05.12.2012 Aufrufe

Exkursion Schottland - Institut Entwerfen und Konstruieren

Exkursion Schottland - Institut Entwerfen und Konstruieren

Exkursion Schottland - Institut Entwerfen und Konstruieren

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Universität Hannover<br />

<strong>Exkursion</strong> <strong>Schottland</strong><br />

Sommersemester 2004


<strong>Exkursion</strong>sprogramm<br />

Mittwoch, 8.9.<br />

9.30 Uhr Treffpunkt: Parkplatz am Fachbereich<br />

Fahrt Hannover-Amsterdam<br />

18.00 Uhr Abfahrt Fähre<br />

Donnerstag, 9.9.<br />

9.00 Uhr Ankunft Newcastle<br />

11.00 Uhr Gateshead Millenium Bridge, Führung<br />

High Level Bridge <strong>und</strong> Tyne Bridge<br />

Musikzentrum „The Sage“<br />

Ankunft Edinburgh ca. 15.00 Uhr<br />

Neues Parlament<br />

National Centre for Dance<br />

Fruitmarket Gallery<br />

Altstadtr<strong>und</strong>gang, Edinburgh-Castle<br />

Übernachtung in Edinburgh<br />

Freitag, 10.9. Edinburgh<br />

10.00 Uhr Dynamic Earth Centre, Führung<br />

Royal Botanic Garden, Palmenhäuser<br />

Royal Museum <strong>und</strong> Museum of Scotland<br />

Jack Kilby Centre, Napier University<br />

Übernachtung in Edinburgh<br />

Samstag, 11.9.<br />

9.00 Uhr Abfahrt nach Glasgow<br />

Forth Rail Bridge<br />

Schiffshebewerk in Falkirk<br />

14.00 Uhr Schiffahrt<br />

Ankunft Glasgow ca. 16.00 Uhr<br />

House for an Art Lover<br />

Übernachtung in Glasgow<br />

Sonntag, 12.9. Glasgow<br />

10.00 Uhr Scottish Exhibition and Conference Centre<br />

Armadillo<br />

Südufer des Clyde mit Science Centre,<br />

Glasgow Tower <strong>und</strong> BBC Scotland<br />

13.00 Uhr Kibble-Palace<br />

15.00 Uhr School of Art, Führung<br />

Übernachtung in Glasgow<br />

Montag, 13.9.<br />

9.00 Uhr Abfahrt nach Birmingham<br />

10.00-12.00 Uhr Arbeitersiedlung <strong>und</strong> Fabrikanlage<br />

New Lanark, Führung<br />

Coalbrookdale Iron-Bridge über den Severn<br />

in Telford<br />

Kaufhaus Selfridges in Birmingham<br />

Canal Walk <strong>und</strong> Aquädukt<br />

Übernachtung in Birmingham<br />

Dienstag, 14.9.<br />

9.00 Uhr Abfahrt nach Bristol<br />

Over Bridge bei Gloucester<br />

Clifton Suspension Bridge<br />

13.15 Uhr Wildscreen in Bristol<br />

Kathedrale<br />

16.00 Uhr Bath: Bürobesichtigung Happold<br />

Programm


Programm<br />

Mittwoch, 15.9.<br />

Thermen, Circus + Crescent<br />

Übernachtung in Bristol<br />

9.00 Uhr Abfahrt nach London<br />

Millenium Bridge, Tate Gallery, Dome <strong>und</strong><br />

St. Paul’s Cathedral<br />

Waterloo-Station<br />

Riesenrad London Eye<br />

King’s Cross Station<br />

Übernachtung in London<br />

Donnerstag, 16.9. London<br />

10.30 Uhr Zaha Hadid Offices, Bürobesichtigung<br />

British Museum<br />

New Parlamentary B? ilding<br />

Rathaus<br />

South Quay Footbridge<br />

Canary Wharf Bridge<br />

Bürobesichtigung Foster and Partners<br />

Übernachtung in London<br />

Freitag, 17.9. London<br />

9.00 Uhr Swiss Re Tower Führung<br />

Lloyds of London<br />

10.30 Uhr Abfahrt nach Harwich<br />

16.00 Uhr Abfahrt Fähre<br />

Samstag, 18.9.<br />

11.30 Uhr Ankunft Cuxhaven<br />

Ankunft in Hannover ca. 16.00 Uhr<br />

Unterkünfte<br />

West End Hostel<br />

3/6 Oxgangs Drive<br />

Edinburgh EH 13 9HB<br />

Tel. O131 44 16 628<br />

McLays Guest House<br />

264-276 Renfrew Street<br />

Glasgow G 3 6TT<br />

Tel. 0141 33 24 796<br />

Comfort Inn Norfolk Hotel<br />

257/267 Hagley Road<br />

Edgbaston Birmingham West Midlands<br />

B 16 9NA<br />

Tel. 0121 45 48 071<br />

YHA Bristol Hayman House<br />

14 Narrow Quay<br />

Bristol B 51 4QA<br />

Tel. 0117 92 21 659<br />

The Regent Palace<br />

Piccadilly Circus<br />

London W1B 5DN<br />

Tel. 0870 40 08 703


Inhalt<br />

Newcastle 1<br />

Gateshead Millennium Bridge 3<br />

High Level Bridge 7<br />

Tyne Bridge 9<br />

Musikzentrum „The Sage“ 11<br />

Edinburgh versus Glasgow 13<br />

Neues Parlament 19<br />

National Centre for Dance 21<br />

Fruitmarket Gallery 23<br />

Royal Mile 25<br />

Dynamic Earth Centre 28<br />

Royal Botanic Garden 31<br />

Palmenhäuser 35<br />

Royal Museum <strong>und</strong> Museum of Scotland 37<br />

Jack Kilby Centre, Napier University 39<br />

Forth Rail Bridge 40<br />

Schiffshebewerk in Falkirk 46<br />

Charles Rennie Mackintosh <strong>und</strong> Glasgow 49<br />

House for an Art Lover 55<br />

Scottish Exhibition and Conference Centre Armadillo 57<br />

Glasgow Science Centre <strong>und</strong> Glasgow Tower 60<br />

BBC Scotland 65<br />

Kibble-Palace 66<br />

School of Art 68<br />

Arbeitersiedlung <strong>und</strong> Fabrikanlage New Lanark 74<br />

Coalbrookdale Iron-Bridge über den Severn in Telford 77<br />

Kaufhaus Selfridges in Birmingham 80<br />

Telford, Stephenson, Brunel 83<br />

Canal Walk <strong>und</strong> Aquädukt 87<br />

Over Bridge bei Gloucester 88<br />

Clifton Suspension Bridge 89<br />

Wildscreen in Bristol 92<br />

Bristol Cathedral 96<br />

Millennium Bridge 99<br />

Tate Gallery 101<br />

Millennium Dome 104<br />

St. Paul’s Cathedral 106<br />

Waterloo-Station 108<br />

Riesenrad London Eye 110<br />

King’s Cross Station 113<br />

British Museum 115<br />

New Parlamentary Building 118<br />

Greater London Authority Headquarters 121<br />

South Quay Footbridge 122<br />

Canary Wharf Bridge 123<br />

Swiss Re Tower 125<br />

Bankenviertel 127<br />

Lloyds of London 128<br />

U-Bahn-Stationen 131<br />

Inhalt<br />

1


Teilnehmer<br />

<strong>Exkursion</strong>steilnehmer<br />

Karen<br />

Lilija<br />

Lukas<br />

Anja<br />

Gerd<br />

Alexander<br />

Sun<br />

Marceline<br />

Martin<br />

Vanessa<br />

Felix<br />

Mirka<br />

Martin<br />

Sandra<br />

Anne-Kathrin<br />

Mirko<br />

Lisa<br />

Markus<br />

Mehdy<br />

Daniel<br />

Moritz<br />

Gesa<br />

Kathrina<br />

Dorothea<br />

Christian<br />

Lena<br />

Hedda<br />

Normen<br />

Britta<br />

Annika<br />

Ramona<br />

Ansgar<br />

Liu<br />

Albert<br />

Bartuli<br />

Burkhardt<br />

Eckert<br />

Frerichs<br />

Furche<br />

Gaoyang<br />

Gaudiere<br />

Glende<br />

Hellmich<br />

Hoepner<br />

Kalkühler<br />

Kersting<br />

Kock<br />

Langenberg<br />

Lev<br />

Lüdke<br />

Machill<br />

Moshfeghi<br />

Mottaghian-Milani<br />

Mücke<br />

Müller<br />

Neubacher<br />

Niwinski<br />

Oevermann<br />

Reumann<br />

Saemann<br />

Schneider<br />

Schubert<br />

Thiel<br />

Wassong<br />

Wiegmann<br />

Yufeng


Newcastle<br />

Die erste Siedlung im Bereich<br />

des heutigen Newcastle<br />

upon Tyne entstand<br />

unter den Römern, die hier<br />

Pons Aelili als eine der<br />

Grenzfestungen gegen die<br />

Skoten entlang des Hadrianswalls<br />

(122 v.Chr.) errichteten.<br />

Die Normannen<br />

erkannten die strategische<br />

Bedeutung dieses Ortes<br />

<strong>und</strong> erweiterten Ende des<br />

11. Jahrh<strong>und</strong>erts unter<br />

Heinrich II. ihr hölzernes<br />

Fort zum New Castle. Im<br />

13./14. Jahrh<strong>und</strong>ert erhielt<br />

die Stadt ihre heute noch<br />

teilweise erhaltene Stadtmauer.<br />

Innerhalb dieser Festungen<br />

entwickelte sich Newcastle<br />

bereits im Mittelalter zu<br />

einem wichtigen Handelszentrum,<br />

von dem aus vor<br />

allem Kohle <strong>und</strong> Wollstoffe<br />

exportiert wurden. Durch<br />

die Kontrolle des Flusses<br />

sicherte sich die Stadt das<br />

Kohlemonopol <strong>und</strong> erreichte,<br />

daß alle Kohlentransporte<br />

durch ihren Hafen<br />

gingen. Die daraus eingenommenen<br />

Steuern brachten<br />

großen Reichtum. Die<br />

Redewendung „to carry coals<br />

to Newcastle“, die unserem<br />

„Eulen nach Athen<br />

tragen“ entspricht, stammt<br />

aus dieser Zeit.<br />

Seit dem späten 17. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

entwickelten sich<br />

neue Handels- <strong>und</strong> Industriezweige,<br />

vor allem der<br />

Schiffsbau: 25 % aller<br />

Schiffe der Welt wurden<br />

damals in Newcastle produziert.<br />

Im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

brachte die Stahlindustrie<br />

einen erneuten wirtschaftlichen<br />

Aufschwung. Die<br />

Stephenson-Familie als<br />

Entwickler von Lokomotiven<br />

<strong>und</strong> Erbauer der High<br />

Level Bridge hatten hieran<br />

entscheidenden Anteil. Im<br />

Zuge dieses Booms wurde<br />

das heutige Stadtzentrum<br />

von Newcastle geprägt. Bis<br />

1974 war es Verwaltungssitz<br />

der Grafschaft Northumberland.<br />

Newcastle<br />

upon Tyne hat heute etwa<br />

270.000 Einwohner.<br />

Der Fluß Tyne ist seit jeher<br />

einer der wichtigsten Wasserwege<br />

Nordenglands<br />

<strong>und</strong> Lebensader von Newcastle.<br />

Die erste Brücke<br />

entstand in der Römerzeit<br />

mit dem Fort, erst im Mittelalter<br />

wurde sie durch<br />

eine bewohnte Brücke ersetzt.<br />

Der mit der Industrialisierung<br />

rapide zunehmende<br />

Schiffsverkehr stellte<br />

neue Anforderungen; die<br />

bestehenden Brücken, die<br />

Newcastle<br />

1


Newcastle<br />

2<br />

diesen nicht genügten, wurden<br />

abgerissen <strong>und</strong> durch<br />

neue Konstruktionen ersetzt.<br />

In der ersten Hälfte<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts baute<br />

darum der Ingenieur Robert<br />

Stephenson die High<br />

Level Bridge. Entwürfe für<br />

eine neue Hochbrücke hatten<br />

außerdem Thomas Telford<br />

(Kanalbaumeister) <strong>und</strong><br />

Isambard Kingdom Brunel<br />

(Clifton Suspension Bridge)<br />

eingereicht. Wachsender<br />

Eisenbahn- <strong>und</strong> allmählich<br />

auch Straßenverkehr<br />

machten den Bau weiterer<br />

Tyne-Brücken erforderlich,<br />

wobei immer neue Techniken<br />

Anwendung fanden.<br />

Die Scotswood Suspension<br />

Bridge, eine filigrane Kettenbrücke<br />

von 1831, wurde<br />

bereits 1967 wieder abgerissen,<br />

weil sie dem Autoverkehr<br />

nicht mehr gewachsen<br />

war, <strong>und</strong> durch<br />

eine neue Brücke ersetzt.<br />

Die 1867 fertiggestellte<br />

Armstrong Swing Bridge<br />

wird dagegen heute noch<br />

als Fußgängerbrücke genutzt.<br />

Die 1928 eingeweihte<br />

Tyne-Bridge ist ebenfalls<br />

noch in Betrieb.<br />

Nach der Redheugh Bridge<br />

(Spannbeton) 1983 ist<br />

die Millennium Bridge die<br />

siebte <strong>und</strong> vorläufig letzte<br />

in der Reihe der Tyne-Brükken<br />

in Newcastle. In den<br />

letzten Jahren ist der<br />

Schiffsverkehr vergleichsweise<br />

zurückgegangen,<br />

wenngleich keineswegs<br />

zum Erliegen gekommen.<br />

Auch die neue (Fußgänger)<br />

Brücke muß Schiffe passieren<br />

lassen, weshalb der<br />

1996 ausgeschriebene<br />

Wettbewerb ausdrücklich<br />

eine bewegliche Brücke<br />

forderte. Wegen des Rückgangs<br />

der industriellen Produktion<br />

ist die Stadt im Begriff,<br />

ihr Image <strong>und</strong> das des<br />

Flusses neu zu gestalten,<br />

sich eine Rolle als Dienstleistungs-<br />

<strong>und</strong> Kulturzentrum<br />

aufzubauen <strong>und</strong> die<br />

Uferbebauung wirtschaftlich<br />

aufzuwerten. Die Millennium<br />

Bridge verbindet<br />

ein neues Kunstmuseum,<br />

ein Musikzentrum <strong>und</strong> einenEntertainmentkomplex.<br />

Heute verbinden insgesamt<br />

sieben Brücken Newcastle.<br />

Millennium Bridge<br />

(2001): s.u.<br />

Tyne Bridge<br />

(1928): s.u.<br />

Swing Bridge<br />

(1868 - 1876):<br />

Die Swing Bridge steht an<br />

der Stelle der ersten Römerbrücke<br />

<strong>und</strong> ersetzte<br />

eine georgianische Bogenbrücke,<br />

die den Verkehrsanforderungen,<br />

vor allem<br />

der Durchfahrtshöhe für die<br />

neuen Schiffe, nicht mehr<br />

standhielt. Die Swing Bridge<br />

wird heute noch von den<br />

originalen hydraulischen<br />

Pressen angetrieben, die<br />

sie im ganzen um ihren Mittelpunkt<br />

rotieren lassen.<br />

Die Konstrukteure der damals<br />

weltgrößten Drehbrücke<br />

waren Armstrong,<br />

Whitworth & Company.<br />

High Level Bridge<br />

(1849): s.u.<br />

Queen Elizabeth (Tyneside<br />

Metro) Bridge<br />

(1976 – 1978):<br />

Die Brücke leitet die Tyne<br />

and Wear Metro hinter dem<br />

Hauptbahnhof über den<br />

Tyne. Sie besteht aus<br />

durchgehenden stählernen<br />

Fachwerkträgern, die von<br />

zwei Betonpfeilern gestützt<br />

werden.<br />

King Edward VII Rail Bridge<br />

(1906):<br />

Fünf Gleise führen die<br />

wichtigsten Eisenbahnstrecken<br />

über den Tyne.<br />

Die Fachwerkträger der<br />

Brücke liegen auf gemauerten<br />

Pfeilern; die südlichen<br />

Träger spreizen sich<br />

auf.<br />

Redheugh Bridge<br />

(1980 – 1983):<br />

Die ursprüngliche Redheugh-Brücke<br />

stammte<br />

aus dem Jahr 1871. Sie<br />

war eine vierfeldrige, in den<br />

Drittelspunkten abgehängte<br />

Stahlfachwerkbrücke.<br />

Die dritte Erneuerung besteht<br />

aus einem gevouteten<br />

Spannbetonbalken, der<br />

auf zwei Pfeilern ruht. Die<br />

Brücke führt den Verkehr<br />

westlich der Innenstadt<br />

über den Fluß.


Gateshead Millennium Bridge<br />

Newcastle<br />

Gateshead Millennium Bridge<br />

Standort: Newcastle upon Tyne / Gateshead<br />

Baujahr: 1996 - 2001<br />

Bauherr: Gateshead Metropolitan Borough Council<br />

Architekt: Wilkinson Eyre Architects, London<br />

Ingenieur: Gifford Consulting Engineers, Southampton<br />

Literatur: Anette LeCuyer: Stahl & Co.<br />

Neue Strategien für Metalle in der Architektur,<br />

Basel 2003<br />

Concrete, 9/2002<br />

Der Bauingenieur, 3/2001<br />

db, 138, 6/2004<br />

ICE Bridge Engineering, 156, 3/2003<br />

Tiefbau,Ingenieurbau, Straßenbau, 3/2002<br />

Wilkinson Eyre <strong>und</strong> das Ingenieurbüro<br />

Gifford gewannen<br />

den Wettbewerb <strong>und</strong><br />

wurden im Jahr 2004 mit<br />

dem Balthasar-Neumann-<br />

Preis ausgezeichnet, obwohl<br />

ihr Entwurf innerhalb<br />

der Jury zunächst unter Ingenieuren<br />

<strong>und</strong> Architekten<br />

sehr umstritten war. „Dabei<br />

ging es beileibe nicht nur<br />

um Fragen der Angemessenheit“,<br />

erinnert sich Wilfried<br />

Dechau. „Nein, es<br />

ging um Gr<strong>und</strong>sätzliches,<br />

vor allem um die Frage, ob<br />

ein in seiner Lage veränderbares<br />

Bauwerk im Ruhezustand<br />

Kräfte über die<br />

zur Bewegung benötigten<br />

Bauteile abtragen dürfe.<br />

Und als Vergleich wurde<br />

der Typus ‚holländische<br />

Klappbrücke’ herangezogen,<br />

bei der das Gegengewicht<br />

<strong>und</strong> der bewegliche<br />

Brückenteil, im offenen wie<br />

im geschlossenen Zustand,<br />

immer im Gleichgewicht<br />

sind – eine sinnreiche, kräfte-<br />

<strong>und</strong> ressourcensparende<br />

Konstruktion. Aber in<br />

Gateshead ging es nicht<br />

nur um die schnöde, möglichst<br />

effizient zu lösende<br />

Aufgabe, Fußgänger <strong>und</strong><br />

Radfahrer von einer Seite<br />

des Tyne auf die andere zu<br />

bekommen. Nein, in Gates-<br />

head (<strong>und</strong> Newcastle) ging<br />

es darum, ein Zeichen zu<br />

setzen, ein Zeichen gegen<br />

den allmählichen Niedergang<br />

dieser flußnahen<br />

Zone, deren quirlige, wenngleich<br />

auch schmutzige<br />

Vergangenheit als Hafen,<br />

als Arbeitsort, als Produktionsstätte,<br />

als stark frequentierter<br />

Umschlagplatz<br />

längst Geschichte ist. Es<br />

ging darum, den Wandel<br />

der Uferzone hin zu einem<br />

den schönen Künsten <strong>und</strong><br />

der Musik gewidmetem<br />

Kultur- <strong>und</strong> Freizeitviertel<br />

zu unterstützen, zu befördern<br />

<strong>und</strong> zu beschleunigen.<br />

Der große Wurf der<br />

Architekten <strong>und</strong> Ingenieure,<br />

die große Geste der auf<br />

so ungewohnte Weise sich<br />

drehenden Brücke hebt<br />

zwar die Frage nach<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen des <strong>Konstruieren</strong>s<br />

nicht auf, läßt sie<br />

aber doch in einem anderen<br />

Lichte erscheinen.“ Vor<br />

allem aber die enge Zusammenarbeit<br />

der beiden<br />

Fachdisziplinen überzeugte<br />

die Jury, die „die ethischen<br />

<strong>und</strong> qualitativen Kriterien<br />

beider Disziplinen<br />

synergetisch <strong>und</strong> nicht additiv<br />

in das Ergebnis einfließen“<br />

1 ließ. Die Einheit von<br />

„Funktion <strong>und</strong> Ästhetik“, die<br />

3


Newcastle<br />

Gateshead Millennium Bridge<br />

4<br />

„plastische Präsenz“ im<br />

Ruhezustand einerseits<br />

<strong>und</strong> die „Dynamik in der<br />

Bewegung“ andererseits,<br />

wenn sich die Brücke wie<br />

ein „geschlossenes Auge“<br />

langsam öffnet, war erklärtes<br />

Ziel der Architekten.<br />

Der Entwurf für die Fußgänger-<br />

<strong>und</strong> Fahrradbrükke<br />

besteht aus einer gekrümmten<br />

Deckplatte, die<br />

von einem parabolischen<br />

Bogen an einer Reihe von<br />

Stahlseilen getragen wird.<br />

Die gesamte Konstruktion<br />

dreht sich durch beidseitige<br />

hydraulische Pressen<br />

um ihre Auflagerachse.<br />

Der Brückenträger wird<br />

durch seine Krümmung auf<br />

eine Spannweite von 105 m<br />

verlängert, so dass mit einem<br />

vertikalen Stich von<br />

nur 2,70 m die stets erforderliche<br />

Durchfahrtshöhe<br />

von 4,60 m in der Mitte<br />

ohne Zugangsrampen an<br />

den Ufern erreicht wird. Bei<br />

einem geradlinigen Verlauf<br />

wäre dies nicht möglich<br />

gewesen <strong>und</strong> hätte den<br />

Zugang für Gehbehinderte<br />

erschwert. Der Querschnitt<br />

der Brücke verjüngt sich<br />

von 4,50 m an den Ufern<br />

auf 3,20 m Breite in der<br />

Flußmitte.<br />

Fuß- <strong>und</strong> Radweg sind auf<br />

dem Brückenträger in zwei<br />

Bahnen mit unterschiedlichen<br />

Oberflächen getrennt<br />

<strong>und</strong> 30 cm höhenversetzt.<br />

Zwischen ihnen verläuft<br />

eine Windbremse aus perforiertem<br />

Edelstahlblech,<br />

das in Abständen für<br />

Durchgänge unterbrochen<br />

ist.<br />

Der Fußweg liegt auf einem<br />

Kastenprofil, das aus bis zu<br />

25 mm dicken Stahlblechen<br />

zusammengesetzt ist.<br />

Quer- <strong>und</strong> Längsaussteifung<br />

sind getrennt, wie es<br />

bei Brücken mit dynamischer<br />

Beanspruchung häufig<br />

gemacht wird. Auf diese<br />

Weise können die Aussteifungselementeentsprechend<br />

ihrer Belastung dimensioniert<br />

werden. Die<br />

Queraussteifung übernehmen<br />

hier Rippenbleche im<br />

Abstand von 1,50 m, die<br />

Aussteifung in Längsrichtung<br />

erfolgt durch Steifen<br />

im Abstand von 50 cm, die<br />

über die gesamte Länge<br />

durchlaufen. Die Querrippen<br />

wurden dafür V-förmig<br />

ausgespart. Der Fahrradweg<br />

liegt auf sich verjüngenden<br />

Auslegern aus<br />

Doppel-T-Profilen, die im<br />

Abstand von drei Metern an<br />

den Kastenträger angeschweißt<br />

sind. Der Brükkenträger<br />

wird an der Innenseite<br />

von 18 Stahlseilen<br />

gehalten, die mit dem zweiten,<br />

vollverschweißten Parabelbogen<br />

verb<strong>und</strong>en<br />

sind.<br />

Dieser Bogenträger ragt 46<br />

m in die Luft. Er hat einen<br />

rhombusförmigen Querschnitt,<br />

der sich über die<br />

Gesamtlänge verändert, in<br />

der Profilhöhe von 4 m am<br />

Fußpunkt auf 2,60 m am<br />

Scheitel abnimmt. Der abger<strong>und</strong>ete<br />

Vorsprung des<br />

Profils aus einem Stahlrohrsegment<br />

zeigt flußabwärts,<br />

die scharfkantige Seite ist<br />

flußaufwärts gerichtet. Die<br />

Seiten des Rhomboids bestehen<br />

aus 15 bis 25 mm<br />

dickem Flachstahl. Der Bogen<br />

wird im Inneren genau<br />

wie der Brückenträger<br />

durch Stahlbleche ausgesteift.<br />

Sie sind im Abstand<br />

von 60 cm angeordnet <strong>und</strong><br />

laufen über die gesamte<br />

Länge durch. Die Ringspanten<br />

aus T-Trägern 152<br />

x 229 mm wurden deshalb<br />

ausgenommen.<br />

Die Seile haben einen<br />

Durchmesser von 48 mm<br />

<strong>und</strong> werden über gabelförmige<br />

Gußteile am oberen<br />

Bogen gehalten, die durch<br />

Bolzen mit halbkreisförmigen<br />

<strong>und</strong> verschweißten<br />

Blechen verb<strong>und</strong>en sind.<br />

Jedes Blech kann so die<br />

verschiedenen Winkel der<br />

Seile aufnehmen. Die Seile<br />

wurden vorgespannt, um<br />

Druckkräfte auszuschließen.<br />

Durch Rohre wurden<br />

sie in das Kastenprofil eingefädelt.<br />

In ihrem Inneren<br />

sind sowohl die Rohre als<br />

auch die Halbkugeln mit<br />

den Rippensteifen durch<br />

radial angeordnete Steifen<br />

verb<strong>und</strong>en. Das wechselseitig<br />

abhängige Verhältnis<br />

von Bogen <strong>und</strong> Träger wird<br />

in der Straffheit der Seile<br />

deutlich, besonders dann,


wenn sich die Brücke öffnet<br />

oder schließt. Der Tragbogen<br />

ist direkt auf einer<br />

Stahltrommel mit 3,11 m<br />

Durchmesser gelagert <strong>und</strong><br />

mit dem Brückenträger an<br />

beiden Ufern über ein kastenförmiges<br />

Widerlager<br />

verb<strong>und</strong>en, das die Torsionsmomente<br />

aufnimmt.<br />

Durch die Trommel verläuft<br />

ein Edelstahlbolzen. Ein<br />

Gußstahlelement, das an<br />

den auf den Gründungspfählen<br />

liegenden Senkkasten<br />

aus Ortbeton geschraubt<br />

ist, hält den Bolzen.<br />

Die Senkkästen nehmen<br />

neben den Normalkräften<br />

die Schubkräfte der<br />

Bögen auf. Durch das Kippmoment<br />

der Konstruktion<br />

liegt der Schwerpunkt nicht<br />

zentrisch über dem Auflager.<br />

Ein 33 m langer F<strong>und</strong>amentausleger<br />

bildet ein<br />

Gegengewicht.<br />

Von der Trommel führt eine<br />

Stahlschaufel zu drei hydraulisch<br />

betriebenen Kolben.<br />

Um die Brücke zu öffnen,<br />

drehen sie die gesamte<br />

Konstruktion um die horizontale<br />

Achse. Im geöffneten<br />

Zustand, wenn die<br />

Seile horizontal liegen, ist<br />

durch den stumpfen Winkel<br />

zwischen den Bögen gewährleistet,<br />

dass die Seile<br />

durch die ausreichend großen<br />

abwärts gerichteten<br />

Kräfte straff gespannt bleiben.<br />

Die Durchfahrtshöhe<br />

beträgt dann 25 m.<br />

Für die Konstruktion wurden<br />

schlanke, geschlossene<br />

Profile gewählt, um den<br />

Kontext der historischen<br />

Brücken aufzunehmen. Die<br />

konstruktive Ausbildung mit<br />

minimalem materiellen Aufwand<br />

<strong>und</strong> hohem technischen<br />

Einsatz zur Herstellung<br />

der gekrümmten<br />

Stahlteile setzte eine enge<br />

Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten<br />

inklusive der<br />

Unternehmer vom Konzept,<br />

über die Detailplanung<br />

bis hin zur Ausführung<br />

voraus. Zwei Universitäten<br />

erstellten technische<br />

Fachgutachten.<br />

Um einerseits den Flußverkehr<br />

nicht über einen längeren<br />

Zeitraum zu beein-<br />

Newcastle<br />

Gateshead Millennium Bridge<br />

trächtigen <strong>und</strong> um andererseits<br />

die Baustellensicherheit<br />

zu gewährleisten, war<br />

eine Montage von vorgefertigten<br />

Einzelteilen auf dem<br />

Fluß nicht möglich. Man<br />

entschied sich deshalb, die<br />

vorgefertigten Stahlteile mit<br />

der Eisenbahn zu einem<br />

Montagehof in der Nähe<br />

von Newcastle zu bringen,<br />

wo sie in provisorischen<br />

Hallen zunächst gereinigt<br />

<strong>und</strong> gestrichen wurden. Die<br />

neun Bogensegmente wurden<br />

dann liegend zusammengefügt,<br />

die Querschnitte<br />

des Brückenträgers<br />

ebenfalls in paßgenauen<br />

Vorrichtungen aneinandergeschweißt.<br />

Die Seile wurden<br />

zuerst am Bogen, dann<br />

am Brückenträger befestigt,<br />

der durch Anheben eigengewichtslos<br />

wurde. In<br />

diesem Zustand wurden die<br />

Seile angezogen <strong>und</strong> erhielten<br />

ihre Spannung<br />

nachdem der Brückenträger<br />

losgelassen wurde.<br />

Diese Konstruktion wurde<br />

dann von einem der größten<br />

ausschwenkbaren<br />

Schwimmkräne der Welt,<br />

dem Asian Hercules II, aufgehoben<br />

<strong>und</strong> über eine<br />

Strecke von 10 km zu ihrem<br />

späteren Standort gebracht.<br />

Transport <strong>und</strong> Aufstellung<br />

dauerten einen Tag<br />

<strong>und</strong> wurden von einer großen<br />

Zuschauermenge verfolgt.<br />

Unterwegs mußte die<br />

Brücke an engen Flußbiegungen<br />

manchmal in der<br />

Luft um 90 Grad gedreht<br />

werden. Trotz einer Toleranz<br />

von nur 3 mm konnte<br />

die Brückenkonstruktion<br />

problemlos eingebaut werden.<br />

5


Newcastle<br />

Gateshead Millennium Bridge<br />

6<br />

Aufsicht<br />

Seitenansicht<br />

Ansicht<br />

Schnitt


High Level Bridge<br />

Standort: Newcastle upon Tyne /Gateshead<br />

Baujahr: 1846 - 1849<br />

Bauherr: Newcastle Berwick Railway Company<br />

Ingenieur: Robert Stephenson<br />

Literatur: R.W. Rennison: The High Level Bridge,<br />

Newcastle: its evolution,<br />

design and construction, London 1996<br />

newcastle-arts-centre.co.uk<br />

davekane.tripod.com/railindex.html<br />

freepages.genealogy.rootsweb.com<br />

Die Rocket-Lokomotive<br />

von Stephenson & Co. aus<br />

Newcastle revolutionierte<br />

um 1830 den Eisenbahnverkehr.<br />

Zuerst wurde sie<br />

auf dem Liverpool-Manchester-Railway<br />

eingesetzt,<br />

weitere Verbindungen sollten<br />

schnell folgen. Nicht<br />

ganz zwanzig Jahre später<br />

war die ‚Flying Scotsman’-<br />

Linie zwischen London <strong>und</strong><br />

Edinburgh nahezu vollendet<br />

<strong>und</strong> Newcastle damit<br />

erstmalig direkt an London<br />

angeb<strong>und</strong>en. Für Newcastle<br />

bedeutete die Eisenbahn<br />

einen enormen wirtschaftlichen<br />

Aufschwung. Die<br />

Stadt entwickelte sich zum<br />

Zentrum des Lokomotivenbaus,<br />

produzierte Stahl für<br />

Industrie <strong>und</strong> Rüstung.<br />

Man befürchtete jedoch,<br />

die neue östliche Bahnlinie<br />

würde schnell hinter der<br />

westlichen zurückfallen,<br />

falls es nicht gelänge, eine<br />

unterbrechungslose Reise<br />

bis nach Edinburgh zu ermöglichen;<br />

denn alle Passagiere<br />

mußten bisher in<br />

Gateshead umsteigen.<br />

In Newcastle konkurrierten<br />

die Eisenbahngesellschaften<br />

Newcastle Berwick <strong>und</strong><br />

Northumberland Line um<br />

den Streckenausbau. Northumberland<br />

Line plante<br />

eine Low Level Brigde über<br />

Newcastle<br />

High Level Bridge<br />

den Tyne mit einem unterirdischenStreckenabschnitt.<br />

Newcastle Berwick<br />

<strong>und</strong> vor allem ihr Ingenieur<br />

Robert Stephenson, der<br />

Sohn des Konstrukteurs<br />

der Rocket, schlugen dagegen<br />

eine High Level Bridge<br />

über den Tyne vor, die<br />

gleichzeitig für Kutschen<br />

<strong>und</strong> Fußgänger nutzbar<br />

sein sollte. Newcastle sollte<br />

einen zentralen Bahnhof<br />

auch für die bereits bestehenden<br />

Linien bekommen.<br />

Obwohl der Vorschlag von<br />

Newcastle Berwick im Gegensatz<br />

zum atmospheric<br />

rail system 1 der Northumberland-Linie<br />

eine konventionelle<br />

Bahnlinie darstellte<br />

<strong>und</strong> überdies noch teurer<br />

war, wurde er ausgewählt;<br />

ausschlaggebend<br />

waren wohl die mögliche<br />

Einbindung von mehr<br />

Zweiglinien <strong>und</strong> die geringere<br />

Anzahl der Steigungen,<br />

von denen man sich<br />

geringere Verspätungen<br />

erhoffte. Nach der Eröffnung<br />

der High Level Bridge<br />

wurde die ebenfalls errichtete<br />

Low Level Bridge<br />

wieder abgerissen; die Northumberland<br />

Line hatte<br />

trotzdem mit dem Bau ihrer<br />

Konstruktion begonnen.<br />

An der gleichen Stelle ab<br />

1868 die Swing Bridge zu<br />

errichten.<br />

7


Newcastle<br />

High Level Bridge<br />

8<br />

Stephensons High Level<br />

Bridge ist eine Bogenbrükke.<br />

Sie war die erste doppelstöckige<br />

Eisenbahn-/<br />

Straßenbrücke der Welt.<br />

Sie gilt auch als erste Brükke,<br />

in der die Prinzipien einer<br />

Hängebrücke mit den<br />

gängigen Prinzipien eines<br />

Viadukts in einem System<br />

verb<strong>und</strong>en wurden.<br />

Die High Level Bridge besteht<br />

aus sechs Bögen; jeder<br />

Bogen setzt sich dabei<br />

aus zwei gusseisernen Bogenpaaren<br />

zusammen.<br />

Das obere Eisenbahndeck<br />

schließt im Bogenscheitel<br />

an <strong>und</strong> wird von Säulen auf<br />

den Bögen unterstützt,<br />

während das untere Straßendeck<br />

mit zwei Fußwegen<br />

nach unten von den<br />

Bögen abgehängt ist. Auf<br />

diesem Fußgängerdeck<br />

fuhren ebenfalls Straßenbahnen<br />

zwischen Newcastle<br />

<strong>und</strong> Gateshead.<br />

Die Brücke setzt sich aus<br />

einer Kette von Einfeldsystemen<br />

zusammen, die jeweils<br />

aus Bögen mit Zugbändern<br />

bestehen, welche<br />

den Horizontalschub der<br />

Bögen aufnehmen. Diese<br />

schmiedeeisernen Zugbänder<br />

liegen unterhalb der<br />

Fahrbahnebene. Im Abstand<br />

von 3 m stehen gußeiserne<br />

Stützen, durch die<br />

schmiedeeiserne Bolzen<br />

geführt sind, die die Stütze<br />

fixieren. Die Stützen können<br />

auf diese Weise die<br />

Zugkräfte der abgehängten<br />

Fahrbahn übertragen.<br />

Die Längssteifigkeit der<br />

Konstruktion wird allein<br />

durch das Koppeln der<br />

Doppelbögen erreicht, da<br />

keine Diagonalen zwischen<br />

den Stützen vorhanden<br />

sind. Wie bei vielen frühen<br />

englischen Ingenieurkonstruktionen<br />

erfolgt auch<br />

hier die Aussteifung allein<br />

durch Materialfestigkeit.<br />

Die Brücke ist 1390 ft, also<br />

419 m lang, mit sechs Feldern<br />

von je 38 m Weite.<br />

Die Höhe über der Wasseroberfläche<br />

beträgt 36 m.<br />

1 Vgl. Text über Isambard<br />

Brunel


Tyne Bridge<br />

Standort: Newcastle upon Tyne / Gateshead<br />

Baujahr: 1928<br />

Bauherr: Stadt Newcastle<br />

Ingenieur: Georges Camille Imbault<br />

Tragwerk: Mott, Hay and Anderson, London<br />

Literatur: Mott, Hay and Anderson, London<br />

structurae.de<br />

cumbrian-industrials.co.uk<br />

on-tyne.north-east.co.uk<br />

amber-online.com<br />

Bereits Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

hatten die Stadtväter<br />

von Newcastle den<br />

Bedarf nach einer neuen<br />

Brücke über den Tyne festgestellt,<br />

um dem wachsendenStraßenverkehrsaufkommen<br />

zu begegnen. Es<br />

dauerte aber noch bis<br />

1924, bis das Projekt in<br />

Angriff genommen <strong>und</strong> erste<br />

Pläne ausgearbeitet<br />

wurden. Eine alte Mühle,<br />

eine Schmiede, eine Zimmerei,<br />

eine Gemüsefabrik,<br />

diverse Hafenkneipen <strong>und</strong><br />

eine Bank mußten abgerissen<br />

werden, um Platz für<br />

die neue Brücke zu schaffen.<br />

Inzwischen hatte Newcastle<br />

eine hohe Arbeitslosenrate,<br />

<strong>und</strong> das Brückenprojekt<br />

konnte bei diesem<br />

Problem Abhilfe schaffen.<br />

Newcastle<br />

Tyne Bridge<br />

Die Tyne-Bridge ist eine<br />

zweigelenkige Einbogenbrücke<br />

für den Straßenverkehr.<br />

Ihre Spannweite beträgt<br />

531 ft, also ca. 162m,<br />

die Fahrbahn liegt 84 ft,<br />

also ca. 26 m, über der<br />

Wasseroberfläche. Sie<br />

wurde von George Camille<br />

Imbault entworfen; das<br />

Tragwerk stammt von den<br />

Londoner Ingenieuren<br />

Matt, Hay <strong>und</strong> Anderson.<br />

Es ist eine kleinere Ausführung<br />

ihres Entwurfs für die<br />

Harbour Bridge in Sydney.<br />

Dorman Long and Co., Ltd,<br />

ebenfalls ausführende Firma<br />

in Sydney, begannen<br />

1925 mit der Arbeit <strong>und</strong><br />

stellten die Konstruktion innerhalb<br />

von drei Jahren fertig.<br />

Weil die Tyne Bridge<br />

<strong>und</strong> die Harbour Bridge in<br />

Sydney sich in ihrer Form<br />

so ähnlich sind, glauben<br />

viele Leute, die Harbour<br />

Bridge sei eine Kopie der<br />

Tyne-Bridge. Tatsächlich<br />

wurde die Brücke von Sydney<br />

aber vor der Tyne-Bridge<br />

begonnen, <strong>und</strong> lediglich<br />

wegen ihrer Größe erst drei<br />

Jahre später fertiggestellt.<br />

Die Tyne Bridge wurde mit<br />

Techniken aus dem Schiffbau<br />

errichtet. Der Bogen ist<br />

9


Newcastle<br />

Tyne Bridge<br />

10<br />

als Fachwerk ausgeführt.<br />

Die Brückentürme wurden<br />

aus Granit aus Cornwall errichtet<br />

<strong>und</strong> sollten in ihrem<br />

Inneren als fünfstöckige<br />

Lagerhäuser ausgebaut<br />

werden, die allerdings nie<br />

fertiggestellt wurden.<br />

Bereits im Bau war sie ein<br />

Prestigeobjekt Englands:<br />

Als die beiden separat an<br />

den Ufern begonnenen<br />

Seiten des Bogens im Februar<br />

1928 schließlich in<br />

der Mitte aufeinander trafen<br />

<strong>und</strong> die letzten Verbindungstücke<br />

eingesetzt wurden,<br />

wurden Flaggen gehisst<br />

<strong>und</strong> Leuchtkugeln abgefeuert.<br />

König Georg V.<br />

<strong>und</strong> Queen Mary eröffneten<br />

die Brücke im Oktober<br />

1928; die Rede des Königs<br />

wurde erstmalig auf Tonträger<br />

aufgenommen <strong>und</strong><br />

über Radio gesendet. Die<br />

Kinder bekamen Schulferien<br />

<strong>und</strong> erhielten als Geschenk<br />

ein Gedenkheft.<br />

Während der folgenden<br />

Tage erlebten Newcastle<br />

<strong>und</strong> Gateshead dann die<br />

größten Verkehrsstaus ihrer<br />

Geschichte, weil alle<br />

Autofahrer sich weigerten<br />

auf die High Level oder<br />

Swing Bridge auszuweichen<br />

<strong>und</strong> ausschließlich<br />

die neue Brücke benutzen<br />

wollten. Sie war zu diesem<br />

Zeitpunkt (bis zur Eröffnung<br />

der Harbour Bridge in Sydney<br />

1932!) die größte Einbogen-Brücke<br />

der Welt <strong>und</strong><br />

Ausdruck der technischen<br />

Fähigkeiten <strong>und</strong> des industriellen<br />

Stolzes Englands.


The Sage<br />

Standort: Gateshead<br />

Baujahr: 1997 - 2004<br />

Bauherr: Stadt Gateshead<br />

Architekt: Norman Foster & Partners, London<br />

Ingenieur: Dach: Büro Happold, Bath<br />

Unterbau: Connell Mott MacDonald<br />

Literatur: fosterandpartners.com<br />

The Sage in Gateshead ist<br />

ein Music Centre <strong>und</strong> bildet<br />

das Zentrum des neuentstehenden<br />

Kulturbereichs<br />

am südlichen Tyne-Ufer.<br />

Sein muschelförmiges<br />

Dach nimmt die Bogenform<br />

der Millenium Bridge auf,<br />

die The Sage mit Newcastle<br />

verbindet. Es bietet<br />

Raum für drei Auditorien<br />

sowie die örtliche Musikschule<br />

<strong>und</strong> wird außerdem<br />

Sitz der Northern Sinfonia<br />

and Folkworks. Das größte<br />

Auditorium hat 1650 Plätze.<br />

The Sage soll öffentlich<br />

zugänglich sein <strong>und</strong> der<br />

Region ein kulturelles Profil<br />

besonders in der musikalischen<br />

Ausbildung verschaffen.<br />

Es füllt insofern<br />

eine Marktlücke, als das<br />

nächste vergleichbare Angebot<br />

über drei Autost<strong>und</strong>en<br />

entfernt liegt, <strong>und</strong> ergänzt<br />

die neueröffnete<br />

Kunstgalerie Baltic Centre<br />

for Contemporary Art in den<br />

Baltic Flour Mills. Norman<br />

Foster Architects formulieren<br />

ihre Vision für The Sage<br />

als „international home for<br />

music and musical discovery,<br />

with local roots, a worldwide<br />

reputation, a global<br />

programme and a fully<br />

inclusive welcome to all its<br />

users and to all musical styles<br />

and languages“ 1 .<br />

Das große Dach überspannt<br />

den Komplex, in<br />

dem jedes Auditorium als<br />

eigenständiger Bau (enclosure)<br />

aufgefaßt wird. Die<br />

Zwischenräume bilden einen<br />

öffentlichen Raum mit<br />

Cafés, Bars, Läden <strong>und</strong> einem<br />

Informationszentrum.<br />

Er dient als Foyer der Auditorien<br />

<strong>und</strong> der Musikschule<br />

darunter <strong>und</strong> ist gleichzeitig<br />

Aussichtsplattform<br />

über den Fluß. In den Bars<br />

soll ein ständiger Austausch<br />

zwischen Musikern<br />

<strong>und</strong> Künstlern mit den<br />

Schülern <strong>und</strong> Zuhörern<br />

stattfinden.<br />

Das Dach besteht aus vier<br />

Hauptbögen, die das Gebäude<br />

in drei Hallen gliedern.<br />

Die Bögen überspannen<br />

ca. 80 m zwischen der<br />

vorderen Außenwand (esplanade)<br />

<strong>und</strong> den Stützpfeilern<br />

auf der Rückseite der<br />

Anlage. Ihre spiralförmigen<br />

Profile setzen sich aus Balkensegmenten<br />

mit zunehmend<br />

wachsenden Radien<br />

zusammen. Zwischen diesen<br />

Hauptbögen spannen<br />

Sek<strong>und</strong>ärbögen, deren<br />

Profile ebenfalls über ihre<br />

Länge den Radius ändern.<br />

Durch radiale Überlagerung<br />

dieser Sek<strong>und</strong>ärbögen<br />

über die Hauptbögen<br />

entsteht eine komplexe<br />

dreidimensionale Form.<br />

Die Ost- <strong>und</strong> Westfassade<br />

sind in das Dach integriert<br />

<strong>und</strong> vollverglast, ebenso<br />

wie große Öffnungen, die<br />

über den Fluß nach New-<br />

Newcastle<br />

The Sage<br />

11


Newcastle<br />

The Sage<br />

12<br />

castle gerichtet sind. Das<br />

übrige Dach hat einen Regenschild<br />

aus ineinander<br />

greifenden Panelen aus<br />

rostfreiem Stahl mit einer<br />

darunter liegenden wetterfesten<br />

Dichtbahn. Diese<br />

Dachform wurde in einem<br />

parametrischen Modellierungsprozess<br />

entwickelt.<br />

Durch einen gewissen<br />

Standardisierungsgrad der<br />

Komponenten wie auch der<br />

Fassadenelemente konnte<br />

ihre Herstellung erheblich<br />

erleichtert werden. Die<br />

Hierarchie der Primär- <strong>und</strong><br />

Sek<strong>und</strong>ärelemente erleichtert<br />

die Montage, indem die<br />

Sektionen der untergeordneten<br />

Bögen ohne weitere<br />

Hilkskonstruktionen in ihre<br />

Position auf den Hauptbö-<br />

gen gehoben werden können.<br />

Entwurf <strong>und</strong> Planung des<br />

Sage haben zehn Jahre<br />

gedauert; sowohl Musiker<br />

als auch Konzertbesucher<br />

wurden intensiv am Entwurf<br />

beteiligt. Die Eröffnung ist<br />

für Winter 2004/05 geplant.<br />

1 Zitiert nach:<br />

www.fosterandpartners.com


Edinburgh - Glasgow<br />

Edinburgh versus Glasgow<br />

Aus: Heinz Ohff: Gebrauchsanweisung für <strong>Schottland</strong>,<br />

München (1992) 2002<br />

Das Beste an Glasgow sei<br />

der Zug nach Edinburgh,<br />

behauptet man in<br />

Edinburgh.<br />

Das Beste an Edinburgh<br />

sei der Zug nach Glagow,<br />

sagt man in Glasgow.<br />

Schon wieder zwei Schotten,<br />

die sich nicht mögen.<br />

Dabei fahren Züge genug<br />

zwischen ihnen hin <strong>und</strong> her,<br />

mindestens einer die St<strong>und</strong>e,<br />

Busse halb-bis viertelstündig.<br />

<strong>Schottland</strong>s<br />

Hauptstädte liegen nahe<br />

beieinander <strong>und</strong> sind demgemäß<br />

eng verflochten,<br />

nicht zuletzt durch ihre traditionelle<br />

Rivalität.<br />

Den Leuten aus Glasgow<br />

(sie nennen sich<br />

Glaswegians) ist Edinburgh<br />

eine Angeberstadt: west<br />

endy, east windy – all fur<br />

coat and nae drawers<br />

(westendig, ostwindig –<br />

ganz <strong>und</strong> gar Pelzmantel,<br />

aber nichts drunter).<br />

Den Leuten von Edinburgh<br />

(was man vornehm näselnd<br />

aussprechen muß<br />

wie Edd’nborrouh) gilt Glasgow<br />

als Heimstatt der Witz<strong>und</strong><br />

Raufbolde, aus der das<br />

britische Variete <strong>und</strong> das<br />

britische Fernsehen ihre<br />

Komiker, die Zeitungen ihre<br />

Schlagzeilen über Vandalismus<br />

<strong>und</strong> Drogenhandel<br />

beziehen.<br />

Tatsächlich stellen sich beide<br />

Städte denkbar unterschiedlich<br />

dar; man kann<br />

sich keine größeren Gegensätze<br />

vorstellen.<br />

George Rosie hat<br />

Edinburgh „eine staatenlose<br />

Hauptstadt“ genannt.<br />

Dies weil die City für viele<br />

nach wie vor einen schwarzen<br />

Fleck besitzt, an dessen<br />

Stelle eigentlich ein<br />

völlig autarkes Parlament<br />

sein sollte. Man fühlt sich<br />

immer noch ein bißchen<br />

wie eine Pseudometropolis<br />

eines Beinahelandes. Aber<br />

was von den Engländern<br />

einige Jahrh<strong>und</strong>erte hindurch<br />

als Provinz eingestuft<br />

wurde, <strong>und</strong> von den Schotten<br />

– mit Ausnahme der<br />

Glaswegians – als Hauptstadt<br />

eines unabhängigen<br />

Staates, ist heute tatsäch-<br />

lich eine Hauptstadt mitsamt<br />

einem Parlament.<br />

Man könnte sich auf die<br />

Schulter klopfen, auch<br />

wenn es dem Erzrivalen<br />

Glasgow nicht so ganz<br />

paßt, wie es gekommen ist.<br />

Glasgow, die „postindustrielle<br />

Stadt“, wie Journalist<br />

Julian Exner sie einmal<br />

genannt ha, übertreibt<br />

ebenfalls, allerdings zur<br />

anderen, zur proletarischen<br />

Seite hin. Sie gibt sich laut,<br />

burschikos, hemdsärmelig<br />

<strong>und</strong> versoffen. Man hat mitunter<br />

das Gefühl, mit diesem<br />

betonten Gehabe wolle<br />

sie sich ganz bewußt von<br />

den feinen Pinkeln der Ostküste<br />

absetzen.<br />

Beide Städte haben etwas<br />

verloren, was sie bitter vermissen,<br />

weil es zu ihrer ursprünglichen<br />

Identität gehört:<br />

Edinburgh die<br />

Schottenrebellion, Glasgow<br />

die Schwerindustrie.<br />

Da der Verlust mit einer<br />

empfindlichen Erwerbseinbuße<br />

verb<strong>und</strong>en war, mußte<br />

jede Stadt auf ihre Weise<br />

versuchen, neue Verdienstmöglichkeiten<br />

zu finden.<br />

Was ihnen , wie es<br />

scheint, ganz gut gelungen<br />

ist, wenn auch auf wiederum<br />

gr<strong>und</strong>verschiedene Art.<br />

Edinburgh hat sich auf sein<br />

Image besonnen <strong>und</strong> es<br />

ausgebaut. Glagow hat das<br />

seine im Verlauf eines Jahrzehnts<br />

verändert.<br />

Dabei mußte sich<br />

Edinburgh nicht weiter anstrengen,<br />

gehört es doch<br />

zu den schönsten Städten<br />

Europas. Der städtebauliche<br />

Kern erwies sich als<br />

geradezu ideal. Kommerz<br />

<strong>und</strong> Banken, Verwaltung<br />

<strong>und</strong> Kirche waren hier überdies<br />

seit jeher ansässig:<br />

Wenn es in <strong>Schottland</strong> jemals<br />

ein Zentrum gegeben<br />

hat, dann lag es in<br />

Edinburgh, <strong>und</strong> zwar dort,<br />

wo man von der High Kirk<br />

ST. Giles auf der Royal Mile<br />

ein Herz eingepflastert hat,<br />

das Herz der Lothian Region,<br />

wie sich Edinburghs<br />

Verwaltungsbezirk nennt.<br />

Es wird jedoch allgemein<br />

13


Edinburgh - Glasgow<br />

14<br />

als Herz <strong>Schottland</strong>s aufgefaßt.<br />

Zusätzlich geschaffen wurde,<br />

was einheimische Journalisten<br />

The Heritage<br />

Industry genannt haben,<br />

eine gewinnträchtige Abart<br />

totaler Nostalgie, die komplette<br />

Vermarktung des historischen<br />

Erbes der Stadt.<br />

Den bekannten Sehenswürdigkeiten<br />

wie Burg,<br />

Holyrood House, Royal<br />

Mile <strong>und</strong> Princes Street<br />

stellte man neue Attraktionen<br />

an die Seite: eine Art<br />

Superfolklore mit Andenkenläden,<br />

Multimedia-<br />

Shows (so die „Edinburgh<br />

Story“ in der aufgelassenen<br />

Tollbooth Kirche), mit Whisky-,<br />

Haggis-, Heritage- <strong>und</strong><br />

sonstigen Zentren, indes<br />

man die allergrößte <strong>und</strong><br />

allerschottischste Show,<br />

das Edinburgh Military Tattoo<br />

auf der Esplanade vor<br />

der Burg, mit Tartan, Dudelsack<br />

<strong>und</strong> Feuerwerk immer<br />

prächtiger gestaltete, was<br />

denn auch zahlungskräftige<br />

Touristen aus aller Welt<br />

in steigender Zahl anlockt.<br />

Wenn einer gar nichts mehr<br />

besitzt, eines bleibt ihm<br />

doch: seine Vergangenheit.<br />

Aus ihr zieht Edinburgh,<br />

nicht ungeschickt, klingende<br />

Münze, wobei sich Chi<br />

Chi <strong>und</strong> echte Tradition,<br />

Bluff <strong>und</strong> Folklore unauflöslich<br />

miteinander vermischen<br />

– moderne Zeiten!<br />

Den Glaswegians mit ihrem<br />

Proletenkult fiel es nicht<br />

ganz so leicht, ein Disneyland<br />

in Kilts zu erstellen.<br />

Sie mußten, wie gesagt,<br />

einen völligen Imagewechsel<br />

vollziehen. Die gigantische<br />

<strong>und</strong> in Details<br />

geniale Werbekampagne<br />

begann 1983, <strong>und</strong> ihr raffinierter,<br />

auf Edinburgh anspielender<br />

Slogan wurde<br />

über Nacht sprichwörtlich:<br />

Glasgow’s miles better –<br />

Glasgow ist Meilen besser<br />

-, was man aber auch Glasgow<br />

smiles better lesen<br />

kann – Glasgow lächelt<br />

besser.<br />

Lächeln tut es tatsächlich.<br />

Bew<strong>und</strong>ernswert, wie man<br />

seitdem die Stadt aufpoliert<br />

hat. Die Fabrikviertel wurden<br />

einer unvergleichbaren<br />

Putzorgie unterworfen, die<br />

immer noch anhält <strong>und</strong> einen<br />

in Glasgow auf Schritt<br />

<strong>und</strong> Tritt in Atem hält. Fast<br />

alle gründerzeitlichen<br />

Prachtfasaden – fast 3000<br />

Gebäude stehen unter<br />

Denkmalschutz – hat man<br />

gereinigt, so daß sie jetzt<br />

wieder in ihrer roten<br />

Sandsteinfarbe blinken.<br />

Die Slums konnten so gut<br />

wie beseitigt werden, r<strong>und</strong><br />

sechs Millionen Pf<strong>und</strong><br />

steckte man in die Aufgabe,<br />

eine neue Infrastruktur<br />

zu schaffen, das Zauberwort<br />

der Neuzeit. Das<br />

heißt: Man hat neue Siedlungen<br />

gebaut <strong>und</strong> alte<br />

Gebäude nostalgisch restauriert,<br />

womit neue Unternehmen<br />

in die stillgelegten<br />

Werften <strong>und</strong> Maschinenfabriken<br />

gelockt werden sollten<br />

<strong>und</strong> gelockt werden<br />

konnten. Da die Löhne am<br />

Clyde niedriger sind als an<br />

der Themse, haben viele<br />

Londoner Unternehmen inzwischen<br />

Niederlassungen<br />

<strong>und</strong> Zweigstellen in Glasgow<br />

eingerichtet;<br />

Computerhersteller, Textil<strong>und</strong>Dienstleistungsbetriebe,<br />

sogar Firmen der Haute-Couture<br />

haben sich angesiedelt.<br />

Glasgow hat sich<br />

zu einer Stadt gemausert,<br />

in die von privater Seite<br />

mehr Geld investiert wird<br />

als in jede andere auf den<br />

Britischen Inseln. Vom h<strong>und</strong>ertjährigenIndustrieschmutz<br />

befreit, erstrahlt<br />

sie unverhofft in neuem<br />

Glanz. Die Einwohner sprechen<br />

schon, wenn auch<br />

meist mit verschämtem Lächeln,<br />

doch sichtlich stolz,<br />

von ihrer Culture City.<br />

Der gößte Erfolg der Aktion<br />

war aber, daß die Stadt<br />

für das Jahr 1990 zur europäischen<br />

Kulturhauptstadt<br />

erklärt wurde. Damals war<br />

das Erstaunen groß.<br />

„Daran hätte kaum jemand<br />

gedacht, ehe die einst reiche,<br />

aber dann arg heruntergekommeneIndustrie<strong>und</strong><br />

Handelsstadt den Kultusminister<br />

in London bewog,<br />

ihre Kandidatur seinen<br />

europäischen Kollegen<br />

vorzuschlagen, als eine britische<br />

Stadt an der Reihe<br />

war“, so Julian Exner alias<br />

Peter Fischer. Er fügt hinzu:<br />

„ Aber einem Minister<br />

der kulturknauserigen Regierung<br />

Thatcher schien<br />

das wohl auch ein willkom-


mener Ausweg aus der Verlegenheit,<br />

da Glasgow bereit<br />

<strong>und</strong> begierig war, das<br />

nötige Geld aufzubringen“.<br />

Die Londoner Staatskasse<br />

hat sich tatsächlich nur mit<br />

einer halben Million Pf<strong>und</strong><br />

Sterling daran beteiligt. Den<br />

Rest, r<strong>und</strong>e 50 Millionen<br />

(umgerechnet 75 Millionen<br />

Euro), brachte Glasgow<br />

selbst auf.<br />

Die Stadtväter waren gut<br />

beraten. Es kamen neun<br />

Millionen Gäste, vier Millionen<br />

von Übersee, die umgerechnet<br />

125 Millionen<br />

Euro ausgaben; was aber<br />

noch wichtiger ist: Die einst<br />

schmutzige Industriestadt<br />

am Clyde wurde in die Liste<br />

jener Orte aufgenommen<br />

, die man gesehen<br />

haben muß. Der Fremdenverkehr<br />

ist seitdem ein neuer<br />

Industrie- <strong>und</strong> Erwerbszweig<br />

der gebeutelten Stadt<br />

geworden.<br />

Aus dem blanken Boden<br />

stampfen läßt sich so etwas<br />

nicht. Glasgow besaß <strong>und</strong><br />

besitzt noch aus den Tagen,<br />

da Handel <strong>und</strong> Schiffbau<br />

florierten, einen soliden<br />

kulturellen Gr<strong>und</strong>stock,<br />

eine Vielfalt von Museen<br />

<strong>und</strong> Sammlungen sowie<br />

die berühmte, von Charles<br />

Rennie Mackintosh entworfene<br />

School of Art.<br />

Kunstfre<strong>und</strong>e sind in den<br />

letzten Jahrzehnten ohnehin<br />

meist seinetwegen<br />

nach Glasgow gepilgert. Zu<br />

Lebzeiten hat man ihn<br />

verlacht, wie alle Leute, die<br />

ihrer Epoche voraus sind.<br />

Heute wird er, fast ein<br />

Schutzheiliger der Kulturstadt,<br />

viel bew<strong>und</strong>ert,<br />

selbst von seinen Landsleuten.<br />

Erst nach Kriegsende<br />

so richtig wiederentdeckt,<br />

gilt er als Vorläufer<br />

des Jugendstils (Anm.<br />

der Redaktion: Diese Einschätzung<br />

des Autors von<br />

Mackintosh als „Vorläufer“<br />

trifft nicht zu; vgl. Text über<br />

Mackintosh.). Er hat aber<br />

auch schon Ideen des Bauhauses<br />

vorweggenommen,<br />

ein Pionier der Moderne –<br />

in seinen Häusern, mehr<br />

noch in seinen Inneneinrichtungen,<br />

möchte man<br />

immer noch wohnen. Ein<br />

strenges, aber nicht<br />

schmuckloses, klares, aber<br />

nicht ungemütliches De-<br />

Edinburgh - Glasgow<br />

sign liegt seinen Möbelentwürfen<br />

zugr<strong>und</strong>e. Fast<br />

alles, was von ihm erhalten<br />

blieb, befindet sich in Glasgow.<br />

Man kann nur dort<br />

nach Herzenslust in<br />

Mackintosh schwelgen.<br />

Verehrer des Architekten<br />

<strong>und</strong> Designers wissen, wo<br />

sie hingehen müssen: seine<br />

Teestube The Willow<br />

Room von 1905, in Glasgow<br />

mondänster Straße,<br />

der Sauchiehall (sprich:<br />

Sockihorl) Street, wo man<br />

automatisch zu einem Teil<br />

des aparten Interieurs wird,<br />

sobald man dort eintritt;<br />

dann zur äußerlich so<br />

wuchtig-trutzigen, innen so<br />

zartgliedrigen School of Art<br />

sowie in die Hunterian<br />

Gallery, in die man das gesamte<br />

Haus des Künstlers<br />

nebst Inneneinrichtung integriert<br />

hat. Eine Nachbildung<br />

des „Hauses für einen<br />

Kunstliebhaber“, das er<br />

einst für einen deutschen<br />

Wettbewerb entwarf, erreicht<br />

man dagegen am<br />

besten mit der U-Bahn, die<br />

im Ringverkehr die Stadt<br />

umkreist. Es gibt einen<br />

Mackintosh-Trail, den man<br />

verfolgen, Touren zu seinen<br />

sämtlichen Werken, die<br />

man buchen kann.<br />

Mackintosh ist in Glasgow<br />

allgegenwärtig, denn er<br />

wird eifrig kopiert, nicht immer<br />

mit Erfolg, wenn man<br />

die neugeschaffenen Einkaufszentren<br />

betrachtet.<br />

Weniger bekannt <strong>und</strong> so<br />

etwas wie ein Geheimtip<br />

geblieben ist allerdings<br />

sein einziger ausgeführter<br />

Sakralbau, der innen sorgfältig<br />

restauriert worden ist:<br />

die Queen’s Cross Church<br />

an der Kreuzung von<br />

Garscube Road <strong>und</strong><br />

Maryhill Road. Auch wenn<br />

eine von Fontane überlieferte<br />

touristische Weisheit<br />

empfiehlt: „Berge von unten,<br />

Kirchen von außen,<br />

Kneipen von innen“ – in diese<br />

Kirche möchte man zumindest<br />

Kunst <strong>und</strong><br />

Architekturfre<strong>und</strong>e schikken;<br />

sie werden es einem<br />

danken. In den letzten Jahren<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

erbaut, nimmt sie das ganze<br />

20.Jahrh<strong>und</strong>ert vorweg,<br />

eine Urzelle modernen Kirchenbaus.<br />

Die ausgewogene<br />

Innenarchitektur vermit-<br />

15


Edinburgh - Glasgow<br />

16<br />

telt ein völlig anderes<br />

Raumgefühl als gotische,<br />

barocke oder neoklassizistische<br />

Gotteshäuser; sie<br />

legt sich wie ein Mantel um<br />

Gläubige <strong>und</strong> Ungläubige.<br />

Das Schmuckstück ist übrigens<br />

zugleich Sitz der<br />

Mackintosh-Gesellschaft,<br />

die auffallend viele deutsche<br />

Mitglieder hat.<br />

Kultur heißt das beiden großen<br />

schottischen Städten<br />

gemeinsame Stich- <strong>und</strong><br />

Zauberwort. Sie sind gut<br />

damit gefahren, haben in<br />

dieser Hinsicht einiges zu<br />

bieten. Schon seit 1947<br />

veranstaltet Edinburgh alljährlich<br />

sein Kulturfestival,<br />

inzwischen das größte <strong>und</strong><br />

vielfältigste der Welt. Ursprünglich<br />

wollte man, kurz<br />

nach dem Krieg, für Salzburg<br />

in die Bresche springen-<br />

unvergessen ist die<br />

Wiedervereinigung des Orchesters<br />

der Wiener<br />

Staatsoper mit seinem großen<br />

Dirigenten Bruno Walter,<br />

die in Edinburgh stattfand;<br />

aber auch die drei<br />

Wochen ununterbrochenen<br />

Sonnenscheins, die dem<br />

ersten Festival zugute kamen.<br />

Drei Wochen Sonnenschein<br />

sind ungewöhnlich<br />

in Edinburgh <strong>und</strong> bleiben<br />

im Gedächtnis haften.<br />

Trotzdem beruht der weltweite<br />

Erfolg des Edinburgher<br />

Festivals darauf, daß<br />

man konsequent die alternative<br />

Kulturszene mit ihren<br />

volksfestartigen Freiluftveranstaltungen<br />

mit einbezog.<br />

Von Kanada bis<br />

Australien reißen sich junge<br />

Ensembles um eine Teilnahme.<br />

Die Ankündigung<br />

später im Heimatland:<br />

Straight from the Edinburgh<br />

Festival Fringe (direkt<br />

vom Alternativfestival in<br />

Edinburgh) gilt inzwischen<br />

als Gütezeichen besonderer<br />

Klasse.<br />

So ist das Fringe Festival<br />

längst in den Mittelpunkt<br />

der Aufmerksamkeit gerückt,<br />

eine Heerschau der<br />

Welt-Kunstavantgarde auf<br />

allen Gebieten. Alljährlich<br />

geben allein an die 500 junge<br />

Theater- oder<br />

Kaberetttruppen an die<br />

8500 Vorstellungen (während<br />

der „offizielle“ Teil es<br />

auf gerade 250 bringt). So<br />

manche Karriere – etwa die<br />

der britischen Nonsens-<br />

Gruppe Monthy Python –<br />

hat hier begonnen.<br />

Man sollte diese Leistung<br />

im Auge behalten, wenn<br />

man über den touristischen<br />

Rummel von The Heritage<br />

Industry die Nase rümpft:<br />

Es ist die Kehrseite der<br />

Medaille.<br />

Der Stadt selbst ist schon<br />

so mancher auf den ersten<br />

Blick verfallen. Sie bringt<br />

das seltene Kunststück fertig,<br />

zugleich stolz <strong>und</strong> anheimelnd<br />

zu wirken. Wurde<br />

Rom auf sieben Hügeln<br />

erbaut, so Edinburgh – wie<br />

übrigens auch Glasgow –<br />

auf mindestens siebzig.<br />

Alle überragt die Burg mit<br />

ihren festen Mauern aus<br />

diversen Jahrh<strong>und</strong>erten,<br />

die ältesten Teile sind an<br />

die 900 Jahre alt. Die Erinnerungen<br />

reichen noch<br />

weiter zurück – von hier<br />

haben schon in vorgeschichtlicher<br />

Zeit schottische<br />

Könige ihr Land regiert.<br />

Um ihren Palast, ihre<br />

große Halle, ihre Schatzkammern<br />

<strong>und</strong> Verliese<br />

rankt sich ein Großteil der<br />

blutigen <strong>und</strong> der unblutigen<br />

schottischen Geschichte.<br />

Das gilt auch für den<br />

Palace of Holyrood House<br />

am anderen Ende der Royal<br />

Mile, der königlichen<br />

Prachtstraße, die an der<br />

High Kirk der Church of<br />

Scotland, St. Giles, mit ihren<br />

kronenförmig gestalteten<br />

Turm vorbeiführt. In<br />

Holyrood residierte Maria<br />

Stuart, wurde ihr armer italienischer<br />

Sekretär Rizzio<br />

ermordet, hielt Bonnie<br />

Prince Charlie Hof, der, im<br />

Gegensatz zu Oliver Cromwell,<br />

Edinburgh Castle<br />

nicht erobern konnte, <strong>und</strong><br />

nun gibt die derzeitige Königin<br />

bei ihrem alljährlichen<br />

<strong>Schottland</strong>aufenthalten<br />

ihre Empfänge. Gelinde<br />

Melancholie bleibt spürbar<br />

– eine Hauptstadt ohne<br />

Land.<br />

Derartige Sentimentalitäten<br />

sind der anderen Prachtstraße,<br />

der Princes Street,<br />

fremd. Sie – <strong>und</strong> nicht die<br />

Royal Mile – wird von vielen<br />

sogar als die „Hauptstraße<br />

<strong>Schottland</strong>s“ empf<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> bezeichnet. Die<br />

Glaswegians haben versucht<br />

ihr Sauchiehall Street


entgegenzusetzten, aber –<br />

von Mackintoshs Gebäuden<br />

einmal abgesehen –<br />

bietet sie nichts anderes,<br />

als was Einkaufsstraßen<br />

<strong>und</strong> Fußgängerzonen überall<br />

bieten, nämlich Geschäfte.<br />

Die gibt es ebenfalls,<br />

prachtvolle (<strong>und</strong> teure)<br />

dazu, in der Princes Street,<br />

jedoch nur auf der einen<br />

Seite, der rechten, wenn<br />

man den kurios <strong>und</strong> etwas<br />

unordentlich mit Gedenktempeln<br />

bestückten Carlton<br />

Hill im Rücken hat. Zur Linken<br />

zieht sich ein tiefes,<br />

schluchtartiges Tal entlang,<br />

in dem auch die Eisenbahnstrecke<br />

verläuft. Das<br />

Tal, bestückt mit Häusern,<br />

Bäumen, dem Bahnhof <strong>und</strong><br />

– direkt über der Bahnlinie<br />

– der Nationalgalerie, war<br />

früher ein loch, ein See. Es<br />

trennt heute die historische<br />

Old Town von der New<br />

Town; letztere beginnt mit<br />

der Princes Street, <strong>und</strong> sie<br />

ist mittlerweile auch nicht<br />

mehr ganz neu, nämlich an<br />

die 200 Jahre alt. Geschaffen<br />

hat sie – wie auch die<br />

Princes Street – ein damals<br />

22jähriger Architekt, James<br />

Craig.<br />

Die New Town ist erneut<br />

etwas für Architekturliebhaber<br />

– eine gut erhaltene<br />

klassizistische Stadt<br />

aus den Zeiten der Aufklärung,<br />

als Edinburgh sich<br />

den Ruf eines „Athens des<br />

Nordens“ erwarb. Den Neoklassizismus,<br />

wie ihn in<br />

Preußen Karl Friedrich<br />

Schinkel <strong>und</strong> in Bayern Leo<br />

von Klenze pflegten, nennt<br />

man in Großbritannien<br />

„georgianisch“, nach den<br />

vier hannoverschen Königen,<br />

die in dieser Epoche<br />

regierten <strong>und</strong> alle Georg<br />

hießen. Die bekannteste<br />

georgianische Stadt ist<br />

Bath, eindrucksvoll genug<br />

in ihrer puristischen Gestalt.<br />

Hinsichtlich Ausdehnung<br />

<strong>und</strong> Vielfalt wird Bath<br />

jedoch von Edinburghs<br />

New Town weit übertroffen.<br />

Auld Reekie,so der Spitzname<br />

der Stadt seit alters,<br />

läßt sich mit keiner anderen<br />

Hauptstadt vergleichen,<br />

nicht einmal mit Paris, Rom<br />

oder London. Auld Reekie<br />

ließe sich ungefähr als „Alte<br />

Räucherliese“ übersetzen.<br />

Edinburgh - Glasgow<br />

Der Name stammt aus einer<br />

Zeit, da die Schotten,<br />

an Städte nicht gewöhnt,<br />

staunend vor der Rauchentwicklung<br />

so unglaublich<br />

vieler Häuser standen.<br />

Man sollte meinen, daß<br />

Glasgow dem wenig oder<br />

nichts entgegenzusetzen<br />

hätte. Weit gefehlt.<br />

Edinburgh ist schön, Glasgow<br />

ist interessant.<br />

Es fasziniert wiederum am<br />

ehesten denjenigen, der<br />

ein Gespür hat für Architektur,<br />

Städtebau, urbane<br />

Landschaft. Haben die reichen<br />

Viktorianer doch wahre<br />

Paläste, oft<br />

wolkenkratzerähnlich, an<br />

die quadratisch verlaufenden<br />

Straßen gesetzt, verziert<br />

mit phantastischen<br />

Säulen, Karyatiden, meterhohen<br />

gotischen Glasfenstern,<br />

Stuckfiguren, Erkern<br />

mit Pseudo-Renaissancestil,<br />

Kuppeln, Brüstungen<br />

wie am Palazzo Venezia<br />

<strong>und</strong> Balkons: Bürohäuser,<br />

Fabriken, Kaufhallen. Dazwischen<br />

die Lagerhäuser<br />

mit ihren unzähligen Hinterhöfen,<br />

gelegen an<br />

kopfsteingepflasterten<br />

höhlenartigen Gassen <strong>und</strong><br />

Gängen, zum Teil halbverfallen,<br />

eingerüstet, von<br />

Planken umzäunt, zum Teil<br />

wie aus einem Jungbrunnen<br />

auferstanden mit frisch<br />

vergoldeten Gußeisenpforten.<br />

Schon die rasterförmige<br />

Anlage der Straßen erinnert<br />

an Amerika, mehr noch die<br />

Architektur. Nicht London,<br />

nicht der europäische Kontinent<br />

gaben hier das Vorbild,<br />

sondern Städte wie<br />

Milwakee, Chicago, Boston,<br />

Phiadelphia. Selbst<br />

die Sraßennamen künden<br />

von den einstigen engen<br />

transatlantischen Handelsbeziehungen<br />

– Virginia<br />

Street, Jamaica Street,<br />

Kingston Bridge.<br />

„Edinburgh“, fand der<br />

Reiseschriftsteller H. V.<br />

Morton, „ist schottisch,<br />

Glasgow ist kosmopolitisch.“<br />

Eigentlich braucht man<br />

nichts anderes zu tun, als<br />

die City zwischen Georg<br />

Square – wo kein Georg,<br />

sondern Sir Walter Scott<br />

von einer riesigen Säule<br />

gelassen herabblickt – <strong>und</strong><br />

17


Edinburgh - Glasgow<br />

18<br />

Central Station sowie dem<br />

Fluß Clyde im Süden planlos<br />

zu durchstreifen. Auf<br />

Schritt <strong>und</strong> Tritt wird man<br />

vom architektonischen<br />

Durcheinander überrascht<br />

<strong>und</strong> kommt aus dem Staunen<br />

nicht heraus. Der hochherrschaftlichen<br />

Kulturstadt<br />

Edinburgh steht die proletarische<br />

Kulturstadt Glasgow<br />

gleichberechtigt gegenüber<br />

– oder entgegen.<br />

Entgegen steht Glasgow,<br />

merkwürdiges Phänomen,<br />

auch sich selbst. Wenn<br />

eine tiefe Kluft die<br />

Edinburgher in Altstädter<br />

<strong>und</strong> Neustädter teilt, so<br />

trennen die Glaswegians<br />

die beiden Fußballvereine<br />

der Stadt. Celtic-Fans (grüne<br />

Trikots) sind bis aufs<br />

Messer verfeindet mit den<br />

Anhängern der Rangers<br />

(blaue Trikots): eine Feindschaft,<br />

die bereits mehrere<br />

Generationen von Fußballfanatikern<br />

überdauert hat.<br />

Das heißt: Mit Sport hat sie<br />

eigentlich wenig oder nichts<br />

zu tun, eher schon mit<br />

Clan-zugehörigkeit. Wie<br />

definiert der Schottenwitz<br />

einen Atheisten? Das ist<br />

jemand, der zu einem Spiel<br />

Glasgow Rangers gegen<br />

Celtic geht, um sich ein<br />

Fußballmatch anzusehen.<br />

Die Zugehörigkeit zu einem<br />

der Clubs trägt tatsächlich<br />

beinahe religiöse Züge, auf<br />

jeden Fall konfessionelle.<br />

Die meisten Celtic-Fans<br />

sind Katholiken, Nachfahren<br />

irischer Einwanderer,<br />

die einst lohnbrecherisch<br />

hier ihr Glück zu machen<br />

versuchten; die Rangers<br />

sind waschechte Protestanten<br />

von schottischpresbyterianischer<br />

Art.<br />

Aber h<strong>und</strong>ertprozentig<br />

stimmt das nicht. Die Verb<strong>und</strong>enheit<br />

mit einem der<br />

Clubs kann in Glasgow<br />

auch gleichsam überkonfessionell<br />

vererbt werden,<br />

vom Vater auf Sohn, Enkel<br />

<strong>und</strong> Urenkel. Entstanden ist<br />

der Konflikt aus eher ethnischen<br />

Gegensätzen –<br />

Celtic wurde eben von Emigranten<br />

aus Irland gegründet.<br />

Bisher wurde der Vergleich<br />

mit der Novelle Dr. Jekyll<br />

<strong>und</strong> Mr. Hyde vermieden,<br />

die Robert Louis Stevenson<br />

in Edinburgh geschrieben<br />

hat. Er wird allzu häufig auf<br />

beide Städte angewendet;<br />

Fast jeder Essay über<br />

Edinburgh oder Glasgow<br />

beginnt mit ihm. Aber auch<br />

was oft gesagt wird, kann<br />

stimmen. Beide Städte tragen<br />

tatsächlich so etwas<br />

wie ein Doppelgesicht, ein<br />

gutes <strong>und</strong> ein böses.<br />

Der rechtschaffende Proletarier<br />

mit den schwieligen<br />

Händen <strong>und</strong> dem Herzen<br />

auf dem rechten Fleck, den<br />

der Glasgower so gern<br />

spielt, verbirgt hinter seinem<br />

breiten Rücken (<strong>und</strong><br />

seinem goldenen Humor)<br />

ein ernstes soziales <strong>und</strong><br />

menschliches Problem.<br />

Man könnte es kurz als<br />

„Suff <strong>und</strong> Drogen“ umreißen,<br />

aber es reicht tiefer.<br />

Eine unbeherrschbare Aggressivität<br />

scheint dem<br />

Glaswegian angeboren. Es<br />

sei keinem Glasgow- Besucher<br />

geraten, sich nachts<br />

durch Stadtteile wie<br />

Blackhill oder Ruchazie zu<br />

bewegen, wo kein Taxifahrer<br />

anhält, wenn ihm<br />

gewunken wird, sondern<br />

Gas gibt. Der Glaswegian<br />

ist gutmütig bis zum Extrem<br />

<strong>und</strong> andererseits angriffslustig<br />

bis zum Extrem, ein<br />

beinahe schizophrener Gegensatz.<br />

Fast schlimmer noch stellt<br />

sich der Januskopf des feinen<br />

<strong>und</strong> fast übertoleranten<br />

Edinburgh dar. In keiner<br />

anderen europäischen<br />

Stadt grassiert die Aids-<br />

Seuche so schlimm wie<br />

hier. Von h<strong>und</strong>ert Männern<br />

im Alter zwischen 15 <strong>und</strong><br />

45 erweist sich – statistisch<br />

gesehen – einer als HIVpositiv.<br />

Lothian Region,<br />

Edinburghs Regierungsbezirk,<br />

läßt sich in dieser Hinsicht<br />

nur mit dem US-Staat<br />

New York vergleichen, der<br />

ähnlich bedrückende Zahlen<br />

aufzuweisen hat.<br />

Wer immer aber der einen<br />

Stadt müde ist, der kann<br />

sich darauf verlassen: Es<br />

fährt – Jekyll hin, Hyde her<br />

– alle halbe St<strong>und</strong>e ein Zug<br />

oder Bus von Edinburgh<br />

nach Glasgow <strong>und</strong> einer<br />

von Glasgow nach<br />

Edinburgh.


New Scottish Parliament<br />

Edinburgh<br />

New Scottish Parliament<br />

Standort: Edinburgh<br />

Baujahr: 1999 - 2004<br />

Bauherr: <strong>Schottland</strong><br />

Architekt: Enric Miralles/Benedetta Tagliabue,Barcelona<br />

RMJM Scotland Ltd., Glasgow/Edinburgh<br />

Literatur: El Croquis: Enric Miralles, Benedetta Tagliabue<br />

1996-2000, 100/101, 2000<br />

rampantscotland.com/edinburgh (arcspace)<br />

Das Neue Parlamentsgebäude<br />

ist vielleicht das<br />

wichtigste Bauprojekt der<br />

jüngeren schottischen Geschichte,<br />

zumindest was<br />

seine emotionale <strong>und</strong> symbolische<br />

Bedeutung angeht,<br />

denn es wird Sitz des<br />

ersten unabhängigen<br />

schottischen Parlaments<br />

seit fast 300 Jahren sein.<br />

1998 wurde ein Wettbewerb<br />

für Architektenteams<br />

aus schottischen <strong>und</strong> internationalen<br />

Büros ausgeschrieben,<br />

den Enric Miralles/Benedetta<br />

Tagliabue<br />

<strong>und</strong> RMJM gewannen. Die<br />

erste Parlamentssitzung<br />

soll im September/Oktober<br />

2004 stattfinden. In der Zwischenzeit<br />

war das Parlament<br />

in der Church of Scotland<br />

Assembly Hall <strong>und</strong><br />

dem New College, erbaut<br />

1845 – 50, auf dem Hügel<br />

über der Princess Street<br />

untergebracht.<br />

Das Baugr<strong>und</strong>stück , eine<br />

ehemalige Brauerei, liegt<br />

gegenüber vom Palace of<br />

Holyroodhouse <strong>und</strong> nicht<br />

weit von Dynamic Earth<br />

entfernt. Einige der Bestandsbauten<br />

wurden erhalten<br />

<strong>und</strong> in den Parlamentskomplex<br />

integriert.<br />

So wurde die Fassade des<br />

Canongate Buildings erhalten,<br />

dahinter aber neue<br />

Bürogebäude aus Stahl<br />

<strong>und</strong> Beton errichtet.<br />

Dieses neue Gebäude<br />

überspannt stützenfrei 18<br />

m. Das unter Denkmalschutz<br />

stehende Queensbury<br />

House, ein Herrenhaus<br />

aus dem Jahr 1651,<br />

wurde auf Drängen der Historic<br />

Scotland Society<br />

weitgehend unverändert<br />

belassen <strong>und</strong> als Teil des<br />

Gesamtprojektes restauriert.<br />

Miralles/Tagliabue beschreiben<br />

ihren Entwurf,<br />

als ein Gebäude, das das<br />

Land, das es repräsentiert,<br />

reflektieren soll; Leitmotive<br />

waren deshalb zum einen<br />

die schottische Landschaft,<br />

die Blumenmalereien von<br />

C.R.Mackintosh sowie das<br />

Bild von umgedrehten Booten<br />

an der Küste, das hier<br />

für die Dächer herangezogen<br />

wurde. Der Komplex<br />

besteht aus einem Debating<br />

Chamber building, vier<br />

Türmen mit Räumlichkeiten<br />

für Ausschüsse <strong>und</strong> Sitzungen<br />

sowie Büros, das sogenannte<br />

MSP building, die<br />

Canongate Buildings, ein<br />

19


Edinburgh<br />

New Scottish Parliament<br />

20<br />

Mediengebäude <strong>und</strong> ein<br />

großes Foyer. Über ein<br />

landschaftsplanerisches<br />

Konzept aus Gartenwegen<br />

sollen die einzelnen Baukörper<br />

in ihrer Umgebung<br />

verankert werden.<br />

Die Tragstruktur des Gebäudes<br />

besteht aus Stahl<br />

<strong>und</strong> Sichtbeton. Im sechs-<br />

bzw. viergeschossigen<br />

MSP Tower sind die Büros<br />

der insgesamt 105 schottischenParlamentsabgeordneten<br />

untergebracht. Die<br />

Büros sind 15 m² groß, haben<br />

vorgefertigte Betongewölbe<br />

<strong>und</strong> eingebaute Eichenmöbel.<br />

Die Konstruktion<br />

ist eine Mischung aus<br />

Fertigteilen <strong>und</strong> vor Ort gegossenenBetonelementen.<br />

Außen ist das Gebäude<br />

mit verschiedenen Materialien<br />

verkleidet. Neben<br />

Kemnay Granit aus Aberdeenshire<br />

wurde dunklerer<br />

Granit aus Südafrika verwendet.<br />

In der Westfassade<br />

wird das Blattmotiv aufgegriffen,<br />

das auch die<br />

zwölf Dächer der Lobby<br />

prägt, die die Gebäude miteinander<br />

verbindet. Die<br />

Tragkonstruktion des Debate<br />

Chamber Building ist<br />

hauptsächlich aus Stahl<br />

<strong>und</strong> mit vorgefertigten Betonplatten<br />

verkleidet. Die<br />

untere Decke wird von<br />

zwei Reihen schlanker betonummantelterStahlstützen<br />

getragen. Das Erdgeschoß<br />

ist ein öffentlicher<br />

Bereich mit Ausstellungen,<br />

Restaurant u.a.. Die Decke<br />

besteht aus drei vorgefertigten<br />

Betongewölben mit<br />

Miralles’ abstrakten Darstellungen<br />

des Saltire<br />

Cross, der schottischen<br />

Fahne. Der Fußbodenbelag<br />

ist Kemnay Granit <strong>und</strong><br />

Caithness Stein; sowohl<br />

Kemnay Granit als auch die<br />

Sichtbetonflächen haben<br />

leicht glänzende Oberflächen,<br />

ein Gr<strong>und</strong> dafür, dass<br />

Miralles diese Kombination<br />

so häufig verwendet. Das<br />

Dach der Debating Chamber<br />

besteht aus laminierten<br />

Eichenbalken mit Stahlknoten.<br />

Enric Miralles starb wenige<br />

Monate nach Baubeginn im<br />

Alter von 45 Jahren.


Dance Base, National Centre for Dance<br />

Standort: Edinburgh<br />

Baujahr: 1998 - 2001<br />

Bauherr: Dance Base<br />

Architekt: Malcolm Fraser Architects, Edinburgh<br />

Ingenieur: C<strong>und</strong>all Johnston & Partners<br />

Literatur: malcolmfraser.co.uk<br />

scottisharchitecture.com<br />

geo.ed.ac.uk<br />

riba.org<br />

Die Dance Base liegt in der<br />

Old Town an der Nordseite<br />

des Grassmarket, am Fuß<br />

der Burg. Sie bietet das<br />

ganze Jahr über unterschiedlichste<br />

Kurse von lateinamerikanischem<br />

über<br />

Scottish Country Dance hin<br />

zu experimentellem Tanz<br />

für Teilnehmer aller Alterstufen<br />

<strong>und</strong> Fähigkeiten an<br />

<strong>und</strong> ist mit einer Kapazität<br />

von 200.000 Schülern die<br />

größte Tanzschule weltweit.<br />

Das Projekt wurde von<br />

der Scottish Arts Council<br />

Lottery, dem World Heritage<br />

Trust sowie der Stadt<br />

Edinburgh finanziell unterstützt.<br />

Das Gebäude besteht aus<br />

4 Studios von je 130 qm,<br />

einem Eingangsbereich mit<br />

Rezeption, social/waiting<br />

area, resource centre/resident<br />

companies office sowie<br />

support areas: Umkleideräumen,<br />

Duschen <strong>und</strong><br />

Küche. Malcolm Fraser Architects<br />

sehen die Dance<br />

Base sowohl räumlich als<br />

auch sozial als Teil der<br />

Grassmarket community,<br />

eines der belebtesten<br />

Quartiere Edinburghs. Aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong> gibt es keine<br />

Cafés oder Barräume<br />

Edinburgh<br />

Dance Base<br />

innerhalb des Gebäudes,<br />

die Besucher sollen vielmehr<br />

die umliegenden Angebote<br />

nutzen. Mittelalterliche<br />

Strukturen dieses Teils<br />

des Grassmarket, vor allem<br />

gekennzeichnet durch die<br />

offenen Hausflure <strong>und</strong> Passagen<br />

(closes), die alten<br />

Gossen (kennels) <strong>und</strong> die<br />

sogenannte Flodden Wall,<br />

werden beibehalten, darüberhinaus<br />

werden Elemente<br />

des ländlichen Hinterlandes<br />

aufgegriffen, saniert<br />

oder erweitert. So soll<br />

das neue Gebäude einerseits<br />

das umliegende Gebiet<br />

mit neuer Kraft versehen,<br />

andererseits aus diesem<br />

Kontext selbst Identität<br />

erhalten: „[The dance<br />

base] gains its richness and<br />

beauty from the simplicity<br />

of its response to its physical,<br />

historic, cultural and<br />

sensory context“, beschreibt<br />

Malcolm Fraser<br />

sein Entwurfsziel.<br />

Ein weiteres Entwurfskonzept<br />

ist die Verwendung<br />

von natürlichem Licht <strong>und</strong><br />

von Ausblicken, die das<br />

Gebäude in seiner Lage<br />

unter der Burg verankern<br />

sollen. Vorgegebene Richtungswechsel<br />

vor den Trep-<br />

21


Edinburgh<br />

Dance Base<br />

22<br />

pen <strong>und</strong> in den Empfangsbereichen,<br />

sollen den Besucher<br />

fast unmerklich in<br />

die Bewegung ziehen. Hier<br />

wird Licht vor allem zur<br />

Bewegungslenkung eingesetzt.<br />

Wenn man das Gebäude<br />

betreten <strong>und</strong> sich<br />

nach rechts zu den Treppen<br />

gewandt hat, blickt<br />

man nach oben durch<br />

Schichten von gefrittetem<br />

Glas; im ersten Stock angekommen,<br />

wird der Besucher<br />

wiederum vom Licht<br />

des Principal Studio angezogen.<br />

Von hier gelangt er<br />

über Rampen zu den anderen<br />

Studios.<br />

Jedes Studio ist für eine<br />

andere Art des Tanzes konzipiert,<br />

soll eine eigene<br />

Welt aus seinem jeweiligen<br />

Verhältnis zur Außenwelt<br />

darstellen; aus diesen unterschiedlichenZielsetzungen<br />

heraus, wurden die vier<br />

Studios – entsprechend ihrer<br />

jeweiligen Lage auf dem<br />

Gr<strong>und</strong>stück - gr<strong>und</strong>verschieden<br />

entworfen. Während<br />

Studio 2, in Verbindung<br />

mit dem Grassmarket<br />

<strong>und</strong> der Stadt, große Südfenster<br />

hat, die das Studio<br />

an den lebendigen Grassmarket<br />

anbinden <strong>und</strong> es<br />

hell <strong>und</strong> sonnig machen,<br />

liegt Studio 3 am ruhigen<br />

Ende des Gr<strong>und</strong>stücks, soll<br />

selbst eher still <strong>und</strong> introvertiert<br />

erscheinen <strong>und</strong> intensives<br />

Trainieren ermöglichen;<br />

große Türen führen<br />

in einen angrenzenden geschützten<br />

Garten. Das<br />

Principal Studio liegt zwischen<br />

bestehenden Steinmauern.<br />

Sein Glasdach ermöglicht<br />

einen freien Blick<br />

auf Edinburgh Castle <strong>und</strong><br />

in den Himmel mit seinen<br />

wechselnden Wolkenstimmungen;<br />

es soll Studio <strong>und</strong><br />

Himmel ineinander verweben.<br />

Diese Erfahrung soll<br />

im übertragenen wie auch<br />

im ganz wörtlichen Sinn<br />

erhebend sein:“a straightening<br />

of the spine and springing<br />

of the step when you<br />

enter“. Im Kontrast zum<br />

kühlen Himmel stehen die<br />

hölzernen Wandpaneele<br />

<strong>und</strong> großen Spiegel. Licht-<br />

führung <strong>und</strong> Stahlkonstruktion<br />

sind unauffällig, aber<br />

detailreich. Studio 4<br />

schließlich, das kleinste<br />

von allen, ist in das Basalt-<br />

Gestein von Castle-Rock<br />

gegraben; Lichtschlitze erhellen<br />

den Raum <strong>und</strong> richten<br />

den Blick horizontal<br />

nach außen; man blickt auf<br />

die Dächer der Art School<br />

<strong>und</strong> in den Hof vorm Hintereingang.<br />

Im Gegensatz<br />

zu Studio 4 soll es erdverb<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> ganz für individuelles<br />

Training vorgesehen<br />

sein.<br />

Das RIBA (Royal <strong>Institut</strong>e<br />

of British Architects) zeichnete<br />

die Dance Base 2002<br />

für ihre behindertengerechte<br />

Erschließung <strong>und</strong> deren<br />

Verankerung im Gesamtkonzept<br />

aus. Das Projekt<br />

erhielt den RIAS Award for<br />

Best Building in Scotland<br />

sowie den Design Award<br />

<strong>und</strong> kam für den Stirling<br />

Prize in die engere Wahl.<br />

Seitdem hat die Dance<br />

Base architektonische Berühmtheit<br />

in <strong>Schottland</strong> erlangt.


Fruitmarket Gallery<br />

Standort: Edinburgh<br />

Baujahr: 1992 - 1994<br />

Bauherr: Scottish Arts Council<br />

Architekt: Richard Murphy Architects, Edinburgh<br />

Ingenieur: W A Fairhursts<br />

Literatur: Detail, 5/1994<br />

Bauwelt, 6/1994<br />

richardmurphyarchitects.com<br />

scottisharchitecture.com<br />

arch.mcgill.ca<br />

Die Fruitmarket-Halle wurde<br />

in den 1930er Jahren als<br />

Umschlagplatz für Obst<br />

<strong>und</strong> Gemüse an der Waverly<br />

Station zwischen<br />

Princes Street <strong>und</strong> Royal<br />

Mile gebaut. Das Gebäude<br />

hat eine trapezförmige<br />

Gr<strong>und</strong>fläche <strong>und</strong> ist zwei<br />

Stockwerke hoch. Es steht<br />

auf Pfählen entlang bzw.<br />

über den Bahngleisen <strong>und</strong><br />

hatte ursprünglich einen<br />

direkten Betriebszugang<br />

zur Bahn. Das Tragwerk<br />

besteht aus Eisenrahmen,<br />

ergänzt durch Umfassungsmauern<br />

aus Naturstein.<br />

Auf den Rahmen liegen<br />

Holzbalkendecken.<br />

Dieses Bauschema ist typisch<br />

für viele industrielle<br />

Lagerhäuser dieser Zeit in<br />

<strong>Schottland</strong>.<br />

1973 wurde der Fruitmarket<br />

stillgelegt; kurze Zeit später<br />

eröffnete eine Kunstgalerie,<br />

die aber bereits 1990<br />

wieder schließen mußte.<br />

Die Eigentümer hatten nur<br />

geringfügige Umbauten am<br />

Gebäude vorgenommen.<br />

Das Scottish Arts Council<br />

setzte sich für einen Neubeginn<br />

als Galerie für zeitgenössische<br />

Kunst ein <strong>und</strong><br />

regte 1992 eine gr<strong>und</strong>legende<br />

Sanierung an.<br />

Die Hauptprobleme lagen<br />

damals in der viel zu nied-<br />

Edinburgh<br />

Fruitmarket Gallery<br />

rigen Raumhöhe im Obergeschoss,<br />

der fehlenden<br />

natürlichen Belichtung für<br />

die Ausstellungsräume sowie<br />

der Verbindung der<br />

Ebenen, die nur über<br />

Fluchttreppen gegeben<br />

war. Die Fassade der Eingangsseite<br />

erschien außerdem<br />

sehr abweisend. Der<br />

erste Auftrag an Richard<br />

Murphy Architects, das<br />

Gebäude eines Facelifts zu<br />

unterziehen, wurde darum<br />

zu einer vollständigen Umgestaltung<br />

erweitert. Anstelle<br />

des abgeschlossenen<br />

Ausstellungsraumes,<br />

den das Gebäude bisher<br />

bot, <strong>und</strong> der durchaus den<br />

Vorstellungen einer Kunstgalerie<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

entsprochen hätte,<br />

wollten Murphy Architects<br />

einen zeitgemäßen flexiblen<br />

Raum schaffen.<br />

Licht <strong>und</strong> Material waren<br />

wichtige Komponenten des<br />

Neuentwurfs, der baulich<br />

durch drei wesentliche Veränderungengekennzeichnet<br />

ist: Das Flachdach wird<br />

durch ein erhöhtes flügelförmiges<br />

Dach ersetzt, wodurch<br />

die ursprüngliche Attika<br />

unter das Dach gezogen<br />

<strong>und</strong> die Raumhöhe der<br />

oberen Galerie erhöht wird.<br />

Die neue Dachkonstruktion<br />

greift zwar das ursprüngliche<br />

Rahmenprinzip der<br />

23


Edinburgh<br />

Fruitmarket Gallery<br />

24<br />

Halle auf, hat in seiner Gestaltung<br />

aber weder etwas<br />

mit schlichtem Industriebau<br />

noch mit den eleganten<br />

Details historischer Eisenbauten<br />

gemein. Der Gr<strong>und</strong>riß<br />

des Daches ist rechtekkig<br />

<strong>und</strong> überragt darum den<br />

trapezförmigen Gebäudegr<strong>und</strong>riß;<br />

unter dem weitesten<br />

Dachüberstand liegt –<br />

betont <strong>und</strong> gleichzeitig geschützt<br />

- der neue Eingang,<br />

für den ein Teil der Fassade<br />

komplett entfernt wurde.<br />

Großzügigere Fassadenöffnungen<br />

wurden vorgesehen,<br />

um Nord- <strong>und</strong> Südlicht<br />

ins Innere zu lassen <strong>und</strong><br />

außerdem Blickbezüge zur<br />

Altstadt herzustellen. Durch<br />

aufgesetzte Flächen soll<br />

eine mehrschichtige Fassade<br />

hergestellt werden,<br />

eine Schichtung von alt zu<br />

neu <strong>und</strong> von geschlossen<br />

zu transparent; die zurückliegendenFassadenbereiche<br />

wurden durch Bleipaneele,<br />

Glasbausteine <strong>und</strong><br />

mattierte Glasflächen gegliedert.<br />

Öffnen lassen sich<br />

nur zwei Felder im Erdgeschoß<br />

<strong>und</strong> die Kranluke im<br />

Obergeschoß.<br />

Ein Oberlichtband <strong>und</strong><br />

Dachfenster bringen Tageslicht<br />

über ein neues<br />

zentrales Treppenhaus bis<br />

ins Erdgeschoß. Die Treppe<br />

ist zweigeteilt, ihr unterer<br />

Teil kann hochgezogen<br />

werden, um die Möglichkeit<br />

zu haben, die obere Galerie<br />

zu sperren, <strong>und</strong> im Alltagsbetrieb<br />

große Objekte<br />

in der unteren Galerie bewegen<br />

zu können. Die<br />

Wände <strong>und</strong> bestehenden<br />

Stahlbauteile wurden weiß<br />

gestrichen, die Böden sind<br />

mit gesp<strong>und</strong>eten Dielen belegt.<br />

In Zusammenarbeit mit<br />

dem Londoner Lichtkünstler<br />

Peter Fink ist das Lichtkunstwerk<br />

Northern Lights<br />

für Fassade <strong>und</strong> Bürgersteig<br />

entstanden; der Eingang<br />

wird abends durch ein<br />

weiß-blaues Matrixkreuz<br />

gekennzeichnet.<br />

1993 wurde die neugestaltete<br />

Fruitmarket Gallery mit<br />

dem RIBA Award ausgezeichnet.


Edinburghs Royal Mile<br />

Die vermutlich älteste Straße<br />

Edinburghs verbindet<br />

Edinburgh Castle mit dem<br />

Palace of Holyrood House.<br />

Schon seit Jahrh<strong>und</strong>erten<br />

ist die Royal Mile schottische<br />

Touristenattraktion,<br />

von Daniel Defoe (Robinson<br />

Crusoe) bereits 1723<br />

als „the largest, longest and<br />

finest street for buildings<br />

and inhabitants, not only in<br />

Britain, but in the world“ beschrieben.<br />

Während an der Mile selbst<br />

die Herrschaften wohnten,<br />

waren die davon abzweigenden<br />

Seitengassen das<br />

Areal der Handwerker <strong>und</strong><br />

Bediensteten.<br />

(Alle Öffnungszeiten gelten<br />

für das Datum unseres Aufenthalts<br />

in Edinburgh)<br />

Edinburgh Castle<br />

(Öffnungszeiten täglich<br />

9.30 –18.00 h)<br />

Goose Pie House (1)<br />

Haus des Dichters Alan<br />

Ramsey, 18. Jh.<br />

Cannonball House (2)<br />

spätes 16. Jh., die Kanonenkugel<br />

in der Wand<br />

markiert die Höhe, bis zu<br />

der das Wasser im ersten<br />

Wasserleitungssystem<br />

der Stadt befördert werden<br />

konnte.<br />

Scotch Whisky Heritage<br />

Centre<br />

(Öffnungszeit täglich von<br />

10.00 - 17.30h)<br />

The Hub<br />

Festival Centre<br />

Boswell’s Court (3)<br />

Mietshaus, um 1600 erbaut<br />

Camera Obscura / Outlook<br />

Tower<br />

seit Mitte des 19. Jh. Top-<br />

Touristenattraktion (Öffnungszeiten<br />

Mo bis Fr<br />

9.30 - 18.00h, Sa/So<br />

10.00 - 18.00h)<br />

Assembly Hall (4)<br />

Stätte der jährlichen Generalversammlung<br />

der<br />

Kirche von <strong>Schottland</strong><br />

Tollbooth Kirk<br />

von den Architekten<br />

Graham <strong>und</strong> Pugin, letzterer<br />

entwarf auch die Houses<br />

of Parliament in London<br />

Lawnmarket (6)<br />

ursprünglicher Marktplatz<br />

für Leinen<br />

Milne’s Court (7)<br />

Mietshaus von 1690<br />

James Close (8)<br />

erbaut Mitte des 18. Jh.,<br />

hier lebten der Schriftsteller<br />

James Boswell <strong>und</strong><br />

der Philosoph David<br />

Hume<br />

Gladstone’s Land<br />

Wohnhaus aus dem 16.<br />

Jh., heute Museum des<br />

Lebens im 16. Jh.<br />

(Öffnungszeiten: Mo-Sa<br />

10.00-18.00h, So 14.00-<br />

17.00h)<br />

Lady Stair’s House<br />

erbaut 1662<br />

Writers’ Museum mit Manuskripten<br />

<strong>und</strong> anderen<br />

Exponaten der berühmtesten<br />

schottischen Dichter<br />

<strong>und</strong> Schriftsteller: Robert<br />

Burns, Sir Walter Scott <strong>und</strong><br />

Robert Louis Stevenson<br />

(Öffnungszeiten: Mo-Sa<br />

10.00-18.00h)<br />

Brodie’s Close (9)<br />

benannt nach William<br />

Brodie, der im 18. Jh. tags<br />

als respektabler Bürger<br />

<strong>und</strong> nachts als Einbrecher<br />

auftrat<br />

The High Kirk of St Giles<br />

spätmittelalterlicher Turm<br />

<strong>und</strong> Burgh Kirk mit späteren<br />

Anbauten. Von hier<br />

aus führte John Know, der<br />

Gründer der Presbyterianischen<br />

Kirche im frühen<br />

16. Jh die schottische<br />

Reformation.<br />

(Öffnungszeiten Mo-Sa<br />

9.00-17.00h)<br />

Parliament Square<br />

Law Courts (10)<br />

erbaut von Robert Reid<br />

(1776-1856) nach Plänen<br />

von Robert Adam (1728-<br />

1792); beide gehören zu<br />

den Hauptarchitekten der<br />

Aufklärung<br />

Parliament House (11)<br />

erbaut 1632-1640 für das<br />

Schottische Parlament,<br />

Edinburgh<br />

Royal Mile<br />

25


Edinburgh<br />

Royal Mile<br />

26<br />

bis zur erzwungenen Union<br />

mit England 1707 benutzt<br />

Monument für King<br />

Charles II<br />

errichtet 1685<br />

Heart of Midlothian (12)<br />

ein in das Kopfsteinpflaster<br />

der Straße eingelassenes<br />

Herz markiert die<br />

Lage einer alten Zollstation.<br />

Mercat Cross (13)<br />

Von hier aus wurden den<br />

Bürgern der Stadt Gesetze,<br />

Erlasse <strong>und</strong> offizielle<br />

Neuigkeiten verkündet.<br />

High Street<br />

City Chambers (14)<br />

Entworfen von John<br />

Adam, dem Bruder von<br />

Robert Adam<br />

Mary King’s Close (15)<br />

Gebäude nach der Pest<br />

von 1645 geschlossen<br />

Tron Kirk<br />

Old Town Information<br />

Centre; geöffnet täglich<br />

10.00-19.00h;<br />

Tel.: 0131-20-1637<br />

Brass Rubbing Centre<br />

(16)<br />

Überbleibsel der Collegiate<br />

Church, gegründet<br />

1460; Museum für Metallkreuze<br />

der Pikten <strong>und</strong><br />

mittelalterliche Bronzewerke<br />

(Öffnungszeiten:<br />

Mo-Sa 10.00-18.00h)<br />

Museum of Childhood<br />

Historisches Spielzeug,<br />

Bücher, Puppen (Öffnungszeiten:<br />

Mo-Sa<br />

10.00-18.00h)<br />

Moubray House<br />

Das vermutlich älteste<br />

Wohnhaus der Stadt, in<br />

dem Daniel Defoe im 18.<br />

Jh. sein Büro hatte, leider<br />

nicht öffentlich zugänglich<br />

John Knox House<br />

Museum über John Knox<br />

Leben <strong>und</strong> Werk, die<br />

Inschrift außen lautet:<br />

LYFE GOD ABUFE AL<br />

AND YI NYCHTBOUR<br />

AS YI SELF ;<br />

geöffnet Mo-Sa 10.00-<br />

16.30<br />

Canongate (17)<br />

Chessel’s Court (18)<br />

Apartment-Haus erbaut<br />

1745<br />

Morocco Land<br />

restauriertes Mietshaus<br />

aus dem frühen 18. Jh.,<br />

benannt nach der Mohrenfigur<br />

in der Fassade<br />

Canongate Tollbooth<br />

erbaut 1591. Heute ein<br />

Museum über das<br />

Alltagsleben der<br />

Menschen im Laufe der<br />

Jahrh<strong>und</strong>erte: The<br />

People’s Story.<br />

(Öffnungszeiten: Mo-Sa<br />

10.00-18.00h)<br />

Canongate Kirk<br />

Erbaut 1688<br />

Huntly House<br />

restauriertes Gebäude<br />

aus dem 16. Jh.; Museum<br />

lokaler Geschichte, geöffnet<br />

Mo-Sa 10.00-18.00<br />

Panmure House<br />

zeitweise Wohnhaus von<br />

Adam Smith, dem Wirtschaftstheoretiker;<br />

erbaut<br />

im 17. Jh.<br />

White Horse Close (19)<br />

Altes Gasthaus <strong>und</strong> Relaisstation<br />

für Kutschen,<br />

die von hier nach London<br />

aufbrachen<br />

New Scottish<br />

Parliament (s. Text)<br />

entworfen vom inzwischen<br />

verstorbenen katalanischen<br />

Architekten<br />

Enric Miralles. Die erste<br />

Sitzung des Parlaments<br />

wird hier am 7. September<br />

2004 stattfinden, am<br />

10. Oktober 2004 wird der<br />

Komplex offiziell von der<br />

Königin eröffnet.<br />

Our Dynamic Earth (s.<br />

Text)<br />

Interactives Infotainment<br />

für Geschichte <strong>und</strong> Geologie;<br />

geöffnet täglich<br />

10.00-18.00h<br />

The Palace of Holyrood<br />

House<br />

Der Legende nach war<br />

Köng David I, der Sohn<br />

von Malcolm Canmore<br />

<strong>und</strong> St. Margaret, eines<br />

Tages im Jahre 1128 auf<br />

der Jagd. Sein Pferd<br />

wurde von einem Hirschen<br />

erschreckt, der


plötzlich aus dem Nichts<br />

auftauchte, <strong>und</strong> König<br />

David fand sich selbst am<br />

Boden wieder, in tödlicher<br />

Gefahr durch das mächtige<br />

Geweih des Tieres.<br />

Verzweifelt griff er nach<br />

den Geweihstangen <strong>und</strong><br />

w<strong>und</strong>erbarerweise verwandelten<br />

sie sich in ein<br />

Kruzifix. Der König gelobte<br />

an dieser Stelle eine<br />

Abtei zu erbauen. Schon<br />

im frühen 14. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

stand hier eine königliche<br />

Residenz gegenüber der<br />

Abtei. Der älteste heute<br />

erhaltene Teil wurde<br />

vom Steinmetz James V.,<br />

John Ayton erbaut. Der<br />

Hauptteil entstand im 17.<br />

Jh. Unter Charles II.<br />

In den heute zugänglichen<br />

historischen Schauräumen<br />

lebte Maria Stuart.<br />

Der Palast wird häufig<br />

noch als königliche Residenz<br />

genutzt.<br />

Edinburgh<br />

Royal Mile<br />

27


Edinburgh<br />

Dynamic Earth Centre<br />

28<br />

Dynamic Earth<br />

Standort: Edinburgh<br />

Baujahr: 1990-1999<br />

Bauherr: Millennium Commission<br />

Architekt: Michael Hopkins & Partners<br />

Ingenieur: Ove Arup & Partners<br />

Literatur: Detail 6/2000<br />

Lyall, Sutherland: Ingenieure – Bau – Kunst,<br />

Die Konstruktion der neuen Form, Stuttgart, 2002<br />

Colin Davies: Hopkins 2, London, 2001<br />

Salisbury Crags in Edinburgh<br />

ist der Ort, wo im 18.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert der Geologe<br />

James Hutton lebte <strong>und</strong><br />

arbeitete. Als die alte Scottish<br />

<strong>und</strong> Newcastle Brauerei,<br />

am Fuße des Berges<br />

gelegen, stillgelegt wurde,<br />

erbte die Stadt das Gelände<br />

mit der Auflage, dass es<br />

für die Öffentlichkeit genutzt<br />

wird. Eine Besucherattraktion<br />

mit geologischem<br />

Schwerpunkt sollte entstehen.<br />

Das Resultat ist Dynamic<br />

Earth. Das Projekt wurde<br />

teilweise von der Millennium<br />

Commission finanziert.<br />

Der Auftrag sah ein<br />

einfaches Ausstellungsgebäude<br />

vor, in der sich eine<br />

Auswahl an multimedialen<br />

Ausstellungen <strong>und</strong> ein Planetarium<br />

befinden sollte.<br />

Hopkins jedoch hatte eine<br />

andere Idee entwickelt.<br />

Das Ausstellungsgebäude<br />

sollte sich innerhalb der<br />

bestehenden Wände der<br />

alten Brauerei befinden.<br />

Ein neues Eingangsfoyer<br />

sollte darüber entstehen, in<br />

das man über ein Amphitheater<br />

gelangt. Das ganze<br />

Gebäude wird überdeckt<br />

von einer Zeltkonstruktion,<br />

welche im Kontrast zu den<br />

im Hintergr<strong>und</strong> gelegenen<br />

dunklen Bergen steht.<br />

Die Anlage besteht aus drei<br />

Elementen: dem Ausstellungsgebäude,<br />

dem Amphitheater<br />

als Vorplatz <strong>und</strong><br />

dem Zeltdach.<br />

Das Ausstellungsgebäude<br />

besteht aus zwei Geschossen<br />

<strong>und</strong> einem darunter liegenden<br />

Parkdeck. Einige<br />

der Veranstaltungsräume<br />

erstrecken sich über beide<br />

Geschosse. Das halbkugelförmige<br />

Dach des Multimedia-Vorführungsraum<br />

stößt aus dem ersten Untergeschoss<br />

in den Eingangsbereich<br />

hinein. Die<br />

Kraft dieses Empordrängens<br />

wird durch die Breiten-<br />

<strong>und</strong> Längenlinien erhöht,<br />

die anzudeuten scheinen,<br />

dass sich die Kuppel<br />

in Schräglage befindet, um<br />

auf die dynamische Landschaft<br />

des Zeltdaches mit<br />

seinen geneigten Stützen<br />

zu reagieren. Verwaltungsbüros<br />

sind an den Seiten<br />

des alten Gr<strong>und</strong>risses der<br />

Brauerei angeordnet. Im<br />

Eingangsbereich befinden<br />

sich noch ein Café, eine<br />

Bar <strong>und</strong> zwei Wendeltreppen,<br />

die in den steinernen<br />

Sockelbau mit der eigentlichen<br />

Ausstellung hinab<br />

führen.


Das Amphitheater wird für<br />

Veranstaltungen genutzt,<br />

hauptsächlich aber zur Zeit<br />

der Festspiele in Edinburgh.<br />

Ansonsten dient es<br />

als öffentlicher Vorplatz <strong>und</strong><br />

großzügige Treppenanlage,<br />

die zum Eingang des<br />

Veranstaltungszentrums<br />

führt.<br />

Edinburgh<br />

Dynamic Earth Centre<br />

Das Dach wurde von dem<br />

Büro Happold in Zusammenarbeit<br />

mit Ove Arup &<br />

Partners entwickelt. Das<br />

auf einem ovalen Gr<strong>und</strong>riss<br />

basierende Dach besteht<br />

aus PTFE-beschichtetem<br />

Glasfasergewebe. Die Konstruktion<br />

beruht auf acht<br />

untereinander verspannten<br />

Pylonen, die durch die mit<br />

Stahlseilen davon abgehängten,<br />

verglasten Leiterträgern<br />

<strong>und</strong> die Membran<br />

ins Freie stoßen. Die Leiterträger<br />

sorgen für die seitliche<br />

Aussteifung. Unterteilt<br />

wird die Membranfläche<br />

durch drei Rohrträger. Zum<br />

Amphitheater hin ist die<br />

Zelthaut angehoben <strong>und</strong><br />

angestückt, um ein von<br />

29


Edinburgh<br />

Dynamic Earth Centre<br />

30<br />

zwei Diagonalstützen getragenes<br />

Vordach zu bilden.<br />

Der vertikale Raumabschluss<br />

des unbeheizten<br />

Eingangsfoyer besteht vollständig<br />

aus Glas <strong>und</strong> ist<br />

eine eigenständige, freitragende<br />

Konstruktion, die im<br />

oberen Bereich flexibel mit<br />

der Kante der Zelthaut verb<strong>und</strong>en<br />

ist. Ein Membranschloss<br />

gewährleistet die<br />

Beweglichkeit <strong>und</strong> Vorspannung<br />

für diesen Dach-<br />

Wand-Anschluß.<br />

Die leichte Gestalt des Daches<br />

steht im Gegensatz zu<br />

den massiven Teilen des<br />

Komplexes <strong>und</strong> der übrigen<br />

städtischen Bebauung.<br />

Noch auffälliger wirkt der<br />

Kontrast des geschwungenen<br />

Membrandachs zu den<br />

markanten Felsformationen<br />

der Umgebung. Natürliches<br />

wie bearbeitetes<br />

Gestein bilden den Bezug<br />

zum Ausstellungsthema –<br />

Erde <strong>und</strong> Natur.<br />

Die leichte, weiße Hülle des<br />

Daches <strong>und</strong> seine minimierte<br />

Stahlkonstruktion<br />

symbolisieren dagegen die<br />

artifizielle, durch den Menschen<br />

geschaffene Welt.


Edinburgh<br />

RoyalBotanic Garden<br />

Royal Botanic Garden – Altes (Tropical Palmhouse)<br />

<strong>und</strong> Neues Palmenhaus (Temperate<br />

Palmhouse)<br />

Altes Palmenhaus<br />

Standort: Edinburgh<br />

Baujahr: 1834 (Umbau 1860)<br />

Bauherr: Stadt Edinburgh<br />

Architekt: unbekannt<br />

Neues Palmenhaus:<br />

Standort: Edinburgh<br />

Baujahr: 1858<br />

Bauherr: Stadt Edinburgh<br />

Architekt: Robert Matheson<br />

Literatur: Ruth-Maria Ullrich: Glas-Eisen-Architektur.<br />

Pflanzenhäuser des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, Worms 1989<br />

Georg Kohlmaier/Barna von Sartory: Das Glashaus.<br />

Ein Bautypus des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, München 1981<br />

Der Botanische Garten von<br />

Edinburgh entwickelte sich<br />

aus einem medizinischen<br />

Kräutergarten. Die Palmenhäuser<br />

am Nordende des<br />

Gartens sind die nördlichsten<br />

Gewächshausbauten<br />

Großbritanniens. Das erste<br />

große Gewächshaus wurde<br />

hier 1834 gebaut; 1855<br />

begannen Planungen für<br />

den Anbau eines zweiten<br />

nach Westen hin, das 1858<br />

errichtet wurde. Die Länge<br />

der Verbindungsachse beträgt<br />

36,60 m. Seit 1860<br />

sind beide Bauteile durch<br />

eine Glaswand getrennt, so<br />

dass seitdem im Alten Palmenhaus<br />

Pflanzen für heißes<br />

Klima, im neuen Palmenhaus<br />

Pflanzen für temperiertes<br />

Klima untergebracht<br />

sind.<br />

Interessant ist die Konfrontation<br />

des filigranen Glas-<br />

Eisen-Dachgewölbes, das<br />

auf einen Architrav aufgesetzt<br />

ist, mit der klassizistischen<br />

Arkadenwand mit<br />

Pilastern <strong>und</strong> großen<br />

R<strong>und</strong>bogenfenstern. Solche<br />

repräsentative Steinarchitektur<br />

zeichnet historisch<br />

gesehen den Bautypus<br />

Orangerie aus, der<br />

durch weitest mögliche Auflösung<br />

der Wand 1 das Erscheinungsbild<br />

antiker<br />

Tempel mit Säulen <strong>und</strong> Architrav<br />

nachempfindet. Die<br />

Dachkonstruktion knüpft<br />

dagegen an fortschrittliche<br />

Ingenieurkonstruktionen<br />

an, zeigt in der Raumgestalt<br />

sowie in der Gliederung<br />

der Sparren <strong>und</strong><br />

Sprossen Parallelen zum<br />

31


Edinburgh<br />

RoyalBotanic Garden<br />

32<br />

Palmenhaus in den Londoner<br />

Kew Gardens (erbaut<br />

1848). Diese Verbindung<br />

von historisierendem Formapparat<br />

mit Ingenieurkonstruktion,<br />

die vor allem am<br />

Neuen Palmenhaus deutlich<br />

wird, ist ein Phänomen<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Es<br />

trat zuerst bei Gewächshausbauten,<br />

später auch<br />

bei Bahnhofsgebäuden<br />

auf.<br />

Das Alte Palmenhaus<br />

(Tropical Palmhouse)<br />

Das Bauschema des Alten<br />

Palmenhauses besteht aus<br />

einer gemauerten Außenschale<br />

aus Sandstein mit<br />

großen Fensteröffnungen<br />

<strong>und</strong> einer eingestellten, im<br />

Dach verglasten Konstruktion.<br />

Damit löste es sich<br />

von älteren Palmenhäusern<br />

wie etwa Bretton Hall<br />

oder dem Antheum in<br />

Brighton, die mit basilikalen<br />

Großkuppeln ganz aus Eisen<br />

gebaut worden waren<br />

<strong>und</strong> wegen ihrer zunehmenden<br />

Instabilität mittlerweile<br />

eingestürzt sind oder<br />

demontiert werden mußten.<br />

Der oktogonale Gr<strong>und</strong>riß<br />

ermöglichte hier stattdessen<br />

vergleichsweise<br />

einfache Pultdächer, deren<br />

Sparren von einem Architrav<br />

parallel zur Außenwand<br />

<strong>und</strong> einem inneren<br />

Ring von acht gußeisernen<br />

Säulen getragen werden.<br />

Als die Palmen zu hoch<br />

wuchsen <strong>und</strong> begannen,<br />

dieses Dach zu durchstoßen,<br />

entschloß man sich<br />

zum Anbau eines neuen<br />

Palmenhauses, stellte<br />

dann aber fest, daß die<br />

Schäden am alten Dach zu<br />

groß waren, um es einfach<br />

zu reparieren. 1860, zwei<br />

Jahre nach dem Anbau,<br />

wurden deshalb Teile der<br />

alten, hölzernen Dachkonstruktion<br />

durch gußeiserne<br />

ersetzt. Die Form des Pultdaches<br />

wurde bis zum Innenring<br />

beibehalten <strong>und</strong><br />

darauf eine achteckige<br />

Kuppel mit sechzehn<br />

Hauptrippen gesetzt, 14,30<br />

m hoch mit einem Durchmesser<br />

von 18,30 m. Vier<br />

längere wechseln sich jeweils<br />

mit vier kürzeren Oktogonseiten<br />

ab. Die Pilaster<br />

der Seitenwände wurden<br />

bis auf die Eckpfeiler entfernt<br />

<strong>und</strong> durch gußeiserne<br />

Säulen <strong>und</strong> Unterzüge ersetzt,<br />

so daß eine großflächige<br />

Glasfront entstand.<br />

Neues Palmenhaus (Temperate<br />

Palmhouse)<br />

Das Neue Palmenhaus besteht<br />

aus Längshallen von<br />

30 x 17 m, bedeckt von einem<br />

basilikalen Glasgewölbe<br />

auf vierzehn Bogenstellungen,<br />

die von den Kapitellen<br />

hoher, mehrstufiger<br />

Gußeisensäulen aufsteigen.<br />

Die Zweistufigkeit des<br />

Gewölbes kompensiert die<br />

Lichteinbußen, die aus den<br />

Pfeilerbogenstellungen aus<br />

Mauerwerk (7 x 4 Achsen),<br />

der hohen Brüstung <strong>und</strong><br />

der Gebälkzone herrühren.<br />

Die Höhe des Glasgewölbes<br />

entspricht dabei der<br />

Höhe der Steinfassade <strong>und</strong><br />

beträgt je 10,60 m (eine<br />

Dachstufe ist 5,30 m hoch).<br />

So entsteht der Eindruck<br />

eines in sich bestehenden<br />

Glashauses, das auf einen<br />

hohen Sockel gesetzt wurde.<br />

Die Außenmauer besteht<br />

wie beim Alten Palmenhaus<br />

aus Sandstein; sie hat<br />

ebenfalls große Fensteröffnungen<br />

<strong>und</strong> eine Pilastergliederung.<br />

Die Glas-Eisen-Konstruktion<br />

des Daches<br />

setzt direkt auf die<br />

Außenwand auf. Der niedrigere<br />

Gewölbeteil spannt<br />

von der Außenwand zur<br />

halben Dachhöhe <strong>und</strong> ist<br />

dort auf 14 schlanken gußeisernen<br />

Stützen gelagert.


Die Stützen, 14,50 m hoch,<br />

bilden mit dem darüberliegenden<br />

Träger ein Rahmensystem,<br />

auf das der<br />

zweite Gewölbeteil mittels<br />

einer niedrigen vertikalen<br />

Lüftungsgalerie aufsetzt.<br />

Oberhalb der Säulenkapitelle<br />

gehen von einem Zwischenstück<br />

Gußkonsolen<br />

aus, die sich an die Rippen<br />

schmiegen <strong>und</strong> über<br />

schmiedeeiserne Laschen<br />

mit diesen verschraubt<br />

sind. In 21 m Höhe schließt<br />

sich das Dach zu einem<br />

spitzbogigen Gewölbe. Die<br />

Seitenwände geben dem<br />

Auge als feste Raumbegrenzung<br />

Halt, während die<br />

überschlanken Säulen <strong>und</strong><br />

das Dachraster die Raumgrenze<br />

nach oben aufheben.<br />

Die bogenförmigen Binder<br />

des Daches überspannen<br />

maximal 8,50 m im Mitteltei.<br />

Sie ermöglichen einen<br />

freien Innenraum <strong>und</strong> haben<br />

ein günstiges statisches<br />

Verhalten, weil sie<br />

vorwiegend nur auf Druck<br />

beansprucht werden. Die<br />

Binder liegen im Abstand<br />

von 2 m, jede zweite Spante<br />

befindet sich somit in einer<br />

Stützenachse. An den<br />

Anschlußpunkten zu den<br />

Trägern über den Stützen<br />

werden sie durch ein Gußeisenfachwerk<br />

ausgesteift.<br />

Im Abstand von 40 cm laufen<br />

gebogene Fenstersprossen<br />

vertikal von Auflager<br />

zu Auflager durch. Die<br />

Einfachverglasung besteht<br />

aus gebogenen Glasscheiben<br />

von 39,5 x 65 cm.<br />

Die Durchbrochenheit der<br />

Seitenwände stellte ein<br />

technisches Problem bei<br />

der Ausbildung des Auflagers<br />

der Glas-Eisen-Konstruktion<br />

dar, weil die Seitenwände<br />

nur sehr begrenzt<br />

Seitenschub aufnehmen<br />

können. Eine Alternative<br />

zu den Seitenwänden<br />

wären Zugeisen<br />

gewesen, die allerdings<br />

Edinburgh<br />

RoyalBotanic Garden<br />

das Palmenwachstum im<br />

Inneren beträchtlich gestört<br />

hätten. Man suchte darum<br />

eine andere Lösung <strong>und</strong><br />

bildete schließlich einen<br />

umlaufenden Ringgurt aus,<br />

der auf Architravhöhe liegt<br />

<strong>und</strong> den auftretenden Seitenschub<br />

aus den Bogenbindern<br />

aufnimmt.<br />

Die Bogenzwickel sind mit<br />

dekorativen Ausfachungen<br />

versehen, die gleichen wurden<br />

bei den Aussteifungen<br />

des Dachgewölbes verwendet.<br />

Zugstangen nehmen<br />

den Horizontalschub<br />

der Träger auf <strong>und</strong> unterstützen<br />

gleichzeitig die filigranen<br />

Falzleisten der Verglasung.<br />

Dieses Prinzip findet<br />

sich genau wie die basilikale<br />

Gewölbeform im älteren<br />

Palmenhaus in den<br />

Londoner Kew Gardens,<br />

wurde hier allerdings als<br />

Neuerung mittels Scheiben<br />

mit gekerbten Rändern<br />

ausgeführt, um Dehnungsbewegungen<br />

nicht zu behindern.<br />

Die verwendeten Materialien<br />

zeigen die Mitte des 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts beginnende<br />

Umwälzung der Bautechnik.<br />

Während das innere<br />

Tragwerk der Säulen,<br />

Querbogenträger <strong>und</strong> Konsolen<br />

aus Gußeisen besteht,<br />

sind die Bogenrippen<br />

wahrscheinlich schon aus<br />

Walzeisen hergestellt. Die<br />

Walztechnik wurde etwa<br />

1840 im Schiffbau entwikkelt<br />

<strong>und</strong> 1848 bereits in<br />

Kew Gardens verwendet.<br />

Das Neue Palmenhaus in<br />

Edinburgh ist eine Mischkonstruktion<br />

mit nahezu<br />

gleicher Profilausbildung<br />

der gußeisernen Querbogenträger<br />

im Untergurt <strong>und</strong><br />

der gewalzten Rippen.<br />

Eine Weiterentwicklung der<br />

Raumlösung des Neuen<br />

Palmenhauses findet sich<br />

im Großen Gewächshaus<br />

in Kassel/Wilhelmshöhe,<br />

das 1822 errichtet <strong>und</strong><br />

1887 entsprechend umgebaut<br />

wurde.<br />

1 Nach der Gotik finden sich<br />

in den Orangeriebauten des<br />

18. Jahrh<strong>und</strong>erts die ersten<br />

aufgelösten Fassaden.<br />

33


Edinburgh<br />

RoyalBotanic Garden<br />

34


Das Glashaus – Ein Bautypus<br />

Edinburgh<br />

Palmenhäuser<br />

Literatur: Ruth-Maria Ullrich: Glas-Eisen-Architektur.<br />

Pflanzenhäuser des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, Worms<br />

1989<br />

Georg Kohlmaier/ Barna von Sartory:<br />

Das Glashaus. Ein Bautypus des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts,<br />

München 1981<br />

Die Beherrschung der Natur<br />

im Sinne einer wissenschaftlichen<br />

Kontrolle der<br />

Naturprozesse war Gr<strong>und</strong>lage<br />

der im 18./19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

neu entstehenden<br />

Industrien. Dieselbe Vorstellung<br />

stand hinter dem<br />

gleichzeitigen Bau großer<br />

Gewächshäuser, in denen<br />

die Zähmung der Natur anhand<br />

tropischer Pflanzen<br />

aus den Kolonien wie ein<br />

Kunstwerk vorgeführt wurde,<br />

für deren Anordnung<br />

<strong>und</strong> Zusammenstellung tatsächlich<br />

oft Gemälde als<br />

Vorlage dienten, so dass<br />

die Anpflanzungen wie ein<br />

langsam wachsendes Gemälde<br />

oder vergängliches<br />

Stilleben zu verstehen sind.<br />

Für die gesellschaftliche<br />

<strong>und</strong> historische Einordnung<br />

dieses Bautypus spielen<br />

mehrere Faktoren eine Rolle,<br />

die hier nur kurz angerissen<br />

werden können.<br />

Zum einen hatte die Zucht<br />

<strong>und</strong> Beobachtung der<br />

Pflanzen einen rein praktischen<br />

Hintergr<strong>und</strong>, nämlich<br />

die Eigenschaften der<br />

Pflanzen zu untersuchen<br />

<strong>und</strong> ihren Nutzwert zu ermitteln.<br />

Häufig gehörten<br />

deshalb botanische <strong>Institut</strong>e<br />

besonders zu den früheren<br />

Gewächshäusern.<br />

Unterhaltung <strong>und</strong> Pflege<br />

der Anlagen waren äußert<br />

kostspielig <strong>und</strong> stellten im<br />

19.Jahrh<strong>und</strong>ert einen enormen<br />

Luxus dar. Das industrielle<br />

Wachstum führte<br />

aber immer stärker zum<br />

Verlust der Natur im Umfeld<br />

des Menschen, die im vorindustriellen,<br />

bäuerlichen<br />

Leben noch direkter Bestandteil<br />

<strong>und</strong> damit nicht<br />

weiter bemerkenswert gewesen<br />

war. In den Städten<br />

wurde damals Grün an sich<br />

zur Mangelware. In dieser<br />

Welt voller Notwendigkeiten<br />

wuchs ein allgemeines<br />

Bedürfnis, das die Glashäuser<br />

befriedigten, indem<br />

sie eine „paradiesische“<br />

Welt konservierten.<br />

Im Gewächshaus werden,<br />

ähnlich wie in den großen<br />

Museen, die Meisterwerke<br />

der Natur in einem Besucherkatalog<br />

nach Titel <strong>und</strong><br />

Entstehungsort geordnet<br />

vorgestellt. Historische<br />

oder auf eine andere Weise<br />

weit von den eigenen<br />

Problemen entfernte Welten<br />

gehören zum Kulturbetrieb<br />

der bürgerlichen Gesellschaft<br />

<strong>und</strong> erfüllen<br />

gleichzeitig deren Bildungsanspruch.<br />

Die Natur als arrangiertes<br />

Produkt zu erleben, war<br />

35


Edinburgh<br />

Palmenhäuser<br />

36<br />

zunächst dem Adel <strong>und</strong> der<br />

Großbourgeoisie vorbehalten<br />

gewesen, die sich mit<br />

ihren Wintergärten private<br />

Rückzugsorte schufen.<br />

Das öffentliche Glashaus<br />

ist ein Vorläufer, wenn nicht<br />

sogar der Beginn der modernenVergnügungsindustrie,<br />

die einer breiten Masse<br />

gegen Eintrittsgeld Erholung,<br />

Abwechslung <strong>und</strong><br />

schließlich“Events“ bietet.<br />

Die Industrie erkannte das<br />

neue Bedürfnis schnell <strong>und</strong><br />

begann mit der Vermassung<br />

<strong>und</strong> damit Demokratisierung<br />

des Naturerlebnisses<br />

<strong>und</strong> mit der gelenkten<br />

Verwertung der Freizeit<br />

des Großstadtmenschen.<br />

Neben der reinen Pflanzenschau<br />

wurde das Glashaus<br />

Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

zum Zentrum der verschiedenstenVergnügungsarten;<br />

hier fanden Konzerte,<br />

Revuen <strong>und</strong> Theateraufführungen<br />

statt, es gab Cafés<br />

<strong>und</strong> Restaurants, Kunstsammlungen,<br />

Bibliotheken,<br />

Billiard, Tanzveranstaltungen<br />

<strong>und</strong> Feste. Die neuen,<br />

weitspannenden Glas-Eisen-Konstruktionenwiederum<br />

ermöglichten all diese<br />

wechselnden unterschiedlichen<br />

Nutzungen.<br />

Die ersten dieser Entertainment-Komplexeentstanden<br />

in London, einer der<br />

berühmtesten war der Jardin<br />

d’Hiver in Paris (1848).<br />

Die Pflanzenhäuser trugen<br />

damit auch dazu bei, die<br />

zunehmenden sozialen<br />

Spannungen in den Großstädten<br />

zu lockern; die mei-<br />

sten „Floren“ wurden etwa<br />

in Deutschland zur Zeit der<br />

Sozialistengesetze (1878)<br />

gebaut.<br />

Die Organisationsform des<br />

endlosen Weges, die Anordnung<br />

der Objekte vom<br />

kleinsten zum größten <strong>und</strong><br />

vom alltäglichsten zum<br />

ausgefallensten Gegenstand<br />

<strong>und</strong> die Konstruktion<br />

der alles umgebenden Hülle<br />

sind Elemente, die für die<br />

Weltausstellungen ab Mitte<br />

des Jahrh<strong>und</strong>erts von<br />

den Pflanzenhäusern übernommen<br />

wurden. Bei der<br />

Eröffnung des Kristallpalastes<br />

1851 beschrieben die<br />

Zeitungen ihn als „Riesengewächshaus,<br />

in dem nun<br />

die Waren der Welt ihre<br />

Augen aufschlagen“.<br />

Die Gewächshäuser waren<br />

das Hauptexperimentierfeld<br />

für die Glas-Eisen-Architektur,<br />

weil sie zunächst<br />

als reine Nutzbauten <strong>und</strong><br />

nicht für den Aufenthalt von<br />

Menschen vorgesehen waren.<br />

Ihre Konstruktions<strong>und</strong><br />

Raumformen mit dem<br />

reinen Ziel weitgespannter<br />

Glasflächen <strong>und</strong> Gewölbe<br />

konnten sich daher weitgehend<br />

unabhängig von den<br />

Bauvorschriften <strong>und</strong> auch<br />

den ästhetischen Prinzipien<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

entwickeln. Wegen der<br />

bautechnischen <strong>und</strong> bauphysikalischenAnforderungen,<br />

wurden sie von Anfang<br />

an dem Aufgabenbereich<br />

der Ingenieure zugeordnet.<br />

Anders als bei der parallelen<br />

Historismus-Architektur<br />

fand hier keine Trennung<br />

von Konstruktion <strong>und</strong> Ornament<br />

statt, so dass sich das<br />

Zusammenwirken des gesamten<br />

Aufbaus leicht erkennen<br />

<strong>und</strong> begreifen<br />

lässt. An den Gewächshausbauten<br />

wurde noch<br />

vor den Bahnhofshallen<br />

das neue Material Eisen in<br />

Fertigung <strong>und</strong> Konstruktion<br />

erprobt <strong>und</strong> Lösungen für<br />

die meisten technischen<br />

Probleme der Bauteilnormung<br />

<strong>und</strong> industriellen Serienfertigung<br />

gef<strong>und</strong>en.


Royal Scottish Museum<br />

Standort: Edinburgh<br />

Baujahr: 1864<br />

Bauherr: Stadt Edinburgh<br />

Architekt: Robert Matheson<br />

Ingenieur: Sir Francis Fowke<br />

Literatur: GiselherHartung: Eisenkonstruktionen des<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>erts, Darmstadt 1983<br />

Nach dem Erfolg der Weltausstellung<br />

in London 1851<br />

entstanden in vielen größeren<br />

Städten naturk<strong>und</strong>lichtechnische<br />

Museen. Das<br />

Royal Scottish Museum<br />

wurde 1861 nach dem Vorbild<br />

des Britischen Museums<br />

in London von Robert<br />

Matheson, der wenige Jahre<br />

zuvor das Neue Palmenhaus<br />

im Botanischen Garten<br />

entworfen hatte, <strong>und</strong> Sir<br />

Francis Fowke, Ingenieur<br />

der britischen Armee, errichtet.<br />

Von seiner hohen<br />

viktorianischen Glashalle<br />

aus gelangt man auf 36<br />

Galerien. In den dahinterliegendenAusstellungsräumen<br />

werden Kunstgegenstände<br />

aus Asien <strong>und</strong> Afrika<br />

sowie <strong>Schottland</strong>s internationale<br />

Sammlung zu<br />

Natur-, Sozial- <strong>und</strong> Technikgeschichte,<br />

Geologie <strong>und</strong><br />

Zoologie gezeigt.<br />

Francis Fowke hatte 1859<br />

das Victoria and Albert Museum<br />

in London gebaut<br />

<strong>und</strong> war parallel zu seinem<br />

Edinburgher Projekt mit<br />

den Bauten für die zweite<br />

Londoner Weltausstellung<br />

1862 befaßt. Der Entwurf<br />

zur Royal Albert Hall<br />

stammt ebenfalls von Fowke,<br />

wurde aber erst nach<br />

dessen Tod umgesetzt.<br />

Edinburgh<br />

Royal Scottish Museum<br />

Fowkes Nachfolgebau des<br />

Chrystal Palace verbirgt die<br />

Eisenkonstruktion des Daches,<br />

der Säulen <strong>und</strong> Galerien<br />

hinter steinernen<br />

Fassaden, <strong>und</strong> zeugt damit,<br />

ähnlich wie Mathesons<br />

Palmenhaus, von der seit<br />

dem Chrystal Palace<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich veränderten<br />

Einstellung zu Eisenkonstruktionen.<br />

In diesem Sinne<br />

entstand folglich auch<br />

das Royal Museum, dessen<br />

konstruktiv klare, lichte<br />

Innenräume im Gegensatz<br />

zu den Sandsteinfassaden<br />

im italienischen Renaissancestil<br />

stehen.<br />

Der Einfluß des Chrystal<br />

Palace ist besonders in der<br />

Eingangshalle deutlich, wo<br />

schlanke, eiserne Stützen<br />

über drei Geschosse die<br />

umlaufenden Galerien <strong>und</strong><br />

halbkreisförmigen Bogenbinder<br />

des Daches tragen.<br />

Auf die Binder setzt ein<br />

glasgedecktes Satteldach<br />

auf. Die Bogenbinder sind<br />

aus Holz <strong>und</strong> wurden aus<br />

mehreren hochkant nebeneinanderstehenden<br />

kurzen<br />

Bohlen hergestellt, die untereinander<br />

verb<strong>und</strong>en<br />

sind. Dieses Prinzip wurde<br />

bereits im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

von Philibert Delorme entwickelt.<br />

37


Edinburgh<br />

Museum of Scotland<br />

38<br />

Gr<strong>und</strong>riss<br />

Museum of Scotland<br />

Standort: Edinburgh<br />

Baujahr: 1991 - 1994<br />

Architekt: Benson & Forsyth<br />

Quellen: Detail, 6/1991 nms.ac.uk<br />

Neben dem Royal Museum<br />

liegt das Museum of Scotland,<br />

das Exponate zur<br />

schottischen Geschichte<br />

zeigt. Benson & Forsyth<br />

gewannen 1991 den Wettbewerb<br />

für den Neubau. Ihr<br />

Entwurf greift schottische<br />

Bautraditionen von Burgen<br />

bis zu Mietshäusern <strong>und</strong><br />

lokale historische Materialien<br />

auf, die neu interpretiert<br />

werden sollen. Er setzt sich<br />

zusammen aus einer Galerie<br />

im Kern, einem zentralen<br />

Raum, betont durch einen<br />

r<strong>und</strong>en Eckturm. Die<br />

Außenwände sind mit Clashach<br />

Sandstein aus Morayshire<br />

verkleidet; für den<br />

Rahmen des Gebäudes<br />

wurde Beton (cathedral<br />

grade concrete) verbaut. Im<br />

Inneren wurden Kalkstein,<br />

Buchenholz <strong>und</strong> glatter<br />

Verputz verwendet.<br />

Vom Dach des Museums<br />

hat man einen R<strong>und</strong>blick<br />

auf den historischen <strong>und</strong><br />

architektonischen Kontext,<br />

in dem die Architekten das<br />

neue Gebäude sehen:<br />

Edinburgh Castle, Greyfriars<br />

Kirk, das Scott Monument,<br />

die Türme <strong>und</strong> Fialen<br />

der Stadt <strong>und</strong> schließlich<br />

den Firth of Forth <strong>und</strong> die<br />

Highlands.


Jack Kilby Centre<br />

Standort: Edinburgh<br />

Baujahr: 1999 - 2001<br />

Bauherr: Napier University<br />

Architekt: Richard Murphy Architects, Edinburgh<br />

Literatur: richardmurphyarchitects.com<br />

scottisharchitecture.com<br />

Das Jack Kilby Centre, benannt<br />

nach dem Erfinder<br />

des integrierten Schaltkreises,<br />

ist das neue Computer-<br />

Zentrum der Napier Universität.<br />

Es liegt innerhalb des<br />

Campus von Merchiston<br />

<strong>und</strong> ist stufenlos mit den bestehenden<br />

Gebäuden ringsum<br />

verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> bildet<br />

doch eine eigenständige visuelle<br />

Einheit. Durch einen<br />

separaten Eingang steht es<br />

Studenten 24 St<strong>und</strong>en täglich<br />

offen. Im Kilby Centre<br />

sind 500 Computer-Arbeitsplätze<br />

sowie zusätzlich benötigter<br />

Service-Raum untergebracht.<br />

Edinburgh<br />

Jack Kilby Centre<br />

Der Innenraum ist unterteilt<br />

in eine Matrix von 5 mal 4<br />

Buchten, in der Breite durch<br />

fünf parallele Tonnengewölbe<br />

<strong>und</strong> in der Länge durch<br />

einen in vier Stufen terrassierten<br />

Hang strukturiert.<br />

Dazwischen verläuft ein orthogonales<br />

Zirkulationsnetz<br />

aus vertieft liegenden Kanälen<br />

in einer Richtung <strong>und</strong><br />

Lichtgewölben in der anderen.<br />

Von einem Hauptarbeitsplatz<br />

für die Administratoren<br />

in der Mitte der Matrix<br />

sind alle Arbeitsplätze sowie<br />

die Eingänge zu übersehen.<br />

Das Ganze wird von Säulengruppen<br />

getragen. Die<br />

gesamte Komposition wird<br />

durch Licht aus versteckten<br />

Leuchten entlang den<br />

Dachkanten eingehüllt,<br />

auch entlang der Zugangsrampen.<br />

Die luftigen, lichtgefüllten<br />

Gewölbe <strong>und</strong> die<br />

Verwendung von indirektem<br />

natürlichem Licht zeichnen<br />

das Kilby Centre aus.<br />

Das Projekt wurde 2001 fertiggestellt<br />

<strong>und</strong> 2003 mit dem<br />

RIBA Award ausgezeichnet.<br />

39


Edinburgh-Glasgow<br />

Forth Rail Bridge<br />

40<br />

Firth of Forth Bridge<br />

Standort: <strong>Schottland</strong> (nahe Edinburgh)<br />

Baujahr: 1882 – 1889<br />

Bauherr: Forth Bridge Railway Company<br />

Ingenieure: Sir John Fowler, Sir Benjamin Baker<br />

Literatur: Arnold Koerte: Zwei Eisenbahnbrücken einer<br />

Epoche, Firth of Forth / Firth of Tay, Berlin 1992<br />

Axel Menges (Hrg): John Fowler, Benjamin Baker,<br />

Forh Bridge, Stuttgart 1997<br />

Inken Heeb: Der Stolz <strong>Schottland</strong>s,<br />

in: Das Thyssen Krupp Magazin 2/2003<br />

Lage/Vorgeschichte<br />

Die Firth of Forth Bridge<br />

spannt über den nördlich<br />

von Edinburgh gelegenen<br />

Meeresarm des Flusses<br />

Forth. Das Wort Firth ist<br />

sprachverwandt mit dem<br />

norwegischen Fjord <strong>und</strong><br />

bezeichnet eine Flussmündung,<br />

die sich zu einem<br />

Ausläufer des Meeres inklusive<br />

Tidenhub aus Gezeiten<br />

verbreitert. Bis zur<br />

Fertigstellung der Brücke<br />

im Jahre 1889 war das gegenüberliegende<br />

Ufer nur<br />

mithilfe von Fähren zu erreichen<br />

oder es musste ein<br />

großer Umweg in Kauf genommen<br />

werden. Erste<br />

Planungen zur Überbrükkung<br />

oder sogar Untertunnelung<br />

kamen Anfang des<br />

19.Jhd. auf. 1818 stellte<br />

James Anderson seinen<br />

Entwurf für eine Schrägseiloder<br />

Kettenhängebrücke<br />

vor, für die er als Standort<br />

die einzige Verengung des<br />

Firth auf eine Meile wählte.<br />

Zusätzlich bot sich diese<br />

Stelle an da mittig eine kleine<br />

Felseninsel, genannt<br />

Inchgarvie, liegt, die als<br />

Mittelauflager genutzt werden<br />

konnte. Dieser Entwurf<br />

bildete die Gr<strong>und</strong>lage für<br />

spätere Brückenplanungen.<br />

Mit Beginn des Eisenbahnzeitalters<br />

wurde auch<br />

in Edinburgh der Ruf nach<br />

einer Überbrückung des<br />

Forth immer lauter <strong>und</strong> Mitte<br />

der 70er des 19.Jhd.<br />

wurde Sir Thomas Bouch,<br />

der bereits die Eisenbahnbrücke<br />

über den Tay baute,<br />

durch die Forth Bridge<br />

Railway Company, bestehend<br />

aus vier Eisenbahngesellschaften,<br />

beauftragt,<br />

den Firth of Forth zu überbrücken.<br />

Am 30. September<br />

1878 war die Gr<strong>und</strong>steinlegung<br />

der Hängebrücke<br />

von Bouch über den<br />

Forth. Nachdem bei einem<br />

Sturm am 28. Dezember<br />

1879 die Tay-Bridge samt<br />

darüberfahrenden Zug einstürzte,<br />

wurde der Bau sofort<br />

gestoppt. Diese Katastrophe<br />

erschütterte das<br />

Vertrauen in den englischen<br />

Ingenieursbau, denn<br />

bei der Untersuchung zeigten<br />

sich Planungs- <strong>und</strong><br />

Konstruktionsfehler. Mit der<br />

weiteren Planung wurden<br />

die Ingenieure Sir John<br />

Fowler <strong>und</strong> Benjamin Baker<br />

unter hohen Sicherheitsauflagen<br />

beauftragt.


Entwurf Auslegerbrücke<br />

Die neue Brücke sollte der<br />

Bevölkerung den Eindruck<br />

von Sicherheit vermitteln.<br />

Die Möglichkeit einer Hängebrücke<br />

schloss man wegen<br />

der geringen Steifigkeit<br />

gegen Windlasten gerade<br />

im Hinblick auf das „Tay-<br />

Bridge-Desaster“ aus. Eine<br />

Bogenkonstruktion als Alternative<br />

würde aufgr<strong>und</strong><br />

der großen Spannweite gewaltige<br />

Schubkräfte in den<br />

Auflagern erzeugen, was<br />

nur unter großem technischen<br />

Aufwand möglich gewesen<br />

wäre. Man entschied<br />

sich daher für eine<br />

Ausleger- oder Kragarmbrücke<br />

als die beste <strong>und</strong><br />

billigste Lösung.<br />

System Auslegerbrücke<br />

Im Prinzip ist dieser Brükkentyp<br />

sehr alt, doch während<br />

in Deutschland der<br />

Begriff „Durchlaufträger“<br />

oder „Gerberträger“ schon<br />

länger bekannt war <strong>und</strong> in<br />

England schlicht „continuous<br />

girder“ hieß, hielten<br />

viele die Umbenennung in<br />

Ausleger <strong>und</strong> Mittelträger<br />

für eine moderne Erfindung.<br />

Edinburgh-Glasgow<br />

Forth Rail Bridge<br />

Besonders Benjamin Baker<br />

wurde oft über den neuartigen<br />

Gebrauch von Kragarmen<br />

befragt <strong>und</strong> pflegte<br />

dann zu erwidern, es sei<br />

nichts anderes als ein<br />

„bracket“ – nämlich ein<br />

Kragstein oder eine Konsole,<br />

wie bei einem ganz normalen<br />

Balkon oder Wandbrett.<br />

1855 gab Barton in<br />

einer Abhandlung über den<br />

Boyne Viadukt den entscheidenden<br />

Hinweis, dass<br />

die Punkte der Kräfteumkehr<br />

so gewählt werden<br />

können, dass sie mit jedwedem<br />

vorher festgelegten<br />

Punkt der Trägertrennung<br />

zusammenfallen: „Bei großen<br />

Spannweiten, wo es<br />

entscheidend sein kann,<br />

das Gewicht in der Mitte<br />

des Trägers soweit als<br />

möglich zu verringen, kann<br />

man die Materialmenge in<br />

den Ober- <strong>und</strong> Untergurten<br />

auf ein Minimum reduzieren,<br />

indem man die Punkte<br />

der Kräfteumkehr zur Mitte<br />

des Trägers hin verschiebt,<br />

so dass die große Masse<br />

des Gewichts auf den Stützen<br />

zu ruhen kommt.“ Zusätzlich<br />

bietet diese Variante<br />

eine Verringerung der<br />

Angriffsfläche für Windlasten<br />

am Kragarmende, wo<br />

den größten Hebelarm zu<br />

den Auflagern haben. Dass<br />

3/4 des Gesamtgewichts<br />

über den Auflagern steht,<br />

erhöht weiter die Sicherheit<br />

gegen negative (abhebende)<br />

Auflagerreaktionen, da<br />

die Auflgerplatten nicht in<br />

den F<strong>und</strong>amenten verankert<br />

sind.<br />

41


Edinburgh-Glasgow<br />

Forth Rail Bridge<br />

42<br />

Konstruktion/Tragwerk<br />

Die Konstruktion der Forth<br />

Bridge besteht aus drei<br />

Doppelauslegern (Kragträgern)<br />

<strong>und</strong> zwei eingehängten<br />

Mittelträgern. Dazu<br />

kommen die Auffahrtsviadukte<br />

mit 10 Trägerfeldern<br />

im Süden <strong>und</strong> fünf im Norden,<br />

so daß sich eine Gesamtlänge<br />

von 2468m mit<br />

zwei maximalen Spannweiten<br />

von 521m ergibt. Jeder<br />

Auslegerträger besteht aus<br />

einem Mittelturm, von dem<br />

sich die Kragarme zur Feldmitte<br />

vertikal wie auch horizontal<br />

verjüngen. Aufgelagert<br />

ist der Mittelturm auf je<br />

vier kreisr<strong>und</strong>en Mauerwerkspfeilern.<br />

Die beiden<br />

äußeren Auslegerenden<br />

sind jeweils zusätzlich gehalten<br />

durch die großen<br />

Steinpfeiler der Viadukte.<br />

Diese sind mit jeweils 1000t<br />

Eisenschrott beschwert,<br />

um ein Abheben des Trägerendes<br />

bei unsymmetrischen<br />

Lasten zu vermeiden.<br />

Der mittlere Auslegerturm<br />

steht frei, dafür haben<br />

die F<strong>und</strong>amente einen größeren<br />

Abstand zueinander,<br />

um mehr Sicherheit gegen<br />

abhebende Auflagerreaktionen<br />

bei Belastung des<br />

freien Kragarmendes zu<br />

erhalten. Die Gesamtlänge<br />

der Brücke ohne Viadukte<br />

beträgt 1625m (5330ft) <strong>und</strong><br />

setzt sich zusammen aus<br />

dem Mittelturm auf Inchgarvie<br />

mit 79m (260ft), den beiden<br />

Ufertürmen zu je 44m<br />

(145ft), zwei Mittelträgern<br />

mit jeweils 107m (350ft)<br />

<strong>und</strong> sechs Auslegern mit<br />

jeweils 207m (680ft). Der<br />

Eisenbahnviadukt läuft auf<br />

einer eigenen Brückenkonstruktion<br />

durch die drei<br />

Doppelausleger hindurch.<br />

Auf den Mauerwerkssokkeln<br />

können keine Zugkräfte<br />

übertragen werden, weshalb<br />

das Eigengewicht<br />

über den Türmen, die insgesamt<br />

104m hoch sind<br />

<strong>und</strong> sich nach oben hin von<br />

36,5m auf 10m verjüngen,<br />

konzentriert angeordnet<br />

wurde, um negative Auflagerreaktionen<br />

zu überdrükken;<br />

nur jeweils einer der<br />

vier Pfeilerfüße der drei<br />

Pfeilertürme ist festverankert,<br />

die anderen sind im<br />

begrenzten Maße beweglich,<br />

um auf Dehnungen<br />

bzw. Verdrehungen durch<br />

Sonneneinstrahlung oder<br />

Wind, der nur partiell wirkt,<br />

zu reagieren. Die Hauptdruckglieder<br />

sind Stahlrohre<br />

mit bis zu einem Durchmesser<br />

von 3,65m. Auffällig<br />

ist, dass die Untergurte<br />

der Ausleger nicht kontinuierlich<br />

gekrümmt sind, sondern<br />

polygonal mit einem<br />

leichten Knick von Feld zu<br />

Feld laufen, anders hätte<br />

jede einzelne Stahlplatte in<br />

zwei Richtungen gebogen<br />

werden müssen, was bei<br />

einem abnehmenden<br />

Querschnitt von 3,66m auf<br />

1,98m damals sehr schwierig<br />

<strong>und</strong> teuer herzustellen<br />

gewesen wäre.


Windversuche<br />

Gerade die Erfahrung mit<br />

dem Einsturz der Tay-Bridge<br />

hatte gelehrt, den Winddruck<br />

ernst zu nehmen.<br />

Das Board of Trade hatte<br />

die zulässige Windbelastung<br />

auf 270 kg/m²<br />

(2,7KN/m²) festgelegt,<br />

Messungen auf der Burg<br />

Inchgarvie ergaben eine<br />

maximale Windbelastung<br />

von 1,3 – 2,0KN/m². Die<br />

dürftigen Kenntnisse über<br />

den wirklichen Effekt von<br />

Winddruck auf ebene oder<br />

gekrümmte Flächen veranlassten<br />

Baker zu einer Reihe<br />

bemerkenswerter Versuche:<br />

Wegen der Schwierigkeit<br />

bei wechselnder Geschwindigkeit<br />

<strong>und</strong> Richtung<br />

mit Modellen exakte Resultate<br />

zu bekommen, drehte<br />

Baker den Spieß einfach<br />

um, indem er den Wind stationär<br />

sein ließ <strong>und</strong> das<br />

Modell beweglich machte.<br />

Dieser Versuchsapparat<br />

bestand aus einem leichten<br />

Holzstab, der in der Mitte<br />

an einer Schnur von der<br />

Decke hing <strong>und</strong> sich waagerecht<br />

ausbalancierte. An<br />

einem Ende des Stabes<br />

befestigte Baker ein Pappmodell<br />

der zu testenden<br />

Oberflächenform, ans andere<br />

Ende setzte er ein<br />

Pappschild in gleicher paralleler<br />

Ausrichtung <strong>und</strong> mit<br />

demselben Gewicht. Dieses<br />

Schild konnte in seiner<br />

Größe verändert werden.<br />

Läßt man nun das Modell<br />

schwingen, bleibt der Stab<br />

nur dann in seiner waagerechten<br />

Lage, wenn Modell<br />

<strong>und</strong> Pappschild die gleiche<br />

Oberfläche haben. So ließ<br />

sich die effektive Winddruckfläche<br />

ermitteln.<br />

Bauablauf<br />

Edinburgh-Glasgow<br />

Forth Rail Bridge<br />

Mit dem Bau der Firth of<br />

Forth Brücke entstand für<br />

die damals größte Baustelle<br />

der Welt eine ganze Arbeitersiedlung<br />

mit über 100<br />

Baracken, Steinhäusern,<br />

Kantinen, Leseräumen,<br />

Meßstationen, großen<br />

Werkstätten <strong>und</strong> einer großen<br />

Halle, in der Brückenbauteile<br />

vorgefertigt werden<br />

konnten. Weiterhin<br />

wurden die Arbeiter, ihre<br />

Zahl erreichte 4600, in den<br />

umliegenden Dörfern untergebracht.<br />

Zum Transport<br />

der Arbeiter zu ihrer Schicht<br />

auf den Pfeilertürmen wurde<br />

ein eigener Raddampfer<br />

mit 450 Sitzplätzen gebaut,<br />

dazu kamen unzählige<br />

kleiner Boote inklusive<br />

von Ruderrettungsbooten,<br />

die permanent unter der<br />

Brücke waren, um abstürzende<br />

Arbeiter zu bergen.<br />

So konnten immerhin über<br />

die Bauzeit 8 Menschenleben<br />

gerettet werden. Dennoch<br />

waren die Arbeitsbedingungen<br />

nicht leicht, eine<br />

Schicht dauerte 12 St<strong>und</strong>en,<br />

es wurde auch nachts<br />

bei geringer Ausleuchtung<br />

gearbeitet <strong>und</strong> hinzu kamen<br />

Gefahren durch Wind,<br />

die starke Strömung, Regen<br />

<strong>und</strong> Nebel. Am Ende<br />

hatte man 57 Menschenleben<br />

zu beklagen. Für die<br />

Unterwasserarbeiten an<br />

den Pfeilerf<strong>und</strong>amenten<br />

wurden Senkkästen, sogenannte<br />

Caissons, benutzt,<br />

innerhalb derer unter Ausschluß<br />

des Wassers bei<br />

Überdruck gearbeitet <strong>und</strong><br />

aufbetoniert wurde. Um<br />

Hilfsgerüste zu sparen,<br />

wurden die Träger der Anfahrtsviadukte<br />

erst gebaut<br />

<strong>und</strong> dann durch Aufmauern<br />

der Pfeilertürme in Position<br />

gebracht. Auf den Ober<strong>und</strong><br />

Untergurten waren<br />

Kräne angebracht, die mit<br />

Bauablauf auf der Konstruktion<br />

mitwanderten.<br />

Gebaut wurde im freien<br />

Vorbau, d.h. jedes Bauteil<br />

war nach seiner Montage<br />

gleich Arbeitsbühne für das<br />

nächste. Die Brücke war<br />

somit ihr eigenes Gerüst.<br />

43


Edinburgh-Glasgow<br />

Forth Rail Bridge<br />

44<br />

So konnten die Kosten für<br />

damals übliche aufwendige<br />

Hilfskonstruktionen minimiert<br />

werden. Bei den<br />

Kragträgern wurden zuerst<br />

die Türme <strong>und</strong> dann beidseitig<br />

die Ausleger hergestellt,<br />

damit das System<br />

weiterhin im Gleichgewicht<br />

blieb. Bei so großen Stahlspannweiten<br />

gab es große<br />

Schwierigkeiten mit Verformungen<br />

des Stahls teils<br />

durch sein gewaltiges Eigengewicht<br />

teils durch die<br />

Einstrahlung der Sonne,<br />

weshalb diese Verformungen<br />

permanent korrigiert<br />

werden mussten. Während<br />

der ganzen Bauzeit überwachten<br />

Fowler <strong>und</strong> Baker<br />

persönlich alle Arbeiten,<br />

Fowler verantwortlich für<br />

die Mauerwerks-Viadukte<br />

<strong>und</strong> Baker für den eigentlichen<br />

Brücken-Oberbau.<br />

Abgeschlossen wurde der<br />

Brückenbau mit der Belastungsprobe<br />

der Brücke<br />

durch zwei vollbeladene<br />

Kohlezüge in der ungünstigsten<br />

Laststellung am<br />

Kragarmende des mittleren<br />

Auslegers.<br />

Sir Benjamin Baker<br />

Die Erbauer<br />

Sir John Fowler (1817-<br />

1898) war zum Zeitpunkt<br />

der Forth Bridge bereits ein<br />

gestandener Praktiker des<br />

Eisenbahnbaus in England.<br />

Er entstammte noch einer<br />

Zeit, in der neue Erkenntnisse<br />

weniger aus der<br />

Theorie als aus praktischen<br />

Erfahrungen kamen <strong>und</strong><br />

jeder Schritt ein eigenes<br />

Experiment im Maßstab 1:1<br />

bedeutete, es gab noch<br />

keine „textbook examples“.<br />

Sir Benjamin Baker (1840-<br />

1907) war eher einer der<br />

jungen Theoretiker des sich<br />

zur Wissenschaft entwikkelnden<br />

Ingenieurwesen<br />

des Brückenbaus. Mehr als<br />

20 Jahre jünger kam Baker<br />

1862 zu Fowler’s Büro <strong>und</strong><br />

wurde 1875 sein Partner,<br />

eine fruchtbare Zusammenarbeit,<br />

die bis zu<br />

Fowler’s Tod 1898 dauern<br />

sollte. Baker wurde mit Einweihung<br />

der Forth Bridge<br />

im Jahr 1890 durch den<br />

Prince of Wales geadelt,<br />

nachdem Fowler bereits im<br />

Jahr 1885 in den Adelsstand<br />

erhoben worden war.<br />

Sir John Fowler


Neues Material Stahl<br />

Zur Bauzeit der Brücke war<br />

die Stahlherstellung noch<br />

eine ganz junge Technik.<br />

Man konnte zwar auf einige<br />

Erfahrung mit Gusseisen<br />

zurückgreifen, doch genauere<br />

Werte hatte man für<br />

Stahl noch nicht. Auch der<br />

Board of Trade hatte noch<br />

keine genaueren Bestimmungen.<br />

Deshalb führte<br />

man lange Testreihen durch<br />

zur Festlegung der Stahlgüte.<br />

Man setzte die Werte für<br />

die Bruchfestigkeit wie folgt<br />

fest: bei Zug 4650kg/cm²<br />

(46,5KN/cm²), bei Druck<br />

5270kg/cm² (52,7KN/cm²)<br />

<strong>und</strong> bei wechselnder Belastung<br />

3100kg/cm² (31KN/<br />

cm²). Damit liegt der damalige<br />

Stahl zwischen den heutigen<br />

Baustählen ST37<br />

(Zugfestigkeit 37KN/cm²)<br />

<strong>und</strong> ST52 (52KN/cm²). Man<br />

konnte also durchaus Stahl<br />

von guter Qualität herstellen,<br />

wobei der damalige<br />

Stahl deutlich mehr Verunreinigungen<br />

aufzuweisen<br />

hatte. Damit besiegelte die<br />

Forth Bridge das Ende der<br />

Gusseisen-Zeit, zum Vergleich:<br />

Der damalige Stahl<br />

hatte eine 1,5mal größere<br />

Zugfestigkeit als Gusseisen,<br />

das zudem noch schwerer<br />

war.<br />

Die Brücke heute<br />

Edinburgh-Glasgow<br />

Forth Rail Bridge<br />

Seit 1999 wird die Forth<br />

Bridge auf Schwachstellen<br />

aufwändig geprüft <strong>und</strong> restauriert,<br />

wobei als Auflage<br />

die völlige Nichtbehinderung<br />

des Güter- <strong>und</strong> Personenverkehrs,<br />

der alle<br />

10min über die Brücke<br />

fährt, im Vordergr<strong>und</strong><br />

stand. Zur Wiederertüchtigung<br />

gehört auch eine völlige<br />

Neubeschichtung der<br />

Brücke, keine leichte Aufgabe<br />

bei 280.000m² Stahloberfläche,<br />

50.000t Stahl<br />

<strong>und</strong> 8 Millionen Nieten.<br />

Dabei wird die alte Beschichtung<br />

abgetragen,<br />

das jeweilige Stahlprofil auf<br />

Schwachstellen wie Rost<br />

geprüft, eventuell ersetzt<br />

<strong>und</strong> neugestrichen. Auch<br />

das Innere der hohlen<br />

Stahlrohre muß einer Prüfung<br />

unterzogen werden,<br />

was einige Schwierigkeiten<br />

mit sich bringt, da sich in<br />

den letzten 100 Jahren einiges<br />

an Getier hier angesiedelt<br />

hat <strong>und</strong> die dicke<br />

Kotschicht der durch die<br />

hölzernen Einstiegsluken<br />

eingedrungenen Tauben<br />

bakteriell ausgesprochen<br />

hoch belastet ist. Auch hier<br />

kann die Arbeit nur mit Sicherheitsbekleidungverrichtet<br />

werden.<br />

45


Edinburgh-Glasgow<br />

Falkirk Wheel<br />

46<br />

Schiffshebewerk Falkirk Wheel<br />

Standort: Falkirk<br />

Baujahr: 1999 - 2002<br />

Bauherr: British Waterways Scotland<br />

Architekt: RMJM Scotland Ltd., Glasgow<br />

Ingenieur: Ove Arup Scotland, Edinburgh<br />

Literatur: Bauwelt, 22/2003<br />

New Civil Engineering Magazine, 4/2002<br />

Structural Engineering, 4/2003<br />

The architectural review, 4/2000<br />

thefalkirkwheel.co.uk<br />

Die Wiedereröffnung des<br />

Kanalsystems (eröffnet<br />

1773) zwischen Forth, Clyde<br />

<strong>und</strong> Union Canal war<br />

eines der schottischen<br />

Bauvorhaben zum Jahrtausendwechsel.<br />

Während er<br />

heute größtenteils von Freizeitschiffern<br />

genutzt wird,<br />

war der Forth-Clyde-Canal<br />

im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert die industrielle<br />

Ader <strong>Schottland</strong>s.<br />

Die Kanäle, von Thomas<br />

Telford konstruiert, waren 6<br />

m breit <strong>und</strong> 1,5 m tief <strong>und</strong><br />

mit ihren Brücken <strong>und</strong> Viadukten<br />

Ausdruck des industriellen<br />

Fortschritts. Der<br />

Niedergang der Schwerindustrie<br />

<strong>und</strong> die Verlagerung<br />

des Lastentransports auf<br />

die Straße führten 1950 zur<br />

Einstellung des kommerziellen<br />

Wasserverkehrs. Das<br />

Kanalsytem verfiel, in den<br />

1960ern wurden für den<br />

Straßenbau so massive<br />

Eingriffe vorgenommen,<br />

dass weite Teile des Systems<br />

zu toten Wasserarmen<br />

wurden. British Waterways<br />

schrieb 1994 – nicht<br />

uneigennützig – einen<br />

Wettbewerb für das Millennium<br />

Link Canal Projekt<br />

aus, um den Union Canal<br />

mit dem 35 m tieferen<br />

Forth-Clyde-Canal durch<br />

ein möglichst spektakuläres<br />

Schiffshebewerk (mit<br />

Besucherzentrum) zu verbinden<br />

<strong>und</strong> damit den aufkommendenWassertourismus<br />

weiter anzukurbeln.<br />

Dieser Höhenunterschied<br />

war bis in die 1930er Jahre<br />

durch eine Folge von<br />

Schleusenbecken aus dem<br />

19.Jh. überw<strong>und</strong>en worden.<br />

Da Kanalurlauber nicht mit<br />

großen Yachten unterwegs<br />

sind, sondern alte, umgebaute<br />

Frachtkähne benutzen,<br />

mußten weder die<br />

Fahrrinnen vertieft noch<br />

neue Schleusen gebaut<br />

werden. Das gesamte Projekt<br />

verschlang dennoch<br />

eine Summe von 84,5 Millionen<br />

Pf<strong>und</strong> (davon nur 4<br />

Millionen für das Schiffshebewerk),<br />

weil über den Kanalverlauf<br />

32 Hindernisse<br />

beseitigt werden mußten;<br />

so wurden Brücken erhöht,<br />

eine Autobahn unterführt<br />

<strong>und</strong> seit 1960 errichtete<br />

Gebäude abgerissen. Zur<br />

Anbindung des neuen Hebewerks<br />

mußte ein 2 km<br />

langer Kanalabschnitt zu<br />

dem ehemaligen Steinbruch<br />

mit Baggersee bei<br />

Falkirk gelegt werden, der<br />

als Standort vorgesehen<br />

war. Außerdem waren hier<br />

ein Wendebecken, ein Viadukt<br />

<strong>und</strong> zwei neue Schleusen<br />

erforderlich, um die Eisenbahnlinie<br />

Edinburgh-<br />

Glasgow sowie den Antonine<br />

Wall unbeschadet zu<br />

überwinden.<br />

Aus dem Wettbewerb gingen<br />

Nicoll Russel Studios,<br />

D<strong>und</strong>ee, als Sieger hervor,<br />

deren schiffschaukelartiger<br />

Entwurf allerdings in der<br />

Ausschreibungsphase<br />

scheiterte. Infolgedessen<br />

veranlaßte British Waterways<br />

die Bildung eines<br />

Konsortiums, das aus den<br />

Architekten des Glasgower<br />

Büros RMJM, den Ingenieuren<br />

von Ove Arup Scotland<br />

<strong>und</strong> einer Baufirma<br />

bestand. Tony Kettle von<br />

RMJM arbeitete den Entwurf<br />

für ein rotierendes<br />

Schiffshebewerk, das die<br />

Schiffe wie in einem Riesenrad<br />

befördert, weiter<br />

aus, um das technisch sowie<br />

ästhetisch Wesentliche


in den Vordergr<strong>und</strong> zu stellen.<br />

Er inszenierte die Technik<br />

mit großen Zahnrädern,<br />

langsamen Bewegungsabläufen<br />

<strong>und</strong> nachvollziehbarer<br />

Mechanik.<br />

Das Falkirk Wheel funktioniert<br />

nach dem Prinzip einer<br />

Wippe. Zwei gleichschwere<br />

Wassertröge werden<br />

in gleichem Abstand zu<br />

einer Achse beweglich aufgehängt<br />

<strong>und</strong> mithilfe von<br />

Zahnrädern fixiert. Trotz<br />

Rotation behalten sie wie<br />

die Gondeln eines Riesenrads<br />

ihre horizontale Lage<br />

also unverändert bei. Boote,<br />

die in den oberen Trog<br />

fahren, werden zusammen<br />

mit dem Wasser, das mit<br />

ihnen hineinfließt, zum unteren<br />

Becken abgesenkt.<br />

Gleichzeitig hebt der andere<br />

Trog ein entsprechendes<br />

Gewicht an. Nach dem ar-<br />

Edinburgh-Glasgow<br />

Falkirk Wheel<br />

chimedischen Prinzip verdrängt<br />

die Masse eines in<br />

Flüssigkeit eingetauchten<br />

Körpers eine genau proportionale<br />

Wassermenge, so<br />

dass die Masse von Boot<br />

<strong>und</strong> Wasser wieder der<br />

Ausgangsmasse entspricht,<br />

die Tröge also im<br />

Gleichgewicht bleiben. Das<br />

System braucht nun nur<br />

noch geringe Energiezufuhr,<br />

um sich in Bewegung<br />

zu setzen. So kann das 35<br />

m hohe Falkirk Wheel in 8<br />

Minuten von zehn hydraulischen<br />

Elektromotoren in<br />

der zentralen Achse mit je<br />

7kW um 180 Grad gedreht<br />

werden; dieser Strombedarf<br />

entspricht ungefähr<br />

dem von acht Toastern.<br />

Jeder Trog ist 35 m lang<br />

<strong>und</strong> kann zwei Boote aufnehmen.<br />

Die gefüllten Tröge<br />

wiegen 600 t. Sie stellen<br />

nicht nur eine sehr große,<br />

sondern auch ständig<br />

wechselnde Belastung besonders<br />

der Kurbelwelle<br />

während der Drehbewegung<br />

dar. Normal verschweißteStahlverbindungen<br />

würden durch diese<br />

Belastung schnell ermüden.<br />

Deshalb wurden die<br />

Stahlelemente mit mehr als<br />

15000 Bolzen verb<strong>und</strong>en,<br />

um das System robuster zu<br />

machen. Alle Bolzen mußten<br />

von Hand angezogen<br />

werden. Die Tröge laufen<br />

auf Rädern, die in eine einzige<br />

gebogene Schiene am<br />

inneren Rand der Öffnung<br />

jedes Arms passen. Weil<br />

trotzdem jeder Bruch <strong>und</strong><br />

jede plötzliche Bewegung<br />

47


Edinburgh-Glasgow<br />

Falkirk Wheel<br />

48<br />

die Gondel einklemmen<br />

oder zum Kippen bringen<br />

könnte, werden sie zusätzlich<br />

durch ein System von<br />

ineinandergreifenden<br />

Zahnrädern gesichert.<br />

Über die äußeren Zahnräder<br />

werden die Tröge also<br />

mit gleicher Geschwindigkeit<br />

aber entgegengesetzt<br />

zur Gesamtdrehbewegung<br />

des Wheels bewegt.<br />

Die Lösung für diese Konstruktion<br />

stammt, nach Angaben<br />

Kettles, aus dem<br />

Lego-Bausatz seiner Kinder.<br />

Ideen, ein Rad zum<br />

Befördern von Schiffen einzusetzen,<br />

kamen aber bereits<br />

im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

auf, ohne allerdings jemals<br />

zuvor umgesetzt worden zu<br />

sein. Mit der äußeren<br />

Formgebung des Falkirk<br />

Wheel wollen die Architekten<br />

vielerlei Bilder hervorrufen,<br />

die von keltischen<br />

Speeren über Schiffspropeller<br />

der alten Clydewerften<br />

zum Gerippe eines<br />

Wales reichen, <strong>und</strong> das<br />

Kanalsystem als verbindendes<br />

„Rückrad“ <strong>Schottland</strong>s<br />

ins Bewußtsein bringen<br />

sollen. Die Relation der<br />

großen Skulptur zu ihrer<br />

Umgebung wird verständ-<br />

licherweise erst aus einiger<br />

Entfernung deutlich. Assoziationen<br />

zu Ölförderanlagen<br />

<strong>und</strong> vielleicht auch zu<br />

keltischen Schlachtäxten<br />

sind wohl ebenfalls beabsichtigt,<br />

denn einige Formelemente<br />

wie die großen<br />

Finnen dort, wo die Tröge<br />

im Kreis auf Eisenbahnschienen<br />

laufen, haben<br />

rein optische Funktion, wie<br />

hier, das Drehmoment zu<br />

verdeutlichen. Gleiches gilt<br />

für die halbkreisförmigen<br />

Abschlüsse auf dem Viadukt,<br />

auf dem die Schiffe zu<br />

den Trögen fahren; sie<br />

konnten aus Kostengründen<br />

nicht aus Stahlbeton<br />

hergestellt werden <strong>und</strong><br />

wurden deshalb aus Fiberglas<br />

nachgebildet. Für den<br />

Reisenden im Boot verstärken<br />

sie das Gefühl, sich in<br />

einem Tunnel zu bewegen,<br />

der quasi in der Luft endet.<br />

Das Gefühl, in den Horizont<br />

zu fahren, soll ganz bewußt<br />

unterstützt werden.<br />

Die Einzelteile des Falkirk<br />

Wheel aus insgesamt<br />

1200t Stahl wurden in Derbyshire<br />

hergestellt <strong>und</strong> mit<br />

35 Lkw – auf der Straße –<br />

nach <strong>Schottland</strong> transportiert.


Charles Rennie Mackintosh <strong>und</strong> Glasgow:<br />

Zwischen Jugendstil <strong>und</strong> Moderne<br />

Quellen: Jean-Claude Garcias: Charles Rennie Mackintosh,<br />

Basel 1989<br />

Vittorio Magnago Lampugnani (Hrsg.): Lexikon der<br />

Architektur des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts, Stuttgart 1983<br />

Baxter: About Charles Rennie Macktintosh;<br />

www.baxtersjewellers.com/mackintosh.html<br />

Hans <strong>und</strong> Ria Van Kessel:<br />

The Artist’s Cottage by Ch. R. Macktintosh, 2000,<br />

www.cwis.com/mackintosh/the architect.htm<br />

Thomas Howarth: The Internal Reality of Buildings,<br />

in: Patrick Nuttgens (Hg.): Mackintosh and his<br />

contemporaries in Europe and America, London 1988<br />

Charles Rennie Mackintosh<br />

(geboren 1868 in Glasgow,<br />

gestorben 1928 in London)<br />

gilt als bekanntester Architekt<br />

des schottischen Jugendstils.<br />

Die Gruppe um<br />

Mackintosh war in Glasgow<br />

bekannt unter der Bezeichnung<br />

The Four, nämlich<br />

Mackintosh selbst, seine<br />

Frau, die Innenarchitektin<br />

Margaret MacDonald, sein<br />

Fre<strong>und</strong>, der Architekt Herbert<br />

McNair sowie dessen<br />

Frau, Margarets Schwester<br />

Frances, ebenfalls Innenarchitektin.<br />

Dass die Arbeiten<br />

dieser kleine Gruppe den<br />

Glasgow Style ausmacht,<br />

zeigt, wie sehr sie mit Glasgow<br />

verknüpft ist. Obwohl<br />

Mackintosh zu Lebzeiten<br />

schnell internationale Anerkennung<br />

als Innenarchitekt<br />

<strong>und</strong> Möbeldesigner erwarb,<br />

sind seine Bauten auf Glasgow<br />

<strong>und</strong> Umgebung beschränkt,<br />

<strong>und</strong> als er 1914<br />

Glasgow verließ, hieß es,<br />

er habe seinen Zenit als<br />

Architekt ohnehin bereits<br />

überschritten. Wie Mackintoshs<br />

Werk heute das<br />

Image Glasgows prägt, so<br />

wurde umgekehrt Mackintoshs<br />

Arbeit vom Glasgow<br />

seiner Zeit geprägt.<br />

Glasgow<br />

Mackintosh<br />

Als eines von 11 Kindern<br />

eines Glasgower Polizeibeamten<br />

wuchs er räumlich<br />

sehr beengt auf. Zudem<br />

war er von klein auf kränklich<br />

<strong>und</strong> litt an einer Gehbehinderung,<br />

weshalb ihm<br />

viel Bewegung an frischer<br />

Luft verordnet wurde. Bei<br />

seinen zahlreichen Ausflügen<br />

begann er zu zeichnen.<br />

Gegen den Willen der Eltern<br />

bewarb er sich im Alter<br />

von 15 Jahren an der<br />

Glasgow School of Art <strong>und</strong><br />

begann ein Jahr später bei<br />

dem Glasgower Architekten<br />

John Hutchieson eine<br />

Lehre. Zehn Jahre lang studierte<br />

<strong>und</strong> arbeitete er<br />

gleichzeitig. Finanzieren<br />

konnte er sich vor allem<br />

über zahlreiche Preise, die<br />

er von Beginn des Studiums<br />

an gewann <strong>und</strong> ab<br />

1885 über ein Stipendium.<br />

Seine Bauten für öffentliche<br />

<strong>und</strong> private Auftraggeber<br />

weisen eine große stilistische<br />

Bandbreite auf, von<br />

neogotischen Elementen<br />

in der Queens Cross<br />

Church in Glasgow bis hin<br />

zu Bauten <strong>und</strong> Entwürfen<br />

mit revolutionären Raumkonzepten,<br />

wie The Hill<br />

House. Deshalb <strong>und</strong> wegen<br />

ihres Hangs zur Esoterik<br />

<strong>und</strong> Mystik wurde die<br />

kleine Gruppe um Mackintosh,<br />

die sich selbst als The<br />

Immortals bezeichneten,<br />

von Glasgower Zeitgenossen<br />

auch ironisch The<br />

Spook School genannt.<br />

Jahrzehntelang vergessen,<br />

wird Mackintosh heute als<br />

nordischer Gegenpol der<br />

Pariser Art Nouveau <strong>und</strong><br />

der Wiener Sezession, sowie<br />

gleichzeitig als Vorläufer<br />

des Rationalismus gefeiert.<br />

49


Glasgow<br />

Mackintosh<br />

50<br />

Vom Kunsthandwerk ausgehend<br />

(in England vom<br />

Arts and Crafts Movement<br />

um William Morris <strong>und</strong> Arthur<br />

Heygate Mackmurdo)<br />

verbreitete sich der Jugendstil<br />

als romantische,<br />

individualistische, ganzheitliche<br />

<strong>und</strong> antihistoristische<br />

Bewegung zwischen<br />

1890 <strong>und</strong> 1910 in der Architektur<br />

ganz Europas.<br />

Das enorme Echo dieser<br />

Stilrichtung in so kurzer Zeit<br />

in allen europäischen Zentren<br />

ist sicher auch auf den<br />

damals rapide anwachsenden<br />

internationalen Ausstellungsbetriebzurückzuführen.<br />

In Großbritannien, wo die<br />

Industrielle Revolution <strong>und</strong><br />

damit die Zerstörung weiter<br />

Landstriche <strong>und</strong> der<br />

Anstieg der sozialen Probleme<br />

im 18. <strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

am weitesten fortgeschritten<br />

waren, standen<br />

führende Sozialtheoretiker,<br />

Ästheten <strong>und</strong> Literaten<br />

Pate, wie John Ruskin, William<br />

Morris <strong>und</strong> Oscar Wilde.<br />

Sie machten schon um<br />

die Jahrh<strong>und</strong>ertmitte die<br />

Technik, die Industrialisierung<br />

<strong>und</strong> die ungehemmte<br />

Geldgier mit dem Bedeutungsverlust<br />

des traditionellen<br />

Handwerks zugunsten<br />

billiger Massenware für die<br />

Stillosigkeit des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

verantwortlich<br />

<strong>und</strong> suchten nach neuen<br />

Wegen zur Gestaltung zunächst<br />

von Gebrauchsgegenständen<br />

<strong>und</strong> später der<br />

Umwelt insgesamt. Dementsprechend<br />

war auch der<br />

an die Arts and Crafts Bewegung<br />

anschließende Jugendstil,<br />

in England Modern<br />

Style, Art Nouveau<br />

oder Style Liberty genannt,<br />

eine viele kulturelle Bereiche<br />

umfassende Protestbewegung,<br />

die den Menschen<br />

von der Vorherrschaft<br />

der modernen Technik<br />

<strong>und</strong> den damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Zwängen befreien<br />

wollte. Aus der Rückbesinnung<br />

auf handwerkliches<br />

Können sollte die gestörte<br />

Verbindung des Menschen<br />

zur Natur <strong>und</strong> das Vertrauen<br />

in seine eigene Kreativität<br />

wieder hergestellt werden.<br />

Insofern ist Jugendstil<br />

eine Reaktion auf die Entfremdung<br />

<strong>und</strong> Zerstückelung<br />

der Arbeit <strong>und</strong> auf die<br />

soziale Kälte, sowie auf die<br />

Hässlichkeit der „düsteren<br />

Höllen der Fabriken“, wie<br />

es der Dichter William Blake<br />

ausdrückte. Wie die Mitglieder<br />

der Arts and Crafts<br />

- Bewegung verstanden<br />

auch die Architekten des<br />

Jugendstils ihre Bauten als<br />

Gesamtkunstwerke aus<br />

Baukunst, Plastik <strong>und</strong> Malerei,<br />

die der industriellen<br />

Hässlichkeit in den Worten<br />

des zeitgenössischen Prager<br />

Kunstkritikers Frantisek<br />

Salda „eine neue Ehe zwischen<br />

Kunst <strong>und</strong> Leben, ...<br />

eine neue Einheit von<br />

Schönheit <strong>und</strong> Wirklichkeit“<br />

entgegensetzten.<br />

Während aber im Bereich<br />

des Kunsthandwerks, der<br />

bildenden Kunst <strong>und</strong> der<br />

Literatur rückwärts gewandteAbkoppelungstendenzen<br />

der Künstler von<br />

der sie umgebenden industrialisierten<br />

Welt deutlich<br />

zutage traten, standen solcher<br />

Isolation im Feld der<br />

Architektur gerade die<br />

gleichzeitig entstehenden<br />

Industrie- <strong>und</strong> Geschäftsbauten<br />

entgegen: Besonders<br />

in industriellen Zentren<br />

wie Glasgow wurden<br />

mit neuen Materialien <strong>und</strong><br />

Baumethoden bahnbrechende<br />

neue Konstruktionen<br />

entwickelt. In der zweiten<br />

Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

waren Glasgower Architekten<br />

wie Walter Mc-<br />

Farlane <strong>und</strong> James Salmon<br />

Pioniere in der Erprobung<br />

<strong>und</strong> Verwendung von Gusseisen,<br />

Stahl <strong>und</strong> Glas für<br />

kommerzielle Bauten. Es<br />

entstanden Gebäude von<br />

nie da gewesener Leichtigkeit.<br />

Das älteste in Großbritannien<br />

erhaltene kommerzielle<br />

Gebäude mit einfachen,<br />

aber eleganten Straßenfassaden<br />

ganz aus<br />

Gusseisen <strong>und</strong> Glas ist das<br />

ehemalige Geschäft des<br />

Möbelfabrikanten <strong>und</strong><br />

-händlers Gardner, von<br />

John Baird entworfen <strong>und</strong>


1856 fertiggestellt.<br />

Gardners Warehouse in<br />

der Jamaica Street (Abb.)<br />

wurde - wie viele Gebäude<br />

der Merchant City - restauriert<br />

<strong>und</strong> ist seit August<br />

2000 unter dem Namen<br />

Crystal Palace einer der<br />

größten Pubs im Glasgower<br />

Zentrum.<br />

Diese räumliche Nähe zum<br />

zukunftsweisenden Geschäftsbau,<br />

zu den unmittelbaren<br />

Vorläufern <strong>und</strong><br />

Zeitgenossen der ersten<br />

amerikanischen Hochhäuser<br />

gleicher Bauart, war<br />

vielleicht einer der Gründe,<br />

weshalb bedeutende Architekten<br />

des Jugendstils wie<br />

Mackintosh, gleichzeitig zu<br />

den Pionieren der Moderne<br />

zählen <strong>und</strong> sich von zeitgenössischen<br />

Architekten<br />

der Arts and Crafts – Bewegung<br />

wie Baillie Scott entfernten.<br />

Mackintosh’s Entwürfe<br />

für das House for an<br />

Art Lover (1901) z.B. nehmen<br />

mit ihrer klaren, kubischen<br />

Raumgliederung<br />

ohne Auskragungen oder<br />

Ornamente den puristischen,<br />

rationalen Stil von<br />

Albert Loos bereits vorweg.<br />

Charakteristisch für Jugendstilarchitekten<br />

überall<br />

in Europa waren der Verzicht<br />

auf die Imitation vergangener<br />

Baustile, die zentrale<br />

Rolle einer asymmetrischen,<br />

geschwungenen<br />

<strong>und</strong> linearen Ornamentik,<br />

sowie die Ausrichtung auf<br />

gediegene Materialien <strong>und</strong><br />

handwerkliche Konstruktions-<br />

<strong>und</strong> Bearbeitungsverfahren<br />

<strong>und</strong> die liebevolle<br />

Gestaltung <strong>und</strong> Ausführung<br />

auch der kleinsten Details.<br />

Dennoch gab es neben den<br />

gemeinsamen Kennzeichen<br />

charakteristische<br />

Unterschiede in den einzelnen<br />

Ländern. Während<br />

sich z.B. die dekorativen<br />

Ornamente des Stils in Belgien,<br />

Frankreich <strong>und</strong><br />

Glasgow<br />

Mackintosh<br />

Deutschland vorwiegend<br />

an vegetabilen Linien <strong>und</strong><br />

Formen orientierten, waren<br />

sie in <strong>Schottland</strong> geometrischen<br />

Ursprungs: Die Basis<br />

der Formensprache<br />

Mackintoshs war die keltische<br />

Ornamentik, dazu kamen<br />

traditionelle japanische<br />

Elemente, vor allem<br />

im Zuge der Zusammenarbeit<br />

mit seiner Frau, die er<br />

sehr bew<strong>und</strong>erte <strong>und</strong> oft als<br />

sein guiding light bezeichnete.<br />

Sind Mackintoshs allererste<br />

Entwürfe etwa zur<br />

Innenraumgestaltung noch<br />

kurvig-linear (z.B. im<br />

Tearoom an der Buchanan<br />

Street von 1897/98), so<br />

führt später die Anordnung<br />

horizontaler <strong>und</strong> vertikaler<br />

gerader Linien zu völlig<br />

neuen Flächenaufteilungen,<br />

wie etwa im Bibliotheksflügel,<br />

den er 1907/08<br />

an die Glasgow School of<br />

Art anbaute, oder im kleineren<br />

Rahmen im Cranston<br />

Tearoom in der Ingram<br />

Street (1907/11).<br />

Während zudem in den<br />

meisten Ländern für Jugendstilarchitektenzunächst<br />

die gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

zweidimensionale Verbindung<br />

zwischen Fassade/<br />

Oberfläche <strong>und</strong> Ornament<br />

im Vordergr<strong>und</strong> des Interesses<br />

stand, folgten die<br />

Bauten englischer <strong>und</strong><br />

schottischer Kollegen von<br />

Anfang an der Tradition des<br />

englischen Landhausbaus,<br />

d.h. des Bauens von innen<br />

nach außen mit der Betonung<br />

der räumlich-funktionalen<br />

Dimensionen des<br />

Baukörpers. In den späteren<br />

Jahren rückte die plastische<br />

Gestaltung des<br />

Baukörpers in seiner Gesamtheit<br />

auch für Jugendstilarchitekten<br />

stärker in<br />

den Vordergr<strong>und</strong>. Ein herausragendes<br />

Beispiel ist<br />

die Plastizität, die Mackintosh<br />

bei der Glasgow<br />

School of Art z.B. durch<br />

dramatische Akzentuierung<br />

der einzelnen Glieder des<br />

Komplexes erreichte.<br />

Als Meisterwerk gilt auch<br />

die Halle von Hill House<br />

(1902/03), in der transparentes<br />

Stabwerk, Lichteinfall,<br />

Farbgebung, <strong>und</strong> leichte<br />

Möblierung zu einer dem<br />

51


Glasgow<br />

Mackintosh<br />

52<br />

späteren russischen Konstruktivismusnahestehenden<br />

Raumdynamik führen.<br />

Gerade das Design der<br />

berühmten schwarzlackierten<br />

Stühle in Hill House<br />

zeigt übrigens, wie weit sich<br />

Mackintosh in seiner Betonung<br />

der eleganten <strong>und</strong><br />

leichten Optik gegenüber<br />

der Funktionalität des Gegenstands<br />

<strong>und</strong> gegenüber<br />

der handwerklichen Orientierung<br />

an den Eigenheiten<br />

des Materials von den ursprünglichen<br />

Idealen der<br />

Arts and Crafts Bewegung<br />

entfernte.<br />

Diese spezielle Entwicklung<br />

Mackintoshs lässt sich<br />

wiederum mit den Besonderheiten<br />

der Situation in<br />

Glasgow in Verbindung<br />

bringen. Glasgow war zur<br />

Zeit Mackintoshs nach den<br />

Worten Garcias „eine Art<br />

keltisches Dallas, eine<br />

boom town, eine riesige Fabrikstadt<br />

mit H<strong>und</strong>erttausenden<br />

von Armen <strong>und</strong> einer<br />

Handvoll Reicher.“<br />

Aufgr<strong>und</strong> seiner Lage an<br />

der Mündung des Clyde<br />

<strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> der nahen<br />

Erz- <strong>und</strong> Kohlevorkommen<br />

konnte sich Glasgows Industrie<br />

über alle Phasen<br />

der industriellen Revolution<br />

hin weiterentwickeln. Im 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert löste Glasgow<br />

Bombay als zweitgrößte<br />

Stadt des Empire ab, die<br />

Einwohnerzahl sprang<br />

durch Landflucht <strong>und</strong> irische<br />

Einwanderer von<br />

80000 um 1800 auf 720000<br />

um 1900.<br />

Als Mackintosh 1914 Glasgow<br />

verlässt, beherbergt<br />

die Central Clydeside u.a.<br />

ein knappes Fünftel der<br />

Weltschiffbaukapazität,<br />

mehr als alle deutschen<br />

<strong>und</strong> amerikanischen Werften<br />

zusammen. Die Arbeiterquartiere<br />

Glasgows, die<br />

Gorbals, gehören zu den<br />

schlimmsten Elendsquartieren<br />

Europas, die Luftverschmutzung<br />

ist stärker als<br />

in London. Die sozialen<br />

Probleme münden vor allem<br />

in Alkoholismus, Gewalt<br />

<strong>und</strong> Prostitution. Teesalons<br />

<strong>und</strong> Fußballklubs<br />

werden mit dem ausdrücklichen<br />

Ziel gegründet, vom<br />

Alkohol abzulenken. Glasgow<br />

ist auch die Stadt der<br />

sozialen <strong>und</strong> politischen<br />

Arbeiterbewegungen, von<br />

den ersten blutigen Zusammenstößen<br />

des Jahres<br />

1820 über die Chartistenaufstände<br />

1839, die Anfänge<br />

der organisierten Arbeiterbewegung<br />

<strong>und</strong> die großen<br />

Berg- <strong>und</strong> Werftarbeiterstreiks<br />

bis hin zum „Arbeitersowjet<br />

Clydeside“ von<br />

1920. In diese Tradition<br />

gehört auch Robert Owens<br />

New Lanark-Projekt südlich<br />

von Glasgow.<br />

Wenn diese Situation auch<br />

der anderer Städte damals<br />

ähnlich ist, unterscheidet<br />

sich das reich gewordene<br />

Glasgower Bürgertum<br />

deutlich von dem anderer<br />

Städte. Während sich anderswo<br />

die neureiche, industriebürgerliche<br />

Schicht<br />

kulturell am Adel oder am<br />

alteingesessenen Bürgertum<br />

orientieren konnte, in<br />

England etwa häufig auch<br />

selbst dem Adel entstammte,<br />

hatten sich aufgr<strong>und</strong> der<br />

Unterdrückung durch England<br />

in der jüngeren schottischen<br />

Geschichte seit<br />

dem 16. Jahrh<strong>und</strong>ert vergleichbareschottisch-nationale<br />

Schichten nicht entwickeln<br />

können. Die schottische<br />

Gesellschaft gründete<br />

nach wie vor in der Tradition<br />

der bäuerlichen<br />

Clans <strong>und</strong> der Nationalkirche,<br />

die von Gleichheitsvorstellungen<br />

geprägt waren.<br />

Innerhalb der nur 150<br />

Jahre seit der Union Englands<br />

<strong>und</strong> <strong>Schottland</strong>s<br />

1707, die schottischen<br />

Kaufleuten erstmals Zugang<br />

zu den Kolonien erlaubte,<br />

waren aber aus<br />

wenigen Clanmitgliedern<br />

plötzlich reiche Kapitalisten<br />

geworden. Der Reichtum<br />

dieser kleinen Bevölkerungsschicht,<br />

sichtbar angesammelt<br />

auf Kosten der<br />

Mehrheit der Clanangehörigen,<br />

führte von Anfang an<br />

in Glasgow zu Verbitterung<br />

<strong>und</strong> gegenseitiger Gewaltbereitschaft<br />

einerseits <strong>und</strong><br />

zu völliger Abschottung u.a.<br />

durch rigide Konventionen<br />

der Bürger andererseits.<br />

Ein Teil des reichen Glasgower<br />

Bürgertums ver-


suchte, sich die fehlende,<br />

eigene kulturelle Identität<br />

nun selbst zu schaffen (vgl.<br />

Beschreibung der Glasgow<br />

School of Art). Ergebnis<br />

war der Glasgow Style, geprägt<br />

vom Symbolismus,<br />

der Esoterik <strong>und</strong> dem Elitedenken<br />

der Vierergruppe<br />

um Mackintosh <strong>und</strong> scharf<br />

mit der Realität der Stadt<br />

kontrastierend. In seinem<br />

Gedicht A Scottish Journey<br />

von 1935 beschreibt der<br />

Schriftsteller Edwin Muir,<br />

der Anfang des Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

von den Orkey-Inseln<br />

nach Glasgow kam, mit<br />

beißender Ironie diesen<br />

Kontrast:<br />

Die Damen plaudern beim<br />

Tee am Kamin<br />

Im hinteren Salon.<br />

Der rosarote Nachmittag<br />

gerinnt in der Straße zu<br />

Nebel <strong>und</strong> Schmutz.<br />

Rot von Blut bedroht der<br />

Westen den Mond....<br />

Im Schein weißglühender<br />

Gasleuchten<br />

werden Tausende von Gesichtern<br />

leichenblaß.<br />

Abendbrot in armseligen<br />

Löchern. Um die Ecken<br />

fegt der Wind vom Meer,<br />

erdröhnt die Luft<br />

vom Lärm starker Motoren.<br />

Der Pub spuckt sie aus,<br />

mit lallender Zunge beschwören<br />

sie das jüngste<br />

Gericht.<br />

In der Villa erwartet der<br />

Fabrikant seine St<strong>und</strong>e,<br />

während die Loreleitöchter<br />

leise Wagner spielen <strong>und</strong><br />

Strauss ...<br />

Die Farbe Rosarot hat hier<br />

dreifachen Bezug: einmal<br />

zum Sonnenuntergang,<br />

dann zur Prägung der<br />

schwarz-rußigen Stadt<br />

durch die Feuer der Hochöfen<br />

<strong>und</strong> der Werften <strong>und</strong><br />

schließlich zum modischen<br />

Schick der bürgerlichen Villenausstattungen.<br />

Der elegante<br />

Umgang mit künstlichem<br />

Licht, die Gestaltung<br />

der Salons <strong>und</strong> Villen, der<br />

Rückzugsorte der Bürger,<br />

mit Vorliebe in weiß <strong>und</strong><br />

rosé, werden Mackintoshs<br />

erste Domäne. Wenn also<br />

z.B. Thomas Howarth von<br />

Mackintoshs Vorgehensweise<br />

der Gestaltung innerer<br />

Realität (internal reality)<br />

spricht, dann lässt sich<br />

Glasgow<br />

Mackintosh<br />

dieser Begriff nicht nur architektonisch,<br />

sondern<br />

auch als gesellschaftlicher<br />

Gegenpol zur äußeren<br />

Realität interpretieren.<br />

Auch der japanische Einfluß<br />

auf Mackintoshs Werk<br />

steht in enger Verbindung<br />

zur Geschichte der Stadt.<br />

Zwar entspricht er einerseits<br />

dem Zeitgeist, wie er<br />

sich etwa im White House<br />

zeigt, das George Godwin<br />

1877 im anglo-japanischen<br />

Stil in Chelsea erbaut. Außerdem<br />

teilte, wie gesagt,<br />

Margaret McDonald die allgemeine<br />

Begeisterung für<br />

diesen Stil.<br />

Vor allem ist aber festzuhalten,<br />

dass zwischen Glasgow<br />

<strong>und</strong> Japan deutlich<br />

handfestere Bande bestanden,<br />

als die übliche ästhetische<br />

Schwärmerei für japanische<br />

Holzschnitte mit<br />

Mädchen <strong>und</strong> Kirschblüten.<br />

Noch vor der Öffnung Japans<br />

studierten ab 1866 die<br />

ersten Japaner in Glasgow<br />

Schiffsbau, <strong>und</strong> die ersten<br />

Professoren <strong>und</strong> Rektoren<br />

der neuen Technischen<br />

Hochschule in Kobe wurden<br />

1869 aus Glasgow,<br />

dem damaligen Mekka des<br />

Hüttenwesens, des Schiffs<strong>und</strong><br />

Eisenbahnbaus berufen,<br />

solange bis junge, in<br />

Glasgow ausgebildete Japaner<br />

deren Plätze einzunehmen<br />

in der Lage waren.<br />

Glasgow belieferte Japan<br />

in der Folgezeit mit Dampfmaschinen,<br />

Lokomotiven,<br />

Straßenbahnen für seine<br />

aufstrebende Industrie,<br />

nach dem britisch-japanischen<br />

Beistandspakt von<br />

1902 mit Kreuzern <strong>und</strong> Zerstörern<br />

für seinen Krieg<br />

gegen Russland. Umgekehrt<br />

brachten Kaufleute,<br />

die in Japan britische Industrieprodukte<br />

vorstellten<br />

<strong>und</strong> bewarben, reiche<br />

Sammlungen japanischer<br />

Möbel, Holzschnitte <strong>und</strong><br />

Gebrauchsgegenstände<br />

mit zurück nach Glasgow.<br />

Japanische Einflüsse waren<br />

nirgendwo in Europa so<br />

tief verankert wie in Glasgow.<br />

Als der japanische Stil<br />

um 1876/77 in Paris <strong>und</strong><br />

anderswo in Europa populär<br />

wurde, war er in Glasgower<br />

Kreisen also längst<br />

53


Glasgow<br />

Mackintosh<br />

54<br />

bekannt.<br />

Mackintosh selbst war mit<br />

den Glasgower Künstlern<br />

Hornel <strong>und</strong> Walton befre<strong>und</strong>et,<br />

die 1883/84 im<br />

Auftrag eines Kunsthändlers<br />

ein Jahr lang in Japan<br />

lebten <strong>und</strong> ihm wahrscheinlich<br />

einen Teil der japanischen<br />

Gegenstände verkauften,<br />

die seine Wohnung<br />

schmückten.<br />

Sein Sinn für Proportionen,<br />

seine Freude an scharfen<br />

Kontrasten, die nüchterne<br />

Strenge sind Aspekte, die<br />

er von der japanischen<br />

Kunst übernahm, aber<br />

nicht auf dem Weg der Imitation,<br />

wie Kritiker seiner<br />

Innenräume oft behaupteten,<br />

sondern indem er sie<br />

mit den keltischen Formen<br />

verband, wohl auch, weil<br />

hier eine Kongenialität bestand<br />

zu Mackintoshs eigenem,<br />

von der schottischen<br />

Tradition <strong>und</strong> von der neuen<br />

industriellen Architektur<br />

Glasgows geprägtem<br />

Formempfinden.<br />

Mackintoshs Werk sollte<br />

erst Jahrzehnte nach seinem<br />

Tod allgemeine Anerkennung<br />

finden. Er selbst<br />

wandte sich nach wenigen<br />

Jahren wieder von der Architektur<br />

ab, um sich seit<br />

seinem Weggang aus<br />

Glasgow 1914 ausschließlich<br />

mit Aquarellmalerei zu<br />

befassen.<br />

Wichtigste Bauwerke <strong>und</strong><br />

Entwürfe:<br />

Eckturm des Glasgow Herald<br />

(1894); heute beherbergt<br />

das ehemalige Zeitungsgebäude<br />

das Design<strong>und</strong><br />

Architekturzentrum<br />

The Lighthouse<br />

Glasgow School of Art<br />

(1898-1909)<br />

Queens Cross Church,<br />

Glasgow (1898 …)<br />

House for an Art Lover<br />

(Wettbewerbsbeitrag 1901;<br />

gebaut erst 1989-1996 in<br />

Bellahouston Park, Glasgow)<br />

The International Exhibition<br />

(Wettbewerbsbeitrag für<br />

eine Konzerthalle 1901, nie<br />

verwirklicht)<br />

An Artist’s House (1900/01;<br />

Pläne für einen Anbau an<br />

ein bestehendes Gebäude,<br />

nicht realisiert)<br />

Windy Hill, Kilmacolm bei<br />

Glasgow, 1899-1901<br />

(Wohnhaus für einen<br />

Fre<strong>und</strong>; die von Mackintosh<br />

entworfene Inneneinrichtung<br />

befindet sich heute<br />

größtenteils in der GSA)<br />

The Hill House,<br />

Helensburgh 1902-1904<br />

(Privathaus, ähnlich den<br />

Plänen für das House for<br />

an Art Lover)<br />

Vier Tearooms: u.a.<br />

Tearooms in der Buchanan<br />

Street (1894) <strong>und</strong> The<br />

Willow Tearooms (auch<br />

Cranston Tearooms, 1897/<br />

98)


Haus eines Kunstfre<strong>und</strong>es<br />

Glasgow<br />

House for an Art Lover<br />

Standort: Glasgow<br />

Baujahr: 1989 (Wettbewerb <strong>und</strong> Entwurf 1901)<br />

Bauherr: Graham Roxburgh, Glasgow<br />

Ingenieur: Charles Rennie Mackintosh<br />

Literatur: Charlotte & Peter Fiell: Charles Rennie Mackintosh,<br />

Köln 1995<br />

Wendy Kaplan (Hg.): Charles Rennie Mackintosh,<br />

London 1996<br />

Robert Macleod: Charles Rennie Mackintosh.<br />

Country Life, Bungay 1968<br />

Die deutsche Zeitschrift für<br />

Innendekoration schrieb<br />

1901 einen Ideenwettbewerb<br />

für Entwurf <strong>und</strong> Ausstattung<br />

des Hauses eines<br />

Kunstfre<strong>und</strong>es aus.<br />

Mackintosh <strong>und</strong> Margaret<br />

Macdonald haben wahrscheinlich<br />

davon erfahren,<br />

als sie sich in Wien aufhielten.<br />

Weil nur noch drei Monate<br />

Zeit bis zum Abgabetermin<br />

waren, reichte<br />

Mackintosh unvollständige<br />

Pläne ein. Wohl deshalb<br />

erhielt Mackintosh nicht<br />

den ersten, sondern einen<br />

Sonderpreis, obwohl sein<br />

Entwurf gemeinhin sehr<br />

gelobt wurde. Im Vorwort<br />

der Veröffentlichung der<br />

prämierten Entwürfe beschrieb<br />

Hermann Muthesius<br />

Mackintoshs Entwurf:<br />

„Das Äußere des Gebäudes<br />

ist ganz <strong>und</strong> gar einmalig,<br />

es gibt nichts, was ihm<br />

gleicht. Wir finden in dieser<br />

Architektur auch nicht die<br />

geringste Spur konventioneller<br />

Formen, denen gegenüber<br />

der Architekt momentan<br />

größte Gleichgültigkeit<br />

beweist.“ 1 . Traditionelle<br />

Materialien werden so<br />

eingesetzt, daß sich neue<br />

Qualitäten ergeben. Die<br />

Formen, die bereits bei seinem<br />

Wohnhaus Windy Hill<br />

anklingen, werden hier mit<br />

Klarheit <strong>und</strong> Strenge<br />

weiterentwickelt.Viele<br />

Aspekte seines Entwurfs<br />

gab es schon vorher <strong>und</strong><br />

auch bei Zeitgenossen<br />

Mackintoshs; sie tauchten<br />

aber nie in so vollendeter<br />

Kombination auf wie hier.<br />

Die Inneneinrichtung war in<br />

gedämpften Farben gehalten,<br />

um die stofflichen Eigenschaften<br />

der verwendeten<br />

Materialien in den Vordergr<strong>und</strong><br />

zu stellen. Der<br />

Verleger W.W. Blackie war<br />

von dem Entwurf so begeistert,<br />

dass er Mackintosh<br />

1902 mit der Planung eines<br />

Wohnhauses beauftragte,<br />

dem Hill House in Helensburgh.<br />

Ende der 80er Jahre baute<br />

der Glasgower Ingenieur<br />

Graham Roxburgh in Zusammenarbeit<br />

mit Andy<br />

MacMillan, dem Direktor<br />

der Mackintosh school of<br />

architecture, das Haus eines<br />

Kunstfre<strong>und</strong>es anhand<br />

der vierzehn vorhandenen<br />

Originalpläne nach. Im<br />

Obergeschoss wurden weitere<br />

Räume hinzugefügt.<br />

Die Meinungen über dieses<br />

„Experiment“ gehen auseinander.<br />

55


Glasgow<br />

House for an Art Lover<br />

56


Scottish Exhibition and Conference Centre<br />

Standort: Glasgow<br />

Baujahr: 1995 - 1998<br />

Bauherr: Glasgow City Council<br />

Architekt: Norman Foster & Partners, London<br />

Ingenieur: Ove Arup<br />

Literatur: Hugues Wilquin: Bauen mit Aluminium.<br />

Konstruktion <strong>und</strong> Gestaltung, Basel 2001<br />

fosterandpartners.com<br />

glasgowarchitecture.co.uk<br />

Der Erweiterungsbau des<br />

Scottish Exhibition and Science<br />

Centre in Glasgow,<br />

das Clyde Auditorium, steht<br />

auf dem Gebiet der ehemaligen<br />

Werft Queens Dock<br />

am Clyde. Wegen seiner<br />

äußeren Form wird der Entwurf<br />

von Norman Foster &<br />

Partners auch als Armadillo<br />

(Gürteltier) bezeichnet:<br />

Sein Dach besteht aus acht<br />

Aluminium-Schalen, die<br />

teilweise übereinander geschoben<br />

sind. Die Glasfassade<br />

wird durch silberfarbene<br />

Fensterrahmen aus<br />

natur-eloxiertem Aluminium<br />

gegliedert. Das Armadillo<br />

ist ein flexibel zu gestaltendes<br />

Gebäude über einem<br />

verlängerten hexogonalen<br />

Gr<strong>und</strong>riß, das Räumlichkeiten<br />

für Kongresse, Ausstellungen,<br />

Konzerte, Aufführungen<br />

<strong>und</strong> Veranstaltungen<br />

aller Art <strong>und</strong> Größe bieten<br />

soll. Eine neutrale Umgebung<br />

mit allen technischen<br />

Voraussetzungen<br />

von Dolmetscherkabinen<br />

hin zu Schnürböden <strong>und</strong><br />

Kulissenvorrichtungen zu<br />

schaffen, war wesentlicher<br />

Bestandteil des Konzepts.<br />

Die Bühne des Hauptsaales<br />

kann direkt mit Lkw befahren<br />

werden. Das Gebäude<br />

ist 40 m hoch, 140<br />

m lang <strong>und</strong> mit einer Nutzfläche<br />

von 13000 m² das<br />

größte seiner Art in Großbritannien<br />

<strong>und</strong> eines von<br />

vier in Europa, das mehr<br />

Glasgow / Scottish Exhibition<br />

and Conference Centre<br />

als 3000 Kongreßbesucher<br />

aufnehmen kann. Konferenzsäle<br />

erstrecken sich<br />

über drei Ebenen. Der Zugang<br />

erfolgt von der Ostseite<br />

aus. Das auskragende<br />

Dach bildet hier einen Eingangsbereich,<br />

der sich im<br />

Inneren in einer Halle fortsetzt.<br />

Von hier geht ein kleinerer<br />

Kongreßraum (300<br />

Plätze) ab, Treppen <strong>und</strong><br />

Aufzüge führen ins Foyer<br />

im ersten Obergeschoß,<br />

das den dreigeschossigen<br />

Hauptsaal mit verschiedenen<br />

Ausstellungsräumen<br />

verbindet. Foster & Partners<br />

standen vor der Aufgabe,<br />

diesen Komplex aus<br />

Auditorium, Ausstellungshallen<br />

<strong>und</strong> Eingangsbereichen,<br />

den sie als industrial<br />

theatre auffassen, mit einem<br />

relativ geringen Budget<br />

zu verwirklichen.<br />

Ihr Entwurf, der aus seinen<br />

Gr<strong>und</strong>rißanforderungen<br />

heraus entwickelt wurde,<br />

greift die Schiffbautradition<br />

des Clyde auf <strong>und</strong> setzt flaches<br />

Verschalungsmaterial<br />

ein, um gerahmte „Schiffsrümpfe“<br />

(hulls) zu bedekken.<br />

In dieser kompakten<br />

Form sollen sich darüber<br />

hinaus die vielfältigen Nutzungsmöglichkeitenwiederspiegeln.<br />

Diese acht Dachstreifen ermöglichen<br />

eine gemeinsame<br />

Umhüllung des<br />

Hauptsaales <strong>und</strong> aller anschließenden<br />

Räume. Jeder<br />

Streifenist wiedrum in<br />

vier Abschnitte unterteilt<br />

<strong>und</strong> überdeckt einen Bereich<br />

von 14 m. Diese Profile<br />

wurden vor Ort Stoß an<br />

Stoß miteinander verschweißt<br />

– die Gesamtlänge<br />

der Schweißnaht beträgt<br />

3,6 km. Den Abschluß der<br />

Schalenkanten bilden<br />

rechteckige Aluminiumprofile.<br />

57


Glasgow / Scottish Exhibition<br />

and Conference Centre<br />

58<br />

Ein darunter liegendes<br />

PVC-Abflußsystem führt<br />

eintretendes Wasser in ein<br />

Dränagesystem, das -<br />

durch ein verzinktes Stahlgitter<br />

gedeckt - um das<br />

Gebäude läuft. Die Dachstreifen<br />

werden von zehn<br />

Spitzbögen getragen. Diese<br />

Bögen sind als Fachwerk<br />

aus Stahlr<strong>und</strong>rohren<br />

ausgeführt. Darauf lagern<br />

Sek<strong>und</strong>ärpfetten aus Doppel-T-Profilen<br />

aus verzinktem<br />

Stahl. Die Dacheindekkung<br />

umfaßt eine Gesamtfläche<br />

von 10600 m² <strong>und</strong><br />

besteht aus einer Aluminium-Stehfalzdeckung<br />

( Kalzip-Elemente).<br />

Das Stucco-<br />

Design der Profile bewirkt<br />

eine wesentlich höhere Beständigkeit<br />

der äußeren<br />

Flächen. Dabei ermöglichte<br />

die Verwendung von Befestigungsklipps<br />

eine<br />

durchdringungsfreie Montage.<br />

Die U-förmigen Falzprofile<br />

wurden auf der Baustelle<br />

in Längsrichtung maschinell<br />

gefalzt. Die Klipps<br />

durchdringen eine 100 mm<br />

dicke Schicht aus Steinwolle<br />

<strong>und</strong> sind mit Thermoklappen<br />

versehen, so dass<br />

Wärmebrücken minimiert<br />

werden. Sie können Druck<strong>und</strong><br />

Sogkräfte aufnehmen<br />

<strong>und</strong> ermöglichen gleichzeitig<br />

eine freie Längendehnung<br />

der Falzprofile. Wärmedämmung<br />

<strong>und</strong> Klipps<br />

liegen auf einer Unterkonstruktion<br />

aus Trapezprofi-<br />

len aus verzinktem Stahl,<br />

32 mm hoch <strong>und</strong> 0,7 mm<br />

dick. Darunter folgt eine<br />

nichttragende Deckenschalung<br />

aus gewölbten<br />

Alclad-Tafeln. Dieser Baustoff<br />

stammt ursprünglich<br />

aus dem Flugzeugbau; er<br />

hat einen Körper aus einer<br />

Aluminium-Legierung, der<br />

beidseitig mit Schutzplatten<br />

aus einer Aluminium-Zink-<br />

Legierung belegt ist. Die<br />

Festpunkte der Kalzip-Elemente<br />

liegen auf der Firstlinie<br />

der Spitzbögen, so<br />

dass eine Längenänderung<br />

aufgr<strong>und</strong> von Temperaturunterschieden<br />

nur in einer<br />

Richtung, nämlich zum Boden,<br />

erfolgen kann.<br />

Ein unerwartetes Problem<br />

während der Bauarbeiten<br />

war der plötzliche Austritt<br />

von Methan-Gas aus den<br />

Dock-Gelände. Die Lösung<br />

ist noch heute deutlich zu<br />

erkennen, denn hinter den<br />

um das ganze Gebäude<br />

verteilten Reklamewänden<br />

verbergen sich die Ventile,<br />

die erforderlich sind, um<br />

das Gas abzuführen.<br />

Durch das Armadillo mit<br />

seinen am Tage die Sonne<br />

reflektierenden <strong>und</strong> bei<br />

Nacht angestrahlten Aluminiumschalen<br />

soll ein Wahrzeichen<br />

am Clyde geschaffen<br />

<strong>und</strong> Glasgows Ruf als<br />

internationaler Business-<br />

Standort gestärkt werden.


Glasgow / Scottish Exhibition<br />

and Conference Centre<br />

59


Glasgow<br />

Glasgow Science Centre<br />

60<br />

Glasgow Science Centre<br />

Standort: Glasgow<br />

Baujahr: 1999 - 2001<br />

Bauherr: Glasgow Science Centre Limited<br />

Glasgow Tower<br />

Architekt: Richard Horden Associates / Building<br />

DesignPartnership (bdp), Glasgow<br />

Ingenieure: Büro Happold (Konstruktion <strong>und</strong> Statik)<br />

Peter Heppel (Aerodynamic)<br />

Science Mall <strong>und</strong> IMAX-Kino<br />

Architekt: Building Design Partnership (bdp), Glasgow<br />

Ingenieur: W A Fairhurst & Partners<br />

Literatur: Anette LeCuyer: Stahl & Co. Neue Strategien für<br />

Metalle in der Architektur, Basel, 2003<br />

bdp.co.uk<br />

The architectural review, 4/2000bdp.co.uk<br />

Erklärtes Ziel des Science<br />

Centres ist es, Wissenschaft<br />

einer großen Öffentlichkeit<br />

zugänglich zu machen.<br />

Der Standort am Pacific<br />

Quay am Südufer des<br />

Clyde wurde aber auch gewählt,<br />

um das benachbarte<br />

Goran, eines der größten<br />

schottischen Industriegebiete,<br />

zu regenerieren,<br />

das seit dem Niedergang<br />

der Industrie in den letzten<br />

Jahrzehnten mit wachsender<br />

Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> sozialem<br />

Niedergang zu<br />

kämpfen hat. Der angrenzende<br />

Stadtteil Gorbals war<br />

Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

einer der größten europäischen<br />

Slums; in den<br />

1950er Jahren wurden im<br />

Rahmen einer Flächensanierung<br />

die meisten der ursprünglichenviergeschossigen<br />

Mietshäusern durch<br />

Beton-Wohnblocks ersetzt,<br />

die allerdings 1987 wieder<br />

abgerissen wurden, weil sie<br />

unbewohnbar geworden<br />

waren. Seit 1990 werden<br />

die Gorbals von namhaften<br />

Architekten saniert <strong>und</strong> restauriert<br />

oder erneuert.<br />

Man hofft ähnlich wie in<br />

Newcastle, mit dem Science<br />

Centre hier ein worldclass<br />

development zu<br />

schaffen, das das Gebiet<br />

allmählich wirtschaftlich,<br />

räumlich <strong>und</strong> sozial wieder<br />

aufbauen wird. Die Erweiterung<br />

des Exhibition and<br />

Conference Centres war<br />

bereits ein Schritt in diese<br />

Richtung; die Ansiedlung<br />

der BBC Scotland am Clyde,<br />

die kurz nach Fertigstellung<br />

des Science Centres<br />

beschlossen wurde, ist ein<br />

erster Erfolg dieses Vorhabens.<br />

Das Science Centre besteht<br />

aus dem Glasgow<br />

Tower, der Science Mall<br />

<strong>und</strong> dem IMAX-Kino. Alle<br />

Bauten sind Stahl-Konstruktionen,<br />

verkleidet mit<br />

unterschiedlichen Materialien,<br />

<strong>und</strong> sollen selbst als<br />

experimentelle Ausstellungsgegenständeverstanden<br />

werden.<br />

Der Entwurf zum Glasgow<br />

Tower war Richard Hordens<br />

Beitrag zu einem internationalen<br />

Wettbewerb<br />

für einen innerstädtischen<br />

Standort im Jahr 1992. Das<br />

Projekt wurde kurz darauf<br />

fallengelassen, dann aber<br />

1994 von bdp architects<br />

wieder aufgegriffen, als das<br />

Büro den Wettbewerb für<br />

das Glasgow Science Centre<br />

gewann. Der Entwurf<br />

von Horden sollte als Aussichtsturm<br />

Bestandteil des<br />

neuen Wissenschaftszentrums<br />

werden, von dem die<br />

Besucher nicht nur das<br />

ehemalige Hafengebiet<br />

<strong>und</strong> die Stadt übersehen<br />

können sondern auch etwas<br />

über Aerodynamik <strong>und</strong><br />

die Auswirkungen von<br />

Wind auf hohe Gebäude


lernen sollen. Die Aussichtskabine<br />

in 100 m Höhe<br />

wird von einer schlanken<br />

Stahlkonstruktion getragen.<br />

Sie kann bis zu 24 Personen<br />

aufnehmen <strong>und</strong> besteht<br />

aus einem leichten,<br />

glasbewehrten Kunststoff.<br />

Darüber ragt ein 25 m Mast<br />

aus Kohlenfaserverb<strong>und</strong>stoff.<br />

Um die Windkräfte<br />

vor allem an der Turmspitze<br />

zu verringern, steht der<br />

Turm auf einer 360 Grad-<br />

Drehscheibe, so dass er<br />

sich wie ein Segelboot<br />

nach dem Wind drehen<br />

kann. Ohne zusätzliche Abbremsung<br />

oder Beschleunigung<br />

würde er sich auf 40<br />

Grad zum Wind ausrichten,<br />

da der Auftriebsmittelpunkt<br />

des Turmes vor dem Mittelpunkt<br />

der Drehbewegung<br />

liegt. Ergänzt um die Formgebung<br />

der Außenstruktur<br />

treten bei dieser drehbaren<br />

Konstruktion etwa 10 %<br />

weniger Windlasten als bei<br />

unbeweglichen Konstruktionen<br />

auf. Dadurch kann<br />

das Verhältnis von Basis zu<br />

Schaft <strong>und</strong> damit die<br />

Schlankheit des Turmes<br />

von üblicherweise 1:6 auf<br />

1:10 erhöht werden. Der<br />

Aussichtsturm ist bisher der<br />

einzige Turm, der sich als<br />

Ganzes drehen kann, <strong>und</strong><br />

die höchste freistehende<br />

Konstruktion in <strong>Schottland</strong>.<br />

Gr<strong>und</strong>bedingung für den<br />

Glasgow<br />

Glasgow Science Centre<br />

Entwurf <strong>und</strong> Hauptarbeit<br />

der Ingenieure war, die<br />

Winde am Turm so zu kontrollieren,<br />

dass turbulenzenfreier<br />

Sog entsteht. Mithilfe<br />

von Computerprogrammen<br />

<strong>und</strong> Windkanaltests<br />

mit statischen sowie<br />

dynamischen Windverhältnissen<br />

wurden alle Bestandteile<br />

des Turms aerodynamisch<br />

konstruiert <strong>und</strong><br />

daraus ein Haupttragwerk<br />

aus Stahl entwickelt. Es<br />

besteht aus einem Treppenschaft<br />

aus Rohrprofilen<br />

<strong>und</strong> zwei schlankeren Nebenschäften,<br />

die zusammen<br />

einen Dreifuß bilden.<br />

Die Aussteifung erfolgt über<br />

die k-förmigen Diagonalstreben,<br />

die den Treppenschaft<br />

mit den beiden Nebenschäften<br />

verbinden.<br />

Der Gr<strong>und</strong>riß des Treppenturms<br />

ist trapezförmig, um<br />

den Luftwiderstand möglichst<br />

gering zu halten; die<br />

Ausbuchtung im Bereich<br />

der unteren Ebenen verstärkt<br />

diesen Effekt. Die<br />

Nebentürme verjüngen<br />

sich nach oben hin <strong>und</strong> wirken<br />

bei der Steuerung der<br />

Luftströmung wie Flugzeugtragflügel.<br />

Sie bestehen<br />

aus Flachstahl, der an<br />

der Basis 30 mm, an der<br />

Spitze 10 mm dick ist, <strong>und</strong><br />

sind mit den formgebenden<br />

Spantenträgern verschraubt.<br />

Die Nebentürme<br />

61


Glasgow<br />

Glasgow Science Centre<br />

62<br />

helfen auch bei der Abschwächung<br />

der Turmschwingungen,<br />

da durch<br />

ihre innen gekrümmte, außen<br />

flache Form Turbulenzen<br />

an die Hinterseite des<br />

Turmes gedrückt werden.<br />

Die Verjüngung nach oben<br />

reduziert das Eigengewicht<br />

der auskragenden Konstruktion,<br />

ist aber gleichzeitig<br />

Ergebnis des geringeren<br />

Bedarfs an Tragflügeln an<br />

der Turmspitze aufgr<strong>und</strong><br />

der höheren Windgeschwindigkeiten.<br />

Um trotzdem<br />

Flattern vorzubeugen<br />

<strong>und</strong> das Bauwerk aerodynamisch<br />

zu stabilisieren,<br />

sind an der Rückseite zusätzliche<br />

Stahlrohre angebracht,<br />

die mit gebogenen<br />

Aluminiumblechen verkleidet<br />

sind <strong>und</strong> wie das Seitenruder<br />

einen Bootes<br />

funktionieren. Am Turmfuß<br />

sind die Nebenschäfte angeschrägt<br />

<strong>und</strong> sitzen genau<br />

auf dem Auflagerring<br />

mit einem Durchmesser<br />

von 10,60 m. Der Auflagerring<br />

besteht aus einer<br />

40mm dicken Stahlplatte<br />

mit einem Kranz, an dessen<br />

Seiten Rollen angebracht<br />

sind, über die der<br />

Drehmechanismus der<br />

Konstruktion funktioniert.


Weil die Drehung des Turmes<br />

vom Wind unterstützt<br />

wird, ist nicht viel zusätzliche<br />

elektrische Energie erforderlich.<br />

Vier Elektromotoren<br />

mit je 6 kW bewegen<br />

ein Kettenrad, über das ein<br />

Nebenrad angetrieben<br />

wird, das an der Unterseite<br />

des Auflagerringes befestigt<br />

ist. Über Sensoren am<br />

Fußpunkt des Turms werden<br />

im Abstand von 20 Minuten<br />

die aktuell gemessenen<br />

Windrichtungen <strong>und</strong> –<br />

geschwindigkeiten an die<br />

Motoren übertragen, die<br />

daraufhin die Hauptseite<br />

des Turmes mit einer Geschwindigkeit<br />

von 18 Grad<br />

pro Minute ausrichten.<br />

Jede Rolle, 20 cm hoch mit<br />

einem Durchmesser von 70<br />

cm, ist auf einen Schlitten<br />

montiert, der wiederum mit<br />

der Innenseite des außenliegenden<br />

Ringträgers aus<br />

Beton verschraubt ist. Die<br />

Schlitten haben an einer<br />

Seite ein Gleitlager, an der<br />

anderen ein mehrlagiges<br />

Elastomerlager. Sie verteilen<br />

die Schubkraft von 200<br />

t <strong>und</strong> die aus Kippmomenten<br />

entstehende Horizontallast<br />

von 6500 kN gleichmäßig<br />

auf den Ringträger<br />

auf Höhe des Podiumsdaches.<br />

Um den Zugang zu<br />

den Aufzügen nicht zu behindern,<br />

wird der Betonring<br />

von schrägstehenden<br />

Stahlstützen getragen, über<br />

die die seitlichen Lasten<br />

unmittelbar in einen Senkkasten<br />

(Durchm. 12 m ) aus<br />

Stahlbeton gebracht werden.<br />

Die Normallasten aus<br />

dem Treppenturm <strong>und</strong> den<br />

Nebenschäften werden<br />

über den Ringträger in einen<br />

darunter liegenden<br />

Kegel geleitet, dessen Spitze<br />

bis zur Sohle des Senkkastens<br />

15 m nach unten<br />

zeigt. Dabei steigt die Dikke<br />

des Stahls in dem Maße<br />

wie der Durchmesser des<br />

Kegels abnimmt; die letzten<br />

drei Meter bestehen<br />

aus einem Gußteil mit massivem<br />

Endstück. Die gesamte<br />

Vertikallast von<br />

5500kN ruht auf einem<br />

Punkt, wo sie von einem<br />

Glasgow<br />

Glasgow Science Centre<br />

Edelstahl-Auflager im Auftriebsmittelpunktaufgenommen<br />

wird. Trotzdem<br />

bleibt ein gewisses Flattern<br />

infolge von Fluktuationen in<br />

der Windrichtung <strong>und</strong> –geschwindigkeit<br />

nicht auszuschließen.<br />

Für den Entwurf<br />

ging man von einer maximalen<br />

Ablenkung bei besetzter<br />

Aussichtskabine<br />

von 20 mm aus, wie sie<br />

etwa auch der auslenkenden<br />

Bewegung einer U-<br />

Bahn entspricht. Diesem<br />

möglichen Flattern wirken<br />

hier vor allem die zusammengeschraubte<br />

<strong>und</strong> damit<br />

dämpfende Außenkonstruktion<br />

<strong>und</strong> die federnde<br />

Aufhängung des Auflagerrings<br />

entgegen. Die Gründung<br />

der Kegelkammer in<br />

weichem, angeschwemmten<br />

Erdreich trägt ihr Übriges<br />

dazu bei.<br />

Der Turm ist vom Erdgeschoßniveau<br />

des Podiums<br />

aus zugänglich, einem<br />

kreisr<strong>und</strong>en Gebäude mit<br />

Granitverkleidung, in dem<br />

Ausstellungsflächen <strong>und</strong><br />

einige öffentliche Einrichtungen<br />

untergebracht sind.<br />

Der eigentliche Hauptzugang<br />

liegt jedoch in der<br />

Science Mall, von wo aus<br />

ein Entdeckungstunnel in<br />

den Ausstellungsraum des<br />

Turmes im Erdgeschoß<br />

führt. Zu den beiden Außenaufzügen<br />

zur Turmspitze,<br />

deren Führungsschienen<br />

am hinteren Stützpfeiler<br />

des Treppenschafts angebracht<br />

sind, gelangt man<br />

über schmale Stahlstege<br />

durch den Luftraum der<br />

Kegelkammer. Von hier eröffnet<br />

sich ein unmittelbarer<br />

Einblick in die Konstruktion<br />

von Kegelfuß <strong>und</strong> Auflagern<br />

<strong>und</strong> damit in die eigentliche<br />

Statik des Turms.<br />

Kegel <strong>und</strong> Gußteil wurden<br />

in <strong>Schottland</strong> gefertigt,<br />

während die Außenkonstruktion<br />

des Turmes in<br />

Polen hergestellt wurde.<br />

Die 6 m großen Turmsegmente<br />

entstanden in einer<br />

Werkshalle, in der sonst<br />

vornehmlich U-Boote gebaut<br />

werden.<br />

63


Glasgow<br />

Glasgow Science Centre<br />

64<br />

Die Science Mall ist der<br />

Mittelpunkt des Science<br />

Centres. Sie umfaßt 300<br />

hands-on exhibits auf vier<br />

Etagen, Wissenschaftsshows,<br />

Multimedia Theater<br />

<strong>und</strong> ein Planetarium. Die<br />

über 5000 m² Ausstellungsfläche<br />

werden von einem<br />

Titanium-Dach umhüllt, das<br />

sich bis auf den Boden<br />

wölbt <strong>und</strong> eine Fläche von<br />

10 500 m² umfaßt . Es ist<br />

die erste Dachkonstruktion<br />

aus diesem Material in<br />

Großbritannien <strong>und</strong> bereitete<br />

am Anfang insofern<br />

Probleme, als keine ausreichend<br />

qualifizierte Firma<br />

für die Ausführung gef<strong>und</strong>en<br />

werden konnte. Man<br />

machte sich schließlich international<br />

auf die Suche,<br />

konnte eine Bauverzögerung<br />

von sechs Monaten<br />

aber nicht mehr verhindern.<br />

Zwischen Science Mall <strong>und</strong><br />

IMAX-Kino bildet eine niedrige<br />

Konstruktion mit Teflon-beschichtetem<br />

Dach<br />

<strong>und</strong> verglasten Seiten einen<br />

Empfangsbereich.<br />

Das IMAX-Kino mit 380<br />

Sitzplätzen ist ebenfalls<br />

das erste seiner Art in<br />

<strong>Schottland</strong>. Auf einer 60 x<br />

80 ft (ca. 18 x 24,50 m) großen<br />

Leinwand mit 12 000<br />

W So<strong>und</strong>-System werden<br />

2D- <strong>und</strong> 3D-Filme zu wechselnden<br />

wissenschaftlichen<br />

Themen gezeigt. Das Eindeckmaterial<br />

des IMAX ist<br />

Aluminium.<br />

Umweltfre<strong>und</strong>liche Techniken<br />

sind die Nutzung des<br />

Flusses zur Kühlrung der<br />

Innenräume <strong>und</strong> eine natürliche<br />

Ventilation. Zur<br />

Wärmespeicherung ist genügend<br />

Betonmasse vorhanden.<br />

Die Energieversorgung<br />

erfolgt über Photovoltaik,<br />

Solar-, Wind- <strong>und</strong> Flutanlagen.


BBC Scotland Headquarters<br />

Standort: Glasgow<br />

Baujahr: 2001 – 2006 (?)<br />

Bauherr: BBC<br />

Architekt: David Chipperfield Architects<br />

Literatur: bbc.co.uk<br />

davidchipperfieldarchitects.co.uk<br />

Das neue Hauptquartier<br />

der BBC Scotland in Glasgow<br />

ist eines von mehreren<br />

Projekten in Großbritannien,<br />

mit denen sich die BBC<br />

den technischen <strong>und</strong> medialen<br />

Herausforderungen<br />

des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts stellen<br />

will. David Chipperfield<br />

Architects gewannen den<br />

ausgeschriebenen Wettbewerb<br />

mit einem Entwurf,<br />

der im Sinne der BBC ein<br />

„accessible, flexible, stimulating,<br />

efficient and attracting<br />

working environment“ 1<br />

schaffen soll, das Angestellte<br />

<strong>und</strong> Besucher gleichermaßen<br />

anzieht. Neben<br />

Multimedia-Produktion <strong>und</strong><br />

Übertragungseinrichtungen,<br />

Büros <strong>und</strong> Fernseh<strong>und</strong><br />

Radio-Studios sind<br />

Ausstellungsflächen, öffentliche<br />

Bereiche <strong>und</strong> Cafés<br />

auf insgesamt<br />

32 500m² vorgesehen.<br />

Später soll das Gebäude<br />

das Zentrum eines Medien-<br />

Dorfes bilden, das auf dem<br />

ehemaligen Gelände des<br />

Glasgow Garden Festival<br />

am Clydeufer entstehen<br />

soll. Wesentliche Kennzeichen<br />

dieses Projektes sind<br />

u.a. das Bauen auf verfüllten<br />

viktorianischen Docks<br />

<strong>und</strong> die von innen sichtbaren<br />

Konstruktionen.<br />

David Chipperfield Architects<br />

wollen öffentlichen<br />

<strong>und</strong> Arbeitsbereichen eine<br />

gleichwertige Bedeutung<br />

innerhalb des Gebäudes<br />

geben, um nirgends eine<br />

Glasgow<br />

BBC Scotland<br />

back-of-house-Atmosphäre<br />

für die technischen Bereiche<br />

entstehen zu lassen.<br />

Das Raumprogramm erforderte<br />

das Zusammenbringen<br />

von geschlossenen<br />

mehrgeschossigen Aufnahmestudios<br />

<strong>und</strong> transparenten<br />

Büros. Dieses Problem<br />

soll durch die Aufteilung<br />

auch der Freiflächen<br />

gelöst werden. Das zentrale<br />

Atrium als Abfolge von<br />

terrassierten Plattformen ist<br />

nach außen sichtbar. Durch<br />

die Glasfassade sollen im<br />

Laufe des Tages je nach<br />

Jahreszeit <strong>und</strong> Standpunkt<br />

des Betrachtes immer neue<br />

Ausblicke auf das Gebäude<br />

entstehen. Auffälliges<br />

Merkmal des Gebäudes<br />

wird eine innere, gestufte<br />

„Straße“ sein, die über die<br />

gesamte Länge ansteigt<br />

<strong>und</strong> sowohl Entspannungsbereiche<br />

als auch informelle<br />

Treffpunkte bietet <strong>und</strong><br />

nicht zuletzt den Besuchern<br />

direkte Einsichten in die<br />

Arbeit der BBC Scotland<br />

ermöglicht.<br />

In der Konstruktion aus<br />

Stahlbetonrahmen, die auf<br />

den F<strong>und</strong>amenten eines<br />

ehemaligen Hafengebäudes<br />

gegründet sind, stehen<br />

Box-in-Box Studios.<br />

Das BBC Headquarter ist<br />

Chipperfields erstes großes<br />

Projekt in <strong>Schottland</strong>.<br />

65


Glasgow<br />

Kibble-Palace<br />

66<br />

Kibble Palace<br />

Standort: Glasgow<br />

Baujahr: 1872<br />

Architekt: John Kibble<br />

Ingenieur: John Kibble<br />

Literatur: Kohlmaier, Georg; von Sartory, Barna: Das<br />

Glashaus – ein Bautypus des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts,<br />

München, 1981<br />

Ullrich, Ruth-Maria: Glas-Eisen Architektur –<br />

Pflanzenhäuser des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, Worms,<br />

1989 Detail 1/1991<br />

1865 errichtete sich der Architekt<br />

<strong>und</strong> Ingenieur John<br />

Kibble sein privates Glashaus.<br />

Fünf Jahre später<br />

schlug er der Stadtbehörde<br />

der Stadt Glasgow vor, seine<br />

entwickelte Glas-Eisenkonstruktion<br />

für einen Neubau,<br />

der von ihm gestiftet<br />

werden sollte, zu verwenden.<br />

Insgesamt sollte der<br />

neue „Kristallpalast“ 10.000<br />

Menschen fassen können.<br />

Da John Kibble auch ein<br />

guter Geschäftsmann war,<br />

knüpfte er eine Bedingung<br />

an seine Stiftung. Der durch<br />

den Betrieb des Bauwerks<br />

entstehende Profit über<br />

zwanzig Jahre sollte ihm<br />

gehören. Während dieser<br />

Zeit besaß er auch das<br />

Recht, das Gebäude für<br />

Veranstaltungen seiner<br />

Wahl zu nutzen <strong>und</strong> eine<br />

Eintrittsgebühr zu erheben.<br />

Schließlich wurde im Mai<br />

1872 sein privates Gewächshaus<br />

abgetragen<br />

<strong>und</strong> in erweiterter Form in<br />

Glasgow wieder aufgebaut.<br />

Der Durchmesser der Kuppel<br />

vergrößerte sich auf<br />

44,5 Meter, der Verbindungsgang<br />

auf 11 Meter<br />

<strong>und</strong> die beiden Seitenflügel<br />

auf eine Länge von 45,75<br />

Meter.<br />

Die Konstruktion besteht<br />

aus Eisen <strong>und</strong> Glas. Das<br />

große Gewölbe wird durch<br />

36 gusseiserne, innenlie-<br />

gende, in zwei Ringen angeordnete<br />

Stützen mit 12<br />

cm Durchmesser getragen.<br />

Der innere Kreis wird von<br />

12 , der äußere Ring von<br />

24 Säulen gebildet. Über<br />

zwei ebenfalls ringförmigen<br />

Bindern werden die Dachlasten<br />

in die Stützen abgeleitet.<br />

Zur Aussteifung werden<br />

Rahmenecken aus<br />

Gusseisen herangezogen.<br />

Diese sind mit reicher Ornamentik<br />

versehen.<br />

Die kleinere Kuppel ist in<br />

ähnlicher Weise konstruiert.<br />

Hier unterstützen<br />

sechs Säulen das Dach.<br />

Die Binderringe, aus seitlich<br />

offenen Kästen ausgebildet<br />

<strong>und</strong> aus Einzelteilen<br />

vorgefertigt, sind miteinander<br />

sowie den Stützen verschraubt.<br />

Auf den Bindern<br />

liegen die kurvenlinear gebogenen,schmiedeeisernen<br />

Spanten des Dachs<br />

auf. Das Netzwerk der<br />

Spanten geht aus der<br />

Dachschräge in eine senkrechte<br />

Anschlusswand<br />

über, die auf einem r<strong>und</strong>umgeführtenSandsteinsockel<br />

aufliegt. Der tambourartige<br />

Übergang wird<br />

durch zwei horizontale Ringe<br />

aus elementierten Gusseisenprofilen<br />

gebildet.<br />

Dieser Teil der Konstruktion<br />

dient sowohl als Aussteifung<br />

als auch als Anbringungsmöglichkeit<br />

eines<br />

Kranzes von Lüftungsfenstern<br />

r<strong>und</strong> um das gesamte<br />

Bauwerk. Die Spanten<br />

laufen zum Mittelpunkt der<br />

Kuppel zusammen <strong>und</strong><br />

schließen dort mit einem<br />

Laternenring ab. Mittels einer<br />

als ein blumenartiges<br />

Ornament wirkenden Rosette<br />

werden die enggewordenen<br />

Glasfelder aufgefangen<br />

<strong>und</strong> nur jede dritte<br />

Spante wird zum Ring<br />

weitergeführt.


Die Glaskorridore werden<br />

stützenlos durch dieselbe<br />

Spantenkonstruktion gebildet.<br />

Wie sorgfältig die Glas-Eisenkonstruktionausgearbeitet<br />

war, zeigt sich an den<br />

Schnittlinien der parabolisch<br />

gebogenen Flächen,<br />

dort wo die Glasgewölbe<br />

von Kuppel <strong>und</strong> Korridor<br />

aufeinander treffen. Die<br />

Rippe der Schnittlinie ist<br />

ohne konstruktiven Aufwand,<br />

ganz aus den Bedingungen<br />

der Glas-Eisenkonstruktion<br />

abgeleitet, ausgebildet.<br />

Besonders zu erwähnen ist<br />

noch die Tatsache, dass die<br />

statischen Eigenschaften<br />

Glasgow<br />

Kibble-Palace<br />

des Materials bis zur äußersten<br />

Grenze ausgenutzt<br />

wurden. Selbst das Glas<br />

wird als versteifendes Element<br />

eingesetzt. Die extreme<br />

Ausnutzung des Materials<br />

hinsichtlich der Tragfunktion<br />

beweist die elastische<br />

Verformung der Kuppelkonstruktion<br />

in Form einer<br />

Rotationsverformung<br />

der Spanten, die bis zum<br />

Aufliegen der Kanten der<br />

Glasscheiben an den Profilen<br />

eine Verformung mitmachen.<br />

Wie man sieht haben diese<br />

konstruktiven Gegebenheiten<br />

das Gebäude nicht<br />

gefährdet. Im Gegenteil,<br />

das Gebäude besteht bereits<br />

seit über 100 Jahren.<br />

67


Glasgow<br />

School of Art<br />

68<br />

Glasgow School of Art<br />

Standort: Glasgow<br />

Baujahr: 1897 – 1899 (1.Phase: Mitteltrakt <strong>und</strong> Ostflügel)<br />

1907 – 1909 (2.Phase: Westflügel)<br />

Bauherr: Glasgow School of Art<br />

Architekt: Charles Rennie Mackintosh<br />

Literatur: William Buchanan: Mackintosh’s Masterwork.<br />

The Glasgow School of Art, Glasgow 1989<br />

Jean-Claude Garcias: Charles Rennie Mackintosh,<br />

Basel 1989<br />

James Macaulay: Architecture in detail.<br />

The Glasgow School of Art, London 1993<br />

Die Glasgow School of Art<br />

ist eines der Hauptwerke<br />

von Charles Rennie<br />

Mackintosh. Bei ihrer Eröffnung<br />

von der Öffentlichkeit<br />

als „zu modernistisch“ kritisiert,<br />

geriet sie zwischen<br />

1914 <strong>und</strong> 1945 weitgehend<br />

in Vergessenheit <strong>und</strong> ist bis<br />

heute anders als die Wohnhäuser<br />

Mackintoshs fast<br />

unverändert erhalten geblieben.<br />

Die Kunstkritik ordnet<br />

den Bau zwischen Klassik<br />

<strong>und</strong> Moderne ein, sieht<br />

ihn geprägt von keltischer<br />

Mystik <strong>und</strong> subjektivem Jugendstil<br />

einerseits <strong>und</strong><br />

pädogogischem Funktionalismus<br />

<strong>und</strong> konstruktiver<br />

Rationalität andererseits.<br />

Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

war Glasgow eine Stadt der<br />

Neureichen ohne nennenswerte<br />

wissenschaftliche<br />

oder künstlerische Tradition.<br />

Um sich diesbezüglich<br />

zu etablieren, setzte eine<br />

bewußte Förderung der<br />

Kunst ein; Künstler wurden<br />

in die Stadt geworben <strong>und</strong><br />

Museen eingerichtet, für<br />

die man Kunstgegenstände<br />

aus dem Rest Europas sowie<br />

aus Japan einkaufte.<br />

Einer der Hauptakteure<br />

hierbei war Francis<br />

Newbery, Zeichenlehrer in<br />

London, der 1885 den Ruf<br />

als Professor an die<br />

Glasgower Kunstgewerbeschule<br />

erhielt, an der<br />

Mackintosh zu dieser Zeit<br />

studierte. Mit Newbery veränderte<br />

sich der Charakter<br />

der Schule zu einem stärker<br />

akademisch geprägten.<br />

Er bemühte sich, die Zugehörigkeit<br />

der Schule <strong>und</strong><br />

seiner eigenen Person zur<br />

europäischen Künstlergemeinde<br />

herzustellen, indem<br />

er stets den langen<br />

schwarzen Umhang der<br />

Bergleute <strong>und</strong> Feuerwehrmänner<br />

trug <strong>und</strong> sich den<br />

Beinamen „Fra“ nach dem<br />

italienischen Mönch <strong>und</strong><br />

Meister der Frührenaissance<br />

Fra Angelico<br />

gab. Seine Frau, Professorin<br />

für Kunststickerei, organisierte<br />

internationale<br />

Künstlerzusammenkünfte<br />

in Glasgow; Josef<br />

Hoffmann, Joseph Olbrich<br />

<strong>und</strong> Otto Wagner aus Wien<br />

kamen als Ehrengäste.<br />

Dieses neue Image der<br />

Schule wollte Newbery<br />

durch ein neues Gebäude<br />

untermauern, wozu sich die<br />

Gelegenheit bot, als ihm<br />

1895 ein Mäzen ein Gr<strong>und</strong>stück<br />

in einer der „guten<br />

Gegenden“ der Stadt zwischen<br />

Renfrew Street im<br />

Norden <strong>und</strong> Sauchiehall<br />

Street im Süden schenkte.<br />

Newbery sammelte Spenden<br />

für den Bau <strong>und</strong> rief 12<br />

Architekten zu einem<br />

Ideenwettbewerb auf. Der<br />

erste Preis ging an<br />

Honeyman & Keppie, aber<br />

Newbery setzte<br />

Mackintosh, inzwischen<br />

Partner in diesem Büro, als<br />

alleinigen Architekten<br />

durch. Fortan arbeitete er<br />

selbst eng mit ihm zusammen<br />

<strong>und</strong> brachte viele eigene<br />

Gedanken in den Entwurf<br />

ein.<br />

Das Konzept wurde vor allem<br />

von drei Punkten geprägt:<br />

Der Bau mußte in<br />

zwei Phasen entstehen,<br />

weil die gesammelten<br />

Spenden nicht für das<br />

Gesamtprojekt ausreich-


ten. Auf dem Umweg über<br />

das Gebäude sollte außerdem<br />

der Schwerpunkt der<br />

Schule endgültig zu Lasten<br />

des Kunstgewerbes in<br />

Richtung Kunst verschoben<br />

werden, indem mehr<br />

Ateliers <strong>und</strong> weniger Werkstätten<br />

vorgesehen wurden.<br />

Und schließlich sollte<br />

es eine Abendschule geben,<br />

die das aktuelle Problem<br />

der elektrischen Beleuchtung<br />

in den Entwurf<br />

brachte, das in den Kunstgewerbeschulen<br />

von London<br />

<strong>und</strong> Birmingham bereits<br />

gelöst war.<br />

Weitere Vorgaben waren<br />

durch den Bauplatz gegeben:<br />

Das Gr<strong>und</strong>stück ist ein<br />

langgestrecktes Rechteck,<br />

das nach Süden stark abfällt,<br />

so dass sich drei völlig<br />

unterschiedliche Fassaden<br />

ergeben. Entlang der<br />

Renfrew Street ist die Fassade<br />

ein liegendes, von<br />

Atelierfenstern <strong>und</strong> Eingängen<br />

durchlöchertes Rechteck<br />

mit 4 Stockwerken (außen<br />

nur 2 ablesbar), während<br />

im Osten <strong>und</strong> Westen<br />

hohe Steilwände von 7<br />

Stockwerken entstehen.<br />

Durch ihre unregelmäßigen<br />

kleinen Fensterdurchbrüche<br />

erinnern sie eher an<br />

die schottischen Wehrschlösser<br />

des Mittelalters.<br />

Die Nordfassade ist durch<br />

eine gewisse Asymmetrie<br />

gekennzeichnet, die sich<br />

aus dem versetzten Mittelteil<br />

<strong>und</strong> der Gliederung der<br />

Atelierfronten in drei große<br />

bzw. zwei große <strong>und</strong> zwei<br />

kleine Fensteröffnungen<br />

ergibt. Die Ostfassade hat<br />

einen geschlossenen <strong>und</strong><br />

einen durchfensterten Teil;<br />

die Fensterteilung ist auch<br />

hier leicht asymmetrisch.<br />

Glasgow<br />

School of Art<br />

Zwei gewölbte Fenster<br />

kennzeichnen die Lage des<br />

Sitzungsaales. Auch die<br />

Westfassade ist in einen<br />

geschlossenen <strong>und</strong> einen<br />

offenen Teil gegliedert, der<br />

hier durch drei verglaste<br />

Erker besonders betont<br />

wird; der geschlossene Teil<br />

hat eine aussteifende<br />

Funktion für die großflächig<br />

verglasten Ateliers an der<br />

Nordseite. Die Kanten der<br />

Erker sind unverziert, ebenso<br />

die Wand darunter. Im<br />

Vergleich zur Ostfassade<br />

zeigt sich hier ein gr<strong>und</strong>legender<br />

Stilwandel. Auf der<br />

Südseite liegt der<br />

Bibliothekserker innerhalb<br />

der Wandebene. Die verwendeten<br />

Materialien sind<br />

traditionell, teilweise aber<br />

ungewöhnlich bearbeitet.<br />

Die drei Straßenfronten<br />

bestehen aus dem örtlichen<br />

graugelben Granit,<br />

der sich in vielen<br />

Glasgower Bauten wiederfindet;<br />

die Rückfront dagegen<br />

ist eine verputzte<br />

Ziegelwand mit<br />

schießschartenartigen<br />

Fenstern ähnlich denen der<br />

Ostfassade.<br />

Aus der Gr<strong>und</strong>rißform, die<br />

ein E bildet, ergibt sich ein<br />

maximaler Fassadenanteil<br />

an den Hauptstraßen, der<br />

besonders das Nordlicht für<br />

die Ateliers optimal nutzt.<br />

Das Gebäude wird über<br />

drei Treppenhäuser in Mittel-<br />

<strong>und</strong> Seitentrakten erschlossen,<br />

die durch Korridore<br />

verb<strong>und</strong>en sind. Im<br />

Haupttrakt sind über vier<br />

Etagen Unterrichtsräume,<br />

Ateliers <strong>und</strong> Werkstätten<br />

untergebracht, im Ostflügel<br />

Räume für Entwurf <strong>und</strong><br />

Modellzeichnen, im Westflügel<br />

die Bibliothek <strong>und</strong> im<br />

Mitteltrakt ein kleines Museum.<br />

Die Verteilung der Räume<br />

zeigt dabei eine klare, für<br />

die Jahrh<strong>und</strong>ertwende übliche<br />

Hierarchie: Im Erdgeschoß<br />

befinden neben dem<br />

Sekretariat <strong>und</strong> einem Laden<br />

die Anfängerklassen,<br />

im ersten Stock die<br />

Zeichenräume, Säle für<br />

antike Vorlagen, das Museum<br />

<strong>und</strong> die Bibliothek <strong>und</strong><br />

auf der Mittelachse<br />

Newberys Direktoren-<br />

69


Glasgow<br />

School of Art<br />

70<br />

zimmer. Die Seitenflügel<br />

haben ein Zwischengeschoß<br />

mit der Bibliotheksgalerie<br />

im Westen <strong>und</strong> dem<br />

Aktzeichensaal im Osten.<br />

Im zweiten Stock schließlich<br />

liegen der Stickereiraum,<br />

die Prüfungsräume<br />

sowie die Professorenateliers.<br />

Alle Räume sind<br />

elektrisch beleuchtet <strong>und</strong><br />

werden nach einem ausgefeilten<br />

System beheizt <strong>und</strong><br />

belüftet, das man wohl als<br />

die erste „Klimaanlage“ bezeichnen<br />

kann. Lediglich<br />

einige Werkstätten <strong>und</strong> das<br />

Direktorenzimmer haben<br />

noch einen eigenen Kamin.<br />

Das Tragwerk ist ein gemischtes<br />

Tragwerk aus<br />

Mauerwerks- <strong>und</strong> frühem<br />

Skelettbau. Die Aussteifung<br />

erfolgt über die massiv<br />

gebauten kleineren<br />

Räume <strong>und</strong> Korridore der<br />

Südseite, den massiven<br />

Mitteltrakt sowie die geschlossenenWandscheiben<br />

der Ost- <strong>und</strong><br />

Westfassade. Die Ateliers<br />

mit großen Spannweiten<br />

entlang der Nordfassade<br />

sind kein reiner Skelettbau,<br />

da die Lasten in Mauerscheiben<br />

<strong>und</strong> nicht in Stützen<br />

abgeleitet werden ,<br />

aber sicherlich als eine Vorstufe<br />

zu betrachten. Die<br />

Räume werden von Haupt<strong>und</strong><br />

Nebenträgern in einer<br />

Ebene überspannt, wobei<br />

die Hauptträger quer zur<br />

Nordfassade verlaufen. Sie<br />

bestehen aus Eisen <strong>und</strong><br />

sind mit Putz ummantelt.<br />

Die großen Fensteröffnungen<br />

werden durch<br />

ein Zusammenziehen der<br />

Lasten in massiven Pfeilern<br />

möglich. Im Sekretariat im<br />

gleichen Stockwerk wurden<br />

wegen der kleineren<br />

Spannweite Holzbalken<br />

verwendet. Die<br />

Diplomandenateliers im<br />

zweiten Stock haben eben-<br />

falls ein gerichtetes Tragwerk.<br />

Obwohl die Lasten<br />

hier insgesamt kleiner als<br />

in den Ateliers darunter<br />

sind, liegen die Hauptträger<br />

in engerem Abstand. Durch<br />

die viel geringere Last je<br />

Träger konnten so schlankere<br />

Stützen verwendet<br />

werden, um das durchgehende<br />

Fensterband nicht<br />

zu zerteilen. Der Dachstuhl<br />

über dem Direktorenzimmer<br />

wird von Sparren<br />

getragen, die auf einem<br />

Einfeldträger mit 8,50 m<br />

Spannweite aufliegen. Über<br />

dem Museum stützt sich<br />

das Dach auf vier Träger<br />

mit 9,50 m Spannweite, die<br />

auf Nord- <strong>und</strong> Südwand<br />

aufliegen. Das Tragwerk<br />

besteht hier aus einem<br />

Biegebalken, der an beiden<br />

Enden aufliegt <strong>und</strong> in der<br />

Mitte an einem Hängewerk<br />

befestigt ist. Die Flächenlasten<br />

werden dadurch als<br />

Punktlasten auf den Biegeträger<br />

übertragen. Verglichen<br />

mit einem einfachen<br />

biegebeanspruchten Träger<br />

kann der Biegebalken<br />

hier um ¼ geringer dimensioniert<br />

werden. Die Ateliers<br />

der Bildhauer befinden<br />

sich – aus Gewichtsgründen<br />

– im Keller. Sie<br />

werden durch ein geneigtes<br />

Glasdach belichtet, das<br />

von 7,50 m weit spannenden<br />

Trägern getragen wird.<br />

In einem Teil des Kellers<br />

handelt es sich dabei ähnlich<br />

wie im Museum um<br />

Einfeldträger mit Hängewerk,<br />

im anderen ist es ein<br />

normales Pfettendach. Die<br />

repräsentativen Räume<br />

sind in Material <strong>und</strong> Konstruktion<br />

aufwändiger ausgeführt<br />

als die Werkstätten.<br />

An Holzverarbeitung <strong>und</strong><br />

konstruktiver sowie formaler<br />

Gestaltung der Dachstühle<br />

ist die Erfahrung der<br />

Zimmerleute ablesbar, die<br />

größtenteils aus dem<br />

Schiffbau kamen.<br />

Die Metallsprossen der<br />

Fenster mit ihren kleinen<br />

Rechtecken leiten sich aus<br />

dem Vorbild eines historischen<br />

Sprossenfensters<br />

ab <strong>und</strong> werden von<br />

Mackintosh in vielen seiner<br />

Arbeiten verwendet; in der<br />

School of Art tauchen sie<br />

beim Direktorenzimmer in


der Nordfassade, am Hörsaal<br />

in der Ostfassade <strong>und</strong><br />

bei der Bibliothek in der<br />

Westfassade auf. Die Ateliers<br />

<strong>und</strong> Zeichensäle haben<br />

dagegen einen neuen<br />

Fenstertyp; die Fenster des<br />

Erdgeschosses setzen sich<br />

aus je zehn Feldern von<br />

2,10 m x 1,10 m zusammen,<br />

im ersten Stock sind<br />

es je zwanzig Felder. Ähnliche<br />

Fassadenöffnungen<br />

werden zu dieser Zeit auch<br />

von Josef Hoffmann <strong>und</strong><br />

Adolf Loos verwendet.<br />

Der Einsatz von Schmiedeeisen<br />

ist nicht nur eine Anlehnung<br />

an alte schottische<br />

Fenstervergitterungen,<br />

sondern zeigt auch die<br />

handwerklichen Fähigkeiten<br />

der Metallarbeiter in<br />

den Glasgower Werften.<br />

Mackintosh bildet das historische<br />

Gittermotiv zu<br />

Tulpensträußen <strong>und</strong> japanischen<br />

Wappenmotiven um,<br />

in denen möglicherweise<br />

auch stilisierte Geschöpfe<br />

zu erkennen sind. Vor den<br />

Atelierfenstern im ersten<br />

Stock ist ein weit vorspringendes<br />

schmiedeeisernes<br />

Gesims angebracht, dessen<br />

Eisenstangen in filigranen<br />

Kugeln enden, die sich<br />

an die Grifform des schottischenClaymore-Schwertes<br />

anlehnen. Die Stangen<br />

versteifen einerseits die<br />

Fensterahmen, halten aber<br />

gleichzeitig eiserne Auskragungen,<br />

die als Halterungen<br />

für die Leitern der Fensterputzer<br />

vorgesehen<br />

sind. In den Auskragungen<br />

zeigt sich bereits<br />

Mackintoshs Vorliebe für<br />

das Quadrat, die er später<br />

in seinen Möbelentwürfen<br />

weiterverfolgt.<br />

Die kunstgeschichtlich bedeutendsten<br />

Räume der<br />

ersten Bauphase sind das<br />

Direktorenzimmer <strong>und</strong> der<br />

Beratungsraum, der durch<br />

vier fünfmal so hohe wie<br />

breite gegenüberliegende<br />

Fenster in der Ost- <strong>und</strong> der<br />

Westwand belichtet wird.<br />

Sie liegen bündig in der<br />

Außenwand <strong>und</strong> sind bis<br />

zum Boden gezogen; die<br />

Decke <strong>und</strong> ihre Eisenträger<br />

sind weiß gestrichen, um<br />

das einfallende Licht maximal<br />

auszunutzen. Seit der<br />

Glasgow<br />

School of Art<br />

letzten Restaurierung stehen<br />

die dunklen Eichenmöbel<br />

außerdem vor<br />

schneeweißen Wänden<br />

<strong>und</strong> Gardinen. Zu<br />

Mackintoshs Zeiten war<br />

sein Konzept niemals so<br />

konsequent umgesetzt<br />

worden, da der Raum aus<br />

Platzmangel die meiste<br />

Zeit als Malraum genutzt<br />

wurde. Heute heißt er<br />

Mackintosh-Zimmer <strong>und</strong><br />

dient als Ausstellungsraum<br />

für die Möbelstücke, die<br />

aus Windy Hill <strong>und</strong> anderen<br />

Privatbesitzen in der<br />

School of Art untergekommen<br />

sind. Das Direktorenzimmer<br />

ist ein anderer der<br />

„weißen Räume“, die<br />

Mackintosh als Gegenwelt<br />

zur rußigen Industriestadt<br />

draußen geschaffen hat. Er<br />

erhält einen besonderen<br />

Akzent durch die Ausbuchtung<br />

der Fassade, in der<br />

der Schreibtisch des Direktors<br />

steht.<br />

Während der zweiten Bauphase<br />

wurde neben dem<br />

Anbau der Bibliothek über<br />

den Mittelteil ein<br />

Verbindungsgang zwischen<br />

Ost- <strong>und</strong> Westflügel<br />

aufgesetzt, die Diplomstudios<br />

im zweiten Stock<br />

hinzugefügt <strong>und</strong> im Ostflügel<br />

ein zusätzliches<br />

Treppenhaus eingebaut.<br />

Die Bibliothek an sich ist<br />

geometrischer <strong>und</strong> stärker<br />

vom japanischen Stil geprägt.<br />

Sie ist ganz aus Holz,<br />

hat tiefe Fenstereinschnitte<br />

in West- <strong>und</strong> Südwand,<br />

eine quadratische Gr<strong>und</strong>fläche<br />

von 9,50 m x 9,50 m<br />

<strong>und</strong> reicht über zwei Etagen<br />

– wieder eine Anlehnung an<br />

die schottischen Wehrschlösser,<br />

hier wird deren<br />

Halle aufgegriffen. Zwei<br />

Reihen von je vier Stützen<br />

71


Glasgow<br />

School of Art<br />

72<br />

über den Deckenbalken<br />

des darunterliegenden Geschosses<br />

teilen den quadratischen<br />

Raum in drei<br />

Längsschiffe. Sie sind 6 m<br />

hoch <strong>und</strong> stützen die Kassettendecke,<br />

die außerdem<br />

an Eisenzugstäben im Magazin<br />

über den Bibliotheksräumen<br />

aufgehängt ist. Die<br />

auf Höhe des zweiten Geschosses<br />

umlaufende Galerie<br />

wird nicht bis an die<br />

Pfeiler herangezogen, son-<br />

dern liegt auf einem<br />

Zwillingsbalken auf, der als<br />

Zangenkonstruktion an die<br />

Stützen anschließt. Die von<br />

Mackintosh entworfenen<br />

Lampen der Bibliothek verbinden<br />

im Kleinen ebenfalls<br />

wieder mittelalterliche <strong>und</strong><br />

japanische Vorbilder; sie<br />

sind eine Kombination aus<br />

an Ketten aufgehängten<br />

Kandelabern <strong>und</strong> Lampenschirmen<br />

aus feinen Holzplättchen.


Glasgow<br />

School of Art<br />

73


Glasgow-Birmingham<br />

New Lanark<br />

74<br />

New Lanark <strong>und</strong> Robert Owen<br />

Literatur: whc.unesco.org<br />

www.newlanark.org<br />

spartacus.schoolnet.co.uk<br />

David Dale, Sohn eines<br />

Einzelhandelskaufmanns,<br />

hatte zunächst eine Weberlehre<br />

gemacht <strong>und</strong> später<br />

als reisender Agent den<br />

Heimwebern ihr Leinen abgekauft,<br />

bevor er sich in<br />

Glasgow mit dem Import<br />

von Garn aus Holland <strong>und</strong><br />

Belgien selbständig gemacht<br />

hatte. 1784 lernte er<br />

Richard Arkwright, den Erfinder<br />

der Spinning Jenny,<br />

kennen <strong>und</strong> gründete mit<br />

dessen Hilfe seine eigene<br />

Baumwollspinnerei, die<br />

New Lanark Cotton Mills<br />

nahe der Stadt Lanark an<br />

den Clyde Wasserfällen<br />

südlich von Glasgow, denen<br />

bald weitere Fabriken<br />

in Blantyre, Sutherland <strong>und</strong><br />

Oban folgten.<br />

Dale baute um seine Fabriken<br />

herum ein ganzes Dorf<br />

für die Familien, die größtenteils<br />

aus den Highlands<br />

kamen <strong>und</strong> nach den clearances<br />

(d.h. der Landvertreibung<br />

der Pächter durch<br />

die Landbesitzer während<br />

der agrarischen Revolution)<br />

auf ein besseres Leben<br />

hofften; die meisten von ihnen<br />

hatten noch nie zuvor<br />

so große <strong>und</strong> hohe Gebäude<br />

gesehen. Um seine<br />

Spinnmaschinen zu bedienen,<br />

holte Dale außerdem<br />

H<strong>und</strong>erte von Waisenkindern<br />

aus Glasgow <strong>und</strong><br />

Edinburgh; die Kinder<br />

konnten leichter unter den<br />

Maschinen hindurchkriechen<br />

<strong>und</strong> waren außerdem<br />

die billigsten zur Verfügung<br />

stehenden Arbeitskräfte.<br />

Von den etwa 2000 Arbeitern,<br />

die 1790 in New Lanark<br />

lebten, waren 500 Kinder<br />

unter zehn Jahren.<br />

Dale gehörte zu diesem<br />

Zeitpunkt die größte Textilfabrik<br />

Englands <strong>und</strong> er war<br />

bekannt dafür, dass er seine<br />

Arbeiter – für seine Zeit<br />

– gut behandelte; sie galten<br />

als „well fed and<br />

clothed“. Aber es gab kaum<br />

Schulbildung, die sanitären<br />

Verhältnisse <strong>und</strong> die Unterbringung<br />

waren unerträglich.<br />

1799 übernahm Dales<br />

Schwiegersohn Robert<br />

Owen die Fabrik. In einer<br />

Rede vor Robert Peels<br />

House of Commons Committee<br />

beschreibt er 1816,<br />

in dem Jahr, in dem er in<br />

New Lanark die erste Vorschule<br />

Großbritanniens<br />

einrichtete, die Situation bei<br />

seiner Übernahme:<br />

[...] I fo<strong>und</strong> that there were<br />

500 children, who had<br />

been taken from poorhouses,<br />

chiefly in<br />

Edinburgh, and those<br />

children were generally<br />

from the age of five and<br />

six, to seven to eight. The<br />

hours at the time were<br />

thirteen. Although these<br />

children were well fed<br />

their limbs were generally<br />

deformed, their growth<br />

was stunted, and although<br />

one of the best<br />

schoolmasters was<br />

engaged to instruct these<br />

children regularly every<br />

night, in general they<br />

made very slow progress,<br />

even in learning the<br />

common alphabet. I came<br />

to the conclusion, that the<br />

children were injured by<br />

being taken into the mills<br />

at this early age, and<br />

employed for so many


hours; therefore, as soon<br />

as I had it in my power, I<br />

adopted regulations to put<br />

an end to a system which<br />

appeared to me so<br />

injurious. 1<br />

Owen gilt als einer der Väter<br />

des Frühsozialismus. Er<br />

begründete das cooperative<br />

movement <strong>und</strong> glaubte<br />

an die Kontrolle durch die<br />

Arbeiter, obwohl er selbst<br />

hochrangiger Kapitalist<br />

war. Er glaubte, dass, wenn<br />

die Arbeiterklasse je<br />

Gleichheit erreichen wollte,<br />

die Arbeiter zunächst ihre<br />

eigenen Einstellungen ändern<br />

mussten. Vor allem<br />

mussten sie sich ihrer Forderungen<br />

<strong>und</strong> Anliegen bewusst<br />

sein, an ihre Rechte<br />

glauben <strong>und</strong> dazu befähigt<br />

werden, für ihre Ziele zu<br />

kämpfen. Dabei hielt er<br />

staatliche Erziehung für<br />

unerlässlich, um das Schulwesen<br />

von der Enge individueller<br />

Vorstellungen <strong>und</strong><br />

des kirchlichen Dogmatismus<br />

zu befreien. Für ihn<br />

war Erziehung die Lösung<br />

aller sozialen Übel, aber<br />

ihre traditionelle Spielart<br />

verewigte nur die Ignoranz<br />

<strong>und</strong> die ergebene Akzeptanz<br />

von Irrtümern <strong>und</strong> Irrlehren.<br />

Er war überzeugt,<br />

dass die Weiterentwicklung<br />

der Menschheit durch die<br />

Verbesserung der Umwelt<br />

des Einzelnen gefördert<br />

werden könne. Wenn das<br />

gesellschaftliche Sein den<br />

Charakter eines Menschen<br />

bestimme, folgerte er, müsse<br />

eine Verbesserung des<br />

gesellschaftlichen Seins<br />

wiederum den Charakter<br />

verbessern. Ohne eine Verbesserung<br />

dieses Seins je-<br />

Glasgow-Birmingham<br />

New Lanark<br />

denfalls, sei auch keine<br />

Veränderung des Charakters<br />

zu erwarten. Owens<br />

Ansatz war damit nicht rein<br />

humanitär, er stand vielmehr<br />

den Utilitaristen nahe,<br />

die davon überzeugt waren,<br />

dass irrationale Handlungen<br />

<strong>und</strong> Systeme, <strong>und</strong><br />

dazu zählte auch die Ausbeutung<br />

der Arbeiter, auf<br />

lange Sicht keinen optimalen<br />

Nutzen für eine Gesellschaft<br />

haben könnten:<br />

Handlungen seien nur<br />

dann moralisch richtig,<br />

wenn sie auf lange Sicht<br />

zum größtmöglichen Glück<br />

aller führen, <strong>und</strong> nicht etwa<br />

zum größtmöglichen<br />

Reichtum einer Gruppe<br />

oder Klasse.<br />

Als erste Maßnahmen legte<br />

Owen fest, keine weiteren<br />

Kinder aus den Armenhäusern<br />

in die Fabrik zu<br />

holen. New Lanark wurde<br />

eine Modell-Fabrik <strong>und</strong> ein<br />

Modell-Dorf für seine Vision.<br />

Die Fabriken waren<br />

sauber, die Arbeitszeit für<br />

Frauen <strong>und</strong> Kinder mit 12<br />

St<strong>und</strong>en einschließlich eineinhalb<br />

St<strong>und</strong>en Pause relativ<br />

kurz; Kinder unter zehn<br />

Jahren wurden gar nicht<br />

beschäftigt. Er ließ gemessen<br />

an der Zeit komfortable<br />

Reihenhäuser bauen<br />

<strong>und</strong> richtete einen Laden<br />

ein, in dem qualitativ hochwertige<br />

Produkte zu kaum<br />

mehr als ihrem Herstellungspreis<br />

verkauft wurden,<br />

während anderswo Arbeiter<br />

gezwungen wurden, die<br />

Waren für ihren Lebensunterhalt<br />

zu überhöhten Preisen<br />

in der Fabrik gehörenden<br />

Läden zu kaufen. Der<br />

geringe Gewinn aus Owens<br />

Laden floß direkt in die<br />

Schule für die Kinder der<br />

Arbeiter <strong>und</strong> die Waisenkinder.<br />

Der Verkauf von Alkohol<br />

war strikt begrenzt. Er<br />

führte Auszeichnungen für<br />

Sauberkeit <strong>und</strong> gutes Benehmen<br />

ein, die er seinen<br />

Arbeitern selbst beispielhaft<br />

vorzuführen versuchte;<br />

denn Owen war Paternalist.<br />

Während des amerikanischen<br />

Embargos 1806<br />

standen die Maschinen vier<br />

Monate lang still, aber<br />

Owen bezahlte den Arbeitern<br />

dennoch ihren vollen<br />

75


Glasgow-Birmingham<br />

New Lanark<br />

76<br />

Lohn, was ihm große Bew<strong>und</strong>erung<br />

<strong>und</strong> Achtung<br />

eintrug; danach konnte er<br />

den Alkoholismus <strong>und</strong><br />

Diebstahl noch weiter reduzieren.<br />

Der Gewinn aus<br />

dem Laden floß direkt in die<br />

Schule für die Kinder der<br />

Arbeiter.<br />

1813 überwarf er sich mit<br />

seinen Teilhabern, denen<br />

mißfiel, dass die Gewinne,<br />

die New Lanark erwirtschaftete,<br />

nicht so hoch<br />

waren, wie sie hätten sein<br />

können, wenn auf all die<br />

Wohlfahrtsleistungen verzichtet<br />

worden wäre. Owen<br />

zahlte sie aus <strong>und</strong> hatte<br />

nun freie Hand. Neben der<br />

theorethischen Ausarbeitung<br />

seiner Ideen, u.a. mit<br />

Jeremy Bentham, dem<br />

Theoretiker des Utilitarismus,<br />

eröffnete er 1816 in<br />

New Lanark die erste infant<br />

school ( = <strong>Institut</strong>e for the<br />

formation of the character)<br />

Großbritanniens. Erziehung<br />

sah er dabei als etwas<br />

ganz Anderes als Informationsvermittlung:<br />

„Education must seek to<br />

promote higher ideals and<br />

achievements, and should<br />

be more than pure root<br />

learning.” In seiner Schule<br />

wurden Kinder zwischen<br />

drei <strong>und</strong> zehn Jahren unterrichtet;<br />

wenn es sich die<br />

Eltern leisten konnten, die<br />

Kinder dann noch nicht zur<br />

Arbeit zu schicken, konnten<br />

sie bis zum dreizehnten<br />

Lebensjahr bleiben. Gr<strong>und</strong>prinzipien<br />

der Schule waren,<br />

dass die Kinder nicht<br />

geschlagen <strong>und</strong> immer<br />

fre<strong>und</strong>lich angesprochen<br />

wurden. Die Ethik der<br />

Schule basierte auf Owens<br />

„rational approach“: keine<br />

Strafen, nur Ermutigung<br />

<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>lichkeit;Lesen,<br />

Schreiben <strong>und</strong> Arithmie ergänzt<br />

durch Singen <strong>und</strong><br />

Tanzen, Lehrmittel wie z.B.<br />

große, farbige Leinwände.<br />

New Lanark fand internationale<br />

Anerkennung, als<br />

Owens „Experimente“ tatsächlich<br />

zu gesteigerter<br />

Produktivität <strong>und</strong> größeren<br />

Profiten führten. Zwischen<br />

1814 <strong>und</strong> 1824 wurden<br />

jährlich 2000 Besucher,<br />

Staatsoberhäupter, Politiker<br />

<strong>und</strong> Reformer, verzeichnet.<br />

Je mehr Owens<br />

Ziele Bestandteile der sich<br />

kontinuierlich entwickelnden<br />

britischen Arbeiterbewegung<br />

wurden, desto geringer<br />

wurde die Aufmerksamkeit,<br />

die diesem einzelnen<br />

Projekt entgegen gebracht<br />

wurde.<br />

Erst 1967 wurde die Fabrik<br />

geschlossen, <strong>und</strong> in den<br />

70er Jahren wäre die Anlage<br />

fast abgerissen worden.<br />

Der New Lanark Preservation<br />

Trust übernahm jedoch,<br />

<strong>und</strong> die UNESCO erklärte<br />

das vollständig erhaltene<br />

„Industrie-Dorf“ mit 4<br />

Fabriken, Kinderheimen<br />

(nursery homes), der Einkaufskooperative,Verwaltungsgebäuden,Wohnungen<br />

(Caithness Row) <strong>und</strong><br />

dem sozialen Zentrum (<strong>Institut</strong>e<br />

for the formation of<br />

the character) 1986 zum<br />

Weltkulturerbe. Heute leben<br />

in New Lanark ca. 150<br />

Menschen, die kleinere<br />

Handwerksbetriebe <strong>und</strong><br />

Geschäfte in Zusammenarbeit<br />

mit dem Trust führen.<br />

Die Häuser sind teilweise<br />

Eigentum oder vermietet.<br />

Strenge denkmalpflegerische<br />

Auflagen haben die<br />

äußere Erscheinung der<br />

Gebäude bewahrt, im Inneren<br />

sind aber viele der ehemaligen<br />

Ein- oder Zwei-<br />

Raum-Wohnungen zu größeren<br />

Wohneinheiten zusammengelegt<br />

worden.


Coalbrookdale Iron-Bridge über den Severn<br />

Glasgow-Birmingham<br />

Coalbrookdale Iron-Bridge<br />

Standort: Coalbrookdale, zwischen Madeley <strong>und</strong> Broseley<br />

Baujahr: 1777 - 1779<br />

Bauherr: Coalbrookdale Company<br />

Architekt: Thomas Farnolls Pritchard<br />

Ausführung:Abraham Darby III.<br />

Literatur: David P. Billington: The Tower and the Bridge.<br />

The New Art of Structural Engineering, Princeton/<br />

NJ, 1983<br />

Ernst Werner: Die ersten eisernen Brücken,<br />

München 1974<br />

Bernhard Tokarz (Hg.): <strong>Konstruieren</strong> lernen an<br />

Bauten in Großbritannien, Universität Stuttgart 1990<br />

Karl H. Wittek: Untersuchungen über den<br />

Entwicklungsgang des Stahlhochbaus,<br />

Düsseldorf 1964<br />

Benjamin Huntsman gelang<br />

1745 die industrielle<br />

Herstellung von Gußstahl<br />

in einem koksbeheizten<br />

Windofen mit hoher Esse.<br />

Diese Erfindung ließ die<br />

englische Stahlindustrie die<br />

Vorreiterstellung gegenüber<br />

älteren Stahlproduzenten<br />

wie Schweden oder<br />

Deutschland einnehmen.<br />

Mit dem Kohlenstoffgehalt<br />

des Eisens steigen dessen<br />

Härte <strong>und</strong> Schmelzbarkeit;<br />

Gußeisen wird aus stark<br />

kohlenstoffhaltigem Roheisen<br />

gewonnen, ist deshalb<br />

sehr hart <strong>und</strong> brüchig <strong>und</strong><br />

nicht mehr schmiedbar.<br />

Weil die Entwaldung Englands<br />

– <strong>und</strong> vor allem<br />

<strong>Schottland</strong>s – zu Beginn<br />

des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts bereits<br />

weit fortgeschritten<br />

war, waren seit längerem<br />

Versuche gemacht worden,<br />

die Hochöfen zur Eisenverhüttung<br />

von Holzkohle auf<br />

verkokste Steinkohle umzustellen.<br />

Der Industrielle<br />

Abraham Darby I. machte<br />

dazu in seinen Hochöfen in<br />

den Kohlenfeldern der<br />

Grafschaft Shropshire Versuche.<br />

1709 erzielte er unter<br />

Verwendung von Koks<br />

aus schwefelarmer Kohle<br />

dünnflüssiges <strong>und</strong> gut vergießbares<br />

Koksroheisen.<br />

Er wurde damit zum Begründer<br />

der Massenherstellung<br />

von Gußeisen <strong>und</strong><br />

schuf eine wesentliche Vorraussetzung<br />

für die Entwicklung<br />

der die Industrielle<br />

Revolution tragenden<br />

Technologie. Das Coalbrookdale<br />

<strong>und</strong> die Region<br />

um Manchester wurden im<br />

Laufe des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

zum Zentrum der britischen<br />

Eisenindustrie. 1779 baute<br />

Abraham Darby III. die erste<br />

gußeiserne Brücke der<br />

Welt im Coalbrookdale.<br />

Die Idee zu einer Brücke<br />

über den Severn zwischen<br />

Madeley <strong>und</strong> Broseley kam<br />

auf, als der wachsende<br />

Verkehr durch die Fähre<br />

allein nicht mehr zu bewältigen<br />

war. Vermutlich war<br />

es John Wilkinson, ein<br />

Konstrukteur <strong>und</strong> Eisengießer<br />

der Darbys, der bei der<br />

Bevölkerung den Ruf hatte,<br />

„iron-mad“ zu sein, der<br />

vorschlug, zum Bau der<br />

Brücke Eisen zu verwenden.<br />

Dadurch könnten sowohl<br />

die allmählich sinkenden<br />

Absatzzahlen ausgeglichen<br />

<strong>und</strong> gleichzeitig<br />

Werbung für die örtliche<br />

77


Glasgow-Birmingham<br />

Coalbrookdale Iron-Bridge<br />

78<br />

Industrie gemacht werden.<br />

Zur Finanzierung des Projektes<br />

gründete Darby eine<br />

Aktiengesellschaft, mit der<br />

Planung der Brücke wurde<br />

Thomas Farnolls Pritchard<br />

beauftragt, ein Architekt<br />

aus Shrewsbury, der durch<br />

viele Steinbrücken bekannt<br />

war.<br />

Pritchard reichte seinen ersten<br />

Entwurf 1775 ein. Die<br />

niedrige Pfeilerhöhe der<br />

Brücke bei einer Spannweite<br />

von etwa 40 m (120 ft)<br />

wurde von den Aktionären<br />

jedoch als zu waghalsig<br />

abgelehnt. Sie ließen sich<br />

erst zur Zustimmung bewegen,<br />

als Pritchard die<br />

Spannweite auf 100 ft reduzierte<br />

<strong>und</strong> den Kreisbogenverlauf<br />

der Rippen an bekannte<br />

Steinbrücken anglich,<br />

die Fertigstellung bis<br />

Weihnachten 1778 versprach<br />

<strong>und</strong> ihnen darüber<br />

hinaus vorschlug, eine<br />

Mautgebühr für die Brücke<br />

einzuführen.<br />

Ende 1777 wurden die Arbeiten<br />

aufgenommen, bis<br />

Oktober 1778 waren die<br />

steinernen Widerlager errichtet.<br />

Die „Eisenphase“<br />

begann mit der Anfertigung<br />

von 30 Gießmodellen, aber<br />

der ursprüngliche Zeitplan<br />

war längst nicht mehr einzuhalten.<br />

Der Guß der bis zu<br />

20,72 m langen Bogenstücke<br />

mit Querschnitten von 22,8 x<br />

17,8 cm (9 x 7 Zoll) <strong>und</strong> einem<br />

Gewicht von 6 t ist dabei<br />

eine herausragende technische<br />

Leistung. Ab Juli<br />

1779 wurden die Rippen<br />

aufgebaut. Die insgesamt<br />

378 t Eisen – Pritchard war<br />

eigentlich von einer Menge<br />

von 300 t ausgegangen –<br />

wurden mit Pferdezügen<br />

<strong>und</strong> Tauen zur Baustelle<br />

gebracht <strong>und</strong> montiert. Das<br />

Leergerüst konnte Ende<br />

1779 entfernt werden.<br />

Pritchard konstruierte die<br />

Brücke mit einer Öffnung<br />

aus fünf nebeneinanderliegenden<br />

R<strong>und</strong>bögen von je<br />

30,50 m Spannweite. Jede<br />

Bogenebene besteht aus<br />

drei konzentrischen Ringen,<br />

wobei nur die innere<br />

Bogenrippe durchgängig ist<br />

<strong>und</strong> ihre Bogenwirkung entfalten<br />

kann. Verb<strong>und</strong>en<br />

sind die Rippen durch ra-<br />

diale Koppelelemente. Im<br />

Aufriß sind sie aus je zwei<br />

symmetrischen Hälften zusammengesetzt.<br />

Auf den<br />

Widerlagern aus Stein liegen<br />

zur Lastverteilung gußeiserne<br />

Platten, auf denen<br />

Gebinde aus quadratischen<br />

Eisensäulen stehen.<br />

Gegen die Fußpunkte der<br />

Innenstützen sind über einen<br />

Schlußkeil die inneren<br />

Bogenrippen gelagert <strong>und</strong><br />

mit einer Schraubverbindung<br />

gesichert. Die äußeren<br />

kürzeren Bogenrippen,<br />

die vor dem Bogenscheitelpunkt<br />

in die Fahrbahn münden,<br />

durchdringen die Stützen<br />

in gegossenen Ösen.<br />

Sie liegen im F<strong>und</strong>ament<br />

auf Eisenbarren <strong>und</strong> der<br />

Gr<strong>und</strong>platte auf, an der anderen<br />

Seite sind sie in Eisenbalken<br />

unter der Fahrbahn<br />

eingelassen. Weil die<br />

Kontinuität des Bogens unterbrochen<br />

ist, können sie<br />

keine Bogentragwirkung<br />

entfalten, wohl ein Fehler<br />

dieses frühen Eisentrag-<br />

werks, der bei späteren<br />

Konstruktionen nicht mehr<br />

auftaucht.<br />

Die Aussteifung der Konstruktion<br />

stellte Pritchard<br />

vor eine gänzlich neue Aufgabe,<br />

bei der er auf keinerlei<br />

Erfahrung aus seiner<br />

bisherigen Arbeit zurückgreifen<br />

konnte. Alle Tragwerksebenen<br />

sind durch<br />

horizontale Riegel, Zwischenträger<br />

<strong>und</strong> Querbinder<br />

verb<strong>und</strong>en, die Aussteifung<br />

erfolgt aber über<br />

schräge Streben in Säulenebene.<br />

Fraglich ist auch die<br />

statische Wirkung der Eisenringe<br />

in den Bogenzwikkeln;<br />

da ihre Berührungspunkte<br />

nicht an den Knotenpunkten<br />

der Rippen liegen,<br />

sind sie wohl lediglich<br />

Ornament.<br />

Die Fahrbahn ist 7,30 m<br />

breit <strong>und</strong> besteht aus gußeisernen<br />

Platten, auf die


ein Gemisch aus Lehm <strong>und</strong><br />

Eisenschlacke aufgebracht<br />

wurde. Sie berührt das Bogentragwerk<br />

in der Mitte<br />

der Brücke <strong>und</strong> sichert so<br />

die druckbeanspruchten<br />

Bogenglieder gegen seitliches<br />

Ausknicken. Die Zwischenglieder<br />

stützen die<br />

Bogenrippen ihrerseits gegen<br />

das Mauerwerk der<br />

Widerlager ab. Genau wie<br />

die Ausmauerung zwischen<br />

Bogengurt <strong>und</strong> Pfeilern bei<br />

massiven Bogenbrücken<br />

beschränken sie die Verformungen<br />

des Tragwerks.<br />

Wegen des hohen Eigengewichts<br />

der Konstruktion<br />

haben (einseitige) Verkehrslasten<br />

nur sehr geringen<br />

Einfluß auf die Verformung<br />

der Stützlinie des<br />

Bogens, so dass keine ungünstigenSpannungswechsel<br />

auftreten.<br />

Aufgr<strong>und</strong> des schlechten<br />

Baugr<strong>und</strong>es mußten die<br />

Widerlager immer wieder<br />

nachgerüstet werden, um<br />

das Reißen der Bögen zu<br />

verhindern. Die erste Ufermauer<br />

wurde bereits 1783<br />

errichtet, 1803 wurden auf<br />

der nördlichen Uferseite die<br />

steinernen Bögen der<br />

Anrampung des Widerlagers<br />

durch eine Holzkonstruktion<br />

<strong>und</strong> 1823<br />

durch eine gußeiserne<br />

Bogenkonstruktion ersetzt.<br />

Seit 1973 sind die F<strong>und</strong>amente<br />

mithilfe von Unterwasserbeton<br />

im Flußbett<br />

gegeneinander verankert.<br />

Als bei der großen Severn-<br />

Flut 1795 alle Brücken bis<br />

auf die Iron Bridge zerstört<br />

wurden, begann Thomas<br />

Telford, der Gründer der<br />

ersten civil engineering society<br />

<strong>und</strong> Konstrukteur des<br />

britischen Kanalsystems,<br />

sich verstärkt mit dem Eisenbau<br />

zu beschäftigen. Er<br />

hatte erkannt, dass die Eisenbrücke<br />

die Flut aufgr<strong>und</strong><br />

der wesentlichen Ei-<br />

Glasgow-Birmingham<br />

Coalbrookdale Iron-Bridge<br />

genschaft des Eisens, seiner<br />

Härte, überstanden hatte.<br />

Das frühe Gußeisen war<br />

ungefähr fünfmal fester als<br />

Holz, so dass folglich nur<br />

ein Fünftel des Materials<br />

erforderlich war, um die<br />

gleiche Last zu tragen.<br />

Durch diese beträchtliche<br />

Materialreduktion konnte<br />

während der Flut viel mehr<br />

Wasser ungehindert unter<br />

der Brücke hindurch fließen,<br />

während die Stein<strong>und</strong><br />

Holzbrücken wie Dämme<br />

wirkten, an denen sich<br />

ein enormer Wasserdruck<br />

aufbaute. Die sichtbare<br />

Leichtigkeit <strong>und</strong> gleichzeitige<br />

Stärke der Iron Bridge<br />

inspirierten Telford <strong>und</strong> andere<br />

Ingenieure, sich mit<br />

dem neuen Material auseinander<br />

zusetzen. Zunächst<br />

dachten sie dabei<br />

weiterhin in den Strukturen<br />

von Stein- oder Holzkonstruktionen<br />

<strong>und</strong> bauten die<br />

alten Formen einfach in filigranerem<br />

Gußeisen nach.<br />

Die Halbkreisform der Iron<br />

Bridge ist typisch für Steinbögen,<br />

die aneinander gefügten<br />

Stücke erinnern an<br />

Fachwerk. Die Anlehnung<br />

der Eisenkonstruktion an<br />

Steinbrücken ist insofern<br />

sinnvoll, als die Druckfestigkeit<br />

von Gußeisen wesentlich<br />

höher als seine<br />

Zugfestigkeit ist <strong>und</strong> damit<br />

den Materialeigenschaften<br />

von Stein entspricht; Holz<strong>und</strong><br />

Eisenkonstruktionen<br />

liegen allein durch die Form<br />

der Bauteile beieinander.<br />

Die Erfindung des Gusseisens<br />

begründete praktisch<br />

das moderne Ingenieurwesen,<br />

indem es dazu zwang,<br />

Baustrukturen völlig neu zu<br />

durchdenken. Telford war<br />

der erste, der sich mit dem<br />

Eisen als eigenständiges<br />

Material beschäftigte <strong>und</strong><br />

eine Reihe von Eisenbrükken<br />

entwickelte, die unmißverständlich<br />

den persönlichen<br />

Stil eines structural<br />

artist demonstrieren (vgl.<br />

Text Telford). An der Iron<br />

Bridge kritisierte er die Materialverschwendungaufgr<strong>und</strong><br />

der falschen Form.<br />

79


Birmingham<br />

Kaufhaus Selfridges<br />

80<br />

Kaufhaus Selfridges<br />

Standort: Birmingham, Kreuzung Upper Mall East /<br />

Bullring<br />

Baujahr: 2003<br />

Bauherr: Selfridges & Co<br />

Architekt: Future Systems<br />

Ingenieur: Ove Arup & Partners<br />

Literatur: DBZ 3/2004<br />

Detail 3/2004, 9/2003<br />

db 11/03<br />

Das Traditionskaufhaus<br />

Selfridges in Birmingham,<br />

mit seinem damaligen Chef<br />

Vittorio Radice, wünschte<br />

sich ein gut gestaltetes, vor<br />

allem aber auffälliges Gebäude.<br />

So sollte die Kaufkraft<br />

der K<strong>und</strong>en gestärkt<br />

werden, denn die entsprechende<br />

Präsentation der<br />

Waren im Inneren wirkt animierend<br />

zum Kauf. Das<br />

Einkaufen im Warenhaus<br />

soll wieder zu einem sozialen<br />

Erlebnis, das Kaufhaus<br />

zu einer großen Bühne<br />

werden.<br />

Mit dem neuen Kaufhaus<br />

sollte auch gleichzeitig ein<br />

neues Wahrzeichen der<br />

Stadt geschaffen werden.<br />

Es soll die Erneuerung der<br />

alten Industriestadt signalisieren.<br />

War doch in den<br />

vergangenen Jahrzehnten<br />

die Stadtplanung schmerzlich<br />

vernachlässigt worden.<br />

Stattdessen lag der Augenmerk<br />

auf der Verkehrsplanung,<br />

was zur Folge hatte,<br />

dass durch die Stadtautobahn<br />

äußere Viertel der<br />

Stadt gänzlich vom Zentrum<br />

abgeschnitten waren,<br />

genauso wie der Bull Ring,<br />

dem einstigen Marktplatz.<br />

Dieser wurde mit einem riesigen<br />

Shoppingzentrum<br />

überbaut, das den übrigen<br />

charakterlosen Betonbauten<br />

ähnelte, die das Stadtbild<br />

zu dieser Zeit prägten.<br />

1987 wurde das Zentrum<br />

verkauft, wechselnde Besitzer<br />

folgten. Im Rahmen eines<br />

neu erstellten Masterplanes<br />

wurde das Stadtbild<br />

verbessert, so dass schon<br />

bald Selfridges als Mieter<br />

für ein Kaufhaus des Komplexes<br />

gef<strong>und</strong>en war. Dieser<br />

brachte nun neuen<br />

Wind in die Gestaltung des<br />

Komplexes. Da Selfridges<br />

wie bereits erwähnt nur<br />

Mieter war, verpflichtete er<br />

sich das Gebäude mit einer<br />

Fläche von ca. 250.000 m²<br />

über 35 Jahre zu mieten.<br />

Im Gegenzug dafür durfte<br />

er eigene Architekten beauftragen,<br />

bei deren Wettbewerb<br />

sich Future Systems<br />

durchsetzte.<br />

Finanziert wurde das Projekt<br />

durch Investoren. Natürlich<br />

war so der finanzielle<br />

<strong>und</strong> zeitliche Rahmen<br />

sehr eng gesteckt. Future<br />

Systems entwarfen ein organisch<br />

geformtes Gebäude<br />

für dessen Hülle Materialien<br />

gef<strong>und</strong>en werden<br />

mussten, die frei von Toleranzproblemen<br />

sind. Als<br />

ideale Lösung erwies sich<br />

hier eine Spritzbetonfassade<br />

mit farbigem Dichtanstrich.<br />

Darauf befestigt sind<br />

r<strong>und</strong> 15.000 Aluminium-


scheiben mit einem Durchmesser<br />

von 600 mm. Die<br />

nichttragende Spritzbetonfassade<br />

wurde in geschoßhohe<br />

Wandstreifen aufgelöst<br />

<strong>und</strong> auf einer metallischen<br />

Unterkonstruktion<br />

hergestellt. Sie ist an der<br />

Stahlbetondecke aufgehängt.<br />

Stützen sind um die<br />

beiden Atrien <strong>und</strong> entlang<br />

der Gebäudehülle so weit<br />

wie ökonomisch vertretbar<br />

auseinander angeordnet.<br />

So entsteht eine unregelmäßige<br />

Struktur mit Dekkenplattenunterschiedlicher<br />

Größe <strong>und</strong> Konstruktion<br />

in jedem Geschoss.<br />

Gebäudetechnik <strong>und</strong> Tragstruktur<br />

sind in einer Ebene<br />

integriert, um trotz großer<br />

Spannweiten geringe<br />

Deckenhöhen zu erzielen.<br />

Mit den Aluminiumscheiben<br />

wollte man der Fassade<br />

Tiefe <strong>und</strong> Spannung verleihen.<br />

Inspirationen kamen<br />

aus den unterschiedlichsten<br />

Quellen, wie zum Beispiel<br />

ein Kleiderentwurf von<br />

Paco Rabanne. Wie Pailletten<br />

an einem Kleid wechseln<br />

sie je nach Lichteinfall<br />

entlang der Gebäudekurven<br />

ihre Schattierung,<br />

reagieren auf Wetterstimmungen<br />

<strong>und</strong> spiegeln<br />

Lageplan<br />

Gr<strong>und</strong>riss<br />

Birmingham<br />

Kaufhaus Selfridges<br />

die benachbarte St.<br />

Martin’s Church ebenso<br />

wieder wie die vorbeigehenden<br />

Passanten. Nachts<br />

wird die Fassade mit blauem<br />

Licht angestrahlt, so<br />

dass die satte blaue Farbe<br />

der Hülle in den Vordergr<strong>und</strong><br />

tritt <strong>und</strong> die<br />

Aluminiumteller im Schatten<br />

verschwinden. Die Fassade<br />

ist weitestgehend fensterlos,<br />

damit der Gr<strong>und</strong>riss<br />

überwiegend uneingeschränkt<br />

nutzbar ist <strong>und</strong><br />

keine wertvolle Stellfläche<br />

für Regale verloren geht.<br />

Auch die Haustechnik<br />

muss auf diese Flexibilität<br />

eingestellt sein. Hierzu wurden<br />

flexible Plug-In-Systeme<br />

für Energieversorgung,<br />

Klimaanlage, Daten <strong>und</strong><br />

Steuerung der Gebäudetechnik<br />

eingesetzt. Wie bei<br />

fast allen Neubauten besteht<br />

der Wunsch auf geringe<br />

Betriebskosten. Dies<br />

wird erreicht durch variable<br />

Volumenströme bei Zuluft,<br />

Kühlluft <strong>und</strong> dem<br />

Kühlwassersystem der Klimaanlage.<br />

Die Frischluftzufuhr<br />

wird über CO2-Sensoren<br />

kontrolliert.<br />

Kritiker stellen die Nachhaltigkeit<br />

dieses Entwurfes in<br />

Frage, aber auch hier wird<br />

sich zeigen, was die Zukunft<br />

bringen wird.<br />

81


Birmingham<br />

Kaufhaus Selfridges<br />

82


Thomas Telford<br />

Telford, Stephenson, Brunel<br />

Literatur: Britannia Biographies: Thomas Telford;<br />

www.britannia.com/bios/telford.html<br />

Thomas Telford, in: The National Archives Learning<br />

Curve,<br />

www.spartacus.schoolnet.co.uk/Sctelford.htm<br />

Undiscovered Scotland: Thomas Telford Feature<br />

Page<br />

ww.<strong>und</strong>iscoveredscotland.co.uk/usbiography/thomastelford<br />

In den Britannia Biographies<br />

heißt es über Telford: If any<br />

Scot made a difference to<br />

countless generations, it<br />

surely was Thomas Telford.<br />

His work in improving<br />

highways and bridges,<br />

canals and roads made<br />

much of the Industrial<br />

Revolution possible, for<br />

they provided means of<br />

transporting men,<br />

machinery, raw materials<br />

and finished goods.<br />

Thomas Telford, einer der<br />

bedeutendsten Verkehrsingenieure<br />

<strong>und</strong> Brückenbauer,<br />

wurde als Sohn eines<br />

Schafhirten 1757 bei Westerkirk,<br />

Dumfrieshire,<br />

<strong>Schottland</strong>, geboren. Als robustes<br />

<strong>und</strong> fröhliches Kind<br />

unterstützte er die Familie,<br />

indem er bei einem Onkel<br />

Schafe hütete, bis er mit 14<br />

Jahren zu einem Steinmetz<br />

in die Lehre gegeben wurde.<br />

1780 fand er in Edinburgh<br />

Arbeit beim Bau der<br />

New Town. Die nächste frühe<br />

Station seiner Karriere<br />

war 1782 die Mitarbeit am<br />

größten Projekt dieser Jahre,<br />

Somerset House in London.<br />

Seine Arbeit <strong>und</strong> seine Persönlichkeit<br />

beeindruckten<br />

einflussreiche Leute der<br />

Londoner Gesellschaft, die<br />

es ihm ermöglichten, trotz<br />

seines Mangels an Bildung,<br />

vom Maurer zum Ingenieur<br />

aufzusteigen. Im Alter von<br />

27 Jahren übernahm er<br />

1784 die Leitung der Arbeiten<br />

an den Docks von Portsmouth,<br />

was seinen Ruf als<br />

Ingenieur festigte, so dass<br />

er 1787 zum Aufseher über<br />

alle öffentlichen Bauten der<br />

Grafschaft Shropshire an<br />

der Grenze von England<br />

<strong>und</strong> Wales ernannt wurde.<br />

In den 80ern errichtete er<br />

dort seine ersten Brücken,<br />

unter anderem auch eine<br />

über den Severn bei Montfort.<br />

In den frühen 90er Jahren<br />

kehrte er im Auftrag der<br />

British Fishing Society zum<br />

Bau von Hafenanlagen vorübergehend<br />

nach <strong>Schottland</strong><br />

zurück.<br />

In den ersten Phasen der<br />

Industriellen Revolution erfolgte<br />

der Transport der<br />

Waren vor allem auf dem<br />

Wasserweg. 1793 trat Telford<br />

in den Dienst der Ellesmere<br />

Canal Company <strong>und</strong><br />

löste als erstes das unlösbar<br />

scheinende Problem,<br />

den Shropshire Union Canal<br />

über das enge, an den Seiten<br />

steil ansteigende Tal des<br />

Dee bei Llangollan in North<br />

Wales zu führen, indem er<br />

das berühmte Pontcysyllte<br />

Aquädukt entwarf <strong>und</strong> baute,<br />

dessen walisischer<br />

Name nichts anderes als<br />

„Verbindungsbrücke“ bedeutet.<br />

1805, kurz nach der<br />

Schlacht von Trafalgar, wurde<br />

der Bau fertiggestellt.<br />

Das knapp 37 m hohe <strong>und</strong><br />

307 m lange Stein-Aquädukt<br />

trägt den Kanal auf 18<br />

Stützen in einem wasserdichten<br />

Trog aus Gusseisenplatten,<br />

eine neue Konstruktion<br />

von Telford. Mit<br />

dem Bau des Ellesmere<br />

Canals waren weitere<br />

Aquädukte verb<strong>und</strong>en, wie<br />

das bei Chirk über den Fluß<br />

Ceiriog verb<strong>und</strong>en.<br />

Mit dem Bau des Caledonian<br />

Canal <strong>und</strong> über 900 Meilen<br />

Straßen <strong>und</strong> 120 Brükken<br />

öffnete Telford von 1804<br />

anweite Regionen <strong>Schottland</strong>s<br />

für die Industrie. Außerdem<br />

brachte er ab 1823<br />

83


Telford, Stephenson, Brunel<br />

84<br />

den Bau von über 32 standardisierten<br />

Parliamentary<br />

Churches überall in den<br />

Highlands in Gang, jede mit<br />

T-förmigem Gr<strong>und</strong>riß <strong>und</strong><br />

angeschlossenem Pfarrhaus,<br />

ein Projekt, das 1830<br />

beendet war <strong>und</strong> insgesamt<br />

die damals enorme Summe<br />

von 54 500 Pf<strong>und</strong> Sterling<br />

kostete.<br />

Ebenfalls in den 20er Jahren<br />

erneuerte, bzw. trassierte<br />

er in Wales die Highways<br />

von Shrewsbury <strong>und</strong> Chester<br />

bis Holyhead <strong>und</strong> Bangor<br />

in North Wales neu. Vor<br />

allem seine Routenführung<br />

durch die Bergwelt überzeugt<br />

noch heute durch die<br />

gelungene Minimierung der<br />

Steigungen. Teil dieser Route<br />

ist auch seine Hängebrücke<br />

über den Fluß Conwy<br />

in unmittelbarer Nachbarschaft<br />

der Burg Conwy.<br />

Die schmiedeeisernen Verbindungsstücke,<br />

die das<br />

Deck halten, setzten niemals<br />

Rost an, was die Einwohner<br />

von Conwy auf Telfords<br />

Idee zurückführen, die<br />

Stücke in Öl zu legen. 1826,<br />

im selben Jahr, als er die<br />

Brücke von Conwy fertig<br />

stellte, vollendete er einige<br />

Meilen davon entfernt auch<br />

sein Meisterwerk, die Menai-Brücke,<br />

die bei ihrer Eröffnung<br />

die längste Hängebrücke<br />

der Welt war <strong>und</strong> die<br />

die Insel Anglesey über die<br />

Robert Stephenson<br />

Meerenge von Menai mit<br />

dem Festland verbindet.<br />

Telfords Eisenbrücken unterscheiden<br />

sich nicht nur in<br />

ihrer Attraktivität <strong>und</strong> in der<br />

Einpassung in die Landschaft<br />

von denen seiner<br />

Zeitgenossen, sondern sind<br />

ihnen auch technisch überlegen.<br />

Nach einer Evaluation<br />

aller zwischen 1799 <strong>und</strong><br />

1871 erbauten Gusseisenbrücken<br />

zu Beginn der<br />

1980er Jahre waren von<br />

den neun besten acht von<br />

Telford, <strong>und</strong> von diesen acht<br />

waren derzeit noch fünf voll<br />

betriebsfähig. Das belegt<br />

die Gültigkeit von Telfords<br />

Prinzipien: Materialeffizienz<br />

in der Konstruktion <strong>und</strong><br />

Leichtigkeit der Erscheinung.<br />

Telford baute auch in anderen<br />

europäischen Ländern,<br />

wie z.B. den Gotha-Kanal in<br />

Schweden. Er starb 1834<br />

mitten in der Arbeit in London.<br />

Obwohl er hervorragende<br />

Einzelbauwerke, wie<br />

z.B. die Menai-Brücke<br />

schuf, geht sein Einfluß gerade<br />

auch durch die Breite<br />

seines Gesamtwerks weit<br />

darüber hinaus. Viele von<br />

Telfords Straßen, Kanälen<br />

<strong>und</strong> Brücken prägen noch<br />

heute das Bild <strong>Schottland</strong>s,<br />

Wales <strong>und</strong> auch Englands.<br />

In Shropshire benannte man<br />

die Stadt Telford nach ihm.<br />

Literatur: David P. Billington: The Tower and the Bridge – The<br />

New Aret of Structural Engineering, Princeton, 1983<br />

The National Archives Learning Curve: Robert<br />

Stevenson;<br />

www. Spartacus.schoolnet.co.uk/RastephensonR.htm<br />

Robert Stephensons Vater<br />

George (1781-1849) arbeitete<br />

sich vom Bergarbeiter<br />

<strong>und</strong> Bergwerksingenieur in<br />

Newcastle zum ersten<br />

Dampfeisenbahnkonstrukteur<br />

empor. Sein Erfolg ermöglichte<br />

es ihm, seinem<br />

Sohn eine gute Privaterziehung<br />

zukommen zu lassen.<br />

Robert, geboren 1803, begann<br />

seine Karriere auch<br />

als Ingenieur im Bergbau,<br />

aber schon drei Jahre nach<br />

seinem Berufseintritt arbeitete<br />

er mit an den vielfältigen<br />

Projekten seines Vaters.<br />

Ihre Robert Stephenson<br />

& Company war die ersteLokomotivenbaugesellschaft<br />

überhaupt.


Um weitere Erfahrungen zu<br />

sammeln, arbeitete Stephenson<br />

ab 1824 für drei<br />

Jahre als Ingenieur in Gold<strong>und</strong><br />

Silberminen in Südamerika.<br />

Nach seiner Rückkehr<br />

begann er mit der Konstruktion<br />

seiner Rocket-Lokomotive,<br />

die 1829 vollendet<br />

war. Während dieser<br />

Zeit <strong>und</strong> in den folgenden<br />

Jahren baute er auch Eisenbahnlinien<br />

in allen Teilen der<br />

Welt samt den dazugehörigen<br />

Brücken, wie der Tyne-<br />

Brücke in Newcastle <strong>und</strong><br />

der Britannia Bridge in Conwy,<br />

in enger Nähe zu Telfords<br />

Menai-Brücke.<br />

Telford war sein großes Vorbild,<br />

an dessen Bogenformen<br />

im Brückenbau er sich<br />

auch zunächst orientierte.<br />

Später entwickelte er seinen<br />

eigenen Brückentyp aus<br />

eckigen Röhren. Gerade an<br />

der Britannia-Brücke wird<br />

Isambard Kingdom Brunel<br />

Wie Robert Stephenson war<br />

auch Isambard Kingdom<br />

Brunel der Sohn eines der<br />

bedeutendsten Ingenieure<br />

Großbritanniens. Marc<br />

Isambard Brunel, 1769 in<br />

Frankreich geboren, floh<br />

während der Revolution in<br />

die USA, wo er als Architekt<br />

<strong>und</strong> Ingenieur zum obersten<br />

Ingenieur New Yorks aufstieg.<br />

Sein Entwurf für das<br />

Capitol gewann sogar den<br />

Telford, Stephenson, Brunel<br />

deutlich, dass Stephenson<br />

zwar technisch brillierte,<br />

aber nicht ästhetisch. Für<br />

ihn stand die Sicherheit eines<br />

Bauwerks mit Abstand<br />

im Vordergr<strong>und</strong> seiner Erwägungen,<br />

nicht wie bei Telford<br />

die Ökonomie in Material<br />

<strong>und</strong> Kosten. Die Britannia-Brücke<br />

war z.B. als Hängebrücke<br />

konzipiert, aber<br />

um die Ausschläge bei Wind<br />

<strong>und</strong> Belastung zu vermeiden,<br />

die er an Telfords Menai-Brücke<br />

beobachtet hatte,<br />

baute er ein äußerst steifes<br />

horizontales Deck, das<br />

schließlich gar keine Aufhängung<br />

mehr benötigte,<br />

obwohl die entsprechenden<br />

Pfeiler für dieses System<br />

schon standen.<br />

Stephenson starb im Alter<br />

von 56 Jahren. Sein letzter<br />

Wunsch war, neben Telford<br />

begraben zu werden, was<br />

auch geschah.<br />

Literatur: David P. Billington: The Tower and the Bridge,<br />

Princeton/NJ 1983<br />

web.ukonline.co.uk/b.gardner/brunel.html<br />

www.greatbuildings.com/architects/<br />

Isambard_Kingdom_Brunel.html<br />

Mike’s Railway History, 27 – The Atmospheric<br />

Railway – An Attempt to Drive Trains By Air<br />

Pressure;<br />

http://mikes.railhistory.railfan.net/r027.html<br />

Wettbewerb, wenn er auch<br />

nicht realisiert wurde. 1799<br />

siedelte er nach England<br />

über, um in Plymouth die<br />

erste voll mechanisierte<br />

Produktionseinheit aus 43<br />

Maschinen im Schiffbau zu<br />

installieren. 1818 entwickelte<br />

er das erste Verfahren zur<br />

Untertunnelung von Wasserwegen,<br />

den Schildvortrieb.<br />

Damit konnte von<br />

1824 bis 1843 der erste<br />

Tunnel unter der Themse<br />

gebaut werden. Als Zar<br />

Alexander Sir Marc Brunel<br />

nach Russland einlud, intervenierte<br />

der Herzog von<br />

Wellington, um ihn im Land<br />

zu halten.Sein Sohn Isambard<br />

Brunel wurde 1806<br />

geboren. Er studierte 3 Jahre<br />

lang in England <strong>und</strong><br />

Frankreich, bevor er 1823<br />

im Alter von 16 Jahren zurückkehrte<br />

<strong>und</strong> begann, mit<br />

seinem Vater an den Vorbereitungen<br />

für den Themse<br />

85


Telford, Stephenson, Brunel<br />

86<br />

tunnel zu arbeiten. 1828<br />

wurde ihm – 22jährig - die<br />

Leitung der Baustelle vor<br />

Ort übertragen.<br />

Im selben Jahr wurde er<br />

beim Einsturz eines Teilabschnitts<br />

schwer verletzt, <strong>und</strong><br />

seine Familie schickte ihn<br />

nach Clifton bei Bristol zur<br />

Genesung. Der Ort, heute<br />

Stadtteil Bristols, liegt hoch<br />

auf den Kalksteinfelsen<br />

über der Schlucht der Avon-<br />

Mündung. Zufällig fand dort<br />

1829 ein Wettbewerb für<br />

eine Überbrückung der<br />

Schlucht statt. Brunel hatte<br />

zwar keinerlei Erfahrung mit<br />

Brückenbauten, dafür aber<br />

jede Menge Ideen, so dass<br />

er schließlich vier Entwürfe<br />

einreichte, jeder für eine<br />

Hängebrücke mit einem Mittelbogen<br />

von weit größerer<br />

Spannweite als je gebaut,<br />

nämlich mit Spannweiten<br />

von 265 bis 280 m. Die Jury<br />

war deshalb bei der Bewertung<br />

unsicher <strong>und</strong> zog Thomas<br />

Telford, damals schon<br />

72 Jahre alt, hinzu. Der<br />

lehnte alle Entwürfe ab, weil<br />

er es aus Gründen der<br />

Windkräfte zu riskant fand,<br />

eine Spannweite größer als<br />

die seiner eigenen Menai-<br />

Brücke zu bauen. Telford<br />

machte daraufhin einen eigenen<br />

Entwurf. Aber auf<br />

Brunels Proteste hin wurde<br />

1831 ein zweiter Wettbewerb<br />

ausgeschrieben, den<br />

Brunel mit einem verbesserten<br />

Entwurf – wieder nach<br />

langen Debatten – gewann.<br />

Aufgr<strong>und</strong> von Unruhen in<br />

Bristol konnten die Mittel für<br />

den Bau zunächst aber<br />

nicht aufgebracht werden.<br />

Die Türme standen schließlich<br />

1843, aber die Gesamtbrücke<br />

wurde erst 1864,<br />

nach Brunels Tod, fertiggestellt.<br />

Dafür wurde er 1831 erst<br />

einmal zum Chefingenieur<br />

der Bristol Docks ernannt.<br />

Brunel entwarf in der Folge<br />

nicht nur in Bristol, sondern<br />

auch in Plymouth, Cardiff<br />

<strong>und</strong> anderen wichtigen Häfen<br />

Dockanlagen. Zur gleichen<br />

Zeit erreichte Stephensons<br />

Rocket eine Geschwindigkeit<br />

von 56 kmh,<br />

was Brunels Interesse am<br />

Eisenbahnbau weckte. Bereits<br />

1833, mit 27 Jahren,<br />

wurde er Chefingenieur der<br />

Great Western Railway Line<br />

zwischen Bristol <strong>und</strong> London.<br />

Die Arbeit an der Linie<br />

umfasste zwei Viadukte<br />

(Hanwell, Chippenham), die<br />

damals größte Ziegelbogenbrücke<br />

bei Maidenhead,<br />

den Box Tunnel, den längsten<br />

Eisenbahntunnel der<br />

Welt (2 Meilen) <strong>und</strong> zwei<br />

Bahnhöfe (Bristol Temple<br />

Meads Station <strong>und</strong> Paddington<br />

Station in London). Dabei<br />

benutzte er die Breitspur<br />

statt der Standardspur<br />

(2,2m statt 1,55m), was allerdings<br />

Probleme beim<br />

Übergang zu den anderen<br />

Linien schuf. Die leichten,<br />

sich kreuzenden eisernen<br />

Gewölbe von Paddington<br />

Station zeigen, daß er auch<br />

in dieses Material konstruktiv<br />

virtuos verwendete. Entsprechend<br />

wichtige Brükkenbauten<br />

wie im Zuge der<br />

Great Western Line entstanden<br />

auch entlang der South<br />

Devon Line zwischen Exeter<br />

<strong>und</strong> Plymouth.<br />

Auf beiden Strecken plante<br />

<strong>und</strong> baute Brunel ein alternatives<br />

technisches System,<br />

euphorisch Atmospheric<br />

Railway genannt.<br />

Aus Misstrauen gegenüber<br />

der Kraft der konventionellenDampflokomotiven<br />

<strong>und</strong> aus Vorbehalten<br />

wegen der Luftverschmutzung<br />

gerade in Städten wie<br />

London wurde in den Pionierzeiten<br />

der Eisenbahn<br />

mit mehreren Alternativen<br />

experimentiert. Atmopsheric<br />

Railway Lines bewegten die<br />

Züge ganz ohne Lokomotiven<br />

oder zu deren Unterstützung<br />

auf steilen Strekkenabschnitten<br />

über Luftdruck<br />

vorwärts. Dazu wurden<br />

zwischen den Schienen<br />

oben geschlitzte Luftrohre<br />

verlegt, in dem der Verbindungsstutzen<br />

zur Lokomotive<br />

entlang lief. Alle drei Kilometer<br />

entlang der Strecke<br />

wurde eine Luftpumpstation<br />

errichtet. Das System funktionierte,<br />

auch wenn auf<br />

schwierigen Streckenabschnitten<br />

schon der letzten<br />

Ära, in der Großbritannien<br />

die Welt politisch <strong>und</strong> wirtschaftlich,<br />

in den Wissenschaften<br />

<strong>und</strong> besonders im<br />

Ingenieurwesen dominierte.<br />

Entsprechend wurden Entwürfe<br />

von Brunel weltweit,<br />

z.B. auch in Asien, realisert.


Birmingham Canal Navigations - BCN<br />

Birmingham liegt auf einem<br />

etwa 200 ft hohen Plateau<br />

in den Midlands. Ansässige<br />

Kaufleute bauten früh<br />

Kanäle, um die Flüsse<br />

Trent, Mersey <strong>und</strong> Severn<br />

zu verbinden <strong>und</strong> die stadtnahen<br />

Kohlefelder zu erschließen.<br />

Wegen der reichen<br />

Mineralvorkommen<br />

des Black Country <strong>und</strong> der<br />

Lage der Stadt in einem<br />

Fluß- <strong>und</strong> Kanalsystem,<br />

das sich von London bis Liverpool<br />

<strong>und</strong> von Birmingham<br />

bis ins Humber-Tal erstreckt,<br />

wurde Birmingham<br />

mit der Industriellen Revolution<br />

schlagartig zu einem<br />

wichtigen Handelsort. Innerhalb<br />

von einh<strong>und</strong>ert<br />

Jahren entwickelte sich hier<br />

der längste städtische<br />

Wasserweg der Welt mit<br />

über 180 Meilen schiffbarer<br />

Kanäle <strong>und</strong> 216 Schleusen<br />

zwischen Birmingham <strong>und</strong><br />

Wolverhampton bis hinein<br />

nach Staffordshire. Der Kanal<br />

verläuft auf zwei Ebenen.<br />

Der ältere Kanal, die Old<br />

Main Line, paßt sich noch<br />

weitgehend der Landschaft<br />

an <strong>und</strong> ist dementsprechend<br />

gew<strong>und</strong>en. Der<br />

schnelle Verkehrsanstieg<br />

machte im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

Verbesserungen <strong>und</strong> Ausbauten<br />

des Systems erforderlich.<br />

Die New Main Line wurde<br />

von Thomas Telford gebaut<br />

<strong>und</strong> ist deutlich tiefer. Der<br />

Zuschnitt dieser Kanäle<br />

zeigt die dreißigjährige Erfahrung<br />

des Erbauers, indem<br />

das neue Netz geradlinig<br />

<strong>und</strong> ungeachtet der<br />

Birmingham<br />

Canal Walk<br />

Mögliche Canal Walk-Route:<br />

Worcester & Birmingham Canal ab Edgebaston, entlang am<br />

Holliday Street Aquädukt bis zum Gas Street Basin. Von dort<br />

Birmingham Canal Old Main Line, vorbei am Icknield Port <strong>und</strong><br />

unter der Birmingham to Wolverhampton line hindurch, durch die<br />

Gebiete von Sandwell <strong>und</strong> Smethwick, unter der Galton Bridge<br />

(1829, von Thomas Telford) durch, bis zur alten Zollstation auf<br />

Toll Island nahe Bromford Junction<br />

Höhen in die Landschaft<br />

geschnitten ist. Dadurch<br />

wurden weniger Schleusen<br />

benötigt <strong>und</strong> die Strecke<br />

zwischen Birmingham <strong>und</strong><br />

Wolverhampton um ganze<br />

7 Meilen verkürzt. Auch das<br />

Aufkommen der Eisenbahn<br />

schränkte hier den Wasserverkehr<br />

nicht ein, sondern<br />

ergänzte ihn vielmehr, um<br />

die ständig wachsende Industrie<br />

<strong>und</strong> Bevölkerung<br />

versorgen zu können. Als<br />

der Handelsverkehr Mitte<br />

des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts stark<br />

zurückging, wurden 50 Meilen<br />

des Kanalsystems geschlossen.<br />

Weite Teile des<br />

nördlichen Abschnitts, des<br />

Wyrley & Essington, die früher<br />

nach Norden mit dem<br />

Staffs & Works Canal verb<strong>und</strong>en<br />

waren, sind heute<br />

abgeschnitten. Dieser Abschnitt<br />

wurde vor einigen<br />

Jahrzehnten durch Tagebau<br />

zerstört.<br />

Das BCN ist auch heute<br />

noch sehr umfangreich <strong>und</strong><br />

voll von Industriedenkmälern,<br />

Tunneln, Aquädukten,<br />

Fabriken <strong>und</strong> Lagerhäusern–<br />

etwa 150 Meilen von<br />

Kanälen existieren immer<br />

noch zwischen Birmingham<br />

<strong>und</strong> Wolverhampton. Einige<br />

Schleifen der Old Line<br />

haben sich zu beliebten<br />

Wohngegenden entwickelt;<br />

ein Trend, der vor dreißig<br />

Jahren noch unverstellbar<br />

gewesen wäre, als Wohnungen<br />

möglichst weit weg<br />

von den „grimy canals“ angesiedelt<br />

wurden.<br />

Birminghams City Council<br />

unterstützt seit einigen Jahren<br />

außerdem den Erholungscharakter<br />

der Kanäle<br />

<strong>und</strong> fördert Projekte zur<br />

Aufwertung der angrenzenden<br />

Gebiete, wie etwa die<br />

Holliday Street regeneration<br />

im Umfeld des Aquädukts,<br />

das den Worcester<br />

& Birmingham-Kanal über<br />

die Holliday Street führt.<br />

87


Birmingham-Bristol<br />

Over Bridge<br />

88<br />

Over Bridge<br />

Standort: Gloucester<br />

Baujahr: 1829<br />

Bauherr: Stadt Gloucester<br />

Ingenieur: Thomas Telford<br />

Literatur: structurae.de<br />

Die Over Bridge westlich<br />

von Gloucester spannt<br />

45,7m weit über den Severn.<br />

Sie wurde 1829 von<br />

Thomas Telford als Ersatz<br />

für eine durch Eis zerstörte<br />

Brücke aus dem 17. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

entworfen <strong>und</strong> war<br />

bis 1974 in Gebrauch. Telford<br />

wollte hier anstelle des<br />

Steinbogens eigentlich eine<br />

gußeiserne Brücke ähnlich<br />

denen in Mythe bei Tewkesbury<br />

<strong>und</strong> Holt Fleet errichten,<br />

aber einige einflußreiche<br />

Bürger von Gloucester<br />

waren strikt gegen die Verwendung<br />

dieses neuen<br />

Materials – obwohl die<br />

Brücke von der Stadt aus<br />

gar nicht in Sichtweite war.<br />

Um den Wasserfluß bei<br />

starken Fluten zu erleichtern<br />

<strong>und</strong> dadurch zu großen<br />

Druck abzubauen, konstruierte<br />

Telford den Steinbogen<br />

nach der cornes de<br />

vache Technik, von Perronet<br />

für seine Seine Brücke<br />

bei Neuilly entwickelt. Dabei<br />

wird das Bogenprofil in<br />

der Mitte an sich nicht verändert,<br />

sondern vielmehr<br />

das Hochwasser durch entsprechendeProfilausbildung<br />

(cows horns) am<br />

Rand umgelenkt <strong>und</strong> die<br />

Bildung von Turbulenzen<br />

verhindert. Der Bogen erscheint<br />

darüber hinaus flacher,<br />

als er tatsächlich ist.


Clifton Suspension Bridge<br />

Bristol<br />

Clifton Suspension Bridge<br />

Standort: Clifton, bei Bristol<br />

Baujahr: 1831 - 1864<br />

Bauherr: Stadt Bristol<br />

Ingenieure: Isambard Kingdom Brunel<br />

(Entwurf <strong>und</strong> 1. Bauphase)<br />

William Henry Barlow/Sir John Hawkshaw<br />

(2. Bauphase)<br />

Literatur: David P. Billington:<br />

The Tower and the Bridge, Princeton/NJ 1983<br />

William Henry Barlow:<br />

Description of the Clifton Suspension Bridge,<br />

in: Minutes of the <strong>Institut</strong>ion of Civil Engineers,<br />

1867,<br />

in: ICE Bridge Engineering, 156, 3/2003<br />

Clifton Suspension Bridge gives up its secrets,<br />

in: The Structural Engineer, 6/2003<br />

Die erste Initiative zum Bau<br />

einer Brücke über den Avon<br />

Gorge bei Bristol ging 1753<br />

von einer Erbschaft von<br />

1000 Pf<strong>und</strong> aus, die ein<br />

wohlhabender Weinhändler<br />

einer Bristoler Handelsgesellschaft<br />

hinterließ. Er<br />

machte zur Auflage, die<br />

Summe anzulegen <strong>und</strong><br />

zum Bau einer Steinbrücke<br />

zu verwenden, wenn 10000<br />

Pf<strong>und</strong> zusammengekommen<br />

wären. Bereits 1822<br />

wird von Alderman Daniel<br />

eine Hängebrückenkonstruktion<br />

vorgeschlagen,<br />

die dem später ausgeführten<br />

Entwurf sehr ähnlich ist,<br />

zunächst aber nicht weiterverfolgt.<br />

1829 gründet sich<br />

ein Komitee <strong>und</strong> führt bis<br />

1831 zwei Wettbewerbe<br />

durch, bei denen sich<br />

schließlich Isambard Kingdom<br />

Brunel durchsetzt 1 .<br />

Die Clifton Suspension<br />

Bridge ist eine weitspannende<br />

Hängekonstruktion<br />

mit Stützpfeilern auf den<br />

Felsen zu beiden Seiten<br />

der Schlucht. Die ursprünglich<br />

vorgesehenen Ornamente<br />

der Pfeiler wurden<br />

später nicht mehr ausgeführt.<br />

Nach der Errichtung<br />

der Türme bis 1843 kam<br />

der Bau zum Erliegen. Erst<br />

1860 gründen William Henry<br />

Barlow, Sir John Hawks-<br />

haw <strong>und</strong> einige andere Ingenieure<br />

die Clifton Suspension<br />

Bridge Company,<br />

um die begonnene Arbeit<br />

zum Wohle der Allgemeinheit<br />

<strong>und</strong> zur Würdigung der<br />

Konstruktion zu einem Abschluß<br />

zu bringen.<br />

Das Tragwerk besteht aus<br />

Kette, Pfeiler, Hängestange,<br />

Versteifungsträger,<br />

Querträger sowie weiteren<br />

aussteifenden Elementen.<br />

Die Ketten sind über Bolzen<br />

verb<strong>und</strong>en, die in Ösen<br />

stecken. Brunels Entwurf<br />

sah vor, die Brückenfahrbahn<br />

an zwei Kettensträngen<br />

aufzuhängen, die über<br />

die Stützpfeiler gelegt <strong>und</strong><br />

im Felsen verankert sind.<br />

Die Fahrbahn liegt 80 m<br />

über dem Wasserspiegel,<br />

die Höhe der Pylone beträgt<br />

26 m über 33 m hohen<br />

Pfeilerf<strong>und</strong>amenten .<br />

Die Entfernung vom Pylon<br />

zu den Umlenksatteln, die<br />

die Kette zu den unterirdischen<br />

Verankerungen führen,<br />

beträgt 60 m. Die Konstruktion<br />

überspannt 214 m<br />

bei einer Gesamtlänge der<br />

Brücke von 334 m <strong>und</strong> einem<br />

Verhältnis von Durchhang<br />

zu Spannweite von<br />

1:10. Diese reine Zugkonstruktion<br />

ermöglicht erhebliche<br />

Materialeinsparungen<br />

<strong>und</strong> läßt keine Stabilitäts-<br />

89


Bristol<br />

Clifton Suspension Bridge<br />

90<br />

probleme erwarten. Lediglich<br />

die Ableitung der Zugkräfte<br />

in den Boden muß<br />

gelöst werden. Sie erfolgt<br />

über konische Schwergewichtsf<strong>und</strong>amente<br />

aus Ziegeln,<br />

die von den Kettengliedern<br />

durchdrungen werden,<br />

so daß der Kraftangriff<br />

über Gußplatten rückseitig<br />

erfolgt. In der Fahrbahnebene<br />

sind Versteifungsträger<br />

erforderlich, dazu wird<br />

das Geländer noch zur<br />

Längsaussteifung herangezogen.<br />

Die Hängestangen<br />

sind über Metallbänder<br />

an der Verbindungsstelle<br />

der Kettenglieder befestigt.<br />

Sie halten den oberen<br />

Flansch der Versteifungsträger,<br />

der an jedem Aufhängepunkt<br />

die Querträger<br />

trägt. Die Hängestangen<br />

sind zweiteilig; die Verbindung<br />

erfolgt durch Spannschrauben<br />

mit Rechts- <strong>und</strong><br />

Linksgewinde. Die Querträger<br />

sind Fachwerke aus<br />

vernieteten Eisenbändern<br />

<strong>und</strong> an ihren Enden biegesteif<br />

ausgeführt, um das<br />

Moment aus den Geländern<br />

aufnehmen zu können.<br />

Die Fahrbahn aus<br />

zwei Bohlenschichten wird,<br />

verstärkt durch ein System<br />

von diagonalen Eisenstangen,<br />

zur Aussteifung herangezogen.<br />

Um Verformungen<br />

durch Wind <strong>und</strong> große<br />

Verkehrslasten ohne Zwängungen<br />

zu ermöglichen,<br />

wurden die äußeren Enden<br />

der Fahrbahn mit Klappen<br />

<strong>und</strong> Gelenken versehen.<br />

Da die Pfeiler an beiden<br />

Uferseiten die gleiche Höhe<br />

haben, aber nicht auf einer<br />

Ebene liegen, hat die gesamte<br />

Brücke eine leichte<br />

Steigung (1:233). Brunel<br />

gab der Brücke diese Neigung,<br />

um die unterschiedlichen<br />

Felsformationen auf<br />

beiden Seiten optisch auszugleichen.<br />

1845 hatte Brunel nach einem<br />

ähnlichen Entwurf die<br />

Hungerford Footbridge<br />

über die Themse in London<br />

gebaut, die 1860 abgetragen<br />

<strong>und</strong> durch die neue<br />

Charing Cross Railway<br />

Bridge von Sir John Hawkshaw<br />

ersetzt wurde. Hawkshaw<br />

ließ die Ketten der<br />

Hungerford Bridge aufbewahren,<br />

um sie zur Fertigstellung<br />

der Clifton Bridge<br />

zu verwenden. Dazu mußte<br />

allerdings die Struktur<br />

angepasst werden: Statt<br />

zwei wurden nun drei Ketten<br />

pro Seite vorgesehen.<br />

An einer Kette küpft jeweils<br />

alle drei Felder ein Hänger<br />

an. Die Ketten werden<br />

durch Distanzklötze auf<br />

gleichbleibendem Abstand<br />

gehalten. Im Bauzustand<br />

wurden die Lasten von beiden<br />

Enden aus zur Mitte hin<br />

aufgebracht, so daß die<br />

Ketten ihre errechnete<br />

Form erst im Endzustand<br />

erreichten.<br />

Barlow schloß aus seinen<br />

Erfahrungen bei der Fertigstellung<br />

der Clifton Bridge,<br />

daß sich große Spannweiten<br />

positiv auf Hängebrükken<br />

auswirken müßten, da<br />

mit dem mit der Spannweite<br />

zunehmenden Eigengewicht<br />

der Einfluß von wechselnden<br />

Lasten auf die<br />

Konstruktion geringer würde.<br />

So müsse es im Prinzip<br />

möglich sein, auch Eisenbahnbrücken<br />

als Hängekonstruktionenauszuführen,<br />

was bisher vermieden<br />

wurde.<br />

Problematisch ist das Verhalten<br />

der Suspension<br />

Bridge bei Wind. Stürme<br />

aus Nordwest <strong>und</strong> Südost,<br />

also praktisch der Richtung<br />

der Avon-Schlucht an der<br />

Stelle der Brücke, wirken<br />

sich auf die Struktur mit großer<br />

Kraft aus, so daß man<br />

manchmal kaum auf der<br />

Fahrbahn stehen kann.


In solchen Situationen zeigen<br />

sich drei Auswirkungen:<br />

Erstens ein kleiner horizontaler<br />

Ausschlag, der<br />

gerade so mit bloßem Auge<br />

zu erkennen ist, zweitens<br />

eine Welle von einem Ende<br />

der Brücke zum anderen.<br />

Es ist eine langsame Bewegung<br />

der Struktur, die sich<br />

in gleichmäßigen Hebungen<br />

<strong>und</strong> Senkungen der<br />

Fahrbahn um jeweils 6<br />

inches ausdrückt, etwa auf<br />

halber Strecke zwischen<br />

Zentrum <strong>und</strong> Pfeilerf<strong>und</strong>amenten<br />

abwechselnd aus<br />

beiden Richtungen. Der<br />

dritte Effekt ist eine Bewegung<br />

der Ketten zwischen<br />

den Pylonen <strong>und</strong> dem Fels.<br />

Da es keine dämpfenden<br />

vertikalen Elemente zwischen<br />

den Pylonen <strong>und</strong> der<br />

Verankerung der Kette im<br />

Boden gibt, stabilisiert<br />

nichts die Bewegung der<br />

Ketten in diesem Bereich,<br />

so daß heftige Windstöße<br />

diese Ketten seitlich wegdrücken<br />

können trotz ihres<br />

Gewichts, trotz des großen<br />

Zugs <strong>und</strong> trotz der recht<br />

kleinen Angriffsfläche, die<br />

sie dem Wind bieten.<br />

Im Jahr 2002 entdeckte<br />

man bei Restaurierungsarbeiten<br />

12 Kammern in den<br />

F<strong>und</strong>amenten unter den<br />

Brückenpfeilern, die man<br />

bis dahin für massive Körper<br />

gehalten hatte. Diese<br />

Kammern haben eine ma-<br />

Bristol<br />

Clifton Suspension Bridge<br />

ximale Gr<strong>und</strong>fläche von<br />

17,50 x 5,60 m <strong>und</strong> sind bis<br />

zu 10,60 m hoch. Die obere<br />

Stufe hat sieben Kammern,<br />

die miteinander <strong>und</strong><br />

mit den fünf weiteren Kammern<br />

in der unteren Stufe<br />

durch schmale Gänge von<br />

nur 0,6m Durchmesser verb<strong>und</strong>en<br />

sind. Mithilfe von<br />

elektronischen Messungen<br />

stieß man inzwischen unter<br />

dem Fußweg auf der<br />

Nordseite des Leigh<br />

Woods Tower auf einen<br />

ähnlichen Gang, wie er auf<br />

der Südseite bereits einige<br />

Jahre zuvor gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

damals für einen Teil eines<br />

Drainagesystem gehalten<br />

worden war. In Abstimmung<br />

mit den Denkmalschutzbehörden<br />

wurden 2003 nachträglich<br />

Eingänge in die<br />

Pfeilerf<strong>und</strong>amente gestemmt.<br />

Über den Sinn der<br />

Kammern, außer dem,<br />

Baumaterial einzusparen,<br />

ist man sich zum aktuellen<br />

Zeitpunkt noch unklar. Historische<br />

Pläne dieser F<strong>und</strong>amente<br />

existieren offenbar<br />

nicht.<br />

1 W. H. Barlow schreibt den<br />

eigentlichen Entwurf allerdings<br />

1867 Thomas Telford<br />

zu <strong>und</strong> gibt an, Brunel habe<br />

diesen lediglich weitergeführt:<br />

„In 1830 an Act of<br />

Parliament was obtained<br />

for the construction of the<br />

bridge, to which the late<br />

Thomas Telford was the<br />

engineer. [...] The work subsequently<br />

passed into the<br />

hands of the late [...] Brunel,<br />

who made a new design<br />

placing the piers near<br />

the top of the rocks on each<br />

side and boldly crossing the<br />

whole opening in one<br />

span[...].“ Dies widerspricht<br />

der Entwurfsgeschichte bei<br />

Billington (siehe Kapitel zu<br />

I. K. Brunel).<br />

91


Bristol<br />

Wildsreen<br />

92<br />

Wildscreen at Bristol<br />

Standort: Bristol<br />

Baujahr: 1995-2000<br />

Bauherr: Millennium Commission<br />

Architekt: Michael Hopkins<br />

Ingenieur: Büro Happold<br />

Literatur: Davies, Colin: Hopkins 2, London 2001<br />

Die BBC Natural History-<br />

Einheit, mit Hauptsitz in<br />

Bristol, produziert ein Drittel<br />

der Wildlife Programme<br />

auf der ganzen Welt. Wildscreen<br />

ist eine Ergänzung<br />

der Sendungen in Form eines<br />

Museums. Hier sind ein<br />

IMAX Kino, ein elektronischer<br />

Zoo <strong>und</strong> ein Tropenhaus<br />

miteinander kombiniert.<br />

Der dreieckige Bauplatz<br />

ist Teil eines neuen<br />

Freizeitquartiers namens<br />

Bristol Harbourside. Dieses<br />

Quartier wurde mit Hilfe<br />

der Millennium Commission<br />

auf einem ehemaligen<br />

Gelände der Eisenbahn<br />

nahe der Innenstadt entwickelt.<br />

In den umgebenden<br />

Gebäuden sind ein<br />

Watershed Arts Centre, ein<br />

Science Museum <strong>und</strong> ein<br />

großes Parkhaus unterhalb<br />

des neuen öffentlichen<br />

Platzes untergebracht.<br />

An der Spitze des Dreiecks<br />

befindet sich der massive<br />

trommelförmige Baukörper<br />

aus Ziegeln, in dem das<br />

Kino untergebracht ist,<br />

deutlich sichtbar von dem<br />

starkbefahrenen Autobahnkreuz<br />

Richtung Norden.<br />

Von diesem Punkt aus breitet<br />

sich das Gebäude nach<br />

Süd-Westen hin aus bis zu<br />

einem zweigeschossigen,<br />

aus dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

stammenden Gebäude,<br />

welches als Café <strong>und</strong> Shop<br />

umgenutzt wurde. Der Gebäudeteil<br />

zwischen Kino<br />

<strong>und</strong> Café, welcher in zwei<br />

separaten, parallelen Gebäudestreifen<br />

organisiert<br />

ist, hat jeweils einen eigenen<br />

architektonischen Charakter.<br />

Optisch getrennt<br />

werden die Gebäudestreifen<br />

vom Kino durch ein<br />

schmales gläsernes Atrium,<br />

das die geometrischen<br />

Form der Trommel nachzeichnet.<br />

Darauf folgt eine<br />

fünfgeschossige vertikale<br />

Erschließungszone, Aufzüge,<br />

eine Halle <strong>und</strong> zwei<br />

Wendeltreppen. Daran<br />

schließt sich ein viergeschossiges<br />

Ziegelgebäude<br />

an. Darin befindet sich die<br />

interaktive, multimediale<br />

Ausstellung des elektronischen<br />

Zoos, verteilt auf<br />

zwei Geschosse, mit Semi-


narräumen darüber <strong>und</strong> einer<br />

überdachten Dachterrasse.<br />

In dem darauffolgenden<br />

anderen Gebäudestreifen<br />

befindet sich das<br />

Tropenhaus,das ein von<br />

zwei Stahlmasten getragenes<br />

Zeltdach aus Folienkissen<br />

hat.. Den Zwischenraum<br />

von Tropenhaus <strong>und</strong><br />

dem bestehenden Gebäude<br />

überbrückt eine zweite<br />

Membrankonstruktion <strong>und</strong><br />

bildet so ein Foyer über das<br />

der gesamte Komplex erschlossen<br />

wird.<br />

R<strong>und</strong>gänge im Gebäude<br />

verlaufen zwischen den<br />

einzelnen Gebäudestreifen.<br />

Besucher des Kinos<br />

möchten nicht unbedingt<br />

auch den Zoo oder das Tropenhaus<br />

besuchen. Für<br />

diesen Fall musste ein direkter<br />

Weg vom Foyer dorthin<br />

gesichert sein. Das wurde<br />

durch eine architektonisch<br />

unübliche Art <strong>und</strong><br />

Weise erreicht. Die Decke<br />

des Tropenhauses wurde<br />

angehoben wie ein Teppich,<br />

um einen kegelförmigen,<br />

höhlenartigen Durchgang<br />

zu schaffen, der sich<br />

zwischen den getrennten<br />

Decken des Zoos bis ins<br />

Atrium fortsetzt, so dass<br />

der Besucher sich am Ende<br />

gegenüber der Bar wiederfindet.<br />

Der Kinosaal ist eine Box,<br />

zugänglich von zwei Treppen,<br />

die rechts <strong>und</strong> links<br />

von der Bar zwischen Box<br />

<strong>und</strong> Trommel emporsteigen.<br />

Besucher des Zoos<br />

<strong>und</strong> des Tropenhauses folgen<br />

einer vorgezeichneten<br />

Route, die jeweils auf einer<br />

Seite des Durchgangs zum<br />

Kino beginnt. Von dort aus<br />

windet sie sich durch beide<br />

Räume. Der durch den<br />

Durchgang zum Kino entstandene<br />

„Berg“, dient als<br />

Verbindung zwischen Erd<strong>und</strong><br />

Obergeschoss.<br />

Die unterschiedlichen<br />

Funktionen der Gebäudeteile<br />

sind durch unterschiedlicheDachkonstruktionen<br />

von außen gut ablesbar.<br />

Die schwere, fensterlose<br />

Ziegelkonstruktion<br />

beherbergt das Kino <strong>und</strong><br />

den Zoo. Diese massive<br />

Außenhaut bringt akustische<br />

<strong>und</strong> energetische Vorteile.<br />

Das Zeltdach des Tropenhauses<br />

ist hingegen ein<br />

Energieempfänger, der viel<br />

Tageslicht hereinlässt <strong>und</strong><br />

somit die Sonne zum Beheizen<br />

mitnutzt. Die innere<br />

Umgebung wird kontrolliert<br />

durch Schaffung einer Balance<br />

zwischen den gegensätzlichen<br />

Stärken. Zum<br />

Beispiel absorbiert die<br />

schwere, nach Süden ausgerichtete<br />

Wand des Zoos<br />

tagsüber viel Wärme <strong>und</strong><br />

gibt diese in der Nacht an<br />

das Tropenhaus ab. Das<br />

kühle Wasser von dem nahegelegenen<br />

Dock wird für<br />

die mechanische Ventilation<br />

im Kino genutzt <strong>und</strong> reduziert<br />

somit die Belastung<br />

der Kühlungsanlage.<br />

In früheren Entwürfen war<br />

ein konventionelles Gewächshaus<br />

aus Stahl <strong>und</strong><br />

Glas für das Tropenhaus<br />

vorgesehen. Dieses wurde<br />

fortschrittlich verfeinert.<br />

Anstatt der Glaspanelen<br />

sollten aufgeblähte ETFE<br />

Kissen eingesetzt werden.<br />

Diese kombinieren extreme<br />

Leichtigkeit, hohe Lichtdurchlässigkeit,<br />

gute thermische<br />

Isolation <strong>und</strong> eine<br />

selbstreinigende Haut miteinander.<br />

Im Gegensatz zu<br />

Glas haben die Folienkissen<br />

weniger Eigengewicht<br />

<strong>und</strong> sind nachgiebiger gegenüber<br />

Bewegungen. Ein<br />

Hauptseil verläuft quer über<br />

das Gebäude von einer<br />

Ecke zur anderen, gehalten<br />

von den zwei Stahlmasten.<br />

Senkrecht dazu spannen<br />

Seile zu den massiven Außenwänden<br />

des Zoos bzw.<br />

zu einer Stützenreihe. Für<br />

die abschließenden Wände<br />

des Zeltes wurde eine konventionellereStahlkonstruktion<br />

mit bananenförmigen<br />

Dachträgern gewählt.<br />

Sie werden von vertikalen<br />

Fachwerkträgern getragen,<br />

zwischen denen sich die<br />

Glasfassade befindet.<br />

Die Konstruktion des<br />

Durchgangs unterhalb des<br />

Tropenhaus durchschritt<br />

einen ähnlichen Entwicklungsprozess.<br />

Eine ebenbürtige<br />

innovative Lösung<br />

wurde gef<strong>und</strong>en. Vorgefer-<br />

Bristol<br />

Wildsreen<br />

93


Bristol<br />

Wildsreen<br />

94<br />

tigte Stahlbetonteile wurden<br />

vorgeschlagen, erwiesen<br />

sich jedoch aufgr<strong>und</strong><br />

der Geometrie des Durchganges<br />

als zu aufwändig<br />

<strong>und</strong> damit unwirtschaftlich.<br />

Eine Vereinfachung der<br />

Geometrie zu Gunsten der<br />

Technologie hätte den Verlust<br />

der Dynamik <strong>und</strong> der<br />

fließenden Form bedeutet.<br />

Die Tunneltechnologie war<br />

die Rettung. Spritzbeton erlaubte<br />

Toleranzen. Eine<br />

Konstellation von kleinen<br />

Lampen sind in das Dach<br />

der Höhle eingelassen. In<br />

der kleinen Verlängerung<br />

zum bestehenden Gebäude,<br />

befindet sich der Shop.<br />

Gr<strong>und</strong>riss EG<br />

Die neue Dachgeometrie<br />

rationalisiert die alte Fassade<br />

des bestehenden Gebäudes,<br />

so dass das neue<br />

Vordach sich deutlich abhebt.<br />

Wildscreen ist ein Bauwerk<br />

von unterschiedlichsten<br />

Räumen <strong>und</strong> Konstruktionsformen,zusammengeführt<br />

durch ein kompliziertes,<br />

aber leserliches Zirkulationssystem,<br />

das einen<br />

kompakten Gr<strong>und</strong>riss auf<br />

einer begrenzten Fläche<br />

entstehen lässt.


Gr<strong>und</strong>riss OG<br />

Schnitt<br />

Isometrie<br />

Bristol<br />

Wildsreen<br />

95


Bristol<br />

Kathedrale<br />

96<br />

Bristol Cathedral<br />

Standort: Bristol<br />

Baujahr: 1298 - 1888<br />

Architekt: unbekannt (13./14.Jahrh<strong>und</strong>ert)<br />

George Edm<strong>und</strong> Street (19. Jahrh<strong>und</strong>ert)<br />

Literatur: Nikolaus Pevsner u.a.: Lexikon der Weltarchitektur,<br />

(2. Aufl.), München 1987<br />

Rolf Toman (Hg.): Die Kunst der Gotik, Köln 1998<br />

bristolcathedral.co.uk<br />

Die Kathedrale von Bristol<br />

wurde 1140 als Abteikirche<br />

St. Augustine an der Stelle<br />

einer älteren Kirche von<br />

Robert FitzHarding, einem<br />

wohlhabenden Kaufmann,<br />

Propst von Bristol <strong>und</strong> Lord<br />

of Berkeley, gegründet, der<br />

Augustinermönche nach<br />

Bristol holte. 1165 ließ er<br />

das Chapter House anbauen,<br />

dessen Arkaden <strong>und</strong><br />

H<strong>und</strong>szahn-Friese typisch<br />

für die normannische Epoche<br />

sind. Die Elder Lady<br />

Chapel wurde 1220 durch<br />

den Abt David hinzugefügt.<br />

Weil der Chor zukünftig<br />

Grablege der Berkeley-<br />

Familie sein sollte, begannen<br />

die Mönche von St.<br />

Augustine’s unter Abt<br />

Knowle 1298 mit einer<br />

gr<strong>und</strong>legenden Erneuerung<br />

ihres ersten Chores<br />

<strong>und</strong> einem Umbau der Abtei<br />

zu einer für England ungewöhnlichen,dreischiffigen<br />

normannischen Hallenkirche<br />

mit gleichhohem<br />

Langhaus, Chor <strong>und</strong> Seitenschiffen.<br />

Chor <strong>und</strong> Eastern<br />

Lady Chapel waren<br />

1332 fertiggestellt, 1460 –<br />

80 folgten ein zentraler<br />

Turm <strong>und</strong> das Querhaus.<br />

Als unter Heinrich VIII. die<br />

Klöster aufgelöst wurden,<br />

wurde 1539 das noch unfertige<br />

Langhaus abgerissen.<br />

Die Abteikirche wurde<br />

1542 zur Kathedrale der<br />

neuen anglikanischen Diözese<br />

Bristol erklärt. Erst<br />

1868 wurde der Bau durch<br />

den Architekten George<br />

Edm<strong>und</strong> Street vollendet,<br />

der das Langhaus anhand<br />

der noch vorhandenen<br />

Säulenbasen rekonstruierte.<br />

Nach Streets Tod ergänzte<br />

der Londoner Architekt<br />

Pearson 1888 die beiden<br />

Westtürme <strong>und</strong> gestaltete<br />

den Innenraum um.<br />

Die Fenster des nördlichen<br />

Langhauses stammen aus<br />

dem Jahr 1951; sie erinnern<br />

an die zivilen Hilfskräfte<br />

während des Zweiten<br />

Weltkriegs.<br />

Die englische Gotik setzt<br />

mit den Kathedralen von<br />

Wells <strong>und</strong> Lincoln Ende<br />

des 12. Jahrh<strong>und</strong>erts ein.<br />

Das Early English ist vor<br />

allem durch eine stärkere<br />

Betonung der Horizontalen<br />

im Vergleich zur französischen<br />

Gotik sowie durch<br />

gerade Chorabschlüsse<br />

anstelle eines Kapellenkranzes<br />

gekennzeichnet.<br />

Auch die Gewölbe weichen<br />

von der Entwicklung in<br />

Frankreich ab. Deren dekorative<br />

Gestaltung beginnt in<br />

Lincoln <strong>und</strong> hat ihren Höhepunkt<br />

im Sterngewölbe


von Exeter im späten 13.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert. Danach vollzieht<br />

sich der Wechsel zum<br />

Decorated Style, der sich<br />

bis zur zweiten Hälfte des<br />

14. Jahrh<strong>und</strong>erts hält. Seine<br />

Stilmerkmale sind konvex-konkav<br />

geschwungene<br />

Formen, hauptsächlich bei<br />

Bögen <strong>und</strong> Fenstermaßwerk<br />

angewendet, sowie<br />

eine Fülle an Dekoration,<br />

die Flächen, Bögen <strong>und</strong><br />

Wimperge überzieht. Die<br />

Motive sind meist stilisierte<br />

Blattmuster. Bei der Raumbildung<br />

spielt der unerwartete<br />

Durchblick, besonders<br />

in diagonaler Richtung,<br />

eine wichtige Rolle. Der<br />

Chor der Kathedrale von<br />

Bristol ist eines der Hauptwerke<br />

des Decorated Style<br />

<strong>und</strong> eines der ausgefallensten<br />

Bauwerke der Spätgotik<br />

in Europa.<br />

Ein namentlich nicht überlieferter<br />

Baumeister deutete<br />

die Hallenform in einmaliger<br />

Weise um, indem er<br />

das breite Mittelschiff mit<br />

großen Arkaden in die<br />

schmalen Seitenschiffe öffnete,<br />

in denen er die Gewölbe<br />

quer zum Mittelschiff<br />

stellte. Die Seitenschiffsgewölbe<br />

bestehen aus vier<br />

Kreuzrippengewölben in<br />

jedem Joch <strong>und</strong> werden<br />

von vier Gurtbögen getragen,<br />

die wesentlich niedriger<br />

ansetzen als die<br />

Scheidbögen des Mittelschiffs.<br />

Ihre Zwickel sind<br />

durchbrochen <strong>und</strong> schließen<br />

horizontal mit einem<br />

Zinnenfries ab. Darüber<br />

sind die Gewölbe offen. Da<br />

hier ganze Gewölbekappen<br />

fehlen, ist der Blick in die<br />

anschließenden Joche frei,<br />

<strong>und</strong> die Gurtbögen der Seitenschiffe<br />

erscheinen wie<br />

eingehängte Brücken. Eine<br />

ähnliche Lösung ist nur aus<br />

dem Unterbau der<br />

Ste.Chapelle in Paris bekannt.<br />

Die Gewölbe im Vorraum<br />

zur Kapelle der Berkeleys<br />

sind noch ausgefallener,<br />

denn hier verzichtete<br />

der Baumeister auf<br />

sämtliche Gewölbekappen,<br />

so dass die Rippen frei in<br />

der Luft hängen.<br />

Bristol<br />

Kathedrale<br />

Bemerkenswert sind darüberhinaus<br />

die Pfeiler des<br />

Mittelschiffs, die ohne Unterbrechungen<br />

in die<br />

Scheidbögen übergehen.<br />

Dies ist einer der frühesten<br />

Fälle der europäischen<br />

Gotik, in dem auf Kapitelle<br />

oder Kämpfer verzichtet<br />

wird. Die Pfeiler bestehen<br />

außerdem aus nirgendwo<br />

zuvor verwendeten, wellenförmigen<br />

Profilen. Das Gewölbe<br />

des Mittelschiffs<br />

setzt als Tierceron-Gewölbe<br />

an, seine Nebenrippen<br />

gehen also vom Kämpfer<br />

auf, während es im Scheitelpunkt<br />

auf eine Reihe großer<br />

Rauten aus Zwischenrippen<br />

trifft, sogenannten<br />

Liernen, die weder vom<br />

Kämpfer noch von einem<br />

zentralen Schlußstein ausgehen.<br />

Die Liernen sind wie<br />

Maßwerk mit Nasen verziert,<br />

die sich von der Gewölbefläche<br />

lösen.<br />

Die Steigerung dieser Gestaltung<br />

findet sich in den<br />

Grabnischen der Berkeleys,<br />

wo Kielbögen kopfüber<br />

übereinander getürmt<br />

werden <strong>und</strong> umgedrehte<br />

Vielpaßbögen fast orientalisch<br />

anmutende Räume<br />

bilden.<br />

97


Bristol<br />

Kathedrale<br />

98


Millennium Bridge<br />

Standort: London<br />

Baujahr: 2001<br />

Bauherr: Millennium Bridge Trust <strong>und</strong> London Borough of<br />

Southwark<br />

Architekt: Foster and Partners<br />

Ingenieur: Ove Arup & Partners<br />

Bildhauer: Sir Anthony Caro<br />

Literatur: LeCuyer, Annette: Stahl & Co., Basel 2003<br />

Detail 8/1999<br />

Foster and Partners: Foster Catalouge 2001,<br />

London 2001<br />

Zum Jahrtausendwechsel<br />

wollte man durch eine neue<br />

Brücke eine Verbindung<br />

zwischen den Bezirken<br />

Bankside <strong>und</strong> Southwark<br />

herstellen. Zu Fuß kann<br />

man nun bequem über die<br />

Fußgängerbrücke von der<br />

St. Pauls-Kathedrale hinüber<br />

zur gegenübergelegenen<br />

Tate Gallery of Modern<br />

Art hinüberspazieren. Doch<br />

nicht nur die infrastrukturelle<br />

Funktion der Millennium<br />

Bridge ist von Bedeutung.<br />

Sie verschafft durch ihre<br />

Gestaltung Fußgängern<br />

eine neue Wahrnehmung<br />

der Stadt. Man hat das Gefühl<br />

zu schweben <strong>und</strong> hat<br />

dabei einen ungehinderten<br />

Blick auf die Attraktionen<br />

der Stadt.<br />

Konstruktiv ist die Millennium<br />

Bridge eine flache Hängebrücke,<br />

deren Hauptteil<br />

zwischen zwei Brückenpfeilern<br />

144 m weit spannt.<br />

Die Gesamtlänge beträgt<br />

340m <strong>und</strong> die Breite 4m. An<br />

den zwei Y-förmigen Brükkenpfeilern<br />

sind je vier<br />

120mm dicke Seile parallel<br />

zu beiden Längsseiten<br />

der Brücke aufgehängt.<br />

Querliegende Ausleger,<br />

welche die Seile alle 8m an<br />

den Seiten festgeklemmt<br />

sind, tragen die Brückenplatte.<br />

London<br />

Millennium Bridge<br />

Diese steigt von den Widerlagern<br />

am Ufer bis zur<br />

Brückenmitte lediglich<br />

30cm an <strong>und</strong> bildet so einen<br />

flachen Bogen. In<br />

Brückenmitte hängen die<br />

Spannseile am meisten<br />

durch, aber trotzdem nur<br />

maximal 2,30m, was große<br />

Horizontalkräfte zur Folge<br />

hat, die von den Widerlagern<br />

aufgenommen werden<br />

müssen. Ihren höchsten<br />

Punkt haben die<br />

Spannseile auf Höhe der Yförmigen<br />

Brückenpfeiler.<br />

Dort werden sie drei Meter<br />

oberhalb <strong>und</strong> sieben Meter<br />

außerhalb des Brückenstegs<br />

gehalten. Diese<br />

Maße entsprechen gerade<br />

mal einem Zehntel einer<br />

normalen Hängebrücke.<br />

Durch die Ausleger werden<br />

die beiden geometrischen<br />

Ordnungen – Seillinie <strong>und</strong><br />

Brückenlinie – verb<strong>und</strong>en.<br />

Auf Höhe der Brückenmitte<br />

sind diese recht kurz <strong>und</strong><br />

nach unten geneigt. Zum<br />

Brückenpfeiler hin werden<br />

sie länger <strong>und</strong> flacher bis<br />

sie sich schließlich auf<br />

Höhe des Pfeilers stufenweise<br />

aufrichten <strong>und</strong> abspreizen.<br />

Die beiden Brückenenden<br />

sind an ihre jeweilige Umgebung<br />

angepasst. Als Verlängerung<br />

einer Achse<br />

steigt man an der nördlichen<br />

Uferseite von St.<br />

Paul´s ausgehend über<br />

eine großzügige Treppenanlage<br />

unmittelbar zur<br />

Brücke hinab. Am südlichen<br />

Ufer hingegen, an<br />

dem sich die neue Tate<br />

Gallery befindet, wird der<br />

Zugang zur Uferpromenade<br />

betont. Die Brücke teilt<br />

sich, um eine zentrale<br />

Rampe zu umschließen,<br />

die nun in umgekehrter<br />

Richtung abwärts führt <strong>und</strong><br />

99


London<br />

Millennium Bridge<br />

100<br />

die Spaziergänger den<br />

Fluss hinauf- oder hinablenkt.<br />

Während des Bauprozess<br />

lagen die Schwierigkeiten<br />

darin, die Materialien an die<br />

Baustelle zu bringen, da es<br />

am Nordufer keine Zufahrtsstraße<br />

gab. Außerdem<br />

war die Flussströmung<br />

sehr stark, darüber<br />

hinaus musste der Schiffsverkehr<br />

berücksichtigt werden,<br />

da man diesen nicht<br />

einfach unterbrechen konnte.<br />

Aufgr<strong>und</strong> des geringen<br />

Durchhanges der Seile<br />

muss jedes Widerlager<br />

Kräfte aus dem Eigengewicht<br />

von 2000 Tonnen aufnehmen.<br />

Die Pfahlkopfplatten<br />

der Widerlager, welche<br />

die Größe von zwei Tennisplätzen<br />

haben, werden von<br />

Gründungspfählen getragen<br />

<strong>und</strong> nehmen die Kräfte<br />

aus den Seilen auf. Die<br />

Seilanker bestehen am<br />

nördlichen Ufer aus<br />

100mm dicken Stahlplatten,<br />

die in die Widerlager<br />

eingegossen sind, <strong>und</strong> am<br />

Südufer aus Druck- <strong>und</strong><br />

Zugankern, welche an der<br />

Uferböschung wie Beton<strong>und</strong><br />

Stahlflügel aussehen.<br />

Für die Brückenpfeiler wurden<br />

Kofferdämme in den<br />

Fluss gebaut. Sie ruhen auf<br />

Betonsenkkästen.<br />

Die „Arme“ der Brückenpfeiler<br />

an denen die Seile<br />

befestigt sind, wurden aus<br />

Stahlblechen vorgefertigt.<br />

Die Querausleger bestehen<br />

ebenfalls aus Stahlblechen,<br />

aber in Form von Kastenprofilen.<br />

Dort, wo die<br />

Seile tief hängen, sind sie<br />

mit ihnen an deren Unterseite<br />

<strong>und</strong> dort, wo die Seile<br />

hochgehalten werden, an<br />

deren Oberseite fest verklemmt.<br />

Der Brückensteg<br />

wurde aus Einzelteilen vor<br />

Ort zusammengesetzt. An<br />

den Brückenrändern befinden<br />

sich Stahlrohre. Darauf<br />

lagern Gitterost, das Geländer<br />

<strong>und</strong> die Beleuchtung.<br />

Im Juni 2000 wurde die<br />

Brücke das erste Mal eröffnet.<br />

An diesem Wochenende<br />

kamen bereits 100.000<br />

Menschen, um die Brücke<br />

einzuweihen. Dabei stellte<br />

sich heraus, dass die seitliche<br />

Auslenkung größer als<br />

erwartet war. Die Brücke<br />

musste umgehend wieder<br />

geschlossen werden. Verursacht<br />

wurde die Auslenkung<br />

durch synchronisierte<br />

Schritte. Dieses Phänomen<br />

tritt zwar auch bei anderen<br />

Brücken auf, doch<br />

wurde es bisher noch nie<br />

ausreichend in den Verordnungen<br />

zum Brückenbau<br />

dokumentiert. Man führte<br />

weitere Untersuchungen<br />

durch <strong>und</strong> installierte<br />

schließlich Schwingungsdämpfer.<br />

So konnte die<br />

Brücke im Februar 2002<br />

wieder eröffnet werden.


Tate Gallery of Modern Art<br />

Standort: London, Bankside, Southwark<br />

Baujahr: 2000<br />

Bauherr: The Tate Gallery<br />

Architekt: Herzog & de Meuron<br />

Ingenieur: Ove Arup & Partners<br />

Literatur: Architektur Aktuell, 243/244<br />

<strong>Exkursion</strong>sführer Structures<br />

Detail, 4/2000 + 7/2000<br />

Ursprünglich begrenzte<br />

sich die Tate Gallery mit ihren<br />

Ausstellungen über britische<br />

historische <strong>und</strong> zeitgenössische<br />

Malerei auf<br />

das Millbank-Gebäude, jedoch<br />

litt man schon seit<br />

geraumer Zeit unter Platznot.<br />

Besuchten doch r<strong>und</strong><br />

20.000 Kunstinteressierte<br />

pro Tag die Kunstgalerie.<br />

Folglich ließ der damalige<br />

Direktor der Galerie im Februar<br />

1995 einen Wettbewerb<br />

zur Umgestaltung eines<br />

Kraftwerks ausschreiben.<br />

Ausgewähltes Objekt<br />

war die Bankside Power<br />

Station, die von 1947 bis<br />

1963 von Sir Giles Gilbert<br />

Scott (Entwerfer der roten<br />

britischen Telefonhäuschen)<br />

erbaut wurde. Damals<br />

galt es als eines der<br />

größten Kraftwerke Englands.<br />

Der imposante Ziegelbau<br />

war in drei parallel<br />

angeordneten Raumschichten<br />

organisiert, von<br />

denen jede eine spezifische<br />

Funktion hatte. Zur<br />

Themse hin war das Kesselhaus<br />

eingerichtet, in der<br />

Mitte standen große Turbinen<br />

<strong>und</strong> auf der Südseite<br />

das Switch-house, in dem<br />

bis heute Transformatoren<br />

untergebracht sind.<br />

1982 schließlich wurde das<br />

Kraftwerk stillgelegt <strong>und</strong><br />

von 1995 bis 2000 von<br />

Herzog & de Meuron umgewandelt.<br />

Das Architektenpaar<br />

konnte sich gegen<br />

147 Teilnehmer bei dem<br />

Wettbewerb durchsetzen.<br />

Man wollte keinen abgeschlossenen<br />

Entwurf <strong>und</strong><br />

suchte einen Baumeister,<br />

London<br />

Tate Gallery<br />

der am ehesten Bankside<br />

Power Station versteht <strong>und</strong><br />

dessen Potential entwikkeln<br />

kann.<br />

Die Aufgabe der Schweizer<br />

bestand nun in erster Linie<br />

darin, das Ambiente des<br />

Industriebaus sowohl von<br />

außen wie von innen zu<br />

bewahren. Die Dreiteiligkeit<br />

des Baus wurde beibehalten.<br />

Eine breite Rampe<br />

führt von der Westseite hinunter<br />

in die gigantische Eingangshalle,<br />

ehemals Turbinenhalle.<br />

Sie ist ein überwältigender<br />

Raum von 160<br />

Metern Länge <strong>und</strong> 30 Metern<br />

Höhe. Hier sind Ticketschalter,<br />

ein Café <strong>und</strong> eine<br />

Kunstbuchhandlung untergebracht.<br />

Nur ein mittig<br />

angeordneter Steg durchschneidet<br />

den nahezu sakral<br />

anmutenden Raum. Er<br />

ist der Rest einer Deckenplatte,<br />

die sich vor dem<br />

Umbau auf die gesamte<br />

Gebäudelänge ausdehnte.<br />

Von dem Steg aus kann der<br />

Besucher die Aktivitäten in<br />

der Halle überblicken <strong>und</strong><br />

in den Museumstrakt gelangen.<br />

Von dort aus gelangt<br />

man über Rolltreppen<br />

in die oberen Geschosse<br />

mit den Galerien. Diese<br />

sind thematisch <strong>und</strong> nicht<br />

wie gewöhnlich chronologisch<br />

unterteilt. Alle Galerieräume<br />

sind mindestens<br />

fünf Meter hoch. Sie unter<br />

101


London<br />

Tate Gallery<br />

102<br />

scheiden sich aber in Abmessung<br />

<strong>und</strong> Proportion,<br />

um den jeweiligen Kunstwerken<br />

den optimalen Rahmen<br />

zu bieten. Die Belichtung<br />

erfolgt teilweise durch<br />

Tageslicht, das über Oberlichter<br />

oder die kathedralartigen<br />

Fenster in die Räume<br />

gelangt. Lichtbänder<br />

erhellen die Räume zusätzlich<br />

mit fein regulierbarem<br />

Kunstlicht.<br />

Die große Eingangshalle<br />

wird durch Lichteinfall<br />

durch das Dach belichtet.<br />

Hierzu wurde ein zweigeschossiger<br />

Glasriegel auf<br />

das Dach aufgesetzt. Dies<br />

ist die einzige von außen<br />

sichtbare bauliche Veränderung<br />

an der ehemaligen<br />

Bankside Power Station.<br />

Die Idee des großen Lichtkörpers,<br />

der über dem<br />

schweren Backsteingebäu-<br />

de schwebt, existierte bereits<br />

von Anfang der Entwurfsüberlegungen<br />

an.<br />

Tagsüber bringt er Licht in<br />

die Geschosse , während<br />

er nachts das Kunstlicht in<br />

den Himmel Londons wirft.<br />

Der Leuchtkörper steht im<br />

Dialog mit dem 93 Meter<br />

hohen Turm <strong>und</strong> stellt heute<br />

das eindrucksvolle<br />

Schlüsselelement des Museums<br />

dar, welches man<br />

schon von weitem sieht,<br />

wenn man zum Beispiel<br />

über die Millennium Bridge<br />

kommend das Kunstmuseum<br />

ansteuert.


London<br />

Tate Gallery<br />

103


London<br />

Millenium Dome<br />

104<br />

Millennium Dome<br />

Standort: London<br />

Baujahr: 1996-1999<br />

Bauherr: New Millennium Experience Company Ltd. <strong>und</strong><br />

Millennium Commission<br />

Architekt: Richard Rogers Partnership<br />

Ingenieur: Büro Happold<br />

Literatur: LeCuyer, Annette: Stahl & Co., Basel 2003<br />

Detail 6/2000<br />

Lyall, Sutherland: Ingenieure – Bau – Kunst,<br />

Die Konstruktion der neuen Form, Stuttgart 2002<br />

Der Millennium Dome gilt<br />

als größte Membrankonstruktion<br />

der Welt. Er wurde<br />

auf der Halbinsel Greenwich<br />

errichtet, an der Südseite<br />

der Themse. Das<br />

Baugr<strong>und</strong>stück war ehemals<br />

ein Industrieareal,<br />

gehörte früher British Gas<br />

<strong>und</strong> war in weiten Teilen<br />

kontaminiert. Vor der eigentlichen<br />

Errichtung des<br />

Dome musste der Boden<br />

des 120 Hektar großen<br />

Geländes von seinen Altlasten<br />

befreit werden. Erst<br />

danach konnte der Entwurf<br />

von Richard Rogers in Zusammenarbeit<br />

mit der Designergruppe<br />

Imagination<br />

<strong>und</strong> dem Büro Happold verwirklicht<br />

werden.<br />

Das Konzept lag darin, eine<br />

Hängedachkonstruktion als<br />

Textil- <strong>und</strong> Seilstruktur zu<br />

entwickeln. Entstanden ist<br />

ein dreidimensionales, seilverspanntes<br />

Netzwerk.<br />

Hierzu sind 72 paarweise<br />

angeordnete Spannseile<br />

vom Mittelpunkt aus strahlenförmig<br />

in der Membranebene<br />

angeordnet. Diese<br />

aus Drähten gew<strong>und</strong>enen,<br />

einzeln vorgespannten <strong>und</strong><br />

verzinkten Seile werden<br />

von einem im Kreis verlaufenden<br />

Radialträger gehalten.<br />

So werden sie in ihrer<br />

Position fixiert. Die Ringträger<br />

sind von zwölf 90 m<br />

hohen Vierendeel-Masten<br />

abgehängt, die jeweils in<br />

einem Abstand von 100 m<br />

zum Mittelpunkt positioniert<br />

sind, <strong>und</strong> über Abspann-<br />

seile in den Boden rückverankert<br />

sind. Gegen Knikken<br />

haben die Masten die<br />

Form einer Zigarre.<br />

Als Material für die Membran<br />

wurde teflonbeschichtetes<br />

Glasfasergewebe verwendet.<br />

Das Dach besteht<br />

aus zwei Schichten. So<br />

wird ein gewisser Dämmwert<br />

erreicht <strong>und</strong> Kondensation<br />

vermieden.<br />

Gewebe <strong>und</strong> Seile sind<br />

zugbeansprucht. Um ihre<br />

Durchbiegung zu verringern<br />

<strong>und</strong> damit ihre Tragfähigkeit<br />

zu erhöhen, sind<br />

die Seile mit 4 kN/m vorgespannt.<br />

Treten Lasten auf,<br />

wie zum Beispiel durch<br />

Wind <strong>und</strong> Schnee, werden<br />

sie aus dem Gewebe über<br />

die Abspannseile <strong>und</strong> den<br />

Ringträger in den Boden<br />

abgeleitet. Die Spannseile<br />

sind im Zentrum durch einen<br />

Seilring zusammengefasst,<br />

so dass bei dem Verlust<br />

der Tragfähigkeit eines<br />

Seils, die Funktion des Systems<br />

trotzdem gewährleistet<br />

ist. Am äußeren Rand<br />

der Membran nehmen<br />

Randseile jeweils die vier<br />

der sechs Radialseile pro<br />

Kuppelsegment auf, die<br />

nicht direkt im Beton verankert<br />

werden <strong>und</strong> leiten die<br />

Kräfte zu 24 Stahlbetonankern<br />

auf dem Streifenf<strong>und</strong>ament<br />

des Dome.<br />

Die Belastbarkeit einer gespannten<br />

Struktur hängt<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich von ihrer<br />

Form ab, da sowohl Spannungen<br />

als auch Neigung<br />

der Belastung entgegenwirken.<br />

Je stärker sie gekrümmt<br />

ist, desto geringer<br />

muß sie also vorgespannt<br />

sein, um der gleichen Auflast<br />

entgegenzuwirken. Der<br />

Vorteil der flachen Kuppelform<br />

des Dome liegt darin,<br />

daß bei dieser Form die<br />

Neigung der Spannseile mit<br />

ihrer Spannweite zunimmt;


die größeren Kräfte werden<br />

daher durch die Neigung<br />

annähernd ausgeglichen.<br />

Die einzelnen Bahnen des<br />

Daches sind keilförmig zugeschnitten;<br />

ihre Breite<br />

wächst von 1m an der Spitze<br />

auf 15m, was den Vorteil<br />

hat, daß das Wasser<br />

mit zunehmender Breite<br />

verstärkt nach unten gelenkt<br />

wird. Entlang der<br />

Längskanten verläuft in einer<br />

Manschette jeweils ein<br />

12mm dickes Seil, das über<br />

Aluminium-Strangpressprofile<br />

an den radialen<br />

Spannseilen festgeklemmt<br />

wurde. Über die Stöße wurden<br />

Gewebelappen heiß<br />

auf die Membran geschweißt.<br />

Um Vertiefungen<br />

zu vermeiden in denen sich<br />

Regenwasser sammeln<br />

könnte, wurde die Konstruktion<br />

des Ringträgers<br />

<strong>und</strong> der Membran entkoppelt,<br />

indem die Ringträger<br />

über die Membranebene<br />

angehoben wurden. Lediglich<br />

an den Aufhängepunkten<br />

durchstoßen massive<br />

V-förmige Verbindungsglieder<br />

das Textil.<br />

Bei der Detailierung von<br />

Seilkonstruktionen kommt<br />

den Systempunkten <strong>und</strong> -<br />

linien sowie deren Kreuzungspunkten<br />

<strong>und</strong> der Bewegung<br />

der Seile an den<br />

Knoten besondere Bedeutung<br />

zu. Die radialen<br />

Spannseile dürfen an ihren<br />

Aufhängeknoten nicht<br />

durchlaufen, da das einen<br />

zu hohen Verschleiß des<br />

Materials verursachen wür-<br />

London<br />

Millenium Dome<br />

de. Deshalb wurde hier ein<br />

Knotenstück eingesetzt.<br />

Das sogenannte Gabelbein<br />

ist ein geschweißtes Stahlverbindungsstück,<br />

das Radialseil<br />

Seilringträger aufnimmt<br />

<strong>und</strong> an ein Abhängeseil<br />

anschließt. Es hält<br />

den Seilringträger außerdem<br />

im erforderlichen Abstand<br />

über der Membran.<br />

Als komplizierter stellte sich<br />

die Detaillierung der riesigen<br />

Stahlmastenköpfe heraus.<br />

Hier durften sich die<br />

Abhängeseile nicht berühren.<br />

Die Verbindungen der<br />

12 identischen Masten sind<br />

geschweißt. An jedem Fuß<br />

befindet sich ein Gelenk mit<br />

Gummilagerung <strong>und</strong> eine<br />

einzige Bolzenverbindung<br />

zur lokalen Fixierung.<br />

Die Belüftung des Dome<br />

<strong>und</strong> des darunter liegenden<br />

Autotunnels erfolgt über einen<br />

Schacht. Dazu ist ein<br />

Netz aus Stahlseilen in das<br />

Membrandach eingelassen.<br />

Das Netz nimmt die<br />

gleiche Zugspannung auf<br />

wie das angrenzende Glasfasergewebe<br />

<strong>und</strong> erlaubt<br />

den maximalen Lüftungsquerschnitt.<br />

Schon lange gibt es Visionen<br />

über große Schutzhüllen,<br />

die das Leben in unfre<strong>und</strong>lichem<br />

Klima erleichtern.<br />

Mit der Seiltechnologie<br />

des Millennium Dome<br />

könnte man mit einem entsprechendem<br />

Material sogar<br />

eine Fläche von<br />

150.000m² erzielen, d.h.<br />

eine ganze Stadt könnte<br />

damit überdacht werden.<br />

105


London<br />

St. Paul´s Cathedral<br />

106<br />

St. Paul’s Cathedral<br />

Standort: London<br />

Baujahr: 1675-1710<br />

Architekt: Sir Christopher Wren<br />

Literatur: Semsek, Hans-Günther: London <strong>und</strong> Umgebung,<br />

Bielefeld, 2003<br />

Michelin: Der Grüne Reiseführer Großbritannien,<br />

Frankreich, 2000<br />

Das heute zu besichtigende<br />

Wahrzeichen von London,<br />

ist die St. Paul’s Cathedral<br />

nach dem Entwurf<br />

von Sir Christopher Wren<br />

aus dem 17. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

Das erste Gotteshaus an<br />

diesem Ort wurde bereits<br />

im Jahre 604 auf Initiative<br />

des ersten Bischofs von<br />

London, Mellitius, errichtet.<br />

Nachdem man 200 Jahre<br />

nach der Errichtung die<br />

Kathedrale renoviert hatte,<br />

brannte sie 1087 das erste<br />

Mal ab.<br />

1175 war eine neue Kathedrale<br />

errichtet worden, die<br />

sich jedoch durch ständige<br />

Erweiterungen <strong>und</strong> Umbauten<br />

immer wieder veränderte.<br />

Damals gehörte<br />

Old St. Paul’s zu den beeindruckendstenSakralbauten<br />

der damaligen Christenheit.<br />

Der Glockenturm<br />

war 142 m hoch. In den<br />

Jahres 1444 <strong>und</strong> 1561<br />

schlug der Blitz in den<br />

Kirchturm ein. Dieser<br />

brannte ab, so dass sich St.<br />

Paul’s danach mit einem<br />

Turmstumpf präsentierte.<br />

Im 15. <strong>und</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

war die eigentliche Nutzung<br />

der Kathedrale als Gottes-<br />

haus zunehmend in den<br />

Hintergr<strong>und</strong> getreten. Das<br />

Mittelschiff wurde von den<br />

Fußgängern als „Durchgangsstraße“<br />

genutzt.<br />

Kaufleute <strong>und</strong> Krämer ließen<br />

sich dort nieder, geschäftliche<br />

Gespräche wurden<br />

in den Nischen geführt,<br />

<strong>und</strong> das alles während die<br />

Messe zelebriert wurde.<br />

Die Kathedrale war in einem<br />

erbärmlichen Zustand.<br />

Nachdem in England die<br />

Monarchie wieder eingeführt<br />

war, erhielt Christopher<br />

Wren, Astronom <strong>und</strong><br />

Mathematiker in Oxford,<br />

den Auftrag, die Kathedrale<br />

zu restaurieren. 1666<br />

hatte er diese Arbeiten abgeschlossen,<br />

als das Große<br />

Feuer ausbrach <strong>und</strong> St.<br />

Paul’s bis auf die Gr<strong>und</strong>mauern<br />

niederbrannte.<br />

Wieder reichte Wren Entwürfe<br />

für einen Neubau ein.<br />

1675 schließlich wurde mit<br />

dem Bau begonnen <strong>und</strong> 35<br />

Jahre später vollendet.<br />

Das Erkennungszeichen<br />

der Kathedrale <strong>und</strong> das<br />

besondere an Wrens Entwurf,<br />

ist bis heute noch die<br />

mächtige Kuppel. Im Gegensatz<br />

zur Kuppel des<br />

Petersdoms in Rom hat<br />

diese Kuppel nicht die<br />

Form einer Halbkugel. Ihr<br />

Tambour besteht aus zwei<br />

Ebenen. Die untere ist von<br />

Säulen umgeben <strong>und</strong> mit<br />

einer Balustrade versehen,<br />

während die obere, etwas<br />

von der Balustrade abgesetzt,<br />

eine kreisförmige<br />

Aussichtsgalerie, die Stone<br />

Gallery bildet. Die Kuppelspitze<br />

besteht aus einer<br />

schlichten Laterne im englischen<br />

Barockstil, die auf<br />

ihren vier Seiten mit Säulen<br />

versehen ist <strong>und</strong> eine<br />

weitere, kleinere Kuppel mit


einer goldenen Kalotte<br />

(Durchmesser 2m)trägt.<br />

Neben der Bauüberwachung<br />

an St. Paul’s leitete<br />

Sir Christopher Wren insgesamt<br />

51 weitere Kirchenbauten.<br />

London<br />

St. Paul´s Cathedral<br />

107


London<br />

Waterloo-Station<br />

108<br />

Waterloo Terminal in London<br />

Standort: London<br />

Baujahr: 1991-1993<br />

Bauherr: British Rail<br />

Architekt: Nicholas Grimshaw and Partners<br />

Ingenieur: Anthony Hunt Associates<br />

Literatur: Powell, Kenneth, Moore, Rowan: Struktur, Raum<br />

<strong>und</strong> Haut – Nicholas Grimshaw & Partners, Berlin<br />

1993<br />

Detail 4/1995<br />

Aufgr<strong>und</strong> des Baus der<br />

neuen Kanaltunnellinien<br />

Paris-London <strong>und</strong> Brüssel-<br />

London sollte ein neuer<br />

Kopfbahnhof neben der alten<br />

Waterloo Station entstehen.<br />

Im Rahmen dieses<br />

Projektes wurden zehn Architekturbürosaufgefordert,<br />

detaillierte Angaben<br />

über ihre Firma bei British<br />

Rail einzureichen. Der Auftraggeber<br />

bezeichnete das<br />

bevorstehende Projekt als<br />

einen der im heutigen Europa<br />

zweifellos interessantesten<br />

Aufgaben. Mit dieser<br />

Auffassung stimmte Nicholas<br />

Grimshaw überein <strong>und</strong><br />

entwarf ein Terminal, das<br />

an die Tradition der englischen<br />

Bahnhofshallen des<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>erts anknüpft<br />

<strong>und</strong> gleichzeitig ein Wahrzeichen<br />

eines neuen Bahnzeitalters<br />

darstellt.<br />

Als Schwierigkeit des Entwurfs<br />

stellte sich die beengte<br />

innerstädtische Gr<strong>und</strong>stückssituation<br />

heraus. Um<br />

dieses Problem zu lösen,<br />

ließen die Architekten die<br />

400 m lange Anlage schlangenförmig<br />

dem Verlauf der<br />

Schienenstränge folgen.<br />

Der Querschnitt variiert zwischen<br />

32 <strong>und</strong> 58 m.<br />

Der Waterloo Terminal ist<br />

im wesentlichen wie ein<br />

Flughafen organisiert. Die<br />

unterschiedlichen Bereiche,<br />

wie Bahnsteig, Ankunft<br />

<strong>und</strong> Abfahrt, sind durch un-<br />

terschiedliche Ebenen getrennt.<br />

Die Bahnsteige liegen<br />

auf der gleichen Ebene<br />

wie die der alten Waterloo<br />

Station <strong>und</strong> werden<br />

stützenfrei von einem Dach<br />

aus Stahl <strong>und</strong> Glas überspannt.<br />

Ein Geschoss darunter<br />

liegt die Abfahrtsebene.<br />

Hier befinden sich auch<br />

die Wartebereiche, die man<br />

nach der Ticket- <strong>und</strong> Sicherheitskontrolle<br />

erreicht.<br />

Noch eine Etage tiefer befindet<br />

sich der Ankunftsbereich<br />

mit der Zollstation,<br />

von wo aus der Reisende<br />

mit Taxis oder U-Bahn weiter<br />

fahren kann. Diese klare<br />

Gliederung des Gebäudes<br />

spielt eine wichtige<br />

Rolle beim Lenken der Passagierströme.<br />

Überall werden<br />

den Reisenden Orientierungsmöglichkeitengeboten.<br />

Die Züge haben sie<br />

beständig im Blickfeld.<br />

Das spektakulärste Element<br />

des Entwurfs ist das<br />

filigrane Dachtragwerk,<br />

welches jedoch nur 10 %<br />

der Gesamtkosten ausmachte.<br />

Es besteht aus abgeflachten,<br />

in Zug- <strong>und</strong><br />

Druckstäbe aufgelösten<br />

Dreigelenkbögen <strong>und</strong> bezieht<br />

seine Raffinesse aus<br />

der asymmetrischen Form.<br />

Diese rührt daher, dass auf<br />

der westlichen Seite ein<br />

Gleis am Rand der Halle<br />

liegt <strong>und</strong> die Konstruktion<br />

hier steiler aufragen muss,<br />

um den Lichtraum für die<br />

durchfahrenden Züge zu<br />

gewährleisten. In diesem<br />

Bereich liegt die Tragkonstruktion<br />

außerhalb der<br />

Glashaut.


Die Dreigelenkbögen bestehen<br />

aus dreieckigen<br />

Fachwerk-Bindern, die im<br />

Übergang von innenliegender<br />

zu außenliegender<br />

Konstruktion durch ein Gelenk<br />

verb<strong>und</strong>en sind. Ähnliche<br />

Gelenke befinden sich<br />

an den beiden unteren Auflagern.<br />

Auf der Westseite<br />

erfolgt die Aussteifung zwischen<br />

den Hauptträgern<br />

über die diagonal angebrachten<br />

Zugstäbe in der<br />

Ebene des Untergurtes des<br />

außenliegenden Binders .<br />

Die gesamte Konstruktion<br />

wurde so bemessen, dass<br />

möglichst wenig Stahl benötigt<br />

wurde. Entsprechend<br />

dem Kräfteverlauf ändert<br />

sich der Querschnitt des<br />

jeweils druckbelasteten<br />

Gurtes.<br />

Die gesamte Westseite der<br />

Dachkonstruktion ist verglast,<br />

wobei die Glaseindeckung<br />

unterhalb des Bogensegments<br />

aufgehängt<br />

ist. Auf der Ostseite liegt die<br />

London<br />

Waterloo-Station<br />

Dacheindeckung hingegen<br />

auf. Bei der Entwicklung<br />

des Glases ließ sich Grimshaw<br />

von drei Prinzipien inspirieren:<br />

der Schuppenanordnung<br />

eines Reptils, eines<br />

einfach gedeckten<br />

Dachs <strong>und</strong> den Gelenkverbindungen<br />

von Eisenbahnwagen.<br />

So entstand eine<br />

schuppenförmige Verglasung<br />

mit nur einem einzigen<br />

rechtwinkligen Scheibenformat.<br />

Die Glashalteprofile<br />

sind an gelenkigen<br />

Verbindungsteilen aus<br />

Edelstahl befestigt, die<br />

gleichzeitig die Bewegung<br />

der Dachstruktur ermöglichen.<br />

Seitlich sind die Sicherheitsgläser<br />

durch Neoprenteile<br />

verb<strong>und</strong>en, die<br />

sich den unterschiedlichen<br />

Abständen anpassen <strong>und</strong><br />

Bewegungen aufnehmen.<br />

Die ganze Dachstruktur<br />

schwingt in einer wellenförmigen<br />

Bewegung <strong>und</strong> sorgt<br />

mit ihren Erhebungen <strong>und</strong><br />

Senkungen auch für den<br />

Abfluss von Regenwasser.<br />

109


London<br />

London Eye<br />

110<br />

London Eye<br />

Standort: London<br />

Baujahr: 2000<br />

Bauherr: The London Eye Company Ltd. (u.a. British Airways)<br />

Architekt: Marks Barfield<br />

Ingenieur: Jane Wernick (Arup)<br />

Literatur: LeCuyer, Annette: Stahl & Co., Basel 2003<br />

British Airways: London eye – the essential eye,<br />

London 2001<br />

Lyall, Sutherland: Ingenieure – Bau – Kunst,<br />

Die Konstruktion der neuen Form, Stuttgart 2002<br />

Mit einer Höhe von 135 m<br />

ist das British Airways London<br />

Eye das größte Aussichtsriesenrad<br />

der Welt.<br />

An einem dunstfreien Tag<br />

bietet sich ein Panorama<br />

bis zu einer Entfernung von<br />

40 km. Seine Errichtung<br />

erfolgte im Jahre 2000 zur<br />

Feier der Jahrtausendwende,<br />

zu dessen Anlass 1993<br />

ein Ideenwettbewerb ohne<br />

ersten Preisträger ausgeschrieben<br />

wurde. Das Riesenrad<br />

befindet sich im<br />

Herzen Londons, direkt an<br />

der Themse, auf dem Big<br />

Ben gegenüberliegenden<br />

Flussufer.<br />

Nicht nur seine Größe beeindruckt,<br />

sondern auch<br />

seine präzise Ausbalancierung.<br />

Es schwebt förmlich<br />

über der Themse <strong>und</strong> ist<br />

dabei noch in jedem Detail<br />

ausgesprochen leicht <strong>und</strong><br />

schlank.<br />

Die Konstruktion folgt dem<br />

Prinzip des Speichenrades.<br />

Von einer zentralen Nabe<br />

ausgehend, halten Kabelspeichen<br />

eine Felge unter<br />

Druck. Das Riesenrad wird<br />

aber nur einseitig von der<br />

Landseite gehalten.<br />

Durch die Vorspannung der<br />

Kabelspeichen ergibt sich<br />

eine Druckbeanspruchung<br />

in der Felge. Damit verhindert<br />

man, dass die Kabel<br />

unter der Eigenlast des<br />

Rades oder durch Windkräfte<br />

schlaff werden. Um<br />

der permanenten Tendenz<br />

des Rades, auszuknicken,<br />

entgegenzuwirken, wurde<br />

die Geometrie der Felge<br />

<strong>und</strong> der Nabe so optimiert,<br />

dass maximale Steifigkeit<br />

bei minimalem Gewicht erreicht<br />

wurde. Für die Felge<br />

wählte man daraufhin einen<br />

Fachwerkträger. Die<br />

Verbindung der Felge zur<br />

Nabe über die vorgespannte<br />

Speiche <strong>und</strong> die Rotationskabel<br />

gewährleistet die<br />

gleichmäßige Drehung von<br />

Felge <strong>und</strong> Nabe.<br />

Dadurch, dass man für die<br />

Gurte <strong>und</strong> Streben des<br />

Fachwerkträgers relativ<br />

schlanke Querschnitte<br />

wählte, genügte eine unmittelbare<br />

Verbindung der<br />

Stahlrohre nicht aus, um<br />

die gewaltigen Kräfte der<br />

sich drehenden Konstruktion<br />

auszuhalten. Folglich<br />

wurden zusätzliche Bleche<br />

an den Knoten angeschweißt.<br />

Damit vergrößerte<br />

man die Berührungsflächen<br />

<strong>und</strong> die mögliche<br />

Kraftübertragung.<br />

Insgesamt wiegt das Riesenrad<br />

1800 Tonnen. Dieses<br />

Gewicht wird von einem<br />

einzigen Kragarm gehalten.<br />

Dieser sogenannte<br />

Radzapfen wurde aus<br />

Gusseisen hergestellt. Er<br />

wurde mehrmals während<br />

der Fertigung der Einzelteile<br />

spanabhebend behandelt<br />

<strong>und</strong> nach dem Zusammenschweißen<br />

noch einmal.


Darüber hinaus wurde das<br />

Gusseisen vergütet, um<br />

herstellungsbedingte Einspannungen<br />

zu reduzieren.<br />

Sämtliche Schneidevorgänge<br />

wurden digital gesteuert,<br />

um die außergewöhnlich<br />

geringen Toleranzen<br />

von 0,015 mm an kritischen<br />

Punkten <strong>und</strong> bis zu<br />

2 mm an den übrigen Stellen<br />

zu gewährleisten.<br />

Beide Naben sind ebenfalls<br />

aus Gusseisen gefertigt.<br />

Sie bestehen aus jeweils<br />

zwei voneinander getrennten<br />

Ebenen. An dem kreisr<strong>und</strong>en,<br />

großen Flansch<br />

sind die Kabelspeichen befestigt,<br />

an dem kleineren,<br />

facettierten Flansch die Rotationskabel.<br />

Die Radlast<br />

wird in der Nabe durch einen<br />

Ring aus kugelförmigen<br />

Rollenlagern aus Edelstahl<br />

auf den Radzapfen<br />

übertragen. Zusammen<br />

kommen Nabe <strong>und</strong> Zapfen<br />

auf ein Gewicht von 335<br />

Tonnen, zum Vergleich,<br />

eine Boeing 747 wiegt nur<br />

geringfügig mehr.<br />

Gehalten wird das Riesenrad<br />

von einer Bockkonstruktion,<br />

die an der Radnabe<br />

ansetzt. Die Verbindung<br />

zwischen Rahmen<br />

<strong>und</strong> Zapfen besteht aus einem<br />

von einem Drehgelenk<br />

gehaltenen Gussstahlknoten.<br />

Die Bockkonstruktion<br />

ist gelenkig auf Stahlbetonstützen<br />

gelagert, die widerum<br />

ins Stahlbetonf<strong>und</strong>ament<br />

übergehen (Gewicht<br />

2600 Tonnen). Aufgr<strong>und</strong><br />

des Lehmbodens<br />

musste diese auf Pfähle<br />

gestellt werden. Durch vier<br />

Seilabspannungen, die<br />

vom Achszapfen bis zu einer<br />

weiteren Stahlbetonplatte<br />

reichen, erhält das<br />

Rad seine Standsicherheit.<br />

Die Platten sind unterirdisch<br />

über schwere Stahlbetonträger<br />

miteinander<br />

verb<strong>und</strong>en, so dass sie<br />

konstruktiv eine Einheit bilden.<br />

Da die Kabel <strong>und</strong> Abspannseile<br />

durch Regenwasser<br />

<strong>und</strong> Wind in<br />

Schwingungen geraten,<br />

wurden um die Felge herum<br />

Trägheitsdämpfer angeordnet.<br />

London<br />

London Eye<br />

Personen werden in den<br />

aerodynamisch geformten<br />

Kabinen befördert. Sie haben<br />

ein Bodenchassis aus<br />

Stahl, das zwischen zwei<br />

Stahlringen rotiert, die auf<br />

auskragenden Konsolen<br />

auf der Felge befestigt sind.<br />

Der Boden der Kabine<br />

bleibt während der Drehung<br />

des Riesenrads immer<br />

waagerecht. Dies wird<br />

gewährleistet durch eine<br />

Zahnradspur, die durch einen<br />

Motor angetrieben<br />

wird.<br />

Die bis zu 25 Passagiere in<br />

einer Kabine blicken durch<br />

klares Verb<strong>und</strong>glas. Die<br />

Kabine ist klimatisiert. Das<br />

Rad bewegt sich lediglich<br />

mit einer Geschwindigkeit<br />

von 0,26 m pro Sek<strong>und</strong>e,<br />

so dass ein Anhalten zum<br />

Ein- <strong>und</strong> Ausstieg nicht erforderlich<br />

ist.<br />

111


London<br />

London Eye<br />

112<br />

Entgegen der ursprünglichen<br />

Planung wurde London<br />

Eye im Liegen zusammengebaut.<br />

Hierzu wurden<br />

temporäre Tragkonstruktionen<br />

auf dem Wasser benötigt.<br />

Nabe, Achszapfen <strong>und</strong><br />

die Füße des Hauptrahmens<br />

mussten exakt positioniert<br />

werden, bevor das<br />

letzte Stück der Felge an<br />

seinen Platz gebracht werden<br />

konnte. Anschließend<br />

konnten die Kabel montiert<br />

<strong>und</strong> danach vorgespannt<br />

werden.<br />

Als großes Problem stellte<br />

sich nach dem Zusammenbau<br />

das Aufrichten des<br />

Rades heraus. Ein Versuch<br />

scheiterte, was den Spott<br />

der Medien mit sich brachte.<br />

Beim zweiten Versuch<br />

gelang die Aufrichtung des<br />

Rades mit einem Kran.<br />

Es war der größte Anhub eines<br />

Objekts von der Horizontalen<br />

in die Vertikale,<br />

den es bisher gab.<br />

Nachdem die hinteren<br />

Spannseile gesichert waren,<br />

konnten innerhalb kurzer<br />

Zeit die Kabinen <strong>und</strong><br />

die Trägheitsdämpfer installiert<br />

werden.


King’s Cross Station<br />

London<br />

King´s Cross Station<br />

Standort: Euston Road, London<br />

Baujahr: 1852 / 1988<br />

Bauherr: British Rail<br />

Architekt: William Cubbits / Foster and Partners<br />

Ingenieur: Ove Arup & Partners<br />

Literatur: <strong>Exkursion</strong>sführer Structures<br />

Foster & Partners: Foster Catalogue 2001, London 2001<br />

King’s Cross <strong>und</strong> St. Pancras<br />

sind zwei der wichtigsten<br />

Bahnhöfe in London.<br />

Sie befinden sich zwischen<br />

West End <strong>und</strong> der City von<br />

London <strong>und</strong> liegen nur<br />

knapp 100 m voneinander<br />

entfernt. Sie sind die Bahnhöfe<br />

der „Eastern Region“<br />

für Züge, die nach Nordengland<br />

<strong>und</strong> <strong>Schottland</strong><br />

gehen.<br />

Der palastartige Bau von<br />

St. Pancras wurde 1867 bis<br />

1874 von Sir Gilbert Scott<br />

erbaut. Die Hauptfassade<br />

zeigt Nachbildungen französischer<br />

<strong>und</strong> italienischer<br />

Gotik. Als Materialien wurden<br />

roter Ziegel aus Nottingham,<br />

roter <strong>und</strong> grauer<br />

Granit sowie gelber Sandstein<br />

verwendet. Auffällig ist<br />

die Verbindung von historischen<br />

Baustilen mit technischen<br />

Neuerungen. So gibt<br />

es u.a. Säulen, deren Kapitelle<br />

mit Eisenbahnmotiven<br />

verziert sind.<br />

Die Bahnhofshalle entwarf<br />

Henry Barlow. Hierbei handelt<br />

es sich um eine einschiffige<br />

Halle mit einem<br />

über die kurzen Seiten gespanntem<br />

Bogentragwerk<br />

aus Gusseisen <strong>und</strong> Glas.<br />

King’s Cross wurde bereits<br />

1852 von Sir William Cub-<br />

bits erbaut. Diese Halle<br />

wird von einem Doppeltonnendach<br />

überdeckt. Die<br />

Horizontalkräfte dieser Dächerwerden<br />

von Zugbändern<br />

unterhalb der Bahnsteige<br />

aufgenommen. Die<br />

Fassade ist aus Ziegelmauerwerk.<br />

Heute ist King’s Cross Londons<br />

größter öffentlicher<br />

Verkehrsumschlagplatz mit<br />

zwei Intercity Terminals, der<br />

Thameslink Linie, fünf Untergr<strong>und</strong>linien<br />

<strong>und</strong> der Nord<br />

London Linie. Die Umgestaltung<br />

des Bahnhofs resultierte<br />

aus dem Bau des<br />

Kanaltunnels <strong>und</strong> dem Bedarf<br />

nach einem neuen internationalen<br />

Bahnhof.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der Rivalität zweierEisenbahngesellschaften,<br />

des Wegfalls des Kohleabbaus<br />

<strong>und</strong> der Verödung<br />

des Umlandes, sollte<br />

das Gelände saniert werden.<br />

Man brauchte außerdem<br />

ein neues Terminal, da<br />

IC-Bahnsteige benötigt<br />

wurden <strong>und</strong> die Züge aus<br />

dem Kanaltunnel hier halten<br />

sollten. Dazu wurde ein<br />

Wettbewerb ausgeschrieben,<br />

den Foster and Partners<br />

für sich entscheiden<br />

konnten.<br />

113


London<br />

King´s Cross Station<br />

114<br />

Sie erstellten einen Masterplan,<br />

der sich auf die beiden<br />

unter Denkmalschutz<br />

stehenden Stationen King’s<br />

Cross <strong>und</strong> St. Pancras bezog.<br />

In ihrem Entwurf umfasst<br />

das Gelände von 52 Hektar<br />

Größe zum Teil bestehende<br />

Gebäude Seite an<br />

Seite mit neuen Wohnungen,<br />

einen Kanal <strong>und</strong> einen<br />

Park. Der Masterplan war<br />

ein Versuch eine Kultur von<br />

Mischnutzung wieder zu<br />

finden, man versprach sich<br />

viel von der Integration sauberer<br />

Industrie in Wohnnachbarschaften<br />

<strong>und</strong> untersuchte<br />

Möglichkeiten unterschiedliche<br />

Nutzungen zusammen<br />

zu führen. Auf diese<br />

Weise sollte eine funktionierende<br />

städtische<br />

Kommune geschaffen werden.<br />

Fünf organisatorische Indikatoren<br />

wurden im Vorfeld<br />

festgelegt: Die Erhaltung von<br />

bestehenden Gebäuden,<br />

gruppiert um die historischen<br />

Bahnhofshallen <strong>und</strong> die<br />

Kreuzung Kanal/Straße im<br />

Zentrum; der Kanal selber;<br />

die bestehende Straße <strong>und</strong><br />

die Gleise; Schaffung eines<br />

neuen, klaren Straßenrasters;<br />

<strong>und</strong>, als Schwerpunkt<br />

des Entwurfes, ein neuer offener<br />

Platz in der Tradition<br />

der Londoner Parks <strong>und</strong><br />

Plätze.<br />

Der Masterplan sieht zwei<br />

Hochhäuser im Norden des<br />

Areals vor, gestaltet als<br />

zwei zueinander gehörende<br />

„Turmspitzen“, die das<br />

Gelände nach Norden hin<br />

abschließen.<br />

Das neue internationale<br />

Terminal befindet sich zwischen<br />

den beiden bestehenden<br />

Bahnhöfen King’s<br />

Cross <strong>und</strong> St. Pancras,<br />

überdacht von einem flach<br />

gekrümmten Glasgewölbe,<br />

das in seiner Spannweite<br />

die der bestehenden Hallen<br />

übertrifft. In zwei Geschossen<br />

finden hier Fahrkartenverkauf,<br />

Gepäckaufgabe<br />

<strong>und</strong> Reiseartikelverkauf<br />

statt. Über Rolltreppen gelangt<br />

man zu den Bahnsteigen.<br />

Der von Gebäuderiegeln<br />

umschlossene ovale Park,<br />

in dem Teile der bestehenden<br />

Gebäude stehen geblieben<br />

sind, wird in seinem<br />

Zentrum vom Regents Kanal<br />

durchkreuzt.. Der Friedhof<br />

der Old St. Pancras<br />

Church aus dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

verschmilzt mit<br />

dem neuen Gelände. Eine<br />

Shopping Arcade, die von<br />

Bürobauten aller Art umgeben<br />

ist, führt vom Park zum<br />

neuen Terminal.


Innenhof des British Museum in London<br />

London<br />

British Museum<br />

Standort: London<br />

Baujahr: 1999-2001<br />

Bauherr: Trustees of the British Museum<br />

Architekt: Foster & Associates<br />

Ingenieur: Büro Happold<br />

Literatur: Detail 8/1999, 6/2001<br />

LeCuyer, Annette: Stahl & Co., Neue Strategien für<br />

Metalle in der Architektur, Basel 2003<br />

Foster and Partners: Norman Foster and the British<br />

Museum, London 2001<br />

Das British Museum wurde<br />

1823 bis 1852 von Robert<br />

Smirke erbaut. Der ursprüngliche<br />

Plan sah den<br />

Innenhof als parkartige<br />

Grünanlage vor. Doch<br />

schon bald nach seiner<br />

Fertigstellung wurde er zu<br />

einem vergessenen Ort.<br />

Denn bereits 1857 hatte der<br />

Bruder des Architekten,<br />

Sydney Smirke, einen Kuppelbau<br />

in die Mitte gesetzt,<br />

der als Lesesaal der British<br />

Library diente. Der Saal<br />

wurde durch Erweiterungsbauten<br />

für Büchermagazine<br />

<strong>und</strong> Lagerflächen ergänzt<br />

<strong>und</strong> so entwickelte<br />

sich der Hof allmählich zu<br />

einer riesigen, ungeordneten<br />

Rumpelkammer, die für<br />

die Öffentlichkeit verschlossen<br />

blieb. 1998 verließ die<br />

Bibliothek schließlich die<br />

Räume, um in das neue<br />

Domizil bei St. Pancras umzuziehen.<br />

Damit war der<br />

Weg geebnet, den Hof wieder<br />

für Museumsbesucher<br />

zugänglich zu machen.<br />

Sämtliche Baracken <strong>und</strong><br />

Buden wurden abgerissen<br />

<strong>und</strong> eine 6700 m² große<br />

Fläche entstand. Nun konnte<br />

der beeindruckende Bau<br />

in der Mitte des Innenhofes<br />

als freistehendes Gebäude<br />

neu erstrahlen.<br />

Durch eine Überdachung<br />

des Innenhofes sollte dieser<br />

genügend Platz für Geschäfte,<br />

Cafés <strong>und</strong> andere<br />

zentrale Nutzungen bieten<br />

<strong>und</strong> als großzügige Vertei-<br />

lerzone zu den einzelnen<br />

Galerien dienen.<br />

Die Suche nach einer eleganten<br />

Lösung für den<br />

Übergang zwischen dem<br />

rechteckigen Innenhof <strong>und</strong><br />

dem kreisr<strong>und</strong>en Lesesaal<br />

wurde zusätzlich durch<br />

dessen Position im Hof erschwert.<br />

Der Kuppelbau<br />

weicht fünf Meter vom eigentlichenRaummittelpunkt<br />

ab. So ergab sich für<br />

das Dach eine komplexe<br />

Geometrie – ein zum<br />

Rechteck verzerrter Torus.<br />

Dieser besteht aus einer<br />

Reihe unterschiedlicher<br />

Bögen – ihr Stich variiert<br />

zwischen 3 <strong>und</strong> 7m, die<br />

Spannweiten zwischen 14<br />

<strong>und</strong> 40m. Um die exakten<br />

Dimensionen <strong>und</strong> die unterschiedlichenDachelemente<br />

zu ermitteln, bedurfte es<br />

einem speziell dafür entwickeltenComputerprogramms.<br />

Für den Betrachter sollte es<br />

den Anschein haben, dass<br />

das Dach schwebt. Da aber<br />

keine zusätzlichen Lasten<br />

auf die bestehende Eisenkonstruktion<br />

des Lesesaals<br />

abgetragen werden sollten,<br />

wird das Dach von einem<br />

Ring aus 24 m hohen Stützen<br />

getragen. Diese Stützen<br />

werden hinter der neuen<br />

Fassade des Lesesaals<br />

versteckt. Der r<strong>und</strong>e Bau<br />

erhielt außen eine zweite<br />

Haut aus spanischem Kalkstein.<br />

Die Stützen sind mit<br />

Beton ausgegossen, um<br />

den statischen <strong>und</strong> brandschutztechnischenAnforderungen<br />

zu genügen. Am<br />

Kopf der Stützen befindet<br />

sich auf einem Gleitlager<br />

eine kreisförmige Zwischenplatte<br />

aus Beton, welcher<br />

die Horizontalkräfte<br />

aufnimmt.<br />

115


London<br />

British Museum<br />

116<br />

Entlang des Viereckgr<strong>und</strong>risses<br />

ist das Dach auf kurzen<br />

Stahlstützen gelagert,<br />

die wiederum von einem<br />

Ringanker getragen werden,<br />

der sich hinter den<br />

Hauptgesimsen aus Stein<br />

verbirgt. Da sämtliche Vertikallasten<br />

von den Steinfassaden<br />

abgetragen werden,<br />

kann sich das Dach –<br />

unabhängig von den bestehenden<br />

Gebäuden – auf<br />

den Gleitlagern seitwärts<br />

bewegen. Die Aussteifung<br />

erfolgt über Querstreben,<br />

die sich hinter den vier mittigen<br />

Steinportiken verbergen.<br />

Im Schnitt folgt das Dach<br />

einem Radius von ca. 50m.<br />

Zu den Ecken hin wird es<br />

flacher. Radial angeordnete<br />

Rechteckrohre bilden<br />

zusammen mit zwei weiteren<br />

Richtungen von Rohren<br />

ein Netz aus Dreiecksmaschen.<br />

In den Ecken, wo<br />

sehr hohe Lasten wirken,<br />

ist die Konstruktion durch<br />

außen liegende Stahlprofile<br />

verstärkt. Die Konstruktion<br />

einer Gitterschale bot<br />

den Vorteil, selbsttragend<br />

<strong>und</strong> in sich steif zu sein.<br />

Somit wirken nur lineare<br />

Lasten auf die historischen<br />

Wände, Horizontallasten<br />

werden minimiert. Die in<br />

der Werkstatt geschweißten<br />

Einheiten des Stahltragwerks<br />

wurden mit Kränen<br />

über das Museumsgebäude<br />

gehoben <strong>und</strong> auf ein<br />

Gerüst, das den gesamten<br />

Hof ausfüllte, aufgelegt. Um<br />

eine optimale Kraftschlüssigkeit<br />

zu erreichen, wurden<br />

die einzelnen Elemente<br />

dann auf der Baustelle<br />

miteinander verschweißt.<br />

Zuletzt wurde das Dach mit<br />

3312 dreieckigen Isolierglasscheiben<br />

gedeckt, von<br />

denen keine der anderen<br />

gleicht. Sie sind mit weißen<br />

Punkten bedruckt, um das<br />

Sonnenlicht zu filtern. Da<br />

die Gitterkonstruktion sowohl<br />

als Tragwerk als auch<br />

als Rahmen für die Glaselemente<br />

fungiert, war keine<br />

Sek<strong>und</strong>ärkonstruktion<br />

dafür nötig.<br />

Auch bei diesem Projekt<br />

sollte das bestehende Gebäude,<br />

also das Museum,<br />

in seiner Funktion nicht eingeschränkt<br />

werden. Das<br />

Museum blieb während der<br />

Umbauphase geöffnet, was<br />

einen schnellen Arbeitsablauf<br />

erforderte <strong>und</strong> nur geringe<br />

Lagerflächen zur Verfügung<br />

standen. Auch hier<br />

kam das „just-in-time“ Prinzip<br />

zum Tragen. Es wurden<br />

nur so viele Träger zur Baustelle<br />

gebracht, wie an einem<br />

Tag verarbeitet werden<br />

konnten.


London<br />

British Museum<br />

117


London<br />

New Parlamentary Building<br />

118<br />

New Parliamentary Building<br />

Standort: London<br />

Baujahr: 1989-2000<br />

Architekt: Michael Hopkins<br />

Literatur: Davies, Colin: Hopkins, Michael Hopkins and<br />

Partners, Bauten <strong>und</strong> Projekte, London 1993<br />

Davies, Colin: Hopkins 2, London 2001<br />

Aufgr<strong>und</strong> des Platzmangels<br />

im Palace of Westminster<br />

wurde dringend ein<br />

neues Gebäude benötigt,<br />

das Büroräume für 208 Abgeordnete<br />

bietet <strong>und</strong> zusätzlich<br />

die Parlamentssekretariate,<br />

eine Bibliothek,<br />

ein Restaurant, eine Kantine<br />

<strong>und</strong> eine Reihe von Sitzungsräumen<br />

für besondere<br />

Ausschüsse aufnehmen<br />

kann.<br />

Der besondere Standort direkt<br />

an der Themse zwischen<br />

dem Palace of Westminster<br />

<strong>und</strong> den Gebäuden<br />

von Norman Shaw sollte<br />

Teil des nach außen hin<br />

abgegrenzten „Parlaments-<br />

Campus“ sein, der sich von<br />

der Bridge Street bis zum<br />

Richmond House <strong>und</strong> vom<br />

Victoria Embankment bis<br />

zur Parliament Street erstreckt.<br />

Unter dem Gebäude befindet<br />

sich der im Rahmen der<br />

Jubilee-Line Station Erweiterung<br />

neu gebaute U-<br />

Bahnhof Westminster, was<br />

sich auch auf die Tragstruktur<br />

des darüber liegenden<br />

Gebäudes auswirkt.<br />

Die Gr<strong>und</strong>form des geplanten<br />

Gebäudes ist einfach -<br />

ein sechsgeschossiger,<br />

rechteckiger Block mit zentralem<br />

Innenhof. Im unteren<br />

Bereich wird der Bau an<br />

zwei Straßenfronten von<br />

Kolonnaden umgeben, die<br />

den von zwei Geschäften<br />

flankierten U-Bahneingang<br />

abschirmen. Der Haupteingang<br />

für den Publikumsverkehr<br />

befindet sich an der<br />

dem Victoria Embankment<br />

zugewandten Seite des<br />

Gebäudes. Die Eingangshalle<br />

führt über eine große<br />

Treppenanlage direkt zu<br />

den Ausschussräumen im<br />

ersten Obergeschoss. Die<br />

Abgeordneten selbst betreten<br />

das Gebäude durch<br />

eine Unterführung, die vom<br />

New Palace Yard aus die<br />

Bridge Street unterquert<br />

<strong>und</strong> von der aus Rolltreppen<br />

in den Innenhof hinaufführen.<br />

Der Innenhof selbst<br />

wird auf der Höhe der beiden<br />

unteren Geschosse<br />

von klosterähnlichen Gängen<br />

umgeben <strong>und</strong> auf der<br />

Höhe des zweiten Obergeschosses<br />

mit einem Glasdach<br />

abgedeckt, so dass<br />

eine Art begrüntes Gewächshaus<br />

mit Bar <strong>und</strong><br />

Cafeteria <strong>und</strong> einer mit der<br />

Bibliothek verb<strong>und</strong>enen<br />

Lesezone entsteht.<br />

Oberhalb der Überdachung<br />

des Innenhofs tritt eine konventionelle<br />

Raumaufteilung<br />

mit über einen zentralen<br />

Flur erschlossenen Einzelbüros<br />

an die Stelle der Klosterstruktur.<br />

Auf diese Weise<br />

fällt Tageslicht in das Gebäude<br />

ein, <strong>und</strong> man spart<br />

Energiekosten. Die Lüftung<br />

erfolgt über spezielle Kanäle<br />

an der Fassade, die die<br />

einzelnen Räume mit hohen<br />

Kaminen auf dem<br />

Dach verbinden. Ventilatoren<br />

auf dem Dach saugen


die verbrauchte Luft durch<br />

die Kamine ab. Frischluft<br />

wird durch die Wärmerückgewinnungsanlage<br />

am unteren<br />

Ende der Schächte<br />

angesaugt. Die Kamine<br />

sind nicht bloße Dekoration,<br />

sondern funktionale<br />

Elemente, bereichern aber<br />

gleichzeitig die Dachlandschaft<br />

<strong>und</strong> tragen damit<br />

neben anderen Elementen<br />

dazu bei, das Gebäude in<br />

einfühlsamer Weise in das<br />

Umfeld einzugliedern. Die<br />

Struktur der aus Bronze<br />

<strong>und</strong> Stein bestehenden<br />

Fassade nimmt die gotischen<br />

Stilelemente des<br />

Palace of Westminster auf,<br />

die abger<strong>und</strong>eten Ecken<br />

erinnern an die Erkertürme<br />

der Norman Shaw-Bauten,<br />

<strong>und</strong> die schwarz patinierte<br />

Dachabdeckung aus Bronzeplatten<br />

passt sich den<br />

Dächern der beiden benachbarten<br />

Gebäude an.<br />

Da das neue Parlamentsgebäude<br />

gemeinsam mit<br />

der neuen U-Bahnstation<br />

geplant wurde, bedeutete<br />

das starke Einschränkungen<br />

bei der baulichen<br />

Form. Die Gr<strong>und</strong>struktur<br />

der Außenwände besteht<br />

aus lastabtragenden, vorgefertigten<br />

Pfeilern aus-<br />

Sandstein. Vorgefertigte<br />

Betondeckenelemente<br />

London<br />

New Parlamentary Building<br />

spannen zwischen den äußeren<br />

<strong>und</strong> inneren Wänden.<br />

Die Lasten der Außenwände<br />

können durch eine<br />

Unterkonstruktion ohne<br />

größere Probleme in das<br />

Erdreich abgeleitet werden.<br />

Anders war das bei den inneren<br />

Wänden. Diese mussten<br />

schließlich nur durch<br />

sechs Stützen getragen<br />

werden, welche durch<br />

asymmetrische Betonbögen<br />

auf Höhe des Kreuzgangs<br />

der ersten Etage miteinander<br />

verb<strong>und</strong>en sind.<br />

Die horizontalen Auflagerkräfte<br />

der Bögen werden<br />

über Stahlträger (Zugband)<br />

kurzgeschlossen.<br />

Die Konstruktion des Daches<br />

im Innenhof ist eine<br />

Schale aus hölzernen Vierecksmaschen,<br />

die durch<br />

diagonal gespannte Seile<br />

ausgesteift sind. Darauf<br />

liegt eine gläserne Eindekkung.<br />

Hopkins´ Ziel war es, hier<br />

eine Architektur zu schaffen,<br />

die sich harmonisch in<br />

den historischen Kontext<br />

einfügt, gleichzeitig aber<br />

die technischen Einrichtungen<br />

<strong>und</strong> die Wirtschaftlichkeit<br />

aufweist, die man am<br />

Ende des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

von einem Gebäude erwartet.<br />

119


London<br />

New Parlamentary Building<br />

120


Greater London Authority Headquarters<br />

Standort: Southwark, London<br />

Baujahr: 1998-2002<br />

Bauherr: CIT Group<br />

Architekt: Foster and Partners<br />

Ingenieur: Ove Arup & Partners<br />

Literatur: Foster and Partners: Foster Catalogue 2001,<br />

London 2001<br />

www.london.gov.uk/gla/city_hall/index.jsp<br />

Das Rathaus ist eines der<br />

wichtigsten neuen Projekte<br />

der Hauptstadt. Das<br />

neue Gebäude verkörpert<br />

die Transparenz der demokratischen<br />

Prozesse <strong>und</strong><br />

demonstriert die Funktionalität<br />

eines kaum umweltbelastenden<br />

öffentlichen<br />

Gebäudes. Das Rathaus<br />

liegt am Ufer der Themse<br />

neben der Tower Bridge.<br />

Es beherbergt Versammlungs-<br />

<strong>und</strong> Ausschussräume,<br />

öffentliche Einrichtungen,<br />

zusammen mit Büros<br />

für den Mayor, Ausschussmitglieder,<br />

das Kabinett<br />

<strong>und</strong> Personal, das<br />

18.000 m² Fläche auf 19<br />

Geschosse verteilt versorgt.<br />

Von den Versammlungsräumen<br />

aus blickt man nach<br />

Norden über den Fluss in<br />

Richtung Tower of London.<br />

Die verglaste Fassade ermöglicht<br />

der Londoner Bevölkerung,<br />

den Politikern bei<br />

der Arbeit zuzuschauen. Die<br />

Bevölkerung soll an diesem<br />

Gebäude teilhaben. Hierzu<br />

gibt es im obersten Geschoss<br />

einen flexiblen<br />

Raum, London’s Living<br />

Room, der für Ausstellungen<br />

<strong>und</strong> Veranstaltungen genutzt<br />

werden kann. Auf dem Dach<br />

befindet sich eine Terrasse,<br />

von der aus die Besucher einen<br />

ungehinderten Blick<br />

über London haben. Im Erdgeschoss<br />

gibt es einen Platz<br />

mit Café von dem aus man<br />

das Ufer der Themse genießen<br />

kann. Lifte <strong>und</strong> Rampen<br />

bieten freie Bewegungsmöglichkeiten<br />

im Gebäude.<br />

Das Rathaus ist nicht wie üblicherweise<br />

mit einer Vorder<strong>und</strong><br />

einer Rückseite entworfen<br />

worden. Die Form ist abgeleitet<br />

von einer geometrisch<br />

modifizierten Kugel,<br />

entwickelt mit Hilfe der Computertechnik.<br />

Diese Form<br />

ermöglicht optimale Energieausnutzung<br />

bei Reduzierung<br />

der Oberfläche, die dem direkten<br />

Sonnenlicht ausgesetzt<br />

ist. Analysen des Sonnenlichts<br />

während des Jahres<br />

ergaben eine Wärmekarte<br />

für die Gebäudeoberfläche,<br />

welches sich in der Fassade<br />

ausdrückt. Eine Reihe<br />

von aktiven <strong>und</strong> passiven<br />

Sonnenschutzvorrichtungen<br />

werden eingesetzt. Nach Süden<br />

neigt sich das Gebäude<br />

zurück, so dass die einzelnen<br />

Geschosse nach innen<br />

treten <strong>und</strong> Schatten für die<br />

natürlich belüfteten Büros<br />

bieten. Für die Klimaanlage<br />

wird das Gr<strong>und</strong>wasser genutzt.<br />

Diese energiesparenden<br />

Techniken benötigen<br />

keine zusätzlichen Kühlvorrichtungen.<br />

Auch ist die meiste<br />

Zeit des Jahres keine Beheizung<br />

erforderlich. Insgesamt<br />

wird für das Rathaus<br />

nur ein Viertel der Energie<br />

benötigt, wie für ein Bürogebäude<br />

mit herkömmlicher<br />

Klimaanlage.<br />

Das Gebäude ist Teil des<br />

Southwark Riverside Masterplan,<br />

der eine Fläche von 5,5<br />

Hektar zwischen London<br />

Bridge <strong>und</strong> Tower Bridge<br />

beinhaltet. Der Masterplan<br />

sieht einen Straßenzug mit<br />

zwei öffentlichen Hauptplätzen<br />

vor, wo öffentliche Einrichtungen<br />

wie Geschäfte,<br />

Restaurants, Cafés <strong>und</strong> ein<br />

Hotel sich ansiedeln sollen.<br />

Der Plan beinhaltet fünf große<br />

Bürogebäude, die zusammen<br />

93.000 m² Fläche<br />

hoher Qualität einnehmen.<br />

London<br />

Rathaus<br />

121


London<br />

South Quay Footbridge<br />

122<br />

South Quay Footbridge<br />

Standort: Docklands, London<br />

Baujahr: 1997<br />

Bauherr: London Docklands Development Corporation<br />

Architekt: Wilkinson Eyre<br />

Ingenieur: Jan Bobrowski & Partners<br />

Literatur: www.bobrowski.co.uk<br />

www.structurae.de<br />

Die London Docklands Development<br />

Corporation<br />

schrieb Mitte der 90er einen<br />

Wettbewerb für eine weit<br />

spannende neue Docklands-Fußgängerbrücke<br />

zwischen South <strong>und</strong> Heron<br />

Quay aus, die sowohl aus<br />

beweglichen als auch aus<br />

festen Elemente bestehen<br />

<strong>und</strong> sich für die Durchfahrt<br />

von Schiffen öffnen lassen<br />

sollte. Da das Dock in absehbarer<br />

Zeit verengt werden<br />

soll, mußte es außerdem<br />

möglich sein, die Konstruktion<br />

zu verkürzen <strong>und</strong><br />

100 m nach Osten zu versetzen,<br />

in die Achse des<br />

Canary Wharf DS7 Towers.<br />

Wilkinson Eyre/Bobrowski<br />

gewannen den Wettbewerb.<br />

Ihre Southquay Footbridge<br />

ist eine drehbare<br />

Seilbrücke mit zwei schlanken<br />

Masten <strong>und</strong> einem sförmig<br />

geschwungenen<br />

Deck. Diese wenigen Elemente<br />

– die Linien des<br />

Decks, der optische Gegenpol<br />

der Masten <strong>und</strong> die<br />

Spreizung der Seile – machen<br />

die Eleganz dieser<br />

Konstruktion aus. Die Breite<br />

des Decks variiert über<br />

die Länge, um ein visuelles<br />

Gegengewicht zu den Masten<br />

zu schaffen. Zu den<br />

Enden sowie zur Brückenmitte<br />

verjüngen sie sich<br />

dagegen. Dadurch wird<br />

nicht nur ein optischer Eindruck<br />

von Leichtigkeit erzeugt,<br />

sondern tatsächlich<br />

gezeigt, wo das Gewicht<br />

der Brücke am geringsten<br />

ist.<br />

Das Deck wird auf einer<br />

Längsseite von einer sich<br />

dem Verlauf anpassenden<br />

Stahlwand eingefaßt, die<br />

die Fußgänger vor Wind<br />

schützt, <strong>und</strong> auf der anderen<br />

Seite von einer Balustrade,<br />

auf der eine Lichtschiene<br />

verläuft, die bei<br />

Nacht die S-Geometrie hervorhebt.<br />

Die Stahlmasten haben einen<br />

sich verändernden<br />

Querschnitt, welcher in der<br />

Mitte am größten ist. Damit<br />

verfügt der Querschnitt an<br />

der Stelle mit der größten<br />

Knickgefahr über den größten<br />

Widerstand. Seile verbinden<br />

die Anker am Masten<br />

mit einem stützenden<br />

Bogenträger, der das Auslegerdeck<br />

hält. Durch die<br />

Formung des Decks verschieben<br />

sich die Seile je<br />

nach Blickwinkel beim Passieren<br />

der Brücke.<br />

Durch diese Verbindung<br />

von skulpturaler Form <strong>und</strong><br />

funktionaler Notwendigkeit<br />

sind Architektur <strong>und</strong> Konstruktion<br />

hier nicht zu trennen.<br />

Die Southquay Footbridge<br />

wurde im Mai 1997<br />

eröffnet. Aufgr<strong>und</strong> des weiteren<br />

Ausbaus der Docks<br />

wurde die Brücke mittlerweile<br />

versetzt <strong>und</strong> verkürzt.


Canary Wharf Bridge<br />

Standort: London, West India dock<br />

Baujahr: 1996-1999<br />

Architekt: Future System<br />

Ingenieur: Anthony Hunt Associates<br />

Literatur: Field, Marcus: Future Systems, London 1999<br />

Detail 8/1999<br />

Der Entwurf ging als Sieger<br />

aus einem Wettbewerb der<br />

London Docklands Development<br />

Corporation hervor.<br />

Die Brücke verbindet<br />

zwei unterschiedliche<br />

Stadtteile miteinander, auf<br />

der einen Seite das West<br />

India Quay mit der Canary<br />

Wharf <strong>und</strong> auf der anderen<br />

Seite eine Reihe von Lagerhäusern<br />

aus dem frühen<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>ert. Mit<br />

dem Entwurf einer schwimmenden<br />

Brücke wurde ein<br />

autarkes Bauteil geschaffen,<br />

das sich in seiner Gestalt<br />

weder an die eine,<br />

noch an die andere Uferbebauung<br />

anlehnt.<br />

Durch das angewendete<br />

Pontonprinzip konnte das<br />

94 m breite Becken mit Einzelspannweiten<br />

von maximal<br />

15 m überbrückt werden,<br />

ohne die Kaimauern<br />

zu belasten. Diese sind<br />

aufgr<strong>und</strong> ihres Alters nicht<br />

mehr tragfähig. Die Teilung<br />

der Brücke ermöglichte<br />

auch die Vorfertigung der<br />

gesamten Konstruktion in<br />

der Fabrik. An einem geräumigen<br />

Kai am Stadtrand<br />

von London wurden die Teile<br />

zusammengesetzt <strong>und</strong><br />

schließlich in zwei Hälften<br />

auf der Themse an ihren<br />

späteren Standort geschleppt<br />

<strong>und</strong> dort zusammengesetzt.<br />

Für Future Systems war<br />

Vorfertigung schon immer<br />

ein wichtiges Element. Im<br />

Idealfall wird ein Bauteil in<br />

London<br />

Canary Wharf Bridge<br />

einem trockenen, effizient<br />

arbeitenden Werk hergestellt.<br />

Diese Produktion ist<br />

wirtschaftlicher <strong>und</strong> die Verarbeitung<br />

präziser <strong>und</strong> besser<br />

als eine unter Baustellenbedingungen,<br />

bei Wind<br />

<strong>und</strong> Wetter entstandene<br />

Arbeit.<br />

Vor Ort mussten dann nur<br />

noch die Rückverankerungen<br />

eingebracht werden,<br />

die das Abtreiben der Brükke<br />

verhindern. Hierzu wurden<br />

Stahlrohre tief in die<br />

Sohle des Docks gerammt,<br />

an denen jeweils ein Pontonpaar<br />

befestigt ist. Die<br />

mit Beton ausgegossenen<br />

Rohre sind auf maximale<br />

Auflast bei Ebbe ausgelegt.<br />

So verursacht der Tidenhub<br />

von ca. 40 cm <strong>und</strong> das variierende<br />

Gewicht durch<br />

Menschen keine Auf- <strong>und</strong><br />

Abbewegung der Brücke.<br />

Zwei 6,60m breite Segmente<br />

am Scheitel der leicht bogenförmigen<br />

Konstruktion<br />

können mittels eines hydraulischen<br />

betriebenen<br />

Gewichts aufgeklappt werden.<br />

So wird Schiffen die<br />

Durchfahrt ins Dock gewährt.<br />

Die Pontons sind<br />

durch Gummipuffer gegen<br />

anprallende Schiffe geschützt.<br />

Sie sind zudem mit<br />

geschlossenzelligem Polyurethanschaumstoff<br />

gefüllt,<br />

um eine zusätzliche Sicherheit<br />

gegen eindringendes<br />

Wasser aufgr<strong>und</strong> von Beschädigung<br />

zu gewährleisten.<br />

123


London<br />

Canary Wharf Bridge<br />

124<br />

Die Beleuchtung der Brükke<br />

war ein zentrales Thema<br />

der Konzeption. In die<br />

Handläufe integrierte Beleuchtungseinheitenschaffen<br />

Helligkeit bei Nacht, ergänzt<br />

durch die Notbeleuchtung<br />

im Brückendeck,<br />

wodurch elegante, sich in<br />

die Ferne verlierende Linien<br />

entstehen. Bei Dunkelheit<br />

wirkt die Brücke wie ein<br />

großes, auf dem Wasser<br />

sitzendes, gelbes Insekt.


Swiss Re Tower<br />

Standort: London, 30 St. Mary Axe<br />

Baujahr: 2001-2004<br />

Bauherr: Swiss Reinsurance Company<br />

Architekt: Foster & Partner<br />

Ingenieur: Ove Arup and Partners<br />

Literatur: Stahlbau-Nachrichten 2/2004<br />

Foster and Partners: Foster Catalogue 2001,<br />

London 2001<br />

DBZ 3/2004<br />

Detail 7/8 2003<br />

Mit dem Swiss Re Tower,<br />

auch „Gurke“ genannt, wollte<br />

Sir Norman Foster keinen<br />

neuen Höhenrekord aufstellen<br />

– mit 180 m liegt er beispielsweise<br />

unter dem benachbarten<br />

Tower (183 m)-<br />

, sondern sich mit seinem<br />

ungewöhnlichen Bauwerk<br />

deutlich von der orthogonalen<br />

Monotonie vieler Hochbauten<br />

auf der ganzen Welt<br />

aus den letzten Jahren absetzen.<br />

Die ungewöhnliche Form sei<br />

die logische Konsequenz<br />

aus monatelangen Untersuchungen<br />

über die effizienteste<br />

Gebäudeform für das<br />

Baugr<strong>und</strong>stück, behaupten<br />

die Architekten. Es sei eine<br />

angemessene Form, die<br />

nicht etwa durch Eitelkeiten<br />

bestimmt sei, sondern sich<br />

aus umfassenden aerodynamischen<br />

Tests <strong>und</strong> Untersuchungen<br />

zur Tageslichtführung<br />

bis auf Bodenniveau<br />

ergeben habe. Auch<br />

die örtlichen Behörden befürworten<br />

die Form <strong>und</strong> die<br />

Höhe des Gebäudes. Foster<br />

bezeichnet den Entwurf als<br />

eine Weiterentwicklung<br />

von Ideen zu klima- <strong>und</strong><br />

lichtoptimierten Büroräumen.<br />

Diese Ideen gab es<br />

bereits in den 70er Jahren,<br />

doch damals war man noch<br />

nicht in der Lage diese auch<br />

zu realisieren. Computerprogramme<br />

fehlten, welche<br />

die gebogenen Oberflächen<br />

London<br />

Swiss Re Tower<br />

des Baukörpers rechnerisch<br />

in segmentierte, plane Flächen<br />

überführten. Erst CAD<br />

machte dies möglich.<br />

Der Swiss Re Tower hat einen<br />

kreisförmigen Gr<strong>und</strong>riss<br />

von 49,3 m. Der Durchmesser<br />

vergrößert sich bis zum<br />

16. Stockwerk auf 56,6 m<br />

<strong>und</strong> verjüngt sich zur Spitze<br />

hin wieder. Mit dieser Formgebung<br />

reagierte der Architekt<br />

auf die Ansprüche des<br />

Baugr<strong>und</strong>stücks, das nur<br />

0,57 ha betrug, reduzierte<br />

ebenerdig die Windreflektionen<br />

<strong>und</strong> erhöhte den Lichteinfall.<br />

Die Konstruktion dieses 40geschossigen<br />

Gebäudes<br />

geht aus von einem zentralen<br />

Stahlkern, der ausschließlich<br />

die vertikalen<br />

Lasten abträgt. Von dort aus<br />

laufen strahlenförmig die<br />

Deckenträger auf die äußere<br />

Stahlrohrkonstruktion zu.<br />

Durch diesen Gr<strong>und</strong>aufbau<br />

entstehen völlig stützenfreie<br />

Innenräume. Die als „verdrehtes<br />

Gitternetz“ sichtbare<br />

äußere Struktur des Objekts<br />

wird gebildet von zweigeschossigenDreiecksmaschen,<br />

die durch Bolzen miteinander<br />

verschraubt sind.<br />

Jedes Dreieck besteht aus<br />

einem Stützenpaar, das an<br />

einem Stahlknoten fixiert ist.<br />

Die Säulen haben kreisförmige<br />

Endplatten, die mit den<br />

125


London<br />

Swiss Re Tower<br />

126<br />

passenden Verbindungsplatten<br />

der Knoten durch<br />

Bolzen fixiert werden. Die<br />

Stützen bestehen aus Rohrprofilen,<br />

die weitgehend den<br />

einheitlichen Außendurchmesser<br />

von 508 mm <strong>und</strong><br />

Wanddicken von 32 mm <strong>und</strong><br />

40 mm aufweisen. Wermutstropfen<br />

für den Stahlbauenthusiasten:<br />

Die filigrane<br />

Stahlrohrkonstruktion,<br />

die das Gebäudes aussteift<br />

<strong>und</strong> Decken- <strong>und</strong> Fassadenkonstruktion<br />

trägt, erhält<br />

aus brandschutztechnischen<br />

Gründen noch eine<br />

folienbeschichtete Mineralwollummantelung<br />

sowie<br />

eine Aluminiumbekleidung –<br />

beides lässt die Gitterstruktur<br />

nicht mehr ganz so<br />

schlank erscheinen wie statisch<br />

möglich.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der engen <strong>und</strong><br />

von Hochhäusern eingeschlossenen<br />

Baustelle musste<br />

man sich über die Anlieferung<br />

bzw. Lagerung der<br />

Materialien Gedanken machen.<br />

So kam man zu der<br />

Lösung, dass die erforderlichen<br />

Rohre „just in time“<br />

angeliefert werden sollten.<br />

Das bedeutete, dass exakt<br />

so viele Rohre geliefert wurden,<br />

wie auch an einem Tag<br />

verarbeitet werden konnten.<br />

Der Baufortschritt betrug<br />

etwa zwei Stockwerke in 14<br />

Tagen, darin enthalten eine<br />

Woche, die benötigt wurde,<br />

um die Dreiecke in ihre fixe<br />

Position zu bringen.<br />

Die Vertikalverdrehung in<br />

der Gebäudehülle kommt<br />

durch eine besondere Aufhängung<br />

der Geschossflächen<br />

zustande, die durch<br />

die Verglasung als dunkler<br />

Streifen erscheint. Die Etagen<br />

sind in einzelne Segmente<br />

eingeteilt, die zur<br />

Fassade hin einen keilförmigen<br />

Zwischenraum ausbilden.<br />

Durch ein verdrehtes<br />

<strong>und</strong> terrassenförmiges Arrangement<br />

der Segmente<br />

entstehen Kanäle. Sie dienen<br />

der verbesserten Tageslichtführung<br />

tief in das<br />

Gebäude hinein, zugleich<br />

wird über die entstehenden<br />

Einschnitte ein Luftaustausch<br />

über alle Ebenen hinweg<br />

ermöglicht. Zur komplett<br />

verglasten Gebäudehülle<br />

hin laufen die einzelnen<br />

Ebenen in Freiflächen<br />

aus, die eine imposante<br />

Aussicht auf die umliegende<br />

Stadtlandschaft bieten.<br />

Mit der konzeptionellen <strong>und</strong><br />

formalen Schlüssigkeit des<br />

Entwurfs für den Swiss Re-<br />

Tower werden Foster and<br />

Partners einmal mehr ihrem<br />

Ruf als „Star-Architekten“<br />

gerecht. Und dies im positiven<br />

Sinne: Die extravagante<br />

Fassade erfährt ihre Berechtigung<br />

aus der Motivation,<br />

die Qualität der inneren<br />

Struktur klimatisch, lichttechnisch<br />

<strong>und</strong> ästhetisch zu<br />

optimieren <strong>und</strong> damit den<br />

Arbeitsplatz menschlicher<br />

zu gestalten.


Bankenviertel London<br />

Literatur: Semsek, Hans-Günter: London <strong>und</strong> Umgebung,<br />

Bielefeld 2003<br />

Beide Gebäude, das<br />

Lloyd’s Building <strong>und</strong> der<br />

Swiss Re Tower, haben ihren<br />

Standort in der City of<br />

London. Dort befindet sich<br />

auch das bekannte, durch<br />

seine Hochhäuser schon<br />

von weitem erkennbare<br />

Bankenviertel der Stadt.<br />

An der Threadneele Street<br />

liegt die im klassizistischen<br />

Stil errichtete königliche<br />

Börse, die Royal Exchange.<br />

Die <strong>Institut</strong>ion wurde<br />

im Jahre 1566 von dem<br />

Händler <strong>und</strong> Finanzexperten<br />

Thomas Gresham gegründet.<br />

Das erste Gebäude<br />

fiel 1666 den Flammen<br />

des Großen Brandes zum<br />

Opfer, der darauffolgende<br />

Bau brannte 1838 nieder.<br />

1844 wurde schließlich das<br />

heutige Gebäude von Sir<br />

William Tite errichtet.<br />

Zwischen Mansion House<br />

<strong>und</strong> Royal Exchange verläuft<br />

in südöstlicher Richtung<br />

die Lombard Street.<br />

Diese Straße gilt seit dem<br />

12. Jahrh<strong>und</strong>ert als Bankenmeile<br />

der Stadt. Noch<br />

heute haben alle großen,<br />

weltweit operierenden<br />

Geldinstitute hier ihre Niederlassung.<br />

Schilder hängen<br />

über den Bürgersteigen.<br />

So konnten auch damals<br />

Bürger, die nicht lesen<br />

konnten, ihre Bank anhand<br />

des Wappens wieder erkennen.<br />

Die Lloyd’s Bank<br />

hat z.B. das Pferd als ihr Erkennungszeichen<br />

auf dem<br />

Schild.<br />

London<br />

Bankenviertel<br />

An dem Cityknotenpunkt<br />

liegt die Bank of England.<br />

Sie wurde 1694 von Privatleuten<br />

gegründet, um als<br />

Finanzierungsinstitution für<br />

den bevorstehenden Krieg<br />

mit Frankreich zu dienen.<br />

Nachdem in zehn Tagen –<br />

wie es der Herrscher gefordert<br />

hatte – über eine Mio.<br />

Pf<strong>und</strong> an Einlagen zusammenkamen,<br />

konnte die<br />

Bank per königlichem Dekret<br />

ihren Geschäften<br />

nachgehen. 1734 entstand<br />

das erste Gebäude, zwischen<br />

1788 <strong>und</strong> 1833 wurden<br />

unter der Leitung von<br />

Sir John Soane Umbauten<br />

<strong>und</strong> Erweiterungen vorgenommen.<br />

Zwischen 1925<br />

<strong>und</strong> 1939 veränderte <strong>und</strong><br />

vergrößerte dann Sir Herbert<br />

Baker das Innere der<br />

Bank. In den drei unterirdischenGewölbegeschossen<br />

lagern die Goldreserven<br />

Großbritanniens. 1946<br />

wurde die Bank verstaatlicht.<br />

Schräg gegenüber der<br />

Royal Exchange befindet<br />

sich die 26 Stockwerke<br />

hohe Stock Exchange. Das<br />

ist die Wertpapierbörse der<br />

Hauptstadt. Das moderne<br />

Gebäude wurde in den Jahren<br />

von 1970 bis 1973 erbaut.<br />

The House, wie der<br />

Volksm<strong>und</strong> diesen bekannten<br />

Effektenumschlagplatz<br />

nennt, ist eine der größten<br />

Börsen der Welt.<br />

In der St. Axe Street befindet<br />

sich noch die größte<br />

Schiffsbörse der Welt, die<br />

Baltic Exchange. R<strong>und</strong><br />

70% des Weltseeverkehrs<br />

werden hier gemakelt.<br />

Südlich von Lloyd’s hat das<br />

Plantation House seinen<br />

Standort. Hier werden im<br />

sogenannten Cry-out-Verfahren<br />

Kakao, Kaffee, Zukker<br />

etc. gehandelt. Seit<br />

1980 ist hier auch die größte<br />

Metallbörse, die Metal<br />

Exchange, untergebracht.<br />

127


London<br />

Lloyds<br />

128<br />

Lloyd’s of London<br />

Standort: 107 Leadenhall Street, London<br />

Baujahr: 1978 – 1986<br />

Bauherr: Lloyd’s of London<br />

Architekt: Richard Rogers Partnership Ltd.<br />

Richard Rogers, John Young, Marco Goldschmied,<br />

Mike Davies<br />

Ingenieur: Ove Arup & Partners<br />

Jack Zunz, Peter Rice, Tom Barker<br />

Literatur: www.archinform.de<br />

Bernhard Tokarz (Hg.): <strong>Konstruieren</strong> lernen an<br />

Bauten in Großbritannien, Universität Stuttgart 1990<br />

Für das Projekt wurden<br />

1977 Architekten zu einem<br />

Gutachten eingeladen, um<br />

Lösungen für folgende drei<br />

Aufgaben zu entwickeln.<br />

Lloyd’s forderten für ihr<br />

Gebäude ein hohe Flexibilität<br />

des Gr<strong>und</strong>risses, ein<br />

repräsentatives Bauwerk,<br />

welches die Spitzenposition<br />

von Lloyd’s wiederspiegelt,<br />

sowie die Abwicklung<br />

der Geschäfte mit einem<br />

Minimum an Unterbrechungen.<br />

Richard Rogers erhielt den<br />

Auftrag <strong>und</strong> begann 1978<br />

mit dem Entwurf.<br />

Der rechteckige Block<br />

des Hauptgebäudes umfasst<br />

eine Fläche von<br />

68,4 x 46,8m mit insgesamt<br />

14 Geschossen, die sich in<br />

Richtung Südwesten aus<br />

Gründen der Mindestabstände<br />

zu den Nachbargebäuden<br />

bis auf sechs Geschosse<br />

abstufen. Die Außenstützen<br />

des Haupttragwerkes<br />

(Skelettbau) stehen<br />

vor der Fassade <strong>und</strong> ermöglichen<br />

so einen flexiblen<br />

Gr<strong>und</strong>riss. Die beiden<br />

inneren Stützenreihen begrenzen<br />

das Atrium.<br />

Das Hauptgebäude beinhaltet<br />

die Büro- <strong>und</strong> Geschäftsräume.<br />

Sämtliche<br />

Ver- <strong>und</strong> Entsorgungseinheiten<br />

sowie WC’s, Trep-<br />

penräume, Aufzüge <strong>und</strong><br />

übereinander gestapelte<br />

Besprechungs- <strong>und</strong> Aufenthaltsräume<br />

sind in den<br />

sechs Servicetürmen außerhalb<br />

des Hauptgebäudes<br />

angeordnet. Vier davon<br />

befinden sich an den<br />

Schmalseiten <strong>und</strong> je einer<br />

an den Längsseiten.<br />

Der Eingangsbereich im<br />

abgesenkten Erdgeschoss<br />

befindet sich 2,50 m unterhalb<br />

des Straßenniveaus.<br />

Er beinhaltet sowohl die<br />

öffentlichen Bereiche sowie<br />

ein Restaurant <strong>und</strong> die wiederaufgebaute<br />

alte Bücherei.<br />

Darüber beginnt der<br />

Room. Er nimmt die ganze<br />

Fläche ein <strong>und</strong> erstreckt<br />

sich über zwei Geschosse.<br />

Außerdem kann er von der<br />

Straße aus direkt über eine<br />

Rampe erreicht werden.<br />

Die nächsten sechs Geschosse<br />

sind zum Atrium<br />

hin offen <strong>und</strong> können bei<br />

Bedarf dem Room hinzugeschaltet<br />

werden. Die darüber<br />

liegenden Ebenen<br />

sind zum Atrium hin verglast<br />

<strong>und</strong> haben somit<br />

Blickkontakt. Außer den ersten<br />

drei Roomgeschossen,<br />

die durch Rolltreppen<br />

miteinander verb<strong>und</strong>en<br />

sind, können die anderen<br />

Geschosse nur über die in<br />

den Servicetürmen angeordneten<br />

Treppen oder die<br />

außenliegenden Aufzüge<br />

erreicht werden.<br />

Die Konstruktion des<br />

Hauptgebäudes besteht<br />

aus Stahlbetonr<strong>und</strong>stützen<br />

in einer inneren <strong>und</strong> äußeren<br />

Stützenreihe. Die Stützen,<br />

in Ortbeton erstellt, tragen<br />

über spezielle, vorgefertigte<br />

Konsolen vorgespannte,<br />

umgekehrte U-<br />

Träger (Ortbeton). Die Auflager<br />

übertragen sowohl


horizontale wie vertikale<br />

Lasten. Sie liegen in der<br />

Mitte eines Rasterfeldes<br />

<strong>und</strong> 1,80m ausserhalb der<br />

Stützenachse. Von den<br />

umgekehrten U-Trägern<br />

wird das 1,80 x 1,80m<br />

Deckenraster aus Stahlbetonbalken<br />

getragen. Die<br />

Lasten verteilen sich im<br />

Raster gleichmäßig <strong>und</strong> die<br />

Balken spannen in beide<br />

Richtungen.<br />

Betonstempel an den Knotenpunkten<br />

tragen abgekantete,<br />

profilierte Bleche,<br />

auf denen die durchgehende<br />

Betonplatte liegt. Sie bildet<br />

die Tragschicht für den<br />

Fußbodenaufbau <strong>und</strong> dient<br />

dem Brandschutz.<br />

Zunächst war das Tragwerk<br />

in Stahl gedacht, doch der<br />

damit verb<strong>und</strong>ene immense<br />

Aufwand zur Erfüllung<br />

des Brandschutzes bewirkte<br />

ein Umschwenken auf<br />

eine Stahlbetonkonstruktion.<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />

erklären sich jedoch die<br />

dem Stahlbau ähnlichen<br />

Verbindungen <strong>und</strong> Anschlüsse<br />

im Stützen / Auflager<br />

/ Aussteifungs / Raster<br />

– Gefüge, die die Erscheinung<br />

des Gebäudes<br />

entscheidend prägen.<br />

Die Elastomerauflager dienen<br />

zur Abtragung der vertikalen<br />

Lasten. Die Stahldübel<br />

leiten horizontale Lasten<br />

weiter.<br />

Zur Aussteifung des Gebäudes<br />

sind hinter den ServicetürmenVertikalverbände<br />

angeordnet. Die Diagonalen<br />

bestehen aus dickwandigen<br />

Stahlrohrprofilen,<br />

die zum Schutz vor Korrosion<br />

<strong>und</strong> Feuer mit Beton<br />

ummantelt sind.<br />

Das durch die innere Stützenreihe<br />

gebildete, zwölfgeschossige,<br />

vollständig<br />

verglaste, tonnenbedeckte,<br />

76,5 m hohe Atrium nimmt<br />

die Windlasten im Süden<br />

über ein über drei Geschosse<br />

spannendes Stahlbetonkreuz<br />

auf. Vertikal<br />

stehende Fachwerkträger<br />

aus Stahl tragen die Glasfassade.<br />

Sie beginnen jeweils<br />

eine Ebene über den<br />

obersten Geschossdecken<br />

des abgestuften Hauptgebäudes.<br />

Zum Fachwerk<br />

aufgelöste Bögen tragen<br />

das Dach. Dreigurt-Fachwerkstützen,<br />

-träger <strong>und</strong> –<br />

bögen dienen zur Aufnahme<br />

vertikaler <strong>und</strong> horizontaler<br />

Lasten.<br />

Anstatt ein neues System<br />

zu installieren <strong>und</strong> auch<br />

Stützen in Stahl auszubilden,<br />

werden die inneren<br />

Stahlbetonstützen des<br />

Haupttragwerkes über die<br />

obersten Geschossdecken<br />

hinausgeführt <strong>und</strong> tragen<br />

das Stahlfachwerk des Daches.<br />

Für die Servicetürme kamen<br />

vorgefertigte Stahlbetonkonstruktionen<br />

zum Einsatz,<br />

deren Verbindungen<br />

zum Hauptgebäude verschraubt<br />

wurden. Die Türme<br />

sind gegen Windlasten<br />

mit Diagonalverbänden aus<br />

betonummantelten Stahl<br />

gesichert. Beim Deckenaufbau<br />

ist eine Trennung<br />

von Betonplatte <strong>und</strong> Tragraster<br />

vorgenommen worden,<br />

was eine einfache<br />

Montage, aber auch Flexibilität<br />

sicherstellt.<br />

Die Fassade des Hauptgebäudes<br />

besteht aus stockwerkshohen<br />

<strong>und</strong> 1,80 m<br />

breiten Elementen, die im<br />

Wesentlichen aus einer<br />

doppelwandigen, thermisch<br />

getrennten Dreifachverglasung<br />

bestehen. Der<br />

Zwischenraum dient der<br />

Abführung der Luft. Die<br />

London<br />

Lloyds<br />

129


London<br />

Lloyds<br />

130<br />

äußerste <strong>und</strong> die innerste<br />

Scheibe sind aus Gussglas<br />

gefertigt. Tagsüber wirken<br />

sie als Lichtwand nach innen<br />

<strong>und</strong> Nachts strahlen<br />

sie wie ein Kristall nach<br />

außen.<br />

Alle Konstruktionsteile der<br />

Fassade bestehen aus Aluminium,<br />

so auch die Windbrecher,<br />

die die Druck- <strong>und</strong><br />

Sogbelastung des Windes<br />

auf die Fassade vermindern<br />

sollen.


U-Bahnstationen<br />

Canary Wharf<br />

Standort: London<br />

Baujahr: 1999<br />

Architekt: Foster & Partner<br />

Tragwerk: Ove Arup & Partners<br />

Literatur: Detail 1/2001<br />

Foster Catalogue 2001, München 2001<br />

www.fosterandpartnerships.com<br />

In den 80er-Jahren entschloss<br />

sich das Britische<br />

Parlament zu einer Erweiterung<br />

der Jubilee Line.<br />

Dieses gigantische Projekt<br />

beinhaltete 11 Stationen,<br />

von denen sechs Stationen<br />

neu gebaut <strong>und</strong> fünf Stationen<br />

in großem Maßstab<br />

erweitert <strong>und</strong> modernisiert<br />

werden sollten.<br />

Da auf der Isle of Dogs ein<br />

Geschäftsviertel errichtet<br />

wurde, welches angemessen<br />

erschlossen werden<br />

musste, entstand der neue<br />

Bahnhof Canary Wharf, der<br />

die größte der elf Stationen<br />

London<br />

U-Bahnstationen<br />

werden sollte.<br />

Er ist zwei Geschosse tief<br />

in das ehemalige West India<br />

Dock eingegraben <strong>und</strong><br />

nimmt in Stoßzeiten stündlich<br />

bis zu 40.000 Passagiere<br />

auf.<br />

Von außen ist die Station<br />

an den drei muschelförmigen<br />

Glasdächern zu erkennen.<br />

Durch sie fällt tagsüber<br />

Licht in die Station,<br />

während sie sich nachts zu<br />

schillernden Leuchtkörpern<br />

verwandeln. Im Innern des<br />

Bahnhofs dienen die Glasdächer<br />

als Orientierungspunkte.<br />

Über zwanzig Rolltreppen<br />

werden die Passagiere<br />

in die Station transportiert.<br />

Diese Anlage ist<br />

gegliedert durch nur eine<br />

mittig angeordnete Stützenreihe,<br />

die die gewölbte<br />

Rippendecke trägt. Trotz<br />

ihrer Größe erscheint sie<br />

recht übersichtlich. Geschäfte<br />

<strong>und</strong> andere Nebenräume<br />

sind an den Seiten<br />

angeordnet, so dass der<br />

Raum als große Halle frei<br />

bleibt.<br />

Die Materialwahl wurde<br />

nach Gesichtspunkten der<br />

Haltbarkeit <strong>und</strong> Wartungsfreiheit<br />

ausgewählt – Sichtbeton,<br />

Edelstahl <strong>und</strong> Glas.<br />

131


London<br />

U-Bahnstationen<br />

132<br />

Westminster<br />

Die größten technischen<br />

Schwierigkeiten entstanden<br />

bei der Station Westminster.<br />

Hier mussten zwei<br />

Bahnlinien während der<br />

Bauarbeiten in Betrieb bleiben.<br />

Da der neue Bahnsteig<br />

unterhalb der bestehenden<br />

U-Bahnstrecken<br />

liegt, wurde eine unterirdische<br />

Brücke gebaut, auf<br />

der die bestehenden Gleise<br />

<strong>und</strong> Bahnsteige aufgelegt<br />

sind.<br />

Bermondsey<br />

Das Juwel des Projekts ist<br />

die Station Bermondsey.<br />

Sie ist die kompakteste <strong>und</strong><br />

einzige Station, die von<br />

oben zugänglich war. Sie<br />

ist so konzipiert, dass natürliches<br />

Licht ins Innere<br />

gelangt <strong>und</strong> selbst auf der<br />

Plattformebene – ca. 20m<br />

unter Straßenniveau – ein<br />

Sichtbezug nach außen<br />

möglich ist. Abgestützt gegen<br />

Erddruck werden die<br />

Wände durch an drei Seiten<br />

horizontal liegenden<br />

Betonfachwerkträgern.<br />

Man gelangt über eine von<br />

Michael Hopkins entworfene<br />

niedrige Eingangshalle<br />

in die Station. Mit zunehmender<br />

Tiefe allerdings<br />

wandelt sich das Bild.<br />

Schräg gestellte Rolltreppen<br />

durchschneiden diagonal<br />

die ca. 20 Meter hohe,<br />

offene Verteilerhalle, an die<br />

insgesamt drei übereinander<br />

gestapelte Plattformen<br />

angeb<strong>und</strong>en sind. Die Aussenwände<br />

werden von horizontalen<br />

Stahlstreben gegeneinander<br />

abgestützt,<br />

die über 21m spannen. Die<br />

Materialien Sichtbeton <strong>und</strong><br />

grau beschichtetes Metall<br />

entfalten durch die effektvoll<br />

eingesetzte Beleuchtung<br />

von hell strahlenden<br />

Punktleuchten ihre Wirkung.<br />

Weitere Stationen die zur<br />

Erweiterung der Jubilee<br />

Line gehören, sind Waterloo,<br />

Southwark, London<br />

Bridge, Canada Water,<br />

North Greenwich, Canning<br />

Town, West Ham <strong>und</strong> Stratford.


Impressum:<br />

Erscheinungsdatum: 7.9.2004<br />

Herausgeber: <strong>Institut</strong> für Tragwerksentwurf<br />

<strong>und</strong> Bauweisenforschung<br />

Herrenhäuser Str.8<br />

D 30419 Hannover<br />

Redaktion:<br />

Text Hedda Saemann<br />

Martin Kersting<br />

Vanessa Hellmich<br />

Layout Heidi Drossel<br />

Impressum

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!