigt. Denno<strong>ch</strong>beoba<strong>ch</strong>tet man in der Regel, daG die Grtindung auf einer Reviergrenze beginnt<strong>und</strong> - da der Besitz eines sol<strong>ch</strong>en Ortes die Kampfkraft starkt - daGder Aktionsradius na<strong>ch</strong> einiger Zeit ausgedehnt wird.Viele Lebewesen, au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e, die ni<strong>ch</strong>t territorial sind, greifen - ganzglei<strong>ch</strong>, an wel<strong>ch</strong>em art sie si<strong>ch</strong> gerade befinden - jeden Artgenossen an,der eine bestimmte Entfernung zu ihnen unters<strong>ch</strong>reitet. Diese EntfernungheiGt lndividualdistanz. Na<strong>ch</strong> Untersu<strong>ch</strong>ungen von P. Marler betragt siebeim Bu<strong>ch</strong>finken (Fringilla coelebs) zwis<strong>ch</strong>en Mann<strong>ch</strong>en 18 bis 25 Zentimeter<strong>und</strong> zwis<strong>ch</strong>en Weib<strong>ch</strong>en ebenso wie zwis<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>iedenen Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ternsieben bis zwolf Zentimeter (Abb. S. 359). Ranghohe Weib<strong>ch</strong>en halten eine0"Setzt man zwei Sti<strong>ch</strong>linge,die Revierna<strong>ch</strong>barn sind,in getrennte Reagenzglaser,greift jeweils der an,in dessen Revier man dieGlaser halt (oben <strong>und</strong>Mittel. An der Grenzedrohen si<strong>ch</strong> die Gegneran (unten).Die aggressiven Werte K1= Kampikraft) vieler Tiere(s<strong>ch</strong>warz ftir a, punktiertftir bI sind in denZentren ihrer Reviere amho<strong>ch</strong>sten <strong>und</strong> nehmenzum Rand hin abo WoK a = Kb ist, liegt dieGrenze (C). In der oberenAbbildung sind die RevieregroEer <strong>und</strong> liegendie Zentren weiter auseinander.Weitere Erklarungenim Text.Individualdistanzen


g>o!?~ .£~100~&5 80III 60 .~.~ 40 ---- '---7~l(~ ::)1(:g 20 ill, 0fj 10 20 30 40 50Z Entfemung zWis<strong>ch</strong>en Sitzstangenin emBestimmung der Individualdistanzdur<strong>ch</strong> Messungder Abstande, bei denen50 % der Annaherungeneinen Angriff auslOsen.Kreuze: Abstand zwis<strong>ch</strong>enMann<strong>ch</strong>en; Punkte:zwis<strong>ch</strong>en Weib<strong>ch</strong>en; Kreise:zwis<strong>ch</strong>en Mann<strong>ch</strong>en<strong>und</strong> Weib<strong>ch</strong>en.RangordnungenA A A! IB B 11\! \CB C DC!EP1D D! !E E A2 3:£: Lineare Rangordnung.2: Lineare Rangordnungmit einem Dreiecksverhaltnis.3: A ist B, C <strong>und</strong>D iiberlegen, solange jederallein ist (oben); A istaber unterlegen, wenn B,C <strong>und</strong> DaIs Gruppe auftreten.Der Pfeil zeigt jeweilsvom Dominantenzum Untergeordneten.INDIVIDUALDISTANZEN UND RANGORDNUNGEN 359groBere Individualdistanz ein als rangniedere, bestimmte Tiere werden (unabhangigvon ihrer sozialen Stellung) naher geduldet als andere, <strong>und</strong> »bes<strong>ch</strong>eidenauftretende« Vogel dtirfen di<strong>ch</strong>ter herankommen als soI<strong>ch</strong>e, diesi<strong>ch</strong> drohend nahern. Neben diesen ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsspezifis<strong>ch</strong>en, individuellen<strong>und</strong> YOm Sozialverhalten bedingten Unters<strong>ch</strong>ieden kann die Toleranzgrenzeperiodis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>wankungen unterliegen. Zum Beispiel rtickt sie bis zurBegattung gegentiber dem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tspartner immer naher, wahrend glei<strong>ch</strong>zeitigArtgenossen desselben Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ts auf immer weitere Entfernungangegriffen werden.Aus soI<strong>ch</strong>en Mindestentfernungen ergeben si<strong>ch</strong> die militaris<strong>ch</strong> anmutendengeordneten Formationen, die jeder kennt, der einmal Starens<strong>ch</strong>warmeauf Telegrafendrahten oder si<strong>ch</strong> am Tei<strong>ch</strong>ufer sonnende Libellen beoba<strong>ch</strong>tethat (Abb. S. 385).Man verglei<strong>ch</strong>t die Individualdistanz oft mit einem kleinen Revier, wel<strong>ch</strong>esdas Tier standig mit si<strong>ch</strong> herumtragt; einige Autoren - wie Heini Hediger<strong>und</strong> Paul Leyhausen - sehen den Besitz eines personli<strong>ch</strong>en Abstands, denkein Artgenosse unters<strong>ch</strong>reiten darf, als eine stammesges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Vorstufeder Revierverteidigung an. Na<strong>ch</strong> ihrer Vorstellung wurden die Lebewesendadur<strong>ch</strong> territorial, daB sie eine Ortsbindung eingingen <strong>und</strong> damitdie raumli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t festgelegte Individualdistanz in geographis<strong>ch</strong> definierbareGrenzen tibertrugen. Tatsa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist eine s<strong>ch</strong>arfe Trennung zwis<strong>ch</strong>enDistanz- <strong>und</strong> Revierverhalten kaum dur<strong>ch</strong>zuftihren. Man hat zum Beispielbei man<strong>ch</strong>en Fis<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Vogeln mit zunehmender Populationsdi<strong>ch</strong>te eineVers<strong>ch</strong>iebung von der Territorialitat zum bloBen Einhalten einer Individualdistanzbeoba<strong>ch</strong>tet.Territorialitat ist dadur<strong>ch</strong> gekennzei<strong>ch</strong>net, daB die Dberlegenheit einesTieres tiber ein anderes yom Ort <strong>und</strong> eventuell au<strong>ch</strong> von der Zeit abhangt(s. S. 356). Leyhausen nennt das eine relative soziale Hierar<strong>ch</strong>ie. Erweist si<strong>ch</strong>ein Lebewesen dagegen tiberall <strong>und</strong> zu jeder Zeit als dominant, spri<strong>ch</strong>t ervon absoluter sozialer Hierar<strong>ch</strong>ie, die als Rangordnung allgemein bekanntist. Neben der Verteidigung von Revieren <strong>und</strong> Individualdistanzen ist dasAufstellen von Rangordnungen ein weiterer Berei<strong>ch</strong>, in dem aggressiveHandlungen haufig vorkommen. Unter nattirli<strong>ch</strong>en Bedingungen findet manRangordnungen fast auss<strong>ch</strong>liemi<strong>ch</strong> innerhalb sozial lebender Arten; inZwangsgemeins<strong>ch</strong>aften, wie sie in der Gefangens<strong>ch</strong>aft auftreten konnen,bilden sie si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei normalerweise einzeln lebenden Tieren heraus.Sperrt man mehrere Leguane (Familie 19uanidae) in einen Kafig, derkleiner ist als das Mindestrevier eines Tieres, dominiert na<strong>ch</strong> kurzer Zeit einMann<strong>ch</strong>en tiber den Rest der Gruppe.Haufiger als diese Zweiteilung in Despot <strong>und</strong> Beherrs<strong>ch</strong>te ist eine abgestufteRangordnung, die mit Bu<strong>ch</strong>staben des grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Alphabets bes<strong>ch</strong>riebenwird. Unter dem rangho<strong>ch</strong>sten, dem Alpha-Tier, gibt es einzweites, das Beta-Tier, das allen mit Ausnahme von Alpha tiberlegen ist.Unter ihm steht Gamma, das nur den beiden ersten untergeordnet ist, <strong>und</strong>so fort. Erstreckt si<strong>ch</strong> die Ordnung so klar bis zum rangtiefsten Mitglied derGruppe, dem Omega-Tier, nennt man sie linear Is. AbbiIdung). Haufigist sie jedo<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Dreiecksverhaltnisse oder S<strong>ch</strong>leifen unterbro<strong>ch</strong>en,


360 INNERARTLICHE AGGRESSIONkann aber aueh dadureh kompliziert sein, daE sieh - wie zum Beispielbei Pavianen <strong>und</strong> Sehimpansen - zwei oder drei Mannehen manehmal zueiner Gruppe zusammensehlieEen <strong>und</strong> dann tiber ein Tier dominieren, demjeder einzelne von ihnen unterlegen ware (Abb. S. 359).In manehen Tiergemeinsehaften stellen Mannehen <strong>und</strong> Weibehen getrennteRangordnungen auf. Bilden sie eine gemeinsame Hierarehie, dominierenmeistens die Mannehen; do<strong>ch</strong> gibt es Ausnahmen. In der Zwergmangusten-Cruppe(Helogale <strong>und</strong>ulata rufula) steht an der Spitze das altesteWeibehen, gefolgt vom altesten Mann<strong>ch</strong>en.Wie Rangordnungen entstehen, hat als erster der norwegis<strong>ch</strong>e Fors<strong>ch</strong>erT. Sehjelderup-Ebbe 1922 an Haushiihnern untersu<strong>ch</strong>t. Setzt man einanderfremde Hennen zusammen, kampft jede gegen jede, merkt sieh, gegen wen sieverloren hat <strong>und</strong> geht diesen kiinftig aus dem Wege. Alpha-Tier wird, wer allebesiegt, Beta, wer nur gegen Alpha verliert <strong>und</strong> so fort. Oft ist die karperli<strong>ch</strong>eStarke nieht das einzige Merkmal, das tiber die Stellung in der Hierarehieents<strong>ch</strong>eidet. Konrad Lorenz bes<strong>ch</strong>reibt, daE rangtiefe Dohlenweib<strong>ch</strong>en(Corvus monedula) aufsteigen, wenn sie sieh mit ranghohen Mann<strong>ch</strong>enverpaaren. Weibli<strong>ch</strong>e Paviane nehmen eine hahere Position ein, wenn siebriinstig sind oder Junge habenj <strong>und</strong> Junge kannen iiber den Weg derTradition in die Stellung ihrer Miitter riicken. Die dominanten Pavianmann<strong>ch</strong>enmtissen si<strong>ch</strong> ihren Rang zwar vor allem dur<strong>ch</strong> Karperkraft <strong>und</strong>Ausdauer erkampfen, behalten ihn aber dank ihrer Intelligenz <strong>und</strong> Erfahrungselbst dann, wenn sie alterssehwa<strong>ch</strong> werden.1st die Rangordnung erst einmal festgelegt, kann das Leben in der Cruppeso friedli<strong>ch</strong> werden, daE man die Existenz einer sozialen Sehi<strong>ch</strong>tung kaumvermutet. Kennt man die Hierar<strong>ch</strong>ie, entdeekt man ihre Auswirkungen jedo<strong>ch</strong>aueh im Friedenszustand. Das Leittier eines Wolfsrudels ist unzweifelhaftan seiner Kopf-, Ohren- <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>wanzhaltung sowie an der selbstbewuEtenArt zu erkennen, in der es si<strong>ch</strong> anderen Mitgliedern nahert. In anderenFallen res sei nur an die Bu<strong>ch</strong>finken-Weibehen erinnert) besitzen dominanteTiere eine graEere Individualdistanz als untergeordnete. Dariiberhinaus genieEen Ranghohe immer bestimmte Vorteile. Sie gehen als ersteans Futter, haben den besten S<strong>ch</strong>laf- oder Nistplatz <strong>und</strong> sind meist die einzigen,die brtinstige Weib<strong>ch</strong>en begatten. Vielfa<strong>ch</strong> erfiillen sie aber au<strong>ch</strong> gewissePfliehten, von denen die Rangniederen befreit sind. In einer Gruppevon Rotgesi<strong>ch</strong>tmakaken (Macaca fuscata] leiten <strong>und</strong> beaufsi<strong>ch</strong>tigen sie dieCemeins<strong>ch</strong>aft. Sie s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ten Streitigkeiten, bewahren Weib<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Jungevor BeHistigungen dur<strong>ch</strong> jiingere Mann<strong>ch</strong>en, kiimmern si<strong>ch</strong> um die imVorjahr geborenen Kinder, wenn die Mtitter wieder s<strong>ch</strong>wanger sind, <strong>und</strong>treten besonders starken Feinden entgegen, wahrend ungefahrli<strong>ch</strong>ere Angreifervon einer untergeordneten Mann<strong>ch</strong>engruppe abgewehrt werden, die ­ebenso wie bei Pavianen - au<strong>ch</strong> die K<strong>und</strong>s<strong>ch</strong>after <strong>und</strong> Anfiihrer beimWeiterwandern stellt (Abb. S. 482).AuEer dur<strong>ch</strong> soIehe Verhaltensweisen wird die Hierar<strong>ch</strong>iestellung oftau<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> morphologisehe <strong>und</strong> physiologisehe Merkmale widergespiegelt.Der ranghohe Gambusen-Karpfling (Gambusia hurtadoi) ist an einer intensiverenGelbfarbung in Riieken- <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>wanzflosse zu erkennen <strong>und</strong> derEntstehung vonRangordnungenAuswirkungenVorreehte <strong>und</strong> Pfliehtender RanghohenMorphologis<strong>ch</strong>e Kennzei<strong>ch</strong>ender Ranghohen


BIOLOGISCHE BEDEUTUNG DER AGGRESSION 361Dickhorns<strong>ch</strong>afe konnendie Rangstellung ihrerArtgenossen an der Hornstarkeerkennen, die mitdem Alter zunimmt Iv. r.n.l.).tibergeordnete Kanin<strong>ch</strong>enbock an seiner vergroEerten Kinndrtise, mit derenSekret er das Gruppenrevier markiert (s. S. 3721 - eine Tatigkeit, die au<strong>ch</strong> beianderen Arten vorwiegend von ranghohen Tieren dur<strong>ch</strong>ge£tihrt wird.Au<strong>ch</strong> man<strong>ch</strong>e Tierarten s<strong>ch</strong>einen an bestimmten Merkmalen die Ranghoheder anderen Gruppenmitglieder erkennen zu konnen. »Wilds<strong>ch</strong>afes<strong>ch</strong>atzen ihren Artgenossen na<strong>ch</strong> der HorngroEe ein«, wie I. Eibl­Eibesfeldt zitiert, »<strong>und</strong> fremde Hinzukommlinge konnen si<strong>ch</strong> kampflosin eine bestehende S<strong>ch</strong>afgruppe rangmaEig einreihen« (s. Abbildung). Dasspri<strong>ch</strong>t gegen die weit verbreitete Ansi<strong>ch</strong>t, Hierar<strong>ch</strong>ien konnten si<strong>ch</strong> nurunter Lebewesen ausbilden, die einander individueH kennen, weil si<strong>ch</strong>jeder seine Vorgesetzten merken muK Es wtirde ausrei<strong>ch</strong>en, wenn ein Tierbestimmte Kennzei<strong>ch</strong>en jedes beliebigen anderen mit seinen eigenen verglei<strong>ch</strong>t.Ob das immer nur na<strong>ch</strong> einem LernprozeE mogli<strong>ch</strong> ist - wie beiHirs<strong>ch</strong>en - oder au<strong>ch</strong> ohne Erfahrung, wissen wir bisher ni<strong>ch</strong>t.Biologis<strong>ch</strong>e <strong>Bedeutung</strong>des aggressiven Verhaltens<strong>und</strong> der Reviere11/;gIi' "K6rpergewi<strong>ch</strong>tKorpergewi<strong>ch</strong>tBeziehungen zwis<strong>ch</strong>enKorpergewi<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Nahrungsbedarf[oben) <strong>und</strong>Korpergewi<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> ReviergroBe(untenj Text. S.362).Eine Antwort auf die Frage, weI<strong>ch</strong>e Funktion die innerartli<strong>ch</strong>e Aggressionerftillt, hat s<strong>ch</strong>on Charles Darwin gegeben: Die Starkeren <strong>und</strong> Gesiinderenwerden in Rivalenkampfen um Weib<strong>ch</strong>en, Reviere <strong>und</strong> Rangstellungen ftirdie Fortpflanzung ausgelesen <strong>und</strong> bieten die si<strong>ch</strong>erste Gewahr ftir lebenstti<strong>ch</strong>tigeNa<strong>ch</strong>kommen. Die yom innerartli<strong>ch</strong>en Kampfverhalten getriebeneSelektion hat dadur<strong>ch</strong> zum Herauszii<strong>ch</strong>ten besonders starker Tiere gefiihrt ­vor aHem von wehrhaften Mann<strong>ch</strong>en. Ihre Kraft <strong>und</strong> Gewandtheit kanndariiber hinaus in zwis<strong>ch</strong>enartli<strong>ch</strong>en Auseinandersetzungen vorteilhaftsein, wenn es zum Beispiel darum geht, die Gruppe, den Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tspartner,die Na<strong>ch</strong>kommen oder au<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> selbst gegen Raubfeinde zu verteidigen.Trotz soI<strong>ch</strong>er We<strong>ch</strong>selwirkungen zwis<strong>ch</strong>en intra- <strong>und</strong> interspezifis<strong>ch</strong>erAggression sollte man die beiden ni<strong>ch</strong>t in einen Topf werfen (s. S. 391). Dieeben genannte Funktion ist allen Kampfen eigen. Ferner dienen sie dazu,bestimmte Objekte <strong>und</strong> vor allem Reviere zu erwerben, Individualdistanzeneinzuhalten <strong>und</strong> Rangstellungen zu erobern (s. S. 355 H.). Worin deren <strong>biologis<strong>ch</strong>e</strong><strong>Bedeutung</strong> liegt, wollen wir im Folgenden erortern.Einen Hinweis auf die Funktion von Revieren liefert die Antwort aufdie Frage: »Wann werden sie besetzt?« Viele Tiere grtinden erst Reviere,wenn sie ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsreif werden. Hierin deutet si<strong>ch</strong> eine enge Beziehungzur Fortpflanzung an, die dur<strong>ch</strong> die zahllosen FaIle im Tierrei<strong>ch</strong> belegtwird, in denen Erwa<strong>ch</strong>sene zwis<strong>ch</strong>en zwei Brutperioden ni<strong>ch</strong>t territorial sind<strong>und</strong> soI<strong>ch</strong>e ohne Revier si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t fortpflanzen. Weiteren Aufs<strong>ch</strong>luE liefertdie Untersu<strong>ch</strong>ung, weI<strong>ch</strong>e Tatigkeiten im verteidigten Gebiet ausgefiihrtwerden. Kampflaufer <strong>und</strong> Paradiesvogel balzen <strong>und</strong> paaren si<strong>ch</strong> dortj Silbermowenverpaaren si<strong>ch</strong> in einem, brtiten in einem anderen Revier (s. S. 357).In diesen Fallen kann man die Funktion ni<strong>ch</strong>t nur im Zusammenhangmit der Fortpflanzung, sondern genauer mit Balz, Brtiten usw. vermuten.Aufgr<strong>und</strong> sol<strong>ch</strong>er <strong>und</strong> ahnli<strong>ch</strong>er Beoba<strong>ch</strong>tungen s<strong>ch</strong>reibt man den Revierenfolgende Aufgaben zu:aJ Die Vertrautheit mit einem Gebiet ist bei der Nahrungssu<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> beider Flu<strong>ch</strong>t vor Raubern vorteilhaft <strong>und</strong> fordert auEerdem die Kampfkraftgegen Rivalen (s. S. 358).


362 INNERARTLICHE AGGRESSIONb) Entfernen si<strong>ch</strong> die Partner kurzfristig (z. B. zur Nahrungssu<strong>ch</strong>e) oderbis zur na<strong>ch</strong>sten Brutsaison, so ist es lei<strong>ch</strong>ter, einander wiederzufinden,wenn man einen »Treffpunkt« hat. Bekannt ist, daB die Dauerehe desStor<strong>ch</strong>enpaares dadur<strong>ch</strong> zustande kommt, daB Mann<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Weib<strong>ch</strong>enmit demselben Nest »verheiratet« sind. Ein Revier erlei<strong>ch</strong>tert also Paarbildung<strong>und</strong> -zusammenhalt, was fiir den Fortpflanzungserfolg sehr ents<strong>ch</strong>eidendsein kann.c) Da die Na<strong>ch</strong>barn ihre Reviergrenzen respektieren (s. S. 371 f.), konnenSttirungen bei Balz, Kopulation, Nestbau <strong>und</strong> Aufzu<strong>ch</strong>t der Jungen starkherabgesetzt werden.Einen weiteren Hinweis auf die Funktion der Reviere geben die verteidigtenObjekte. Sie sind in kleinen Gebieten verhaltnismaEig einfa<strong>ch</strong> festzustellenjdenn die Reviergrenzen vieler Kolaniebrtiter, wie etwa Mowen<strong>und</strong> Flamingos, ums<strong>ch</strong>lieBen kaum mehr als den Nistplatz (Abb. S. 369).Aber wel<strong>ch</strong>es ist das wi<strong>ch</strong>tigste Objekt in einem ausgedehnten Revier, wo esalles gibt, was ein Tier brau<strong>ch</strong>t? Das verrat uns die Aufenthaltshaufigkeit<strong>und</strong> Kampfintensitat der Besitzer an vers<strong>ch</strong>iedenen Orten des Territoriums.1m Revier vieler Arten stellt der Brutplatz das zentrale Objekt dar. Dasgilt insbesondere fiir sol<strong>ch</strong>e Tiere, die spezielle Anfarderungen stellen<strong>und</strong> zum Beispiel ihre Eier im Sand vergraben fMeere<strong>ch</strong>sen), auf raumli<strong>ch</strong>bes<strong>ch</strong>rankten Felsen briiten (Mowen) oder ihre Jungen in Hohlen grogziehen(Dahlen, Starej viele Saugetiere). Andere Reviere sind urn Zuflu<strong>ch</strong>tsortekonzentriert rWinkerkrabbenJ oder urn die Nahrungsquelle (Rots<strong>ch</strong>wanzbussard,man<strong>ch</strong>e Kolibri- <strong>und</strong> Wiirgerarten). Gerade iiber die <strong>Bedeutung</strong>eines Reviers fiir die Versorgung mit Futter ist oft diskutiert worden.Seit einigen Jahren bemtiht man si<strong>ch</strong>, sol<strong>ch</strong>e Beziehungen mit statistis<strong>ch</strong>enMethoden exakt zu erfors<strong>ch</strong>en. In einer umfassenden Untersu<strong>ch</strong>ungan siebzig Vogelarten stellte T. W. S<strong>ch</strong>oener folgende Zusammenhange fest:- Nahrungsanspru<strong>ch</strong> ist mit Korpergewi<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Korpergewi<strong>ch</strong>t mit Reviergrogepositiv korreliert, das heigt, grogere Arten haben in der Regeleinen hoheren Nahrungsanspru<strong>ch</strong> <strong>und</strong> verteidigen grogere Gebiete (Abb.S.3 61 ).- Greifvogel behaupten meist grogere Reviere als Pflanzen- oder Allesesserdesselben Gewi<strong>ch</strong>ts (Abb. S. 361).- Greifvogel, die in Gebieten mit wenigen Beutetieren leben, besetzen ausgedehntereReviere als ihre Artgenossen in nahrungsrei<strong>ch</strong>eren Gegenden.Neben salehen verglei<strong>ch</strong>enden Untersu<strong>ch</strong>ungen kann man Experimentedur<strong>ch</strong>fiihren. Erhoht man dur<strong>ch</strong> Dtingung den Fla<strong>ch</strong>enertrag an Heidekraut,begntigen si<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>ottis<strong>ch</strong>e Moors<strong>ch</strong>neehiihner (Lagapus lagapus scaticus),die si<strong>ch</strong> von diesen Pflanzen <strong>und</strong> ihren Beeren ernahren, mit kleineren Bezirkenals zuvor.Sol<strong>ch</strong>e Feststellungen dtirfen jeda<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dazu verleiten, nun samtli<strong>ch</strong>enRevieren diese N ahrungsfunktian zuzus<strong>ch</strong>reiben. Einige Vogel verkleinernnamli<strong>ch</strong> ausgere<strong>ch</strong>net dann ihren Besitz, wenn die Jungen ges<strong>ch</strong>ltipft sind<strong>und</strong> geftittert werden miissenj andere su<strong>ch</strong>en Nahrung auf neutralen Griindenjdritte - wie zum Beispiel das Rotkehl<strong>ch</strong>en - verletzen gerade wahrendder Nahrungssu<strong>ch</strong>e aft ungestraft die Grenzen.Die meisten Tiere drohen,indem sie dem Gegnerihre Waffen zeigen odersi<strong>ch</strong> in anderer Weiseimposant ma<strong>ch</strong>en: Derdrohende Barenmakak[Macaca arctoidesJ zumBeispiel entb16Bt seinGehiE. Glei<strong>ch</strong>zeitig »steigtihm das Blut zu Kopf«,so daB die nackten Hautpartienum die Augenleu<strong>ch</strong>tend hervortreten.<strong>Bedeutung</strong> der Reviereftir die Nahrungssu<strong>ch</strong>e


EVOLUTION DES REVIERVERHALTENS 365Unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e <strong>Formen</strong>des Drohverhaltens:Oben: Flamingos <strong>und</strong>andere Vogel ri<strong>ch</strong>ten inder Drohgebarde ihrenS<strong>ch</strong>nabel auf den Gegner,in der Demutsgebardehingegen ziehen sie ihnzurtick.Mitte links: Die Kragene<strong>ch</strong>sestemmt ihrenVorderkorper ho<strong>ch</strong> <strong>und</strong>spreizt die gewohnli<strong>ch</strong>am Karper anliegendehiiutige Halskrause aboMitte re<strong>ch</strong>ts: Die Westafrikanis<strong>ch</strong>eLandkrabbeIGecarcinus) zeigt inextremer Drohhaltungdem Rivalen ihre S<strong>ch</strong>eren,deren Wirkung dur<strong>ch</strong>die vom tibrigen Karperabste<strong>ch</strong>ende Rotfarbungno<strong>ch</strong> gesteigert wird.Unten: Zwei mannli<strong>ch</strong>eSee-Elefanten, deren Narbenvon vielen Kampfenzeugen, ri<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> ander Reviergrenze auf <strong>und</strong>unterstrei<strong>ch</strong>en diese optis<strong>ch</strong>eDemonstration dur<strong>ch</strong>lautes Brullen.Au<strong>ch</strong> darf man ni<strong>ch</strong>t annehmen, daB jedes vorteilhafte Ergebnis des Revierverhaltensim Laufe der Evolution speziell zugunsten dieses Ergebnissescntwickelt worden sei - cine Annahmc, zu der der Ausdruck »<strong>biologis<strong>ch</strong>e</strong>Funktion« lei<strong>ch</strong>t verftihrt. DaB ein Tier in seinem Revier bestimmte Objektefindet oder ni<strong>ch</strong>t gestOrt wird, kann ein Nebeneffekt sein, der bedeutungslosist, solange diese Objekte rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> vorhanden sind oder eineStorung au<strong>ch</strong> ohne Revier ni<strong>ch</strong>t stattfindet.Quantitative Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en Revier <strong>und</strong> Bruterfolg sind aberbisher kaum umfassend untersu<strong>ch</strong>t worden. Eine der wenigen Ausnahmenbildet J. v. d. Assems Arbeit tiber den Dreista<strong>ch</strong>ligen Sti<strong>ch</strong>ling, beidem Mann<strong>ch</strong>en mit groBeren Revieren in Nestbau, Balz <strong>und</strong> Brut tatsa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>erfolgrei<strong>ch</strong>er sind. Wenn aber wie hier Individuen mit Revieren von angemessenerAusdehnung mehr Junge groBziehen als ni<strong>ch</strong>tterritoriale oder sol<strong>ch</strong>emit kleineren Gebieten, werden die letzteren irn Laufe der Zeit verdrangt.Die Entwicklung der Territorialitat kann daher dur<strong>ch</strong> Begtinstigungder tiberlegenen Individuen entstanden sein, als Ergebnis der nattirli<strong>ch</strong>enSelektion. Einige Biologen - vor allem V. C. Wynne-Edwards - glauben jedo<strong>ch</strong>,daB man eine sol<strong>ch</strong>e Entwicklung nur mit Gruppenselektion, also dur<strong>ch</strong>eine Auswahl der besser angepaBten Populationen, erkIaren kann. DieserAnnahme liegt die Beoba<strong>ch</strong>tung zugr<strong>und</strong>e, daB das Revierverhalten ni<strong>ch</strong>tnur fur das Einzeltier, sondern au<strong>ch</strong> fur die Gesamtpopulation Vorteilebringt:a) Dur<strong>ch</strong> das Abgrenzen von Revieren werden Artgenossen auf Abstandgehalten; dadur<strong>ch</strong> verteilt si<strong>ch</strong> die Art tiber ein groBeres Areal. Einen derVorteile, den eine sol<strong>ch</strong>e Ausbreitung [englis<strong>ch</strong> spacing-out) hat, verdeutli<strong>ch</strong>tKonrad Lorenz an einem Beispiel aus dem mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Berufsleben:»Wenn in einem bestimmten Gebiet auf dem Lande eine groBere Anzahlvon Arzten oder Kaufleuten oder Fahrradme<strong>ch</strong>anikern ihr Auslangen findensoIl, werden die Vertreter jedes dieser Berufe gut daran tun, si<strong>ch</strong> mogli<strong>ch</strong>stweit weg voneinander anzusiedeln.« Ebenso wie K<strong>und</strong>enkreise <strong>und</strong> Absatzmarkteim mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> sind au<strong>ch</strong> viele ftir Tiere lebenswi<strong>ch</strong>tigeUmweltbedingungen - wie zum Beispiel Nahrung <strong>und</strong> Bohlen - innerhalbeines Gebietes nur in begrenzter Menge vorhanden. Sie wurden tibermaBigbeanspru<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> ausgebeutet, wenn si<strong>ch</strong> aIle Artgenossen dort konzentrierenwurden. Die AbstoBung ftihrt dazu, daB neue Bezirke besiedelt <strong>und</strong> weitereQuellen ers<strong>ch</strong>lossen werden.b) Da si<strong>ch</strong> bei revierbildenden Arten in der Regel nur Tiere fartpflanzen,die einen Besitz erobern <strong>und</strong> erfolgrei<strong>ch</strong> verteidigen, ist territoriales Verhaltenzuglei<strong>ch</strong> ein wi<strong>ch</strong>tiger Me<strong>ch</strong>anismus der Na<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>skontrolle. Die Na<strong>ch</strong>kommenzahlwird ja - tiber die Anzahl der Reviere - dur<strong>ch</strong> das Angebotan lebenswi<strong>ch</strong>tigen Objekten bestimmt, <strong>und</strong> die Anpassungsfahigkeit derTerritorialitat an die jeweiligen Bedingungen - zum Beispiel bei viel Nahrungzahlrei<strong>ch</strong>ere kleinere, bei wenig Nahrung nur einige groBere Reviere ­stellt si<strong>ch</strong>er, daB die Varrate aufs beste ausgenutzt werden.c) Die ni<strong>ch</strong>tterritarialen Individuen bilden auBerdem eine Reserve, dieVerluste ausglei<strong>ch</strong>en kann, wenn Revierbesitzer Feinden, Unfallen oderKrankheiten zum Opfer fallen. Das zeigt deutli<strong>ch</strong> ein Experiment, bei dem


366 INNERARTLICHE AGGRESSIONin einem Waldgebiet samtli<strong>ch</strong>e Vogel, die einen bestimmten Wurm verzehren,entfernt wurden. Sobald ein territoriales Paar si<strong>ch</strong> zeigte, wurde esabges<strong>ch</strong>ossen; denno<strong>ch</strong> waren die Reviere jeden Tag neu besetzt.d) Untersu<strong>ch</strong>ungen von Tinbergen <strong>und</strong> seinen Mitarbeitern deuten einenweiteren Vorteil des Auseinanderruckens an: einen besseren S<strong>ch</strong>utz vontarnfarbigen Gelegen <strong>und</strong> Na<strong>ch</strong>kommen vor Raubern. Sie legten Moweneiervers<strong>ch</strong>ieden weit voneinander im Freiland aus <strong>und</strong> fanden, daB Rabenkrahenurn so mehr Eier zersttirten, je di<strong>ch</strong>ter sie lagen. Die Krahen su<strong>ch</strong>ennamli<strong>ch</strong>, wie andere Rauber au<strong>ch</strong>, in der naheren Umgebung des OItes,wo sie zuerst etwas gef<strong>und</strong>en haben, weiter. Lebt die Beute verteilt, gebensie die Su<strong>ch</strong>e bald auf.V. C. Wynne-Edwards <strong>und</strong> einige andere sehen diese Reg<strong>uli</strong>erungsme<strong>ch</strong>anismenals Ursa<strong>ch</strong>e fur die Selektion des Revierverhaltens an <strong>und</strong> betra<strong>ch</strong>tendie Vorteile fur das Individuum als Nebeners<strong>ch</strong>einung. Die zahlrei<strong>ch</strong>erenVertreter der natiirli<strong>ch</strong>en Selektion sind dagegen der Ansi<strong>ch</strong>t,die Folgen fur die Population seien eine Begleiters<strong>ch</strong>einung der Selektionsvorteilefur das Individuum. Neben diesen Meinungsunters<strong>ch</strong>ieden gibt esau<strong>ch</strong> betra<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>eDifferenzen in derFrage, wel<strong>ch</strong>e der aufSeite 361ff. genanntenAufgaben besonders wi<strong>ch</strong>tig sind. Das liegt einerseits an den bestehendenArtunters<strong>ch</strong>ieden, andererseits an unserer bisher no<strong>ch</strong> mangelhaftenKenntnis der Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en Umwelt <strong>und</strong> Verhalten.Au<strong>ch</strong> die <strong>Bedeutung</strong> der Individualinstanz lag na<strong>ch</strong> P. Marler urspriingli<strong>ch</strong>darin, ein Lebewesen mit bestimmten notwendigen Umweltfaktoren zu versorgen- vor allem mit Nahrung. Die aggressiven Auseinandersetzungen indiesem Zusammenhang treten namli<strong>ch</strong> besonders im Winter hervor, wenndie Tiere si<strong>ch</strong> an den wenigen Platzen konzentrieren, wo no<strong>ch</strong> Futter zu findenist.Wie man oft meint, haben Rangordnungen die Aufgabe, standige Auseinandersetzungeninnerhalb einer Gruppe zu vermeiden - ein Stabilisierungseffekt,der zweifellos vorhanden ist (s. Abbildungl, der aber si<strong>ch</strong>er ni<strong>ch</strong>t dieeinzige Funktion darstellt. Die Vorre<strong>ch</strong>te der Ranghohen an Futter- <strong>und</strong>Agonistis<strong>ch</strong>eVerhallensweisen/Std.110100908070605040302010S<strong>ch</strong>lafplatz beispielsweise gewahrleisten, daB zumindest sol<strong>ch</strong>e Tiere gut ernahrt<strong>und</strong> ausgeruht sind, die innerhalb der Gruppe <strong>und</strong> bei ihrer Verteidigungbesondere Aufgaben zu erfullen haben (s. S. 360). Na<strong>ch</strong> A. Rasa entspri<strong>ch</strong>tdie Hierar<strong>ch</strong>ie bei der Zwergmangustengruppe den Anforderungen,die an die Mitglieder gestellt werden: Das Alpha-Weib<strong>ch</strong>en ist das einzige,das Junge zur Welt bringt; das Beta-Mann<strong>ch</strong>en geht oft allein gegen Eindringlingevor; <strong>und</strong> die darauffolgenden Jungen brau<strong>ch</strong>en mehr Nahrung alsDie Frage, dur<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>eReize aggressive VerhaltensweisenausgelOst werden,lzlart man in Attrappenversu<strong>ch</strong>en.Befestigtman im Revier eines Rotkehl<strong>ch</strong>enseinen ausgestapftenJungvogel mitbraunem Brustgefieder<strong>und</strong> ein rates Federbus<strong>ch</strong>el,so wird das rateBus<strong>ch</strong>el haufiger <strong>und</strong> heftigerangedroht [TextS·368 ).<strong>Bedeutung</strong> derIndividualdistanzen<strong>Bedeutung</strong> derRangordnungenAnzahl der agonistis<strong>ch</strong>enVerhaltensweisen proSt<strong>und</strong>e in einer Gruppegefangener Rhesusaffen.Na<strong>ch</strong> dem Zusammensetzender Tiere nimmt dieHaufigkeit innerhalb vonS Wo<strong>ch</strong>en bis auf einenDur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt von 1S aboDiese Zahl steigt jedo<strong>ch</strong>bei jeder Starung der stabilisiertenGemeins<strong>ch</strong>aft:A Verkleinerter Kafig; beiB <strong>und</strong> C wurden jeweilszwei erwa<strong>ch</strong>sene Weib<strong>ch</strong>enhinzugesetzt.


N~RRotbau<strong>ch</strong>ige Sti<strong>ch</strong>lingsattrappen[R) werden haufiger<strong>und</strong> heftiger angegriffenals ein naturgetreuesModell (N) ohne Rot.Senkre<strong>ch</strong>t gebotene Attrappenwirken starker alssol<strong>ch</strong>e in waagre<strong>ch</strong>ter Position(Text S. 368).BEDEUTUNG DER RANGORDNUNGEN 367die am S<strong>ch</strong>luE stehenden Alttiere, cia sie si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> in der Entwicklung be­Hnden. 1st gentigend Futter vorhanden, bekommt au<strong>ch</strong> das Omega-Tier no<strong>ch</strong>etwas abo Wird die Nahrung knapp, werden die Gruppenmitglieder in derReihenfolge ihrer Unwi<strong>ch</strong>tigkeit ausges<strong>ch</strong>lossen. Ftir mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e MaEstabe,ftir die es wi<strong>ch</strong>tige <strong>und</strong> unwi<strong>ch</strong>tige Mitglieder ni<strong>ch</strong>t geben sollte, ers<strong>ch</strong>eintdas ungere<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> grausam. Biologis<strong>ch</strong> ist es aber dur<strong>ch</strong>aus sinnvol1; dennim Konflikt zwis<strong>ch</strong>en »alle zu wenig oder einige genug«, also zwis<strong>ch</strong>en den1nteressen des 1ndividuums <strong>und</strong> der Erhaltung der Art, muE zugunsten derArt ents<strong>ch</strong>ieden werden.Sofern die Eigens<strong>ch</strong>aften der Ranghohen - zum Beispiel Starke, Ges<strong>und</strong>heitusw. - genetis<strong>ch</strong> festgelegt sind, ist es au<strong>ch</strong> sinnvoll, wenn diese TiereVorre<strong>ch</strong>te bei den Weib<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> am Brutplatz haben. Es wmde ja bereitserwahnt, daE es vorteilhaft ftir die Art ist, wenn si<strong>ch</strong> die wehrhaftesten Angehorigenfortpflanzen. Bei den ho<strong>ch</strong>entwickelten Lebewesen, bei denenau<strong>ch</strong> 1ntelligenz <strong>und</strong> Erfahrung tiber die Rangstellung ents<strong>ch</strong>eiden - zumindesttiber ihre Beibehaltung (s. S. 360) -, ist es wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> ntitzli<strong>ch</strong>, wennselbst starke <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>e Gruppenmitglieder so lange von der Fortpflanzungausges<strong>ch</strong>lossen werden, bis sie eine Lernphase dur<strong>ch</strong>laufen, die Erfahrungender Alteren mit ihren eigenen vereinigt <strong>und</strong> damit auEer der Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsreifeau<strong>ch</strong> die »soziale Reife« erlangt haben. Si<strong>ch</strong> den Ranghohen (Erfahrenen)unterzuordnen, dtirfte unter diesen Bedingungen ftir die Gruppe in derRegel vorteilhaft sein. Es ist bekannt, daE Sehimpansen <strong>und</strong> andere Affennm Ranghoheren <strong>und</strong> Ranggleiehen etwas na<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> daE Dohlen dieS<strong>ch</strong>reekensauEerung eines Jungvogels kaum bea<strong>ch</strong>ten, aber sofort fliehen,wenn der Alarm von einem Altvogel ausgeht. Allerdings wissen wir tiber diegenauere <strong>Bedeutung</strong> sol<strong>ch</strong>er Autoritat ftir einen Verband bisher ebensowenigBeseheid wie tiber die einer anderen - si<strong>ch</strong>er positiven - Auswirkung derHierar<strong>ch</strong>ien: die Aufgabenteilung.Manehe der positiven Auswirkungen aggressiver Handlungen sind aueh inanderer Weise zu errei<strong>ch</strong>en, vor allem die Reg<strong>uli</strong>erung der Populationsdi<strong>ch</strong>te.Das untenstehende S<strong>ch</strong>ema faEt einige Mogli<strong>ch</strong>keiten zusammen <strong>und</strong>zeigt, daE - bezogen auf das ganze Tierreieh - aggressive Verhaltensweisennm einen Komplex von Reg<strong>uli</strong>erungsfaktoren darstellen - allerdings einen,der im Verlauf der Stammesges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te zunehmend an <strong>Bedeutung</strong> gewonnenhat, bis si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lieHli<strong>ch</strong> bei den ho<strong>ch</strong>entwickelten Wirbeltieren die sozialen<strong>und</strong> physiologis<strong>ch</strong>en Faktoren frtiher di<strong>ch</strong>tebegrenzend auswirken als diephysikalis<strong>ch</strong>en.Di<strong>ch</strong>le-abhlingige FaktorenDi<strong>ch</strong>te-unabhlingige FaktorenIAggressionIIKonkurrenzIIIGerangelIRivalen­ Territoria­ Gerangel Stress Meiden EinfluB v. Wetter Verdr/flung Sterbli<strong>ch</strong>karnpflilal <strong>und</strong> urn Mangel­ <strong>und</strong> Parasiten keitRangordng. faktoren Abwandern u. RaubernN aehteile aggressivenVerhaltensDie bisherige Sehilderung kannte lei<strong>ch</strong>t den Eindruek erwecken, daE einTier urn so erfolgrei<strong>ch</strong>er sein mtiEte, je aggressiver es ist. Zu hohe Aggres­


368 INNERARTLICHE AGGRESSIONsion hat jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Na<strong>ch</strong>teile. Einer von ihnen ist die' Zeitvers<strong>ch</strong>wendung.Ein Tier, das ununterbro<strong>ch</strong>en in Auseinandersetzungen verWickelt ist oderstandig die Grenzen eines riesigen Reviers kontrolliert, kann si<strong>ch</strong> zwangslaufigweniger um Nahrungssu<strong>ch</strong>e, Ba1z, Nestbau, Futtern der Jungen <strong>und</strong>andere Tatigkeiten kummern. DaB eine so1<strong>ch</strong>e aggressive Verna<strong>ch</strong>lassigung[englis<strong>ch</strong> aggressive neglect) den Fortpflanzungserfolg beeintra<strong>ch</strong>tigen kann,haben Untersu<strong>ch</strong>ungen an mehreren Vogelarten <strong>und</strong> am Sti<strong>ch</strong>ling gezeigt.Liegt allerdings wie bei Insektenstaaten [z. B. Termiten) eine Arbeitsteilungvor, in der einige Mitglieder als »Berufssoldaten« wirken <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> ohnehinni<strong>ch</strong>t an Nahrungssu<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> Fortpflanzungstatigkeiten beteiligen, dann istfur diese Individuen die in Auseinandersetzungen mit Na<strong>ch</strong>bargruppenverbra<strong>ch</strong>te Zeit ni<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>wendet.Ein weiterer Na<strong>ch</strong>teil liegt in der Gefahr, der si<strong>ch</strong> ein kampfendes Tieraussetzt. Es kann lei<strong>ch</strong>ter von Raubern erbeutet werden, da es si<strong>ch</strong> ganz aufdie Auseinandersetzung konzentrieren mu£. Au<strong>ch</strong> besteht - vor allem furden Unterlegenen - die Gefahr, verletzt oder gettitet zu werden. In diesemFall wurde die Art ihre Reserve verlieren, die notig ist, urn Verluste auszuglei<strong>ch</strong>en.Sie wurde daruber hinaus ihren Genbestand (englis<strong>ch</strong> gene-pool) sostark reduzieren, daB die Mogli<strong>ch</strong>keit der Inzu<strong>ch</strong>t bestande.Ferner besteht die Gefahr, daB ein zu aggressives Tier ni<strong>ch</strong>t zur Fortpflanzunglwmmt, weil der Partner standig vor ihm £lieht, oder daB esden Bruterfolg gefahrdet, weil es seine eigenen Jungen angreift. Wenn abersehr aggressive Individuen weniger Junge ho<strong>ch</strong>bringen als andere, wird derprozentuale Anteil ihrer Erbanlagen am Gen-Gesamtbestand der Na<strong>ch</strong>kommen-Populationenebenso geringer werden wie der von Individuen, die zuwenig aggressiv sind. Daher werden si<strong>ch</strong> die Erbanlagen jener Tiere dur<strong>ch</strong>setzen,deren Aggression ein Maximum an Vorteilen bei einem glei<strong>ch</strong>zeitigenMinimum an Na<strong>ch</strong>teilen gewahrleistet (s. die Bes<strong>ch</strong>reibung einer derartigen»ausbalancierten Aggression« auf S. 371f£.). Zuna<strong>ch</strong>st muG erklart werden,warum ein Tier von all den Angehorigen der eigenen Art (Junge, Weib<strong>ch</strong>en,Mann<strong>ch</strong>en usw.) nur einige als Konkurrenten behandelt <strong>und</strong> angreift.Aggressive Verhaltensweisen werden - wie andere au<strong>ch</strong> - von bestimmtenReizen ausgelost (s. das Kapitel uber spezifis<strong>ch</strong>e Reizmuster, S. 234 H.I. Nahertsi<strong>ch</strong> eine Ameise einem Nesteingang, wird sie haufig von Wa<strong>ch</strong>ternmit Antennen <strong>und</strong> M<strong>und</strong>werkzeugen untersu<strong>ch</strong>t. Hat sie einen koloniefremdenGeru<strong>ch</strong>, wird sie angegriffen. Neben Geru<strong>ch</strong>sstoffen sind im Tierrei<strong>ch</strong>vor aHem optis<strong>ch</strong> wahrnehmbare Gebilde, Farbungen, Stellungen<strong>und</strong> Bewegungen sowie LautauBerungen als S<strong>ch</strong>lusselreize <strong>und</strong> AuslOser verbreitet:beim mannli<strong>ch</strong>en Sti<strong>ch</strong>ling der rote Bau<strong>ch</strong> <strong>und</strong> die Kopfuberhaltung,(Abb. S. 367), beim Rotkehl<strong>ch</strong>en die Farbe des Brustgefieders (Abb. S. 366)<strong>und</strong> der Gesang.Das AuslOsen aggressiver Verhaltensweisen liegt jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t an den vomGegner gebotenen Reizen aHein. Derselbe Vogel, der auf funfzig Meter <strong>und</strong>mehr angegriffen wird, wenn er in das Revier eines anderen eindringt, kannsi<strong>ch</strong> dem Besitzer bis auf wenige Meter nahern, solange er dabei die Grenzeni<strong>ch</strong>t uberquert. Das beweist ebenso wie der Reagenzglas-Versu<strong>ch</strong> Tinber-Beispiele fur Reviere<strong>und</strong> Konkurrenzsituationen:Oben re<strong>ch</strong>ts: Zwei Dreizehenmowenstreiten si<strong>ch</strong>urn einen Nahrungsbrocken.Oben links: Der regelmaBigeAbstand zwis<strong>ch</strong>enden selbstgegrabenenWohnlo<strong>ch</strong>ern vielerKrabbenarten zeigt, dagdiese Tiere ni<strong>ch</strong>t nur dieHahle, sondern au<strong>ch</strong>ein umgebendes Gebiet ­das Revier - gegen Artgenossenverteidigen.Mitte: Seelawen-Mann<strong>ch</strong>enteHen vor derAnkunft der Weib<strong>ch</strong>endur<strong>ch</strong> Kiimpfe die Uferzoneunter si<strong>ch</strong> auf. Nurwer ein Revier eroberthat, kann einen Haremgriinden.Unten: Die winzigenNistreviere der Flamingos,die nur den selbsterri<strong>ch</strong>tetenS<strong>ch</strong>lammhiigel mitdem darauf gelegten E~umfassen, liegen di<strong>ch</strong>t andi<strong>ch</strong>t.AuslOsende Reize


VERRINGERN DER KAMPFHAUFIGKEIT 371Beispiele fur Revierkennzei<strong>ch</strong>nung:• Links oben: Dur<strong>ch</strong>leu<strong>ch</strong>tende Farben <strong>und</strong>rhythmis<strong>ch</strong>e Auf- <strong>und</strong>Abbewegungen des Vorderkarpersgibt das Mann<strong>ch</strong>ender Siedleragameanderen Mann<strong>ch</strong>en zuerkennen, daB diesesGebiet ihm gehart.Links Mitte: Das Mann<strong>ch</strong>ender Reiterkrabbebeim Bau seiner »Signalpyramide«;sie marldertdie Kopulationshahle<strong>und</strong> »balzt« <strong>und</strong> »droht«stellvertretend fur dasMann<strong>ch</strong>en, das si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>dem Bau in die Hahleim Innern der Pyramidezuruckziehen kann.Re<strong>ch</strong>ts: In einer unterder S<strong>ch</strong>wanzwurzelgelegenen Druse erzeugtder Gepard ein Sekret,mit dem er an vers<strong>ch</strong>iedenenPunkten seinesReviers Baume <strong>und</strong> Strau<strong>ch</strong>erbestrei<strong>ch</strong>t.Unten: Das Rahren derHirs<strong>ch</strong>e ist ein bekanntesBeispiel fur akustis<strong>ch</strong>eRevierkennzei<strong>ch</strong>nung; sieeignet si<strong>ch</strong> ebenso wiedie <strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong>e Kennzei<strong>ch</strong>nung(z. B. beimGepardl eher fur unubersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>eGebiete IWalder,Graslands<strong>ch</strong>aftenu. a.], wo optis<strong>ch</strong>e Signalewie bei Agame <strong>und</strong>Krabbe wirkungsloswaren.gens [So S. 358) <strong>und</strong> die Existenz einer Individualdistanz, daB au<strong>ch</strong> die raumli<strong>ch</strong>eBeziehung zwis<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>iedenen Reizen von ents<strong>ch</strong>eidender <strong>Bedeutung</strong>ist. Ferner spielt der Zeitpunkt, zu dem sie geboten werden, eine Rolle.Dieselbe rotbau<strong>ch</strong>ige Attrappe, die im Frtihjahr heftige Angriffe eines Sti<strong>ch</strong>ling-Mann<strong>ch</strong>ensauslOst, bleibt unter Winterbedingungen wirkungslos. Aufdie vers<strong>ch</strong>iedenen aggressiven Motivationen, die daftir verantwortli<strong>ch</strong> sind,wird no<strong>ch</strong> eingegangen werden Is. S. 379). Und s<strong>ch</strong>lieBli<strong>ch</strong> haben au<strong>ch</strong> andere,glei<strong>ch</strong>zeitig gebotene Reize einen Ein£luB darauf Is. S. 373), ob eine aggressiveVerhaltensweise auftritt.Tiere, die in Familien oder grogeren ges<strong>ch</strong>lossenen Gesells<strong>ch</strong>aften leben,mtissen einerseits tiber Angriffs- <strong>und</strong> Flu<strong>ch</strong>tverhalten verftigen, weil die Auseinandersetzungmit Na<strong>ch</strong>bargruppen notwendig ist, andererseits mug diesesVerhalten aber gegen Gruppenmitglieder abgepuffert werden, wenn der Verbandni<strong>ch</strong>t zerbre<strong>ch</strong>en soIl. Das erfordert, zwis<strong>ch</strong>en Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Feindenunters<strong>ch</strong>eiden zu konnen. In anonymen ges<strong>ch</strong>lossenen Gesells<strong>ch</strong>aften erkennensi<strong>ch</strong> die Mitglieder an tiberindividuellen Merkmalen wie Sippen-,Nest- oder Stockgeru<strong>ch</strong>; in individualisierten Verbanden kennt jeder jedenpersonli<strong>ch</strong>. Zahlrei<strong>ch</strong>e Experimente belegen, daB die Aggression sowohl tiberein gemeinsames Gruppenabzei<strong>ch</strong>en als au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> individuelles Erkennenherabgesetzt werden kann.Versieht man eine Ameise aus der Kolonie A mit dem Geru<strong>ch</strong> der KolonieB, wird sie im Nest B geduldet. Bringt man sie ans<strong>ch</strong>lieBend mit ihremneuen <strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong>en »Mitgliedsausweis« na<strong>ch</strong> A zurtick, fallen die frtiherenGenossen tiber sie her.J. Lampre<strong>ch</strong>t trennte Buntbars<strong>ch</strong>-Eltern [Tilapia mariae) mit einer <strong>und</strong>ur<strong>ch</strong>si<strong>ch</strong>tigenWand so voneinander, daB jeder Elternteil etwa die HaUtedes Jungens<strong>ch</strong>warmes urn si<strong>ch</strong> hatte. Entfernte er na<strong>ch</strong> ftinf St<strong>und</strong>endas Hindernis wieder, so traten in den ersten Minuten ho<strong>ch</strong>stens einiges<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e Angriffsbewegungen zwis<strong>ch</strong>en den Partnern auf. Fing er dagegenna<strong>ch</strong> der Trennung zum Beispiel das Mann<strong>ch</strong>en heraus, setzte ein fremdesin die S<strong>ch</strong>warmhalfte, wartete, bis es na<strong>ch</strong> ftinf St<strong>und</strong>en die Jungen »adoptiert«hatte, <strong>und</strong> entfernte dann die Wand, so war die Zahl der Angriffeni<strong>ch</strong>t nur mehr als dreimal so ho<strong>ch</strong>, sondern sie waren au<strong>ch</strong> wesentli<strong>ch</strong> heftiger.Gab er den einander fremden Tieren vorher Gelegenheit, si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>eine Glass<strong>ch</strong>eibe zu sehen, so nahm die Zahl der dur<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>eibe gegeneinandergeri<strong>ch</strong>teten Angriffe standig ab, bis er na<strong>ch</strong> ein bis zwei TagenMann<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Weib<strong>ch</strong>en zusammenlassen konnte. Auf diese Weise gelanges sogar, zwei Mann<strong>ch</strong>en miteinander zu »verpaaren«.Die Versu<strong>ch</strong>e zeigen ni<strong>ch</strong>t nur, daB diese Tiere, wenn sie si<strong>ch</strong> kennen,weniger aggressive Handlungen gegeneinander auBern, sondern au<strong>ch</strong>, daBder friedli<strong>ch</strong>e Zustand erst dur<strong>ch</strong> Gewohnung (englis<strong>ch</strong>: habituation; s. S. 245)errei<strong>ch</strong>t wird. Ahnli<strong>ch</strong>e Verhaltnisse findet man bei Revierinhabern, die inder Regel na<strong>ch</strong> kurzer Zeit wissen, wer ihre Na<strong>ch</strong>barn sind, <strong>und</strong> kaum no<strong>ch</strong>reagieren, wenn sie si<strong>ch</strong> an der gemeinsamen Grenze zeigen.Hier kommt allerdings hinzu, daB au<strong>ch</strong> die Reviere selbst bea<strong>ch</strong>tet werdenkonnen. Sie sind auger dur<strong>ch</strong> nattirli<strong>ch</strong>e Grenzmarken (s. S. 356) bei vielenArten dur<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e gekennzei<strong>ch</strong>net, die der Besitzer selbst gesetzt hat. Die


372 INNERARTLICHE AGGRESSIONvon der Reiterkrabbe (Ocypode saratanJ gebauten Sandpyramiden haltenzum Beispiel Artgenossen fern (Abb. S. 370). Vor allem Saugetiere setzen anbestimmten Punkten ihrer Reviere Duftsignale abo Viele bedienen si<strong>ch</strong> dabeispezieller Driisensekrete, die an Grasern, Strau<strong>ch</strong>ern, Baumen <strong>und</strong> anderenGegenstanden abgestreift werden (s. Abbildung). Andere markieren dur<strong>ch</strong> eineoft ritualisierte Abgabe von Ham <strong>und</strong>/oder Kot. Das mannli<strong>ch</strong>e ZwergfluBpferd(Choeropsis liberiensis) verteilt den Kot mit s<strong>ch</strong>wirrenden Bewegungenseines beborsteten S<strong>ch</strong>wanzes <strong>und</strong> vermis<strong>ch</strong>t ihn mit einem glei<strong>ch</strong>zeitigna<strong>ch</strong> hinten gespritzten Harnstrahl. Braunbar <strong>und</strong> Wisent harnen aufden Boden, walzen si<strong>ch</strong> darin <strong>und</strong> reiben si<strong>ch</strong> ans<strong>ch</strong>lieBend an Baumen[so au<strong>ch</strong> Abb. S. 370).Vielfa<strong>ch</strong> spri<strong>ch</strong>t man au<strong>ch</strong> dann von Reviermarkieren, wenn ein Besitzerseine Anwesenheit mit besonderen Stellungen oder Bewegungen,dur<strong>ch</strong> Darbieten von Farbmustern oder in LautauBerungen k<strong>und</strong>tut. Es ers<strong>ch</strong>eintjedo<strong>ch</strong> sinnvoller, sol<strong>ch</strong>e Verhaltensweisen, deren Wirkung mit demVers<strong>ch</strong>winden des Tieres aufhort, als Drohen zu bezei<strong>ch</strong>nen [so S. 373) <strong>und</strong> ­wie Rudolf S<strong>ch</strong>enkel es tut - nur dann von Markieren zu spre<strong>ch</strong>en, wenntatsa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> eine dauerhafte Marke gesetzt wird, die ein Artgenosse au<strong>ch</strong> spaterno<strong>ch</strong> wahrnehmen kann. Vor aHem aber sollte man si<strong>ch</strong> vor der Annahmehiiten, jedes Absetzen einer soI<strong>ch</strong>en Marke diene der Zuriickweisungvon Rivalen. Erstens werden beispielsweise Harn <strong>und</strong> Kot in vers<strong>ch</strong>iedenstenSituationen abgegeben, <strong>und</strong> zweitens ist der abstoBende Effekt von Geru<strong>ch</strong>sstoffenbisher bei keiner Saugetierart zweifelsfrei na<strong>ch</strong>gewiesenj allerdingss<strong>ch</strong>einen Lowen <strong>und</strong> Hauskatzen na<strong>ch</strong> Berie<strong>ch</strong>en einer fremden Marke zumindestvorsi<strong>ch</strong>tiger <strong>und</strong> alarmbereiter zu werden (s. S. 356 f.).Viellei<strong>ch</strong>t dienen die an vers<strong>ch</strong>iedenen Punkten im Revier abgesetztenMarken eher dazu, dem Besitzer das Gelande vertraut zu ma<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> ihmbei der Orientierung zu helfen. Wenn dariiber hinaus au<strong>ch</strong> Familien- <strong>und</strong>Gruppenangehorige mit Urin [Wildkanin<strong>ch</strong>en, Meers<strong>ch</strong>wein<strong>ch</strong>en) oderDriisensekreten maddert werden (z. B. Zwergmangusten), mag das - ahnli<strong>ch</strong>wie der Nestgeru<strong>ch</strong> der Ameisen <strong>und</strong> der Sippengeru<strong>ch</strong> der Ratten - helfen,Fre<strong>und</strong>e von Feinden zu unters<strong>ch</strong>eiden.Trotz dieser Eins<strong>ch</strong>rankungen besteht kein Zweifel, daB einige Tiere bestimmte»Grenzpfahle« (vor allem natiirli<strong>ch</strong>e Lands<strong>ch</strong>aftsmarken) meiden,weil sie gelernt haben, daB sie angegriffen werden, wenn sie sol<strong>ch</strong>e Markeniibers<strong>ch</strong>reiten.Auf einem ahnli<strong>ch</strong>en Prinzip, die Zahl der aggressiven Auseinandersetzungenherabzusetzen, beruht die Rangordnungj nur wird dabei ni<strong>ch</strong>t einerMarke ausgewi<strong>ch</strong>en, die das Vorre<strong>ch</strong>t eines anderen symbolisiert, sonderndem iiberlegenen Artgenossen selbst. Allerdings sind Rangordnungen keineswegsein notwendiges <strong>und</strong> absolut wirksames Mittel. Es gibt Tierarten wieden Hyanenh<strong>und</strong> [Lycaon pictusL die ohne deutli<strong>ch</strong>e Rangordnung friedli<strong>ch</strong>erzusammenleben als beispielsweise die streng hierar<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> aufgebaute<strong>und</strong> denno<strong>ch</strong> standig streitende Pavianhorde.Eine weitere Mogli<strong>ch</strong>keit, Kampfe zwis<strong>ch</strong>en Partnern zu verhindern, bestehtdarin, die ausgelOsten aggressiven Handlungen auf andere Objekte umzuorientieren.Der flugunfahige Kormoran (Nannopterum harrisi) auf denReviermarkieren......-"


DROHvERHALTEN 373Aus der Eltern-Kind-Beziehungentstandene Bes<strong>ch</strong>wi<strong>ch</strong>tigungsgebarde:Maullecken beim Spitzhdrn<strong>ch</strong>en.Die Bes<strong>ch</strong>wi<strong>ch</strong>tigungsgebardeder Paviane leitetsi<strong>ch</strong> aus der weibli<strong>ch</strong>enBegattungsaufforderung aboDrohen dur<strong>ch</strong> VergroEerungdes Korperumrisses:Ho<strong>ch</strong>stemmen <strong>und</strong> AufbHihendes Kehlsackesbeim Anden-Anolis, einersiidamerikanis<strong>ch</strong>en Eide<strong>ch</strong>senart.Galapagos-Inseln bringt jedesmal, wenn er yom Meer zuruckkehrt, einTangbus<strong>ch</strong>el, ein Hdlz<strong>ch</strong>en oder einen Seestern mit. Nimmt man ihm dieseGegenstande aus dem S<strong>ch</strong>nabel, bevor er das Nest errei<strong>ch</strong>t, wird er yom brutendenGes<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tspartner mit heftigen S<strong>ch</strong>nabelstOBen <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>nappbewegungenempfangen, die andernfalls auf die mitgebra<strong>ch</strong>ten Ges<strong>ch</strong>enke geri<strong>ch</strong>tetwerden (Abb. S. 372). Na<strong>ch</strong> Eibl-Eibesfeldt wirken sie als eine ArtBlitzableiter. Bei vielen Buntbars<strong>ch</strong>en [Familie Ci<strong>ch</strong>lidae) <strong>und</strong> Entenvogeln(Familie Anatidae) wird die von den Partnerreizen ausgeloste aggressiveHandlung auf Gruppenfremde gelenkt. Lorenz sieht in dieser Umorientierungeinen der stammesges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Ansatze fiir die Ritualisierung zuverbindenden GruGgesten. Die gemeinsame Aggression gegen Fremde bautedas aggressive Verhalten gegen Gruppenangehorige ab <strong>und</strong> wurde damit zumAusgangspunkt individualisierter Beziehungen.Es gibt zahlrei<strong>ch</strong>e andere Me<strong>ch</strong>anismen, die kurzzeitig (z. B. in der Balz)oder regelmaBig (in Dauergruppen) die Haufigkeit der Auseinandersetzungenherabsetzen. Sie glei<strong>ch</strong>en einander darin, daB der oder die Partner nebenReizen, die Aggression auslosen, immer au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e bieten, die andere Verhaltenstendenzenaktivieren. Sie unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> in den dafur benutztenReizen <strong>und</strong> den ausgelosten Verhaltensweisen, die man als Bes<strong>ch</strong>wi<strong>ch</strong>tigungsgebiirdenzusammenfaBt. Viele leiten si<strong>ch</strong> aus den Eltern-Kind-Beziehungenher - insbesondere aus dem Futtern <strong>und</strong> aus der Korperpflege, wiejeder an der entspannenden Wirkung der Fellpflege (englis<strong>ch</strong>: grooming) beiRhesusaffen im Zoo beoba<strong>ch</strong>ten kann. Die Abbildung links oben bietetein weiteres Beispiel. Sol<strong>ch</strong>e »kindli<strong>ch</strong>en« Verhaltensweisen (Infantilismen]wirken bes<strong>ch</strong>wi<strong>ch</strong>tigend, weil Junge ja ni<strong>ch</strong>t angegriffen werden. Au<strong>ch</strong> sexuelleReize des Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tspartners verringern zumindest wahrend der Balzdie Angriffe gegen ihn, <strong>und</strong> so bieten si<strong>ch</strong> Bestandteile des Sexualverhaltensals weiteres Mittel an, urn eine Bindung zwis<strong>ch</strong>en Gruppenmitgliedern herzusteHen(s. Abbildung).AuBer den ges<strong>ch</strong>ilderten Methoden, die Haufigkeit der Auseinandersetzungenherabzusetzen, gibt es eine Vielzahl von »Erfindungen«, wie man dieVorteile der Aggression in Anspru<strong>ch</strong> nehmen, ihre Na<strong>ch</strong>teile aber in Grenzenhalten kann. Hier sind vor aHem das Drohen, der Kommentkampf, dieDemutsgebarde <strong>und</strong> die Flu<strong>ch</strong>t zu nennen.Ais Drohen oder Imponieren bezei<strong>ch</strong>net man Verhaltensweisen, die ­wie der Kampf selbst - einen Gegner eins<strong>ch</strong>u<strong>ch</strong>tern <strong>und</strong> abweisen sollen,ohne daB es dabei zu korperli<strong>ch</strong>er Beruhrung kommt. 1m allgemeinen ma<strong>ch</strong>ensi<strong>ch</strong> drohende Tiere grdBer <strong>und</strong> eindrucksvoller (s. Abbildungj. Oft werdenmit sol<strong>ch</strong>en Bewegungen <strong>und</strong> Haltungen, die man besonders haufig anReviergrenzen beoba<strong>ch</strong>ten kann, zuglei<strong>ch</strong> bestimmte Korpermerkmale zurS<strong>ch</strong>au gestellt. Das konnen die Waffen selbst sein, wie bei vielen Vogeln, dieihren S<strong>ch</strong>nabel auf den Gegner ri<strong>ch</strong>ten, oder bei Huftieren, die ihr Geweihoder Gehorn prasentieren, oder bei FluBpferden, Raubtieren <strong>und</strong> Affen, dieihr GebiB entbloBen (Abb. S. 363). Es kann si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> urn besondere Farbmusterhandeln. Das gilt fur den roten Bau<strong>ch</strong> des Sti<strong>ch</strong>lings, der dem Rivalenin senkre<strong>ch</strong>ter Stellung geboten wird, ebenso wie fUr die auffiilligen


374 INNERARTLICHE AGGRESSIONPra<strong>ch</strong>tkleider vieler Fis<strong>ch</strong>e, Reptilien <strong>und</strong> Vogel (Abb. S. 3701. Unter denWirbellosen sind unter anderem die Tintenfis<strong>ch</strong>-Malln<strong>ch</strong>en (Sepia officinalis)zu nennen, die mit der Breitseite der auEeren Arme drohen <strong>und</strong> dabeieine purpur-weiEe Zebrastreifung annehmen, ferner die dur<strong>ch</strong> rhythmis<strong>ch</strong>esHeben <strong>und</strong> Senken ihrer vergroEerten, grell gefarbten S<strong>ch</strong>ere imponierendenWinkerkrabben-Mann<strong>ch</strong>en (s. au<strong>ch</strong> Landkrabbe, Abb. S. 364).Haufig unterstiitzen LautauBerungen die Drohwirkung oder bilden in uniibersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>emGelande sogar das einzige Signal. Knurrende H<strong>und</strong>e, rohrendeHirs<strong>ch</strong>e, das Brusttrommeln der Gorilla-Mann<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> der Reviergesangder Vogel sind gelaufige Beispiele. David Lack s<strong>ch</strong>ildert, wie ein zugezogenesRotkehl<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> mit einem Revierinhaber iill di<strong>ch</strong>ten Gebiis<strong>ch</strong> einGesangsduell lieferte <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>lieBli<strong>ch</strong> vor einem Gegner floh, den es no<strong>ch</strong>nie gesehen hatte. Ni<strong>ch</strong>t alle Vogelgesange haben jedo<strong>ch</strong> diese abweisendeWirkung. Au<strong>ch</strong> der Droheffekt der meisten <strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong>en Marken ist (s. S. 372)£ragli<strong>ch</strong>.Die senkre<strong>ch</strong>te Stellung <strong>und</strong> der rate Bau<strong>ch</strong> des Sti<strong>ch</strong>lings sowie der Gesangdes Rotkehl<strong>ch</strong>ens wurden als Beispiele sowohl fiir Aggression auslOsendeals au<strong>ch</strong> fiir eins<strong>ch</strong>ii<strong>ch</strong>ternde Reize angefiihrt. Diese zweifa<strong>ch</strong>e Wirkungist fiir zahlrei<strong>ch</strong>e Drohsignale dur<strong>ch</strong> Versu<strong>ch</strong>e belegt. Ihr geht eine zweifa<strong>ch</strong>eMotivation des Drohens parallel. Das wird deutli<strong>ch</strong>, wenn man si<strong>ch</strong>die Form der Verhaltensweisen ansieht. Sie bestehen im einfa<strong>ch</strong>sten Fall auseiner tJberlagerung von Angriffs- <strong>und</strong> Flu<strong>ch</strong>tbewegungen. Bei vielenKno<strong>ch</strong>enfis<strong>ch</strong>en ergibt si<strong>ch</strong> aus den Tendenzen, zum Gegner hinzus<strong>ch</strong>wimmen<strong>und</strong> glei<strong>ch</strong>zeitig von ihm abzudrehen, eine parallele Zwis<strong>ch</strong>enstellung,die im Laufe der Evolution zum Seitwartsimponieren ritualisiert wurde.Der drohend verdickte Hals der La<strong>ch</strong>mowe ergibt si<strong>ch</strong> aus einem glei<strong>ch</strong>zeitigenAnspannen jener Muskeln, die den S<strong>ch</strong>nabel zustoEen lassen, <strong>und</strong>anderer, mit denen er zuriickgezogen wird. Jedo<strong>ch</strong> verfiigen La<strong>ch</strong>mowen <strong>und</strong>weitere Tiere iiber vers<strong>ch</strong>iedene Drohbewegungen, die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Anteilenvon Aggressivitat <strong>und</strong> Angst entspre<strong>ch</strong>en (s. Abbildung). In anderenFallen entladt si<strong>ch</strong> der Triebkonflikt in einer Umorientierung aggressiverHandlungen oder in tJbersprungbewegungen [so S. 217). So beiBt der Sti<strong>ch</strong>lingin einer so1<strong>ch</strong>en Situation in den Boden.Drohen geht unter natiirli<strong>ch</strong>en Bedingungen dem Kampf voraus, <strong>und</strong> oftwerden Auseinandersetzungen allein dadur<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ieden. Das gilt vorallem innerhalb von Rangordnungen <strong>und</strong> zwis<strong>ch</strong>en Revierna<strong>ch</strong>barn, also fiirTiere, die si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on £ruher einmal im Kampf gemessen haben <strong>und</strong> nurno<strong>ch</strong> hin <strong>und</strong> wieder an ihre Kraft <strong>und</strong> ihre Re<strong>ch</strong>te erinnern miissen. Estrifft aber au<strong>ch</strong> auf Tiere zu, die deutli<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>ieden stark sind. NUT wennsi<strong>ch</strong> ungefahr glei<strong>ch</strong>wertige Rivalen gegeniiberstehen, bleibt das Drohenwirkungslos, <strong>und</strong> es kommt zum Kampf. Buntbars<strong>ch</strong>e senden na<strong>ch</strong> einigerZeit des Imponierens mit seitli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>wanzs<strong>ch</strong>lagen Druckwellen gegenden Kopf des Gegners. Spater folgt ein gegenseitiges Umkreisen, das immers<strong>ch</strong>neller <strong>und</strong> enger wird; <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>lie.Bli<strong>ch</strong> kommt es bei einigen Tilapia­Arten zu einem Maulklats<strong>ch</strong>en, an das si<strong>ch</strong> ein Hin- <strong>und</strong> Hers<strong>ch</strong>ieben ans<strong>ch</strong>lieEt,wahrend andere Buntbars<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong> an den Kiefern packen <strong>und</strong> zerrendihre Krafte messen (Abb. S. 387). Sol<strong>ch</strong>e Kampfe, die na<strong>ch</strong> festen RegelnDas Tintenfis<strong>ch</strong>-Mann<strong>ch</strong>endroht mit der Breitseiteder au{;eren Arme<strong>und</strong> nimmt eine Zebrastreifungan.Motivationen desDrohensUnters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Imponierhaltungender La<strong>ch</strong>mowe.Die Saulen stellenden Anteil des Angriffsdranges(s<strong>ch</strong>raffiert) <strong>und</strong>den des Flu<strong>ch</strong>tdranges{hell) dar.


KOMMENTKAMPFE 375IA~Einige heute lebende Hirs<strong>ch</strong>evermitte1n uns eineVorstellung dartiber, wieim Laufe der Evolutiondie Eckzahne allmahli<strong>ch</strong>dur<strong>ch</strong> Geweihe als Waffenersetzt worden seinktinnen. A Mos<strong>ch</strong>ustier.B Muntjak. C Rothirs<strong>ch</strong>.Der Dybowskihirs<strong>ch</strong> drohtwie seine Vorfahren mitden Eckzahnen, obwohlsie zu winzigen Gebildenverktimmert sind.den Starkeren ermitteln, ohne daB si<strong>ch</strong> die Konkurrenten verletzen, nenntman Komment- oder Tumierkiimpfe.Ni<strong>ch</strong>t jede unblutig verlaufende Auseinandersetzung ist ein Kommentkampf.Man<strong>ch</strong>e ist s<strong>ch</strong>on deshalb harmlos, weil die Streitenden tiber keinegefahrli<strong>ch</strong>en Waffen verfiigen oder gegen die Wirkung sol<strong>ch</strong>er Waffen gutges<strong>ch</strong>iitzt sind. Der Druck der Hirs<strong>ch</strong>kaferzangen IAbb. S. 386) beispielsweiseist viel zu s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>, urn dem <strong>ch</strong>itingepanzerten Korper etwas anhaben zukonnen.Man sollte deshalb den Begriff Kommentkampf auf Arten bes<strong>ch</strong>ranken,die mit Waffen ausgestattet sind, mit denen sie den Gegner verletzen konnten.Das ist bei der Zauneide<strong>ch</strong>se (Lacerta agilis) der Fall, die iiber spitze,aber im Kampf wirkungslos bleibende Zahne verfiigt. Die Rivalen bietensi<strong>ch</strong> abwe<strong>ch</strong>selnd den gut gepanzerten Nacken dar, den der andere mit demMaul packt. An der Starke des Bisses, der nie an eine andere Stelle gesetztwird, messen die Tiere die Kraft ihres Konkurrenten. Weitere Beispielewerden in den Randabbildungen Seite 380 aufgefiihrt.Die Vorfahren der heutigen Wiederkauer (Unterordnung Ruminantia) habenvermutli<strong>ch</strong> ihre dol<strong>ch</strong>artig verlangerten Eckzahne zum Drohen <strong>und</strong>Kampfen benutzt, wie es no<strong>ch</strong> die - au<strong>ch</strong> in anderen Merkmalen urspriingli<strong>ch</strong>en- geweihlosen Hirs<strong>ch</strong>ferkel (Hyemos<strong>ch</strong>us), Mos<strong>ch</strong>ustiere (Mos<strong>ch</strong>us)<strong>und</strong> Wasserrehe (Hydropotes) tun. Wie si<strong>ch</strong> daraus das tumierartige StirnstoBender heutigen horn- <strong>und</strong> geweihtragenden Huftiere entwickelt hat,konnen wir nur vermuten. Fritz Walther meint, daB der Gr<strong>und</strong> fiir die Entwicklungder ersten kleinen Stimwaffen mogli<strong>ch</strong>erweise im Zusammenhangmit der Feindabwehr zu su<strong>ch</strong>en sei. Bald sollen die Kopfwaffen jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong>die Aufgabe der Eckzahne im innerartli<strong>ch</strong>en Kampf iibernommen <strong>und</strong> sie imLaufe der Evolution vollig verdrangt haben (s. Abbildung). Es gibt no<strong>ch</strong> heuteeinige Lebewesen, die als Modelle fur diese stammesges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Entwicklungangesehen werden konnten. Der Muntjak (Muntiacus) hat kleineStimaufsatze, kampft aber no<strong>ch</strong> mit den Eckzahnen <strong>und</strong> prasentiert sie au<strong>ch</strong>beim Drohen. Dasselbe Drohen zeigen Dybowski- <strong>und</strong> Rothirs<strong>ch</strong>e, obwohlsie mit dem Geweih kampfen <strong>und</strong> ihre Eckzahne zu winzigen Gebildenverkiimmert sind. Die Mann<strong>ch</strong>en der nordamerikanis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>neeziegen(Oreamnos americanus) stehen bei Auseinandersetzungen umgekehrtparallelnebeneinander, holen mit den Kopfen S<strong>ch</strong>wung <strong>und</strong> »s<strong>ch</strong>leudern dasHaupt mit voller Wu<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> unter Zuwendung der Horner gegen die Wei<strong>ch</strong>endes Rivalen«. Nun gibt es zwar au<strong>ch</strong> einige Si<strong>ch</strong>erheitsfaktoren,zum Beispiel das di<strong>ch</strong>te Haarkleid <strong>und</strong> die dicke Haut, aber denno<strong>ch</strong> kommenbei der S<strong>ch</strong>neeziege emstli<strong>ch</strong>e Verletzungen <strong>und</strong> Todesfalle vor. Waltherist der Ansi<strong>ch</strong>t, daB diese Art hart am Grenzpunkt steht, »von dem andie Horner, in glei<strong>ch</strong>er Weise weitergebrau<strong>ch</strong>t, mit zunehmender Lange zumKonstruktionsfehler wiirden«. Es war daher fiir die Arterhaltung dringendnotig, »den Angriff auf die unempfindli<strong>ch</strong>ste Korperpartie des Gegners umzudirigieren,<strong>und</strong> das waren die Horner selbst«.Damit war ein erster S<strong>ch</strong>ritt yom Bes<strong>ch</strong>adigungs- zum Kommentkampfgema<strong>ch</strong>t. Na<strong>ch</strong> V. Geist haben si<strong>ch</strong> aus diesem primitiven Frontalkampfzwei vers<strong>ch</strong>iedene Methoden entwickelt: das fiir Antilopen typis<strong>ch</strong>e Ringen


376 INNERARTLICHE AGGRESSION<strong>und</strong> das bei Btiffeln, Sehafen <strong>und</strong> Steinboeken verbreitete Rammen (s. Abbildung).Die Stirnaufsatze haben sieh der jeweiligen Kampfweise angepa£;t[Abb. S. 386). Wahrend bei den Antilopen das ursprtingliehe Seitwartsimponierenbeibehalten wurde, tibernahm bei den Rammern das dem Gegnerfrontal dargebotene Gehorn im Laufe der Evolution zusatzli<strong>ch</strong> die Aufgabedes Drohens. Bei vie1en Arten wurden die Horner <strong>und</strong> Geweihe dartiberhinaus zu einem den Weibehen imponierenden Gebilde weiterentwickelt.Da£; die Ausbildung sol<strong>ch</strong>er Waffen au<strong>ch</strong> tibertrieben werden kann, zeigtsi<strong>ch</strong> an Hirs<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> am Gro£;en Kudu (Trage1aphus strepsiceros). Die Rivalenkonnen sieh mit ihren verzweigten oder mehrfa<strong>ch</strong> gew<strong>und</strong>enen Stirnaufsatzenderart verhaken, da£; sie ni<strong>ch</strong>t mehr voneinander loskommen <strong>und</strong>beide zugr<strong>und</strong>e gehen. Aueh vom Riesenhirs<strong>ch</strong> (Megaloceros giganteus)nimmt man an, da£; er zumindest teilweise wegen seines extrem gro£;en Geweihsausgestorben ist. Einerseits erforderte der jahrli<strong>ch</strong>e Abwurf <strong>und</strong> erneuteAufbau enorme Stoffwe<strong>ch</strong>selleistungen, andererseits war ein Kopfs<strong>ch</strong>muckvon vier Meter Auslage nur in der offenen Eiszeitlands<strong>ch</strong>aft »tragbar«.Er mu£;te zum Na<strong>ch</strong>teil werden, sobald si<strong>ch</strong> die Lebensraume bewaldeten.Dieses Beispiel zeigt, da£; die Evolution ni<strong>ch</strong>t nur bei den Verhaltensweisen,sondern au<strong>ch</strong> bei den Waffen Kompromisse zwis<strong>ch</strong>en konkurrierendenSelektionsdrucken ma<strong>ch</strong>en mu£; (s. S. 368).Selbst bei den zahlrei<strong>ch</strong>en Arten, die na<strong>ch</strong> dem einleitenden Drohen zumBes<strong>ch</strong>adigungskampf tibergehen <strong>und</strong> einander bei£en, kratzen, ste<strong>ch</strong>en oderin anderer Weise verletzen, bringen si<strong>ch</strong> die Gegner in der Regel ni<strong>ch</strong>t um.Zwar sieht der mit den ma<strong>ch</strong>tigen Eckzahnen geftihrte Kampf zweier Flu£;·pferdbullen au£;erst gefahrli<strong>ch</strong> aus (Abb. S. 387), <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t selten flie£;t Blut;aber erstens heilen die W<strong>und</strong>en bei ihnen sehr s<strong>ch</strong>nell, <strong>und</strong> zweitens verhinderndie dicken Haut- <strong>und</strong> Fetts<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten ernsthaftere Verletzungen. Inahnli<strong>ch</strong>er Weise sind die Robben <strong>und</strong> die erwahnte S<strong>ch</strong>neeziege angepa£;t,au<strong>ch</strong> der mannli<strong>ch</strong>e Lowe, der die Bisse <strong>und</strong> Prankens<strong>ch</strong>lage seiner Rivalenin der Mahne auffangt.Erkennt ein Tier - sei es aufgr<strong>und</strong> der Drohsignale, sei es na<strong>ch</strong> einem derges<strong>ch</strong>ilderten Kampfe - die Uberlegenheit seines Gegners, flieht es oderunterwirft si<strong>ch</strong> mit einer Demutsgebarde, die meist das Gegenteil der Drohgebardeist. Arten, die dur<strong>ch</strong> Betonung der Korpergro£;e drohen, ma<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong>mogli<strong>ch</strong>st klein [so Abbildung); Tiere} die ihre Farbe we<strong>ch</strong>seln konnen wieTintenfis<strong>ch</strong>e, Buntbars<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> einige Reptilien, verlieren ihr Pra<strong>ch</strong>tkleid;droht ein Lebewesen mit erhobenem Kopf, so ri<strong>ch</strong>tet es ihn in der Demutsgebardeabwarts <strong>und</strong> umgekehrt (s. AbbildungJ; <strong>und</strong> ein Tier, das mit der Waffeauf den Gegner zeigt, wenn es droht, verbirgt sie, wenn es si<strong>ch</strong> unterwirft(Abb. S. 377). Die Widmng der Demutsgebarden beruht ebenso wie die derFlu<strong>ch</strong>t auf einem Abs<strong>ch</strong>alten der kampfauslOsenden Reize. Der Sieger verfolgteinen Fliehenden ho<strong>ch</strong>stens eine kurze Strecke, zum Beispiel bis anseine Reviergrenze. Von einem Gegner, der si<strong>ch</strong> unterwirft, laBt er ab, behaltaber oft eine Drohhaltung bei, bis der andere si<strong>ch</strong> zurtickgezogen hat.Da das blo£;e Abs<strong>ch</strong>alten der Reize aber nur zu einem langsamen Abflauender aggressiven Stimmung beim angreifenden Tier ftihrt, ware es na<strong>ch</strong>Lorenz »ein selbstmorderis<strong>ch</strong>es Beginnen, wollte ein Tier dem eben no<strong>ch</strong> inDie Evolution des Gehornsinnerhalb der Fami·lie der Rinder: UntenS<strong>ch</strong>neeziegen, dartiberBtiffel; dann Aufspaltungin S<strong>ch</strong>afe (links) <strong>und</strong> Antilopen(re<strong>ch</strong>ts).'~"\J\'\~;":'l~'I• I"~. __ .Arten, die dur<strong>ch</strong> Betonungder Korpergro£e drohen,wie z. B. das Gnu, ma<strong>ch</strong>ensi<strong>ch</strong> in der Demutsgebardemogli<strong>ch</strong>st klein.Die Dreizehenmowe drohtmit geoffnetem, abwartsgeri<strong>ch</strong>tetem S<strong>ch</strong>nabel(re<strong>ch</strong>tes Tier); sie unterwirftsi<strong>ch</strong> mit ges<strong>ch</strong>losseneill,na<strong>ch</strong> oben zeigendemS<strong>ch</strong>nabel.


DEMUTS- UND BESCHWICHTIGUNGSGEBARDEN 377Drohende Tiere zeigendem Gegner oft ihre Waffen,sol<strong>ch</strong>e, die si<strong>ch</strong> unterwerfen,verbergen sie(Text S. 376).Na<strong>ch</strong> einem Kampf zwis<strong>ch</strong>enFluBpferden s<strong>ch</strong>lie£tder Verlierer den M<strong>und</strong><strong>und</strong> senkt den Kopf, derSieger droht mit aufgerissenemM<strong>und</strong> <strong>und</strong> erhobenemKopf, bis der anderesi<strong>ch</strong> zuriickgezogen hat._ DrohenGegner~~,recDie Drohgebarde des Kiebitzesunters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong>von der Demutsgebardenur in ihrer Ausri<strong>ch</strong>tungzum Gegner.Die Demutstellung desunterlegenen Truthahnesglei<strong>ch</strong>t der weibli<strong>ch</strong>enPaarungsaufforderung; daherversu<strong>ch</strong>t der Siegerman<strong>ch</strong>mal den Verliererzu begatten.hoher Kampfbereits<strong>ch</strong>aft befindli<strong>ch</strong>en Gegner ganz plotzli<strong>ch</strong> eine ho<strong>ch</strong>verletzli<strong>ch</strong>eKorperstelle unges<strong>ch</strong>iitzt darbieten«. Urn die Aggression wirkungsvollzu hemmen, rei<strong>ch</strong>t daher, wie Lorenz ausfUhrt, eine Demutsgebarde, dienur die Reize abs<strong>ch</strong>altet, ni<strong>ch</strong>t aus. Sie muB glei<strong>ch</strong>zeitig eine Bes<strong>ch</strong>wi<strong>ch</strong>tigungsgebiirdesein, also zusatzli<strong>ch</strong> andere Verhaltenstendenzen hervorrufen[so S. 373), die vorwiegend aus den Verhaltensweisen der Balz <strong>und</strong> derEltern-Kind-Beziehung stammen. Man kann haufig beoba<strong>ch</strong>ten, daB mannli<strong>ch</strong>eZauneide<strong>ch</strong>sen <strong>und</strong> Truthahne versu<strong>ch</strong>en, einen si<strong>ch</strong> unterwerfendenRivalen zu begatten, weil seine Bes<strong>ch</strong>wi<strong>ch</strong>tigungsgebarde mit der weibli<strong>ch</strong>enPaarungsaufforderung identis<strong>ch</strong> ist (s. Abbildung), oder daB eine Dohle, die alsDemutsgeste ihren S<strong>ch</strong>nabel abwendet, vom Sieger am Hinterkopf gekraultwird, weil sie ihm dabei glei<strong>ch</strong>zeitig in einer Bes<strong>ch</strong>wi<strong>ch</strong>tigungsgebardedessen - ans<strong>ch</strong>einend als zusatzli<strong>ch</strong>er AuslOser wirkende - verlangerte,seidig hellgraue Federn zuwendet.Ahnli<strong>ch</strong> wie si<strong>ch</strong> viele Drohbewegungen als ein Konflikt zwis<strong>ch</strong>en Angriff<strong>und</strong> Flu<strong>ch</strong>t deuten lassen, so entstehen au<strong>ch</strong> zahlrei<strong>ch</strong>e Demutsgebardenaus einer Dberlagerung der beiden Motivationen. Die Zusammenhangesind hier jedo<strong>ch</strong> weniger gut bekannt.Die Frage, wie soIehe Angriffshemmungen den Unterlegenen gegeniiberentstanden sind, ist ni<strong>ch</strong>t ganz lei<strong>ch</strong>t zu beantworten. 5etzt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einKampfer, der si<strong>ch</strong> als erster mit einer Demutsgebarde unterwirft oder eineBeiBhemmung hat, der Gefahr aus, yom hemmungslosen Rivalen besiegt zuwerden? Wie konnen si<strong>ch</strong> da die verantwortli<strong>ch</strong>en Gene dur<strong>ch</strong>setzen?S<strong>ch</strong>wierigkeiten, die Entstehung der Demutsgebarden zu verstehen, ergebensi<strong>ch</strong> aber na<strong>ch</strong> Wolfgang Wickler nur daraus, »d~ man si<strong>ch</strong> angewohnt hat,den im innerartli<strong>ch</strong>en Konkurrenzkampf deutli<strong>ch</strong> werdenden >Egoismus< fUrursprUngli<strong>ch</strong>er zu halten, weil er Hinger bekannt ist«. Es wurde s<strong>ch</strong>on erwahnt(s. S. 368), daB Ubermamge Aggression au<strong>ch</strong> fUr das Individuum s<strong>ch</strong>adli<strong>ch</strong>ist. Zumindest gegenUber dem eigenen Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tspartner <strong>und</strong> den JungenmUssen Tiere s<strong>ch</strong>on immer tolerant gewesen sein; sonst ware die Artausgestorben. Wie Wielder meint, ist es daher wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>er, daB dieVerhaltensweisen, mit denen si<strong>ch</strong> Verlierer unterwerfen, ni<strong>ch</strong>t »sek<strong>und</strong>areErfindungen gegen die den Fortbestand der Art gefahrdende Aggression«sind, sondern umgekehrt »immer bestehen gebliebene Reste innerartli<strong>ch</strong>erToleranz«. Mit zunehmender Aggression, die si<strong>ch</strong> die Tiere na<strong>ch</strong>tragli<strong>ch</strong>leisten konnten, konnen diese Toleranzme<strong>ch</strong>anismen zu Hemm-Me<strong>ch</strong>anismenausgebaut worden sein. Dabei konnten »eventuell alte dur<strong>ch</strong> neue ersetztwerden, so wie in der Phylogenese (Stammesges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te) au<strong>ch</strong> Organe<strong>und</strong> Kno<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>iedener Herkunft einander an bestimmten Stellen ersetzen«.Die erwahnte weite Verbreitung von Elementen des Sexualverhaltens <strong>und</strong>der Eltern-Kind-Beziehungen in Bes<strong>ch</strong>wi<strong>ch</strong>tigungsgebarden spri<strong>ch</strong>t ebensofUr diese Ansi<strong>ch</strong>t wie die Beoba<strong>ch</strong>tung, daB aggressives Verhalten vor allembei ho<strong>ch</strong>entwickelten Organismen vorkommt (s. S. 367).In der Regel ist ni<strong>ch</strong>t das Toten, sondern die Vertreibung des Rivalen dasZiel aggressiven Verhaltens. Die weite Verbreitung des Drohens, die Vielzahlder harmlosen <strong>und</strong> turnierartigen Kampfe sowie der zwar verletzenden,


378 INNERARTLICHE AGGRESSIONaber ni<strong>ch</strong>t todli<strong>ch</strong>en Auseinandersetzungen zeigen das ebenso wie die S<strong>ch</strong>onungeines fliehenden oder si<strong>ch</strong> unterwerfenden Gegners. Zwar kommenhin <strong>und</strong> wieder Kampfer urn - zum Beispiel, wenn zwei Mos<strong>ch</strong>uso<strong>ch</strong>sen soheftig mit den Kopfen zusammenknallen, dag einem davon die S<strong>ch</strong>adeldeckebri<strong>ch</strong>t -, aber dabei handelt es si<strong>ch</strong> eher um Unfalle, wie au<strong>ch</strong> bei dens<strong>ch</strong>on ges<strong>ch</strong>ilderten Verletzungen der S<strong>ch</strong>neeziegen Is. S. 375). Man darf jedo<strong>ch</strong>ni<strong>ch</strong>t ubersehen, dag - falls die ungefahrli<strong>ch</strong>en Mittel keinen Erfolghaben - die Gegner si<strong>ch</strong> haufig umbringen. Das ges<strong>ch</strong>ieht vor allem in Gefangens<strong>ch</strong>aft,wenn der Verlierer si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t weit genug zuruckziehen <strong>und</strong>das Revier des Siegers ni<strong>ch</strong>t verlassen kann oder wenn rangniedere Tiere dendominanten ni<strong>ch</strong>t genugend aus dem Wege gehen konnen (s. Abbildung). JederZoodirektor weig, dag er zur Brunftzeit keine zwei mannli<strong>ch</strong>en Hirs<strong>ch</strong>e imselben Gehege halten darf, ohne Gefahr zu laufen, dag sie si<strong>ch</strong> zu Todeforkeln.iITBeendigung der AuseinandersetzungenDie haufige Einteilung in Arten mit Turnier- <strong>und</strong> sol<strong>ch</strong>e mit Bes<strong>ch</strong>adigungskampfist daher irrefuhrend. Au<strong>ch</strong> Tiere, die si<strong>ch</strong> gewohnli<strong>ch</strong> im ungefahrli<strong>ch</strong>enKommentkamp£ messen, sind zur todli<strong>ch</strong>en Bes<strong>ch</strong>adigungfahig. Bei ihnen stellen die vers<strong>ch</strong>iedenen <strong>Formen</strong> aggressiver Handlungennur Anhaltspunkte dar auf einer fortlaufenden Skala von Verhaltensweisenmit steigender Reizs<strong>ch</strong>welle (s. Abbildung). Der Anpassungswert liegt in derFahigkeit, diese <strong>Formen</strong> situationsgere<strong>ch</strong>t einzusetzen. Ni<strong>ch</strong>t das Drohenoder der Kommentkamp£ an si<strong>ch</strong> sind fur die Erhaltung der Art vorteilhaft,sondern das Drohen oder der Kommentkamp£ unter bestimmten Bedingungen.In anderen Situationen - zum Beispiel gegenuber krankha£t enthemmtenArtgenossen oder in extrem di<strong>ch</strong>ten, Stress verursa<strong>ch</strong>enden Populationen- mag es fur die Arterhaltung gunstiger sein, einige fur die Allgemeinheitzu »opfern«. Au<strong>ch</strong> im Tierrei<strong>ch</strong> gilt also die »Verhaltnismagigkeit derMittel«.Unter bestimmten Bedingungen - vor aHem bei Platzmangel - konnenau<strong>ch</strong> Auseinandersetzungen zwis<strong>ch</strong>en Artgenossen, die keine gefahrli<strong>ch</strong>enWaffen haben, zum Tode fuhren. Die Gegner kampfen so lange, bis einervor Ers<strong>ch</strong>opfung stirbt. »Dabei ri<strong>ch</strong>tet ni<strong>ch</strong>t einer den anderen, sondern jedersi<strong>ch</strong> selbst zugr<strong>und</strong>e«, wie Wickler es ausdruckt. Er betont deshalb, dagdas Aufgebenkonnen <strong>und</strong> Si<strong>ch</strong>-Zuruckziehen - das der Mens<strong>ch</strong> z. B. denKampffis<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Kampfhahnen abzli<strong>ch</strong>tet - ebenso wi<strong>ch</strong>tig flir die Arterhaltungist wie die Hemmung, den Konkurrenten umzubringen. Tinbergenhebt hervor, dag die Chance, ein Revier zu bekommen <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> fortzupflanzen,zunimmt, wenn ein Tier bei hartnackigem Widerstand aufgibt <strong>und</strong>woanders su<strong>ch</strong>t.Anpassung desKampfverhaltensEs gibt zahlrei<strong>ch</strong>e mogli<strong>ch</strong>eUbergange zwis<strong>ch</strong>enden einzelnen Kampfformen(pfeilri<strong>ch</strong>tung).Kann eine Auseinandersetzungni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> Demutsgebarden<strong>und</strong> Flu<strong>ch</strong>tbeendet werden, bleibt dieTotung des Rivalen alseinziger Ausweg.Bes<strong>ch</strong>adigungskampf-----------------~V.l.n.r.Zunehmende Konkurrenz <strong>und</strong>wa<strong>ch</strong>sender WiderstandS<strong>ch</strong>ematis<strong>ch</strong>e Darstellungder Beziehung zwis<strong>ch</strong>enHeftigkeit der Auseinandersetzungen<strong>und</strong> Kampfformen.


HYPOTHESEN UBER AGGRESSIVE MOTIVATIONEN 379Primarer Trieb- angeboren- endogen-spontan- staubar- Appetenz- Leerlauf»Sek<strong>und</strong>arer Trieb«- angeboren- reaktiv- staubarFrustration-Aggression­Hypothese- angeboren <strong>und</strong>erlernt- reaktiv- staubarfremde TriebenergieWie aus unserer S<strong>ch</strong>ilderung hervorgeht, gibt es die aggressive Handlungni<strong>ch</strong>t; Unters<strong>ch</strong>iede bestehen ni<strong>ch</strong>t nur in der Form, sondern au<strong>ch</strong> in denZusammenhangen, in denen die Verhaltensweisen auftreten, den Reizen,von denen sie ausgelOst werden, <strong>und</strong> den Aufgaben, die sie erfullen. Gibt esaber die Aggressivitat, also eine glei<strong>ch</strong>artige, allen Auseinandersetzungenzugr<strong>und</strong>e liegende Motivation? Vor allem an dieser Frage hat si<strong>ch</strong> die Diskussionentz<strong>und</strong>et. Heute lassen si<strong>ch</strong> vier vorherrs<strong>ch</strong>ende Meinungen unters<strong>ch</strong>eiden,na<strong>ch</strong> denen aggressive Verhaltensweisen zuruckgehen auf: 1. einenprimaren Trieb j 2. eine von AuGenreizen gesteuerte Motivation [»sek<strong>und</strong>arerTrieb«) j 3. Frustration eines primaren Triebes; 4. Lernprozesse.Kennzei<strong>ch</strong>nend fur einen primdren Trieb ist, daB eine Instanz im ZentralnervensystemangeborenermaGen standig aktionsspezifis<strong>ch</strong>e Energie furdas Ausfuhren bestimmter Verhaltensweisen hervorbringt. Da diese Produktionau<strong>ch</strong> ohne AuGenreize erfolgt, nennt man sie endogen-spontan.Sie laBt die spezifis<strong>ch</strong>e Handlungsbereits<strong>ch</strong>aft ansteigen, bis passendeReize die Endhandlung ausltisen, wodur<strong>ch</strong> die Energie wieder verbrau<strong>ch</strong>twird (Triebbefriedigung). Je langer die Endhandlung ausbleibt, desto mehrEnergie sammelt si<strong>ch</strong> an (Triebstau). Die Folge ist, daB das Tier erstens einSu<strong>ch</strong>verhalten (Appetenzverhalten; s. S. 207 f.) zeigt, das auf eine Triebbefriedigunggeri<strong>ch</strong>tet ist, <strong>und</strong> daB es zweitens auf immer unspezifis<strong>ch</strong>ereReize reagiert (Reizs<strong>ch</strong>wellenerniedrigung), bis es s<strong>ch</strong>lieBli<strong>ch</strong> die Handlungim Leerlauf ausftihrt. Die Gultigkeit dieses Modells ist fur die Nahrungsaufnahme<strong>und</strong> Fartpflanzung mehrfa<strong>ch</strong> bestatigt. Na<strong>ch</strong> Konrad Lorenz,1. Eibl-Eibesfeldt <strong>und</strong> anderen Fors<strong>ch</strong>ern gilt es au<strong>ch</strong> fur die Aggression;Paul Leyhausen vertritt es ebenso fur das Flu<strong>ch</strong>tverhalten.P. Marler, W. J. Hamilton u. a. sind dagegen der Auffassung, daG S<strong>ch</strong>wankungenin der aggressiven Motivation (= Energie) ni<strong>ch</strong>t endogen-spontan,sondern nur als angeborene Antwart auf AuGenreize erfolgen. Der Anblickeines Rivalen oder eines Grtes, wo s<strong>ch</strong>on einmal gekampft wurde, solI dieAggressivitat des Tieres ho<strong>ch</strong>treiben. Fehlen jedo<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>ende Reize,kommt es ni<strong>ch</strong>t zu Appetenzverhalten <strong>und</strong> Leerlaufhandlungen. Diese Zusammenhangebezei<strong>ch</strong>net man gelegentli<strong>ch</strong> mit dem Ausdruck »sek<strong>und</strong>arerTrieb« - ein Begriff, der au<strong>ch</strong> in der Humanpsy<strong>ch</strong>ologie verwendet wird,dart aber erlernte Antriebe mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Verhaltens bes<strong>ch</strong>reibt.1m Jahre :1939 stellte der Amerikaner J. Dollard mit seinen Mitarbeiternvon der Yale-Universitat die Fmstration-Aggression-Hypothese auf. In derEthologie spri<strong>ch</strong>t man in der Regel nur dann von Frustration (erzwungenerVerzi<strong>ch</strong>t auf Triebbefriedigung), wenn eine bereits in Gang gesetzte Verhaltensfolgedur<strong>ch</strong> ein auGeres Ereignis behindert <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> das Zielder Handlung ni<strong>ch</strong>t errei<strong>ch</strong>t wird. Psy<strong>ch</strong>ologen benutzen den Begriff oft furjede Art von Behinderung, einem vorgestellten oder greifbaren Ziel naher zukommen. Dabei konnen sowohl das Ziel als au<strong>ch</strong> die Behinderung bewuBtoder unbewuBt sein. In ihrer heute gultigen Form besagt die Hypothese::1. Frustration ma<strong>ch</strong>t Aggression wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>er, 2. Aggression ist eine vonmehreren mogli<strong>ch</strong>en Antworten auf Frustration.Die Hypothese nimmt an, daB ein Teil der Energie eines angeborenenPrimartriebes (Sexualitat, Hunger) dann in aggressive Energie umgewan­


380 INNERARTLICHE AGGRESSIONdeIt wird, wenn die Befriedigung dieses Triebes behindert (frustriert) wird.Die aggressive Handlung kann die Behinderung beseitigen <strong>und</strong> damit dieBefriedigung von Primartrieben herbeifUhren. Wel<strong>ch</strong>es AusmaiS an Frustrationerduldet wird, ohne daiS es zu Aggression kommt, hangt von frUherensozialen Erfahrungen aboEine vierte Gruppe von Fors<strong>ch</strong>ern vertritt die Ansi<strong>ch</strong>t, es gabe keineaggressive Triebenergie. Aggressive Handlungen im Sinne von unprovoziertenAngriffen seien vor allem auf Lernen zuruckzufUhren. J. P. Scott <strong>und</strong>andere meinen, daiS Jungtiere entweder Erwa<strong>ch</strong>sene na<strong>ch</strong>ahmen oder imWettstreit urn Futter <strong>und</strong> bei spieleris<strong>ch</strong>en Auseinandersetzungen s<strong>ch</strong>merzli<strong>ch</strong>eBisse <strong>und</strong> SWiSe hinnehmen mUssen, denen sie si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Verteidigungsbewegungenentziehen. In beiden Fallen wirke der Erfolg dieserHandlungen verstarkend (englis<strong>ch</strong>: reinforcement; S. S. 342) <strong>und</strong> fUhre dazu,daiS aggressive Verhaltensweisen zur Gewohnheit wUrden.Oft wird versu<strong>ch</strong>t, diese Auffassungen gegeneinander auszuspielen. DasfUhrt zu fru<strong>ch</strong>tlosen Diskussionen, da in Wirkli<strong>ch</strong>keit jede der genanntenTheorien ihr Korn<strong>ch</strong>en Wahrheit enthalt. Man soUte daher praziser aufdie Unters<strong>ch</strong>iede eingehen <strong>und</strong> hagen:1. 1st Aggressivitat angeboren oder erlernt?2. 1st Aggressivitat staubar? Wenn ja,al erfolgt ein Stau unabhangig von AuiSenreizen oder dur<strong>ch</strong> SummierungauiSerer EinflUsse?b) Gibt es Leerlauf-Aggression?c) Gibt es eine Kampfappetenz?3. 1st Aggressivitat eigenstandig oder wird sie von anderen Trieben gespeist?Bevor wir auf diese Fragen eingehen, muiS darauf hingewiesen werden,daB man Aggressivitat ni<strong>ch</strong>t direkt, sondern nur Uber die aggressivenHandlungen messen kann: Je mehr die S<strong>ch</strong>welle fUr die auslOsenden Reizegesenkt, je starker ein eventuelles AppetenzverhaIten <strong>und</strong> je kUrzer unterglei<strong>ch</strong>bleibenden Versu<strong>ch</strong>sbedingungen die Zeit bis zum Beginn der Auseinandersetzungenist, je haufiger, langer <strong>und</strong> heftiger die Kampfe, je wirkungsloserAggressionshemmungen sind <strong>und</strong> je weniger Demutsgebarden<strong>und</strong> Flu<strong>ch</strong>t auftreten, desto haher muiS die aggressive Motivation sein.~. Die erste Frage, ob Aggressivitat angeboren oder erlernt ist, muiS mit»sowohl als au<strong>ch</strong>« beantwortet werden. DaB sie zumindest teilweise vonErbfaktoren bestimmt wird, haben ZU<strong>ch</strong>tungsexperimente bewiesen: Kreuztman in einer Maus- oder Rattenpopulation jeweils die aggressiven (Aj<strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>taggressiven IN) Tiere untereinander, so sind s<strong>ch</strong>on in der zweitenGeneration die Na<strong>ch</strong>kommen der A-Tiere deutli<strong>ch</strong> aggressiver als die desN-Stammes. Die mUtterli<strong>ch</strong>e Pflege spielt in diesem Fall nur eine untergeordneteRolle. LaiSt man namli<strong>ch</strong> N-Junge von A-Weib<strong>ch</strong>en aufziehen <strong>und</strong>umgekehrt, so andert si<strong>ch</strong> hum etwas. Das heiiSt allerdings ni<strong>ch</strong>t, daBden sozialen Erfahrungen <strong>und</strong> Behandlungen in der Jugend sowie demLernen keine <strong>Bedeutung</strong> zukommt. Scott bekam friedfertigere Mausemann<strong>ch</strong>en,wenn er sie mit Weib<strong>ch</strong>en aufzog <strong>und</strong> auBerdem tagli<strong>ch</strong> am S<strong>ch</strong>wanzho<strong>ch</strong>hob <strong>und</strong> strei<strong>ch</strong>elte. Andererseits konnte er die Aggressivitat dur<strong>ch</strong>Der Luftkampf, den Libellen-Mann<strong>ch</strong>enin Auseinandersetzungenurn Revieredur<strong>ch</strong>hihren, ist einBeispiel fiir einen Turnier-oder Kommentkampf.Ohne si<strong>ch</strong> zu beriihren,s<strong>ch</strong>rauben sie si<strong>ch</strong>unter standigem Umfliegenimmer hoher, bis einRivale flieht. R Revierbesitzer.E Eindringling.(Text S. 3751.Die langen HornspieBeder Oryxantilopen verlierendur<strong>ch</strong> die Kampfweiseder Tiere ihre Gefahrli<strong>ch</strong>keit.Na<strong>ch</strong> dem einleitendenDrohen (AI fe<strong>ch</strong>tendie Rivalen mit ihrenKopfwaffen (B-D), kreuzensie dann ein <strong>und</strong> versu<strong>ch</strong>eneinander zuriickzudrangenIE) - ein typis<strong>ch</strong>esBeispiel fiir einenKommentkampf (Text S.3751·


GESTAUTE AGGRESSIVITAT 381Einflufi von Sieg <strong>und</strong> Niederlageauf die Aggressivitat.Punkte: Tiere, diezuerst gegen aggressiverePartner kampfen mufiten.Kreise: Tiere, die zuna<strong>ch</strong>stgegen weniger aggressiveTiere kampften; na<strong>ch</strong> 11Tagen wurde gewe<strong>ch</strong>selt.c~Jq~ I 11i4657it[).1bI!G,uppe d Gruppe b Gruppc: r::o Surnme der Allgnf:eEEEI AngrJffe auf Fremde_ Angr,'le ;1l}1 den EI,epartnerDur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Anzahlder Angriffe mannli<strong>ch</strong>erBuntbars<strong>ch</strong>e wahrend derFortpflanzungszeit. InGruppe a befanden si<strong>ch</strong>einige Artgenossen imBecken, in b waren siedur<strong>ch</strong> eine Glass<strong>ch</strong>eibe getrennt,in c war das Faarallein.Isolierungsversu<strong>ch</strong>eKampferfolge steigern. Setzte er eine A- <strong>und</strong> eine N-Maus zusammen,sttirzte si<strong>ch</strong> die aggressive sofort auf die friedli<strong>ch</strong>e. Sobald sie si<strong>ch</strong> zu wehrenbegann, entfernte man den Angreifer <strong>und</strong> taus<strong>ch</strong>te damit dem zur Verteidigungprovozierten Tier einen Sieg vor. Na<strong>ch</strong> ftinf Tagen sol<strong>ch</strong>en Trainingsgriff das varher friedli<strong>ch</strong>e Mann<strong>ch</strong>en selbst Weib<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Junge an. Au<strong>ch</strong>Strafen - im Versu<strong>ch</strong> vor allem S<strong>ch</strong>merz dur<strong>ch</strong> Elektros<strong>ch</strong>ocks - konnendie aggressive Motivation erhohen. Do<strong>ch</strong> kommt es hier sehr auf dasMag an. Es gibt Dosierungen, die ebenso dampfen, wie es unter nattirli<strong>ch</strong>enBedingungen wiederholte Niederlagen tun (s. Abbildung).2a) 1m Zusammenhang mit der Frage na<strong>ch</strong> der Staubarkeit sind die Buntbars<strong>ch</strong>artenEtroplus lllaculatus <strong>und</strong> Geophagus brasiliensis bertihmt gewarden.Mann<strong>ch</strong>en, die keine Bruterfahrung haben, leben mit ihren Weib<strong>ch</strong>enfriedli<strong>ch</strong> zusammen, solange sie andere Artgenossen im Aquariumattackieren konnen - <strong>und</strong> sei es nur dur<strong>ch</strong> eine glaserne Trenns<strong>ch</strong>eibe hindur<strong>ch</strong>.Isoliert man ein Paar optis<strong>ch</strong> von anderen, fallen sie tiber ihre Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tspartnerher <strong>und</strong> bringen sie um (s. Abbildung). Lorenz deutet diesenVorgang dahingehend, dag die Angriffsenergie si<strong>ch</strong> endogen staut. Kann sienieht standig an Fremden abreagiert werden, steigt sie so weit, dag ihr dieHemmung, den Partner anzugreifen, ni<strong>ch</strong>t mehr standhalt.Diese <strong>und</strong> andere Ergebnisse spre<strong>ch</strong>en zwar fiir eine Erhohung derKampfbereits<strong>ch</strong>aft j do<strong>ch</strong> sie muG ni<strong>ch</strong>t notwendigerweise endogen-spontanerfolgen. Walter Heiligenberg <strong>und</strong> seine Mitarbeiter konnten namli<strong>ch</strong> anzwei anderen Buntbars<strong>ch</strong>arten (Pellllato<strong>ch</strong>rolllis subocellatus <strong>und</strong> Haplo<strong>ch</strong>rolllisburtoni) na<strong>ch</strong>weisen, dag erwa<strong>ch</strong>sene Mann<strong>ch</strong>en, die man wo<strong>ch</strong>enlangmit einigen Jungfis<strong>ch</strong>en isoliert, weniger aggressiv werden. Setzt man sieans<strong>ch</strong>lieGend dem Anblick von erwa<strong>ch</strong>senen Artgenossen oder deren Attrappenaus, steigt die Aggressivitat wieder (s. S. 250f£.). Ftir diesen von auGenbeeinfluBten Aufstau ist bei Haploc1l1'omis vor aHem die Orientierungdes s<strong>ch</strong>warzen Augenbalkens verantwortli<strong>ch</strong>, der den Jungfis<strong>ch</strong>en fehlt.Heiligenbergs Ergebnisse eroffnen augerdem eine Mogli<strong>ch</strong>keit, das Attakkierendes Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tspartners bei Etroplus <strong>und</strong> Geopl1Qgus anders alsnur dur<strong>ch</strong> einen endogen-spontan aufstauenden Trieb zu erklaren. Mann<strong>ch</strong>en<strong>und</strong> Weib<strong>ch</strong>en dieser <strong>und</strong> anderer paarbildender Buntbars<strong>ch</strong>arten seheneinander sehr ahnli<strong>ch</strong>. Daher gehen vom Partner - ebenso wie voneinem wirkli<strong>ch</strong>en Rivalen - Reize aus, die die Angriffsbereits<strong>ch</strong>aft erhohenkonnten. Die oft als Beispiele angeftihrten Isolierungen von Paaren sinddeshalb zur Klarung des Spontaneitatsproblems ungeeignet.Gtinstiger ist es, Individuen zu isolieren, wie es E. Cour<strong>ch</strong>esne <strong>und</strong> G. W.Barlow mit Einsiedlerkrebsen (Pagurus sallluelis) taten. Na<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedlieherDauer der Einzelhaft liegen sie die Versu<strong>ch</strong>stiere gegen in Gruppengehaltene Artgenossen kampfen. Dabei stellte si<strong>ch</strong> heraus, daG isolierte


382 INNERARTLICHE AGGRESSIONTiere aggressive Verhaltensweisen wie S<strong>ch</strong>erenstrecken (S), Festhalten (F)<strong>und</strong> Ziehen an der S<strong>ch</strong>alenoffnung (Z) erstens after zeigten als die KontroHtiere,zweitens um so haufiger, je langer die Isolierung gedauert hatte.Drittens erfolgte die grogte Zunahme zuerst bei S (na<strong>ch</strong> 3 Tagen), dann beiF (na<strong>ch</strong> 8 Tagen) <strong>und</strong> zuletzt (na<strong>ch</strong> 30 Tagen) bei Z (s. Abbildung). Da manweig, daB die Reizs<strong>ch</strong>welle fur S niedriger liegt als die fur F<strong>und</strong> diese niedrigerals die fur Z, konnten die Ergebnisse fur einen kontinuierli<strong>ch</strong>en endogenspontanenAufstau der Aggressivitat spre<strong>ch</strong>en. Man muB iedo<strong>ch</strong> eins<strong>ch</strong>ranken,dag die Versu<strong>ch</strong>stiere ans<strong>ch</strong>einend au<strong>ch</strong> auf andere auslOsende Reizeempfindli<strong>ch</strong>er reagierten (zum Beispiel war ihr Flu<strong>ch</strong>tverhalten verandert),so daB es si<strong>ch</strong> um eine allgemeinere Sensibilisierung handeln konnte. DieseEins<strong>ch</strong>rankung gilt au<strong>ch</strong> fur die zahlrei<strong>ch</strong>en Studien [vor aHem an Mausen),die gezeigt haben, dag isolierte Aufzu<strong>ch</strong>t von Tungtieren auBergewohnli<strong>ch</strong>aggressive Individuen hervorbringt.Sol<strong>ch</strong>e Lebewesen, die nie zuvor von Artgenossen oder Artfremden herausgefordertoder frustriert wurden, die weder dur<strong>ch</strong> Na<strong>ch</strong>ahmen no<strong>ch</strong> amErfoIg lernen konnten, kampfen beim ersten Zusammentreffen mit einemGegner wesentli<strong>ch</strong> heftiger als normal aufgewa<strong>ch</strong>sene. In diesen Fallens<strong>ch</strong>eint es si<strong>ch</strong> aber eher urn eine generelle EntwicklungsstOrung als umeinen spezifis<strong>ch</strong>en Einflug auf die Aggressivitiit zu handeln. Die Versu<strong>ch</strong>stieresind namli<strong>ch</strong> oft aktiver <strong>und</strong> im allgemeinen reizbar <strong>und</strong> ubererregbar;sie weisen eine erhohte Muskelspannung auf, zeigen verstarkte Reflexe,zittern haufig <strong>und</strong> haben ott vergroBerte Nebennieren <strong>und</strong> veranderteWerte vers<strong>ch</strong>iedener <strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong>er Korpersubstanzen. Auf diese Ers<strong>ch</strong>einungen,die fast alle Stress-Symptome sind, werden wir no<strong>ch</strong> genauer eingehen(s. S. 389). AhnIi<strong>ch</strong>e Auswirkungen hat au<strong>ch</strong> die vorubergehende Isolierungvon erwa<strong>ch</strong>senen Mausen. Viele Untersu<strong>ch</strong>ungen, die den Einflug derIsolation nur auf die Aggressivitat messen <strong>und</strong> andere Wirkungen ni<strong>ch</strong>tberucksi<strong>ch</strong>tigen, sind daher ebenfalls ungeeignet, zu klaren, ob AggressivWitsi<strong>ch</strong> endogen-spontan staut.2b] Hinweise auf eine Leerlauf-Aggression gibt es bisher ni<strong>ch</strong>t. Zwar kenntman eine Reihe von <strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong>en Substanzen, mit denen man Aggressivitaterhohen, aber ni<strong>ch</strong>t eine einzige, mit der man aggressive Handlungenohne entspre<strong>ch</strong>ende AuBenreize auslOsen kann.2C) Gibt es Anhaltspunkte fur ein Su<strong>ch</strong>en (Appetenz) na<strong>ch</strong> Gegnern oderKampfen? Die Versu<strong>ch</strong>e von Eri<strong>ch</strong> v. Holst <strong>und</strong> Ursula v. Saint Paul konnendahingehend gedeutet werden. Beide Fors<strong>ch</strong>er reizten bei Haushuhnernuber feine Elektroden vers<strong>ch</strong>iedene Stellen im Gehirn, worauf die Tiereunruhig umhergingen <strong>und</strong> na<strong>ch</strong> ganz bestimmten Gegenstanden su<strong>ch</strong>ten.Bot man ihnen Nahrung, Wasser, Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tspartner oder au<strong>ch</strong> Rivalen an,reagierten sie je na<strong>ch</strong> Reizpunkt jeweils nur auf ein Objekt. Eine andereMethode, Appetenz festzustellen, beruht auf der Uberlegung, dag Tierenur mit sol<strong>ch</strong>en Situationen oder Tatigkeiten dressiert werden konnen,die zur Triebbefriedigung fuhren. Tatsa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> lernen ganz vers<strong>ch</strong>iedene Arteneine bestimmte Verhaltensweise ausfuhren, wenn man sie mit demAnblick eines Rivalen oder der Ge1egenheit zum Kampf belohnt. DerErfolg ist oft ahnIi<strong>ch</strong> gut wie bei einer Dessur mit Futter. Man kann Kampfa".~ 80~ 70~ 6025030~-E40~~ 30 al20g10OJ:r: "" 0S F ZHaufigkeit der Verhaltensweisen»S<strong>ch</strong>erenstrecken«(S), »Festhalten« (F) <strong>und</strong>»Ziehen an der S<strong>ch</strong>alenoffnung«IZ) in Auseinandersetzungenvon Einsiedlerkrebsen.S<strong>ch</strong>warz: inGruppen gehaltene Tiere.S<strong>ch</strong>raffiert: Tiere, die 3,8, 12 <strong>und</strong> 30 Tage isoliertwaren.OHjJ5ij"o TeslosleronoCH20HI~O,W=O~()J ~CorlicosleronDie Strukturformeln derGes<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tshormone(oben) <strong>und</strong> einiger Nebennierenhormonelunten)sind ahnli<strong>ch</strong>. Die Substanzenhaben au<strong>ch</strong> ahnli<strong>ch</strong>eAuswirkungen auf die Aggressivitat(Text S. 384).


KAMPFAPPETENZ 383BAb-cVersu<strong>ch</strong>sapparatur zumNa<strong>ch</strong>weis einer Gegnerappetenzbeim Kampffis<strong>ch</strong>.A: Seitenansi<strong>ch</strong>t. B:Vorderansi<strong>ch</strong>t. Sobald derFis<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den Ring (b)s<strong>ch</strong>wimmt, unterbri<strong>ch</strong>t erden von der Lampe (a)tiber einen Spiegel (d) zurFotozelle (e) gelenktenLi<strong>ch</strong>tstrahl, worauf an derRiickwand (cl ein Gegneroder eine drohende AttrappeIe] si<strong>ch</strong>tbar wird.100lL-strntion;;; +l 0j" 0 5 10 15 25 30 TagaMause, die dur<strong>ch</strong> :15tagigeIsolierung aggressiv gema<strong>ch</strong>twurden, werden imAns<strong>ch</strong>lug an eine darauffolgendeKastration wiederfriedli<strong>ch</strong>er (Text S. 384).fis<strong>ch</strong>e (Betta splendens) dazu bringen, dur<strong>ch</strong> einen Ring zu s<strong>ch</strong>wimmen,wenn man ihnen ans<strong>ch</strong>lieBend ihr Spiegelbild oder eine drohende Attrappebietet (s. Abbildung); Hamster <strong>und</strong> Mause lernen in den ri<strong>ch</strong>tigen S<strong>ch</strong>enkeleines T-Labyrinths zu laufen, wenn an dessen Ende ein Gegner sitzt. Versu<strong>ch</strong>emit einer Flu<strong>ch</strong>t auslOsenden Situation als Belohnung sind bisherges<strong>ch</strong>eitert. Das spri<strong>ch</strong>t gegen eine Flu<strong>ch</strong>tappetenz.Die Beweiskraft soI<strong>ch</strong>er Versu<strong>ch</strong>e hangt sehr stark vom ri<strong>ch</strong>tigen methodis<strong>ch</strong>enAnsatz ab, der in diesem Fall auBerst s<strong>ch</strong>wierig ist. Man muB erstenssi<strong>ch</strong>erstellen, daB es si<strong>ch</strong> tatsa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> urn eine Appetenz na<strong>ch</strong> Gegner oderKampf handelt <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t um irgendeine andere. Zweitens muB man unters<strong>ch</strong>eiden,ob die Dressurwirkung auf den Anblick des gebotenen Reizeszurtickgeht oder - wie Lorenz meint - wirkli<strong>ch</strong> auf das Austiben dervon diesem Reiz ausgelOsten Handlung. Es ist ja magli<strong>ch</strong>, daB die isoliertenVersu<strong>ch</strong>stiere nur bestrebt sind, tiberhaupt irgend etwas zu sehen, auf dassie aggressiv reagieren, falls es si<strong>ch</strong> als Gegner entpuppt.Obwohl keine der bisherigen Arbeiten alle Fehlermagli<strong>ch</strong>keiten auss<strong>ch</strong>lieBt,gibt es starke Hinweise auf eine sol<strong>ch</strong>e Appetenz. Das ist aberni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>bedeutend mit endogener Spontaneitat der aggressiven Motivation.Es ist eher wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>, daB die ersten zufalligen Begegnungendie Aggressivitat steigern, daB dabei z. B. der Eingang zu einem Labyrinth alsTeil des Gegners gelernt wird <strong>und</strong> daB dieser standig si<strong>ch</strong>tbare IbedingtelReiz die Aggressivitat immer wieder ho<strong>ch</strong>treibt. Mause wahlen namli<strong>ch</strong>selbst na<strong>ch</strong> langerem Training bei den ersten tagli<strong>ch</strong>en Laufen in einemLabyrinth nur in etwa 50 Prozent der Besu<strong>ch</strong>e den ri<strong>ch</strong>tigen S<strong>ch</strong>enkel, a]soden, an dessen Ende der Rivale sitzt. 1m weiteren Tagesverlauf errei<strong>ch</strong>ensie dagegen eine »Trefferquote« von 90 Prozent <strong>und</strong> mehr. Die Aggressivitatmug ans<strong>ch</strong>einend von auBen »angeheizt« werden (englis<strong>ch</strong> warm-upeffect). Dann allerdings stellt sie einen Antrieb dar, na<strong>ch</strong> einer entspre<strong>ch</strong>endenSituation zu su<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> die Handlung fortzusetzen. Tiere, die manna<strong>ch</strong> einem kurzen Kampf trennte, tiberquerten sogar elektris<strong>ch</strong> geladeneGitter, um wieder zum Gegner zu gelangen. Die elektris<strong>ch</strong>e Spannung, die siedabei hinnehmen, ist ein direktes MaB ftir die Hahe ihrer aggressivenMotivation.3. Die Annahme, Frustration eines pnmaren Triebes kanne die Aggressivitatfardern, ist experimentell vielfa<strong>ch</strong> belegt. Eine Maus zum Beispiel, diegelernt hat, daB sie am Ende eines Labyrinths Nahrung findet, greift einenArtgenossen sofort an, wenn sie auf ihrem Weg dorthin auf ein untiberwindli<strong>ch</strong>esHindernis staBt. Das gilt allerdings nur ftir Frustrationen in einer bereitsablaufenden Handlungsfolge <strong>und</strong> selbst dann ni<strong>ch</strong>t imme!. EinRangniederer, der von einem Ranghaheren frustriert wird, reagiert inder Regel mit Unterwerfungj <strong>und</strong> sollte er tatsa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> einmal jemandenangreifen, so ni<strong>ch</strong>t den Dominanten (die Ursa<strong>ch</strong>e der Behinderung), sonderneinen Untergeordneten (Radfahrerreaktion). Auger von sol<strong>ch</strong>en sozialenEinfltissen hangt die Auswirkung einer Frustration au<strong>ch</strong> von individuellenUnters<strong>ch</strong>ieden abo Die auf Aggressivitat gezti<strong>ch</strong>teten A-Mause(s. S. 380) reagieren in derselben frustrierenden Situation, die bei N-Tierenzur Steigerung der Aggressivitat ftihrte, ni<strong>ch</strong>t aggressiver als zuvor. Frustra­


384 INNERARTLICHE AGGRESSIONtion ist also nur eine von vielen <strong>Ursa<strong>ch</strong>en</strong>, <strong>und</strong> eine ohnehin s<strong>ch</strong>on starkeaggressive Motivation wird dur<strong>ch</strong> sie ans<strong>ch</strong>einend ni<strong>ch</strong>t weiter erhoht.Gibt es mIll unter diesen vielen Faktoren au<strong>ch</strong> einen, der die Annahmeeiner aggressionsspezifis<strong>ch</strong>en Triebenergie re<strong>ch</strong>tfertigt? Von Hunger <strong>und</strong>Nahrungsappetenz weiB man, daB sie im Hypothalamus, einem Teil desZWis<strong>ch</strong>enhirns, ausgelOst werden, wenn der Zuckerspiegel im Blut sinkt.Ein steigender Salzgehalt fiihrt zu Durst <strong>und</strong> Nahrungssu<strong>ch</strong>e. In diesen fallenist ein physiologis<strong>ch</strong>es Korrelat der aktionsspezifisehen Energie faBbar.Bei der Aggressivitat war das bisher nieht mogli<strong>ch</strong>. Zwar kennt man einigebeteiligte Gehirnpartien, Organe <strong>und</strong> <strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong>e Substanzen, aber ihr Zusammenwirkenist weitgehend unbekannt. Einige seien kurz genannt, do<strong>ch</strong>mug vorausges<strong>ch</strong>ickt werden, daB die Ergebnisse teilweise widersprii<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>sind.Kastriert man Mausemann<strong>ch</strong>en, so daB sie keine mannli<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tshormone(Androgene) mehr erzeugen konnen, sinkt ihre Aggressivitat(Abb. S. 383). Sie kann dur<strong>ch</strong> Einspritzen von Testosteron <strong>und</strong> anderen Androgenenwieder gesteigert werden. Diese au<strong>ch</strong> an weiteren Tieren gewonnenenErgebnisse spre<strong>ch</strong>en fiir einen direkten EinfluB der miinnli<strong>ch</strong>enGes<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tshormone auf das aggressive Verhalten - ebenso wie die Beoba<strong>ch</strong>tung,dag sowohl die unter natiirli<strong>ch</strong>en Bedingungen auftretende alsau<strong>ch</strong> die dur<strong>ch</strong> Isolierung oder S<strong>ch</strong>ock hervorgerufene Aggression in ersterLinie bei Mann<strong>ch</strong>en vorkommt. Doeh selbst wenn man Weib<strong>ch</strong>en dieseHormone einspritzt, fordert das ihre Aggressivitat in der Regel ni<strong>ch</strong>t; es seidenn, man hat Ihnen am Tag ihrer Geburt s<strong>ch</strong>on einmal eine Dosis verabrei<strong>ch</strong>t.Au<strong>ch</strong> Mann<strong>ch</strong>en, die - fris<strong>ch</strong> geboren - sofort kastriert werden, reagierenals Erwa<strong>ch</strong>sene nur dann auf Androgene, wenn man Ihnen sofortna<strong>ch</strong> der Kastration eine Injektion gibt. Samit miissen diese Hormone nebendirekten au<strong>ch</strong> weitere indirekte Einfliisse haben. Es ist ziemli<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>er, dagsie darin bestehen, in der Jugend die spatere Empfindli<strong>ch</strong>keit van bestimmtenNervene1ementen im Gehirn gegeniiber Androgenen zu steigern, dashei£t sie zu sensibilisieren. Wie das ges<strong>ch</strong>ieht, ist unbekannt.Ein weiteres wi<strong>ch</strong>tiges Organ im Zusammenhang mit der Aggressivitatist die Nebenniere. Ihre Entfernung fiihrt - wiederum beim Standardversu<strong>ch</strong>stierMaus - zu verminderter Aggressivitat. Auf der anderen Seite habensowahl ranghohe als au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Isolierung aggressiver gema<strong>ch</strong>te Individuens<strong>ch</strong>werere Nebennieren als rangniedere oder in Gruppen gehaltene. Dabeisteigen Nebennierengewi<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Aggressivitat entspre<strong>ch</strong>end der Isolationsdauer.Die von der Rinde dieses Organs produzierten Hormone (Corticosteroide),die <strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong> den Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsharmonen ahneln (Abb. S. 382) <strong>und</strong>die im Nebennierenmark erzeugten Cate<strong>ch</strong>olamine (Noradrenalin <strong>und</strong> Dopamin)heben die Aggressivitat, wahrend Adrenalin anseheinend mit derAngst verkniipft ist.Umgekehrt fand man, dag erhohte Aggressivitat - sei sie nun genetis<strong>ch</strong>,dur<strong>ch</strong> Isolierung oder dur<strong>ch</strong> einen vorhergehenden Kampf hervorgerufen ­die Konzentration dieser Substanzen steigert. Daher ist nieht klar, wel<strong>ch</strong>esUrsaehe <strong>und</strong> wel<strong>ch</strong>es Wirkung ist oder ob gar beide Effckte nur paralleleFolgen bisher unbekannter Einflusse sind. Es gilt jedo<strong>ch</strong> als sieher, dagIndividualdistanz bei dreiLibellen, die sieh aneinem Halm sonnen.1>1>Viele Verhaltensweisendes Kampfes sind konvergent,d. h. unabhangigyom Verwandtsehaftsgrad,bei versehiedenen Artenin ahnli<strong>ch</strong>er Weise entwickeltworden.Oben: Die Hirs<strong>ch</strong>kaferverdanken ihren Namender Ubereinstimmungmit dem Hirs<strong>ch</strong> in »Geweih"<strong>und</strong> Kampfesweise.Unten: Obwohl man denKampf der Wapitihirs<strong>ch</strong>ezu den Kommentbimpfenzahlen muE, gibt esgelegentli<strong>ch</strong> Todesfalle,wenn zwei Rivalen si<strong>ch</strong>mit ihren Geweihen soineinander verhaken, daEsie nieht mehr voneinanderloskommen.


ELEKTRISCHE HIRNREIZUNGEN 389Zwei Phasen aus demKampf zweier Giraffenbullen.Das reehte Tierholt S<strong>ch</strong>wung <strong>und</strong>s<strong>ch</strong>leudert seinen Kopf ­die Stimzapfen voran ­gegen den Hals desRivalen. Wahrend dieHorner junger Tiere noehvon Fell iiberzogen sind,treten bei alteren oft dieblanken Kno<strong>ch</strong>enspitzenhervor, so daIS es zuVerletzungen kommenkann. Diese Kampfesweisewird nur gegenArtgenossen angewendet.Zur Abwehr von Raubtierenbenutzen Giraffendie Hufe; einer vonvielen Hinweisen darauf,daIS die Stimwaffen derHuftiere ni<strong>ch</strong>t zur Verteidigunggegen Feindeentwickelt wurden.


390 INNERARTLICHE AGGRESSIONphyse, Hypothalamus, Thalamus <strong>und</strong> GroBhimrinde sowie tiber das Rtik­kenmark au<strong>ch</strong> mit den Sinnesorganen in Verbindung.Die bisherigen Ergebnisse der Aggressivitats-Fors<strong>ch</strong>ung erlauben zwarkeine endgtiltige Aussage, do<strong>ch</strong> lassen si<strong>ch</strong> die auf Seite 380 gestellten FragenvorHiufig etwa folgendermaBen beantworten:1. AggressivWit ist sowohl genetis<strong>ch</strong> als au<strong>ch</strong> sozial bedingt.2. S<strong>ch</strong>wankungen in der Aggressivitat kommen vor.a) Sie sind sowohl eine Reaktion auf AuBenfaktoren als au<strong>ch</strong> auf endogenspontaneAnderungen (Hormons<strong>ch</strong>wankungen, jahreszeitli<strong>ch</strong>e Periodiku. a.). In keinem Fall ist bewiesen, daB die Spontaneitat spezifis<strong>ch</strong> aggressivist.b) S<strong>ch</strong>ltissige Hinweise auf Leerlauf-Aggressionen fehlen bisher.c) Appetenz na<strong>ch</strong> Gegner oder Kampf ist mehrfa<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>gewiesen, do<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>eint sie in der Regel an eine vorhergehende Steigerung der Aggressivitatdur<strong>ch</strong> AuBenreize geb<strong>und</strong>en zu sein (warm-up-Effekt).3. Ein dem Hunger-, Durst- oder S<strong>ch</strong>lafzentrum entspre<strong>ch</strong>endes Kontrollzentrumim Gehim, das endogen-spontan spezifis<strong>ch</strong>e Aggressionsenergieerzeugt, s<strong>ch</strong>eint ni<strong>ch</strong>t zu existieren. Vielmehr iiberlappensi<strong>ch</strong> die zahlrei<strong>ch</strong>en,an der Aggressivitat beteiligten Nervennetze, erhalten von anderenGehimberei<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> aus dem Korper nervose <strong>und</strong> hormonelleZufltisse <strong>und</strong> wirken ihrerseits auf eine Ftille von Strukturen <strong>und</strong> Verhaltensweisenzurtick.Dur<strong>ch</strong> diese vor allem yom Limbis<strong>ch</strong>en System gekniipften Verbindungenkonnen Innen- <strong>und</strong> AuBenreize, unbewuBte <strong>und</strong> bewuBte Vorgange, Hunger,Durst, Mtidigkeit <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>merz, andere Verhaltenstendenzen, die physiologis<strong>ch</strong>e<strong>und</strong> soziale Umwelt, Erbanlagen, Lemvorgange, Erinnerungen,Frustrationen <strong>und</strong> viele mehr die Aggression beeinflussen. Teder dieser Faktorenwirkt si<strong>ch</strong> auf die Reizs<strong>ch</strong>welle aus, aber erst ihr Zusammenspielents<strong>ch</strong>eidet dartiber, ob <strong>und</strong> in wel<strong>ch</strong>er Form die aggressive Handlungzum Ausbru<strong>ch</strong> kommt. Ein sol<strong>ch</strong>es System von Verkntipfungen, wel<strong>ch</strong>esdas Verhalten na<strong>ch</strong> der jeweiligen Gesamtsituation ausri<strong>ch</strong>tet, dtirfte einenwesentli<strong>ch</strong> hoheren Anpassungswert haben als ein verhaltnismaBig starrerAggressionstrieb, dessen Energie si<strong>ch</strong> endogen staut <strong>und</strong> periodis<strong>ch</strong> zuSu<strong>ch</strong>verhalten ftihrt. »Man kann lei<strong>ch</strong>t einsehen«, meint Wolfgang Wickler,»daB ein sol<strong>ch</strong>es Appetenzverhalten ein notwendiger Bestandteil derjenigenTriebe ist, die ein Defizit ausglei<strong>ch</strong>en mtissen, sei es ein Defizit an Nahrungbeim Individuum, sei es ein Defizit an Individuen bei der Art.« Es magau<strong>ch</strong> sinnvoll sein, daB ein Tier, dessen Aggressivitat s<strong>ch</strong>on dur<strong>ch</strong> einenvorhandenen Gegner aufgesta<strong>ch</strong>elt wurde, auf der Hut ist <strong>und</strong> die Auseinandersetzung<strong>und</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung su<strong>ch</strong>t. Aber warum sollte ein Lebewesen,das keine Konkurrenten hat, si<strong>ch</strong> hin <strong>und</strong> wieder aufma<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> na<strong>ch</strong> Ihnensu<strong>ch</strong>en, zumal do<strong>ch</strong> die Na<strong>ch</strong>teile in diesem Fall wohl groBer waren als derGewinn [s. S. 368). Oder warum sollte es sogar »Appetit aufs Flti<strong>ch</strong>ten« bekommen?»Man konnte annehmen, der Aggressionstrieb ri<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong> ursprtingli<strong>ch</strong>gegen Raubfeinde, <strong>und</strong> die Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> Iangere Zeit ni<strong>ch</strong>t gesehenenRaubfeinden sei ganz einfa<strong>ch</strong> die sehr notwendige Wa<strong>ch</strong>samkeitvor si<strong>ch</strong> tamenden Raubem; viellei<strong>ch</strong>t halten Kampfe zwis<strong>ch</strong>en Artgenossen


..VIELFALT DER AGGRESSIONEN 391die Tiere in Form fiir den Ernstfall. Aber ist oder war Aggression gegenRaubfeinde <strong>und</strong> Artgenossen urspriingli<strong>ch</strong> dasselbe?«• Es gibt einige Argumente, daB si<strong>ch</strong> die innerartli<strong>ch</strong>e Aggression aus derVerteidigungsreaktion gegen Rauber entwickelt hat. Jedenfalls ist es wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>erals die Ansi<strong>ch</strong>t, sie sei aus dem Beutefang hervorgegangen; danndiirften namlieh Pflanzenesser ni<strong>ch</strong>t aggressiv sein. Aber erstens sind dieZusammenhange bisher no<strong>ch</strong> vollig unzurei<strong>ch</strong>end untersu<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> zweitenswtirde das ni<strong>ch</strong>t bedeuten, dag die beiden au<strong>ch</strong> heute no<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> seinmtiBten. Die an ihnen beteiligten zahlrei<strong>ch</strong>en physiologisehen <strong>und</strong> sozialenFaktoren haben sieher unter vers<strong>ch</strong>iedenartigem Selektionsdruck gestanden<strong>und</strong> getre.Q.nte stammesges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tliehe Wege einges<strong>ch</strong>lagen. Wir haben heutes<strong>ch</strong>on hirnphysiologis<strong>ch</strong>e Hinweise, daB selbst innerartli<strong>ch</strong>e Aggressionin vers<strong>ch</strong>iedenen Zusammenhangen (Revierverteidigung, Kampf urn Weib<strong>ch</strong>en,Verteidigung der Jungen, Reaktion auf S<strong>ch</strong>merz unci ahnli<strong>ch</strong>es) vonvers<strong>ch</strong>iedenen <strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong>en Substanzen <strong>und</strong> Nervennetzen kontrolliert wird,dag es also ni<strong>ch</strong>t nur vers<strong>ch</strong>iedene Situationen, <strong>Formen</strong> <strong>und</strong> auslosendeReize, sondern au<strong>ch</strong> mehrere Aggressivitiiten gibt. Wenn aber s<strong>ch</strong>on innerhalbeiner Art mehrere Aggressionstypen vorkommen, dann miissen wirna<strong>ch</strong> den Worten von Wickler damit re<strong>ch</strong>nen »- was au<strong>ch</strong> aus anderenGriinden wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> ist -, daB Aggression als Me<strong>ch</strong>anismus mehrfa<strong>ch</strong>unabhangig, also konvergent entstanden ist, etwa so wie die Fltigel von Insekten<strong>und</strong> Vogeln ., .«. Die Aggression vers<strong>ch</strong>iedener - viellei<strong>ch</strong>t sogarnahverwandter Arten - konnte unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> konstruiert sein, »wie jaau<strong>ch</strong> Insektenfltigel <strong>und</strong> Vogelfliigel zwar beide zum Fliegen taugen, abersehr vers<strong>ch</strong>ieden gebaut sind«.Daher darf man ni<strong>ch</strong>t von einer Art direkt auf die andere s<strong>ch</strong>liegen.Allerdings konnen verglei<strong>ch</strong>ende Untersu<strong>ch</strong>ungen an einer Vielzahl vonTieren - <strong>und</strong> an Mens<strong>ch</strong>en in vers<strong>ch</strong>iedenen Kulturkreisen - 'Obers<strong>ch</strong>neidungen,Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> generelle Prinzipien enthtillen.

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