Exkursion Schottland - Institut Entwerfen und Konstruieren
Exkursion Schottland - Institut Entwerfen und Konstruieren
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Universität Hannover<br />
<strong>Exkursion</strong> <strong>Schottland</strong><br />
Sommersemester 2004
<strong>Exkursion</strong>sprogramm<br />
Mittwoch, 8.9.<br />
9.30 Uhr Treffpunkt: Parkplatz am Fachbereich<br />
Fahrt Hannover-Amsterdam<br />
18.00 Uhr Abfahrt Fähre<br />
Donnerstag, 9.9.<br />
9.00 Uhr Ankunft Newcastle<br />
11.00 Uhr Gateshead Millenium Bridge, Führung<br />
High Level Bridge <strong>und</strong> Tyne Bridge<br />
Musikzentrum „The Sage“<br />
Ankunft Edinburgh ca. 15.00 Uhr<br />
Neues Parlament<br />
National Centre for Dance<br />
Fruitmarket Gallery<br />
Altstadtr<strong>und</strong>gang, Edinburgh-Castle<br />
Übernachtung in Edinburgh<br />
Freitag, 10.9. Edinburgh<br />
10.00 Uhr Dynamic Earth Centre, Führung<br />
Royal Botanic Garden, Palmenhäuser<br />
Royal Museum <strong>und</strong> Museum of Scotland<br />
Jack Kilby Centre, Napier University<br />
Übernachtung in Edinburgh<br />
Samstag, 11.9.<br />
9.00 Uhr Abfahrt nach Glasgow<br />
Forth Rail Bridge<br />
Schiffshebewerk in Falkirk<br />
14.00 Uhr Schiffahrt<br />
Ankunft Glasgow ca. 16.00 Uhr<br />
House for an Art Lover<br />
Übernachtung in Glasgow<br />
Sonntag, 12.9. Glasgow<br />
10.00 Uhr Scottish Exhibition and Conference Centre<br />
Armadillo<br />
Südufer des Clyde mit Science Centre,<br />
Glasgow Tower <strong>und</strong> BBC Scotland<br />
13.00 Uhr Kibble-Palace<br />
15.00 Uhr School of Art, Führung<br />
Übernachtung in Glasgow<br />
Montag, 13.9.<br />
9.00 Uhr Abfahrt nach Birmingham<br />
10.00-12.00 Uhr Arbeitersiedlung <strong>und</strong> Fabrikanlage<br />
New Lanark, Führung<br />
Coalbrookdale Iron-Bridge über den Severn<br />
in Telford<br />
Kaufhaus Selfridges in Birmingham<br />
Canal Walk <strong>und</strong> Aquädukt<br />
Übernachtung in Birmingham<br />
Dienstag, 14.9.<br />
9.00 Uhr Abfahrt nach Bristol<br />
Over Bridge bei Gloucester<br />
Clifton Suspension Bridge<br />
13.15 Uhr Wildscreen in Bristol<br />
Kathedrale<br />
16.00 Uhr Bath: Bürobesichtigung Happold<br />
Programm
Programm<br />
Mittwoch, 15.9.<br />
Thermen, Circus + Crescent<br />
Übernachtung in Bristol<br />
9.00 Uhr Abfahrt nach London<br />
Millenium Bridge, Tate Gallery, Dome <strong>und</strong><br />
St. Paul’s Cathedral<br />
Waterloo-Station<br />
Riesenrad London Eye<br />
King’s Cross Station<br />
Übernachtung in London<br />
Donnerstag, 16.9. London<br />
10.30 Uhr Zaha Hadid Offices, Bürobesichtigung<br />
British Museum<br />
New Parlamentary B? ilding<br />
Rathaus<br />
South Quay Footbridge<br />
Canary Wharf Bridge<br />
Bürobesichtigung Foster and Partners<br />
Übernachtung in London<br />
Freitag, 17.9. London<br />
9.00 Uhr Swiss Re Tower Führung<br />
Lloyds of London<br />
10.30 Uhr Abfahrt nach Harwich<br />
16.00 Uhr Abfahrt Fähre<br />
Samstag, 18.9.<br />
11.30 Uhr Ankunft Cuxhaven<br />
Ankunft in Hannover ca. 16.00 Uhr<br />
Unterkünfte<br />
West End Hostel<br />
3/6 Oxgangs Drive<br />
Edinburgh EH 13 9HB<br />
Tel. O131 44 16 628<br />
McLays Guest House<br />
264-276 Renfrew Street<br />
Glasgow G 3 6TT<br />
Tel. 0141 33 24 796<br />
Comfort Inn Norfolk Hotel<br />
257/267 Hagley Road<br />
Edgbaston Birmingham West Midlands<br />
B 16 9NA<br />
Tel. 0121 45 48 071<br />
YHA Bristol Hayman House<br />
14 Narrow Quay<br />
Bristol B 51 4QA<br />
Tel. 0117 92 21 659<br />
The Regent Palace<br />
Piccadilly Circus<br />
London W1B 5DN<br />
Tel. 0870 40 08 703
Inhalt<br />
Newcastle 1<br />
Gateshead Millennium Bridge 3<br />
High Level Bridge 7<br />
Tyne Bridge 9<br />
Musikzentrum „The Sage“ 11<br />
Edinburgh versus Glasgow 13<br />
Neues Parlament 19<br />
National Centre for Dance 21<br />
Fruitmarket Gallery 23<br />
Royal Mile 25<br />
Dynamic Earth Centre 28<br />
Royal Botanic Garden 31<br />
Palmenhäuser 35<br />
Royal Museum <strong>und</strong> Museum of Scotland 37<br />
Jack Kilby Centre, Napier University 39<br />
Forth Rail Bridge 40<br />
Schiffshebewerk in Falkirk 46<br />
Charles Rennie Mackintosh <strong>und</strong> Glasgow 49<br />
House for an Art Lover 55<br />
Scottish Exhibition and Conference Centre Armadillo 57<br />
Glasgow Science Centre <strong>und</strong> Glasgow Tower 60<br />
BBC Scotland 65<br />
Kibble-Palace 66<br />
School of Art 68<br />
Arbeitersiedlung <strong>und</strong> Fabrikanlage New Lanark 74<br />
Coalbrookdale Iron-Bridge über den Severn in Telford 77<br />
Kaufhaus Selfridges in Birmingham 80<br />
Telford, Stephenson, Brunel 83<br />
Canal Walk <strong>und</strong> Aquädukt 87<br />
Over Bridge bei Gloucester 88<br />
Clifton Suspension Bridge 89<br />
Wildscreen in Bristol 92<br />
Bristol Cathedral 96<br />
Millennium Bridge 99<br />
Tate Gallery 101<br />
Millennium Dome 104<br />
St. Paul’s Cathedral 106<br />
Waterloo-Station 108<br />
Riesenrad London Eye 110<br />
King’s Cross Station 113<br />
British Museum 115<br />
New Parlamentary Building 118<br />
Greater London Authority Headquarters 121<br />
South Quay Footbridge 122<br />
Canary Wharf Bridge 123<br />
Swiss Re Tower 125<br />
Bankenviertel 127<br />
Lloyds of London 128<br />
U-Bahn-Stationen 131<br />
Inhalt<br />
1
Teilnehmer<br />
<strong>Exkursion</strong>steilnehmer<br />
Karen<br />
Lilija<br />
Lukas<br />
Anja<br />
Gerd<br />
Alexander<br />
Sun<br />
Marceline<br />
Martin<br />
Vanessa<br />
Felix<br />
Mirka<br />
Martin<br />
Sandra<br />
Anne-Kathrin<br />
Mirko<br />
Lisa<br />
Markus<br />
Mehdy<br />
Daniel<br />
Moritz<br />
Gesa<br />
Kathrina<br />
Dorothea<br />
Christian<br />
Lena<br />
Hedda<br />
Normen<br />
Britta<br />
Annika<br />
Ramona<br />
Ansgar<br />
Liu<br />
Albert<br />
Bartuli<br />
Burkhardt<br />
Eckert<br />
Frerichs<br />
Furche<br />
Gaoyang<br />
Gaudiere<br />
Glende<br />
Hellmich<br />
Hoepner<br />
Kalkühler<br />
Kersting<br />
Kock<br />
Langenberg<br />
Lev<br />
Lüdke<br />
Machill<br />
Moshfeghi<br />
Mottaghian-Milani<br />
Mücke<br />
Müller<br />
Neubacher<br />
Niwinski<br />
Oevermann<br />
Reumann<br />
Saemann<br />
Schneider<br />
Schubert<br />
Thiel<br />
Wassong<br />
Wiegmann<br />
Yufeng
Newcastle<br />
Die erste Siedlung im Bereich<br />
des heutigen Newcastle<br />
upon Tyne entstand<br />
unter den Römern, die hier<br />
Pons Aelili als eine der<br />
Grenzfestungen gegen die<br />
Skoten entlang des Hadrianswalls<br />
(122 v.Chr.) errichteten.<br />
Die Normannen<br />
erkannten die strategische<br />
Bedeutung dieses Ortes<br />
<strong>und</strong> erweiterten Ende des<br />
11. Jahrh<strong>und</strong>erts unter<br />
Heinrich II. ihr hölzernes<br />
Fort zum New Castle. Im<br />
13./14. Jahrh<strong>und</strong>ert erhielt<br />
die Stadt ihre heute noch<br />
teilweise erhaltene Stadtmauer.<br />
Innerhalb dieser Festungen<br />
entwickelte sich Newcastle<br />
bereits im Mittelalter zu<br />
einem wichtigen Handelszentrum,<br />
von dem aus vor<br />
allem Kohle <strong>und</strong> Wollstoffe<br />
exportiert wurden. Durch<br />
die Kontrolle des Flusses<br />
sicherte sich die Stadt das<br />
Kohlemonopol <strong>und</strong> erreichte,<br />
daß alle Kohlentransporte<br />
durch ihren Hafen<br />
gingen. Die daraus eingenommenen<br />
Steuern brachten<br />
großen Reichtum. Die<br />
Redewendung „to carry coals<br />
to Newcastle“, die unserem<br />
„Eulen nach Athen<br />
tragen“ entspricht, stammt<br />
aus dieser Zeit.<br />
Seit dem späten 17. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
entwickelten sich<br />
neue Handels- <strong>und</strong> Industriezweige,<br />
vor allem der<br />
Schiffsbau: 25 % aller<br />
Schiffe der Welt wurden<br />
damals in Newcastle produziert.<br />
Im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
brachte die Stahlindustrie<br />
einen erneuten wirtschaftlichen<br />
Aufschwung. Die<br />
Stephenson-Familie als<br />
Entwickler von Lokomotiven<br />
<strong>und</strong> Erbauer der High<br />
Level Bridge hatten hieran<br />
entscheidenden Anteil. Im<br />
Zuge dieses Booms wurde<br />
das heutige Stadtzentrum<br />
von Newcastle geprägt. Bis<br />
1974 war es Verwaltungssitz<br />
der Grafschaft Northumberland.<br />
Newcastle<br />
upon Tyne hat heute etwa<br />
270.000 Einwohner.<br />
Der Fluß Tyne ist seit jeher<br />
einer der wichtigsten Wasserwege<br />
Nordenglands<br />
<strong>und</strong> Lebensader von Newcastle.<br />
Die erste Brücke<br />
entstand in der Römerzeit<br />
mit dem Fort, erst im Mittelalter<br />
wurde sie durch<br />
eine bewohnte Brücke ersetzt.<br />
Der mit der Industrialisierung<br />
rapide zunehmende<br />
Schiffsverkehr stellte<br />
neue Anforderungen; die<br />
bestehenden Brücken, die<br />
Newcastle<br />
1
Newcastle<br />
2<br />
diesen nicht genügten, wurden<br />
abgerissen <strong>und</strong> durch<br />
neue Konstruktionen ersetzt.<br />
In der ersten Hälfte<br />
des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts baute<br />
darum der Ingenieur Robert<br />
Stephenson die High<br />
Level Bridge. Entwürfe für<br />
eine neue Hochbrücke hatten<br />
außerdem Thomas Telford<br />
(Kanalbaumeister) <strong>und</strong><br />
Isambard Kingdom Brunel<br />
(Clifton Suspension Bridge)<br />
eingereicht. Wachsender<br />
Eisenbahn- <strong>und</strong> allmählich<br />
auch Straßenverkehr<br />
machten den Bau weiterer<br />
Tyne-Brücken erforderlich,<br />
wobei immer neue Techniken<br />
Anwendung fanden.<br />
Die Scotswood Suspension<br />
Bridge, eine filigrane Kettenbrücke<br />
von 1831, wurde<br />
bereits 1967 wieder abgerissen,<br />
weil sie dem Autoverkehr<br />
nicht mehr gewachsen<br />
war, <strong>und</strong> durch<br />
eine neue Brücke ersetzt.<br />
Die 1867 fertiggestellte<br />
Armstrong Swing Bridge<br />
wird dagegen heute noch<br />
als Fußgängerbrücke genutzt.<br />
Die 1928 eingeweihte<br />
Tyne-Bridge ist ebenfalls<br />
noch in Betrieb.<br />
Nach der Redheugh Bridge<br />
(Spannbeton) 1983 ist<br />
die Millennium Bridge die<br />
siebte <strong>und</strong> vorläufig letzte<br />
in der Reihe der Tyne-Brükken<br />
in Newcastle. In den<br />
letzten Jahren ist der<br />
Schiffsverkehr vergleichsweise<br />
zurückgegangen,<br />
wenngleich keineswegs<br />
zum Erliegen gekommen.<br />
Auch die neue (Fußgänger)<br />
Brücke muß Schiffe passieren<br />
lassen, weshalb der<br />
1996 ausgeschriebene<br />
Wettbewerb ausdrücklich<br />
eine bewegliche Brücke<br />
forderte. Wegen des Rückgangs<br />
der industriellen Produktion<br />
ist die Stadt im Begriff,<br />
ihr Image <strong>und</strong> das des<br />
Flusses neu zu gestalten,<br />
sich eine Rolle als Dienstleistungs-<br />
<strong>und</strong> Kulturzentrum<br />
aufzubauen <strong>und</strong> die<br />
Uferbebauung wirtschaftlich<br />
aufzuwerten. Die Millennium<br />
Bridge verbindet<br />
ein neues Kunstmuseum,<br />
ein Musikzentrum <strong>und</strong> einenEntertainmentkomplex.<br />
Heute verbinden insgesamt<br />
sieben Brücken Newcastle.<br />
Millennium Bridge<br />
(2001): s.u.<br />
Tyne Bridge<br />
(1928): s.u.<br />
Swing Bridge<br />
(1868 - 1876):<br />
Die Swing Bridge steht an<br />
der Stelle der ersten Römerbrücke<br />
<strong>und</strong> ersetzte<br />
eine georgianische Bogenbrücke,<br />
die den Verkehrsanforderungen,<br />
vor allem<br />
der Durchfahrtshöhe für die<br />
neuen Schiffe, nicht mehr<br />
standhielt. Die Swing Bridge<br />
wird heute noch von den<br />
originalen hydraulischen<br />
Pressen angetrieben, die<br />
sie im ganzen um ihren Mittelpunkt<br />
rotieren lassen.<br />
Die Konstrukteure der damals<br />
weltgrößten Drehbrücke<br />
waren Armstrong,<br />
Whitworth & Company.<br />
High Level Bridge<br />
(1849): s.u.<br />
Queen Elizabeth (Tyneside<br />
Metro) Bridge<br />
(1976 – 1978):<br />
Die Brücke leitet die Tyne<br />
and Wear Metro hinter dem<br />
Hauptbahnhof über den<br />
Tyne. Sie besteht aus<br />
durchgehenden stählernen<br />
Fachwerkträgern, die von<br />
zwei Betonpfeilern gestützt<br />
werden.<br />
King Edward VII Rail Bridge<br />
(1906):<br />
Fünf Gleise führen die<br />
wichtigsten Eisenbahnstrecken<br />
über den Tyne.<br />
Die Fachwerkträger der<br />
Brücke liegen auf gemauerten<br />
Pfeilern; die südlichen<br />
Träger spreizen sich<br />
auf.<br />
Redheugh Bridge<br />
(1980 – 1983):<br />
Die ursprüngliche Redheugh-Brücke<br />
stammte<br />
aus dem Jahr 1871. Sie<br />
war eine vierfeldrige, in den<br />
Drittelspunkten abgehängte<br />
Stahlfachwerkbrücke.<br />
Die dritte Erneuerung besteht<br />
aus einem gevouteten<br />
Spannbetonbalken, der<br />
auf zwei Pfeilern ruht. Die<br />
Brücke führt den Verkehr<br />
westlich der Innenstadt<br />
über den Fluß.
Gateshead Millennium Bridge<br />
Newcastle<br />
Gateshead Millennium Bridge<br />
Standort: Newcastle upon Tyne / Gateshead<br />
Baujahr: 1996 - 2001<br />
Bauherr: Gateshead Metropolitan Borough Council<br />
Architekt: Wilkinson Eyre Architects, London<br />
Ingenieur: Gifford Consulting Engineers, Southampton<br />
Literatur: Anette LeCuyer: Stahl & Co.<br />
Neue Strategien für Metalle in der Architektur,<br />
Basel 2003<br />
Concrete, 9/2002<br />
Der Bauingenieur, 3/2001<br />
db, 138, 6/2004<br />
ICE Bridge Engineering, 156, 3/2003<br />
Tiefbau,Ingenieurbau, Straßenbau, 3/2002<br />
Wilkinson Eyre <strong>und</strong> das Ingenieurbüro<br />
Gifford gewannen<br />
den Wettbewerb <strong>und</strong><br />
wurden im Jahr 2004 mit<br />
dem Balthasar-Neumann-<br />
Preis ausgezeichnet, obwohl<br />
ihr Entwurf innerhalb<br />
der Jury zunächst unter Ingenieuren<br />
<strong>und</strong> Architekten<br />
sehr umstritten war. „Dabei<br />
ging es beileibe nicht nur<br />
um Fragen der Angemessenheit“,<br />
erinnert sich Wilfried<br />
Dechau. „Nein, es<br />
ging um Gr<strong>und</strong>sätzliches,<br />
vor allem um die Frage, ob<br />
ein in seiner Lage veränderbares<br />
Bauwerk im Ruhezustand<br />
Kräfte über die<br />
zur Bewegung benötigten<br />
Bauteile abtragen dürfe.<br />
Und als Vergleich wurde<br />
der Typus ‚holländische<br />
Klappbrücke’ herangezogen,<br />
bei der das Gegengewicht<br />
<strong>und</strong> der bewegliche<br />
Brückenteil, im offenen wie<br />
im geschlossenen Zustand,<br />
immer im Gleichgewicht<br />
sind – eine sinnreiche, kräfte-<br />
<strong>und</strong> ressourcensparende<br />
Konstruktion. Aber in<br />
Gateshead ging es nicht<br />
nur um die schnöde, möglichst<br />
effizient zu lösende<br />
Aufgabe, Fußgänger <strong>und</strong><br />
Radfahrer von einer Seite<br />
des Tyne auf die andere zu<br />
bekommen. Nein, in Gates-<br />
head (<strong>und</strong> Newcastle) ging<br />
es darum, ein Zeichen zu<br />
setzen, ein Zeichen gegen<br />
den allmählichen Niedergang<br />
dieser flußnahen<br />
Zone, deren quirlige, wenngleich<br />
auch schmutzige<br />
Vergangenheit als Hafen,<br />
als Arbeitsort, als Produktionsstätte,<br />
als stark frequentierter<br />
Umschlagplatz<br />
längst Geschichte ist. Es<br />
ging darum, den Wandel<br />
der Uferzone hin zu einem<br />
den schönen Künsten <strong>und</strong><br />
der Musik gewidmetem<br />
Kultur- <strong>und</strong> Freizeitviertel<br />
zu unterstützen, zu befördern<br />
<strong>und</strong> zu beschleunigen.<br />
Der große Wurf der<br />
Architekten <strong>und</strong> Ingenieure,<br />
die große Geste der auf<br />
so ungewohnte Weise sich<br />
drehenden Brücke hebt<br />
zwar die Frage nach<br />
Gr<strong>und</strong>sätzen des <strong>Konstruieren</strong>s<br />
nicht auf, läßt sie<br />
aber doch in einem anderen<br />
Lichte erscheinen.“ Vor<br />
allem aber die enge Zusammenarbeit<br />
der beiden<br />
Fachdisziplinen überzeugte<br />
die Jury, die „die ethischen<br />
<strong>und</strong> qualitativen Kriterien<br />
beider Disziplinen<br />
synergetisch <strong>und</strong> nicht additiv<br />
in das Ergebnis einfließen“<br />
1 ließ. Die Einheit von<br />
„Funktion <strong>und</strong> Ästhetik“, die<br />
3
Newcastle<br />
Gateshead Millennium Bridge<br />
4<br />
„plastische Präsenz“ im<br />
Ruhezustand einerseits<br />
<strong>und</strong> die „Dynamik in der<br />
Bewegung“ andererseits,<br />
wenn sich die Brücke wie<br />
ein „geschlossenes Auge“<br />
langsam öffnet, war erklärtes<br />
Ziel der Architekten.<br />
Der Entwurf für die Fußgänger-<br />
<strong>und</strong> Fahrradbrükke<br />
besteht aus einer gekrümmten<br />
Deckplatte, die<br />
von einem parabolischen<br />
Bogen an einer Reihe von<br />
Stahlseilen getragen wird.<br />
Die gesamte Konstruktion<br />
dreht sich durch beidseitige<br />
hydraulische Pressen<br />
um ihre Auflagerachse.<br />
Der Brückenträger wird<br />
durch seine Krümmung auf<br />
eine Spannweite von 105 m<br />
verlängert, so dass mit einem<br />
vertikalen Stich von<br />
nur 2,70 m die stets erforderliche<br />
Durchfahrtshöhe<br />
von 4,60 m in der Mitte<br />
ohne Zugangsrampen an<br />
den Ufern erreicht wird. Bei<br />
einem geradlinigen Verlauf<br />
wäre dies nicht möglich<br />
gewesen <strong>und</strong> hätte den<br />
Zugang für Gehbehinderte<br />
erschwert. Der Querschnitt<br />
der Brücke verjüngt sich<br />
von 4,50 m an den Ufern<br />
auf 3,20 m Breite in der<br />
Flußmitte.<br />
Fuß- <strong>und</strong> Radweg sind auf<br />
dem Brückenträger in zwei<br />
Bahnen mit unterschiedlichen<br />
Oberflächen getrennt<br />
<strong>und</strong> 30 cm höhenversetzt.<br />
Zwischen ihnen verläuft<br />
eine Windbremse aus perforiertem<br />
Edelstahlblech,<br />
das in Abständen für<br />
Durchgänge unterbrochen<br />
ist.<br />
Der Fußweg liegt auf einem<br />
Kastenprofil, das aus bis zu<br />
25 mm dicken Stahlblechen<br />
zusammengesetzt ist.<br />
Quer- <strong>und</strong> Längsaussteifung<br />
sind getrennt, wie es<br />
bei Brücken mit dynamischer<br />
Beanspruchung häufig<br />
gemacht wird. Auf diese<br />
Weise können die Aussteifungselementeentsprechend<br />
ihrer Belastung dimensioniert<br />
werden. Die<br />
Queraussteifung übernehmen<br />
hier Rippenbleche im<br />
Abstand von 1,50 m, die<br />
Aussteifung in Längsrichtung<br />
erfolgt durch Steifen<br />
im Abstand von 50 cm, die<br />
über die gesamte Länge<br />
durchlaufen. Die Querrippen<br />
wurden dafür V-förmig<br />
ausgespart. Der Fahrradweg<br />
liegt auf sich verjüngenden<br />
Auslegern aus<br />
Doppel-T-Profilen, die im<br />
Abstand von drei Metern an<br />
den Kastenträger angeschweißt<br />
sind. Der Brükkenträger<br />
wird an der Innenseite<br />
von 18 Stahlseilen<br />
gehalten, die mit dem zweiten,<br />
vollverschweißten Parabelbogen<br />
verb<strong>und</strong>en<br />
sind.<br />
Dieser Bogenträger ragt 46<br />
m in die Luft. Er hat einen<br />
rhombusförmigen Querschnitt,<br />
der sich über die<br />
Gesamtlänge verändert, in<br />
der Profilhöhe von 4 m am<br />
Fußpunkt auf 2,60 m am<br />
Scheitel abnimmt. Der abger<strong>und</strong>ete<br />
Vorsprung des<br />
Profils aus einem Stahlrohrsegment<br />
zeigt flußabwärts,<br />
die scharfkantige Seite ist<br />
flußaufwärts gerichtet. Die<br />
Seiten des Rhomboids bestehen<br />
aus 15 bis 25 mm<br />
dickem Flachstahl. Der Bogen<br />
wird im Inneren genau<br />
wie der Brückenträger<br />
durch Stahlbleche ausgesteift.<br />
Sie sind im Abstand<br />
von 60 cm angeordnet <strong>und</strong><br />
laufen über die gesamte<br />
Länge durch. Die Ringspanten<br />
aus T-Trägern 152<br />
x 229 mm wurden deshalb<br />
ausgenommen.<br />
Die Seile haben einen<br />
Durchmesser von 48 mm<br />
<strong>und</strong> werden über gabelförmige<br />
Gußteile am oberen<br />
Bogen gehalten, die durch<br />
Bolzen mit halbkreisförmigen<br />
<strong>und</strong> verschweißten<br />
Blechen verb<strong>und</strong>en sind.<br />
Jedes Blech kann so die<br />
verschiedenen Winkel der<br />
Seile aufnehmen. Die Seile<br />
wurden vorgespannt, um<br />
Druckkräfte auszuschließen.<br />
Durch Rohre wurden<br />
sie in das Kastenprofil eingefädelt.<br />
In ihrem Inneren<br />
sind sowohl die Rohre als<br />
auch die Halbkugeln mit<br />
den Rippensteifen durch<br />
radial angeordnete Steifen<br />
verb<strong>und</strong>en. Das wechselseitig<br />
abhängige Verhältnis<br />
von Bogen <strong>und</strong> Träger wird<br />
in der Straffheit der Seile<br />
deutlich, besonders dann,
wenn sich die Brücke öffnet<br />
oder schließt. Der Tragbogen<br />
ist direkt auf einer<br />
Stahltrommel mit 3,11 m<br />
Durchmesser gelagert <strong>und</strong><br />
mit dem Brückenträger an<br />
beiden Ufern über ein kastenförmiges<br />
Widerlager<br />
verb<strong>und</strong>en, das die Torsionsmomente<br />
aufnimmt.<br />
Durch die Trommel verläuft<br />
ein Edelstahlbolzen. Ein<br />
Gußstahlelement, das an<br />
den auf den Gründungspfählen<br />
liegenden Senkkasten<br />
aus Ortbeton geschraubt<br />
ist, hält den Bolzen.<br />
Die Senkkästen nehmen<br />
neben den Normalkräften<br />
die Schubkräfte der<br />
Bögen auf. Durch das Kippmoment<br />
der Konstruktion<br />
liegt der Schwerpunkt nicht<br />
zentrisch über dem Auflager.<br />
Ein 33 m langer F<strong>und</strong>amentausleger<br />
bildet ein<br />
Gegengewicht.<br />
Von der Trommel führt eine<br />
Stahlschaufel zu drei hydraulisch<br />
betriebenen Kolben.<br />
Um die Brücke zu öffnen,<br />
drehen sie die gesamte<br />
Konstruktion um die horizontale<br />
Achse. Im geöffneten<br />
Zustand, wenn die<br />
Seile horizontal liegen, ist<br />
durch den stumpfen Winkel<br />
zwischen den Bögen gewährleistet,<br />
dass die Seile<br />
durch die ausreichend großen<br />
abwärts gerichteten<br />
Kräfte straff gespannt bleiben.<br />
Die Durchfahrtshöhe<br />
beträgt dann 25 m.<br />
Für die Konstruktion wurden<br />
schlanke, geschlossene<br />
Profile gewählt, um den<br />
Kontext der historischen<br />
Brücken aufzunehmen. Die<br />
konstruktive Ausbildung mit<br />
minimalem materiellen Aufwand<br />
<strong>und</strong> hohem technischen<br />
Einsatz zur Herstellung<br />
der gekrümmten<br />
Stahlteile setzte eine enge<br />
Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten<br />
inklusive der<br />
Unternehmer vom Konzept,<br />
über die Detailplanung<br />
bis hin zur Ausführung<br />
voraus. Zwei Universitäten<br />
erstellten technische<br />
Fachgutachten.<br />
Um einerseits den Flußverkehr<br />
nicht über einen längeren<br />
Zeitraum zu beein-<br />
Newcastle<br />
Gateshead Millennium Bridge<br />
trächtigen <strong>und</strong> um andererseits<br />
die Baustellensicherheit<br />
zu gewährleisten, war<br />
eine Montage von vorgefertigten<br />
Einzelteilen auf dem<br />
Fluß nicht möglich. Man<br />
entschied sich deshalb, die<br />
vorgefertigten Stahlteile mit<br />
der Eisenbahn zu einem<br />
Montagehof in der Nähe<br />
von Newcastle zu bringen,<br />
wo sie in provisorischen<br />
Hallen zunächst gereinigt<br />
<strong>und</strong> gestrichen wurden. Die<br />
neun Bogensegmente wurden<br />
dann liegend zusammengefügt,<br />
die Querschnitte<br />
des Brückenträgers<br />
ebenfalls in paßgenauen<br />
Vorrichtungen aneinandergeschweißt.<br />
Die Seile wurden<br />
zuerst am Bogen, dann<br />
am Brückenträger befestigt,<br />
der durch Anheben eigengewichtslos<br />
wurde. In<br />
diesem Zustand wurden die<br />
Seile angezogen <strong>und</strong> erhielten<br />
ihre Spannung<br />
nachdem der Brückenträger<br />
losgelassen wurde.<br />
Diese Konstruktion wurde<br />
dann von einem der größten<br />
ausschwenkbaren<br />
Schwimmkräne der Welt,<br />
dem Asian Hercules II, aufgehoben<br />
<strong>und</strong> über eine<br />
Strecke von 10 km zu ihrem<br />
späteren Standort gebracht.<br />
Transport <strong>und</strong> Aufstellung<br />
dauerten einen Tag<br />
<strong>und</strong> wurden von einer großen<br />
Zuschauermenge verfolgt.<br />
Unterwegs mußte die<br />
Brücke an engen Flußbiegungen<br />
manchmal in der<br />
Luft um 90 Grad gedreht<br />
werden. Trotz einer Toleranz<br />
von nur 3 mm konnte<br />
die Brückenkonstruktion<br />
problemlos eingebaut werden.<br />
5
Newcastle<br />
Gateshead Millennium Bridge<br />
6<br />
Aufsicht<br />
Seitenansicht<br />
Ansicht<br />
Schnitt
High Level Bridge<br />
Standort: Newcastle upon Tyne /Gateshead<br />
Baujahr: 1846 - 1849<br />
Bauherr: Newcastle Berwick Railway Company<br />
Ingenieur: Robert Stephenson<br />
Literatur: R.W. Rennison: The High Level Bridge,<br />
Newcastle: its evolution,<br />
design and construction, London 1996<br />
newcastle-arts-centre.co.uk<br />
davekane.tripod.com/railindex.html<br />
freepages.genealogy.rootsweb.com<br />
Die Rocket-Lokomotive<br />
von Stephenson & Co. aus<br />
Newcastle revolutionierte<br />
um 1830 den Eisenbahnverkehr.<br />
Zuerst wurde sie<br />
auf dem Liverpool-Manchester-Railway<br />
eingesetzt,<br />
weitere Verbindungen sollten<br />
schnell folgen. Nicht<br />
ganz zwanzig Jahre später<br />
war die ‚Flying Scotsman’-<br />
Linie zwischen London <strong>und</strong><br />
Edinburgh nahezu vollendet<br />
<strong>und</strong> Newcastle damit<br />
erstmalig direkt an London<br />
angeb<strong>und</strong>en. Für Newcastle<br />
bedeutete die Eisenbahn<br />
einen enormen wirtschaftlichen<br />
Aufschwung. Die<br />
Stadt entwickelte sich zum<br />
Zentrum des Lokomotivenbaus,<br />
produzierte Stahl für<br />
Industrie <strong>und</strong> Rüstung.<br />
Man befürchtete jedoch,<br />
die neue östliche Bahnlinie<br />
würde schnell hinter der<br />
westlichen zurückfallen,<br />
falls es nicht gelänge, eine<br />
unterbrechungslose Reise<br />
bis nach Edinburgh zu ermöglichen;<br />
denn alle Passagiere<br />
mußten bisher in<br />
Gateshead umsteigen.<br />
In Newcastle konkurrierten<br />
die Eisenbahngesellschaften<br />
Newcastle Berwick <strong>und</strong><br />
Northumberland Line um<br />
den Streckenausbau. Northumberland<br />
Line plante<br />
eine Low Level Brigde über<br />
Newcastle<br />
High Level Bridge<br />
den Tyne mit einem unterirdischenStreckenabschnitt.<br />
Newcastle Berwick<br />
<strong>und</strong> vor allem ihr Ingenieur<br />
Robert Stephenson, der<br />
Sohn des Konstrukteurs<br />
der Rocket, schlugen dagegen<br />
eine High Level Bridge<br />
über den Tyne vor, die<br />
gleichzeitig für Kutschen<br />
<strong>und</strong> Fußgänger nutzbar<br />
sein sollte. Newcastle sollte<br />
einen zentralen Bahnhof<br />
auch für die bereits bestehenden<br />
Linien bekommen.<br />
Obwohl der Vorschlag von<br />
Newcastle Berwick im Gegensatz<br />
zum atmospheric<br />
rail system 1 der Northumberland-Linie<br />
eine konventionelle<br />
Bahnlinie darstellte<br />
<strong>und</strong> überdies noch teurer<br />
war, wurde er ausgewählt;<br />
ausschlaggebend<br />
waren wohl die mögliche<br />
Einbindung von mehr<br />
Zweiglinien <strong>und</strong> die geringere<br />
Anzahl der Steigungen,<br />
von denen man sich<br />
geringere Verspätungen<br />
erhoffte. Nach der Eröffnung<br />
der High Level Bridge<br />
wurde die ebenfalls errichtete<br />
Low Level Bridge<br />
wieder abgerissen; die Northumberland<br />
Line hatte<br />
trotzdem mit dem Bau ihrer<br />
Konstruktion begonnen.<br />
An der gleichen Stelle ab<br />
1868 die Swing Bridge zu<br />
errichten.<br />
7
Newcastle<br />
High Level Bridge<br />
8<br />
Stephensons High Level<br />
Bridge ist eine Bogenbrükke.<br />
Sie war die erste doppelstöckige<br />
Eisenbahn-/<br />
Straßenbrücke der Welt.<br />
Sie gilt auch als erste Brükke,<br />
in der die Prinzipien einer<br />
Hängebrücke mit den<br />
gängigen Prinzipien eines<br />
Viadukts in einem System<br />
verb<strong>und</strong>en wurden.<br />
Die High Level Bridge besteht<br />
aus sechs Bögen; jeder<br />
Bogen setzt sich dabei<br />
aus zwei gusseisernen Bogenpaaren<br />
zusammen.<br />
Das obere Eisenbahndeck<br />
schließt im Bogenscheitel<br />
an <strong>und</strong> wird von Säulen auf<br />
den Bögen unterstützt,<br />
während das untere Straßendeck<br />
mit zwei Fußwegen<br />
nach unten von den<br />
Bögen abgehängt ist. Auf<br />
diesem Fußgängerdeck<br />
fuhren ebenfalls Straßenbahnen<br />
zwischen Newcastle<br />
<strong>und</strong> Gateshead.<br />
Die Brücke setzt sich aus<br />
einer Kette von Einfeldsystemen<br />
zusammen, die jeweils<br />
aus Bögen mit Zugbändern<br />
bestehen, welche<br />
den Horizontalschub der<br />
Bögen aufnehmen. Diese<br />
schmiedeeisernen Zugbänder<br />
liegen unterhalb der<br />
Fahrbahnebene. Im Abstand<br />
von 3 m stehen gußeiserne<br />
Stützen, durch die<br />
schmiedeeiserne Bolzen<br />
geführt sind, die die Stütze<br />
fixieren. Die Stützen können<br />
auf diese Weise die<br />
Zugkräfte der abgehängten<br />
Fahrbahn übertragen.<br />
Die Längssteifigkeit der<br />
Konstruktion wird allein<br />
durch das Koppeln der<br />
Doppelbögen erreicht, da<br />
keine Diagonalen zwischen<br />
den Stützen vorhanden<br />
sind. Wie bei vielen frühen<br />
englischen Ingenieurkonstruktionen<br />
erfolgt auch<br />
hier die Aussteifung allein<br />
durch Materialfestigkeit.<br />
Die Brücke ist 1390 ft, also<br />
419 m lang, mit sechs Feldern<br />
von je 38 m Weite.<br />
Die Höhe über der Wasseroberfläche<br />
beträgt 36 m.<br />
1 Vgl. Text über Isambard<br />
Brunel
Tyne Bridge<br />
Standort: Newcastle upon Tyne / Gateshead<br />
Baujahr: 1928<br />
Bauherr: Stadt Newcastle<br />
Ingenieur: Georges Camille Imbault<br />
Tragwerk: Mott, Hay and Anderson, London<br />
Literatur: Mott, Hay and Anderson, London<br />
structurae.de<br />
cumbrian-industrials.co.uk<br />
on-tyne.north-east.co.uk<br />
amber-online.com<br />
Bereits Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
hatten die Stadtväter<br />
von Newcastle den<br />
Bedarf nach einer neuen<br />
Brücke über den Tyne festgestellt,<br />
um dem wachsendenStraßenverkehrsaufkommen<br />
zu begegnen. Es<br />
dauerte aber noch bis<br />
1924, bis das Projekt in<br />
Angriff genommen <strong>und</strong> erste<br />
Pläne ausgearbeitet<br />
wurden. Eine alte Mühle,<br />
eine Schmiede, eine Zimmerei,<br />
eine Gemüsefabrik,<br />
diverse Hafenkneipen <strong>und</strong><br />
eine Bank mußten abgerissen<br />
werden, um Platz für<br />
die neue Brücke zu schaffen.<br />
Inzwischen hatte Newcastle<br />
eine hohe Arbeitslosenrate,<br />
<strong>und</strong> das Brückenprojekt<br />
konnte bei diesem<br />
Problem Abhilfe schaffen.<br />
Newcastle<br />
Tyne Bridge<br />
Die Tyne-Bridge ist eine<br />
zweigelenkige Einbogenbrücke<br />
für den Straßenverkehr.<br />
Ihre Spannweite beträgt<br />
531 ft, also ca. 162m,<br />
die Fahrbahn liegt 84 ft,<br />
also ca. 26 m, über der<br />
Wasseroberfläche. Sie<br />
wurde von George Camille<br />
Imbault entworfen; das<br />
Tragwerk stammt von den<br />
Londoner Ingenieuren<br />
Matt, Hay <strong>und</strong> Anderson.<br />
Es ist eine kleinere Ausführung<br />
ihres Entwurfs für die<br />
Harbour Bridge in Sydney.<br />
Dorman Long and Co., Ltd,<br />
ebenfalls ausführende Firma<br />
in Sydney, begannen<br />
1925 mit der Arbeit <strong>und</strong><br />
stellten die Konstruktion innerhalb<br />
von drei Jahren fertig.<br />
Weil die Tyne Bridge<br />
<strong>und</strong> die Harbour Bridge in<br />
Sydney sich in ihrer Form<br />
so ähnlich sind, glauben<br />
viele Leute, die Harbour<br />
Bridge sei eine Kopie der<br />
Tyne-Bridge. Tatsächlich<br />
wurde die Brücke von Sydney<br />
aber vor der Tyne-Bridge<br />
begonnen, <strong>und</strong> lediglich<br />
wegen ihrer Größe erst drei<br />
Jahre später fertiggestellt.<br />
Die Tyne Bridge wurde mit<br />
Techniken aus dem Schiffbau<br />
errichtet. Der Bogen ist<br />
9
Newcastle<br />
Tyne Bridge<br />
10<br />
als Fachwerk ausgeführt.<br />
Die Brückentürme wurden<br />
aus Granit aus Cornwall errichtet<br />
<strong>und</strong> sollten in ihrem<br />
Inneren als fünfstöckige<br />
Lagerhäuser ausgebaut<br />
werden, die allerdings nie<br />
fertiggestellt wurden.<br />
Bereits im Bau war sie ein<br />
Prestigeobjekt Englands:<br />
Als die beiden separat an<br />
den Ufern begonnenen<br />
Seiten des Bogens im Februar<br />
1928 schließlich in<br />
der Mitte aufeinander trafen<br />
<strong>und</strong> die letzten Verbindungstücke<br />
eingesetzt wurden,<br />
wurden Flaggen gehisst<br />
<strong>und</strong> Leuchtkugeln abgefeuert.<br />
König Georg V.<br />
<strong>und</strong> Queen Mary eröffneten<br />
die Brücke im Oktober<br />
1928; die Rede des Königs<br />
wurde erstmalig auf Tonträger<br />
aufgenommen <strong>und</strong><br />
über Radio gesendet. Die<br />
Kinder bekamen Schulferien<br />
<strong>und</strong> erhielten als Geschenk<br />
ein Gedenkheft.<br />
Während der folgenden<br />
Tage erlebten Newcastle<br />
<strong>und</strong> Gateshead dann die<br />
größten Verkehrsstaus ihrer<br />
Geschichte, weil alle<br />
Autofahrer sich weigerten<br />
auf die High Level oder<br />
Swing Bridge auszuweichen<br />
<strong>und</strong> ausschließlich<br />
die neue Brücke benutzen<br />
wollten. Sie war zu diesem<br />
Zeitpunkt (bis zur Eröffnung<br />
der Harbour Bridge in Sydney<br />
1932!) die größte Einbogen-Brücke<br />
der Welt <strong>und</strong><br />
Ausdruck der technischen<br />
Fähigkeiten <strong>und</strong> des industriellen<br />
Stolzes Englands.
The Sage<br />
Standort: Gateshead<br />
Baujahr: 1997 - 2004<br />
Bauherr: Stadt Gateshead<br />
Architekt: Norman Foster & Partners, London<br />
Ingenieur: Dach: Büro Happold, Bath<br />
Unterbau: Connell Mott MacDonald<br />
Literatur: fosterandpartners.com<br />
The Sage in Gateshead ist<br />
ein Music Centre <strong>und</strong> bildet<br />
das Zentrum des neuentstehenden<br />
Kulturbereichs<br />
am südlichen Tyne-Ufer.<br />
Sein muschelförmiges<br />
Dach nimmt die Bogenform<br />
der Millenium Bridge auf,<br />
die The Sage mit Newcastle<br />
verbindet. Es bietet<br />
Raum für drei Auditorien<br />
sowie die örtliche Musikschule<br />
<strong>und</strong> wird außerdem<br />
Sitz der Northern Sinfonia<br />
and Folkworks. Das größte<br />
Auditorium hat 1650 Plätze.<br />
The Sage soll öffentlich<br />
zugänglich sein <strong>und</strong> der<br />
Region ein kulturelles Profil<br />
besonders in der musikalischen<br />
Ausbildung verschaffen.<br />
Es füllt insofern<br />
eine Marktlücke, als das<br />
nächste vergleichbare Angebot<br />
über drei Autost<strong>und</strong>en<br />
entfernt liegt, <strong>und</strong> ergänzt<br />
die neueröffnete<br />
Kunstgalerie Baltic Centre<br />
for Contemporary Art in den<br />
Baltic Flour Mills. Norman<br />
Foster Architects formulieren<br />
ihre Vision für The Sage<br />
als „international home for<br />
music and musical discovery,<br />
with local roots, a worldwide<br />
reputation, a global<br />
programme and a fully<br />
inclusive welcome to all its<br />
users and to all musical styles<br />
and languages“ 1 .<br />
Das große Dach überspannt<br />
den Komplex, in<br />
dem jedes Auditorium als<br />
eigenständiger Bau (enclosure)<br />
aufgefaßt wird. Die<br />
Zwischenräume bilden einen<br />
öffentlichen Raum mit<br />
Cafés, Bars, Läden <strong>und</strong> einem<br />
Informationszentrum.<br />
Er dient als Foyer der Auditorien<br />
<strong>und</strong> der Musikschule<br />
darunter <strong>und</strong> ist gleichzeitig<br />
Aussichtsplattform<br />
über den Fluß. In den Bars<br />
soll ein ständiger Austausch<br />
zwischen Musikern<br />
<strong>und</strong> Künstlern mit den<br />
Schülern <strong>und</strong> Zuhörern<br />
stattfinden.<br />
Das Dach besteht aus vier<br />
Hauptbögen, die das Gebäude<br />
in drei Hallen gliedern.<br />
Die Bögen überspannen<br />
ca. 80 m zwischen der<br />
vorderen Außenwand (esplanade)<br />
<strong>und</strong> den Stützpfeilern<br />
auf der Rückseite der<br />
Anlage. Ihre spiralförmigen<br />
Profile setzen sich aus Balkensegmenten<br />
mit zunehmend<br />
wachsenden Radien<br />
zusammen. Zwischen diesen<br />
Hauptbögen spannen<br />
Sek<strong>und</strong>ärbögen, deren<br />
Profile ebenfalls über ihre<br />
Länge den Radius ändern.<br />
Durch radiale Überlagerung<br />
dieser Sek<strong>und</strong>ärbögen<br />
über die Hauptbögen<br />
entsteht eine komplexe<br />
dreidimensionale Form.<br />
Die Ost- <strong>und</strong> Westfassade<br />
sind in das Dach integriert<br />
<strong>und</strong> vollverglast, ebenso<br />
wie große Öffnungen, die<br />
über den Fluß nach New-<br />
Newcastle<br />
The Sage<br />
11
Newcastle<br />
The Sage<br />
12<br />
castle gerichtet sind. Das<br />
übrige Dach hat einen Regenschild<br />
aus ineinander<br />
greifenden Panelen aus<br />
rostfreiem Stahl mit einer<br />
darunter liegenden wetterfesten<br />
Dichtbahn. Diese<br />
Dachform wurde in einem<br />
parametrischen Modellierungsprozess<br />
entwickelt.<br />
Durch einen gewissen<br />
Standardisierungsgrad der<br />
Komponenten wie auch der<br />
Fassadenelemente konnte<br />
ihre Herstellung erheblich<br />
erleichtert werden. Die<br />
Hierarchie der Primär- <strong>und</strong><br />
Sek<strong>und</strong>ärelemente erleichtert<br />
die Montage, indem die<br />
Sektionen der untergeordneten<br />
Bögen ohne weitere<br />
Hilkskonstruktionen in ihre<br />
Position auf den Hauptbö-<br />
gen gehoben werden können.<br />
Entwurf <strong>und</strong> Planung des<br />
Sage haben zehn Jahre<br />
gedauert; sowohl Musiker<br />
als auch Konzertbesucher<br />
wurden intensiv am Entwurf<br />
beteiligt. Die Eröffnung ist<br />
für Winter 2004/05 geplant.<br />
1 Zitiert nach:<br />
www.fosterandpartners.com
Edinburgh - Glasgow<br />
Edinburgh versus Glasgow<br />
Aus: Heinz Ohff: Gebrauchsanweisung für <strong>Schottland</strong>,<br />
München (1992) 2002<br />
Das Beste an Glasgow sei<br />
der Zug nach Edinburgh,<br />
behauptet man in<br />
Edinburgh.<br />
Das Beste an Edinburgh<br />
sei der Zug nach Glagow,<br />
sagt man in Glasgow.<br />
Schon wieder zwei Schotten,<br />
die sich nicht mögen.<br />
Dabei fahren Züge genug<br />
zwischen ihnen hin <strong>und</strong> her,<br />
mindestens einer die St<strong>und</strong>e,<br />
Busse halb-bis viertelstündig.<br />
<strong>Schottland</strong>s<br />
Hauptstädte liegen nahe<br />
beieinander <strong>und</strong> sind demgemäß<br />
eng verflochten,<br />
nicht zuletzt durch ihre traditionelle<br />
Rivalität.<br />
Den Leuten aus Glasgow<br />
(sie nennen sich<br />
Glaswegians) ist Edinburgh<br />
eine Angeberstadt: west<br />
endy, east windy – all fur<br />
coat and nae drawers<br />
(westendig, ostwindig –<br />
ganz <strong>und</strong> gar Pelzmantel,<br />
aber nichts drunter).<br />
Den Leuten von Edinburgh<br />
(was man vornehm näselnd<br />
aussprechen muß<br />
wie Edd’nborrouh) gilt Glasgow<br />
als Heimstatt der Witz<strong>und</strong><br />
Raufbolde, aus der das<br />
britische Variete <strong>und</strong> das<br />
britische Fernsehen ihre<br />
Komiker, die Zeitungen ihre<br />
Schlagzeilen über Vandalismus<br />
<strong>und</strong> Drogenhandel<br />
beziehen.<br />
Tatsächlich stellen sich beide<br />
Städte denkbar unterschiedlich<br />
dar; man kann<br />
sich keine größeren Gegensätze<br />
vorstellen.<br />
George Rosie hat<br />
Edinburgh „eine staatenlose<br />
Hauptstadt“ genannt.<br />
Dies weil die City für viele<br />
nach wie vor einen schwarzen<br />
Fleck besitzt, an dessen<br />
Stelle eigentlich ein<br />
völlig autarkes Parlament<br />
sein sollte. Man fühlt sich<br />
immer noch ein bißchen<br />
wie eine Pseudometropolis<br />
eines Beinahelandes. Aber<br />
was von den Engländern<br />
einige Jahrh<strong>und</strong>erte hindurch<br />
als Provinz eingestuft<br />
wurde, <strong>und</strong> von den Schotten<br />
– mit Ausnahme der<br />
Glaswegians – als Hauptstadt<br />
eines unabhängigen<br />
Staates, ist heute tatsäch-<br />
lich eine Hauptstadt mitsamt<br />
einem Parlament.<br />
Man könnte sich auf die<br />
Schulter klopfen, auch<br />
wenn es dem Erzrivalen<br />
Glasgow nicht so ganz<br />
paßt, wie es gekommen ist.<br />
Glasgow, die „postindustrielle<br />
Stadt“, wie Journalist<br />
Julian Exner sie einmal<br />
genannt ha, übertreibt<br />
ebenfalls, allerdings zur<br />
anderen, zur proletarischen<br />
Seite hin. Sie gibt sich laut,<br />
burschikos, hemdsärmelig<br />
<strong>und</strong> versoffen. Man hat mitunter<br />
das Gefühl, mit diesem<br />
betonten Gehabe wolle<br />
sie sich ganz bewußt von<br />
den feinen Pinkeln der Ostküste<br />
absetzen.<br />
Beide Städte haben etwas<br />
verloren, was sie bitter vermissen,<br />
weil es zu ihrer ursprünglichen<br />
Identität gehört:<br />
Edinburgh die<br />
Schottenrebellion, Glasgow<br />
die Schwerindustrie.<br />
Da der Verlust mit einer<br />
empfindlichen Erwerbseinbuße<br />
verb<strong>und</strong>en war, mußte<br />
jede Stadt auf ihre Weise<br />
versuchen, neue Verdienstmöglichkeiten<br />
zu finden.<br />
Was ihnen , wie es<br />
scheint, ganz gut gelungen<br />
ist, wenn auch auf wiederum<br />
gr<strong>und</strong>verschiedene Art.<br />
Edinburgh hat sich auf sein<br />
Image besonnen <strong>und</strong> es<br />
ausgebaut. Glagow hat das<br />
seine im Verlauf eines Jahrzehnts<br />
verändert.<br />
Dabei mußte sich<br />
Edinburgh nicht weiter anstrengen,<br />
gehört es doch<br />
zu den schönsten Städten<br />
Europas. Der städtebauliche<br />
Kern erwies sich als<br />
geradezu ideal. Kommerz<br />
<strong>und</strong> Banken, Verwaltung<br />
<strong>und</strong> Kirche waren hier überdies<br />
seit jeher ansässig:<br />
Wenn es in <strong>Schottland</strong> jemals<br />
ein Zentrum gegeben<br />
hat, dann lag es in<br />
Edinburgh, <strong>und</strong> zwar dort,<br />
wo man von der High Kirk<br />
ST. Giles auf der Royal Mile<br />
ein Herz eingepflastert hat,<br />
das Herz der Lothian Region,<br />
wie sich Edinburghs<br />
Verwaltungsbezirk nennt.<br />
Es wird jedoch allgemein<br />
13
Edinburgh - Glasgow<br />
14<br />
als Herz <strong>Schottland</strong>s aufgefaßt.<br />
Zusätzlich geschaffen wurde,<br />
was einheimische Journalisten<br />
The Heritage<br />
Industry genannt haben,<br />
eine gewinnträchtige Abart<br />
totaler Nostalgie, die komplette<br />
Vermarktung des historischen<br />
Erbes der Stadt.<br />
Den bekannten Sehenswürdigkeiten<br />
wie Burg,<br />
Holyrood House, Royal<br />
Mile <strong>und</strong> Princes Street<br />
stellte man neue Attraktionen<br />
an die Seite: eine Art<br />
Superfolklore mit Andenkenläden,<br />
Multimedia-<br />
Shows (so die „Edinburgh<br />
Story“ in der aufgelassenen<br />
Tollbooth Kirche), mit Whisky-,<br />
Haggis-, Heritage- <strong>und</strong><br />
sonstigen Zentren, indes<br />
man die allergrößte <strong>und</strong><br />
allerschottischste Show,<br />
das Edinburgh Military Tattoo<br />
auf der Esplanade vor<br />
der Burg, mit Tartan, Dudelsack<br />
<strong>und</strong> Feuerwerk immer<br />
prächtiger gestaltete, was<br />
denn auch zahlungskräftige<br />
Touristen aus aller Welt<br />
in steigender Zahl anlockt.<br />
Wenn einer gar nichts mehr<br />
besitzt, eines bleibt ihm<br />
doch: seine Vergangenheit.<br />
Aus ihr zieht Edinburgh,<br />
nicht ungeschickt, klingende<br />
Münze, wobei sich Chi<br />
Chi <strong>und</strong> echte Tradition,<br />
Bluff <strong>und</strong> Folklore unauflöslich<br />
miteinander vermischen<br />
– moderne Zeiten!<br />
Den Glaswegians mit ihrem<br />
Proletenkult fiel es nicht<br />
ganz so leicht, ein Disneyland<br />
in Kilts zu erstellen.<br />
Sie mußten, wie gesagt,<br />
einen völligen Imagewechsel<br />
vollziehen. Die gigantische<br />
<strong>und</strong> in Details<br />
geniale Werbekampagne<br />
begann 1983, <strong>und</strong> ihr raffinierter,<br />
auf Edinburgh anspielender<br />
Slogan wurde<br />
über Nacht sprichwörtlich:<br />
Glasgow’s miles better –<br />
Glasgow ist Meilen besser<br />
-, was man aber auch Glasgow<br />
smiles better lesen<br />
kann – Glasgow lächelt<br />
besser.<br />
Lächeln tut es tatsächlich.<br />
Bew<strong>und</strong>ernswert, wie man<br />
seitdem die Stadt aufpoliert<br />
hat. Die Fabrikviertel wurden<br />
einer unvergleichbaren<br />
Putzorgie unterworfen, die<br />
immer noch anhält <strong>und</strong> einen<br />
in Glasgow auf Schritt<br />
<strong>und</strong> Tritt in Atem hält. Fast<br />
alle gründerzeitlichen<br />
Prachtfasaden – fast 3000<br />
Gebäude stehen unter<br />
Denkmalschutz – hat man<br />
gereinigt, so daß sie jetzt<br />
wieder in ihrer roten<br />
Sandsteinfarbe blinken.<br />
Die Slums konnten so gut<br />
wie beseitigt werden, r<strong>und</strong><br />
sechs Millionen Pf<strong>und</strong><br />
steckte man in die Aufgabe,<br />
eine neue Infrastruktur<br />
zu schaffen, das Zauberwort<br />
der Neuzeit. Das<br />
heißt: Man hat neue Siedlungen<br />
gebaut <strong>und</strong> alte<br />
Gebäude nostalgisch restauriert,<br />
womit neue Unternehmen<br />
in die stillgelegten<br />
Werften <strong>und</strong> Maschinenfabriken<br />
gelockt werden sollten<br />
<strong>und</strong> gelockt werden<br />
konnten. Da die Löhne am<br />
Clyde niedriger sind als an<br />
der Themse, haben viele<br />
Londoner Unternehmen inzwischen<br />
Niederlassungen<br />
<strong>und</strong> Zweigstellen in Glasgow<br />
eingerichtet;<br />
Computerhersteller, Textil<strong>und</strong>Dienstleistungsbetriebe,<br />
sogar Firmen der Haute-Couture<br />
haben sich angesiedelt.<br />
Glasgow hat sich<br />
zu einer Stadt gemausert,<br />
in die von privater Seite<br />
mehr Geld investiert wird<br />
als in jede andere auf den<br />
Britischen Inseln. Vom h<strong>und</strong>ertjährigenIndustrieschmutz<br />
befreit, erstrahlt<br />
sie unverhofft in neuem<br />
Glanz. Die Einwohner sprechen<br />
schon, wenn auch<br />
meist mit verschämtem Lächeln,<br />
doch sichtlich stolz,<br />
von ihrer Culture City.<br />
Der gößte Erfolg der Aktion<br />
war aber, daß die Stadt<br />
für das Jahr 1990 zur europäischen<br />
Kulturhauptstadt<br />
erklärt wurde. Damals war<br />
das Erstaunen groß.<br />
„Daran hätte kaum jemand<br />
gedacht, ehe die einst reiche,<br />
aber dann arg heruntergekommeneIndustrie<strong>und</strong><br />
Handelsstadt den Kultusminister<br />
in London bewog,<br />
ihre Kandidatur seinen<br />
europäischen Kollegen<br />
vorzuschlagen, als eine britische<br />
Stadt an der Reihe<br />
war“, so Julian Exner alias<br />
Peter Fischer. Er fügt hinzu:<br />
„ Aber einem Minister<br />
der kulturknauserigen Regierung<br />
Thatcher schien<br />
das wohl auch ein willkom-
mener Ausweg aus der Verlegenheit,<br />
da Glasgow bereit<br />
<strong>und</strong> begierig war, das<br />
nötige Geld aufzubringen“.<br />
Die Londoner Staatskasse<br />
hat sich tatsächlich nur mit<br />
einer halben Million Pf<strong>und</strong><br />
Sterling daran beteiligt. Den<br />
Rest, r<strong>und</strong>e 50 Millionen<br />
(umgerechnet 75 Millionen<br />
Euro), brachte Glasgow<br />
selbst auf.<br />
Die Stadtväter waren gut<br />
beraten. Es kamen neun<br />
Millionen Gäste, vier Millionen<br />
von Übersee, die umgerechnet<br />
125 Millionen<br />
Euro ausgaben; was aber<br />
noch wichtiger ist: Die einst<br />
schmutzige Industriestadt<br />
am Clyde wurde in die Liste<br />
jener Orte aufgenommen<br />
, die man gesehen<br />
haben muß. Der Fremdenverkehr<br />
ist seitdem ein neuer<br />
Industrie- <strong>und</strong> Erwerbszweig<br />
der gebeutelten Stadt<br />
geworden.<br />
Aus dem blanken Boden<br />
stampfen läßt sich so etwas<br />
nicht. Glasgow besaß <strong>und</strong><br />
besitzt noch aus den Tagen,<br />
da Handel <strong>und</strong> Schiffbau<br />
florierten, einen soliden<br />
kulturellen Gr<strong>und</strong>stock,<br />
eine Vielfalt von Museen<br />
<strong>und</strong> Sammlungen sowie<br />
die berühmte, von Charles<br />
Rennie Mackintosh entworfene<br />
School of Art.<br />
Kunstfre<strong>und</strong>e sind in den<br />
letzten Jahrzehnten ohnehin<br />
meist seinetwegen<br />
nach Glasgow gepilgert. Zu<br />
Lebzeiten hat man ihn<br />
verlacht, wie alle Leute, die<br />
ihrer Epoche voraus sind.<br />
Heute wird er, fast ein<br />
Schutzheiliger der Kulturstadt,<br />
viel bew<strong>und</strong>ert,<br />
selbst von seinen Landsleuten.<br />
Erst nach Kriegsende<br />
so richtig wiederentdeckt,<br />
gilt er als Vorläufer<br />
des Jugendstils (Anm.<br />
der Redaktion: Diese Einschätzung<br />
des Autors von<br />
Mackintosh als „Vorläufer“<br />
trifft nicht zu; vgl. Text über<br />
Mackintosh.). Er hat aber<br />
auch schon Ideen des Bauhauses<br />
vorweggenommen,<br />
ein Pionier der Moderne –<br />
in seinen Häusern, mehr<br />
noch in seinen Inneneinrichtungen,<br />
möchte man<br />
immer noch wohnen. Ein<br />
strenges, aber nicht<br />
schmuckloses, klares, aber<br />
nicht ungemütliches De-<br />
Edinburgh - Glasgow<br />
sign liegt seinen Möbelentwürfen<br />
zugr<strong>und</strong>e. Fast<br />
alles, was von ihm erhalten<br />
blieb, befindet sich in Glasgow.<br />
Man kann nur dort<br />
nach Herzenslust in<br />
Mackintosh schwelgen.<br />
Verehrer des Architekten<br />
<strong>und</strong> Designers wissen, wo<br />
sie hingehen müssen: seine<br />
Teestube The Willow<br />
Room von 1905, in Glasgow<br />
mondänster Straße,<br />
der Sauchiehall (sprich:<br />
Sockihorl) Street, wo man<br />
automatisch zu einem Teil<br />
des aparten Interieurs wird,<br />
sobald man dort eintritt;<br />
dann zur äußerlich so<br />
wuchtig-trutzigen, innen so<br />
zartgliedrigen School of Art<br />
sowie in die Hunterian<br />
Gallery, in die man das gesamte<br />
Haus des Künstlers<br />
nebst Inneneinrichtung integriert<br />
hat. Eine Nachbildung<br />
des „Hauses für einen<br />
Kunstliebhaber“, das er<br />
einst für einen deutschen<br />
Wettbewerb entwarf, erreicht<br />
man dagegen am<br />
besten mit der U-Bahn, die<br />
im Ringverkehr die Stadt<br />
umkreist. Es gibt einen<br />
Mackintosh-Trail, den man<br />
verfolgen, Touren zu seinen<br />
sämtlichen Werken, die<br />
man buchen kann.<br />
Mackintosh ist in Glasgow<br />
allgegenwärtig, denn er<br />
wird eifrig kopiert, nicht immer<br />
mit Erfolg, wenn man<br />
die neugeschaffenen Einkaufszentren<br />
betrachtet.<br />
Weniger bekannt <strong>und</strong> so<br />
etwas wie ein Geheimtip<br />
geblieben ist allerdings<br />
sein einziger ausgeführter<br />
Sakralbau, der innen sorgfältig<br />
restauriert worden ist:<br />
die Queen’s Cross Church<br />
an der Kreuzung von<br />
Garscube Road <strong>und</strong><br />
Maryhill Road. Auch wenn<br />
eine von Fontane überlieferte<br />
touristische Weisheit<br />
empfiehlt: „Berge von unten,<br />
Kirchen von außen,<br />
Kneipen von innen“ – in diese<br />
Kirche möchte man zumindest<br />
Kunst <strong>und</strong><br />
Architekturfre<strong>und</strong>e schikken;<br />
sie werden es einem<br />
danken. In den letzten Jahren<br />
des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
erbaut, nimmt sie das ganze<br />
20.Jahrh<strong>und</strong>ert vorweg,<br />
eine Urzelle modernen Kirchenbaus.<br />
Die ausgewogene<br />
Innenarchitektur vermit-<br />
15
Edinburgh - Glasgow<br />
16<br />
telt ein völlig anderes<br />
Raumgefühl als gotische,<br />
barocke oder neoklassizistische<br />
Gotteshäuser; sie<br />
legt sich wie ein Mantel um<br />
Gläubige <strong>und</strong> Ungläubige.<br />
Das Schmuckstück ist übrigens<br />
zugleich Sitz der<br />
Mackintosh-Gesellschaft,<br />
die auffallend viele deutsche<br />
Mitglieder hat.<br />
Kultur heißt das beiden großen<br />
schottischen Städten<br />
gemeinsame Stich- <strong>und</strong><br />
Zauberwort. Sie sind gut<br />
damit gefahren, haben in<br />
dieser Hinsicht einiges zu<br />
bieten. Schon seit 1947<br />
veranstaltet Edinburgh alljährlich<br />
sein Kulturfestival,<br />
inzwischen das größte <strong>und</strong><br />
vielfältigste der Welt. Ursprünglich<br />
wollte man, kurz<br />
nach dem Krieg, für Salzburg<br />
in die Bresche springen-<br />
unvergessen ist die<br />
Wiedervereinigung des Orchesters<br />
der Wiener<br />
Staatsoper mit seinem großen<br />
Dirigenten Bruno Walter,<br />
die in Edinburgh stattfand;<br />
aber auch die drei<br />
Wochen ununterbrochenen<br />
Sonnenscheins, die dem<br />
ersten Festival zugute kamen.<br />
Drei Wochen Sonnenschein<br />
sind ungewöhnlich<br />
in Edinburgh <strong>und</strong> bleiben<br />
im Gedächtnis haften.<br />
Trotzdem beruht der weltweite<br />
Erfolg des Edinburgher<br />
Festivals darauf, daß<br />
man konsequent die alternative<br />
Kulturszene mit ihren<br />
volksfestartigen Freiluftveranstaltungen<br />
mit einbezog.<br />
Von Kanada bis<br />
Australien reißen sich junge<br />
Ensembles um eine Teilnahme.<br />
Die Ankündigung<br />
später im Heimatland:<br />
Straight from the Edinburgh<br />
Festival Fringe (direkt<br />
vom Alternativfestival in<br />
Edinburgh) gilt inzwischen<br />
als Gütezeichen besonderer<br />
Klasse.<br />
So ist das Fringe Festival<br />
längst in den Mittelpunkt<br />
der Aufmerksamkeit gerückt,<br />
eine Heerschau der<br />
Welt-Kunstavantgarde auf<br />
allen Gebieten. Alljährlich<br />
geben allein an die 500 junge<br />
Theater- oder<br />
Kaberetttruppen an die<br />
8500 Vorstellungen (während<br />
der „offizielle“ Teil es<br />
auf gerade 250 bringt). So<br />
manche Karriere – etwa die<br />
der britischen Nonsens-<br />
Gruppe Monthy Python –<br />
hat hier begonnen.<br />
Man sollte diese Leistung<br />
im Auge behalten, wenn<br />
man über den touristischen<br />
Rummel von The Heritage<br />
Industry die Nase rümpft:<br />
Es ist die Kehrseite der<br />
Medaille.<br />
Der Stadt selbst ist schon<br />
so mancher auf den ersten<br />
Blick verfallen. Sie bringt<br />
das seltene Kunststück fertig,<br />
zugleich stolz <strong>und</strong> anheimelnd<br />
zu wirken. Wurde<br />
Rom auf sieben Hügeln<br />
erbaut, so Edinburgh – wie<br />
übrigens auch Glasgow –<br />
auf mindestens siebzig.<br />
Alle überragt die Burg mit<br />
ihren festen Mauern aus<br />
diversen Jahrh<strong>und</strong>erten,<br />
die ältesten Teile sind an<br />
die 900 Jahre alt. Die Erinnerungen<br />
reichen noch<br />
weiter zurück – von hier<br />
haben schon in vorgeschichtlicher<br />
Zeit schottische<br />
Könige ihr Land regiert.<br />
Um ihren Palast, ihre<br />
große Halle, ihre Schatzkammern<br />
<strong>und</strong> Verliese<br />
rankt sich ein Großteil der<br />
blutigen <strong>und</strong> der unblutigen<br />
schottischen Geschichte.<br />
Das gilt auch für den<br />
Palace of Holyrood House<br />
am anderen Ende der Royal<br />
Mile, der königlichen<br />
Prachtstraße, die an der<br />
High Kirk der Church of<br />
Scotland, St. Giles, mit ihren<br />
kronenförmig gestalteten<br />
Turm vorbeiführt. In<br />
Holyrood residierte Maria<br />
Stuart, wurde ihr armer italienischer<br />
Sekretär Rizzio<br />
ermordet, hielt Bonnie<br />
Prince Charlie Hof, der, im<br />
Gegensatz zu Oliver Cromwell,<br />
Edinburgh Castle<br />
nicht erobern konnte, <strong>und</strong><br />
nun gibt die derzeitige Königin<br />
bei ihrem alljährlichen<br />
<strong>Schottland</strong>aufenthalten<br />
ihre Empfänge. Gelinde<br />
Melancholie bleibt spürbar<br />
– eine Hauptstadt ohne<br />
Land.<br />
Derartige Sentimentalitäten<br />
sind der anderen Prachtstraße,<br />
der Princes Street,<br />
fremd. Sie – <strong>und</strong> nicht die<br />
Royal Mile – wird von vielen<br />
sogar als die „Hauptstraße<br />
<strong>Schottland</strong>s“ empf<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> bezeichnet. Die<br />
Glaswegians haben versucht<br />
ihr Sauchiehall Street
entgegenzusetzten, aber –<br />
von Mackintoshs Gebäuden<br />
einmal abgesehen –<br />
bietet sie nichts anderes,<br />
als was Einkaufsstraßen<br />
<strong>und</strong> Fußgängerzonen überall<br />
bieten, nämlich Geschäfte.<br />
Die gibt es ebenfalls,<br />
prachtvolle (<strong>und</strong> teure)<br />
dazu, in der Princes Street,<br />
jedoch nur auf der einen<br />
Seite, der rechten, wenn<br />
man den kurios <strong>und</strong> etwas<br />
unordentlich mit Gedenktempeln<br />
bestückten Carlton<br />
Hill im Rücken hat. Zur Linken<br />
zieht sich ein tiefes,<br />
schluchtartiges Tal entlang,<br />
in dem auch die Eisenbahnstrecke<br />
verläuft. Das<br />
Tal, bestückt mit Häusern,<br />
Bäumen, dem Bahnhof <strong>und</strong><br />
– direkt über der Bahnlinie<br />
– der Nationalgalerie, war<br />
früher ein loch, ein See. Es<br />
trennt heute die historische<br />
Old Town von der New<br />
Town; letztere beginnt mit<br />
der Princes Street, <strong>und</strong> sie<br />
ist mittlerweile auch nicht<br />
mehr ganz neu, nämlich an<br />
die 200 Jahre alt. Geschaffen<br />
hat sie – wie auch die<br />
Princes Street – ein damals<br />
22jähriger Architekt, James<br />
Craig.<br />
Die New Town ist erneut<br />
etwas für Architekturliebhaber<br />
– eine gut erhaltene<br />
klassizistische Stadt<br />
aus den Zeiten der Aufklärung,<br />
als Edinburgh sich<br />
den Ruf eines „Athens des<br />
Nordens“ erwarb. Den Neoklassizismus,<br />
wie ihn in<br />
Preußen Karl Friedrich<br />
Schinkel <strong>und</strong> in Bayern Leo<br />
von Klenze pflegten, nennt<br />
man in Großbritannien<br />
„georgianisch“, nach den<br />
vier hannoverschen Königen,<br />
die in dieser Epoche<br />
regierten <strong>und</strong> alle Georg<br />
hießen. Die bekannteste<br />
georgianische Stadt ist<br />
Bath, eindrucksvoll genug<br />
in ihrer puristischen Gestalt.<br />
Hinsichtlich Ausdehnung<br />
<strong>und</strong> Vielfalt wird Bath<br />
jedoch von Edinburghs<br />
New Town weit übertroffen.<br />
Auld Reekie,so der Spitzname<br />
der Stadt seit alters,<br />
läßt sich mit keiner anderen<br />
Hauptstadt vergleichen,<br />
nicht einmal mit Paris, Rom<br />
oder London. Auld Reekie<br />
ließe sich ungefähr als „Alte<br />
Räucherliese“ übersetzen.<br />
Edinburgh - Glasgow<br />
Der Name stammt aus einer<br />
Zeit, da die Schotten,<br />
an Städte nicht gewöhnt,<br />
staunend vor der Rauchentwicklung<br />
so unglaublich<br />
vieler Häuser standen.<br />
Man sollte meinen, daß<br />
Glasgow dem wenig oder<br />
nichts entgegenzusetzen<br />
hätte. Weit gefehlt.<br />
Edinburgh ist schön, Glasgow<br />
ist interessant.<br />
Es fasziniert wiederum am<br />
ehesten denjenigen, der<br />
ein Gespür hat für Architektur,<br />
Städtebau, urbane<br />
Landschaft. Haben die reichen<br />
Viktorianer doch wahre<br />
Paläste, oft<br />
wolkenkratzerähnlich, an<br />
die quadratisch verlaufenden<br />
Straßen gesetzt, verziert<br />
mit phantastischen<br />
Säulen, Karyatiden, meterhohen<br />
gotischen Glasfenstern,<br />
Stuckfiguren, Erkern<br />
mit Pseudo-Renaissancestil,<br />
Kuppeln, Brüstungen<br />
wie am Palazzo Venezia<br />
<strong>und</strong> Balkons: Bürohäuser,<br />
Fabriken, Kaufhallen. Dazwischen<br />
die Lagerhäuser<br />
mit ihren unzähligen Hinterhöfen,<br />
gelegen an<br />
kopfsteingepflasterten<br />
höhlenartigen Gassen <strong>und</strong><br />
Gängen, zum Teil halbverfallen,<br />
eingerüstet, von<br />
Planken umzäunt, zum Teil<br />
wie aus einem Jungbrunnen<br />
auferstanden mit frisch<br />
vergoldeten Gußeisenpforten.<br />
Schon die rasterförmige<br />
Anlage der Straßen erinnert<br />
an Amerika, mehr noch die<br />
Architektur. Nicht London,<br />
nicht der europäische Kontinent<br />
gaben hier das Vorbild,<br />
sondern Städte wie<br />
Milwakee, Chicago, Boston,<br />
Phiadelphia. Selbst<br />
die Sraßennamen künden<br />
von den einstigen engen<br />
transatlantischen Handelsbeziehungen<br />
– Virginia<br />
Street, Jamaica Street,<br />
Kingston Bridge.<br />
„Edinburgh“, fand der<br />
Reiseschriftsteller H. V.<br />
Morton, „ist schottisch,<br />
Glasgow ist kosmopolitisch.“<br />
Eigentlich braucht man<br />
nichts anderes zu tun, als<br />
die City zwischen Georg<br />
Square – wo kein Georg,<br />
sondern Sir Walter Scott<br />
von einer riesigen Säule<br />
gelassen herabblickt – <strong>und</strong><br />
17
Edinburgh - Glasgow<br />
18<br />
Central Station sowie dem<br />
Fluß Clyde im Süden planlos<br />
zu durchstreifen. Auf<br />
Schritt <strong>und</strong> Tritt wird man<br />
vom architektonischen<br />
Durcheinander überrascht<br />
<strong>und</strong> kommt aus dem Staunen<br />
nicht heraus. Der hochherrschaftlichen<br />
Kulturstadt<br />
Edinburgh steht die proletarische<br />
Kulturstadt Glasgow<br />
gleichberechtigt gegenüber<br />
– oder entgegen.<br />
Entgegen steht Glasgow,<br />
merkwürdiges Phänomen,<br />
auch sich selbst. Wenn<br />
eine tiefe Kluft die<br />
Edinburgher in Altstädter<br />
<strong>und</strong> Neustädter teilt, so<br />
trennen die Glaswegians<br />
die beiden Fußballvereine<br />
der Stadt. Celtic-Fans (grüne<br />
Trikots) sind bis aufs<br />
Messer verfeindet mit den<br />
Anhängern der Rangers<br />
(blaue Trikots): eine Feindschaft,<br />
die bereits mehrere<br />
Generationen von Fußballfanatikern<br />
überdauert hat.<br />
Das heißt: Mit Sport hat sie<br />
eigentlich wenig oder nichts<br />
zu tun, eher schon mit<br />
Clan-zugehörigkeit. Wie<br />
definiert der Schottenwitz<br />
einen Atheisten? Das ist<br />
jemand, der zu einem Spiel<br />
Glasgow Rangers gegen<br />
Celtic geht, um sich ein<br />
Fußballmatch anzusehen.<br />
Die Zugehörigkeit zu einem<br />
der Clubs trägt tatsächlich<br />
beinahe religiöse Züge, auf<br />
jeden Fall konfessionelle.<br />
Die meisten Celtic-Fans<br />
sind Katholiken, Nachfahren<br />
irischer Einwanderer,<br />
die einst lohnbrecherisch<br />
hier ihr Glück zu machen<br />
versuchten; die Rangers<br />
sind waschechte Protestanten<br />
von schottischpresbyterianischer<br />
Art.<br />
Aber h<strong>und</strong>ertprozentig<br />
stimmt das nicht. Die Verb<strong>und</strong>enheit<br />
mit einem der<br />
Clubs kann in Glasgow<br />
auch gleichsam überkonfessionell<br />
vererbt werden,<br />
vom Vater auf Sohn, Enkel<br />
<strong>und</strong> Urenkel. Entstanden ist<br />
der Konflikt aus eher ethnischen<br />
Gegensätzen –<br />
Celtic wurde eben von Emigranten<br />
aus Irland gegründet.<br />
Bisher wurde der Vergleich<br />
mit der Novelle Dr. Jekyll<br />
<strong>und</strong> Mr. Hyde vermieden,<br />
die Robert Louis Stevenson<br />
in Edinburgh geschrieben<br />
hat. Er wird allzu häufig auf<br />
beide Städte angewendet;<br />
Fast jeder Essay über<br />
Edinburgh oder Glasgow<br />
beginnt mit ihm. Aber auch<br />
was oft gesagt wird, kann<br />
stimmen. Beide Städte tragen<br />
tatsächlich so etwas<br />
wie ein Doppelgesicht, ein<br />
gutes <strong>und</strong> ein böses.<br />
Der rechtschaffende Proletarier<br />
mit den schwieligen<br />
Händen <strong>und</strong> dem Herzen<br />
auf dem rechten Fleck, den<br />
der Glasgower so gern<br />
spielt, verbirgt hinter seinem<br />
breiten Rücken (<strong>und</strong><br />
seinem goldenen Humor)<br />
ein ernstes soziales <strong>und</strong><br />
menschliches Problem.<br />
Man könnte es kurz als<br />
„Suff <strong>und</strong> Drogen“ umreißen,<br />
aber es reicht tiefer.<br />
Eine unbeherrschbare Aggressivität<br />
scheint dem<br />
Glaswegian angeboren. Es<br />
sei keinem Glasgow- Besucher<br />
geraten, sich nachts<br />
durch Stadtteile wie<br />
Blackhill oder Ruchazie zu<br />
bewegen, wo kein Taxifahrer<br />
anhält, wenn ihm<br />
gewunken wird, sondern<br />
Gas gibt. Der Glaswegian<br />
ist gutmütig bis zum Extrem<br />
<strong>und</strong> andererseits angriffslustig<br />
bis zum Extrem, ein<br />
beinahe schizophrener Gegensatz.<br />
Fast schlimmer noch stellt<br />
sich der Januskopf des feinen<br />
<strong>und</strong> fast übertoleranten<br />
Edinburgh dar. In keiner<br />
anderen europäischen<br />
Stadt grassiert die Aids-<br />
Seuche so schlimm wie<br />
hier. Von h<strong>und</strong>ert Männern<br />
im Alter zwischen 15 <strong>und</strong><br />
45 erweist sich – statistisch<br />
gesehen – einer als HIVpositiv.<br />
Lothian Region,<br />
Edinburghs Regierungsbezirk,<br />
läßt sich in dieser Hinsicht<br />
nur mit dem US-Staat<br />
New York vergleichen, der<br />
ähnlich bedrückende Zahlen<br />
aufzuweisen hat.<br />
Wer immer aber der einen<br />
Stadt müde ist, der kann<br />
sich darauf verlassen: Es<br />
fährt – Jekyll hin, Hyde her<br />
– alle halbe St<strong>und</strong>e ein Zug<br />
oder Bus von Edinburgh<br />
nach Glasgow <strong>und</strong> einer<br />
von Glasgow nach<br />
Edinburgh.
New Scottish Parliament<br />
Edinburgh<br />
New Scottish Parliament<br />
Standort: Edinburgh<br />
Baujahr: 1999 - 2004<br />
Bauherr: <strong>Schottland</strong><br />
Architekt: Enric Miralles/Benedetta Tagliabue,Barcelona<br />
RMJM Scotland Ltd., Glasgow/Edinburgh<br />
Literatur: El Croquis: Enric Miralles, Benedetta Tagliabue<br />
1996-2000, 100/101, 2000<br />
rampantscotland.com/edinburgh (arcspace)<br />
Das Neue Parlamentsgebäude<br />
ist vielleicht das<br />
wichtigste Bauprojekt der<br />
jüngeren schottischen Geschichte,<br />
zumindest was<br />
seine emotionale <strong>und</strong> symbolische<br />
Bedeutung angeht,<br />
denn es wird Sitz des<br />
ersten unabhängigen<br />
schottischen Parlaments<br />
seit fast 300 Jahren sein.<br />
1998 wurde ein Wettbewerb<br />
für Architektenteams<br />
aus schottischen <strong>und</strong> internationalen<br />
Büros ausgeschrieben,<br />
den Enric Miralles/Benedetta<br />
Tagliabue<br />
<strong>und</strong> RMJM gewannen. Die<br />
erste Parlamentssitzung<br />
soll im September/Oktober<br />
2004 stattfinden. In der Zwischenzeit<br />
war das Parlament<br />
in der Church of Scotland<br />
Assembly Hall <strong>und</strong><br />
dem New College, erbaut<br />
1845 – 50, auf dem Hügel<br />
über der Princess Street<br />
untergebracht.<br />
Das Baugr<strong>und</strong>stück , eine<br />
ehemalige Brauerei, liegt<br />
gegenüber vom Palace of<br />
Holyroodhouse <strong>und</strong> nicht<br />
weit von Dynamic Earth<br />
entfernt. Einige der Bestandsbauten<br />
wurden erhalten<br />
<strong>und</strong> in den Parlamentskomplex<br />
integriert.<br />
So wurde die Fassade des<br />
Canongate Buildings erhalten,<br />
dahinter aber neue<br />
Bürogebäude aus Stahl<br />
<strong>und</strong> Beton errichtet.<br />
Dieses neue Gebäude<br />
überspannt stützenfrei 18<br />
m. Das unter Denkmalschutz<br />
stehende Queensbury<br />
House, ein Herrenhaus<br />
aus dem Jahr 1651,<br />
wurde auf Drängen der Historic<br />
Scotland Society<br />
weitgehend unverändert<br />
belassen <strong>und</strong> als Teil des<br />
Gesamtprojektes restauriert.<br />
Miralles/Tagliabue beschreiben<br />
ihren Entwurf,<br />
als ein Gebäude, das das<br />
Land, das es repräsentiert,<br />
reflektieren soll; Leitmotive<br />
waren deshalb zum einen<br />
die schottische Landschaft,<br />
die Blumenmalereien von<br />
C.R.Mackintosh sowie das<br />
Bild von umgedrehten Booten<br />
an der Küste, das hier<br />
für die Dächer herangezogen<br />
wurde. Der Komplex<br />
besteht aus einem Debating<br />
Chamber building, vier<br />
Türmen mit Räumlichkeiten<br />
für Ausschüsse <strong>und</strong> Sitzungen<br />
sowie Büros, das sogenannte<br />
MSP building, die<br />
Canongate Buildings, ein<br />
19
Edinburgh<br />
New Scottish Parliament<br />
20<br />
Mediengebäude <strong>und</strong> ein<br />
großes Foyer. Über ein<br />
landschaftsplanerisches<br />
Konzept aus Gartenwegen<br />
sollen die einzelnen Baukörper<br />
in ihrer Umgebung<br />
verankert werden.<br />
Die Tragstruktur des Gebäudes<br />
besteht aus Stahl<br />
<strong>und</strong> Sichtbeton. Im sechs-<br />
bzw. viergeschossigen<br />
MSP Tower sind die Büros<br />
der insgesamt 105 schottischenParlamentsabgeordneten<br />
untergebracht. Die<br />
Büros sind 15 m² groß, haben<br />
vorgefertigte Betongewölbe<br />
<strong>und</strong> eingebaute Eichenmöbel.<br />
Die Konstruktion<br />
ist eine Mischung aus<br />
Fertigteilen <strong>und</strong> vor Ort gegossenenBetonelementen.<br />
Außen ist das Gebäude<br />
mit verschiedenen Materialien<br />
verkleidet. Neben<br />
Kemnay Granit aus Aberdeenshire<br />
wurde dunklerer<br />
Granit aus Südafrika verwendet.<br />
In der Westfassade<br />
wird das Blattmotiv aufgegriffen,<br />
das auch die<br />
zwölf Dächer der Lobby<br />
prägt, die die Gebäude miteinander<br />
verbindet. Die<br />
Tragkonstruktion des Debate<br />
Chamber Building ist<br />
hauptsächlich aus Stahl<br />
<strong>und</strong> mit vorgefertigten Betonplatten<br />
verkleidet. Die<br />
untere Decke wird von<br />
zwei Reihen schlanker betonummantelterStahlstützen<br />
getragen. Das Erdgeschoß<br />
ist ein öffentlicher<br />
Bereich mit Ausstellungen,<br />
Restaurant u.a.. Die Decke<br />
besteht aus drei vorgefertigten<br />
Betongewölben mit<br />
Miralles’ abstrakten Darstellungen<br />
des Saltire<br />
Cross, der schottischen<br />
Fahne. Der Fußbodenbelag<br />
ist Kemnay Granit <strong>und</strong><br />
Caithness Stein; sowohl<br />
Kemnay Granit als auch die<br />
Sichtbetonflächen haben<br />
leicht glänzende Oberflächen,<br />
ein Gr<strong>und</strong> dafür, dass<br />
Miralles diese Kombination<br />
so häufig verwendet. Das<br />
Dach der Debating Chamber<br />
besteht aus laminierten<br />
Eichenbalken mit Stahlknoten.<br />
Enric Miralles starb wenige<br />
Monate nach Baubeginn im<br />
Alter von 45 Jahren.
Dance Base, National Centre for Dance<br />
Standort: Edinburgh<br />
Baujahr: 1998 - 2001<br />
Bauherr: Dance Base<br />
Architekt: Malcolm Fraser Architects, Edinburgh<br />
Ingenieur: C<strong>und</strong>all Johnston & Partners<br />
Literatur: malcolmfraser.co.uk<br />
scottisharchitecture.com<br />
geo.ed.ac.uk<br />
riba.org<br />
Die Dance Base liegt in der<br />
Old Town an der Nordseite<br />
des Grassmarket, am Fuß<br />
der Burg. Sie bietet das<br />
ganze Jahr über unterschiedlichste<br />
Kurse von lateinamerikanischem<br />
über<br />
Scottish Country Dance hin<br />
zu experimentellem Tanz<br />
für Teilnehmer aller Alterstufen<br />
<strong>und</strong> Fähigkeiten an<br />
<strong>und</strong> ist mit einer Kapazität<br />
von 200.000 Schülern die<br />
größte Tanzschule weltweit.<br />
Das Projekt wurde von<br />
der Scottish Arts Council<br />
Lottery, dem World Heritage<br />
Trust sowie der Stadt<br />
Edinburgh finanziell unterstützt.<br />
Das Gebäude besteht aus<br />
4 Studios von je 130 qm,<br />
einem Eingangsbereich mit<br />
Rezeption, social/waiting<br />
area, resource centre/resident<br />
companies office sowie<br />
support areas: Umkleideräumen,<br />
Duschen <strong>und</strong><br />
Küche. Malcolm Fraser Architects<br />
sehen die Dance<br />
Base sowohl räumlich als<br />
auch sozial als Teil der<br />
Grassmarket community,<br />
eines der belebtesten<br />
Quartiere Edinburghs. Aus<br />
diesem Gr<strong>und</strong> gibt es keine<br />
Cafés oder Barräume<br />
Edinburgh<br />
Dance Base<br />
innerhalb des Gebäudes,<br />
die Besucher sollen vielmehr<br />
die umliegenden Angebote<br />
nutzen. Mittelalterliche<br />
Strukturen dieses Teils<br />
des Grassmarket, vor allem<br />
gekennzeichnet durch die<br />
offenen Hausflure <strong>und</strong> Passagen<br />
(closes), die alten<br />
Gossen (kennels) <strong>und</strong> die<br />
sogenannte Flodden Wall,<br />
werden beibehalten, darüberhinaus<br />
werden Elemente<br />
des ländlichen Hinterlandes<br />
aufgegriffen, saniert<br />
oder erweitert. So soll<br />
das neue Gebäude einerseits<br />
das umliegende Gebiet<br />
mit neuer Kraft versehen,<br />
andererseits aus diesem<br />
Kontext selbst Identität<br />
erhalten: „[The dance<br />
base] gains its richness and<br />
beauty from the simplicity<br />
of its response to its physical,<br />
historic, cultural and<br />
sensory context“, beschreibt<br />
Malcolm Fraser<br />
sein Entwurfsziel.<br />
Ein weiteres Entwurfskonzept<br />
ist die Verwendung<br />
von natürlichem Licht <strong>und</strong><br />
von Ausblicken, die das<br />
Gebäude in seiner Lage<br />
unter der Burg verankern<br />
sollen. Vorgegebene Richtungswechsel<br />
vor den Trep-<br />
21
Edinburgh<br />
Dance Base<br />
22<br />
pen <strong>und</strong> in den Empfangsbereichen,<br />
sollen den Besucher<br />
fast unmerklich in<br />
die Bewegung ziehen. Hier<br />
wird Licht vor allem zur<br />
Bewegungslenkung eingesetzt.<br />
Wenn man das Gebäude<br />
betreten <strong>und</strong> sich<br />
nach rechts zu den Treppen<br />
gewandt hat, blickt<br />
man nach oben durch<br />
Schichten von gefrittetem<br />
Glas; im ersten Stock angekommen,<br />
wird der Besucher<br />
wiederum vom Licht<br />
des Principal Studio angezogen.<br />
Von hier gelangt er<br />
über Rampen zu den anderen<br />
Studios.<br />
Jedes Studio ist für eine<br />
andere Art des Tanzes konzipiert,<br />
soll eine eigene<br />
Welt aus seinem jeweiligen<br />
Verhältnis zur Außenwelt<br />
darstellen; aus diesen unterschiedlichenZielsetzungen<br />
heraus, wurden die vier<br />
Studios – entsprechend ihrer<br />
jeweiligen Lage auf dem<br />
Gr<strong>und</strong>stück - gr<strong>und</strong>verschieden<br />
entworfen. Während<br />
Studio 2, in Verbindung<br />
mit dem Grassmarket<br />
<strong>und</strong> der Stadt, große Südfenster<br />
hat, die das Studio<br />
an den lebendigen Grassmarket<br />
anbinden <strong>und</strong> es<br />
hell <strong>und</strong> sonnig machen,<br />
liegt Studio 3 am ruhigen<br />
Ende des Gr<strong>und</strong>stücks, soll<br />
selbst eher still <strong>und</strong> introvertiert<br />
erscheinen <strong>und</strong> intensives<br />
Trainieren ermöglichen;<br />
große Türen führen<br />
in einen angrenzenden geschützten<br />
Garten. Das<br />
Principal Studio liegt zwischen<br />
bestehenden Steinmauern.<br />
Sein Glasdach ermöglicht<br />
einen freien Blick<br />
auf Edinburgh Castle <strong>und</strong><br />
in den Himmel mit seinen<br />
wechselnden Wolkenstimmungen;<br />
es soll Studio <strong>und</strong><br />
Himmel ineinander verweben.<br />
Diese Erfahrung soll<br />
im übertragenen wie auch<br />
im ganz wörtlichen Sinn<br />
erhebend sein:“a straightening<br />
of the spine and springing<br />
of the step when you<br />
enter“. Im Kontrast zum<br />
kühlen Himmel stehen die<br />
hölzernen Wandpaneele<br />
<strong>und</strong> großen Spiegel. Licht-<br />
führung <strong>und</strong> Stahlkonstruktion<br />
sind unauffällig, aber<br />
detailreich. Studio 4<br />
schließlich, das kleinste<br />
von allen, ist in das Basalt-<br />
Gestein von Castle-Rock<br />
gegraben; Lichtschlitze erhellen<br />
den Raum <strong>und</strong> richten<br />
den Blick horizontal<br />
nach außen; man blickt auf<br />
die Dächer der Art School<br />
<strong>und</strong> in den Hof vorm Hintereingang.<br />
Im Gegensatz<br />
zu Studio 4 soll es erdverb<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> ganz für individuelles<br />
Training vorgesehen<br />
sein.<br />
Das RIBA (Royal <strong>Institut</strong>e<br />
of British Architects) zeichnete<br />
die Dance Base 2002<br />
für ihre behindertengerechte<br />
Erschließung <strong>und</strong> deren<br />
Verankerung im Gesamtkonzept<br />
aus. Das Projekt<br />
erhielt den RIAS Award for<br />
Best Building in Scotland<br />
sowie den Design Award<br />
<strong>und</strong> kam für den Stirling<br />
Prize in die engere Wahl.<br />
Seitdem hat die Dance<br />
Base architektonische Berühmtheit<br />
in <strong>Schottland</strong> erlangt.
Fruitmarket Gallery<br />
Standort: Edinburgh<br />
Baujahr: 1992 - 1994<br />
Bauherr: Scottish Arts Council<br />
Architekt: Richard Murphy Architects, Edinburgh<br />
Ingenieur: W A Fairhursts<br />
Literatur: Detail, 5/1994<br />
Bauwelt, 6/1994<br />
richardmurphyarchitects.com<br />
scottisharchitecture.com<br />
arch.mcgill.ca<br />
Die Fruitmarket-Halle wurde<br />
in den 1930er Jahren als<br />
Umschlagplatz für Obst<br />
<strong>und</strong> Gemüse an der Waverly<br />
Station zwischen<br />
Princes Street <strong>und</strong> Royal<br />
Mile gebaut. Das Gebäude<br />
hat eine trapezförmige<br />
Gr<strong>und</strong>fläche <strong>und</strong> ist zwei<br />
Stockwerke hoch. Es steht<br />
auf Pfählen entlang bzw.<br />
über den Bahngleisen <strong>und</strong><br />
hatte ursprünglich einen<br />
direkten Betriebszugang<br />
zur Bahn. Das Tragwerk<br />
besteht aus Eisenrahmen,<br />
ergänzt durch Umfassungsmauern<br />
aus Naturstein.<br />
Auf den Rahmen liegen<br />
Holzbalkendecken.<br />
Dieses Bauschema ist typisch<br />
für viele industrielle<br />
Lagerhäuser dieser Zeit in<br />
<strong>Schottland</strong>.<br />
1973 wurde der Fruitmarket<br />
stillgelegt; kurze Zeit später<br />
eröffnete eine Kunstgalerie,<br />
die aber bereits 1990<br />
wieder schließen mußte.<br />
Die Eigentümer hatten nur<br />
geringfügige Umbauten am<br />
Gebäude vorgenommen.<br />
Das Scottish Arts Council<br />
setzte sich für einen Neubeginn<br />
als Galerie für zeitgenössische<br />
Kunst ein <strong>und</strong><br />
regte 1992 eine gr<strong>und</strong>legende<br />
Sanierung an.<br />
Die Hauptprobleme lagen<br />
damals in der viel zu nied-<br />
Edinburgh<br />
Fruitmarket Gallery<br />
rigen Raumhöhe im Obergeschoss,<br />
der fehlenden<br />
natürlichen Belichtung für<br />
die Ausstellungsräume sowie<br />
der Verbindung der<br />
Ebenen, die nur über<br />
Fluchttreppen gegeben<br />
war. Die Fassade der Eingangsseite<br />
erschien außerdem<br />
sehr abweisend. Der<br />
erste Auftrag an Richard<br />
Murphy Architects, das<br />
Gebäude eines Facelifts zu<br />
unterziehen, wurde darum<br />
zu einer vollständigen Umgestaltung<br />
erweitert. Anstelle<br />
des abgeschlossenen<br />
Ausstellungsraumes,<br />
den das Gebäude bisher<br />
bot, <strong>und</strong> der durchaus den<br />
Vorstellungen einer Kunstgalerie<br />
des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
entsprochen hätte,<br />
wollten Murphy Architects<br />
einen zeitgemäßen flexiblen<br />
Raum schaffen.<br />
Licht <strong>und</strong> Material waren<br />
wichtige Komponenten des<br />
Neuentwurfs, der baulich<br />
durch drei wesentliche Veränderungengekennzeichnet<br />
ist: Das Flachdach wird<br />
durch ein erhöhtes flügelförmiges<br />
Dach ersetzt, wodurch<br />
die ursprüngliche Attika<br />
unter das Dach gezogen<br />
<strong>und</strong> die Raumhöhe der<br />
oberen Galerie erhöht wird.<br />
Die neue Dachkonstruktion<br />
greift zwar das ursprüngliche<br />
Rahmenprinzip der<br />
23
Edinburgh<br />
Fruitmarket Gallery<br />
24<br />
Halle auf, hat in seiner Gestaltung<br />
aber weder etwas<br />
mit schlichtem Industriebau<br />
noch mit den eleganten<br />
Details historischer Eisenbauten<br />
gemein. Der Gr<strong>und</strong>riß<br />
des Daches ist rechtekkig<br />
<strong>und</strong> überragt darum den<br />
trapezförmigen Gebäudegr<strong>und</strong>riß;<br />
unter dem weitesten<br />
Dachüberstand liegt –<br />
betont <strong>und</strong> gleichzeitig geschützt<br />
- der neue Eingang,<br />
für den ein Teil der Fassade<br />
komplett entfernt wurde.<br />
Großzügigere Fassadenöffnungen<br />
wurden vorgesehen,<br />
um Nord- <strong>und</strong> Südlicht<br />
ins Innere zu lassen <strong>und</strong><br />
außerdem Blickbezüge zur<br />
Altstadt herzustellen. Durch<br />
aufgesetzte Flächen soll<br />
eine mehrschichtige Fassade<br />
hergestellt werden,<br />
eine Schichtung von alt zu<br />
neu <strong>und</strong> von geschlossen<br />
zu transparent; die zurückliegendenFassadenbereiche<br />
wurden durch Bleipaneele,<br />
Glasbausteine <strong>und</strong><br />
mattierte Glasflächen gegliedert.<br />
Öffnen lassen sich<br />
nur zwei Felder im Erdgeschoß<br />
<strong>und</strong> die Kranluke im<br />
Obergeschoß.<br />
Ein Oberlichtband <strong>und</strong><br />
Dachfenster bringen Tageslicht<br />
über ein neues<br />
zentrales Treppenhaus bis<br />
ins Erdgeschoß. Die Treppe<br />
ist zweigeteilt, ihr unterer<br />
Teil kann hochgezogen<br />
werden, um die Möglichkeit<br />
zu haben, die obere Galerie<br />
zu sperren, <strong>und</strong> im Alltagsbetrieb<br />
große Objekte<br />
in der unteren Galerie bewegen<br />
zu können. Die<br />
Wände <strong>und</strong> bestehenden<br />
Stahlbauteile wurden weiß<br />
gestrichen, die Böden sind<br />
mit gesp<strong>und</strong>eten Dielen belegt.<br />
In Zusammenarbeit mit<br />
dem Londoner Lichtkünstler<br />
Peter Fink ist das Lichtkunstwerk<br />
Northern Lights<br />
für Fassade <strong>und</strong> Bürgersteig<br />
entstanden; der Eingang<br />
wird abends durch ein<br />
weiß-blaues Matrixkreuz<br />
gekennzeichnet.<br />
1993 wurde die neugestaltete<br />
Fruitmarket Gallery mit<br />
dem RIBA Award ausgezeichnet.
Edinburghs Royal Mile<br />
Die vermutlich älteste Straße<br />
Edinburghs verbindet<br />
Edinburgh Castle mit dem<br />
Palace of Holyrood House.<br />
Schon seit Jahrh<strong>und</strong>erten<br />
ist die Royal Mile schottische<br />
Touristenattraktion,<br />
von Daniel Defoe (Robinson<br />
Crusoe) bereits 1723<br />
als „the largest, longest and<br />
finest street for buildings<br />
and inhabitants, not only in<br />
Britain, but in the world“ beschrieben.<br />
Während an der Mile selbst<br />
die Herrschaften wohnten,<br />
waren die davon abzweigenden<br />
Seitengassen das<br />
Areal der Handwerker <strong>und</strong><br />
Bediensteten.<br />
(Alle Öffnungszeiten gelten<br />
für das Datum unseres Aufenthalts<br />
in Edinburgh)<br />
Edinburgh Castle<br />
(Öffnungszeiten täglich<br />
9.30 –18.00 h)<br />
Goose Pie House (1)<br />
Haus des Dichters Alan<br />
Ramsey, 18. Jh.<br />
Cannonball House (2)<br />
spätes 16. Jh., die Kanonenkugel<br />
in der Wand<br />
markiert die Höhe, bis zu<br />
der das Wasser im ersten<br />
Wasserleitungssystem<br />
der Stadt befördert werden<br />
konnte.<br />
Scotch Whisky Heritage<br />
Centre<br />
(Öffnungszeit täglich von<br />
10.00 - 17.30h)<br />
The Hub<br />
Festival Centre<br />
Boswell’s Court (3)<br />
Mietshaus, um 1600 erbaut<br />
Camera Obscura / Outlook<br />
Tower<br />
seit Mitte des 19. Jh. Top-<br />
Touristenattraktion (Öffnungszeiten<br />
Mo bis Fr<br />
9.30 - 18.00h, Sa/So<br />
10.00 - 18.00h)<br />
Assembly Hall (4)<br />
Stätte der jährlichen Generalversammlung<br />
der<br />
Kirche von <strong>Schottland</strong><br />
Tollbooth Kirk<br />
von den Architekten<br />
Graham <strong>und</strong> Pugin, letzterer<br />
entwarf auch die Houses<br />
of Parliament in London<br />
Lawnmarket (6)<br />
ursprünglicher Marktplatz<br />
für Leinen<br />
Milne’s Court (7)<br />
Mietshaus von 1690<br />
James Close (8)<br />
erbaut Mitte des 18. Jh.,<br />
hier lebten der Schriftsteller<br />
James Boswell <strong>und</strong><br />
der Philosoph David<br />
Hume<br />
Gladstone’s Land<br />
Wohnhaus aus dem 16.<br />
Jh., heute Museum des<br />
Lebens im 16. Jh.<br />
(Öffnungszeiten: Mo-Sa<br />
10.00-18.00h, So 14.00-<br />
17.00h)<br />
Lady Stair’s House<br />
erbaut 1662<br />
Writers’ Museum mit Manuskripten<br />
<strong>und</strong> anderen<br />
Exponaten der berühmtesten<br />
schottischen Dichter<br />
<strong>und</strong> Schriftsteller: Robert<br />
Burns, Sir Walter Scott <strong>und</strong><br />
Robert Louis Stevenson<br />
(Öffnungszeiten: Mo-Sa<br />
10.00-18.00h)<br />
Brodie’s Close (9)<br />
benannt nach William<br />
Brodie, der im 18. Jh. tags<br />
als respektabler Bürger<br />
<strong>und</strong> nachts als Einbrecher<br />
auftrat<br />
The High Kirk of St Giles<br />
spätmittelalterlicher Turm<br />
<strong>und</strong> Burgh Kirk mit späteren<br />
Anbauten. Von hier<br />
aus führte John Know, der<br />
Gründer der Presbyterianischen<br />
Kirche im frühen<br />
16. Jh die schottische<br />
Reformation.<br />
(Öffnungszeiten Mo-Sa<br />
9.00-17.00h)<br />
Parliament Square<br />
Law Courts (10)<br />
erbaut von Robert Reid<br />
(1776-1856) nach Plänen<br />
von Robert Adam (1728-<br />
1792); beide gehören zu<br />
den Hauptarchitekten der<br />
Aufklärung<br />
Parliament House (11)<br />
erbaut 1632-1640 für das<br />
Schottische Parlament,<br />
Edinburgh<br />
Royal Mile<br />
25
Edinburgh<br />
Royal Mile<br />
26<br />
bis zur erzwungenen Union<br />
mit England 1707 benutzt<br />
Monument für King<br />
Charles II<br />
errichtet 1685<br />
Heart of Midlothian (12)<br />
ein in das Kopfsteinpflaster<br />
der Straße eingelassenes<br />
Herz markiert die<br />
Lage einer alten Zollstation.<br />
Mercat Cross (13)<br />
Von hier aus wurden den<br />
Bürgern der Stadt Gesetze,<br />
Erlasse <strong>und</strong> offizielle<br />
Neuigkeiten verkündet.<br />
High Street<br />
City Chambers (14)<br />
Entworfen von John<br />
Adam, dem Bruder von<br />
Robert Adam<br />
Mary King’s Close (15)<br />
Gebäude nach der Pest<br />
von 1645 geschlossen<br />
Tron Kirk<br />
Old Town Information<br />
Centre; geöffnet täglich<br />
10.00-19.00h;<br />
Tel.: 0131-20-1637<br />
Brass Rubbing Centre<br />
(16)<br />
Überbleibsel der Collegiate<br />
Church, gegründet<br />
1460; Museum für Metallkreuze<br />
der Pikten <strong>und</strong><br />
mittelalterliche Bronzewerke<br />
(Öffnungszeiten:<br />
Mo-Sa 10.00-18.00h)<br />
Museum of Childhood<br />
Historisches Spielzeug,<br />
Bücher, Puppen (Öffnungszeiten:<br />
Mo-Sa<br />
10.00-18.00h)<br />
Moubray House<br />
Das vermutlich älteste<br />
Wohnhaus der Stadt, in<br />
dem Daniel Defoe im 18.<br />
Jh. sein Büro hatte, leider<br />
nicht öffentlich zugänglich<br />
John Knox House<br />
Museum über John Knox<br />
Leben <strong>und</strong> Werk, die<br />
Inschrift außen lautet:<br />
LYFE GOD ABUFE AL<br />
AND YI NYCHTBOUR<br />
AS YI SELF ;<br />
geöffnet Mo-Sa 10.00-<br />
16.30<br />
Canongate (17)<br />
Chessel’s Court (18)<br />
Apartment-Haus erbaut<br />
1745<br />
Morocco Land<br />
restauriertes Mietshaus<br />
aus dem frühen 18. Jh.,<br />
benannt nach der Mohrenfigur<br />
in der Fassade<br />
Canongate Tollbooth<br />
erbaut 1591. Heute ein<br />
Museum über das<br />
Alltagsleben der<br />
Menschen im Laufe der<br />
Jahrh<strong>und</strong>erte: The<br />
People’s Story.<br />
(Öffnungszeiten: Mo-Sa<br />
10.00-18.00h)<br />
Canongate Kirk<br />
Erbaut 1688<br />
Huntly House<br />
restauriertes Gebäude<br />
aus dem 16. Jh.; Museum<br />
lokaler Geschichte, geöffnet<br />
Mo-Sa 10.00-18.00<br />
Panmure House<br />
zeitweise Wohnhaus von<br />
Adam Smith, dem Wirtschaftstheoretiker;<br />
erbaut<br />
im 17. Jh.<br />
White Horse Close (19)<br />
Altes Gasthaus <strong>und</strong> Relaisstation<br />
für Kutschen,<br />
die von hier nach London<br />
aufbrachen<br />
New Scottish<br />
Parliament (s. Text)<br />
entworfen vom inzwischen<br />
verstorbenen katalanischen<br />
Architekten<br />
Enric Miralles. Die erste<br />
Sitzung des Parlaments<br />
wird hier am 7. September<br />
2004 stattfinden, am<br />
10. Oktober 2004 wird der<br />
Komplex offiziell von der<br />
Königin eröffnet.<br />
Our Dynamic Earth (s.<br />
Text)<br />
Interactives Infotainment<br />
für Geschichte <strong>und</strong> Geologie;<br />
geöffnet täglich<br />
10.00-18.00h<br />
The Palace of Holyrood<br />
House<br />
Der Legende nach war<br />
Köng David I, der Sohn<br />
von Malcolm Canmore<br />
<strong>und</strong> St. Margaret, eines<br />
Tages im Jahre 1128 auf<br />
der Jagd. Sein Pferd<br />
wurde von einem Hirschen<br />
erschreckt, der
plötzlich aus dem Nichts<br />
auftauchte, <strong>und</strong> König<br />
David fand sich selbst am<br />
Boden wieder, in tödlicher<br />
Gefahr durch das mächtige<br />
Geweih des Tieres.<br />
Verzweifelt griff er nach<br />
den Geweihstangen <strong>und</strong><br />
w<strong>und</strong>erbarerweise verwandelten<br />
sie sich in ein<br />
Kruzifix. Der König gelobte<br />
an dieser Stelle eine<br />
Abtei zu erbauen. Schon<br />
im frühen 14. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
stand hier eine königliche<br />
Residenz gegenüber der<br />
Abtei. Der älteste heute<br />
erhaltene Teil wurde<br />
vom Steinmetz James V.,<br />
John Ayton erbaut. Der<br />
Hauptteil entstand im 17.<br />
Jh. Unter Charles II.<br />
In den heute zugänglichen<br />
historischen Schauräumen<br />
lebte Maria Stuart.<br />
Der Palast wird häufig<br />
noch als königliche Residenz<br />
genutzt.<br />
Edinburgh<br />
Royal Mile<br />
27
Edinburgh<br />
Dynamic Earth Centre<br />
28<br />
Dynamic Earth<br />
Standort: Edinburgh<br />
Baujahr: 1990-1999<br />
Bauherr: Millennium Commission<br />
Architekt: Michael Hopkins & Partners<br />
Ingenieur: Ove Arup & Partners<br />
Literatur: Detail 6/2000<br />
Lyall, Sutherland: Ingenieure – Bau – Kunst,<br />
Die Konstruktion der neuen Form, Stuttgart, 2002<br />
Colin Davies: Hopkins 2, London, 2001<br />
Salisbury Crags in Edinburgh<br />
ist der Ort, wo im 18.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert der Geologe<br />
James Hutton lebte <strong>und</strong><br />
arbeitete. Als die alte Scottish<br />
<strong>und</strong> Newcastle Brauerei,<br />
am Fuße des Berges<br />
gelegen, stillgelegt wurde,<br />
erbte die Stadt das Gelände<br />
mit der Auflage, dass es<br />
für die Öffentlichkeit genutzt<br />
wird. Eine Besucherattraktion<br />
mit geologischem<br />
Schwerpunkt sollte entstehen.<br />
Das Resultat ist Dynamic<br />
Earth. Das Projekt wurde<br />
teilweise von der Millennium<br />
Commission finanziert.<br />
Der Auftrag sah ein<br />
einfaches Ausstellungsgebäude<br />
vor, in der sich eine<br />
Auswahl an multimedialen<br />
Ausstellungen <strong>und</strong> ein Planetarium<br />
befinden sollte.<br />
Hopkins jedoch hatte eine<br />
andere Idee entwickelt.<br />
Das Ausstellungsgebäude<br />
sollte sich innerhalb der<br />
bestehenden Wände der<br />
alten Brauerei befinden.<br />
Ein neues Eingangsfoyer<br />
sollte darüber entstehen, in<br />
das man über ein Amphitheater<br />
gelangt. Das ganze<br />
Gebäude wird überdeckt<br />
von einer Zeltkonstruktion,<br />
welche im Kontrast zu den<br />
im Hintergr<strong>und</strong> gelegenen<br />
dunklen Bergen steht.<br />
Die Anlage besteht aus drei<br />
Elementen: dem Ausstellungsgebäude,<br />
dem Amphitheater<br />
als Vorplatz <strong>und</strong><br />
dem Zeltdach.<br />
Das Ausstellungsgebäude<br />
besteht aus zwei Geschossen<br />
<strong>und</strong> einem darunter liegenden<br />
Parkdeck. Einige<br />
der Veranstaltungsräume<br />
erstrecken sich über beide<br />
Geschosse. Das halbkugelförmige<br />
Dach des Multimedia-Vorführungsraum<br />
stößt aus dem ersten Untergeschoss<br />
in den Eingangsbereich<br />
hinein. Die<br />
Kraft dieses Empordrängens<br />
wird durch die Breiten-<br />
<strong>und</strong> Längenlinien erhöht,<br />
die anzudeuten scheinen,<br />
dass sich die Kuppel<br />
in Schräglage befindet, um<br />
auf die dynamische Landschaft<br />
des Zeltdaches mit<br />
seinen geneigten Stützen<br />
zu reagieren. Verwaltungsbüros<br />
sind an den Seiten<br />
des alten Gr<strong>und</strong>risses der<br />
Brauerei angeordnet. Im<br />
Eingangsbereich befinden<br />
sich noch ein Café, eine<br />
Bar <strong>und</strong> zwei Wendeltreppen,<br />
die in den steinernen<br />
Sockelbau mit der eigentlichen<br />
Ausstellung hinab<br />
führen.
Das Amphitheater wird für<br />
Veranstaltungen genutzt,<br />
hauptsächlich aber zur Zeit<br />
der Festspiele in Edinburgh.<br />
Ansonsten dient es<br />
als öffentlicher Vorplatz <strong>und</strong><br />
großzügige Treppenanlage,<br />
die zum Eingang des<br />
Veranstaltungszentrums<br />
führt.<br />
Edinburgh<br />
Dynamic Earth Centre<br />
Das Dach wurde von dem<br />
Büro Happold in Zusammenarbeit<br />
mit Ove Arup &<br />
Partners entwickelt. Das<br />
auf einem ovalen Gr<strong>und</strong>riss<br />
basierende Dach besteht<br />
aus PTFE-beschichtetem<br />
Glasfasergewebe. Die Konstruktion<br />
beruht auf acht<br />
untereinander verspannten<br />
Pylonen, die durch die mit<br />
Stahlseilen davon abgehängten,<br />
verglasten Leiterträgern<br />
<strong>und</strong> die Membran<br />
ins Freie stoßen. Die Leiterträger<br />
sorgen für die seitliche<br />
Aussteifung. Unterteilt<br />
wird die Membranfläche<br />
durch drei Rohrträger. Zum<br />
Amphitheater hin ist die<br />
Zelthaut angehoben <strong>und</strong><br />
angestückt, um ein von<br />
29
Edinburgh<br />
Dynamic Earth Centre<br />
30<br />
zwei Diagonalstützen getragenes<br />
Vordach zu bilden.<br />
Der vertikale Raumabschluss<br />
des unbeheizten<br />
Eingangsfoyer besteht vollständig<br />
aus Glas <strong>und</strong> ist<br />
eine eigenständige, freitragende<br />
Konstruktion, die im<br />
oberen Bereich flexibel mit<br />
der Kante der Zelthaut verb<strong>und</strong>en<br />
ist. Ein Membranschloss<br />
gewährleistet die<br />
Beweglichkeit <strong>und</strong> Vorspannung<br />
für diesen Dach-<br />
Wand-Anschluß.<br />
Die leichte Gestalt des Daches<br />
steht im Gegensatz zu<br />
den massiven Teilen des<br />
Komplexes <strong>und</strong> der übrigen<br />
städtischen Bebauung.<br />
Noch auffälliger wirkt der<br />
Kontrast des geschwungenen<br />
Membrandachs zu den<br />
markanten Felsformationen<br />
der Umgebung. Natürliches<br />
wie bearbeitetes<br />
Gestein bilden den Bezug<br />
zum Ausstellungsthema –<br />
Erde <strong>und</strong> Natur.<br />
Die leichte, weiße Hülle des<br />
Daches <strong>und</strong> seine minimierte<br />
Stahlkonstruktion<br />
symbolisieren dagegen die<br />
artifizielle, durch den Menschen<br />
geschaffene Welt.
Edinburgh<br />
RoyalBotanic Garden<br />
Royal Botanic Garden – Altes (Tropical Palmhouse)<br />
<strong>und</strong> Neues Palmenhaus (Temperate<br />
Palmhouse)<br />
Altes Palmenhaus<br />
Standort: Edinburgh<br />
Baujahr: 1834 (Umbau 1860)<br />
Bauherr: Stadt Edinburgh<br />
Architekt: unbekannt<br />
Neues Palmenhaus:<br />
Standort: Edinburgh<br />
Baujahr: 1858<br />
Bauherr: Stadt Edinburgh<br />
Architekt: Robert Matheson<br />
Literatur: Ruth-Maria Ullrich: Glas-Eisen-Architektur.<br />
Pflanzenhäuser des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, Worms 1989<br />
Georg Kohlmaier/Barna von Sartory: Das Glashaus.<br />
Ein Bautypus des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, München 1981<br />
Der Botanische Garten von<br />
Edinburgh entwickelte sich<br />
aus einem medizinischen<br />
Kräutergarten. Die Palmenhäuser<br />
am Nordende des<br />
Gartens sind die nördlichsten<br />
Gewächshausbauten<br />
Großbritanniens. Das erste<br />
große Gewächshaus wurde<br />
hier 1834 gebaut; 1855<br />
begannen Planungen für<br />
den Anbau eines zweiten<br />
nach Westen hin, das 1858<br />
errichtet wurde. Die Länge<br />
der Verbindungsachse beträgt<br />
36,60 m. Seit 1860<br />
sind beide Bauteile durch<br />
eine Glaswand getrennt, so<br />
dass seitdem im Alten Palmenhaus<br />
Pflanzen für heißes<br />
Klima, im neuen Palmenhaus<br />
Pflanzen für temperiertes<br />
Klima untergebracht<br />
sind.<br />
Interessant ist die Konfrontation<br />
des filigranen Glas-<br />
Eisen-Dachgewölbes, das<br />
auf einen Architrav aufgesetzt<br />
ist, mit der klassizistischen<br />
Arkadenwand mit<br />
Pilastern <strong>und</strong> großen<br />
R<strong>und</strong>bogenfenstern. Solche<br />
repräsentative Steinarchitektur<br />
zeichnet historisch<br />
gesehen den Bautypus<br />
Orangerie aus, der<br />
durch weitest mögliche Auflösung<br />
der Wand 1 das Erscheinungsbild<br />
antiker<br />
Tempel mit Säulen <strong>und</strong> Architrav<br />
nachempfindet. Die<br />
Dachkonstruktion knüpft<br />
dagegen an fortschrittliche<br />
Ingenieurkonstruktionen<br />
an, zeigt in der Raumgestalt<br />
sowie in der Gliederung<br />
der Sparren <strong>und</strong><br />
Sprossen Parallelen zum<br />
31
Edinburgh<br />
RoyalBotanic Garden<br />
32<br />
Palmenhaus in den Londoner<br />
Kew Gardens (erbaut<br />
1848). Diese Verbindung<br />
von historisierendem Formapparat<br />
mit Ingenieurkonstruktion,<br />
die vor allem am<br />
Neuen Palmenhaus deutlich<br />
wird, ist ein Phänomen<br />
des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Es<br />
trat zuerst bei Gewächshausbauten,<br />
später auch<br />
bei Bahnhofsgebäuden<br />
auf.<br />
Das Alte Palmenhaus<br />
(Tropical Palmhouse)<br />
Das Bauschema des Alten<br />
Palmenhauses besteht aus<br />
einer gemauerten Außenschale<br />
aus Sandstein mit<br />
großen Fensteröffnungen<br />
<strong>und</strong> einer eingestellten, im<br />
Dach verglasten Konstruktion.<br />
Damit löste es sich<br />
von älteren Palmenhäusern<br />
wie etwa Bretton Hall<br />
oder dem Antheum in<br />
Brighton, die mit basilikalen<br />
Großkuppeln ganz aus Eisen<br />
gebaut worden waren<br />
<strong>und</strong> wegen ihrer zunehmenden<br />
Instabilität mittlerweile<br />
eingestürzt sind oder<br />
demontiert werden mußten.<br />
Der oktogonale Gr<strong>und</strong>riß<br />
ermöglichte hier stattdessen<br />
vergleichsweise<br />
einfache Pultdächer, deren<br />
Sparren von einem Architrav<br />
parallel zur Außenwand<br />
<strong>und</strong> einem inneren<br />
Ring von acht gußeisernen<br />
Säulen getragen werden.<br />
Als die Palmen zu hoch<br />
wuchsen <strong>und</strong> begannen,<br />
dieses Dach zu durchstoßen,<br />
entschloß man sich<br />
zum Anbau eines neuen<br />
Palmenhauses, stellte<br />
dann aber fest, daß die<br />
Schäden am alten Dach zu<br />
groß waren, um es einfach<br />
zu reparieren. 1860, zwei<br />
Jahre nach dem Anbau,<br />
wurden deshalb Teile der<br />
alten, hölzernen Dachkonstruktion<br />
durch gußeiserne<br />
ersetzt. Die Form des Pultdaches<br />
wurde bis zum Innenring<br />
beibehalten <strong>und</strong><br />
darauf eine achteckige<br />
Kuppel mit sechzehn<br />
Hauptrippen gesetzt, 14,30<br />
m hoch mit einem Durchmesser<br />
von 18,30 m. Vier<br />
längere wechseln sich jeweils<br />
mit vier kürzeren Oktogonseiten<br />
ab. Die Pilaster<br />
der Seitenwände wurden<br />
bis auf die Eckpfeiler entfernt<br />
<strong>und</strong> durch gußeiserne<br />
Säulen <strong>und</strong> Unterzüge ersetzt,<br />
so daß eine großflächige<br />
Glasfront entstand.<br />
Neues Palmenhaus (Temperate<br />
Palmhouse)<br />
Das Neue Palmenhaus besteht<br />
aus Längshallen von<br />
30 x 17 m, bedeckt von einem<br />
basilikalen Glasgewölbe<br />
auf vierzehn Bogenstellungen,<br />
die von den Kapitellen<br />
hoher, mehrstufiger<br />
Gußeisensäulen aufsteigen.<br />
Die Zweistufigkeit des<br />
Gewölbes kompensiert die<br />
Lichteinbußen, die aus den<br />
Pfeilerbogenstellungen aus<br />
Mauerwerk (7 x 4 Achsen),<br />
der hohen Brüstung <strong>und</strong><br />
der Gebälkzone herrühren.<br />
Die Höhe des Glasgewölbes<br />
entspricht dabei der<br />
Höhe der Steinfassade <strong>und</strong><br />
beträgt je 10,60 m (eine<br />
Dachstufe ist 5,30 m hoch).<br />
So entsteht der Eindruck<br />
eines in sich bestehenden<br />
Glashauses, das auf einen<br />
hohen Sockel gesetzt wurde.<br />
Die Außenmauer besteht<br />
wie beim Alten Palmenhaus<br />
aus Sandstein; sie hat<br />
ebenfalls große Fensteröffnungen<br />
<strong>und</strong> eine Pilastergliederung.<br />
Die Glas-Eisen-Konstruktion<br />
des Daches<br />
setzt direkt auf die<br />
Außenwand auf. Der niedrigere<br />
Gewölbeteil spannt<br />
von der Außenwand zur<br />
halben Dachhöhe <strong>und</strong> ist<br />
dort auf 14 schlanken gußeisernen<br />
Stützen gelagert.
Die Stützen, 14,50 m hoch,<br />
bilden mit dem darüberliegenden<br />
Träger ein Rahmensystem,<br />
auf das der<br />
zweite Gewölbeteil mittels<br />
einer niedrigen vertikalen<br />
Lüftungsgalerie aufsetzt.<br />
Oberhalb der Säulenkapitelle<br />
gehen von einem Zwischenstück<br />
Gußkonsolen<br />
aus, die sich an die Rippen<br />
schmiegen <strong>und</strong> über<br />
schmiedeeiserne Laschen<br />
mit diesen verschraubt<br />
sind. In 21 m Höhe schließt<br />
sich das Dach zu einem<br />
spitzbogigen Gewölbe. Die<br />
Seitenwände geben dem<br />
Auge als feste Raumbegrenzung<br />
Halt, während die<br />
überschlanken Säulen <strong>und</strong><br />
das Dachraster die Raumgrenze<br />
nach oben aufheben.<br />
Die bogenförmigen Binder<br />
des Daches überspannen<br />
maximal 8,50 m im Mitteltei.<br />
Sie ermöglichen einen<br />
freien Innenraum <strong>und</strong> haben<br />
ein günstiges statisches<br />
Verhalten, weil sie<br />
vorwiegend nur auf Druck<br />
beansprucht werden. Die<br />
Binder liegen im Abstand<br />
von 2 m, jede zweite Spante<br />
befindet sich somit in einer<br />
Stützenachse. An den<br />
Anschlußpunkten zu den<br />
Trägern über den Stützen<br />
werden sie durch ein Gußeisenfachwerk<br />
ausgesteift.<br />
Im Abstand von 40 cm laufen<br />
gebogene Fenstersprossen<br />
vertikal von Auflager<br />
zu Auflager durch. Die<br />
Einfachverglasung besteht<br />
aus gebogenen Glasscheiben<br />
von 39,5 x 65 cm.<br />
Die Durchbrochenheit der<br />
Seitenwände stellte ein<br />
technisches Problem bei<br />
der Ausbildung des Auflagers<br />
der Glas-Eisen-Konstruktion<br />
dar, weil die Seitenwände<br />
nur sehr begrenzt<br />
Seitenschub aufnehmen<br />
können. Eine Alternative<br />
zu den Seitenwänden<br />
wären Zugeisen<br />
gewesen, die allerdings<br />
Edinburgh<br />
RoyalBotanic Garden<br />
das Palmenwachstum im<br />
Inneren beträchtlich gestört<br />
hätten. Man suchte darum<br />
eine andere Lösung <strong>und</strong><br />
bildete schließlich einen<br />
umlaufenden Ringgurt aus,<br />
der auf Architravhöhe liegt<br />
<strong>und</strong> den auftretenden Seitenschub<br />
aus den Bogenbindern<br />
aufnimmt.<br />
Die Bogenzwickel sind mit<br />
dekorativen Ausfachungen<br />
versehen, die gleichen wurden<br />
bei den Aussteifungen<br />
des Dachgewölbes verwendet.<br />
Zugstangen nehmen<br />
den Horizontalschub<br />
der Träger auf <strong>und</strong> unterstützen<br />
gleichzeitig die filigranen<br />
Falzleisten der Verglasung.<br />
Dieses Prinzip findet<br />
sich genau wie die basilikale<br />
Gewölbeform im älteren<br />
Palmenhaus in den<br />
Londoner Kew Gardens,<br />
wurde hier allerdings als<br />
Neuerung mittels Scheiben<br />
mit gekerbten Rändern<br />
ausgeführt, um Dehnungsbewegungen<br />
nicht zu behindern.<br />
Die verwendeten Materialien<br />
zeigen die Mitte des 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts beginnende<br />
Umwälzung der Bautechnik.<br />
Während das innere<br />
Tragwerk der Säulen,<br />
Querbogenträger <strong>und</strong> Konsolen<br />
aus Gußeisen besteht,<br />
sind die Bogenrippen<br />
wahrscheinlich schon aus<br />
Walzeisen hergestellt. Die<br />
Walztechnik wurde etwa<br />
1840 im Schiffbau entwikkelt<br />
<strong>und</strong> 1848 bereits in<br />
Kew Gardens verwendet.<br />
Das Neue Palmenhaus in<br />
Edinburgh ist eine Mischkonstruktion<br />
mit nahezu<br />
gleicher Profilausbildung<br />
der gußeisernen Querbogenträger<br />
im Untergurt <strong>und</strong><br />
der gewalzten Rippen.<br />
Eine Weiterentwicklung der<br />
Raumlösung des Neuen<br />
Palmenhauses findet sich<br />
im Großen Gewächshaus<br />
in Kassel/Wilhelmshöhe,<br />
das 1822 errichtet <strong>und</strong><br />
1887 entsprechend umgebaut<br />
wurde.<br />
1 Nach der Gotik finden sich<br />
in den Orangeriebauten des<br />
18. Jahrh<strong>und</strong>erts die ersten<br />
aufgelösten Fassaden.<br />
33
Edinburgh<br />
RoyalBotanic Garden<br />
34
Das Glashaus – Ein Bautypus<br />
Edinburgh<br />
Palmenhäuser<br />
Literatur: Ruth-Maria Ullrich: Glas-Eisen-Architektur.<br />
Pflanzenhäuser des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, Worms<br />
1989<br />
Georg Kohlmaier/ Barna von Sartory:<br />
Das Glashaus. Ein Bautypus des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts,<br />
München 1981<br />
Die Beherrschung der Natur<br />
im Sinne einer wissenschaftlichen<br />
Kontrolle der<br />
Naturprozesse war Gr<strong>und</strong>lage<br />
der im 18./19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
neu entstehenden<br />
Industrien. Dieselbe Vorstellung<br />
stand hinter dem<br />
gleichzeitigen Bau großer<br />
Gewächshäuser, in denen<br />
die Zähmung der Natur anhand<br />
tropischer Pflanzen<br />
aus den Kolonien wie ein<br />
Kunstwerk vorgeführt wurde,<br />
für deren Anordnung<br />
<strong>und</strong> Zusammenstellung tatsächlich<br />
oft Gemälde als<br />
Vorlage dienten, so dass<br />
die Anpflanzungen wie ein<br />
langsam wachsendes Gemälde<br />
oder vergängliches<br />
Stilleben zu verstehen sind.<br />
Für die gesellschaftliche<br />
<strong>und</strong> historische Einordnung<br />
dieses Bautypus spielen<br />
mehrere Faktoren eine Rolle,<br />
die hier nur kurz angerissen<br />
werden können.<br />
Zum einen hatte die Zucht<br />
<strong>und</strong> Beobachtung der<br />
Pflanzen einen rein praktischen<br />
Hintergr<strong>und</strong>, nämlich<br />
die Eigenschaften der<br />
Pflanzen zu untersuchen<br />
<strong>und</strong> ihren Nutzwert zu ermitteln.<br />
Häufig gehörten<br />
deshalb botanische <strong>Institut</strong>e<br />
besonders zu den früheren<br />
Gewächshäusern.<br />
Unterhaltung <strong>und</strong> Pflege<br />
der Anlagen waren äußert<br />
kostspielig <strong>und</strong> stellten im<br />
19.Jahrh<strong>und</strong>ert einen enormen<br />
Luxus dar. Das industrielle<br />
Wachstum führte<br />
aber immer stärker zum<br />
Verlust der Natur im Umfeld<br />
des Menschen, die im vorindustriellen,<br />
bäuerlichen<br />
Leben noch direkter Bestandteil<br />
<strong>und</strong> damit nicht<br />
weiter bemerkenswert gewesen<br />
war. In den Städten<br />
wurde damals Grün an sich<br />
zur Mangelware. In dieser<br />
Welt voller Notwendigkeiten<br />
wuchs ein allgemeines<br />
Bedürfnis, das die Glashäuser<br />
befriedigten, indem<br />
sie eine „paradiesische“<br />
Welt konservierten.<br />
Im Gewächshaus werden,<br />
ähnlich wie in den großen<br />
Museen, die Meisterwerke<br />
der Natur in einem Besucherkatalog<br />
nach Titel <strong>und</strong><br />
Entstehungsort geordnet<br />
vorgestellt. Historische<br />
oder auf eine andere Weise<br />
weit von den eigenen<br />
Problemen entfernte Welten<br />
gehören zum Kulturbetrieb<br />
der bürgerlichen Gesellschaft<br />
<strong>und</strong> erfüllen<br />
gleichzeitig deren Bildungsanspruch.<br />
Die Natur als arrangiertes<br />
Produkt zu erleben, war<br />
35
Edinburgh<br />
Palmenhäuser<br />
36<br />
zunächst dem Adel <strong>und</strong> der<br />
Großbourgeoisie vorbehalten<br />
gewesen, die sich mit<br />
ihren Wintergärten private<br />
Rückzugsorte schufen.<br />
Das öffentliche Glashaus<br />
ist ein Vorläufer, wenn nicht<br />
sogar der Beginn der modernenVergnügungsindustrie,<br />
die einer breiten Masse<br />
gegen Eintrittsgeld Erholung,<br />
Abwechslung <strong>und</strong><br />
schließlich“Events“ bietet.<br />
Die Industrie erkannte das<br />
neue Bedürfnis schnell <strong>und</strong><br />
begann mit der Vermassung<br />
<strong>und</strong> damit Demokratisierung<br />
des Naturerlebnisses<br />
<strong>und</strong> mit der gelenkten<br />
Verwertung der Freizeit<br />
des Großstadtmenschen.<br />
Neben der reinen Pflanzenschau<br />
wurde das Glashaus<br />
Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
zum Zentrum der verschiedenstenVergnügungsarten;<br />
hier fanden Konzerte,<br />
Revuen <strong>und</strong> Theateraufführungen<br />
statt, es gab Cafés<br />
<strong>und</strong> Restaurants, Kunstsammlungen,<br />
Bibliotheken,<br />
Billiard, Tanzveranstaltungen<br />
<strong>und</strong> Feste. Die neuen,<br />
weitspannenden Glas-Eisen-Konstruktionenwiederum<br />
ermöglichten all diese<br />
wechselnden unterschiedlichen<br />
Nutzungen.<br />
Die ersten dieser Entertainment-Komplexeentstanden<br />
in London, einer der<br />
berühmtesten war der Jardin<br />
d’Hiver in Paris (1848).<br />
Die Pflanzenhäuser trugen<br />
damit auch dazu bei, die<br />
zunehmenden sozialen<br />
Spannungen in den Großstädten<br />
zu lockern; die mei-<br />
sten „Floren“ wurden etwa<br />
in Deutschland zur Zeit der<br />
Sozialistengesetze (1878)<br />
gebaut.<br />
Die Organisationsform des<br />
endlosen Weges, die Anordnung<br />
der Objekte vom<br />
kleinsten zum größten <strong>und</strong><br />
vom alltäglichsten zum<br />
ausgefallensten Gegenstand<br />
<strong>und</strong> die Konstruktion<br />
der alles umgebenden Hülle<br />
sind Elemente, die für die<br />
Weltausstellungen ab Mitte<br />
des Jahrh<strong>und</strong>erts von<br />
den Pflanzenhäusern übernommen<br />
wurden. Bei der<br />
Eröffnung des Kristallpalastes<br />
1851 beschrieben die<br />
Zeitungen ihn als „Riesengewächshaus,<br />
in dem nun<br />
die Waren der Welt ihre<br />
Augen aufschlagen“.<br />
Die Gewächshäuser waren<br />
das Hauptexperimentierfeld<br />
für die Glas-Eisen-Architektur,<br />
weil sie zunächst<br />
als reine Nutzbauten <strong>und</strong><br />
nicht für den Aufenthalt von<br />
Menschen vorgesehen waren.<br />
Ihre Konstruktions<strong>und</strong><br />
Raumformen mit dem<br />
reinen Ziel weitgespannter<br />
Glasflächen <strong>und</strong> Gewölbe<br />
konnten sich daher weitgehend<br />
unabhängig von den<br />
Bauvorschriften <strong>und</strong> auch<br />
den ästhetischen Prinzipien<br />
des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
entwickeln. Wegen der<br />
bautechnischen <strong>und</strong> bauphysikalischenAnforderungen,<br />
wurden sie von Anfang<br />
an dem Aufgabenbereich<br />
der Ingenieure zugeordnet.<br />
Anders als bei der parallelen<br />
Historismus-Architektur<br />
fand hier keine Trennung<br />
von Konstruktion <strong>und</strong> Ornament<br />
statt, so dass sich das<br />
Zusammenwirken des gesamten<br />
Aufbaus leicht erkennen<br />
<strong>und</strong> begreifen<br />
lässt. An den Gewächshausbauten<br />
wurde noch<br />
vor den Bahnhofshallen<br />
das neue Material Eisen in<br />
Fertigung <strong>und</strong> Konstruktion<br />
erprobt <strong>und</strong> Lösungen für<br />
die meisten technischen<br />
Probleme der Bauteilnormung<br />
<strong>und</strong> industriellen Serienfertigung<br />
gef<strong>und</strong>en.
Royal Scottish Museum<br />
Standort: Edinburgh<br />
Baujahr: 1864<br />
Bauherr: Stadt Edinburgh<br />
Architekt: Robert Matheson<br />
Ingenieur: Sir Francis Fowke<br />
Literatur: GiselherHartung: Eisenkonstruktionen des<br />
19. Jahrh<strong>und</strong>erts, Darmstadt 1983<br />
Nach dem Erfolg der Weltausstellung<br />
in London 1851<br />
entstanden in vielen größeren<br />
Städten naturk<strong>und</strong>lichtechnische<br />
Museen. Das<br />
Royal Scottish Museum<br />
wurde 1861 nach dem Vorbild<br />
des Britischen Museums<br />
in London von Robert<br />
Matheson, der wenige Jahre<br />
zuvor das Neue Palmenhaus<br />
im Botanischen Garten<br />
entworfen hatte, <strong>und</strong> Sir<br />
Francis Fowke, Ingenieur<br />
der britischen Armee, errichtet.<br />
Von seiner hohen<br />
viktorianischen Glashalle<br />
aus gelangt man auf 36<br />
Galerien. In den dahinterliegendenAusstellungsräumen<br />
werden Kunstgegenstände<br />
aus Asien <strong>und</strong> Afrika<br />
sowie <strong>Schottland</strong>s internationale<br />
Sammlung zu<br />
Natur-, Sozial- <strong>und</strong> Technikgeschichte,<br />
Geologie <strong>und</strong><br />
Zoologie gezeigt.<br />
Francis Fowke hatte 1859<br />
das Victoria and Albert Museum<br />
in London gebaut<br />
<strong>und</strong> war parallel zu seinem<br />
Edinburgher Projekt mit<br />
den Bauten für die zweite<br />
Londoner Weltausstellung<br />
1862 befaßt. Der Entwurf<br />
zur Royal Albert Hall<br />
stammt ebenfalls von Fowke,<br />
wurde aber erst nach<br />
dessen Tod umgesetzt.<br />
Edinburgh<br />
Royal Scottish Museum<br />
Fowkes Nachfolgebau des<br />
Chrystal Palace verbirgt die<br />
Eisenkonstruktion des Daches,<br />
der Säulen <strong>und</strong> Galerien<br />
hinter steinernen<br />
Fassaden, <strong>und</strong> zeugt damit,<br />
ähnlich wie Mathesons<br />
Palmenhaus, von der seit<br />
dem Chrystal Palace<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich veränderten<br />
Einstellung zu Eisenkonstruktionen.<br />
In diesem Sinne<br />
entstand folglich auch<br />
das Royal Museum, dessen<br />
konstruktiv klare, lichte<br />
Innenräume im Gegensatz<br />
zu den Sandsteinfassaden<br />
im italienischen Renaissancestil<br />
stehen.<br />
Der Einfluß des Chrystal<br />
Palace ist besonders in der<br />
Eingangshalle deutlich, wo<br />
schlanke, eiserne Stützen<br />
über drei Geschosse die<br />
umlaufenden Galerien <strong>und</strong><br />
halbkreisförmigen Bogenbinder<br />
des Daches tragen.<br />
Auf die Binder setzt ein<br />
glasgedecktes Satteldach<br />
auf. Die Bogenbinder sind<br />
aus Holz <strong>und</strong> wurden aus<br />
mehreren hochkant nebeneinanderstehenden<br />
kurzen<br />
Bohlen hergestellt, die untereinander<br />
verb<strong>und</strong>en<br />
sind. Dieses Prinzip wurde<br />
bereits im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
von Philibert Delorme entwickelt.<br />
37
Edinburgh<br />
Museum of Scotland<br />
38<br />
Gr<strong>und</strong>riss<br />
Museum of Scotland<br />
Standort: Edinburgh<br />
Baujahr: 1991 - 1994<br />
Architekt: Benson & Forsyth<br />
Quellen: Detail, 6/1991 nms.ac.uk<br />
Neben dem Royal Museum<br />
liegt das Museum of Scotland,<br />
das Exponate zur<br />
schottischen Geschichte<br />
zeigt. Benson & Forsyth<br />
gewannen 1991 den Wettbewerb<br />
für den Neubau. Ihr<br />
Entwurf greift schottische<br />
Bautraditionen von Burgen<br />
bis zu Mietshäusern <strong>und</strong><br />
lokale historische Materialien<br />
auf, die neu interpretiert<br />
werden sollen. Er setzt sich<br />
zusammen aus einer Galerie<br />
im Kern, einem zentralen<br />
Raum, betont durch einen<br />
r<strong>und</strong>en Eckturm. Die<br />
Außenwände sind mit Clashach<br />
Sandstein aus Morayshire<br />
verkleidet; für den<br />
Rahmen des Gebäudes<br />
wurde Beton (cathedral<br />
grade concrete) verbaut. Im<br />
Inneren wurden Kalkstein,<br />
Buchenholz <strong>und</strong> glatter<br />
Verputz verwendet.<br />
Vom Dach des Museums<br />
hat man einen R<strong>und</strong>blick<br />
auf den historischen <strong>und</strong><br />
architektonischen Kontext,<br />
in dem die Architekten das<br />
neue Gebäude sehen:<br />
Edinburgh Castle, Greyfriars<br />
Kirk, das Scott Monument,<br />
die Türme <strong>und</strong> Fialen<br />
der Stadt <strong>und</strong> schließlich<br />
den Firth of Forth <strong>und</strong> die<br />
Highlands.
Jack Kilby Centre<br />
Standort: Edinburgh<br />
Baujahr: 1999 - 2001<br />
Bauherr: Napier University<br />
Architekt: Richard Murphy Architects, Edinburgh<br />
Literatur: richardmurphyarchitects.com<br />
scottisharchitecture.com<br />
Das Jack Kilby Centre, benannt<br />
nach dem Erfinder<br />
des integrierten Schaltkreises,<br />
ist das neue Computer-<br />
Zentrum der Napier Universität.<br />
Es liegt innerhalb des<br />
Campus von Merchiston<br />
<strong>und</strong> ist stufenlos mit den bestehenden<br />
Gebäuden ringsum<br />
verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> bildet<br />
doch eine eigenständige visuelle<br />
Einheit. Durch einen<br />
separaten Eingang steht es<br />
Studenten 24 St<strong>und</strong>en täglich<br />
offen. Im Kilby Centre<br />
sind 500 Computer-Arbeitsplätze<br />
sowie zusätzlich benötigter<br />
Service-Raum untergebracht.<br />
Edinburgh<br />
Jack Kilby Centre<br />
Der Innenraum ist unterteilt<br />
in eine Matrix von 5 mal 4<br />
Buchten, in der Breite durch<br />
fünf parallele Tonnengewölbe<br />
<strong>und</strong> in der Länge durch<br />
einen in vier Stufen terrassierten<br />
Hang strukturiert.<br />
Dazwischen verläuft ein orthogonales<br />
Zirkulationsnetz<br />
aus vertieft liegenden Kanälen<br />
in einer Richtung <strong>und</strong><br />
Lichtgewölben in der anderen.<br />
Von einem Hauptarbeitsplatz<br />
für die Administratoren<br />
in der Mitte der Matrix<br />
sind alle Arbeitsplätze sowie<br />
die Eingänge zu übersehen.<br />
Das Ganze wird von Säulengruppen<br />
getragen. Die<br />
gesamte Komposition wird<br />
durch Licht aus versteckten<br />
Leuchten entlang den<br />
Dachkanten eingehüllt,<br />
auch entlang der Zugangsrampen.<br />
Die luftigen, lichtgefüllten<br />
Gewölbe <strong>und</strong> die<br />
Verwendung von indirektem<br />
natürlichem Licht zeichnen<br />
das Kilby Centre aus.<br />
Das Projekt wurde 2001 fertiggestellt<br />
<strong>und</strong> 2003 mit dem<br />
RIBA Award ausgezeichnet.<br />
39
Edinburgh-Glasgow<br />
Forth Rail Bridge<br />
40<br />
Firth of Forth Bridge<br />
Standort: <strong>Schottland</strong> (nahe Edinburgh)<br />
Baujahr: 1882 – 1889<br />
Bauherr: Forth Bridge Railway Company<br />
Ingenieure: Sir John Fowler, Sir Benjamin Baker<br />
Literatur: Arnold Koerte: Zwei Eisenbahnbrücken einer<br />
Epoche, Firth of Forth / Firth of Tay, Berlin 1992<br />
Axel Menges (Hrg): John Fowler, Benjamin Baker,<br />
Forh Bridge, Stuttgart 1997<br />
Inken Heeb: Der Stolz <strong>Schottland</strong>s,<br />
in: Das Thyssen Krupp Magazin 2/2003<br />
Lage/Vorgeschichte<br />
Die Firth of Forth Bridge<br />
spannt über den nördlich<br />
von Edinburgh gelegenen<br />
Meeresarm des Flusses<br />
Forth. Das Wort Firth ist<br />
sprachverwandt mit dem<br />
norwegischen Fjord <strong>und</strong><br />
bezeichnet eine Flussmündung,<br />
die sich zu einem<br />
Ausläufer des Meeres inklusive<br />
Tidenhub aus Gezeiten<br />
verbreitert. Bis zur<br />
Fertigstellung der Brücke<br />
im Jahre 1889 war das gegenüberliegende<br />
Ufer nur<br />
mithilfe von Fähren zu erreichen<br />
oder es musste ein<br />
großer Umweg in Kauf genommen<br />
werden. Erste<br />
Planungen zur Überbrükkung<br />
oder sogar Untertunnelung<br />
kamen Anfang des<br />
19.Jhd. auf. 1818 stellte<br />
James Anderson seinen<br />
Entwurf für eine Schrägseiloder<br />
Kettenhängebrücke<br />
vor, für die er als Standort<br />
die einzige Verengung des<br />
Firth auf eine Meile wählte.<br />
Zusätzlich bot sich diese<br />
Stelle an da mittig eine kleine<br />
Felseninsel, genannt<br />
Inchgarvie, liegt, die als<br />
Mittelauflager genutzt werden<br />
konnte. Dieser Entwurf<br />
bildete die Gr<strong>und</strong>lage für<br />
spätere Brückenplanungen.<br />
Mit Beginn des Eisenbahnzeitalters<br />
wurde auch<br />
in Edinburgh der Ruf nach<br />
einer Überbrückung des<br />
Forth immer lauter <strong>und</strong> Mitte<br />
der 70er des 19.Jhd.<br />
wurde Sir Thomas Bouch,<br />
der bereits die Eisenbahnbrücke<br />
über den Tay baute,<br />
durch die Forth Bridge<br />
Railway Company, bestehend<br />
aus vier Eisenbahngesellschaften,<br />
beauftragt,<br />
den Firth of Forth zu überbrücken.<br />
Am 30. September<br />
1878 war die Gr<strong>und</strong>steinlegung<br />
der Hängebrücke<br />
von Bouch über den<br />
Forth. Nachdem bei einem<br />
Sturm am 28. Dezember<br />
1879 die Tay-Bridge samt<br />
darüberfahrenden Zug einstürzte,<br />
wurde der Bau sofort<br />
gestoppt. Diese Katastrophe<br />
erschütterte das<br />
Vertrauen in den englischen<br />
Ingenieursbau, denn<br />
bei der Untersuchung zeigten<br />
sich Planungs- <strong>und</strong><br />
Konstruktionsfehler. Mit der<br />
weiteren Planung wurden<br />
die Ingenieure Sir John<br />
Fowler <strong>und</strong> Benjamin Baker<br />
unter hohen Sicherheitsauflagen<br />
beauftragt.
Entwurf Auslegerbrücke<br />
Die neue Brücke sollte der<br />
Bevölkerung den Eindruck<br />
von Sicherheit vermitteln.<br />
Die Möglichkeit einer Hängebrücke<br />
schloss man wegen<br />
der geringen Steifigkeit<br />
gegen Windlasten gerade<br />
im Hinblick auf das „Tay-<br />
Bridge-Desaster“ aus. Eine<br />
Bogenkonstruktion als Alternative<br />
würde aufgr<strong>und</strong><br />
der großen Spannweite gewaltige<br />
Schubkräfte in den<br />
Auflagern erzeugen, was<br />
nur unter großem technischen<br />
Aufwand möglich gewesen<br />
wäre. Man entschied<br />
sich daher für eine<br />
Ausleger- oder Kragarmbrücke<br />
als die beste <strong>und</strong><br />
billigste Lösung.<br />
System Auslegerbrücke<br />
Im Prinzip ist dieser Brükkentyp<br />
sehr alt, doch während<br />
in Deutschland der<br />
Begriff „Durchlaufträger“<br />
oder „Gerberträger“ schon<br />
länger bekannt war <strong>und</strong> in<br />
England schlicht „continuous<br />
girder“ hieß, hielten<br />
viele die Umbenennung in<br />
Ausleger <strong>und</strong> Mittelträger<br />
für eine moderne Erfindung.<br />
Edinburgh-Glasgow<br />
Forth Rail Bridge<br />
Besonders Benjamin Baker<br />
wurde oft über den neuartigen<br />
Gebrauch von Kragarmen<br />
befragt <strong>und</strong> pflegte<br />
dann zu erwidern, es sei<br />
nichts anderes als ein<br />
„bracket“ – nämlich ein<br />
Kragstein oder eine Konsole,<br />
wie bei einem ganz normalen<br />
Balkon oder Wandbrett.<br />
1855 gab Barton in<br />
einer Abhandlung über den<br />
Boyne Viadukt den entscheidenden<br />
Hinweis, dass<br />
die Punkte der Kräfteumkehr<br />
so gewählt werden<br />
können, dass sie mit jedwedem<br />
vorher festgelegten<br />
Punkt der Trägertrennung<br />
zusammenfallen: „Bei großen<br />
Spannweiten, wo es<br />
entscheidend sein kann,<br />
das Gewicht in der Mitte<br />
des Trägers soweit als<br />
möglich zu verringen, kann<br />
man die Materialmenge in<br />
den Ober- <strong>und</strong> Untergurten<br />
auf ein Minimum reduzieren,<br />
indem man die Punkte<br />
der Kräfteumkehr zur Mitte<br />
des Trägers hin verschiebt,<br />
so dass die große Masse<br />
des Gewichts auf den Stützen<br />
zu ruhen kommt.“ Zusätzlich<br />
bietet diese Variante<br />
eine Verringerung der<br />
Angriffsfläche für Windlasten<br />
am Kragarmende, wo<br />
den größten Hebelarm zu<br />
den Auflagern haben. Dass<br />
3/4 des Gesamtgewichts<br />
über den Auflagern steht,<br />
erhöht weiter die Sicherheit<br />
gegen negative (abhebende)<br />
Auflagerreaktionen, da<br />
die Auflgerplatten nicht in<br />
den F<strong>und</strong>amenten verankert<br />
sind.<br />
41
Edinburgh-Glasgow<br />
Forth Rail Bridge<br />
42<br />
Konstruktion/Tragwerk<br />
Die Konstruktion der Forth<br />
Bridge besteht aus drei<br />
Doppelauslegern (Kragträgern)<br />
<strong>und</strong> zwei eingehängten<br />
Mittelträgern. Dazu<br />
kommen die Auffahrtsviadukte<br />
mit 10 Trägerfeldern<br />
im Süden <strong>und</strong> fünf im Norden,<br />
so daß sich eine Gesamtlänge<br />
von 2468m mit<br />
zwei maximalen Spannweiten<br />
von 521m ergibt. Jeder<br />
Auslegerträger besteht aus<br />
einem Mittelturm, von dem<br />
sich die Kragarme zur Feldmitte<br />
vertikal wie auch horizontal<br />
verjüngen. Aufgelagert<br />
ist der Mittelturm auf je<br />
vier kreisr<strong>und</strong>en Mauerwerkspfeilern.<br />
Die beiden<br />
äußeren Auslegerenden<br />
sind jeweils zusätzlich gehalten<br />
durch die großen<br />
Steinpfeiler der Viadukte.<br />
Diese sind mit jeweils 1000t<br />
Eisenschrott beschwert,<br />
um ein Abheben des Trägerendes<br />
bei unsymmetrischen<br />
Lasten zu vermeiden.<br />
Der mittlere Auslegerturm<br />
steht frei, dafür haben<br />
die F<strong>und</strong>amente einen größeren<br />
Abstand zueinander,<br />
um mehr Sicherheit gegen<br />
abhebende Auflagerreaktionen<br />
bei Belastung des<br />
freien Kragarmendes zu<br />
erhalten. Die Gesamtlänge<br />
der Brücke ohne Viadukte<br />
beträgt 1625m (5330ft) <strong>und</strong><br />
setzt sich zusammen aus<br />
dem Mittelturm auf Inchgarvie<br />
mit 79m (260ft), den beiden<br />
Ufertürmen zu je 44m<br />
(145ft), zwei Mittelträgern<br />
mit jeweils 107m (350ft)<br />
<strong>und</strong> sechs Auslegern mit<br />
jeweils 207m (680ft). Der<br />
Eisenbahnviadukt läuft auf<br />
einer eigenen Brückenkonstruktion<br />
durch die drei<br />
Doppelausleger hindurch.<br />
Auf den Mauerwerkssokkeln<br />
können keine Zugkräfte<br />
übertragen werden, weshalb<br />
das Eigengewicht<br />
über den Türmen, die insgesamt<br />
104m hoch sind<br />
<strong>und</strong> sich nach oben hin von<br />
36,5m auf 10m verjüngen,<br />
konzentriert angeordnet<br />
wurde, um negative Auflagerreaktionen<br />
zu überdrükken;<br />
nur jeweils einer der<br />
vier Pfeilerfüße der drei<br />
Pfeilertürme ist festverankert,<br />
die anderen sind im<br />
begrenzten Maße beweglich,<br />
um auf Dehnungen<br />
bzw. Verdrehungen durch<br />
Sonneneinstrahlung oder<br />
Wind, der nur partiell wirkt,<br />
zu reagieren. Die Hauptdruckglieder<br />
sind Stahlrohre<br />
mit bis zu einem Durchmesser<br />
von 3,65m. Auffällig<br />
ist, dass die Untergurte<br />
der Ausleger nicht kontinuierlich<br />
gekrümmt sind, sondern<br />
polygonal mit einem<br />
leichten Knick von Feld zu<br />
Feld laufen, anders hätte<br />
jede einzelne Stahlplatte in<br />
zwei Richtungen gebogen<br />
werden müssen, was bei<br />
einem abnehmenden<br />
Querschnitt von 3,66m auf<br />
1,98m damals sehr schwierig<br />
<strong>und</strong> teuer herzustellen<br />
gewesen wäre.
Windversuche<br />
Gerade die Erfahrung mit<br />
dem Einsturz der Tay-Bridge<br />
hatte gelehrt, den Winddruck<br />
ernst zu nehmen.<br />
Das Board of Trade hatte<br />
die zulässige Windbelastung<br />
auf 270 kg/m²<br />
(2,7KN/m²) festgelegt,<br />
Messungen auf der Burg<br />
Inchgarvie ergaben eine<br />
maximale Windbelastung<br />
von 1,3 – 2,0KN/m². Die<br />
dürftigen Kenntnisse über<br />
den wirklichen Effekt von<br />
Winddruck auf ebene oder<br />
gekrümmte Flächen veranlassten<br />
Baker zu einer Reihe<br />
bemerkenswerter Versuche:<br />
Wegen der Schwierigkeit<br />
bei wechselnder Geschwindigkeit<br />
<strong>und</strong> Richtung<br />
mit Modellen exakte Resultate<br />
zu bekommen, drehte<br />
Baker den Spieß einfach<br />
um, indem er den Wind stationär<br />
sein ließ <strong>und</strong> das<br />
Modell beweglich machte.<br />
Dieser Versuchsapparat<br />
bestand aus einem leichten<br />
Holzstab, der in der Mitte<br />
an einer Schnur von der<br />
Decke hing <strong>und</strong> sich waagerecht<br />
ausbalancierte. An<br />
einem Ende des Stabes<br />
befestigte Baker ein Pappmodell<br />
der zu testenden<br />
Oberflächenform, ans andere<br />
Ende setzte er ein<br />
Pappschild in gleicher paralleler<br />
Ausrichtung <strong>und</strong> mit<br />
demselben Gewicht. Dieses<br />
Schild konnte in seiner<br />
Größe verändert werden.<br />
Läßt man nun das Modell<br />
schwingen, bleibt der Stab<br />
nur dann in seiner waagerechten<br />
Lage, wenn Modell<br />
<strong>und</strong> Pappschild die gleiche<br />
Oberfläche haben. So ließ<br />
sich die effektive Winddruckfläche<br />
ermitteln.<br />
Bauablauf<br />
Edinburgh-Glasgow<br />
Forth Rail Bridge<br />
Mit dem Bau der Firth of<br />
Forth Brücke entstand für<br />
die damals größte Baustelle<br />
der Welt eine ganze Arbeitersiedlung<br />
mit über 100<br />
Baracken, Steinhäusern,<br />
Kantinen, Leseräumen,<br />
Meßstationen, großen<br />
Werkstätten <strong>und</strong> einer großen<br />
Halle, in der Brückenbauteile<br />
vorgefertigt werden<br />
konnten. Weiterhin<br />
wurden die Arbeiter, ihre<br />
Zahl erreichte 4600, in den<br />
umliegenden Dörfern untergebracht.<br />
Zum Transport<br />
der Arbeiter zu ihrer Schicht<br />
auf den Pfeilertürmen wurde<br />
ein eigener Raddampfer<br />
mit 450 Sitzplätzen gebaut,<br />
dazu kamen unzählige<br />
kleiner Boote inklusive<br />
von Ruderrettungsbooten,<br />
die permanent unter der<br />
Brücke waren, um abstürzende<br />
Arbeiter zu bergen.<br />
So konnten immerhin über<br />
die Bauzeit 8 Menschenleben<br />
gerettet werden. Dennoch<br />
waren die Arbeitsbedingungen<br />
nicht leicht, eine<br />
Schicht dauerte 12 St<strong>und</strong>en,<br />
es wurde auch nachts<br />
bei geringer Ausleuchtung<br />
gearbeitet <strong>und</strong> hinzu kamen<br />
Gefahren durch Wind,<br />
die starke Strömung, Regen<br />
<strong>und</strong> Nebel. Am Ende<br />
hatte man 57 Menschenleben<br />
zu beklagen. Für die<br />
Unterwasserarbeiten an<br />
den Pfeilerf<strong>und</strong>amenten<br />
wurden Senkkästen, sogenannte<br />
Caissons, benutzt,<br />
innerhalb derer unter Ausschluß<br />
des Wassers bei<br />
Überdruck gearbeitet <strong>und</strong><br />
aufbetoniert wurde. Um<br />
Hilfsgerüste zu sparen,<br />
wurden die Träger der Anfahrtsviadukte<br />
erst gebaut<br />
<strong>und</strong> dann durch Aufmauern<br />
der Pfeilertürme in Position<br />
gebracht. Auf den Ober<strong>und</strong><br />
Untergurten waren<br />
Kräne angebracht, die mit<br />
Bauablauf auf der Konstruktion<br />
mitwanderten.<br />
Gebaut wurde im freien<br />
Vorbau, d.h. jedes Bauteil<br />
war nach seiner Montage<br />
gleich Arbeitsbühne für das<br />
nächste. Die Brücke war<br />
somit ihr eigenes Gerüst.<br />
43
Edinburgh-Glasgow<br />
Forth Rail Bridge<br />
44<br />
So konnten die Kosten für<br />
damals übliche aufwendige<br />
Hilfskonstruktionen minimiert<br />
werden. Bei den<br />
Kragträgern wurden zuerst<br />
die Türme <strong>und</strong> dann beidseitig<br />
die Ausleger hergestellt,<br />
damit das System<br />
weiterhin im Gleichgewicht<br />
blieb. Bei so großen Stahlspannweiten<br />
gab es große<br />
Schwierigkeiten mit Verformungen<br />
des Stahls teils<br />
durch sein gewaltiges Eigengewicht<br />
teils durch die<br />
Einstrahlung der Sonne,<br />
weshalb diese Verformungen<br />
permanent korrigiert<br />
werden mussten. Während<br />
der ganzen Bauzeit überwachten<br />
Fowler <strong>und</strong> Baker<br />
persönlich alle Arbeiten,<br />
Fowler verantwortlich für<br />
die Mauerwerks-Viadukte<br />
<strong>und</strong> Baker für den eigentlichen<br />
Brücken-Oberbau.<br />
Abgeschlossen wurde der<br />
Brückenbau mit der Belastungsprobe<br />
der Brücke<br />
durch zwei vollbeladene<br />
Kohlezüge in der ungünstigsten<br />
Laststellung am<br />
Kragarmende des mittleren<br />
Auslegers.<br />
Sir Benjamin Baker<br />
Die Erbauer<br />
Sir John Fowler (1817-<br />
1898) war zum Zeitpunkt<br />
der Forth Bridge bereits ein<br />
gestandener Praktiker des<br />
Eisenbahnbaus in England.<br />
Er entstammte noch einer<br />
Zeit, in der neue Erkenntnisse<br />
weniger aus der<br />
Theorie als aus praktischen<br />
Erfahrungen kamen <strong>und</strong><br />
jeder Schritt ein eigenes<br />
Experiment im Maßstab 1:1<br />
bedeutete, es gab noch<br />
keine „textbook examples“.<br />
Sir Benjamin Baker (1840-<br />
1907) war eher einer der<br />
jungen Theoretiker des sich<br />
zur Wissenschaft entwikkelnden<br />
Ingenieurwesen<br />
des Brückenbaus. Mehr als<br />
20 Jahre jünger kam Baker<br />
1862 zu Fowler’s Büro <strong>und</strong><br />
wurde 1875 sein Partner,<br />
eine fruchtbare Zusammenarbeit,<br />
die bis zu<br />
Fowler’s Tod 1898 dauern<br />
sollte. Baker wurde mit Einweihung<br />
der Forth Bridge<br />
im Jahr 1890 durch den<br />
Prince of Wales geadelt,<br />
nachdem Fowler bereits im<br />
Jahr 1885 in den Adelsstand<br />
erhoben worden war.<br />
Sir John Fowler
Neues Material Stahl<br />
Zur Bauzeit der Brücke war<br />
die Stahlherstellung noch<br />
eine ganz junge Technik.<br />
Man konnte zwar auf einige<br />
Erfahrung mit Gusseisen<br />
zurückgreifen, doch genauere<br />
Werte hatte man für<br />
Stahl noch nicht. Auch der<br />
Board of Trade hatte noch<br />
keine genaueren Bestimmungen.<br />
Deshalb führte<br />
man lange Testreihen durch<br />
zur Festlegung der Stahlgüte.<br />
Man setzte die Werte für<br />
die Bruchfestigkeit wie folgt<br />
fest: bei Zug 4650kg/cm²<br />
(46,5KN/cm²), bei Druck<br />
5270kg/cm² (52,7KN/cm²)<br />
<strong>und</strong> bei wechselnder Belastung<br />
3100kg/cm² (31KN/<br />
cm²). Damit liegt der damalige<br />
Stahl zwischen den heutigen<br />
Baustählen ST37<br />
(Zugfestigkeit 37KN/cm²)<br />
<strong>und</strong> ST52 (52KN/cm²). Man<br />
konnte also durchaus Stahl<br />
von guter Qualität herstellen,<br />
wobei der damalige<br />
Stahl deutlich mehr Verunreinigungen<br />
aufzuweisen<br />
hatte. Damit besiegelte die<br />
Forth Bridge das Ende der<br />
Gusseisen-Zeit, zum Vergleich:<br />
Der damalige Stahl<br />
hatte eine 1,5mal größere<br />
Zugfestigkeit als Gusseisen,<br />
das zudem noch schwerer<br />
war.<br />
Die Brücke heute<br />
Edinburgh-Glasgow<br />
Forth Rail Bridge<br />
Seit 1999 wird die Forth<br />
Bridge auf Schwachstellen<br />
aufwändig geprüft <strong>und</strong> restauriert,<br />
wobei als Auflage<br />
die völlige Nichtbehinderung<br />
des Güter- <strong>und</strong> Personenverkehrs,<br />
der alle<br />
10min über die Brücke<br />
fährt, im Vordergr<strong>und</strong><br />
stand. Zur Wiederertüchtigung<br />
gehört auch eine völlige<br />
Neubeschichtung der<br />
Brücke, keine leichte Aufgabe<br />
bei 280.000m² Stahloberfläche,<br />
50.000t Stahl<br />
<strong>und</strong> 8 Millionen Nieten.<br />
Dabei wird die alte Beschichtung<br />
abgetragen,<br />
das jeweilige Stahlprofil auf<br />
Schwachstellen wie Rost<br />
geprüft, eventuell ersetzt<br />
<strong>und</strong> neugestrichen. Auch<br />
das Innere der hohlen<br />
Stahlrohre muß einer Prüfung<br />
unterzogen werden,<br />
was einige Schwierigkeiten<br />
mit sich bringt, da sich in<br />
den letzten 100 Jahren einiges<br />
an Getier hier angesiedelt<br />
hat <strong>und</strong> die dicke<br />
Kotschicht der durch die<br />
hölzernen Einstiegsluken<br />
eingedrungenen Tauben<br />
bakteriell ausgesprochen<br />
hoch belastet ist. Auch hier<br />
kann die Arbeit nur mit Sicherheitsbekleidungverrichtet<br />
werden.<br />
45
Edinburgh-Glasgow<br />
Falkirk Wheel<br />
46<br />
Schiffshebewerk Falkirk Wheel<br />
Standort: Falkirk<br />
Baujahr: 1999 - 2002<br />
Bauherr: British Waterways Scotland<br />
Architekt: RMJM Scotland Ltd., Glasgow<br />
Ingenieur: Ove Arup Scotland, Edinburgh<br />
Literatur: Bauwelt, 22/2003<br />
New Civil Engineering Magazine, 4/2002<br />
Structural Engineering, 4/2003<br />
The architectural review, 4/2000<br />
thefalkirkwheel.co.uk<br />
Die Wiedereröffnung des<br />
Kanalsystems (eröffnet<br />
1773) zwischen Forth, Clyde<br />
<strong>und</strong> Union Canal war<br />
eines der schottischen<br />
Bauvorhaben zum Jahrtausendwechsel.<br />
Während er<br />
heute größtenteils von Freizeitschiffern<br />
genutzt wird,<br />
war der Forth-Clyde-Canal<br />
im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert die industrielle<br />
Ader <strong>Schottland</strong>s.<br />
Die Kanäle, von Thomas<br />
Telford konstruiert, waren 6<br />
m breit <strong>und</strong> 1,5 m tief <strong>und</strong><br />
mit ihren Brücken <strong>und</strong> Viadukten<br />
Ausdruck des industriellen<br />
Fortschritts. Der<br />
Niedergang der Schwerindustrie<br />
<strong>und</strong> die Verlagerung<br />
des Lastentransports auf<br />
die Straße führten 1950 zur<br />
Einstellung des kommerziellen<br />
Wasserverkehrs. Das<br />
Kanalsytem verfiel, in den<br />
1960ern wurden für den<br />
Straßenbau so massive<br />
Eingriffe vorgenommen,<br />
dass weite Teile des Systems<br />
zu toten Wasserarmen<br />
wurden. British Waterways<br />
schrieb 1994 – nicht<br />
uneigennützig – einen<br />
Wettbewerb für das Millennium<br />
Link Canal Projekt<br />
aus, um den Union Canal<br />
mit dem 35 m tieferen<br />
Forth-Clyde-Canal durch<br />
ein möglichst spektakuläres<br />
Schiffshebewerk (mit<br />
Besucherzentrum) zu verbinden<br />
<strong>und</strong> damit den aufkommendenWassertourismus<br />
weiter anzukurbeln.<br />
Dieser Höhenunterschied<br />
war bis in die 1930er Jahre<br />
durch eine Folge von<br />
Schleusenbecken aus dem<br />
19.Jh. überw<strong>und</strong>en worden.<br />
Da Kanalurlauber nicht mit<br />
großen Yachten unterwegs<br />
sind, sondern alte, umgebaute<br />
Frachtkähne benutzen,<br />
mußten weder die<br />
Fahrrinnen vertieft noch<br />
neue Schleusen gebaut<br />
werden. Das gesamte Projekt<br />
verschlang dennoch<br />
eine Summe von 84,5 Millionen<br />
Pf<strong>und</strong> (davon nur 4<br />
Millionen für das Schiffshebewerk),<br />
weil über den Kanalverlauf<br />
32 Hindernisse<br />
beseitigt werden mußten;<br />
so wurden Brücken erhöht,<br />
eine Autobahn unterführt<br />
<strong>und</strong> seit 1960 errichtete<br />
Gebäude abgerissen. Zur<br />
Anbindung des neuen Hebewerks<br />
mußte ein 2 km<br />
langer Kanalabschnitt zu<br />
dem ehemaligen Steinbruch<br />
mit Baggersee bei<br />
Falkirk gelegt werden, der<br />
als Standort vorgesehen<br />
war. Außerdem waren hier<br />
ein Wendebecken, ein Viadukt<br />
<strong>und</strong> zwei neue Schleusen<br />
erforderlich, um die Eisenbahnlinie<br />
Edinburgh-<br />
Glasgow sowie den Antonine<br />
Wall unbeschadet zu<br />
überwinden.<br />
Aus dem Wettbewerb gingen<br />
Nicoll Russel Studios,<br />
D<strong>und</strong>ee, als Sieger hervor,<br />
deren schiffschaukelartiger<br />
Entwurf allerdings in der<br />
Ausschreibungsphase<br />
scheiterte. Infolgedessen<br />
veranlaßte British Waterways<br />
die Bildung eines<br />
Konsortiums, das aus den<br />
Architekten des Glasgower<br />
Büros RMJM, den Ingenieuren<br />
von Ove Arup Scotland<br />
<strong>und</strong> einer Baufirma<br />
bestand. Tony Kettle von<br />
RMJM arbeitete den Entwurf<br />
für ein rotierendes<br />
Schiffshebewerk, das die<br />
Schiffe wie in einem Riesenrad<br />
befördert, weiter<br />
aus, um das technisch sowie<br />
ästhetisch Wesentliche
in den Vordergr<strong>und</strong> zu stellen.<br />
Er inszenierte die Technik<br />
mit großen Zahnrädern,<br />
langsamen Bewegungsabläufen<br />
<strong>und</strong> nachvollziehbarer<br />
Mechanik.<br />
Das Falkirk Wheel funktioniert<br />
nach dem Prinzip einer<br />
Wippe. Zwei gleichschwere<br />
Wassertröge werden<br />
in gleichem Abstand zu<br />
einer Achse beweglich aufgehängt<br />
<strong>und</strong> mithilfe von<br />
Zahnrädern fixiert. Trotz<br />
Rotation behalten sie wie<br />
die Gondeln eines Riesenrads<br />
ihre horizontale Lage<br />
also unverändert bei. Boote,<br />
die in den oberen Trog<br />
fahren, werden zusammen<br />
mit dem Wasser, das mit<br />
ihnen hineinfließt, zum unteren<br />
Becken abgesenkt.<br />
Gleichzeitig hebt der andere<br />
Trog ein entsprechendes<br />
Gewicht an. Nach dem ar-<br />
Edinburgh-Glasgow<br />
Falkirk Wheel<br />
chimedischen Prinzip verdrängt<br />
die Masse eines in<br />
Flüssigkeit eingetauchten<br />
Körpers eine genau proportionale<br />
Wassermenge, so<br />
dass die Masse von Boot<br />
<strong>und</strong> Wasser wieder der<br />
Ausgangsmasse entspricht,<br />
die Tröge also im<br />
Gleichgewicht bleiben. Das<br />
System braucht nun nur<br />
noch geringe Energiezufuhr,<br />
um sich in Bewegung<br />
zu setzen. So kann das 35<br />
m hohe Falkirk Wheel in 8<br />
Minuten von zehn hydraulischen<br />
Elektromotoren in<br />
der zentralen Achse mit je<br />
7kW um 180 Grad gedreht<br />
werden; dieser Strombedarf<br />
entspricht ungefähr<br />
dem von acht Toastern.<br />
Jeder Trog ist 35 m lang<br />
<strong>und</strong> kann zwei Boote aufnehmen.<br />
Die gefüllten Tröge<br />
wiegen 600 t. Sie stellen<br />
nicht nur eine sehr große,<br />
sondern auch ständig<br />
wechselnde Belastung besonders<br />
der Kurbelwelle<br />
während der Drehbewegung<br />
dar. Normal verschweißteStahlverbindungen<br />
würden durch diese<br />
Belastung schnell ermüden.<br />
Deshalb wurden die<br />
Stahlelemente mit mehr als<br />
15000 Bolzen verb<strong>und</strong>en,<br />
um das System robuster zu<br />
machen. Alle Bolzen mußten<br />
von Hand angezogen<br />
werden. Die Tröge laufen<br />
auf Rädern, die in eine einzige<br />
gebogene Schiene am<br />
inneren Rand der Öffnung<br />
jedes Arms passen. Weil<br />
trotzdem jeder Bruch <strong>und</strong><br />
jede plötzliche Bewegung<br />
47
Edinburgh-Glasgow<br />
Falkirk Wheel<br />
48<br />
die Gondel einklemmen<br />
oder zum Kippen bringen<br />
könnte, werden sie zusätzlich<br />
durch ein System von<br />
ineinandergreifenden<br />
Zahnrädern gesichert.<br />
Über die äußeren Zahnräder<br />
werden die Tröge also<br />
mit gleicher Geschwindigkeit<br />
aber entgegengesetzt<br />
zur Gesamtdrehbewegung<br />
des Wheels bewegt.<br />
Die Lösung für diese Konstruktion<br />
stammt, nach Angaben<br />
Kettles, aus dem<br />
Lego-Bausatz seiner Kinder.<br />
Ideen, ein Rad zum<br />
Befördern von Schiffen einzusetzen,<br />
kamen aber bereits<br />
im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
auf, ohne allerdings jemals<br />
zuvor umgesetzt worden zu<br />
sein. Mit der äußeren<br />
Formgebung des Falkirk<br />
Wheel wollen die Architekten<br />
vielerlei Bilder hervorrufen,<br />
die von keltischen<br />
Speeren über Schiffspropeller<br />
der alten Clydewerften<br />
zum Gerippe eines<br />
Wales reichen, <strong>und</strong> das<br />
Kanalsystem als verbindendes<br />
„Rückrad“ <strong>Schottland</strong>s<br />
ins Bewußtsein bringen<br />
sollen. Die Relation der<br />
großen Skulptur zu ihrer<br />
Umgebung wird verständ-<br />
licherweise erst aus einiger<br />
Entfernung deutlich. Assoziationen<br />
zu Ölförderanlagen<br />
<strong>und</strong> vielleicht auch zu<br />
keltischen Schlachtäxten<br />
sind wohl ebenfalls beabsichtigt,<br />
denn einige Formelemente<br />
wie die großen<br />
Finnen dort, wo die Tröge<br />
im Kreis auf Eisenbahnschienen<br />
laufen, haben<br />
rein optische Funktion, wie<br />
hier, das Drehmoment zu<br />
verdeutlichen. Gleiches gilt<br />
für die halbkreisförmigen<br />
Abschlüsse auf dem Viadukt,<br />
auf dem die Schiffe zu<br />
den Trögen fahren; sie<br />
konnten aus Kostengründen<br />
nicht aus Stahlbeton<br />
hergestellt werden <strong>und</strong><br />
wurden deshalb aus Fiberglas<br />
nachgebildet. Für den<br />
Reisenden im Boot verstärken<br />
sie das Gefühl, sich in<br />
einem Tunnel zu bewegen,<br />
der quasi in der Luft endet.<br />
Das Gefühl, in den Horizont<br />
zu fahren, soll ganz bewußt<br />
unterstützt werden.<br />
Die Einzelteile des Falkirk<br />
Wheel aus insgesamt<br />
1200t Stahl wurden in Derbyshire<br />
hergestellt <strong>und</strong> mit<br />
35 Lkw – auf der Straße –<br />
nach <strong>Schottland</strong> transportiert.
Charles Rennie Mackintosh <strong>und</strong> Glasgow:<br />
Zwischen Jugendstil <strong>und</strong> Moderne<br />
Quellen: Jean-Claude Garcias: Charles Rennie Mackintosh,<br />
Basel 1989<br />
Vittorio Magnago Lampugnani (Hrsg.): Lexikon der<br />
Architektur des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts, Stuttgart 1983<br />
Baxter: About Charles Rennie Macktintosh;<br />
www.baxtersjewellers.com/mackintosh.html<br />
Hans <strong>und</strong> Ria Van Kessel:<br />
The Artist’s Cottage by Ch. R. Macktintosh, 2000,<br />
www.cwis.com/mackintosh/the architect.htm<br />
Thomas Howarth: The Internal Reality of Buildings,<br />
in: Patrick Nuttgens (Hg.): Mackintosh and his<br />
contemporaries in Europe and America, London 1988<br />
Charles Rennie Mackintosh<br />
(geboren 1868 in Glasgow,<br />
gestorben 1928 in London)<br />
gilt als bekanntester Architekt<br />
des schottischen Jugendstils.<br />
Die Gruppe um<br />
Mackintosh war in Glasgow<br />
bekannt unter der Bezeichnung<br />
The Four, nämlich<br />
Mackintosh selbst, seine<br />
Frau, die Innenarchitektin<br />
Margaret MacDonald, sein<br />
Fre<strong>und</strong>, der Architekt Herbert<br />
McNair sowie dessen<br />
Frau, Margarets Schwester<br />
Frances, ebenfalls Innenarchitektin.<br />
Dass die Arbeiten<br />
dieser kleine Gruppe den<br />
Glasgow Style ausmacht,<br />
zeigt, wie sehr sie mit Glasgow<br />
verknüpft ist. Obwohl<br />
Mackintosh zu Lebzeiten<br />
schnell internationale Anerkennung<br />
als Innenarchitekt<br />
<strong>und</strong> Möbeldesigner erwarb,<br />
sind seine Bauten auf Glasgow<br />
<strong>und</strong> Umgebung beschränkt,<br />
<strong>und</strong> als er 1914<br />
Glasgow verließ, hieß es,<br />
er habe seinen Zenit als<br />
Architekt ohnehin bereits<br />
überschritten. Wie Mackintoshs<br />
Werk heute das<br />
Image Glasgows prägt, so<br />
wurde umgekehrt Mackintoshs<br />
Arbeit vom Glasgow<br />
seiner Zeit geprägt.<br />
Glasgow<br />
Mackintosh<br />
Als eines von 11 Kindern<br />
eines Glasgower Polizeibeamten<br />
wuchs er räumlich<br />
sehr beengt auf. Zudem<br />
war er von klein auf kränklich<br />
<strong>und</strong> litt an einer Gehbehinderung,<br />
weshalb ihm<br />
viel Bewegung an frischer<br />
Luft verordnet wurde. Bei<br />
seinen zahlreichen Ausflügen<br />
begann er zu zeichnen.<br />
Gegen den Willen der Eltern<br />
bewarb er sich im Alter<br />
von 15 Jahren an der<br />
Glasgow School of Art <strong>und</strong><br />
begann ein Jahr später bei<br />
dem Glasgower Architekten<br />
John Hutchieson eine<br />
Lehre. Zehn Jahre lang studierte<br />
<strong>und</strong> arbeitete er<br />
gleichzeitig. Finanzieren<br />
konnte er sich vor allem<br />
über zahlreiche Preise, die<br />
er von Beginn des Studiums<br />
an gewann <strong>und</strong> ab<br />
1885 über ein Stipendium.<br />
Seine Bauten für öffentliche<br />
<strong>und</strong> private Auftraggeber<br />
weisen eine große stilistische<br />
Bandbreite auf, von<br />
neogotischen Elementen<br />
in der Queens Cross<br />
Church in Glasgow bis hin<br />
zu Bauten <strong>und</strong> Entwürfen<br />
mit revolutionären Raumkonzepten,<br />
wie The Hill<br />
House. Deshalb <strong>und</strong> wegen<br />
ihres Hangs zur Esoterik<br />
<strong>und</strong> Mystik wurde die<br />
kleine Gruppe um Mackintosh,<br />
die sich selbst als The<br />
Immortals bezeichneten,<br />
von Glasgower Zeitgenossen<br />
auch ironisch The<br />
Spook School genannt.<br />
Jahrzehntelang vergessen,<br />
wird Mackintosh heute als<br />
nordischer Gegenpol der<br />
Pariser Art Nouveau <strong>und</strong><br />
der Wiener Sezession, sowie<br />
gleichzeitig als Vorläufer<br />
des Rationalismus gefeiert.<br />
49
Glasgow<br />
Mackintosh<br />
50<br />
Vom Kunsthandwerk ausgehend<br />
(in England vom<br />
Arts and Crafts Movement<br />
um William Morris <strong>und</strong> Arthur<br />
Heygate Mackmurdo)<br />
verbreitete sich der Jugendstil<br />
als romantische,<br />
individualistische, ganzheitliche<br />
<strong>und</strong> antihistoristische<br />
Bewegung zwischen<br />
1890 <strong>und</strong> 1910 in der Architektur<br />
ganz Europas.<br />
Das enorme Echo dieser<br />
Stilrichtung in so kurzer Zeit<br />
in allen europäischen Zentren<br />
ist sicher auch auf den<br />
damals rapide anwachsenden<br />
internationalen Ausstellungsbetriebzurückzuführen.<br />
In Großbritannien, wo die<br />
Industrielle Revolution <strong>und</strong><br />
damit die Zerstörung weiter<br />
Landstriche <strong>und</strong> der<br />
Anstieg der sozialen Probleme<br />
im 18. <strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
am weitesten fortgeschritten<br />
waren, standen<br />
führende Sozialtheoretiker,<br />
Ästheten <strong>und</strong> Literaten<br />
Pate, wie John Ruskin, William<br />
Morris <strong>und</strong> Oscar Wilde.<br />
Sie machten schon um<br />
die Jahrh<strong>und</strong>ertmitte die<br />
Technik, die Industrialisierung<br />
<strong>und</strong> die ungehemmte<br />
Geldgier mit dem Bedeutungsverlust<br />
des traditionellen<br />
Handwerks zugunsten<br />
billiger Massenware für die<br />
Stillosigkeit des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
verantwortlich<br />
<strong>und</strong> suchten nach neuen<br />
Wegen zur Gestaltung zunächst<br />
von Gebrauchsgegenständen<br />
<strong>und</strong> später der<br />
Umwelt insgesamt. Dementsprechend<br />
war auch der<br />
an die Arts and Crafts Bewegung<br />
anschließende Jugendstil,<br />
in England Modern<br />
Style, Art Nouveau<br />
oder Style Liberty genannt,<br />
eine viele kulturelle Bereiche<br />
umfassende Protestbewegung,<br />
die den Menschen<br />
von der Vorherrschaft<br />
der modernen Technik<br />
<strong>und</strong> den damit verb<strong>und</strong>enen<br />
Zwängen befreien<br />
wollte. Aus der Rückbesinnung<br />
auf handwerkliches<br />
Können sollte die gestörte<br />
Verbindung des Menschen<br />
zur Natur <strong>und</strong> das Vertrauen<br />
in seine eigene Kreativität<br />
wieder hergestellt werden.<br />
Insofern ist Jugendstil<br />
eine Reaktion auf die Entfremdung<br />
<strong>und</strong> Zerstückelung<br />
der Arbeit <strong>und</strong> auf die<br />
soziale Kälte, sowie auf die<br />
Hässlichkeit der „düsteren<br />
Höllen der Fabriken“, wie<br />
es der Dichter William Blake<br />
ausdrückte. Wie die Mitglieder<br />
der Arts and Crafts<br />
- Bewegung verstanden<br />
auch die Architekten des<br />
Jugendstils ihre Bauten als<br />
Gesamtkunstwerke aus<br />
Baukunst, Plastik <strong>und</strong> Malerei,<br />
die der industriellen<br />
Hässlichkeit in den Worten<br />
des zeitgenössischen Prager<br />
Kunstkritikers Frantisek<br />
Salda „eine neue Ehe zwischen<br />
Kunst <strong>und</strong> Leben, ...<br />
eine neue Einheit von<br />
Schönheit <strong>und</strong> Wirklichkeit“<br />
entgegensetzten.<br />
Während aber im Bereich<br />
des Kunsthandwerks, der<br />
bildenden Kunst <strong>und</strong> der<br />
Literatur rückwärts gewandteAbkoppelungstendenzen<br />
der Künstler von<br />
der sie umgebenden industrialisierten<br />
Welt deutlich<br />
zutage traten, standen solcher<br />
Isolation im Feld der<br />
Architektur gerade die<br />
gleichzeitig entstehenden<br />
Industrie- <strong>und</strong> Geschäftsbauten<br />
entgegen: Besonders<br />
in industriellen Zentren<br />
wie Glasgow wurden<br />
mit neuen Materialien <strong>und</strong><br />
Baumethoden bahnbrechende<br />
neue Konstruktionen<br />
entwickelt. In der zweiten<br />
Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
waren Glasgower Architekten<br />
wie Walter Mc-<br />
Farlane <strong>und</strong> James Salmon<br />
Pioniere in der Erprobung<br />
<strong>und</strong> Verwendung von Gusseisen,<br />
Stahl <strong>und</strong> Glas für<br />
kommerzielle Bauten. Es<br />
entstanden Gebäude von<br />
nie da gewesener Leichtigkeit.<br />
Das älteste in Großbritannien<br />
erhaltene kommerzielle<br />
Gebäude mit einfachen,<br />
aber eleganten Straßenfassaden<br />
ganz aus<br />
Gusseisen <strong>und</strong> Glas ist das<br />
ehemalige Geschäft des<br />
Möbelfabrikanten <strong>und</strong><br />
-händlers Gardner, von<br />
John Baird entworfen <strong>und</strong>
1856 fertiggestellt.<br />
Gardners Warehouse in<br />
der Jamaica Street (Abb.)<br />
wurde - wie viele Gebäude<br />
der Merchant City - restauriert<br />
<strong>und</strong> ist seit August<br />
2000 unter dem Namen<br />
Crystal Palace einer der<br />
größten Pubs im Glasgower<br />
Zentrum.<br />
Diese räumliche Nähe zum<br />
zukunftsweisenden Geschäftsbau,<br />
zu den unmittelbaren<br />
Vorläufern <strong>und</strong><br />
Zeitgenossen der ersten<br />
amerikanischen Hochhäuser<br />
gleicher Bauart, war<br />
vielleicht einer der Gründe,<br />
weshalb bedeutende Architekten<br />
des Jugendstils wie<br />
Mackintosh, gleichzeitig zu<br />
den Pionieren der Moderne<br />
zählen <strong>und</strong> sich von zeitgenössischen<br />
Architekten<br />
der Arts and Crafts – Bewegung<br />
wie Baillie Scott entfernten.<br />
Mackintosh’s Entwürfe<br />
für das House for an<br />
Art Lover (1901) z.B. nehmen<br />
mit ihrer klaren, kubischen<br />
Raumgliederung<br />
ohne Auskragungen oder<br />
Ornamente den puristischen,<br />
rationalen Stil von<br />
Albert Loos bereits vorweg.<br />
Charakteristisch für Jugendstilarchitekten<br />
überall<br />
in Europa waren der Verzicht<br />
auf die Imitation vergangener<br />
Baustile, die zentrale<br />
Rolle einer asymmetrischen,<br />
geschwungenen<br />
<strong>und</strong> linearen Ornamentik,<br />
sowie die Ausrichtung auf<br />
gediegene Materialien <strong>und</strong><br />
handwerkliche Konstruktions-<br />
<strong>und</strong> Bearbeitungsverfahren<br />
<strong>und</strong> die liebevolle<br />
Gestaltung <strong>und</strong> Ausführung<br />
auch der kleinsten Details.<br />
Dennoch gab es neben den<br />
gemeinsamen Kennzeichen<br />
charakteristische<br />
Unterschiede in den einzelnen<br />
Ländern. Während<br />
sich z.B. die dekorativen<br />
Ornamente des Stils in Belgien,<br />
Frankreich <strong>und</strong><br />
Glasgow<br />
Mackintosh<br />
Deutschland vorwiegend<br />
an vegetabilen Linien <strong>und</strong><br />
Formen orientierten, waren<br />
sie in <strong>Schottland</strong> geometrischen<br />
Ursprungs: Die Basis<br />
der Formensprache<br />
Mackintoshs war die keltische<br />
Ornamentik, dazu kamen<br />
traditionelle japanische<br />
Elemente, vor allem<br />
im Zuge der Zusammenarbeit<br />
mit seiner Frau, die er<br />
sehr bew<strong>und</strong>erte <strong>und</strong> oft als<br />
sein guiding light bezeichnete.<br />
Sind Mackintoshs allererste<br />
Entwürfe etwa zur<br />
Innenraumgestaltung noch<br />
kurvig-linear (z.B. im<br />
Tearoom an der Buchanan<br />
Street von 1897/98), so<br />
führt später die Anordnung<br />
horizontaler <strong>und</strong> vertikaler<br />
gerader Linien zu völlig<br />
neuen Flächenaufteilungen,<br />
wie etwa im Bibliotheksflügel,<br />
den er 1907/08<br />
an die Glasgow School of<br />
Art anbaute, oder im kleineren<br />
Rahmen im Cranston<br />
Tearoom in der Ingram<br />
Street (1907/11).<br />
Während zudem in den<br />
meisten Ländern für Jugendstilarchitektenzunächst<br />
die gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
zweidimensionale Verbindung<br />
zwischen Fassade/<br />
Oberfläche <strong>und</strong> Ornament<br />
im Vordergr<strong>und</strong> des Interesses<br />
stand, folgten die<br />
Bauten englischer <strong>und</strong><br />
schottischer Kollegen von<br />
Anfang an der Tradition des<br />
englischen Landhausbaus,<br />
d.h. des Bauens von innen<br />
nach außen mit der Betonung<br />
der räumlich-funktionalen<br />
Dimensionen des<br />
Baukörpers. In den späteren<br />
Jahren rückte die plastische<br />
Gestaltung des<br />
Baukörpers in seiner Gesamtheit<br />
auch für Jugendstilarchitekten<br />
stärker in<br />
den Vordergr<strong>und</strong>. Ein herausragendes<br />
Beispiel ist<br />
die Plastizität, die Mackintosh<br />
bei der Glasgow<br />
School of Art z.B. durch<br />
dramatische Akzentuierung<br />
der einzelnen Glieder des<br />
Komplexes erreichte.<br />
Als Meisterwerk gilt auch<br />
die Halle von Hill House<br />
(1902/03), in der transparentes<br />
Stabwerk, Lichteinfall,<br />
Farbgebung, <strong>und</strong> leichte<br />
Möblierung zu einer dem<br />
51
Glasgow<br />
Mackintosh<br />
52<br />
späteren russischen Konstruktivismusnahestehenden<br />
Raumdynamik führen.<br />
Gerade das Design der<br />
berühmten schwarzlackierten<br />
Stühle in Hill House<br />
zeigt übrigens, wie weit sich<br />
Mackintosh in seiner Betonung<br />
der eleganten <strong>und</strong><br />
leichten Optik gegenüber<br />
der Funktionalität des Gegenstands<br />
<strong>und</strong> gegenüber<br />
der handwerklichen Orientierung<br />
an den Eigenheiten<br />
des Materials von den ursprünglichen<br />
Idealen der<br />
Arts and Crafts Bewegung<br />
entfernte.<br />
Diese spezielle Entwicklung<br />
Mackintoshs lässt sich<br />
wiederum mit den Besonderheiten<br />
der Situation in<br />
Glasgow in Verbindung<br />
bringen. Glasgow war zur<br />
Zeit Mackintoshs nach den<br />
Worten Garcias „eine Art<br />
keltisches Dallas, eine<br />
boom town, eine riesige Fabrikstadt<br />
mit H<strong>und</strong>erttausenden<br />
von Armen <strong>und</strong> einer<br />
Handvoll Reicher.“<br />
Aufgr<strong>und</strong> seiner Lage an<br />
der Mündung des Clyde<br />
<strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> der nahen<br />
Erz- <strong>und</strong> Kohlevorkommen<br />
konnte sich Glasgows Industrie<br />
über alle Phasen<br />
der industriellen Revolution<br />
hin weiterentwickeln. Im 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert löste Glasgow<br />
Bombay als zweitgrößte<br />
Stadt des Empire ab, die<br />
Einwohnerzahl sprang<br />
durch Landflucht <strong>und</strong> irische<br />
Einwanderer von<br />
80000 um 1800 auf 720000<br />
um 1900.<br />
Als Mackintosh 1914 Glasgow<br />
verlässt, beherbergt<br />
die Central Clydeside u.a.<br />
ein knappes Fünftel der<br />
Weltschiffbaukapazität,<br />
mehr als alle deutschen<br />
<strong>und</strong> amerikanischen Werften<br />
zusammen. Die Arbeiterquartiere<br />
Glasgows, die<br />
Gorbals, gehören zu den<br />
schlimmsten Elendsquartieren<br />
Europas, die Luftverschmutzung<br />
ist stärker als<br />
in London. Die sozialen<br />
Probleme münden vor allem<br />
in Alkoholismus, Gewalt<br />
<strong>und</strong> Prostitution. Teesalons<br />
<strong>und</strong> Fußballklubs<br />
werden mit dem ausdrücklichen<br />
Ziel gegründet, vom<br />
Alkohol abzulenken. Glasgow<br />
ist auch die Stadt der<br />
sozialen <strong>und</strong> politischen<br />
Arbeiterbewegungen, von<br />
den ersten blutigen Zusammenstößen<br />
des Jahres<br />
1820 über die Chartistenaufstände<br />
1839, die Anfänge<br />
der organisierten Arbeiterbewegung<br />
<strong>und</strong> die großen<br />
Berg- <strong>und</strong> Werftarbeiterstreiks<br />
bis hin zum „Arbeitersowjet<br />
Clydeside“ von<br />
1920. In diese Tradition<br />
gehört auch Robert Owens<br />
New Lanark-Projekt südlich<br />
von Glasgow.<br />
Wenn diese Situation auch<br />
der anderer Städte damals<br />
ähnlich ist, unterscheidet<br />
sich das reich gewordene<br />
Glasgower Bürgertum<br />
deutlich von dem anderer<br />
Städte. Während sich anderswo<br />
die neureiche, industriebürgerliche<br />
Schicht<br />
kulturell am Adel oder am<br />
alteingesessenen Bürgertum<br />
orientieren konnte, in<br />
England etwa häufig auch<br />
selbst dem Adel entstammte,<br />
hatten sich aufgr<strong>und</strong> der<br />
Unterdrückung durch England<br />
in der jüngeren schottischen<br />
Geschichte seit<br />
dem 16. Jahrh<strong>und</strong>ert vergleichbareschottisch-nationale<br />
Schichten nicht entwickeln<br />
können. Die schottische<br />
Gesellschaft gründete<br />
nach wie vor in der Tradition<br />
der bäuerlichen<br />
Clans <strong>und</strong> der Nationalkirche,<br />
die von Gleichheitsvorstellungen<br />
geprägt waren.<br />
Innerhalb der nur 150<br />
Jahre seit der Union Englands<br />
<strong>und</strong> <strong>Schottland</strong>s<br />
1707, die schottischen<br />
Kaufleuten erstmals Zugang<br />
zu den Kolonien erlaubte,<br />
waren aber aus<br />
wenigen Clanmitgliedern<br />
plötzlich reiche Kapitalisten<br />
geworden. Der Reichtum<br />
dieser kleinen Bevölkerungsschicht,<br />
sichtbar angesammelt<br />
auf Kosten der<br />
Mehrheit der Clanangehörigen,<br />
führte von Anfang an<br />
in Glasgow zu Verbitterung<br />
<strong>und</strong> gegenseitiger Gewaltbereitschaft<br />
einerseits <strong>und</strong><br />
zu völliger Abschottung u.a.<br />
durch rigide Konventionen<br />
der Bürger andererseits.<br />
Ein Teil des reichen Glasgower<br />
Bürgertums ver-
suchte, sich die fehlende,<br />
eigene kulturelle Identität<br />
nun selbst zu schaffen (vgl.<br />
Beschreibung der Glasgow<br />
School of Art). Ergebnis<br />
war der Glasgow Style, geprägt<br />
vom Symbolismus,<br />
der Esoterik <strong>und</strong> dem Elitedenken<br />
der Vierergruppe<br />
um Mackintosh <strong>und</strong> scharf<br />
mit der Realität der Stadt<br />
kontrastierend. In seinem<br />
Gedicht A Scottish Journey<br />
von 1935 beschreibt der<br />
Schriftsteller Edwin Muir,<br />
der Anfang des Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
von den Orkey-Inseln<br />
nach Glasgow kam, mit<br />
beißender Ironie diesen<br />
Kontrast:<br />
Die Damen plaudern beim<br />
Tee am Kamin<br />
Im hinteren Salon.<br />
Der rosarote Nachmittag<br />
gerinnt in der Straße zu<br />
Nebel <strong>und</strong> Schmutz.<br />
Rot von Blut bedroht der<br />
Westen den Mond....<br />
Im Schein weißglühender<br />
Gasleuchten<br />
werden Tausende von Gesichtern<br />
leichenblaß.<br />
Abendbrot in armseligen<br />
Löchern. Um die Ecken<br />
fegt der Wind vom Meer,<br />
erdröhnt die Luft<br />
vom Lärm starker Motoren.<br />
Der Pub spuckt sie aus,<br />
mit lallender Zunge beschwören<br />
sie das jüngste<br />
Gericht.<br />
In der Villa erwartet der<br />
Fabrikant seine St<strong>und</strong>e,<br />
während die Loreleitöchter<br />
leise Wagner spielen <strong>und</strong><br />
Strauss ...<br />
Die Farbe Rosarot hat hier<br />
dreifachen Bezug: einmal<br />
zum Sonnenuntergang,<br />
dann zur Prägung der<br />
schwarz-rußigen Stadt<br />
durch die Feuer der Hochöfen<br />
<strong>und</strong> der Werften <strong>und</strong><br />
schließlich zum modischen<br />
Schick der bürgerlichen Villenausstattungen.<br />
Der elegante<br />
Umgang mit künstlichem<br />
Licht, die Gestaltung<br />
der Salons <strong>und</strong> Villen, der<br />
Rückzugsorte der Bürger,<br />
mit Vorliebe in weiß <strong>und</strong><br />
rosé, werden Mackintoshs<br />
erste Domäne. Wenn also<br />
z.B. Thomas Howarth von<br />
Mackintoshs Vorgehensweise<br />
der Gestaltung innerer<br />
Realität (internal reality)<br />
spricht, dann lässt sich<br />
Glasgow<br />
Mackintosh<br />
dieser Begriff nicht nur architektonisch,<br />
sondern<br />
auch als gesellschaftlicher<br />
Gegenpol zur äußeren<br />
Realität interpretieren.<br />
Auch der japanische Einfluß<br />
auf Mackintoshs Werk<br />
steht in enger Verbindung<br />
zur Geschichte der Stadt.<br />
Zwar entspricht er einerseits<br />
dem Zeitgeist, wie er<br />
sich etwa im White House<br />
zeigt, das George Godwin<br />
1877 im anglo-japanischen<br />
Stil in Chelsea erbaut. Außerdem<br />
teilte, wie gesagt,<br />
Margaret McDonald die allgemeine<br />
Begeisterung für<br />
diesen Stil.<br />
Vor allem ist aber festzuhalten,<br />
dass zwischen Glasgow<br />
<strong>und</strong> Japan deutlich<br />
handfestere Bande bestanden,<br />
als die übliche ästhetische<br />
Schwärmerei für japanische<br />
Holzschnitte mit<br />
Mädchen <strong>und</strong> Kirschblüten.<br />
Noch vor der Öffnung Japans<br />
studierten ab 1866 die<br />
ersten Japaner in Glasgow<br />
Schiffsbau, <strong>und</strong> die ersten<br />
Professoren <strong>und</strong> Rektoren<br />
der neuen Technischen<br />
Hochschule in Kobe wurden<br />
1869 aus Glasgow,<br />
dem damaligen Mekka des<br />
Hüttenwesens, des Schiffs<strong>und</strong><br />
Eisenbahnbaus berufen,<br />
solange bis junge, in<br />
Glasgow ausgebildete Japaner<br />
deren Plätze einzunehmen<br />
in der Lage waren.<br />
Glasgow belieferte Japan<br />
in der Folgezeit mit Dampfmaschinen,<br />
Lokomotiven,<br />
Straßenbahnen für seine<br />
aufstrebende Industrie,<br />
nach dem britisch-japanischen<br />
Beistandspakt von<br />
1902 mit Kreuzern <strong>und</strong> Zerstörern<br />
für seinen Krieg<br />
gegen Russland. Umgekehrt<br />
brachten Kaufleute,<br />
die in Japan britische Industrieprodukte<br />
vorstellten<br />
<strong>und</strong> bewarben, reiche<br />
Sammlungen japanischer<br />
Möbel, Holzschnitte <strong>und</strong><br />
Gebrauchsgegenstände<br />
mit zurück nach Glasgow.<br />
Japanische Einflüsse waren<br />
nirgendwo in Europa so<br />
tief verankert wie in Glasgow.<br />
Als der japanische Stil<br />
um 1876/77 in Paris <strong>und</strong><br />
anderswo in Europa populär<br />
wurde, war er in Glasgower<br />
Kreisen also längst<br />
53
Glasgow<br />
Mackintosh<br />
54<br />
bekannt.<br />
Mackintosh selbst war mit<br />
den Glasgower Künstlern<br />
Hornel <strong>und</strong> Walton befre<strong>und</strong>et,<br />
die 1883/84 im<br />
Auftrag eines Kunsthändlers<br />
ein Jahr lang in Japan<br />
lebten <strong>und</strong> ihm wahrscheinlich<br />
einen Teil der japanischen<br />
Gegenstände verkauften,<br />
die seine Wohnung<br />
schmückten.<br />
Sein Sinn für Proportionen,<br />
seine Freude an scharfen<br />
Kontrasten, die nüchterne<br />
Strenge sind Aspekte, die<br />
er von der japanischen<br />
Kunst übernahm, aber<br />
nicht auf dem Weg der Imitation,<br />
wie Kritiker seiner<br />
Innenräume oft behaupteten,<br />
sondern indem er sie<br />
mit den keltischen Formen<br />
verband, wohl auch, weil<br />
hier eine Kongenialität bestand<br />
zu Mackintoshs eigenem,<br />
von der schottischen<br />
Tradition <strong>und</strong> von der neuen<br />
industriellen Architektur<br />
Glasgows geprägtem<br />
Formempfinden.<br />
Mackintoshs Werk sollte<br />
erst Jahrzehnte nach seinem<br />
Tod allgemeine Anerkennung<br />
finden. Er selbst<br />
wandte sich nach wenigen<br />
Jahren wieder von der Architektur<br />
ab, um sich seit<br />
seinem Weggang aus<br />
Glasgow 1914 ausschließlich<br />
mit Aquarellmalerei zu<br />
befassen.<br />
Wichtigste Bauwerke <strong>und</strong><br />
Entwürfe:<br />
Eckturm des Glasgow Herald<br />
(1894); heute beherbergt<br />
das ehemalige Zeitungsgebäude<br />
das Design<strong>und</strong><br />
Architekturzentrum<br />
The Lighthouse<br />
Glasgow School of Art<br />
(1898-1909)<br />
Queens Cross Church,<br />
Glasgow (1898 …)<br />
House for an Art Lover<br />
(Wettbewerbsbeitrag 1901;<br />
gebaut erst 1989-1996 in<br />
Bellahouston Park, Glasgow)<br />
The International Exhibition<br />
(Wettbewerbsbeitrag für<br />
eine Konzerthalle 1901, nie<br />
verwirklicht)<br />
An Artist’s House (1900/01;<br />
Pläne für einen Anbau an<br />
ein bestehendes Gebäude,<br />
nicht realisiert)<br />
Windy Hill, Kilmacolm bei<br />
Glasgow, 1899-1901<br />
(Wohnhaus für einen<br />
Fre<strong>und</strong>; die von Mackintosh<br />
entworfene Inneneinrichtung<br />
befindet sich heute<br />
größtenteils in der GSA)<br />
The Hill House,<br />
Helensburgh 1902-1904<br />
(Privathaus, ähnlich den<br />
Plänen für das House for<br />
an Art Lover)<br />
Vier Tearooms: u.a.<br />
Tearooms in der Buchanan<br />
Street (1894) <strong>und</strong> The<br />
Willow Tearooms (auch<br />
Cranston Tearooms, 1897/<br />
98)
Haus eines Kunstfre<strong>und</strong>es<br />
Glasgow<br />
House for an Art Lover<br />
Standort: Glasgow<br />
Baujahr: 1989 (Wettbewerb <strong>und</strong> Entwurf 1901)<br />
Bauherr: Graham Roxburgh, Glasgow<br />
Ingenieur: Charles Rennie Mackintosh<br />
Literatur: Charlotte & Peter Fiell: Charles Rennie Mackintosh,<br />
Köln 1995<br />
Wendy Kaplan (Hg.): Charles Rennie Mackintosh,<br />
London 1996<br />
Robert Macleod: Charles Rennie Mackintosh.<br />
Country Life, Bungay 1968<br />
Die deutsche Zeitschrift für<br />
Innendekoration schrieb<br />
1901 einen Ideenwettbewerb<br />
für Entwurf <strong>und</strong> Ausstattung<br />
des Hauses eines<br />
Kunstfre<strong>und</strong>es aus.<br />
Mackintosh <strong>und</strong> Margaret<br />
Macdonald haben wahrscheinlich<br />
davon erfahren,<br />
als sie sich in Wien aufhielten.<br />
Weil nur noch drei Monate<br />
Zeit bis zum Abgabetermin<br />
waren, reichte<br />
Mackintosh unvollständige<br />
Pläne ein. Wohl deshalb<br />
erhielt Mackintosh nicht<br />
den ersten, sondern einen<br />
Sonderpreis, obwohl sein<br />
Entwurf gemeinhin sehr<br />
gelobt wurde. Im Vorwort<br />
der Veröffentlichung der<br />
prämierten Entwürfe beschrieb<br />
Hermann Muthesius<br />
Mackintoshs Entwurf:<br />
„Das Äußere des Gebäudes<br />
ist ganz <strong>und</strong> gar einmalig,<br />
es gibt nichts, was ihm<br />
gleicht. Wir finden in dieser<br />
Architektur auch nicht die<br />
geringste Spur konventioneller<br />
Formen, denen gegenüber<br />
der Architekt momentan<br />
größte Gleichgültigkeit<br />
beweist.“ 1 . Traditionelle<br />
Materialien werden so<br />
eingesetzt, daß sich neue<br />
Qualitäten ergeben. Die<br />
Formen, die bereits bei seinem<br />
Wohnhaus Windy Hill<br />
anklingen, werden hier mit<br />
Klarheit <strong>und</strong> Strenge<br />
weiterentwickelt.Viele<br />
Aspekte seines Entwurfs<br />
gab es schon vorher <strong>und</strong><br />
auch bei Zeitgenossen<br />
Mackintoshs; sie tauchten<br />
aber nie in so vollendeter<br />
Kombination auf wie hier.<br />
Die Inneneinrichtung war in<br />
gedämpften Farben gehalten,<br />
um die stofflichen Eigenschaften<br />
der verwendeten<br />
Materialien in den Vordergr<strong>und</strong><br />
zu stellen. Der<br />
Verleger W.W. Blackie war<br />
von dem Entwurf so begeistert,<br />
dass er Mackintosh<br />
1902 mit der Planung eines<br />
Wohnhauses beauftragte,<br />
dem Hill House in Helensburgh.<br />
Ende der 80er Jahre baute<br />
der Glasgower Ingenieur<br />
Graham Roxburgh in Zusammenarbeit<br />
mit Andy<br />
MacMillan, dem Direktor<br />
der Mackintosh school of<br />
architecture, das Haus eines<br />
Kunstfre<strong>und</strong>es anhand<br />
der vierzehn vorhandenen<br />
Originalpläne nach. Im<br />
Obergeschoss wurden weitere<br />
Räume hinzugefügt.<br />
Die Meinungen über dieses<br />
„Experiment“ gehen auseinander.<br />
55
Glasgow<br />
House for an Art Lover<br />
56
Scottish Exhibition and Conference Centre<br />
Standort: Glasgow<br />
Baujahr: 1995 - 1998<br />
Bauherr: Glasgow City Council<br />
Architekt: Norman Foster & Partners, London<br />
Ingenieur: Ove Arup<br />
Literatur: Hugues Wilquin: Bauen mit Aluminium.<br />
Konstruktion <strong>und</strong> Gestaltung, Basel 2001<br />
fosterandpartners.com<br />
glasgowarchitecture.co.uk<br />
Der Erweiterungsbau des<br />
Scottish Exhibition and Science<br />
Centre in Glasgow,<br />
das Clyde Auditorium, steht<br />
auf dem Gebiet der ehemaligen<br />
Werft Queens Dock<br />
am Clyde. Wegen seiner<br />
äußeren Form wird der Entwurf<br />
von Norman Foster &<br />
Partners auch als Armadillo<br />
(Gürteltier) bezeichnet:<br />
Sein Dach besteht aus acht<br />
Aluminium-Schalen, die<br />
teilweise übereinander geschoben<br />
sind. Die Glasfassade<br />
wird durch silberfarbene<br />
Fensterrahmen aus<br />
natur-eloxiertem Aluminium<br />
gegliedert. Das Armadillo<br />
ist ein flexibel zu gestaltendes<br />
Gebäude über einem<br />
verlängerten hexogonalen<br />
Gr<strong>und</strong>riß, das Räumlichkeiten<br />
für Kongresse, Ausstellungen,<br />
Konzerte, Aufführungen<br />
<strong>und</strong> Veranstaltungen<br />
aller Art <strong>und</strong> Größe bieten<br />
soll. Eine neutrale Umgebung<br />
mit allen technischen<br />
Voraussetzungen<br />
von Dolmetscherkabinen<br />
hin zu Schnürböden <strong>und</strong><br />
Kulissenvorrichtungen zu<br />
schaffen, war wesentlicher<br />
Bestandteil des Konzepts.<br />
Die Bühne des Hauptsaales<br />
kann direkt mit Lkw befahren<br />
werden. Das Gebäude<br />
ist 40 m hoch, 140<br />
m lang <strong>und</strong> mit einer Nutzfläche<br />
von 13000 m² das<br />
größte seiner Art in Großbritannien<br />
<strong>und</strong> eines von<br />
vier in Europa, das mehr<br />
Glasgow / Scottish Exhibition<br />
and Conference Centre<br />
als 3000 Kongreßbesucher<br />
aufnehmen kann. Konferenzsäle<br />
erstrecken sich<br />
über drei Ebenen. Der Zugang<br />
erfolgt von der Ostseite<br />
aus. Das auskragende<br />
Dach bildet hier einen Eingangsbereich,<br />
der sich im<br />
Inneren in einer Halle fortsetzt.<br />
Von hier geht ein kleinerer<br />
Kongreßraum (300<br />
Plätze) ab, Treppen <strong>und</strong><br />
Aufzüge führen ins Foyer<br />
im ersten Obergeschoß,<br />
das den dreigeschossigen<br />
Hauptsaal mit verschiedenen<br />
Ausstellungsräumen<br />
verbindet. Foster & Partners<br />
standen vor der Aufgabe,<br />
diesen Komplex aus<br />
Auditorium, Ausstellungshallen<br />
<strong>und</strong> Eingangsbereichen,<br />
den sie als industrial<br />
theatre auffassen, mit einem<br />
relativ geringen Budget<br />
zu verwirklichen.<br />
Ihr Entwurf, der aus seinen<br />
Gr<strong>und</strong>rißanforderungen<br />
heraus entwickelt wurde,<br />
greift die Schiffbautradition<br />
des Clyde auf <strong>und</strong> setzt flaches<br />
Verschalungsmaterial<br />
ein, um gerahmte „Schiffsrümpfe“<br />
(hulls) zu bedekken.<br />
In dieser kompakten<br />
Form sollen sich darüber<br />
hinaus die vielfältigen Nutzungsmöglichkeitenwiederspiegeln.<br />
Diese acht Dachstreifen ermöglichen<br />
eine gemeinsame<br />
Umhüllung des<br />
Hauptsaales <strong>und</strong> aller anschließenden<br />
Räume. Jeder<br />
Streifenist wiedrum in<br />
vier Abschnitte unterteilt<br />
<strong>und</strong> überdeckt einen Bereich<br />
von 14 m. Diese Profile<br />
wurden vor Ort Stoß an<br />
Stoß miteinander verschweißt<br />
– die Gesamtlänge<br />
der Schweißnaht beträgt<br />
3,6 km. Den Abschluß der<br />
Schalenkanten bilden<br />
rechteckige Aluminiumprofile.<br />
57
Glasgow / Scottish Exhibition<br />
and Conference Centre<br />
58<br />
Ein darunter liegendes<br />
PVC-Abflußsystem führt<br />
eintretendes Wasser in ein<br />
Dränagesystem, das -<br />
durch ein verzinktes Stahlgitter<br />
gedeckt - um das<br />
Gebäude läuft. Die Dachstreifen<br />
werden von zehn<br />
Spitzbögen getragen. Diese<br />
Bögen sind als Fachwerk<br />
aus Stahlr<strong>und</strong>rohren<br />
ausgeführt. Darauf lagern<br />
Sek<strong>und</strong>ärpfetten aus Doppel-T-Profilen<br />
aus verzinktem<br />
Stahl. Die Dacheindekkung<br />
umfaßt eine Gesamtfläche<br />
von 10600 m² <strong>und</strong><br />
besteht aus einer Aluminium-Stehfalzdeckung<br />
( Kalzip-Elemente).<br />
Das Stucco-<br />
Design der Profile bewirkt<br />
eine wesentlich höhere Beständigkeit<br />
der äußeren<br />
Flächen. Dabei ermöglichte<br />
die Verwendung von Befestigungsklipps<br />
eine<br />
durchdringungsfreie Montage.<br />
Die U-förmigen Falzprofile<br />
wurden auf der Baustelle<br />
in Längsrichtung maschinell<br />
gefalzt. Die Klipps<br />
durchdringen eine 100 mm<br />
dicke Schicht aus Steinwolle<br />
<strong>und</strong> sind mit Thermoklappen<br />
versehen, so dass<br />
Wärmebrücken minimiert<br />
werden. Sie können Druck<strong>und</strong><br />
Sogkräfte aufnehmen<br />
<strong>und</strong> ermöglichen gleichzeitig<br />
eine freie Längendehnung<br />
der Falzprofile. Wärmedämmung<br />
<strong>und</strong> Klipps<br />
liegen auf einer Unterkonstruktion<br />
aus Trapezprofi-<br />
len aus verzinktem Stahl,<br />
32 mm hoch <strong>und</strong> 0,7 mm<br />
dick. Darunter folgt eine<br />
nichttragende Deckenschalung<br />
aus gewölbten<br />
Alclad-Tafeln. Dieser Baustoff<br />
stammt ursprünglich<br />
aus dem Flugzeugbau; er<br />
hat einen Körper aus einer<br />
Aluminium-Legierung, der<br />
beidseitig mit Schutzplatten<br />
aus einer Aluminium-Zink-<br />
Legierung belegt ist. Die<br />
Festpunkte der Kalzip-Elemente<br />
liegen auf der Firstlinie<br />
der Spitzbögen, so<br />
dass eine Längenänderung<br />
aufgr<strong>und</strong> von Temperaturunterschieden<br />
nur in einer<br />
Richtung, nämlich zum Boden,<br />
erfolgen kann.<br />
Ein unerwartetes Problem<br />
während der Bauarbeiten<br />
war der plötzliche Austritt<br />
von Methan-Gas aus den<br />
Dock-Gelände. Die Lösung<br />
ist noch heute deutlich zu<br />
erkennen, denn hinter den<br />
um das ganze Gebäude<br />
verteilten Reklamewänden<br />
verbergen sich die Ventile,<br />
die erforderlich sind, um<br />
das Gas abzuführen.<br />
Durch das Armadillo mit<br />
seinen am Tage die Sonne<br />
reflektierenden <strong>und</strong> bei<br />
Nacht angestrahlten Aluminiumschalen<br />
soll ein Wahrzeichen<br />
am Clyde geschaffen<br />
<strong>und</strong> Glasgows Ruf als<br />
internationaler Business-<br />
Standort gestärkt werden.
Glasgow / Scottish Exhibition<br />
and Conference Centre<br />
59
Glasgow<br />
Glasgow Science Centre<br />
60<br />
Glasgow Science Centre<br />
Standort: Glasgow<br />
Baujahr: 1999 - 2001<br />
Bauherr: Glasgow Science Centre Limited<br />
Glasgow Tower<br />
Architekt: Richard Horden Associates / Building<br />
DesignPartnership (bdp), Glasgow<br />
Ingenieure: Büro Happold (Konstruktion <strong>und</strong> Statik)<br />
Peter Heppel (Aerodynamic)<br />
Science Mall <strong>und</strong> IMAX-Kino<br />
Architekt: Building Design Partnership (bdp), Glasgow<br />
Ingenieur: W A Fairhurst & Partners<br />
Literatur: Anette LeCuyer: Stahl & Co. Neue Strategien für<br />
Metalle in der Architektur, Basel, 2003<br />
bdp.co.uk<br />
The architectural review, 4/2000bdp.co.uk<br />
Erklärtes Ziel des Science<br />
Centres ist es, Wissenschaft<br />
einer großen Öffentlichkeit<br />
zugänglich zu machen.<br />
Der Standort am Pacific<br />
Quay am Südufer des<br />
Clyde wurde aber auch gewählt,<br />
um das benachbarte<br />
Goran, eines der größten<br />
schottischen Industriegebiete,<br />
zu regenerieren,<br />
das seit dem Niedergang<br />
der Industrie in den letzten<br />
Jahrzehnten mit wachsender<br />
Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> sozialem<br />
Niedergang zu<br />
kämpfen hat. Der angrenzende<br />
Stadtteil Gorbals war<br />
Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
einer der größten europäischen<br />
Slums; in den<br />
1950er Jahren wurden im<br />
Rahmen einer Flächensanierung<br />
die meisten der ursprünglichenviergeschossigen<br />
Mietshäusern durch<br />
Beton-Wohnblocks ersetzt,<br />
die allerdings 1987 wieder<br />
abgerissen wurden, weil sie<br />
unbewohnbar geworden<br />
waren. Seit 1990 werden<br />
die Gorbals von namhaften<br />
Architekten saniert <strong>und</strong> restauriert<br />
oder erneuert.<br />
Man hofft ähnlich wie in<br />
Newcastle, mit dem Science<br />
Centre hier ein worldclass<br />
development zu<br />
schaffen, das das Gebiet<br />
allmählich wirtschaftlich,<br />
räumlich <strong>und</strong> sozial wieder<br />
aufbauen wird. Die Erweiterung<br />
des Exhibition and<br />
Conference Centres war<br />
bereits ein Schritt in diese<br />
Richtung; die Ansiedlung<br />
der BBC Scotland am Clyde,<br />
die kurz nach Fertigstellung<br />
des Science Centres<br />
beschlossen wurde, ist ein<br />
erster Erfolg dieses Vorhabens.<br />
Das Science Centre besteht<br />
aus dem Glasgow<br />
Tower, der Science Mall<br />
<strong>und</strong> dem IMAX-Kino. Alle<br />
Bauten sind Stahl-Konstruktionen,<br />
verkleidet mit<br />
unterschiedlichen Materialien,<br />
<strong>und</strong> sollen selbst als<br />
experimentelle Ausstellungsgegenständeverstanden<br />
werden.<br />
Der Entwurf zum Glasgow<br />
Tower war Richard Hordens<br />
Beitrag zu einem internationalen<br />
Wettbewerb<br />
für einen innerstädtischen<br />
Standort im Jahr 1992. Das<br />
Projekt wurde kurz darauf<br />
fallengelassen, dann aber<br />
1994 von bdp architects<br />
wieder aufgegriffen, als das<br />
Büro den Wettbewerb für<br />
das Glasgow Science Centre<br />
gewann. Der Entwurf<br />
von Horden sollte als Aussichtsturm<br />
Bestandteil des<br />
neuen Wissenschaftszentrums<br />
werden, von dem die<br />
Besucher nicht nur das<br />
ehemalige Hafengebiet<br />
<strong>und</strong> die Stadt übersehen<br />
können sondern auch etwas<br />
über Aerodynamik <strong>und</strong><br />
die Auswirkungen von<br />
Wind auf hohe Gebäude
lernen sollen. Die Aussichtskabine<br />
in 100 m Höhe<br />
wird von einer schlanken<br />
Stahlkonstruktion getragen.<br />
Sie kann bis zu 24 Personen<br />
aufnehmen <strong>und</strong> besteht<br />
aus einem leichten,<br />
glasbewehrten Kunststoff.<br />
Darüber ragt ein 25 m Mast<br />
aus Kohlenfaserverb<strong>und</strong>stoff.<br />
Um die Windkräfte<br />
vor allem an der Turmspitze<br />
zu verringern, steht der<br />
Turm auf einer 360 Grad-<br />
Drehscheibe, so dass er<br />
sich wie ein Segelboot<br />
nach dem Wind drehen<br />
kann. Ohne zusätzliche Abbremsung<br />
oder Beschleunigung<br />
würde er sich auf 40<br />
Grad zum Wind ausrichten,<br />
da der Auftriebsmittelpunkt<br />
des Turmes vor dem Mittelpunkt<br />
der Drehbewegung<br />
liegt. Ergänzt um die Formgebung<br />
der Außenstruktur<br />
treten bei dieser drehbaren<br />
Konstruktion etwa 10 %<br />
weniger Windlasten als bei<br />
unbeweglichen Konstruktionen<br />
auf. Dadurch kann<br />
das Verhältnis von Basis zu<br />
Schaft <strong>und</strong> damit die<br />
Schlankheit des Turmes<br />
von üblicherweise 1:6 auf<br />
1:10 erhöht werden. Der<br />
Aussichtsturm ist bisher der<br />
einzige Turm, der sich als<br />
Ganzes drehen kann, <strong>und</strong><br />
die höchste freistehende<br />
Konstruktion in <strong>Schottland</strong>.<br />
Gr<strong>und</strong>bedingung für den<br />
Glasgow<br />
Glasgow Science Centre<br />
Entwurf <strong>und</strong> Hauptarbeit<br />
der Ingenieure war, die<br />
Winde am Turm so zu kontrollieren,<br />
dass turbulenzenfreier<br />
Sog entsteht. Mithilfe<br />
von Computerprogrammen<br />
<strong>und</strong> Windkanaltests<br />
mit statischen sowie<br />
dynamischen Windverhältnissen<br />
wurden alle Bestandteile<br />
des Turms aerodynamisch<br />
konstruiert <strong>und</strong><br />
daraus ein Haupttragwerk<br />
aus Stahl entwickelt. Es<br />
besteht aus einem Treppenschaft<br />
aus Rohrprofilen<br />
<strong>und</strong> zwei schlankeren Nebenschäften,<br />
die zusammen<br />
einen Dreifuß bilden.<br />
Die Aussteifung erfolgt über<br />
die k-förmigen Diagonalstreben,<br />
die den Treppenschaft<br />
mit den beiden Nebenschäften<br />
verbinden.<br />
Der Gr<strong>und</strong>riß des Treppenturms<br />
ist trapezförmig, um<br />
den Luftwiderstand möglichst<br />
gering zu halten; die<br />
Ausbuchtung im Bereich<br />
der unteren Ebenen verstärkt<br />
diesen Effekt. Die<br />
Nebentürme verjüngen<br />
sich nach oben hin <strong>und</strong> wirken<br />
bei der Steuerung der<br />
Luftströmung wie Flugzeugtragflügel.<br />
Sie bestehen<br />
aus Flachstahl, der an<br />
der Basis 30 mm, an der<br />
Spitze 10 mm dick ist, <strong>und</strong><br />
sind mit den formgebenden<br />
Spantenträgern verschraubt.<br />
Die Nebentürme<br />
61
Glasgow<br />
Glasgow Science Centre<br />
62<br />
helfen auch bei der Abschwächung<br />
der Turmschwingungen,<br />
da durch<br />
ihre innen gekrümmte, außen<br />
flache Form Turbulenzen<br />
an die Hinterseite des<br />
Turmes gedrückt werden.<br />
Die Verjüngung nach oben<br />
reduziert das Eigengewicht<br />
der auskragenden Konstruktion,<br />
ist aber gleichzeitig<br />
Ergebnis des geringeren<br />
Bedarfs an Tragflügeln an<br />
der Turmspitze aufgr<strong>und</strong><br />
der höheren Windgeschwindigkeiten.<br />
Um trotzdem<br />
Flattern vorzubeugen<br />
<strong>und</strong> das Bauwerk aerodynamisch<br />
zu stabilisieren,<br />
sind an der Rückseite zusätzliche<br />
Stahlrohre angebracht,<br />
die mit gebogenen<br />
Aluminiumblechen verkleidet<br />
sind <strong>und</strong> wie das Seitenruder<br />
einen Bootes<br />
funktionieren. Am Turmfuß<br />
sind die Nebenschäfte angeschrägt<br />
<strong>und</strong> sitzen genau<br />
auf dem Auflagerring<br />
mit einem Durchmesser<br />
von 10,60 m. Der Auflagerring<br />
besteht aus einer<br />
40mm dicken Stahlplatte<br />
mit einem Kranz, an dessen<br />
Seiten Rollen angebracht<br />
sind, über die der<br />
Drehmechanismus der<br />
Konstruktion funktioniert.
Weil die Drehung des Turmes<br />
vom Wind unterstützt<br />
wird, ist nicht viel zusätzliche<br />
elektrische Energie erforderlich.<br />
Vier Elektromotoren<br />
mit je 6 kW bewegen<br />
ein Kettenrad, über das ein<br />
Nebenrad angetrieben<br />
wird, das an der Unterseite<br />
des Auflagerringes befestigt<br />
ist. Über Sensoren am<br />
Fußpunkt des Turms werden<br />
im Abstand von 20 Minuten<br />
die aktuell gemessenen<br />
Windrichtungen <strong>und</strong> –<br />
geschwindigkeiten an die<br />
Motoren übertragen, die<br />
daraufhin die Hauptseite<br />
des Turmes mit einer Geschwindigkeit<br />
von 18 Grad<br />
pro Minute ausrichten.<br />
Jede Rolle, 20 cm hoch mit<br />
einem Durchmesser von 70<br />
cm, ist auf einen Schlitten<br />
montiert, der wiederum mit<br />
der Innenseite des außenliegenden<br />
Ringträgers aus<br />
Beton verschraubt ist. Die<br />
Schlitten haben an einer<br />
Seite ein Gleitlager, an der<br />
anderen ein mehrlagiges<br />
Elastomerlager. Sie verteilen<br />
die Schubkraft von 200<br />
t <strong>und</strong> die aus Kippmomenten<br />
entstehende Horizontallast<br />
von 6500 kN gleichmäßig<br />
auf den Ringträger<br />
auf Höhe des Podiumsdaches.<br />
Um den Zugang zu<br />
den Aufzügen nicht zu behindern,<br />
wird der Betonring<br />
von schrägstehenden<br />
Stahlstützen getragen, über<br />
die die seitlichen Lasten<br />
unmittelbar in einen Senkkasten<br />
(Durchm. 12 m ) aus<br />
Stahlbeton gebracht werden.<br />
Die Normallasten aus<br />
dem Treppenturm <strong>und</strong> den<br />
Nebenschäften werden<br />
über den Ringträger in einen<br />
darunter liegenden<br />
Kegel geleitet, dessen Spitze<br />
bis zur Sohle des Senkkastens<br />
15 m nach unten<br />
zeigt. Dabei steigt die Dikke<br />
des Stahls in dem Maße<br />
wie der Durchmesser des<br />
Kegels abnimmt; die letzten<br />
drei Meter bestehen<br />
aus einem Gußteil mit massivem<br />
Endstück. Die gesamte<br />
Vertikallast von<br />
5500kN ruht auf einem<br />
Punkt, wo sie von einem<br />
Glasgow<br />
Glasgow Science Centre<br />
Edelstahl-Auflager im Auftriebsmittelpunktaufgenommen<br />
wird. Trotzdem<br />
bleibt ein gewisses Flattern<br />
infolge von Fluktuationen in<br />
der Windrichtung <strong>und</strong> –geschwindigkeit<br />
nicht auszuschließen.<br />
Für den Entwurf<br />
ging man von einer maximalen<br />
Ablenkung bei besetzter<br />
Aussichtskabine<br />
von 20 mm aus, wie sie<br />
etwa auch der auslenkenden<br />
Bewegung einer U-<br />
Bahn entspricht. Diesem<br />
möglichen Flattern wirken<br />
hier vor allem die zusammengeschraubte<br />
<strong>und</strong> damit<br />
dämpfende Außenkonstruktion<br />
<strong>und</strong> die federnde<br />
Aufhängung des Auflagerrings<br />
entgegen. Die Gründung<br />
der Kegelkammer in<br />
weichem, angeschwemmten<br />
Erdreich trägt ihr Übriges<br />
dazu bei.<br />
Der Turm ist vom Erdgeschoßniveau<br />
des Podiums<br />
aus zugänglich, einem<br />
kreisr<strong>und</strong>en Gebäude mit<br />
Granitverkleidung, in dem<br />
Ausstellungsflächen <strong>und</strong><br />
einige öffentliche Einrichtungen<br />
untergebracht sind.<br />
Der eigentliche Hauptzugang<br />
liegt jedoch in der<br />
Science Mall, von wo aus<br />
ein Entdeckungstunnel in<br />
den Ausstellungsraum des<br />
Turmes im Erdgeschoß<br />
führt. Zu den beiden Außenaufzügen<br />
zur Turmspitze,<br />
deren Führungsschienen<br />
am hinteren Stützpfeiler<br />
des Treppenschafts angebracht<br />
sind, gelangt man<br />
über schmale Stahlstege<br />
durch den Luftraum der<br />
Kegelkammer. Von hier eröffnet<br />
sich ein unmittelbarer<br />
Einblick in die Konstruktion<br />
von Kegelfuß <strong>und</strong> Auflagern<br />
<strong>und</strong> damit in die eigentliche<br />
Statik des Turms.<br />
Kegel <strong>und</strong> Gußteil wurden<br />
in <strong>Schottland</strong> gefertigt,<br />
während die Außenkonstruktion<br />
des Turmes in<br />
Polen hergestellt wurde.<br />
Die 6 m großen Turmsegmente<br />
entstanden in einer<br />
Werkshalle, in der sonst<br />
vornehmlich U-Boote gebaut<br />
werden.<br />
63
Glasgow<br />
Glasgow Science Centre<br />
64<br />
Die Science Mall ist der<br />
Mittelpunkt des Science<br />
Centres. Sie umfaßt 300<br />
hands-on exhibits auf vier<br />
Etagen, Wissenschaftsshows,<br />
Multimedia Theater<br />
<strong>und</strong> ein Planetarium. Die<br />
über 5000 m² Ausstellungsfläche<br />
werden von einem<br />
Titanium-Dach umhüllt, das<br />
sich bis auf den Boden<br />
wölbt <strong>und</strong> eine Fläche von<br />
10 500 m² umfaßt . Es ist<br />
die erste Dachkonstruktion<br />
aus diesem Material in<br />
Großbritannien <strong>und</strong> bereitete<br />
am Anfang insofern<br />
Probleme, als keine ausreichend<br />
qualifizierte Firma<br />
für die Ausführung gef<strong>und</strong>en<br />
werden konnte. Man<br />
machte sich schließlich international<br />
auf die Suche,<br />
konnte eine Bauverzögerung<br />
von sechs Monaten<br />
aber nicht mehr verhindern.<br />
Zwischen Science Mall <strong>und</strong><br />
IMAX-Kino bildet eine niedrige<br />
Konstruktion mit Teflon-beschichtetem<br />
Dach<br />
<strong>und</strong> verglasten Seiten einen<br />
Empfangsbereich.<br />
Das IMAX-Kino mit 380<br />
Sitzplätzen ist ebenfalls<br />
das erste seiner Art in<br />
<strong>Schottland</strong>. Auf einer 60 x<br />
80 ft (ca. 18 x 24,50 m) großen<br />
Leinwand mit 12 000<br />
W So<strong>und</strong>-System werden<br />
2D- <strong>und</strong> 3D-Filme zu wechselnden<br />
wissenschaftlichen<br />
Themen gezeigt. Das Eindeckmaterial<br />
des IMAX ist<br />
Aluminium.<br />
Umweltfre<strong>und</strong>liche Techniken<br />
sind die Nutzung des<br />
Flusses zur Kühlrung der<br />
Innenräume <strong>und</strong> eine natürliche<br />
Ventilation. Zur<br />
Wärmespeicherung ist genügend<br />
Betonmasse vorhanden.<br />
Die Energieversorgung<br />
erfolgt über Photovoltaik,<br />
Solar-, Wind- <strong>und</strong> Flutanlagen.
BBC Scotland Headquarters<br />
Standort: Glasgow<br />
Baujahr: 2001 – 2006 (?)<br />
Bauherr: BBC<br />
Architekt: David Chipperfield Architects<br />
Literatur: bbc.co.uk<br />
davidchipperfieldarchitects.co.uk<br />
Das neue Hauptquartier<br />
der BBC Scotland in Glasgow<br />
ist eines von mehreren<br />
Projekten in Großbritannien,<br />
mit denen sich die BBC<br />
den technischen <strong>und</strong> medialen<br />
Herausforderungen<br />
des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts stellen<br />
will. David Chipperfield<br />
Architects gewannen den<br />
ausgeschriebenen Wettbewerb<br />
mit einem Entwurf,<br />
der im Sinne der BBC ein<br />
„accessible, flexible, stimulating,<br />
efficient and attracting<br />
working environment“ 1<br />
schaffen soll, das Angestellte<br />
<strong>und</strong> Besucher gleichermaßen<br />
anzieht. Neben<br />
Multimedia-Produktion <strong>und</strong><br />
Übertragungseinrichtungen,<br />
Büros <strong>und</strong> Fernseh<strong>und</strong><br />
Radio-Studios sind<br />
Ausstellungsflächen, öffentliche<br />
Bereiche <strong>und</strong> Cafés<br />
auf insgesamt<br />
32 500m² vorgesehen.<br />
Später soll das Gebäude<br />
das Zentrum eines Medien-<br />
Dorfes bilden, das auf dem<br />
ehemaligen Gelände des<br />
Glasgow Garden Festival<br />
am Clydeufer entstehen<br />
soll. Wesentliche Kennzeichen<br />
dieses Projektes sind<br />
u.a. das Bauen auf verfüllten<br />
viktorianischen Docks<br />
<strong>und</strong> die von innen sichtbaren<br />
Konstruktionen.<br />
David Chipperfield Architects<br />
wollen öffentlichen<br />
<strong>und</strong> Arbeitsbereichen eine<br />
gleichwertige Bedeutung<br />
innerhalb des Gebäudes<br />
geben, um nirgends eine<br />
Glasgow<br />
BBC Scotland<br />
back-of-house-Atmosphäre<br />
für die technischen Bereiche<br />
entstehen zu lassen.<br />
Das Raumprogramm erforderte<br />
das Zusammenbringen<br />
von geschlossenen<br />
mehrgeschossigen Aufnahmestudios<br />
<strong>und</strong> transparenten<br />
Büros. Dieses Problem<br />
soll durch die Aufteilung<br />
auch der Freiflächen<br />
gelöst werden. Das zentrale<br />
Atrium als Abfolge von<br />
terrassierten Plattformen ist<br />
nach außen sichtbar. Durch<br />
die Glasfassade sollen im<br />
Laufe des Tages je nach<br />
Jahreszeit <strong>und</strong> Standpunkt<br />
des Betrachtes immer neue<br />
Ausblicke auf das Gebäude<br />
entstehen. Auffälliges<br />
Merkmal des Gebäudes<br />
wird eine innere, gestufte<br />
„Straße“ sein, die über die<br />
gesamte Länge ansteigt<br />
<strong>und</strong> sowohl Entspannungsbereiche<br />
als auch informelle<br />
Treffpunkte bietet <strong>und</strong><br />
nicht zuletzt den Besuchern<br />
direkte Einsichten in die<br />
Arbeit der BBC Scotland<br />
ermöglicht.<br />
In der Konstruktion aus<br />
Stahlbetonrahmen, die auf<br />
den F<strong>und</strong>amenten eines<br />
ehemaligen Hafengebäudes<br />
gegründet sind, stehen<br />
Box-in-Box Studios.<br />
Das BBC Headquarter ist<br />
Chipperfields erstes großes<br />
Projekt in <strong>Schottland</strong>.<br />
65
Glasgow<br />
Kibble-Palace<br />
66<br />
Kibble Palace<br />
Standort: Glasgow<br />
Baujahr: 1872<br />
Architekt: John Kibble<br />
Ingenieur: John Kibble<br />
Literatur: Kohlmaier, Georg; von Sartory, Barna: Das<br />
Glashaus – ein Bautypus des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts,<br />
München, 1981<br />
Ullrich, Ruth-Maria: Glas-Eisen Architektur –<br />
Pflanzenhäuser des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, Worms,<br />
1989 Detail 1/1991<br />
1865 errichtete sich der Architekt<br />
<strong>und</strong> Ingenieur John<br />
Kibble sein privates Glashaus.<br />
Fünf Jahre später<br />
schlug er der Stadtbehörde<br />
der Stadt Glasgow vor, seine<br />
entwickelte Glas-Eisenkonstruktion<br />
für einen Neubau,<br />
der von ihm gestiftet<br />
werden sollte, zu verwenden.<br />
Insgesamt sollte der<br />
neue „Kristallpalast“ 10.000<br />
Menschen fassen können.<br />
Da John Kibble auch ein<br />
guter Geschäftsmann war,<br />
knüpfte er eine Bedingung<br />
an seine Stiftung. Der durch<br />
den Betrieb des Bauwerks<br />
entstehende Profit über<br />
zwanzig Jahre sollte ihm<br />
gehören. Während dieser<br />
Zeit besaß er auch das<br />
Recht, das Gebäude für<br />
Veranstaltungen seiner<br />
Wahl zu nutzen <strong>und</strong> eine<br />
Eintrittsgebühr zu erheben.<br />
Schließlich wurde im Mai<br />
1872 sein privates Gewächshaus<br />
abgetragen<br />
<strong>und</strong> in erweiterter Form in<br />
Glasgow wieder aufgebaut.<br />
Der Durchmesser der Kuppel<br />
vergrößerte sich auf<br />
44,5 Meter, der Verbindungsgang<br />
auf 11 Meter<br />
<strong>und</strong> die beiden Seitenflügel<br />
auf eine Länge von 45,75<br />
Meter.<br />
Die Konstruktion besteht<br />
aus Eisen <strong>und</strong> Glas. Das<br />
große Gewölbe wird durch<br />
36 gusseiserne, innenlie-<br />
gende, in zwei Ringen angeordnete<br />
Stützen mit 12<br />
cm Durchmesser getragen.<br />
Der innere Kreis wird von<br />
12 , der äußere Ring von<br />
24 Säulen gebildet. Über<br />
zwei ebenfalls ringförmigen<br />
Bindern werden die Dachlasten<br />
in die Stützen abgeleitet.<br />
Zur Aussteifung werden<br />
Rahmenecken aus<br />
Gusseisen herangezogen.<br />
Diese sind mit reicher Ornamentik<br />
versehen.<br />
Die kleinere Kuppel ist in<br />
ähnlicher Weise konstruiert.<br />
Hier unterstützen<br />
sechs Säulen das Dach.<br />
Die Binderringe, aus seitlich<br />
offenen Kästen ausgebildet<br />
<strong>und</strong> aus Einzelteilen<br />
vorgefertigt, sind miteinander<br />
sowie den Stützen verschraubt.<br />
Auf den Bindern<br />
liegen die kurvenlinear gebogenen,schmiedeeisernen<br />
Spanten des Dachs<br />
auf. Das Netzwerk der<br />
Spanten geht aus der<br />
Dachschräge in eine senkrechte<br />
Anschlusswand<br />
über, die auf einem r<strong>und</strong>umgeführtenSandsteinsockel<br />
aufliegt. Der tambourartige<br />
Übergang wird<br />
durch zwei horizontale Ringe<br />
aus elementierten Gusseisenprofilen<br />
gebildet.<br />
Dieser Teil der Konstruktion<br />
dient sowohl als Aussteifung<br />
als auch als Anbringungsmöglichkeit<br />
eines<br />
Kranzes von Lüftungsfenstern<br />
r<strong>und</strong> um das gesamte<br />
Bauwerk. Die Spanten<br />
laufen zum Mittelpunkt der<br />
Kuppel zusammen <strong>und</strong><br />
schließen dort mit einem<br />
Laternenring ab. Mittels einer<br />
als ein blumenartiges<br />
Ornament wirkenden Rosette<br />
werden die enggewordenen<br />
Glasfelder aufgefangen<br />
<strong>und</strong> nur jede dritte<br />
Spante wird zum Ring<br />
weitergeführt.
Die Glaskorridore werden<br />
stützenlos durch dieselbe<br />
Spantenkonstruktion gebildet.<br />
Wie sorgfältig die Glas-Eisenkonstruktionausgearbeitet<br />
war, zeigt sich an den<br />
Schnittlinien der parabolisch<br />
gebogenen Flächen,<br />
dort wo die Glasgewölbe<br />
von Kuppel <strong>und</strong> Korridor<br />
aufeinander treffen. Die<br />
Rippe der Schnittlinie ist<br />
ohne konstruktiven Aufwand,<br />
ganz aus den Bedingungen<br />
der Glas-Eisenkonstruktion<br />
abgeleitet, ausgebildet.<br />
Besonders zu erwähnen ist<br />
noch die Tatsache, dass die<br />
statischen Eigenschaften<br />
Glasgow<br />
Kibble-Palace<br />
des Materials bis zur äußersten<br />
Grenze ausgenutzt<br />
wurden. Selbst das Glas<br />
wird als versteifendes Element<br />
eingesetzt. Die extreme<br />
Ausnutzung des Materials<br />
hinsichtlich der Tragfunktion<br />
beweist die elastische<br />
Verformung der Kuppelkonstruktion<br />
in Form einer<br />
Rotationsverformung<br />
der Spanten, die bis zum<br />
Aufliegen der Kanten der<br />
Glasscheiben an den Profilen<br />
eine Verformung mitmachen.<br />
Wie man sieht haben diese<br />
konstruktiven Gegebenheiten<br />
das Gebäude nicht<br />
gefährdet. Im Gegenteil,<br />
das Gebäude besteht bereits<br />
seit über 100 Jahren.<br />
67
Glasgow<br />
School of Art<br />
68<br />
Glasgow School of Art<br />
Standort: Glasgow<br />
Baujahr: 1897 – 1899 (1.Phase: Mitteltrakt <strong>und</strong> Ostflügel)<br />
1907 – 1909 (2.Phase: Westflügel)<br />
Bauherr: Glasgow School of Art<br />
Architekt: Charles Rennie Mackintosh<br />
Literatur: William Buchanan: Mackintosh’s Masterwork.<br />
The Glasgow School of Art, Glasgow 1989<br />
Jean-Claude Garcias: Charles Rennie Mackintosh,<br />
Basel 1989<br />
James Macaulay: Architecture in detail.<br />
The Glasgow School of Art, London 1993<br />
Die Glasgow School of Art<br />
ist eines der Hauptwerke<br />
von Charles Rennie<br />
Mackintosh. Bei ihrer Eröffnung<br />
von der Öffentlichkeit<br />
als „zu modernistisch“ kritisiert,<br />
geriet sie zwischen<br />
1914 <strong>und</strong> 1945 weitgehend<br />
in Vergessenheit <strong>und</strong> ist bis<br />
heute anders als die Wohnhäuser<br />
Mackintoshs fast<br />
unverändert erhalten geblieben.<br />
Die Kunstkritik ordnet<br />
den Bau zwischen Klassik<br />
<strong>und</strong> Moderne ein, sieht<br />
ihn geprägt von keltischer<br />
Mystik <strong>und</strong> subjektivem Jugendstil<br />
einerseits <strong>und</strong><br />
pädogogischem Funktionalismus<br />
<strong>und</strong> konstruktiver<br />
Rationalität andererseits.<br />
Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
war Glasgow eine Stadt der<br />
Neureichen ohne nennenswerte<br />
wissenschaftliche<br />
oder künstlerische Tradition.<br />
Um sich diesbezüglich<br />
zu etablieren, setzte eine<br />
bewußte Förderung der<br />
Kunst ein; Künstler wurden<br />
in die Stadt geworben <strong>und</strong><br />
Museen eingerichtet, für<br />
die man Kunstgegenstände<br />
aus dem Rest Europas sowie<br />
aus Japan einkaufte.<br />
Einer der Hauptakteure<br />
hierbei war Francis<br />
Newbery, Zeichenlehrer in<br />
London, der 1885 den Ruf<br />
als Professor an die<br />
Glasgower Kunstgewerbeschule<br />
erhielt, an der<br />
Mackintosh zu dieser Zeit<br />
studierte. Mit Newbery veränderte<br />
sich der Charakter<br />
der Schule zu einem stärker<br />
akademisch geprägten.<br />
Er bemühte sich, die Zugehörigkeit<br />
der Schule <strong>und</strong><br />
seiner eigenen Person zur<br />
europäischen Künstlergemeinde<br />
herzustellen, indem<br />
er stets den langen<br />
schwarzen Umhang der<br />
Bergleute <strong>und</strong> Feuerwehrmänner<br />
trug <strong>und</strong> sich den<br />
Beinamen „Fra“ nach dem<br />
italienischen Mönch <strong>und</strong><br />
Meister der Frührenaissance<br />
Fra Angelico<br />
gab. Seine Frau, Professorin<br />
für Kunststickerei, organisierte<br />
internationale<br />
Künstlerzusammenkünfte<br />
in Glasgow; Josef<br />
Hoffmann, Joseph Olbrich<br />
<strong>und</strong> Otto Wagner aus Wien<br />
kamen als Ehrengäste.<br />
Dieses neue Image der<br />
Schule wollte Newbery<br />
durch ein neues Gebäude<br />
untermauern, wozu sich die<br />
Gelegenheit bot, als ihm<br />
1895 ein Mäzen ein Gr<strong>und</strong>stück<br />
in einer der „guten<br />
Gegenden“ der Stadt zwischen<br />
Renfrew Street im<br />
Norden <strong>und</strong> Sauchiehall<br />
Street im Süden schenkte.<br />
Newbery sammelte Spenden<br />
für den Bau <strong>und</strong> rief 12<br />
Architekten zu einem<br />
Ideenwettbewerb auf. Der<br />
erste Preis ging an<br />
Honeyman & Keppie, aber<br />
Newbery setzte<br />
Mackintosh, inzwischen<br />
Partner in diesem Büro, als<br />
alleinigen Architekten<br />
durch. Fortan arbeitete er<br />
selbst eng mit ihm zusammen<br />
<strong>und</strong> brachte viele eigene<br />
Gedanken in den Entwurf<br />
ein.<br />
Das Konzept wurde vor allem<br />
von drei Punkten geprägt:<br />
Der Bau mußte in<br />
zwei Phasen entstehen,<br />
weil die gesammelten<br />
Spenden nicht für das<br />
Gesamtprojekt ausreich-
ten. Auf dem Umweg über<br />
das Gebäude sollte außerdem<br />
der Schwerpunkt der<br />
Schule endgültig zu Lasten<br />
des Kunstgewerbes in<br />
Richtung Kunst verschoben<br />
werden, indem mehr<br />
Ateliers <strong>und</strong> weniger Werkstätten<br />
vorgesehen wurden.<br />
Und schließlich sollte<br />
es eine Abendschule geben,<br />
die das aktuelle Problem<br />
der elektrischen Beleuchtung<br />
in den Entwurf<br />
brachte, das in den Kunstgewerbeschulen<br />
von London<br />
<strong>und</strong> Birmingham bereits<br />
gelöst war.<br />
Weitere Vorgaben waren<br />
durch den Bauplatz gegeben:<br />
Das Gr<strong>und</strong>stück ist ein<br />
langgestrecktes Rechteck,<br />
das nach Süden stark abfällt,<br />
so dass sich drei völlig<br />
unterschiedliche Fassaden<br />
ergeben. Entlang der<br />
Renfrew Street ist die Fassade<br />
ein liegendes, von<br />
Atelierfenstern <strong>und</strong> Eingängen<br />
durchlöchertes Rechteck<br />
mit 4 Stockwerken (außen<br />
nur 2 ablesbar), während<br />
im Osten <strong>und</strong> Westen<br />
hohe Steilwände von 7<br />
Stockwerken entstehen.<br />
Durch ihre unregelmäßigen<br />
kleinen Fensterdurchbrüche<br />
erinnern sie eher an<br />
die schottischen Wehrschlösser<br />
des Mittelalters.<br />
Die Nordfassade ist durch<br />
eine gewisse Asymmetrie<br />
gekennzeichnet, die sich<br />
aus dem versetzten Mittelteil<br />
<strong>und</strong> der Gliederung der<br />
Atelierfronten in drei große<br />
bzw. zwei große <strong>und</strong> zwei<br />
kleine Fensteröffnungen<br />
ergibt. Die Ostfassade hat<br />
einen geschlossenen <strong>und</strong><br />
einen durchfensterten Teil;<br />
die Fensterteilung ist auch<br />
hier leicht asymmetrisch.<br />
Glasgow<br />
School of Art<br />
Zwei gewölbte Fenster<br />
kennzeichnen die Lage des<br />
Sitzungsaales. Auch die<br />
Westfassade ist in einen<br />
geschlossenen <strong>und</strong> einen<br />
offenen Teil gegliedert, der<br />
hier durch drei verglaste<br />
Erker besonders betont<br />
wird; der geschlossene Teil<br />
hat eine aussteifende<br />
Funktion für die großflächig<br />
verglasten Ateliers an der<br />
Nordseite. Die Kanten der<br />
Erker sind unverziert, ebenso<br />
die Wand darunter. Im<br />
Vergleich zur Ostfassade<br />
zeigt sich hier ein gr<strong>und</strong>legender<br />
Stilwandel. Auf der<br />
Südseite liegt der<br />
Bibliothekserker innerhalb<br />
der Wandebene. Die verwendeten<br />
Materialien sind<br />
traditionell, teilweise aber<br />
ungewöhnlich bearbeitet.<br />
Die drei Straßenfronten<br />
bestehen aus dem örtlichen<br />
graugelben Granit,<br />
der sich in vielen<br />
Glasgower Bauten wiederfindet;<br />
die Rückfront dagegen<br />
ist eine verputzte<br />
Ziegelwand mit<br />
schießschartenartigen<br />
Fenstern ähnlich denen der<br />
Ostfassade.<br />
Aus der Gr<strong>und</strong>rißform, die<br />
ein E bildet, ergibt sich ein<br />
maximaler Fassadenanteil<br />
an den Hauptstraßen, der<br />
besonders das Nordlicht für<br />
die Ateliers optimal nutzt.<br />
Das Gebäude wird über<br />
drei Treppenhäuser in Mittel-<br />
<strong>und</strong> Seitentrakten erschlossen,<br />
die durch Korridore<br />
verb<strong>und</strong>en sind. Im<br />
Haupttrakt sind über vier<br />
Etagen Unterrichtsräume,<br />
Ateliers <strong>und</strong> Werkstätten<br />
untergebracht, im Ostflügel<br />
Räume für Entwurf <strong>und</strong><br />
Modellzeichnen, im Westflügel<br />
die Bibliothek <strong>und</strong> im<br />
Mitteltrakt ein kleines Museum.<br />
Die Verteilung der Räume<br />
zeigt dabei eine klare, für<br />
die Jahrh<strong>und</strong>ertwende übliche<br />
Hierarchie: Im Erdgeschoß<br />
befinden neben dem<br />
Sekretariat <strong>und</strong> einem Laden<br />
die Anfängerklassen,<br />
im ersten Stock die<br />
Zeichenräume, Säle für<br />
antike Vorlagen, das Museum<br />
<strong>und</strong> die Bibliothek <strong>und</strong><br />
auf der Mittelachse<br />
Newberys Direktoren-<br />
69
Glasgow<br />
School of Art<br />
70<br />
zimmer. Die Seitenflügel<br />
haben ein Zwischengeschoß<br />
mit der Bibliotheksgalerie<br />
im Westen <strong>und</strong> dem<br />
Aktzeichensaal im Osten.<br />
Im zweiten Stock schließlich<br />
liegen der Stickereiraum,<br />
die Prüfungsräume<br />
sowie die Professorenateliers.<br />
Alle Räume sind<br />
elektrisch beleuchtet <strong>und</strong><br />
werden nach einem ausgefeilten<br />
System beheizt <strong>und</strong><br />
belüftet, das man wohl als<br />
die erste „Klimaanlage“ bezeichnen<br />
kann. Lediglich<br />
einige Werkstätten <strong>und</strong> das<br />
Direktorenzimmer haben<br />
noch einen eigenen Kamin.<br />
Das Tragwerk ist ein gemischtes<br />
Tragwerk aus<br />
Mauerwerks- <strong>und</strong> frühem<br />
Skelettbau. Die Aussteifung<br />
erfolgt über die massiv<br />
gebauten kleineren<br />
Räume <strong>und</strong> Korridore der<br />
Südseite, den massiven<br />
Mitteltrakt sowie die geschlossenenWandscheiben<br />
der Ost- <strong>und</strong><br />
Westfassade. Die Ateliers<br />
mit großen Spannweiten<br />
entlang der Nordfassade<br />
sind kein reiner Skelettbau,<br />
da die Lasten in Mauerscheiben<br />
<strong>und</strong> nicht in Stützen<br />
abgeleitet werden ,<br />
aber sicherlich als eine Vorstufe<br />
zu betrachten. Die<br />
Räume werden von Haupt<strong>und</strong><br />
Nebenträgern in einer<br />
Ebene überspannt, wobei<br />
die Hauptträger quer zur<br />
Nordfassade verlaufen. Sie<br />
bestehen aus Eisen <strong>und</strong><br />
sind mit Putz ummantelt.<br />
Die großen Fensteröffnungen<br />
werden durch<br />
ein Zusammenziehen der<br />
Lasten in massiven Pfeilern<br />
möglich. Im Sekretariat im<br />
gleichen Stockwerk wurden<br />
wegen der kleineren<br />
Spannweite Holzbalken<br />
verwendet. Die<br />
Diplomandenateliers im<br />
zweiten Stock haben eben-<br />
falls ein gerichtetes Tragwerk.<br />
Obwohl die Lasten<br />
hier insgesamt kleiner als<br />
in den Ateliers darunter<br />
sind, liegen die Hauptträger<br />
in engerem Abstand. Durch<br />
die viel geringere Last je<br />
Träger konnten so schlankere<br />
Stützen verwendet<br />
werden, um das durchgehende<br />
Fensterband nicht<br />
zu zerteilen. Der Dachstuhl<br />
über dem Direktorenzimmer<br />
wird von Sparren<br />
getragen, die auf einem<br />
Einfeldträger mit 8,50 m<br />
Spannweite aufliegen. Über<br />
dem Museum stützt sich<br />
das Dach auf vier Träger<br />
mit 9,50 m Spannweite, die<br />
auf Nord- <strong>und</strong> Südwand<br />
aufliegen. Das Tragwerk<br />
besteht hier aus einem<br />
Biegebalken, der an beiden<br />
Enden aufliegt <strong>und</strong> in der<br />
Mitte an einem Hängewerk<br />
befestigt ist. Die Flächenlasten<br />
werden dadurch als<br />
Punktlasten auf den Biegeträger<br />
übertragen. Verglichen<br />
mit einem einfachen<br />
biegebeanspruchten Träger<br />
kann der Biegebalken<br />
hier um ¼ geringer dimensioniert<br />
werden. Die Ateliers<br />
der Bildhauer befinden<br />
sich – aus Gewichtsgründen<br />
– im Keller. Sie<br />
werden durch ein geneigtes<br />
Glasdach belichtet, das<br />
von 7,50 m weit spannenden<br />
Trägern getragen wird.<br />
In einem Teil des Kellers<br />
handelt es sich dabei ähnlich<br />
wie im Museum um<br />
Einfeldträger mit Hängewerk,<br />
im anderen ist es ein<br />
normales Pfettendach. Die<br />
repräsentativen Räume<br />
sind in Material <strong>und</strong> Konstruktion<br />
aufwändiger ausgeführt<br />
als die Werkstätten.<br />
An Holzverarbeitung <strong>und</strong><br />
konstruktiver sowie formaler<br />
Gestaltung der Dachstühle<br />
ist die Erfahrung der<br />
Zimmerleute ablesbar, die<br />
größtenteils aus dem<br />
Schiffbau kamen.<br />
Die Metallsprossen der<br />
Fenster mit ihren kleinen<br />
Rechtecken leiten sich aus<br />
dem Vorbild eines historischen<br />
Sprossenfensters<br />
ab <strong>und</strong> werden von<br />
Mackintosh in vielen seiner<br />
Arbeiten verwendet; in der<br />
School of Art tauchen sie<br />
beim Direktorenzimmer in
der Nordfassade, am Hörsaal<br />
in der Ostfassade <strong>und</strong><br />
bei der Bibliothek in der<br />
Westfassade auf. Die Ateliers<br />
<strong>und</strong> Zeichensäle haben<br />
dagegen einen neuen<br />
Fenstertyp; die Fenster des<br />
Erdgeschosses setzen sich<br />
aus je zehn Feldern von<br />
2,10 m x 1,10 m zusammen,<br />
im ersten Stock sind<br />
es je zwanzig Felder. Ähnliche<br />
Fassadenöffnungen<br />
werden zu dieser Zeit auch<br />
von Josef Hoffmann <strong>und</strong><br />
Adolf Loos verwendet.<br />
Der Einsatz von Schmiedeeisen<br />
ist nicht nur eine Anlehnung<br />
an alte schottische<br />
Fenstervergitterungen,<br />
sondern zeigt auch die<br />
handwerklichen Fähigkeiten<br />
der Metallarbeiter in<br />
den Glasgower Werften.<br />
Mackintosh bildet das historische<br />
Gittermotiv zu<br />
Tulpensträußen <strong>und</strong> japanischen<br />
Wappenmotiven um,<br />
in denen möglicherweise<br />
auch stilisierte Geschöpfe<br />
zu erkennen sind. Vor den<br />
Atelierfenstern im ersten<br />
Stock ist ein weit vorspringendes<br />
schmiedeeisernes<br />
Gesims angebracht, dessen<br />
Eisenstangen in filigranen<br />
Kugeln enden, die sich<br />
an die Grifform des schottischenClaymore-Schwertes<br />
anlehnen. Die Stangen<br />
versteifen einerseits die<br />
Fensterahmen, halten aber<br />
gleichzeitig eiserne Auskragungen,<br />
die als Halterungen<br />
für die Leitern der Fensterputzer<br />
vorgesehen<br />
sind. In den Auskragungen<br />
zeigt sich bereits<br />
Mackintoshs Vorliebe für<br />
das Quadrat, die er später<br />
in seinen Möbelentwürfen<br />
weiterverfolgt.<br />
Die kunstgeschichtlich bedeutendsten<br />
Räume der<br />
ersten Bauphase sind das<br />
Direktorenzimmer <strong>und</strong> der<br />
Beratungsraum, der durch<br />
vier fünfmal so hohe wie<br />
breite gegenüberliegende<br />
Fenster in der Ost- <strong>und</strong> der<br />
Westwand belichtet wird.<br />
Sie liegen bündig in der<br />
Außenwand <strong>und</strong> sind bis<br />
zum Boden gezogen; die<br />
Decke <strong>und</strong> ihre Eisenträger<br />
sind weiß gestrichen, um<br />
das einfallende Licht maximal<br />
auszunutzen. Seit der<br />
Glasgow<br />
School of Art<br />
letzten Restaurierung stehen<br />
die dunklen Eichenmöbel<br />
außerdem vor<br />
schneeweißen Wänden<br />
<strong>und</strong> Gardinen. Zu<br />
Mackintoshs Zeiten war<br />
sein Konzept niemals so<br />
konsequent umgesetzt<br />
worden, da der Raum aus<br />
Platzmangel die meiste<br />
Zeit als Malraum genutzt<br />
wurde. Heute heißt er<br />
Mackintosh-Zimmer <strong>und</strong><br />
dient als Ausstellungsraum<br />
für die Möbelstücke, die<br />
aus Windy Hill <strong>und</strong> anderen<br />
Privatbesitzen in der<br />
School of Art untergekommen<br />
sind. Das Direktorenzimmer<br />
ist ein anderer der<br />
„weißen Räume“, die<br />
Mackintosh als Gegenwelt<br />
zur rußigen Industriestadt<br />
draußen geschaffen hat. Er<br />
erhält einen besonderen<br />
Akzent durch die Ausbuchtung<br />
der Fassade, in der<br />
der Schreibtisch des Direktors<br />
steht.<br />
Während der zweiten Bauphase<br />
wurde neben dem<br />
Anbau der Bibliothek über<br />
den Mittelteil ein<br />
Verbindungsgang zwischen<br />
Ost- <strong>und</strong> Westflügel<br />
aufgesetzt, die Diplomstudios<br />
im zweiten Stock<br />
hinzugefügt <strong>und</strong> im Ostflügel<br />
ein zusätzliches<br />
Treppenhaus eingebaut.<br />
Die Bibliothek an sich ist<br />
geometrischer <strong>und</strong> stärker<br />
vom japanischen Stil geprägt.<br />
Sie ist ganz aus Holz,<br />
hat tiefe Fenstereinschnitte<br />
in West- <strong>und</strong> Südwand,<br />
eine quadratische Gr<strong>und</strong>fläche<br />
von 9,50 m x 9,50 m<br />
<strong>und</strong> reicht über zwei Etagen<br />
– wieder eine Anlehnung an<br />
die schottischen Wehrschlösser,<br />
hier wird deren<br />
Halle aufgegriffen. Zwei<br />
Reihen von je vier Stützen<br />
71
Glasgow<br />
School of Art<br />
72<br />
über den Deckenbalken<br />
des darunterliegenden Geschosses<br />
teilen den quadratischen<br />
Raum in drei<br />
Längsschiffe. Sie sind 6 m<br />
hoch <strong>und</strong> stützen die Kassettendecke,<br />
die außerdem<br />
an Eisenzugstäben im Magazin<br />
über den Bibliotheksräumen<br />
aufgehängt ist. Die<br />
auf Höhe des zweiten Geschosses<br />
umlaufende Galerie<br />
wird nicht bis an die<br />
Pfeiler herangezogen, son-<br />
dern liegt auf einem<br />
Zwillingsbalken auf, der als<br />
Zangenkonstruktion an die<br />
Stützen anschließt. Die von<br />
Mackintosh entworfenen<br />
Lampen der Bibliothek verbinden<br />
im Kleinen ebenfalls<br />
wieder mittelalterliche <strong>und</strong><br />
japanische Vorbilder; sie<br />
sind eine Kombination aus<br />
an Ketten aufgehängten<br />
Kandelabern <strong>und</strong> Lampenschirmen<br />
aus feinen Holzplättchen.
Glasgow<br />
School of Art<br />
73
Glasgow-Birmingham<br />
New Lanark<br />
74<br />
New Lanark <strong>und</strong> Robert Owen<br />
Literatur: whc.unesco.org<br />
www.newlanark.org<br />
spartacus.schoolnet.co.uk<br />
David Dale, Sohn eines<br />
Einzelhandelskaufmanns,<br />
hatte zunächst eine Weberlehre<br />
gemacht <strong>und</strong> später<br />
als reisender Agent den<br />
Heimwebern ihr Leinen abgekauft,<br />
bevor er sich in<br />
Glasgow mit dem Import<br />
von Garn aus Holland <strong>und</strong><br />
Belgien selbständig gemacht<br />
hatte. 1784 lernte er<br />
Richard Arkwright, den Erfinder<br />
der Spinning Jenny,<br />
kennen <strong>und</strong> gründete mit<br />
dessen Hilfe seine eigene<br />
Baumwollspinnerei, die<br />
New Lanark Cotton Mills<br />
nahe der Stadt Lanark an<br />
den Clyde Wasserfällen<br />
südlich von Glasgow, denen<br />
bald weitere Fabriken<br />
in Blantyre, Sutherland <strong>und</strong><br />
Oban folgten.<br />
Dale baute um seine Fabriken<br />
herum ein ganzes Dorf<br />
für die Familien, die größtenteils<br />
aus den Highlands<br />
kamen <strong>und</strong> nach den clearances<br />
(d.h. der Landvertreibung<br />
der Pächter durch<br />
die Landbesitzer während<br />
der agrarischen Revolution)<br />
auf ein besseres Leben<br />
hofften; die meisten von ihnen<br />
hatten noch nie zuvor<br />
so große <strong>und</strong> hohe Gebäude<br />
gesehen. Um seine<br />
Spinnmaschinen zu bedienen,<br />
holte Dale außerdem<br />
H<strong>und</strong>erte von Waisenkindern<br />
aus Glasgow <strong>und</strong><br />
Edinburgh; die Kinder<br />
konnten leichter unter den<br />
Maschinen hindurchkriechen<br />
<strong>und</strong> waren außerdem<br />
die billigsten zur Verfügung<br />
stehenden Arbeitskräfte.<br />
Von den etwa 2000 Arbeitern,<br />
die 1790 in New Lanark<br />
lebten, waren 500 Kinder<br />
unter zehn Jahren.<br />
Dale gehörte zu diesem<br />
Zeitpunkt die größte Textilfabrik<br />
Englands <strong>und</strong> er war<br />
bekannt dafür, dass er seine<br />
Arbeiter – für seine Zeit<br />
– gut behandelte; sie galten<br />
als „well fed and<br />
clothed“. Aber es gab kaum<br />
Schulbildung, die sanitären<br />
Verhältnisse <strong>und</strong> die Unterbringung<br />
waren unerträglich.<br />
1799 übernahm Dales<br />
Schwiegersohn Robert<br />
Owen die Fabrik. In einer<br />
Rede vor Robert Peels<br />
House of Commons Committee<br />
beschreibt er 1816,<br />
in dem Jahr, in dem er in<br />
New Lanark die erste Vorschule<br />
Großbritanniens<br />
einrichtete, die Situation bei<br />
seiner Übernahme:<br />
[...] I fo<strong>und</strong> that there were<br />
500 children, who had<br />
been taken from poorhouses,<br />
chiefly in<br />
Edinburgh, and those<br />
children were generally<br />
from the age of five and<br />
six, to seven to eight. The<br />
hours at the time were<br />
thirteen. Although these<br />
children were well fed<br />
their limbs were generally<br />
deformed, their growth<br />
was stunted, and although<br />
one of the best<br />
schoolmasters was<br />
engaged to instruct these<br />
children regularly every<br />
night, in general they<br />
made very slow progress,<br />
even in learning the<br />
common alphabet. I came<br />
to the conclusion, that the<br />
children were injured by<br />
being taken into the mills<br />
at this early age, and<br />
employed for so many
hours; therefore, as soon<br />
as I had it in my power, I<br />
adopted regulations to put<br />
an end to a system which<br />
appeared to me so<br />
injurious. 1<br />
Owen gilt als einer der Väter<br />
des Frühsozialismus. Er<br />
begründete das cooperative<br />
movement <strong>und</strong> glaubte<br />
an die Kontrolle durch die<br />
Arbeiter, obwohl er selbst<br />
hochrangiger Kapitalist<br />
war. Er glaubte, dass, wenn<br />
die Arbeiterklasse je<br />
Gleichheit erreichen wollte,<br />
die Arbeiter zunächst ihre<br />
eigenen Einstellungen ändern<br />
mussten. Vor allem<br />
mussten sie sich ihrer Forderungen<br />
<strong>und</strong> Anliegen bewusst<br />
sein, an ihre Rechte<br />
glauben <strong>und</strong> dazu befähigt<br />
werden, für ihre Ziele zu<br />
kämpfen. Dabei hielt er<br />
staatliche Erziehung für<br />
unerlässlich, um das Schulwesen<br />
von der Enge individueller<br />
Vorstellungen <strong>und</strong><br />
des kirchlichen Dogmatismus<br />
zu befreien. Für ihn<br />
war Erziehung die Lösung<br />
aller sozialen Übel, aber<br />
ihre traditionelle Spielart<br />
verewigte nur die Ignoranz<br />
<strong>und</strong> die ergebene Akzeptanz<br />
von Irrtümern <strong>und</strong> Irrlehren.<br />
Er war überzeugt,<br />
dass die Weiterentwicklung<br />
der Menschheit durch die<br />
Verbesserung der Umwelt<br />
des Einzelnen gefördert<br />
werden könne. Wenn das<br />
gesellschaftliche Sein den<br />
Charakter eines Menschen<br />
bestimme, folgerte er, müsse<br />
eine Verbesserung des<br />
gesellschaftlichen Seins<br />
wiederum den Charakter<br />
verbessern. Ohne eine Verbesserung<br />
dieses Seins je-<br />
Glasgow-Birmingham<br />
New Lanark<br />
denfalls, sei auch keine<br />
Veränderung des Charakters<br />
zu erwarten. Owens<br />
Ansatz war damit nicht rein<br />
humanitär, er stand vielmehr<br />
den Utilitaristen nahe,<br />
die davon überzeugt waren,<br />
dass irrationale Handlungen<br />
<strong>und</strong> Systeme, <strong>und</strong><br />
dazu zählte auch die Ausbeutung<br />
der Arbeiter, auf<br />
lange Sicht keinen optimalen<br />
Nutzen für eine Gesellschaft<br />
haben könnten:<br />
Handlungen seien nur<br />
dann moralisch richtig,<br />
wenn sie auf lange Sicht<br />
zum größtmöglichen Glück<br />
aller führen, <strong>und</strong> nicht etwa<br />
zum größtmöglichen<br />
Reichtum einer Gruppe<br />
oder Klasse.<br />
Als erste Maßnahmen legte<br />
Owen fest, keine weiteren<br />
Kinder aus den Armenhäusern<br />
in die Fabrik zu<br />
holen. New Lanark wurde<br />
eine Modell-Fabrik <strong>und</strong> ein<br />
Modell-Dorf für seine Vision.<br />
Die Fabriken waren<br />
sauber, die Arbeitszeit für<br />
Frauen <strong>und</strong> Kinder mit 12<br />
St<strong>und</strong>en einschließlich eineinhalb<br />
St<strong>und</strong>en Pause relativ<br />
kurz; Kinder unter zehn<br />
Jahren wurden gar nicht<br />
beschäftigt. Er ließ gemessen<br />
an der Zeit komfortable<br />
Reihenhäuser bauen<br />
<strong>und</strong> richtete einen Laden<br />
ein, in dem qualitativ hochwertige<br />
Produkte zu kaum<br />
mehr als ihrem Herstellungspreis<br />
verkauft wurden,<br />
während anderswo Arbeiter<br />
gezwungen wurden, die<br />
Waren für ihren Lebensunterhalt<br />
zu überhöhten Preisen<br />
in der Fabrik gehörenden<br />
Läden zu kaufen. Der<br />
geringe Gewinn aus Owens<br />
Laden floß direkt in die<br />
Schule für die Kinder der<br />
Arbeiter <strong>und</strong> die Waisenkinder.<br />
Der Verkauf von Alkohol<br />
war strikt begrenzt. Er<br />
führte Auszeichnungen für<br />
Sauberkeit <strong>und</strong> gutes Benehmen<br />
ein, die er seinen<br />
Arbeitern selbst beispielhaft<br />
vorzuführen versuchte;<br />
denn Owen war Paternalist.<br />
Während des amerikanischen<br />
Embargos 1806<br />
standen die Maschinen vier<br />
Monate lang still, aber<br />
Owen bezahlte den Arbeitern<br />
dennoch ihren vollen<br />
75
Glasgow-Birmingham<br />
New Lanark<br />
76<br />
Lohn, was ihm große Bew<strong>und</strong>erung<br />
<strong>und</strong> Achtung<br />
eintrug; danach konnte er<br />
den Alkoholismus <strong>und</strong><br />
Diebstahl noch weiter reduzieren.<br />
Der Gewinn aus<br />
dem Laden floß direkt in die<br />
Schule für die Kinder der<br />
Arbeiter.<br />
1813 überwarf er sich mit<br />
seinen Teilhabern, denen<br />
mißfiel, dass die Gewinne,<br />
die New Lanark erwirtschaftete,<br />
nicht so hoch<br />
waren, wie sie hätten sein<br />
können, wenn auf all die<br />
Wohlfahrtsleistungen verzichtet<br />
worden wäre. Owen<br />
zahlte sie aus <strong>und</strong> hatte<br />
nun freie Hand. Neben der<br />
theorethischen Ausarbeitung<br />
seiner Ideen, u.a. mit<br />
Jeremy Bentham, dem<br />
Theoretiker des Utilitarismus,<br />
eröffnete er 1816 in<br />
New Lanark die erste infant<br />
school ( = <strong>Institut</strong>e for the<br />
formation of the character)<br />
Großbritanniens. Erziehung<br />
sah er dabei als etwas<br />
ganz Anderes als Informationsvermittlung:<br />
„Education must seek to<br />
promote higher ideals and<br />
achievements, and should<br />
be more than pure root<br />
learning.” In seiner Schule<br />
wurden Kinder zwischen<br />
drei <strong>und</strong> zehn Jahren unterrichtet;<br />
wenn es sich die<br />
Eltern leisten konnten, die<br />
Kinder dann noch nicht zur<br />
Arbeit zu schicken, konnten<br />
sie bis zum dreizehnten<br />
Lebensjahr bleiben. Gr<strong>und</strong>prinzipien<br />
der Schule waren,<br />
dass die Kinder nicht<br />
geschlagen <strong>und</strong> immer<br />
fre<strong>und</strong>lich angesprochen<br />
wurden. Die Ethik der<br />
Schule basierte auf Owens<br />
„rational approach“: keine<br />
Strafen, nur Ermutigung<br />
<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>lichkeit;Lesen,<br />
Schreiben <strong>und</strong> Arithmie ergänzt<br />
durch Singen <strong>und</strong><br />
Tanzen, Lehrmittel wie z.B.<br />
große, farbige Leinwände.<br />
New Lanark fand internationale<br />
Anerkennung, als<br />
Owens „Experimente“ tatsächlich<br />
zu gesteigerter<br />
Produktivität <strong>und</strong> größeren<br />
Profiten führten. Zwischen<br />
1814 <strong>und</strong> 1824 wurden<br />
jährlich 2000 Besucher,<br />
Staatsoberhäupter, Politiker<br />
<strong>und</strong> Reformer, verzeichnet.<br />
Je mehr Owens<br />
Ziele Bestandteile der sich<br />
kontinuierlich entwickelnden<br />
britischen Arbeiterbewegung<br />
wurden, desto geringer<br />
wurde die Aufmerksamkeit,<br />
die diesem einzelnen<br />
Projekt entgegen gebracht<br />
wurde.<br />
Erst 1967 wurde die Fabrik<br />
geschlossen, <strong>und</strong> in den<br />
70er Jahren wäre die Anlage<br />
fast abgerissen worden.<br />
Der New Lanark Preservation<br />
Trust übernahm jedoch,<br />
<strong>und</strong> die UNESCO erklärte<br />
das vollständig erhaltene<br />
„Industrie-Dorf“ mit 4<br />
Fabriken, Kinderheimen<br />
(nursery homes), der Einkaufskooperative,Verwaltungsgebäuden,Wohnungen<br />
(Caithness Row) <strong>und</strong><br />
dem sozialen Zentrum (<strong>Institut</strong>e<br />
for the formation of<br />
the character) 1986 zum<br />
Weltkulturerbe. Heute leben<br />
in New Lanark ca. 150<br />
Menschen, die kleinere<br />
Handwerksbetriebe <strong>und</strong><br />
Geschäfte in Zusammenarbeit<br />
mit dem Trust führen.<br />
Die Häuser sind teilweise<br />
Eigentum oder vermietet.<br />
Strenge denkmalpflegerische<br />
Auflagen haben die<br />
äußere Erscheinung der<br />
Gebäude bewahrt, im Inneren<br />
sind aber viele der ehemaligen<br />
Ein- oder Zwei-<br />
Raum-Wohnungen zu größeren<br />
Wohneinheiten zusammengelegt<br />
worden.
Coalbrookdale Iron-Bridge über den Severn<br />
Glasgow-Birmingham<br />
Coalbrookdale Iron-Bridge<br />
Standort: Coalbrookdale, zwischen Madeley <strong>und</strong> Broseley<br />
Baujahr: 1777 - 1779<br />
Bauherr: Coalbrookdale Company<br />
Architekt: Thomas Farnolls Pritchard<br />
Ausführung:Abraham Darby III.<br />
Literatur: David P. Billington: The Tower and the Bridge.<br />
The New Art of Structural Engineering, Princeton/<br />
NJ, 1983<br />
Ernst Werner: Die ersten eisernen Brücken,<br />
München 1974<br />
Bernhard Tokarz (Hg.): <strong>Konstruieren</strong> lernen an<br />
Bauten in Großbritannien, Universität Stuttgart 1990<br />
Karl H. Wittek: Untersuchungen über den<br />
Entwicklungsgang des Stahlhochbaus,<br />
Düsseldorf 1964<br />
Benjamin Huntsman gelang<br />
1745 die industrielle<br />
Herstellung von Gußstahl<br />
in einem koksbeheizten<br />
Windofen mit hoher Esse.<br />
Diese Erfindung ließ die<br />
englische Stahlindustrie die<br />
Vorreiterstellung gegenüber<br />
älteren Stahlproduzenten<br />
wie Schweden oder<br />
Deutschland einnehmen.<br />
Mit dem Kohlenstoffgehalt<br />
des Eisens steigen dessen<br />
Härte <strong>und</strong> Schmelzbarkeit;<br />
Gußeisen wird aus stark<br />
kohlenstoffhaltigem Roheisen<br />
gewonnen, ist deshalb<br />
sehr hart <strong>und</strong> brüchig <strong>und</strong><br />
nicht mehr schmiedbar.<br />
Weil die Entwaldung Englands<br />
– <strong>und</strong> vor allem<br />
<strong>Schottland</strong>s – zu Beginn<br />
des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts bereits<br />
weit fortgeschritten<br />
war, waren seit längerem<br />
Versuche gemacht worden,<br />
die Hochöfen zur Eisenverhüttung<br />
von Holzkohle auf<br />
verkokste Steinkohle umzustellen.<br />
Der Industrielle<br />
Abraham Darby I. machte<br />
dazu in seinen Hochöfen in<br />
den Kohlenfeldern der<br />
Grafschaft Shropshire Versuche.<br />
1709 erzielte er unter<br />
Verwendung von Koks<br />
aus schwefelarmer Kohle<br />
dünnflüssiges <strong>und</strong> gut vergießbares<br />
Koksroheisen.<br />
Er wurde damit zum Begründer<br />
der Massenherstellung<br />
von Gußeisen <strong>und</strong><br />
schuf eine wesentliche Vorraussetzung<br />
für die Entwicklung<br />
der die Industrielle<br />
Revolution tragenden<br />
Technologie. Das Coalbrookdale<br />
<strong>und</strong> die Region<br />
um Manchester wurden im<br />
Laufe des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
zum Zentrum der britischen<br />
Eisenindustrie. 1779 baute<br />
Abraham Darby III. die erste<br />
gußeiserne Brücke der<br />
Welt im Coalbrookdale.<br />
Die Idee zu einer Brücke<br />
über den Severn zwischen<br />
Madeley <strong>und</strong> Broseley kam<br />
auf, als der wachsende<br />
Verkehr durch die Fähre<br />
allein nicht mehr zu bewältigen<br />
war. Vermutlich war<br />
es John Wilkinson, ein<br />
Konstrukteur <strong>und</strong> Eisengießer<br />
der Darbys, der bei der<br />
Bevölkerung den Ruf hatte,<br />
„iron-mad“ zu sein, der<br />
vorschlug, zum Bau der<br />
Brücke Eisen zu verwenden.<br />
Dadurch könnten sowohl<br />
die allmählich sinkenden<br />
Absatzzahlen ausgeglichen<br />
<strong>und</strong> gleichzeitig<br />
Werbung für die örtliche<br />
77
Glasgow-Birmingham<br />
Coalbrookdale Iron-Bridge<br />
78<br />
Industrie gemacht werden.<br />
Zur Finanzierung des Projektes<br />
gründete Darby eine<br />
Aktiengesellschaft, mit der<br />
Planung der Brücke wurde<br />
Thomas Farnolls Pritchard<br />
beauftragt, ein Architekt<br />
aus Shrewsbury, der durch<br />
viele Steinbrücken bekannt<br />
war.<br />
Pritchard reichte seinen ersten<br />
Entwurf 1775 ein. Die<br />
niedrige Pfeilerhöhe der<br />
Brücke bei einer Spannweite<br />
von etwa 40 m (120 ft)<br />
wurde von den Aktionären<br />
jedoch als zu waghalsig<br />
abgelehnt. Sie ließen sich<br />
erst zur Zustimmung bewegen,<br />
als Pritchard die<br />
Spannweite auf 100 ft reduzierte<br />
<strong>und</strong> den Kreisbogenverlauf<br />
der Rippen an bekannte<br />
Steinbrücken anglich,<br />
die Fertigstellung bis<br />
Weihnachten 1778 versprach<br />
<strong>und</strong> ihnen darüber<br />
hinaus vorschlug, eine<br />
Mautgebühr für die Brücke<br />
einzuführen.<br />
Ende 1777 wurden die Arbeiten<br />
aufgenommen, bis<br />
Oktober 1778 waren die<br />
steinernen Widerlager errichtet.<br />
Die „Eisenphase“<br />
begann mit der Anfertigung<br />
von 30 Gießmodellen, aber<br />
der ursprüngliche Zeitplan<br />
war längst nicht mehr einzuhalten.<br />
Der Guß der bis zu<br />
20,72 m langen Bogenstücke<br />
mit Querschnitten von 22,8 x<br />
17,8 cm (9 x 7 Zoll) <strong>und</strong> einem<br />
Gewicht von 6 t ist dabei<br />
eine herausragende technische<br />
Leistung. Ab Juli<br />
1779 wurden die Rippen<br />
aufgebaut. Die insgesamt<br />
378 t Eisen – Pritchard war<br />
eigentlich von einer Menge<br />
von 300 t ausgegangen –<br />
wurden mit Pferdezügen<br />
<strong>und</strong> Tauen zur Baustelle<br />
gebracht <strong>und</strong> montiert. Das<br />
Leergerüst konnte Ende<br />
1779 entfernt werden.<br />
Pritchard konstruierte die<br />
Brücke mit einer Öffnung<br />
aus fünf nebeneinanderliegenden<br />
R<strong>und</strong>bögen von je<br />
30,50 m Spannweite. Jede<br />
Bogenebene besteht aus<br />
drei konzentrischen Ringen,<br />
wobei nur die innere<br />
Bogenrippe durchgängig ist<br />
<strong>und</strong> ihre Bogenwirkung entfalten<br />
kann. Verb<strong>und</strong>en<br />
sind die Rippen durch ra-<br />
diale Koppelelemente. Im<br />
Aufriß sind sie aus je zwei<br />
symmetrischen Hälften zusammengesetzt.<br />
Auf den<br />
Widerlagern aus Stein liegen<br />
zur Lastverteilung gußeiserne<br />
Platten, auf denen<br />
Gebinde aus quadratischen<br />
Eisensäulen stehen.<br />
Gegen die Fußpunkte der<br />
Innenstützen sind über einen<br />
Schlußkeil die inneren<br />
Bogenrippen gelagert <strong>und</strong><br />
mit einer Schraubverbindung<br />
gesichert. Die äußeren<br />
kürzeren Bogenrippen,<br />
die vor dem Bogenscheitelpunkt<br />
in die Fahrbahn münden,<br />
durchdringen die Stützen<br />
in gegossenen Ösen.<br />
Sie liegen im F<strong>und</strong>ament<br />
auf Eisenbarren <strong>und</strong> der<br />
Gr<strong>und</strong>platte auf, an der anderen<br />
Seite sind sie in Eisenbalken<br />
unter der Fahrbahn<br />
eingelassen. Weil die<br />
Kontinuität des Bogens unterbrochen<br />
ist, können sie<br />
keine Bogentragwirkung<br />
entfalten, wohl ein Fehler<br />
dieses frühen Eisentrag-<br />
werks, der bei späteren<br />
Konstruktionen nicht mehr<br />
auftaucht.<br />
Die Aussteifung der Konstruktion<br />
stellte Pritchard<br />
vor eine gänzlich neue Aufgabe,<br />
bei der er auf keinerlei<br />
Erfahrung aus seiner<br />
bisherigen Arbeit zurückgreifen<br />
konnte. Alle Tragwerksebenen<br />
sind durch<br />
horizontale Riegel, Zwischenträger<br />
<strong>und</strong> Querbinder<br />
verb<strong>und</strong>en, die Aussteifung<br />
erfolgt aber über<br />
schräge Streben in Säulenebene.<br />
Fraglich ist auch die<br />
statische Wirkung der Eisenringe<br />
in den Bogenzwikkeln;<br />
da ihre Berührungspunkte<br />
nicht an den Knotenpunkten<br />
der Rippen liegen,<br />
sind sie wohl lediglich<br />
Ornament.<br />
Die Fahrbahn ist 7,30 m<br />
breit <strong>und</strong> besteht aus gußeisernen<br />
Platten, auf die
ein Gemisch aus Lehm <strong>und</strong><br />
Eisenschlacke aufgebracht<br />
wurde. Sie berührt das Bogentragwerk<br />
in der Mitte<br />
der Brücke <strong>und</strong> sichert so<br />
die druckbeanspruchten<br />
Bogenglieder gegen seitliches<br />
Ausknicken. Die Zwischenglieder<br />
stützen die<br />
Bogenrippen ihrerseits gegen<br />
das Mauerwerk der<br />
Widerlager ab. Genau wie<br />
die Ausmauerung zwischen<br />
Bogengurt <strong>und</strong> Pfeilern bei<br />
massiven Bogenbrücken<br />
beschränken sie die Verformungen<br />
des Tragwerks.<br />
Wegen des hohen Eigengewichts<br />
der Konstruktion<br />
haben (einseitige) Verkehrslasten<br />
nur sehr geringen<br />
Einfluß auf die Verformung<br />
der Stützlinie des<br />
Bogens, so dass keine ungünstigenSpannungswechsel<br />
auftreten.<br />
Aufgr<strong>und</strong> des schlechten<br />
Baugr<strong>und</strong>es mußten die<br />
Widerlager immer wieder<br />
nachgerüstet werden, um<br />
das Reißen der Bögen zu<br />
verhindern. Die erste Ufermauer<br />
wurde bereits 1783<br />
errichtet, 1803 wurden auf<br />
der nördlichen Uferseite die<br />
steinernen Bögen der<br />
Anrampung des Widerlagers<br />
durch eine Holzkonstruktion<br />
<strong>und</strong> 1823<br />
durch eine gußeiserne<br />
Bogenkonstruktion ersetzt.<br />
Seit 1973 sind die F<strong>und</strong>amente<br />
mithilfe von Unterwasserbeton<br />
im Flußbett<br />
gegeneinander verankert.<br />
Als bei der großen Severn-<br />
Flut 1795 alle Brücken bis<br />
auf die Iron Bridge zerstört<br />
wurden, begann Thomas<br />
Telford, der Gründer der<br />
ersten civil engineering society<br />
<strong>und</strong> Konstrukteur des<br />
britischen Kanalsystems,<br />
sich verstärkt mit dem Eisenbau<br />
zu beschäftigen. Er<br />
hatte erkannt, dass die Eisenbrücke<br />
die Flut aufgr<strong>und</strong><br />
der wesentlichen Ei-<br />
Glasgow-Birmingham<br />
Coalbrookdale Iron-Bridge<br />
genschaft des Eisens, seiner<br />
Härte, überstanden hatte.<br />
Das frühe Gußeisen war<br />
ungefähr fünfmal fester als<br />
Holz, so dass folglich nur<br />
ein Fünftel des Materials<br />
erforderlich war, um die<br />
gleiche Last zu tragen.<br />
Durch diese beträchtliche<br />
Materialreduktion konnte<br />
während der Flut viel mehr<br />
Wasser ungehindert unter<br />
der Brücke hindurch fließen,<br />
während die Stein<strong>und</strong><br />
Holzbrücken wie Dämme<br />
wirkten, an denen sich<br />
ein enormer Wasserdruck<br />
aufbaute. Die sichtbare<br />
Leichtigkeit <strong>und</strong> gleichzeitige<br />
Stärke der Iron Bridge<br />
inspirierten Telford <strong>und</strong> andere<br />
Ingenieure, sich mit<br />
dem neuen Material auseinander<br />
zusetzen. Zunächst<br />
dachten sie dabei<br />
weiterhin in den Strukturen<br />
von Stein- oder Holzkonstruktionen<br />
<strong>und</strong> bauten die<br />
alten Formen einfach in filigranerem<br />
Gußeisen nach.<br />
Die Halbkreisform der Iron<br />
Bridge ist typisch für Steinbögen,<br />
die aneinander gefügten<br />
Stücke erinnern an<br />
Fachwerk. Die Anlehnung<br />
der Eisenkonstruktion an<br />
Steinbrücken ist insofern<br />
sinnvoll, als die Druckfestigkeit<br />
von Gußeisen wesentlich<br />
höher als seine<br />
Zugfestigkeit ist <strong>und</strong> damit<br />
den Materialeigenschaften<br />
von Stein entspricht; Holz<strong>und</strong><br />
Eisenkonstruktionen<br />
liegen allein durch die Form<br />
der Bauteile beieinander.<br />
Die Erfindung des Gusseisens<br />
begründete praktisch<br />
das moderne Ingenieurwesen,<br />
indem es dazu zwang,<br />
Baustrukturen völlig neu zu<br />
durchdenken. Telford war<br />
der erste, der sich mit dem<br />
Eisen als eigenständiges<br />
Material beschäftigte <strong>und</strong><br />
eine Reihe von Eisenbrükken<br />
entwickelte, die unmißverständlich<br />
den persönlichen<br />
Stil eines structural<br />
artist demonstrieren (vgl.<br />
Text Telford). An der Iron<br />
Bridge kritisierte er die Materialverschwendungaufgr<strong>und</strong><br />
der falschen Form.<br />
79
Birmingham<br />
Kaufhaus Selfridges<br />
80<br />
Kaufhaus Selfridges<br />
Standort: Birmingham, Kreuzung Upper Mall East /<br />
Bullring<br />
Baujahr: 2003<br />
Bauherr: Selfridges & Co<br />
Architekt: Future Systems<br />
Ingenieur: Ove Arup & Partners<br />
Literatur: DBZ 3/2004<br />
Detail 3/2004, 9/2003<br />
db 11/03<br />
Das Traditionskaufhaus<br />
Selfridges in Birmingham,<br />
mit seinem damaligen Chef<br />
Vittorio Radice, wünschte<br />
sich ein gut gestaltetes, vor<br />
allem aber auffälliges Gebäude.<br />
So sollte die Kaufkraft<br />
der K<strong>und</strong>en gestärkt<br />
werden, denn die entsprechende<br />
Präsentation der<br />
Waren im Inneren wirkt animierend<br />
zum Kauf. Das<br />
Einkaufen im Warenhaus<br />
soll wieder zu einem sozialen<br />
Erlebnis, das Kaufhaus<br />
zu einer großen Bühne<br />
werden.<br />
Mit dem neuen Kaufhaus<br />
sollte auch gleichzeitig ein<br />
neues Wahrzeichen der<br />
Stadt geschaffen werden.<br />
Es soll die Erneuerung der<br />
alten Industriestadt signalisieren.<br />
War doch in den<br />
vergangenen Jahrzehnten<br />
die Stadtplanung schmerzlich<br />
vernachlässigt worden.<br />
Stattdessen lag der Augenmerk<br />
auf der Verkehrsplanung,<br />
was zur Folge hatte,<br />
dass durch die Stadtautobahn<br />
äußere Viertel der<br />
Stadt gänzlich vom Zentrum<br />
abgeschnitten waren,<br />
genauso wie der Bull Ring,<br />
dem einstigen Marktplatz.<br />
Dieser wurde mit einem riesigen<br />
Shoppingzentrum<br />
überbaut, das den übrigen<br />
charakterlosen Betonbauten<br />
ähnelte, die das Stadtbild<br />
zu dieser Zeit prägten.<br />
1987 wurde das Zentrum<br />
verkauft, wechselnde Besitzer<br />
folgten. Im Rahmen eines<br />
neu erstellten Masterplanes<br />
wurde das Stadtbild<br />
verbessert, so dass schon<br />
bald Selfridges als Mieter<br />
für ein Kaufhaus des Komplexes<br />
gef<strong>und</strong>en war. Dieser<br />
brachte nun neuen<br />
Wind in die Gestaltung des<br />
Komplexes. Da Selfridges<br />
wie bereits erwähnt nur<br />
Mieter war, verpflichtete er<br />
sich das Gebäude mit einer<br />
Fläche von ca. 250.000 m²<br />
über 35 Jahre zu mieten.<br />
Im Gegenzug dafür durfte<br />
er eigene Architekten beauftragen,<br />
bei deren Wettbewerb<br />
sich Future Systems<br />
durchsetzte.<br />
Finanziert wurde das Projekt<br />
durch Investoren. Natürlich<br />
war so der finanzielle<br />
<strong>und</strong> zeitliche Rahmen<br />
sehr eng gesteckt. Future<br />
Systems entwarfen ein organisch<br />
geformtes Gebäude<br />
für dessen Hülle Materialien<br />
gef<strong>und</strong>en werden<br />
mussten, die frei von Toleranzproblemen<br />
sind. Als<br />
ideale Lösung erwies sich<br />
hier eine Spritzbetonfassade<br />
mit farbigem Dichtanstrich.<br />
Darauf befestigt sind<br />
r<strong>und</strong> 15.000 Aluminium-
scheiben mit einem Durchmesser<br />
von 600 mm. Die<br />
nichttragende Spritzbetonfassade<br />
wurde in geschoßhohe<br />
Wandstreifen aufgelöst<br />
<strong>und</strong> auf einer metallischen<br />
Unterkonstruktion<br />
hergestellt. Sie ist an der<br />
Stahlbetondecke aufgehängt.<br />
Stützen sind um die<br />
beiden Atrien <strong>und</strong> entlang<br />
der Gebäudehülle so weit<br />
wie ökonomisch vertretbar<br />
auseinander angeordnet.<br />
So entsteht eine unregelmäßige<br />
Struktur mit Dekkenplattenunterschiedlicher<br />
Größe <strong>und</strong> Konstruktion<br />
in jedem Geschoss.<br />
Gebäudetechnik <strong>und</strong> Tragstruktur<br />
sind in einer Ebene<br />
integriert, um trotz großer<br />
Spannweiten geringe<br />
Deckenhöhen zu erzielen.<br />
Mit den Aluminiumscheiben<br />
wollte man der Fassade<br />
Tiefe <strong>und</strong> Spannung verleihen.<br />
Inspirationen kamen<br />
aus den unterschiedlichsten<br />
Quellen, wie zum Beispiel<br />
ein Kleiderentwurf von<br />
Paco Rabanne. Wie Pailletten<br />
an einem Kleid wechseln<br />
sie je nach Lichteinfall<br />
entlang der Gebäudekurven<br />
ihre Schattierung,<br />
reagieren auf Wetterstimmungen<br />
<strong>und</strong> spiegeln<br />
Lageplan<br />
Gr<strong>und</strong>riss<br />
Birmingham<br />
Kaufhaus Selfridges<br />
die benachbarte St.<br />
Martin’s Church ebenso<br />
wieder wie die vorbeigehenden<br />
Passanten. Nachts<br />
wird die Fassade mit blauem<br />
Licht angestrahlt, so<br />
dass die satte blaue Farbe<br />
der Hülle in den Vordergr<strong>und</strong><br />
tritt <strong>und</strong> die<br />
Aluminiumteller im Schatten<br />
verschwinden. Die Fassade<br />
ist weitestgehend fensterlos,<br />
damit der Gr<strong>und</strong>riss<br />
überwiegend uneingeschränkt<br />
nutzbar ist <strong>und</strong><br />
keine wertvolle Stellfläche<br />
für Regale verloren geht.<br />
Auch die Haustechnik<br />
muss auf diese Flexibilität<br />
eingestellt sein. Hierzu wurden<br />
flexible Plug-In-Systeme<br />
für Energieversorgung,<br />
Klimaanlage, Daten <strong>und</strong><br />
Steuerung der Gebäudetechnik<br />
eingesetzt. Wie bei<br />
fast allen Neubauten besteht<br />
der Wunsch auf geringe<br />
Betriebskosten. Dies<br />
wird erreicht durch variable<br />
Volumenströme bei Zuluft,<br />
Kühlluft <strong>und</strong> dem<br />
Kühlwassersystem der Klimaanlage.<br />
Die Frischluftzufuhr<br />
wird über CO2-Sensoren<br />
kontrolliert.<br />
Kritiker stellen die Nachhaltigkeit<br />
dieses Entwurfes in<br />
Frage, aber auch hier wird<br />
sich zeigen, was die Zukunft<br />
bringen wird.<br />
81
Birmingham<br />
Kaufhaus Selfridges<br />
82
Thomas Telford<br />
Telford, Stephenson, Brunel<br />
Literatur: Britannia Biographies: Thomas Telford;<br />
www.britannia.com/bios/telford.html<br />
Thomas Telford, in: The National Archives Learning<br />
Curve,<br />
www.spartacus.schoolnet.co.uk/Sctelford.htm<br />
Undiscovered Scotland: Thomas Telford Feature<br />
Page<br />
ww.<strong>und</strong>iscoveredscotland.co.uk/usbiography/thomastelford<br />
In den Britannia Biographies<br />
heißt es über Telford: If any<br />
Scot made a difference to<br />
countless generations, it<br />
surely was Thomas Telford.<br />
His work in improving<br />
highways and bridges,<br />
canals and roads made<br />
much of the Industrial<br />
Revolution possible, for<br />
they provided means of<br />
transporting men,<br />
machinery, raw materials<br />
and finished goods.<br />
Thomas Telford, einer der<br />
bedeutendsten Verkehrsingenieure<br />
<strong>und</strong> Brückenbauer,<br />
wurde als Sohn eines<br />
Schafhirten 1757 bei Westerkirk,<br />
Dumfrieshire,<br />
<strong>Schottland</strong>, geboren. Als robustes<br />
<strong>und</strong> fröhliches Kind<br />
unterstützte er die Familie,<br />
indem er bei einem Onkel<br />
Schafe hütete, bis er mit 14<br />
Jahren zu einem Steinmetz<br />
in die Lehre gegeben wurde.<br />
1780 fand er in Edinburgh<br />
Arbeit beim Bau der<br />
New Town. Die nächste frühe<br />
Station seiner Karriere<br />
war 1782 die Mitarbeit am<br />
größten Projekt dieser Jahre,<br />
Somerset House in London.<br />
Seine Arbeit <strong>und</strong> seine Persönlichkeit<br />
beeindruckten<br />
einflussreiche Leute der<br />
Londoner Gesellschaft, die<br />
es ihm ermöglichten, trotz<br />
seines Mangels an Bildung,<br />
vom Maurer zum Ingenieur<br />
aufzusteigen. Im Alter von<br />
27 Jahren übernahm er<br />
1784 die Leitung der Arbeiten<br />
an den Docks von Portsmouth,<br />
was seinen Ruf als<br />
Ingenieur festigte, so dass<br />
er 1787 zum Aufseher über<br />
alle öffentlichen Bauten der<br />
Grafschaft Shropshire an<br />
der Grenze von England<br />
<strong>und</strong> Wales ernannt wurde.<br />
In den 80ern errichtete er<br />
dort seine ersten Brücken,<br />
unter anderem auch eine<br />
über den Severn bei Montfort.<br />
In den frühen 90er Jahren<br />
kehrte er im Auftrag der<br />
British Fishing Society zum<br />
Bau von Hafenanlagen vorübergehend<br />
nach <strong>Schottland</strong><br />
zurück.<br />
In den ersten Phasen der<br />
Industriellen Revolution erfolgte<br />
der Transport der<br />
Waren vor allem auf dem<br />
Wasserweg. 1793 trat Telford<br />
in den Dienst der Ellesmere<br />
Canal Company <strong>und</strong><br />
löste als erstes das unlösbar<br />
scheinende Problem,<br />
den Shropshire Union Canal<br />
über das enge, an den Seiten<br />
steil ansteigende Tal des<br />
Dee bei Llangollan in North<br />
Wales zu führen, indem er<br />
das berühmte Pontcysyllte<br />
Aquädukt entwarf <strong>und</strong> baute,<br />
dessen walisischer<br />
Name nichts anderes als<br />
„Verbindungsbrücke“ bedeutet.<br />
1805, kurz nach der<br />
Schlacht von Trafalgar, wurde<br />
der Bau fertiggestellt.<br />
Das knapp 37 m hohe <strong>und</strong><br />
307 m lange Stein-Aquädukt<br />
trägt den Kanal auf 18<br />
Stützen in einem wasserdichten<br />
Trog aus Gusseisenplatten,<br />
eine neue Konstruktion<br />
von Telford. Mit<br />
dem Bau des Ellesmere<br />
Canals waren weitere<br />
Aquädukte verb<strong>und</strong>en, wie<br />
das bei Chirk über den Fluß<br />
Ceiriog verb<strong>und</strong>en.<br />
Mit dem Bau des Caledonian<br />
Canal <strong>und</strong> über 900 Meilen<br />
Straßen <strong>und</strong> 120 Brükken<br />
öffnete Telford von 1804<br />
anweite Regionen <strong>Schottland</strong>s<br />
für die Industrie. Außerdem<br />
brachte er ab 1823<br />
83
Telford, Stephenson, Brunel<br />
84<br />
den Bau von über 32 standardisierten<br />
Parliamentary<br />
Churches überall in den<br />
Highlands in Gang, jede mit<br />
T-förmigem Gr<strong>und</strong>riß <strong>und</strong><br />
angeschlossenem Pfarrhaus,<br />
ein Projekt, das 1830<br />
beendet war <strong>und</strong> insgesamt<br />
die damals enorme Summe<br />
von 54 500 Pf<strong>und</strong> Sterling<br />
kostete.<br />
Ebenfalls in den 20er Jahren<br />
erneuerte, bzw. trassierte<br />
er in Wales die Highways<br />
von Shrewsbury <strong>und</strong> Chester<br />
bis Holyhead <strong>und</strong> Bangor<br />
in North Wales neu. Vor<br />
allem seine Routenführung<br />
durch die Bergwelt überzeugt<br />
noch heute durch die<br />
gelungene Minimierung der<br />
Steigungen. Teil dieser Route<br />
ist auch seine Hängebrücke<br />
über den Fluß Conwy<br />
in unmittelbarer Nachbarschaft<br />
der Burg Conwy.<br />
Die schmiedeeisernen Verbindungsstücke,<br />
die das<br />
Deck halten, setzten niemals<br />
Rost an, was die Einwohner<br />
von Conwy auf Telfords<br />
Idee zurückführen, die<br />
Stücke in Öl zu legen. 1826,<br />
im selben Jahr, als er die<br />
Brücke von Conwy fertig<br />
stellte, vollendete er einige<br />
Meilen davon entfernt auch<br />
sein Meisterwerk, die Menai-Brücke,<br />
die bei ihrer Eröffnung<br />
die längste Hängebrücke<br />
der Welt war <strong>und</strong> die<br />
die Insel Anglesey über die<br />
Robert Stephenson<br />
Meerenge von Menai mit<br />
dem Festland verbindet.<br />
Telfords Eisenbrücken unterscheiden<br />
sich nicht nur in<br />
ihrer Attraktivität <strong>und</strong> in der<br />
Einpassung in die Landschaft<br />
von denen seiner<br />
Zeitgenossen, sondern sind<br />
ihnen auch technisch überlegen.<br />
Nach einer Evaluation<br />
aller zwischen 1799 <strong>und</strong><br />
1871 erbauten Gusseisenbrücken<br />
zu Beginn der<br />
1980er Jahre waren von<br />
den neun besten acht von<br />
Telford, <strong>und</strong> von diesen acht<br />
waren derzeit noch fünf voll<br />
betriebsfähig. Das belegt<br />
die Gültigkeit von Telfords<br />
Prinzipien: Materialeffizienz<br />
in der Konstruktion <strong>und</strong><br />
Leichtigkeit der Erscheinung.<br />
Telford baute auch in anderen<br />
europäischen Ländern,<br />
wie z.B. den Gotha-Kanal in<br />
Schweden. Er starb 1834<br />
mitten in der Arbeit in London.<br />
Obwohl er hervorragende<br />
Einzelbauwerke, wie<br />
z.B. die Menai-Brücke<br />
schuf, geht sein Einfluß gerade<br />
auch durch die Breite<br />
seines Gesamtwerks weit<br />
darüber hinaus. Viele von<br />
Telfords Straßen, Kanälen<br />
<strong>und</strong> Brücken prägen noch<br />
heute das Bild <strong>Schottland</strong>s,<br />
Wales <strong>und</strong> auch Englands.<br />
In Shropshire benannte man<br />
die Stadt Telford nach ihm.<br />
Literatur: David P. Billington: The Tower and the Bridge – The<br />
New Aret of Structural Engineering, Princeton, 1983<br />
The National Archives Learning Curve: Robert<br />
Stevenson;<br />
www. Spartacus.schoolnet.co.uk/RastephensonR.htm<br />
Robert Stephensons Vater<br />
George (1781-1849) arbeitete<br />
sich vom Bergarbeiter<br />
<strong>und</strong> Bergwerksingenieur in<br />
Newcastle zum ersten<br />
Dampfeisenbahnkonstrukteur<br />
empor. Sein Erfolg ermöglichte<br />
es ihm, seinem<br />
Sohn eine gute Privaterziehung<br />
zukommen zu lassen.<br />
Robert, geboren 1803, begann<br />
seine Karriere auch<br />
als Ingenieur im Bergbau,<br />
aber schon drei Jahre nach<br />
seinem Berufseintritt arbeitete<br />
er mit an den vielfältigen<br />
Projekten seines Vaters.<br />
Ihre Robert Stephenson<br />
& Company war die ersteLokomotivenbaugesellschaft<br />
überhaupt.
Um weitere Erfahrungen zu<br />
sammeln, arbeitete Stephenson<br />
ab 1824 für drei<br />
Jahre als Ingenieur in Gold<strong>und</strong><br />
Silberminen in Südamerika.<br />
Nach seiner Rückkehr<br />
begann er mit der Konstruktion<br />
seiner Rocket-Lokomotive,<br />
die 1829 vollendet<br />
war. Während dieser<br />
Zeit <strong>und</strong> in den folgenden<br />
Jahren baute er auch Eisenbahnlinien<br />
in allen Teilen der<br />
Welt samt den dazugehörigen<br />
Brücken, wie der Tyne-<br />
Brücke in Newcastle <strong>und</strong><br />
der Britannia Bridge in Conwy,<br />
in enger Nähe zu Telfords<br />
Menai-Brücke.<br />
Telford war sein großes Vorbild,<br />
an dessen Bogenformen<br />
im Brückenbau er sich<br />
auch zunächst orientierte.<br />
Später entwickelte er seinen<br />
eigenen Brückentyp aus<br />
eckigen Röhren. Gerade an<br />
der Britannia-Brücke wird<br />
Isambard Kingdom Brunel<br />
Wie Robert Stephenson war<br />
auch Isambard Kingdom<br />
Brunel der Sohn eines der<br />
bedeutendsten Ingenieure<br />
Großbritanniens. Marc<br />
Isambard Brunel, 1769 in<br />
Frankreich geboren, floh<br />
während der Revolution in<br />
die USA, wo er als Architekt<br />
<strong>und</strong> Ingenieur zum obersten<br />
Ingenieur New Yorks aufstieg.<br />
Sein Entwurf für das<br />
Capitol gewann sogar den<br />
Telford, Stephenson, Brunel<br />
deutlich, dass Stephenson<br />
zwar technisch brillierte,<br />
aber nicht ästhetisch. Für<br />
ihn stand die Sicherheit eines<br />
Bauwerks mit Abstand<br />
im Vordergr<strong>und</strong> seiner Erwägungen,<br />
nicht wie bei Telford<br />
die Ökonomie in Material<br />
<strong>und</strong> Kosten. Die Britannia-Brücke<br />
war z.B. als Hängebrücke<br />
konzipiert, aber<br />
um die Ausschläge bei Wind<br />
<strong>und</strong> Belastung zu vermeiden,<br />
die er an Telfords Menai-Brücke<br />
beobachtet hatte,<br />
baute er ein äußerst steifes<br />
horizontales Deck, das<br />
schließlich gar keine Aufhängung<br />
mehr benötigte,<br />
obwohl die entsprechenden<br />
Pfeiler für dieses System<br />
schon standen.<br />
Stephenson starb im Alter<br />
von 56 Jahren. Sein letzter<br />
Wunsch war, neben Telford<br />
begraben zu werden, was<br />
auch geschah.<br />
Literatur: David P. Billington: The Tower and the Bridge,<br />
Princeton/NJ 1983<br />
web.ukonline.co.uk/b.gardner/brunel.html<br />
www.greatbuildings.com/architects/<br />
Isambard_Kingdom_Brunel.html<br />
Mike’s Railway History, 27 – The Atmospheric<br />
Railway – An Attempt to Drive Trains By Air<br />
Pressure;<br />
http://mikes.railhistory.railfan.net/r027.html<br />
Wettbewerb, wenn er auch<br />
nicht realisiert wurde. 1799<br />
siedelte er nach England<br />
über, um in Plymouth die<br />
erste voll mechanisierte<br />
Produktionseinheit aus 43<br />
Maschinen im Schiffbau zu<br />
installieren. 1818 entwickelte<br />
er das erste Verfahren zur<br />
Untertunnelung von Wasserwegen,<br />
den Schildvortrieb.<br />
Damit konnte von<br />
1824 bis 1843 der erste<br />
Tunnel unter der Themse<br />
gebaut werden. Als Zar<br />
Alexander Sir Marc Brunel<br />
nach Russland einlud, intervenierte<br />
der Herzog von<br />
Wellington, um ihn im Land<br />
zu halten.Sein Sohn Isambard<br />
Brunel wurde 1806<br />
geboren. Er studierte 3 Jahre<br />
lang in England <strong>und</strong><br />
Frankreich, bevor er 1823<br />
im Alter von 16 Jahren zurückkehrte<br />
<strong>und</strong> begann, mit<br />
seinem Vater an den Vorbereitungen<br />
für den Themse<br />
85
Telford, Stephenson, Brunel<br />
86<br />
tunnel zu arbeiten. 1828<br />
wurde ihm – 22jährig - die<br />
Leitung der Baustelle vor<br />
Ort übertragen.<br />
Im selben Jahr wurde er<br />
beim Einsturz eines Teilabschnitts<br />
schwer verletzt, <strong>und</strong><br />
seine Familie schickte ihn<br />
nach Clifton bei Bristol zur<br />
Genesung. Der Ort, heute<br />
Stadtteil Bristols, liegt hoch<br />
auf den Kalksteinfelsen<br />
über der Schlucht der Avon-<br />
Mündung. Zufällig fand dort<br />
1829 ein Wettbewerb für<br />
eine Überbrückung der<br />
Schlucht statt. Brunel hatte<br />
zwar keinerlei Erfahrung mit<br />
Brückenbauten, dafür aber<br />
jede Menge Ideen, so dass<br />
er schließlich vier Entwürfe<br />
einreichte, jeder für eine<br />
Hängebrücke mit einem Mittelbogen<br />
von weit größerer<br />
Spannweite als je gebaut,<br />
nämlich mit Spannweiten<br />
von 265 bis 280 m. Die Jury<br />
war deshalb bei der Bewertung<br />
unsicher <strong>und</strong> zog Thomas<br />
Telford, damals schon<br />
72 Jahre alt, hinzu. Der<br />
lehnte alle Entwürfe ab, weil<br />
er es aus Gründen der<br />
Windkräfte zu riskant fand,<br />
eine Spannweite größer als<br />
die seiner eigenen Menai-<br />
Brücke zu bauen. Telford<br />
machte daraufhin einen eigenen<br />
Entwurf. Aber auf<br />
Brunels Proteste hin wurde<br />
1831 ein zweiter Wettbewerb<br />
ausgeschrieben, den<br />
Brunel mit einem verbesserten<br />
Entwurf – wieder nach<br />
langen Debatten – gewann.<br />
Aufgr<strong>und</strong> von Unruhen in<br />
Bristol konnten die Mittel für<br />
den Bau zunächst aber<br />
nicht aufgebracht werden.<br />
Die Türme standen schließlich<br />
1843, aber die Gesamtbrücke<br />
wurde erst 1864,<br />
nach Brunels Tod, fertiggestellt.<br />
Dafür wurde er 1831 erst<br />
einmal zum Chefingenieur<br />
der Bristol Docks ernannt.<br />
Brunel entwarf in der Folge<br />
nicht nur in Bristol, sondern<br />
auch in Plymouth, Cardiff<br />
<strong>und</strong> anderen wichtigen Häfen<br />
Dockanlagen. Zur gleichen<br />
Zeit erreichte Stephensons<br />
Rocket eine Geschwindigkeit<br />
von 56 kmh,<br />
was Brunels Interesse am<br />
Eisenbahnbau weckte. Bereits<br />
1833, mit 27 Jahren,<br />
wurde er Chefingenieur der<br />
Great Western Railway Line<br />
zwischen Bristol <strong>und</strong> London.<br />
Die Arbeit an der Linie<br />
umfasste zwei Viadukte<br />
(Hanwell, Chippenham), die<br />
damals größte Ziegelbogenbrücke<br />
bei Maidenhead,<br />
den Box Tunnel, den längsten<br />
Eisenbahntunnel der<br />
Welt (2 Meilen) <strong>und</strong> zwei<br />
Bahnhöfe (Bristol Temple<br />
Meads Station <strong>und</strong> Paddington<br />
Station in London). Dabei<br />
benutzte er die Breitspur<br />
statt der Standardspur<br />
(2,2m statt 1,55m), was allerdings<br />
Probleme beim<br />
Übergang zu den anderen<br />
Linien schuf. Die leichten,<br />
sich kreuzenden eisernen<br />
Gewölbe von Paddington<br />
Station zeigen, daß er auch<br />
in dieses Material konstruktiv<br />
virtuos verwendete. Entsprechend<br />
wichtige Brükkenbauten<br />
wie im Zuge der<br />
Great Western Line entstanden<br />
auch entlang der South<br />
Devon Line zwischen Exeter<br />
<strong>und</strong> Plymouth.<br />
Auf beiden Strecken plante<br />
<strong>und</strong> baute Brunel ein alternatives<br />
technisches System,<br />
euphorisch Atmospheric<br />
Railway genannt.<br />
Aus Misstrauen gegenüber<br />
der Kraft der konventionellenDampflokomotiven<br />
<strong>und</strong> aus Vorbehalten<br />
wegen der Luftverschmutzung<br />
gerade in Städten wie<br />
London wurde in den Pionierzeiten<br />
der Eisenbahn<br />
mit mehreren Alternativen<br />
experimentiert. Atmopsheric<br />
Railway Lines bewegten die<br />
Züge ganz ohne Lokomotiven<br />
oder zu deren Unterstützung<br />
auf steilen Strekkenabschnitten<br />
über Luftdruck<br />
vorwärts. Dazu wurden<br />
zwischen den Schienen<br />
oben geschlitzte Luftrohre<br />
verlegt, in dem der Verbindungsstutzen<br />
zur Lokomotive<br />
entlang lief. Alle drei Kilometer<br />
entlang der Strecke<br />
wurde eine Luftpumpstation<br />
errichtet. Das System funktionierte,<br />
auch wenn auf<br />
schwierigen Streckenabschnitten<br />
schon der letzten<br />
Ära, in der Großbritannien<br />
die Welt politisch <strong>und</strong> wirtschaftlich,<br />
in den Wissenschaften<br />
<strong>und</strong> besonders im<br />
Ingenieurwesen dominierte.<br />
Entsprechend wurden Entwürfe<br />
von Brunel weltweit,<br />
z.B. auch in Asien, realisert.
Birmingham Canal Navigations - BCN<br />
Birmingham liegt auf einem<br />
etwa 200 ft hohen Plateau<br />
in den Midlands. Ansässige<br />
Kaufleute bauten früh<br />
Kanäle, um die Flüsse<br />
Trent, Mersey <strong>und</strong> Severn<br />
zu verbinden <strong>und</strong> die stadtnahen<br />
Kohlefelder zu erschließen.<br />
Wegen der reichen<br />
Mineralvorkommen<br />
des Black Country <strong>und</strong> der<br />
Lage der Stadt in einem<br />
Fluß- <strong>und</strong> Kanalsystem,<br />
das sich von London bis Liverpool<br />
<strong>und</strong> von Birmingham<br />
bis ins Humber-Tal erstreckt,<br />
wurde Birmingham<br />
mit der Industriellen Revolution<br />
schlagartig zu einem<br />
wichtigen Handelsort. Innerhalb<br />
von einh<strong>und</strong>ert<br />
Jahren entwickelte sich hier<br />
der längste städtische<br />
Wasserweg der Welt mit<br />
über 180 Meilen schiffbarer<br />
Kanäle <strong>und</strong> 216 Schleusen<br />
zwischen Birmingham <strong>und</strong><br />
Wolverhampton bis hinein<br />
nach Staffordshire. Der Kanal<br />
verläuft auf zwei Ebenen.<br />
Der ältere Kanal, die Old<br />
Main Line, paßt sich noch<br />
weitgehend der Landschaft<br />
an <strong>und</strong> ist dementsprechend<br />
gew<strong>und</strong>en. Der<br />
schnelle Verkehrsanstieg<br />
machte im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
Verbesserungen <strong>und</strong> Ausbauten<br />
des Systems erforderlich.<br />
Die New Main Line wurde<br />
von Thomas Telford gebaut<br />
<strong>und</strong> ist deutlich tiefer. Der<br />
Zuschnitt dieser Kanäle<br />
zeigt die dreißigjährige Erfahrung<br />
des Erbauers, indem<br />
das neue Netz geradlinig<br />
<strong>und</strong> ungeachtet der<br />
Birmingham<br />
Canal Walk<br />
Mögliche Canal Walk-Route:<br />
Worcester & Birmingham Canal ab Edgebaston, entlang am<br />
Holliday Street Aquädukt bis zum Gas Street Basin. Von dort<br />
Birmingham Canal Old Main Line, vorbei am Icknield Port <strong>und</strong><br />
unter der Birmingham to Wolverhampton line hindurch, durch die<br />
Gebiete von Sandwell <strong>und</strong> Smethwick, unter der Galton Bridge<br />
(1829, von Thomas Telford) durch, bis zur alten Zollstation auf<br />
Toll Island nahe Bromford Junction<br />
Höhen in die Landschaft<br />
geschnitten ist. Dadurch<br />
wurden weniger Schleusen<br />
benötigt <strong>und</strong> die Strecke<br />
zwischen Birmingham <strong>und</strong><br />
Wolverhampton um ganze<br />
7 Meilen verkürzt. Auch das<br />
Aufkommen der Eisenbahn<br />
schränkte hier den Wasserverkehr<br />
nicht ein, sondern<br />
ergänzte ihn vielmehr, um<br />
die ständig wachsende Industrie<br />
<strong>und</strong> Bevölkerung<br />
versorgen zu können. Als<br />
der Handelsverkehr Mitte<br />
des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts stark<br />
zurückging, wurden 50 Meilen<br />
des Kanalsystems geschlossen.<br />
Weite Teile des<br />
nördlichen Abschnitts, des<br />
Wyrley & Essington, die früher<br />
nach Norden mit dem<br />
Staffs & Works Canal verb<strong>und</strong>en<br />
waren, sind heute<br />
abgeschnitten. Dieser Abschnitt<br />
wurde vor einigen<br />
Jahrzehnten durch Tagebau<br />
zerstört.<br />
Das BCN ist auch heute<br />
noch sehr umfangreich <strong>und</strong><br />
voll von Industriedenkmälern,<br />
Tunneln, Aquädukten,<br />
Fabriken <strong>und</strong> Lagerhäusern–<br />
etwa 150 Meilen von<br />
Kanälen existieren immer<br />
noch zwischen Birmingham<br />
<strong>und</strong> Wolverhampton. Einige<br />
Schleifen der Old Line<br />
haben sich zu beliebten<br />
Wohngegenden entwickelt;<br />
ein Trend, der vor dreißig<br />
Jahren noch unverstellbar<br />
gewesen wäre, als Wohnungen<br />
möglichst weit weg<br />
von den „grimy canals“ angesiedelt<br />
wurden.<br />
Birminghams City Council<br />
unterstützt seit einigen Jahren<br />
außerdem den Erholungscharakter<br />
der Kanäle<br />
<strong>und</strong> fördert Projekte zur<br />
Aufwertung der angrenzenden<br />
Gebiete, wie etwa die<br />
Holliday Street regeneration<br />
im Umfeld des Aquädukts,<br />
das den Worcester<br />
& Birmingham-Kanal über<br />
die Holliday Street führt.<br />
87
Birmingham-Bristol<br />
Over Bridge<br />
88<br />
Over Bridge<br />
Standort: Gloucester<br />
Baujahr: 1829<br />
Bauherr: Stadt Gloucester<br />
Ingenieur: Thomas Telford<br />
Literatur: structurae.de<br />
Die Over Bridge westlich<br />
von Gloucester spannt<br />
45,7m weit über den Severn.<br />
Sie wurde 1829 von<br />
Thomas Telford als Ersatz<br />
für eine durch Eis zerstörte<br />
Brücke aus dem 17. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
entworfen <strong>und</strong> war<br />
bis 1974 in Gebrauch. Telford<br />
wollte hier anstelle des<br />
Steinbogens eigentlich eine<br />
gußeiserne Brücke ähnlich<br />
denen in Mythe bei Tewkesbury<br />
<strong>und</strong> Holt Fleet errichten,<br />
aber einige einflußreiche<br />
Bürger von Gloucester<br />
waren strikt gegen die Verwendung<br />
dieses neuen<br />
Materials – obwohl die<br />
Brücke von der Stadt aus<br />
gar nicht in Sichtweite war.<br />
Um den Wasserfluß bei<br />
starken Fluten zu erleichtern<br />
<strong>und</strong> dadurch zu großen<br />
Druck abzubauen, konstruierte<br />
Telford den Steinbogen<br />
nach der cornes de<br />
vache Technik, von Perronet<br />
für seine Seine Brücke<br />
bei Neuilly entwickelt. Dabei<br />
wird das Bogenprofil in<br />
der Mitte an sich nicht verändert,<br />
sondern vielmehr<br />
das Hochwasser durch entsprechendeProfilausbildung<br />
(cows horns) am<br />
Rand umgelenkt <strong>und</strong> die<br />
Bildung von Turbulenzen<br />
verhindert. Der Bogen erscheint<br />
darüber hinaus flacher,<br />
als er tatsächlich ist.
Clifton Suspension Bridge<br />
Bristol<br />
Clifton Suspension Bridge<br />
Standort: Clifton, bei Bristol<br />
Baujahr: 1831 - 1864<br />
Bauherr: Stadt Bristol<br />
Ingenieure: Isambard Kingdom Brunel<br />
(Entwurf <strong>und</strong> 1. Bauphase)<br />
William Henry Barlow/Sir John Hawkshaw<br />
(2. Bauphase)<br />
Literatur: David P. Billington:<br />
The Tower and the Bridge, Princeton/NJ 1983<br />
William Henry Barlow:<br />
Description of the Clifton Suspension Bridge,<br />
in: Minutes of the <strong>Institut</strong>ion of Civil Engineers,<br />
1867,<br />
in: ICE Bridge Engineering, 156, 3/2003<br />
Clifton Suspension Bridge gives up its secrets,<br />
in: The Structural Engineer, 6/2003<br />
Die erste Initiative zum Bau<br />
einer Brücke über den Avon<br />
Gorge bei Bristol ging 1753<br />
von einer Erbschaft von<br />
1000 Pf<strong>und</strong> aus, die ein<br />
wohlhabender Weinhändler<br />
einer Bristoler Handelsgesellschaft<br />
hinterließ. Er<br />
machte zur Auflage, die<br />
Summe anzulegen <strong>und</strong><br />
zum Bau einer Steinbrücke<br />
zu verwenden, wenn 10000<br />
Pf<strong>und</strong> zusammengekommen<br />
wären. Bereits 1822<br />
wird von Alderman Daniel<br />
eine Hängebrückenkonstruktion<br />
vorgeschlagen,<br />
die dem später ausgeführten<br />
Entwurf sehr ähnlich ist,<br />
zunächst aber nicht weiterverfolgt.<br />
1829 gründet sich<br />
ein Komitee <strong>und</strong> führt bis<br />
1831 zwei Wettbewerbe<br />
durch, bei denen sich<br />
schließlich Isambard Kingdom<br />
Brunel durchsetzt 1 .<br />
Die Clifton Suspension<br />
Bridge ist eine weitspannende<br />
Hängekonstruktion<br />
mit Stützpfeilern auf den<br />
Felsen zu beiden Seiten<br />
der Schlucht. Die ursprünglich<br />
vorgesehenen Ornamente<br />
der Pfeiler wurden<br />
später nicht mehr ausgeführt.<br />
Nach der Errichtung<br />
der Türme bis 1843 kam<br />
der Bau zum Erliegen. Erst<br />
1860 gründen William Henry<br />
Barlow, Sir John Hawks-<br />
haw <strong>und</strong> einige andere Ingenieure<br />
die Clifton Suspension<br />
Bridge Company,<br />
um die begonnene Arbeit<br />
zum Wohle der Allgemeinheit<br />
<strong>und</strong> zur Würdigung der<br />
Konstruktion zu einem Abschluß<br />
zu bringen.<br />
Das Tragwerk besteht aus<br />
Kette, Pfeiler, Hängestange,<br />
Versteifungsträger,<br />
Querträger sowie weiteren<br />
aussteifenden Elementen.<br />
Die Ketten sind über Bolzen<br />
verb<strong>und</strong>en, die in Ösen<br />
stecken. Brunels Entwurf<br />
sah vor, die Brückenfahrbahn<br />
an zwei Kettensträngen<br />
aufzuhängen, die über<br />
die Stützpfeiler gelegt <strong>und</strong><br />
im Felsen verankert sind.<br />
Die Fahrbahn liegt 80 m<br />
über dem Wasserspiegel,<br />
die Höhe der Pylone beträgt<br />
26 m über 33 m hohen<br />
Pfeilerf<strong>und</strong>amenten .<br />
Die Entfernung vom Pylon<br />
zu den Umlenksatteln, die<br />
die Kette zu den unterirdischen<br />
Verankerungen führen,<br />
beträgt 60 m. Die Konstruktion<br />
überspannt 214 m<br />
bei einer Gesamtlänge der<br />
Brücke von 334 m <strong>und</strong> einem<br />
Verhältnis von Durchhang<br />
zu Spannweite von<br />
1:10. Diese reine Zugkonstruktion<br />
ermöglicht erhebliche<br />
Materialeinsparungen<br />
<strong>und</strong> läßt keine Stabilitäts-<br />
89
Bristol<br />
Clifton Suspension Bridge<br />
90<br />
probleme erwarten. Lediglich<br />
die Ableitung der Zugkräfte<br />
in den Boden muß<br />
gelöst werden. Sie erfolgt<br />
über konische Schwergewichtsf<strong>und</strong>amente<br />
aus Ziegeln,<br />
die von den Kettengliedern<br />
durchdrungen werden,<br />
so daß der Kraftangriff<br />
über Gußplatten rückseitig<br />
erfolgt. In der Fahrbahnebene<br />
sind Versteifungsträger<br />
erforderlich, dazu wird<br />
das Geländer noch zur<br />
Längsaussteifung herangezogen.<br />
Die Hängestangen<br />
sind über Metallbänder<br />
an der Verbindungsstelle<br />
der Kettenglieder befestigt.<br />
Sie halten den oberen<br />
Flansch der Versteifungsträger,<br />
der an jedem Aufhängepunkt<br />
die Querträger<br />
trägt. Die Hängestangen<br />
sind zweiteilig; die Verbindung<br />
erfolgt durch Spannschrauben<br />
mit Rechts- <strong>und</strong><br />
Linksgewinde. Die Querträger<br />
sind Fachwerke aus<br />
vernieteten Eisenbändern<br />
<strong>und</strong> an ihren Enden biegesteif<br />
ausgeführt, um das<br />
Moment aus den Geländern<br />
aufnehmen zu können.<br />
Die Fahrbahn aus<br />
zwei Bohlenschichten wird,<br />
verstärkt durch ein System<br />
von diagonalen Eisenstangen,<br />
zur Aussteifung herangezogen.<br />
Um Verformungen<br />
durch Wind <strong>und</strong> große<br />
Verkehrslasten ohne Zwängungen<br />
zu ermöglichen,<br />
wurden die äußeren Enden<br />
der Fahrbahn mit Klappen<br />
<strong>und</strong> Gelenken versehen.<br />
Da die Pfeiler an beiden<br />
Uferseiten die gleiche Höhe<br />
haben, aber nicht auf einer<br />
Ebene liegen, hat die gesamte<br />
Brücke eine leichte<br />
Steigung (1:233). Brunel<br />
gab der Brücke diese Neigung,<br />
um die unterschiedlichen<br />
Felsformationen auf<br />
beiden Seiten optisch auszugleichen.<br />
1845 hatte Brunel nach einem<br />
ähnlichen Entwurf die<br />
Hungerford Footbridge<br />
über die Themse in London<br />
gebaut, die 1860 abgetragen<br />
<strong>und</strong> durch die neue<br />
Charing Cross Railway<br />
Bridge von Sir John Hawkshaw<br />
ersetzt wurde. Hawkshaw<br />
ließ die Ketten der<br />
Hungerford Bridge aufbewahren,<br />
um sie zur Fertigstellung<br />
der Clifton Bridge<br />
zu verwenden. Dazu mußte<br />
allerdings die Struktur<br />
angepasst werden: Statt<br />
zwei wurden nun drei Ketten<br />
pro Seite vorgesehen.<br />
An einer Kette küpft jeweils<br />
alle drei Felder ein Hänger<br />
an. Die Ketten werden<br />
durch Distanzklötze auf<br />
gleichbleibendem Abstand<br />
gehalten. Im Bauzustand<br />
wurden die Lasten von beiden<br />
Enden aus zur Mitte hin<br />
aufgebracht, so daß die<br />
Ketten ihre errechnete<br />
Form erst im Endzustand<br />
erreichten.<br />
Barlow schloß aus seinen<br />
Erfahrungen bei der Fertigstellung<br />
der Clifton Bridge,<br />
daß sich große Spannweiten<br />
positiv auf Hängebrükken<br />
auswirken müßten, da<br />
mit dem mit der Spannweite<br />
zunehmenden Eigengewicht<br />
der Einfluß von wechselnden<br />
Lasten auf die<br />
Konstruktion geringer würde.<br />
So müsse es im Prinzip<br />
möglich sein, auch Eisenbahnbrücken<br />
als Hängekonstruktionenauszuführen,<br />
was bisher vermieden<br />
wurde.<br />
Problematisch ist das Verhalten<br />
der Suspension<br />
Bridge bei Wind. Stürme<br />
aus Nordwest <strong>und</strong> Südost,<br />
also praktisch der Richtung<br />
der Avon-Schlucht an der<br />
Stelle der Brücke, wirken<br />
sich auf die Struktur mit großer<br />
Kraft aus, so daß man<br />
manchmal kaum auf der<br />
Fahrbahn stehen kann.
In solchen Situationen zeigen<br />
sich drei Auswirkungen:<br />
Erstens ein kleiner horizontaler<br />
Ausschlag, der<br />
gerade so mit bloßem Auge<br />
zu erkennen ist, zweitens<br />
eine Welle von einem Ende<br />
der Brücke zum anderen.<br />
Es ist eine langsame Bewegung<br />
der Struktur, die sich<br />
in gleichmäßigen Hebungen<br />
<strong>und</strong> Senkungen der<br />
Fahrbahn um jeweils 6<br />
inches ausdrückt, etwa auf<br />
halber Strecke zwischen<br />
Zentrum <strong>und</strong> Pfeilerf<strong>und</strong>amenten<br />
abwechselnd aus<br />
beiden Richtungen. Der<br />
dritte Effekt ist eine Bewegung<br />
der Ketten zwischen<br />
den Pylonen <strong>und</strong> dem Fels.<br />
Da es keine dämpfenden<br />
vertikalen Elemente zwischen<br />
den Pylonen <strong>und</strong> der<br />
Verankerung der Kette im<br />
Boden gibt, stabilisiert<br />
nichts die Bewegung der<br />
Ketten in diesem Bereich,<br />
so daß heftige Windstöße<br />
diese Ketten seitlich wegdrücken<br />
können trotz ihres<br />
Gewichts, trotz des großen<br />
Zugs <strong>und</strong> trotz der recht<br />
kleinen Angriffsfläche, die<br />
sie dem Wind bieten.<br />
Im Jahr 2002 entdeckte<br />
man bei Restaurierungsarbeiten<br />
12 Kammern in den<br />
F<strong>und</strong>amenten unter den<br />
Brückenpfeilern, die man<br />
bis dahin für massive Körper<br />
gehalten hatte. Diese<br />
Kammern haben eine ma-<br />
Bristol<br />
Clifton Suspension Bridge<br />
ximale Gr<strong>und</strong>fläche von<br />
17,50 x 5,60 m <strong>und</strong> sind bis<br />
zu 10,60 m hoch. Die obere<br />
Stufe hat sieben Kammern,<br />
die miteinander <strong>und</strong><br />
mit den fünf weiteren Kammern<br />
in der unteren Stufe<br />
durch schmale Gänge von<br />
nur 0,6m Durchmesser verb<strong>und</strong>en<br />
sind. Mithilfe von<br />
elektronischen Messungen<br />
stieß man inzwischen unter<br />
dem Fußweg auf der<br />
Nordseite des Leigh<br />
Woods Tower auf einen<br />
ähnlichen Gang, wie er auf<br />
der Südseite bereits einige<br />
Jahre zuvor gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />
damals für einen Teil eines<br />
Drainagesystem gehalten<br />
worden war. In Abstimmung<br />
mit den Denkmalschutzbehörden<br />
wurden 2003 nachträglich<br />
Eingänge in die<br />
Pfeilerf<strong>und</strong>amente gestemmt.<br />
Über den Sinn der<br />
Kammern, außer dem,<br />
Baumaterial einzusparen,<br />
ist man sich zum aktuellen<br />
Zeitpunkt noch unklar. Historische<br />
Pläne dieser F<strong>und</strong>amente<br />
existieren offenbar<br />
nicht.<br />
1 W. H. Barlow schreibt den<br />
eigentlichen Entwurf allerdings<br />
1867 Thomas Telford<br />
zu <strong>und</strong> gibt an, Brunel habe<br />
diesen lediglich weitergeführt:<br />
„In 1830 an Act of<br />
Parliament was obtained<br />
for the construction of the<br />
bridge, to which the late<br />
Thomas Telford was the<br />
engineer. [...] The work subsequently<br />
passed into the<br />
hands of the late [...] Brunel,<br />
who made a new design<br />
placing the piers near<br />
the top of the rocks on each<br />
side and boldly crossing the<br />
whole opening in one<br />
span[...].“ Dies widerspricht<br />
der Entwurfsgeschichte bei<br />
Billington (siehe Kapitel zu<br />
I. K. Brunel).<br />
91
Bristol<br />
Wildsreen<br />
92<br />
Wildscreen at Bristol<br />
Standort: Bristol<br />
Baujahr: 1995-2000<br />
Bauherr: Millennium Commission<br />
Architekt: Michael Hopkins<br />
Ingenieur: Büro Happold<br />
Literatur: Davies, Colin: Hopkins 2, London 2001<br />
Die BBC Natural History-<br />
Einheit, mit Hauptsitz in<br />
Bristol, produziert ein Drittel<br />
der Wildlife Programme<br />
auf der ganzen Welt. Wildscreen<br />
ist eine Ergänzung<br />
der Sendungen in Form eines<br />
Museums. Hier sind ein<br />
IMAX Kino, ein elektronischer<br />
Zoo <strong>und</strong> ein Tropenhaus<br />
miteinander kombiniert.<br />
Der dreieckige Bauplatz<br />
ist Teil eines neuen<br />
Freizeitquartiers namens<br />
Bristol Harbourside. Dieses<br />
Quartier wurde mit Hilfe<br />
der Millennium Commission<br />
auf einem ehemaligen<br />
Gelände der Eisenbahn<br />
nahe der Innenstadt entwickelt.<br />
In den umgebenden<br />
Gebäuden sind ein<br />
Watershed Arts Centre, ein<br />
Science Museum <strong>und</strong> ein<br />
großes Parkhaus unterhalb<br />
des neuen öffentlichen<br />
Platzes untergebracht.<br />
An der Spitze des Dreiecks<br />
befindet sich der massive<br />
trommelförmige Baukörper<br />
aus Ziegeln, in dem das<br />
Kino untergebracht ist,<br />
deutlich sichtbar von dem<br />
starkbefahrenen Autobahnkreuz<br />
Richtung Norden.<br />
Von diesem Punkt aus breitet<br />
sich das Gebäude nach<br />
Süd-Westen hin aus bis zu<br />
einem zweigeschossigen,<br />
aus dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
stammenden Gebäude,<br />
welches als Café <strong>und</strong> Shop<br />
umgenutzt wurde. Der Gebäudeteil<br />
zwischen Kino<br />
<strong>und</strong> Café, welcher in zwei<br />
separaten, parallelen Gebäudestreifen<br />
organisiert<br />
ist, hat jeweils einen eigenen<br />
architektonischen Charakter.<br />
Optisch getrennt<br />
werden die Gebäudestreifen<br />
vom Kino durch ein<br />
schmales gläsernes Atrium,<br />
das die geometrischen<br />
Form der Trommel nachzeichnet.<br />
Darauf folgt eine<br />
fünfgeschossige vertikale<br />
Erschließungszone, Aufzüge,<br />
eine Halle <strong>und</strong> zwei<br />
Wendeltreppen. Daran<br />
schließt sich ein viergeschossiges<br />
Ziegelgebäude<br />
an. Darin befindet sich die<br />
interaktive, multimediale<br />
Ausstellung des elektronischen<br />
Zoos, verteilt auf<br />
zwei Geschosse, mit Semi-
narräumen darüber <strong>und</strong> einer<br />
überdachten Dachterrasse.<br />
In dem darauffolgenden<br />
anderen Gebäudestreifen<br />
befindet sich das<br />
Tropenhaus,das ein von<br />
zwei Stahlmasten getragenes<br />
Zeltdach aus Folienkissen<br />
hat.. Den Zwischenraum<br />
von Tropenhaus <strong>und</strong><br />
dem bestehenden Gebäude<br />
überbrückt eine zweite<br />
Membrankonstruktion <strong>und</strong><br />
bildet so ein Foyer über das<br />
der gesamte Komplex erschlossen<br />
wird.<br />
R<strong>und</strong>gänge im Gebäude<br />
verlaufen zwischen den<br />
einzelnen Gebäudestreifen.<br />
Besucher des Kinos<br />
möchten nicht unbedingt<br />
auch den Zoo oder das Tropenhaus<br />
besuchen. Für<br />
diesen Fall musste ein direkter<br />
Weg vom Foyer dorthin<br />
gesichert sein. Das wurde<br />
durch eine architektonisch<br />
unübliche Art <strong>und</strong><br />
Weise erreicht. Die Decke<br />
des Tropenhauses wurde<br />
angehoben wie ein Teppich,<br />
um einen kegelförmigen,<br />
höhlenartigen Durchgang<br />
zu schaffen, der sich<br />
zwischen den getrennten<br />
Decken des Zoos bis ins<br />
Atrium fortsetzt, so dass<br />
der Besucher sich am Ende<br />
gegenüber der Bar wiederfindet.<br />
Der Kinosaal ist eine Box,<br />
zugänglich von zwei Treppen,<br />
die rechts <strong>und</strong> links<br />
von der Bar zwischen Box<br />
<strong>und</strong> Trommel emporsteigen.<br />
Besucher des Zoos<br />
<strong>und</strong> des Tropenhauses folgen<br />
einer vorgezeichneten<br />
Route, die jeweils auf einer<br />
Seite des Durchgangs zum<br />
Kino beginnt. Von dort aus<br />
windet sie sich durch beide<br />
Räume. Der durch den<br />
Durchgang zum Kino entstandene<br />
„Berg“, dient als<br />
Verbindung zwischen Erd<strong>und</strong><br />
Obergeschoss.<br />
Die unterschiedlichen<br />
Funktionen der Gebäudeteile<br />
sind durch unterschiedlicheDachkonstruktionen<br />
von außen gut ablesbar.<br />
Die schwere, fensterlose<br />
Ziegelkonstruktion<br />
beherbergt das Kino <strong>und</strong><br />
den Zoo. Diese massive<br />
Außenhaut bringt akustische<br />
<strong>und</strong> energetische Vorteile.<br />
Das Zeltdach des Tropenhauses<br />
ist hingegen ein<br />
Energieempfänger, der viel<br />
Tageslicht hereinlässt <strong>und</strong><br />
somit die Sonne zum Beheizen<br />
mitnutzt. Die innere<br />
Umgebung wird kontrolliert<br />
durch Schaffung einer Balance<br />
zwischen den gegensätzlichen<br />
Stärken. Zum<br />
Beispiel absorbiert die<br />
schwere, nach Süden ausgerichtete<br />
Wand des Zoos<br />
tagsüber viel Wärme <strong>und</strong><br />
gibt diese in der Nacht an<br />
das Tropenhaus ab. Das<br />
kühle Wasser von dem nahegelegenen<br />
Dock wird für<br />
die mechanische Ventilation<br />
im Kino genutzt <strong>und</strong> reduziert<br />
somit die Belastung<br />
der Kühlungsanlage.<br />
In früheren Entwürfen war<br />
ein konventionelles Gewächshaus<br />
aus Stahl <strong>und</strong><br />
Glas für das Tropenhaus<br />
vorgesehen. Dieses wurde<br />
fortschrittlich verfeinert.<br />
Anstatt der Glaspanelen<br />
sollten aufgeblähte ETFE<br />
Kissen eingesetzt werden.<br />
Diese kombinieren extreme<br />
Leichtigkeit, hohe Lichtdurchlässigkeit,<br />
gute thermische<br />
Isolation <strong>und</strong> eine<br />
selbstreinigende Haut miteinander.<br />
Im Gegensatz zu<br />
Glas haben die Folienkissen<br />
weniger Eigengewicht<br />
<strong>und</strong> sind nachgiebiger gegenüber<br />
Bewegungen. Ein<br />
Hauptseil verläuft quer über<br />
das Gebäude von einer<br />
Ecke zur anderen, gehalten<br />
von den zwei Stahlmasten.<br />
Senkrecht dazu spannen<br />
Seile zu den massiven Außenwänden<br />
des Zoos bzw.<br />
zu einer Stützenreihe. Für<br />
die abschließenden Wände<br />
des Zeltes wurde eine konventionellereStahlkonstruktion<br />
mit bananenförmigen<br />
Dachträgern gewählt.<br />
Sie werden von vertikalen<br />
Fachwerkträgern getragen,<br />
zwischen denen sich die<br />
Glasfassade befindet.<br />
Die Konstruktion des<br />
Durchgangs unterhalb des<br />
Tropenhaus durchschritt<br />
einen ähnlichen Entwicklungsprozess.<br />
Eine ebenbürtige<br />
innovative Lösung<br />
wurde gef<strong>und</strong>en. Vorgefer-<br />
Bristol<br />
Wildsreen<br />
93
Bristol<br />
Wildsreen<br />
94<br />
tigte Stahlbetonteile wurden<br />
vorgeschlagen, erwiesen<br />
sich jedoch aufgr<strong>und</strong><br />
der Geometrie des Durchganges<br />
als zu aufwändig<br />
<strong>und</strong> damit unwirtschaftlich.<br />
Eine Vereinfachung der<br />
Geometrie zu Gunsten der<br />
Technologie hätte den Verlust<br />
der Dynamik <strong>und</strong> der<br />
fließenden Form bedeutet.<br />
Die Tunneltechnologie war<br />
die Rettung. Spritzbeton erlaubte<br />
Toleranzen. Eine<br />
Konstellation von kleinen<br />
Lampen sind in das Dach<br />
der Höhle eingelassen. In<br />
der kleinen Verlängerung<br />
zum bestehenden Gebäude,<br />
befindet sich der Shop.<br />
Gr<strong>und</strong>riss EG<br />
Die neue Dachgeometrie<br />
rationalisiert die alte Fassade<br />
des bestehenden Gebäudes,<br />
so dass das neue<br />
Vordach sich deutlich abhebt.<br />
Wildscreen ist ein Bauwerk<br />
von unterschiedlichsten<br />
Räumen <strong>und</strong> Konstruktionsformen,zusammengeführt<br />
durch ein kompliziertes,<br />
aber leserliches Zirkulationssystem,<br />
das einen<br />
kompakten Gr<strong>und</strong>riss auf<br />
einer begrenzten Fläche<br />
entstehen lässt.
Gr<strong>und</strong>riss OG<br />
Schnitt<br />
Isometrie<br />
Bristol<br />
Wildsreen<br />
95
Bristol<br />
Kathedrale<br />
96<br />
Bristol Cathedral<br />
Standort: Bristol<br />
Baujahr: 1298 - 1888<br />
Architekt: unbekannt (13./14.Jahrh<strong>und</strong>ert)<br />
George Edm<strong>und</strong> Street (19. Jahrh<strong>und</strong>ert)<br />
Literatur: Nikolaus Pevsner u.a.: Lexikon der Weltarchitektur,<br />
(2. Aufl.), München 1987<br />
Rolf Toman (Hg.): Die Kunst der Gotik, Köln 1998<br />
bristolcathedral.co.uk<br />
Die Kathedrale von Bristol<br />
wurde 1140 als Abteikirche<br />
St. Augustine an der Stelle<br />
einer älteren Kirche von<br />
Robert FitzHarding, einem<br />
wohlhabenden Kaufmann,<br />
Propst von Bristol <strong>und</strong> Lord<br />
of Berkeley, gegründet, der<br />
Augustinermönche nach<br />
Bristol holte. 1165 ließ er<br />
das Chapter House anbauen,<br />
dessen Arkaden <strong>und</strong><br />
H<strong>und</strong>szahn-Friese typisch<br />
für die normannische Epoche<br />
sind. Die Elder Lady<br />
Chapel wurde 1220 durch<br />
den Abt David hinzugefügt.<br />
Weil der Chor zukünftig<br />
Grablege der Berkeley-<br />
Familie sein sollte, begannen<br />
die Mönche von St.<br />
Augustine’s unter Abt<br />
Knowle 1298 mit einer<br />
gr<strong>und</strong>legenden Erneuerung<br />
ihres ersten Chores<br />
<strong>und</strong> einem Umbau der Abtei<br />
zu einer für England ungewöhnlichen,dreischiffigen<br />
normannischen Hallenkirche<br />
mit gleichhohem<br />
Langhaus, Chor <strong>und</strong> Seitenschiffen.<br />
Chor <strong>und</strong> Eastern<br />
Lady Chapel waren<br />
1332 fertiggestellt, 1460 –<br />
80 folgten ein zentraler<br />
Turm <strong>und</strong> das Querhaus.<br />
Als unter Heinrich VIII. die<br />
Klöster aufgelöst wurden,<br />
wurde 1539 das noch unfertige<br />
Langhaus abgerissen.<br />
Die Abteikirche wurde<br />
1542 zur Kathedrale der<br />
neuen anglikanischen Diözese<br />
Bristol erklärt. Erst<br />
1868 wurde der Bau durch<br />
den Architekten George<br />
Edm<strong>und</strong> Street vollendet,<br />
der das Langhaus anhand<br />
der noch vorhandenen<br />
Säulenbasen rekonstruierte.<br />
Nach Streets Tod ergänzte<br />
der Londoner Architekt<br />
Pearson 1888 die beiden<br />
Westtürme <strong>und</strong> gestaltete<br />
den Innenraum um.<br />
Die Fenster des nördlichen<br />
Langhauses stammen aus<br />
dem Jahr 1951; sie erinnern<br />
an die zivilen Hilfskräfte<br />
während des Zweiten<br />
Weltkriegs.<br />
Die englische Gotik setzt<br />
mit den Kathedralen von<br />
Wells <strong>und</strong> Lincoln Ende<br />
des 12. Jahrh<strong>und</strong>erts ein.<br />
Das Early English ist vor<br />
allem durch eine stärkere<br />
Betonung der Horizontalen<br />
im Vergleich zur französischen<br />
Gotik sowie durch<br />
gerade Chorabschlüsse<br />
anstelle eines Kapellenkranzes<br />
gekennzeichnet.<br />
Auch die Gewölbe weichen<br />
von der Entwicklung in<br />
Frankreich ab. Deren dekorative<br />
Gestaltung beginnt in<br />
Lincoln <strong>und</strong> hat ihren Höhepunkt<br />
im Sterngewölbe
von Exeter im späten 13.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert. Danach vollzieht<br />
sich der Wechsel zum<br />
Decorated Style, der sich<br />
bis zur zweiten Hälfte des<br />
14. Jahrh<strong>und</strong>erts hält. Seine<br />
Stilmerkmale sind konvex-konkav<br />
geschwungene<br />
Formen, hauptsächlich bei<br />
Bögen <strong>und</strong> Fenstermaßwerk<br />
angewendet, sowie<br />
eine Fülle an Dekoration,<br />
die Flächen, Bögen <strong>und</strong><br />
Wimperge überzieht. Die<br />
Motive sind meist stilisierte<br />
Blattmuster. Bei der Raumbildung<br />
spielt der unerwartete<br />
Durchblick, besonders<br />
in diagonaler Richtung,<br />
eine wichtige Rolle. Der<br />
Chor der Kathedrale von<br />
Bristol ist eines der Hauptwerke<br />
des Decorated Style<br />
<strong>und</strong> eines der ausgefallensten<br />
Bauwerke der Spätgotik<br />
in Europa.<br />
Ein namentlich nicht überlieferter<br />
Baumeister deutete<br />
die Hallenform in einmaliger<br />
Weise um, indem er<br />
das breite Mittelschiff mit<br />
großen Arkaden in die<br />
schmalen Seitenschiffe öffnete,<br />
in denen er die Gewölbe<br />
quer zum Mittelschiff<br />
stellte. Die Seitenschiffsgewölbe<br />
bestehen aus vier<br />
Kreuzrippengewölben in<br />
jedem Joch <strong>und</strong> werden<br />
von vier Gurtbögen getragen,<br />
die wesentlich niedriger<br />
ansetzen als die<br />
Scheidbögen des Mittelschiffs.<br />
Ihre Zwickel sind<br />
durchbrochen <strong>und</strong> schließen<br />
horizontal mit einem<br />
Zinnenfries ab. Darüber<br />
sind die Gewölbe offen. Da<br />
hier ganze Gewölbekappen<br />
fehlen, ist der Blick in die<br />
anschließenden Joche frei,<br />
<strong>und</strong> die Gurtbögen der Seitenschiffe<br />
erscheinen wie<br />
eingehängte Brücken. Eine<br />
ähnliche Lösung ist nur aus<br />
dem Unterbau der<br />
Ste.Chapelle in Paris bekannt.<br />
Die Gewölbe im Vorraum<br />
zur Kapelle der Berkeleys<br />
sind noch ausgefallener,<br />
denn hier verzichtete<br />
der Baumeister auf<br />
sämtliche Gewölbekappen,<br />
so dass die Rippen frei in<br />
der Luft hängen.<br />
Bristol<br />
Kathedrale<br />
Bemerkenswert sind darüberhinaus<br />
die Pfeiler des<br />
Mittelschiffs, die ohne Unterbrechungen<br />
in die<br />
Scheidbögen übergehen.<br />
Dies ist einer der frühesten<br />
Fälle der europäischen<br />
Gotik, in dem auf Kapitelle<br />
oder Kämpfer verzichtet<br />
wird. Die Pfeiler bestehen<br />
außerdem aus nirgendwo<br />
zuvor verwendeten, wellenförmigen<br />
Profilen. Das Gewölbe<br />
des Mittelschiffs<br />
setzt als Tierceron-Gewölbe<br />
an, seine Nebenrippen<br />
gehen also vom Kämpfer<br />
auf, während es im Scheitelpunkt<br />
auf eine Reihe großer<br />
Rauten aus Zwischenrippen<br />
trifft, sogenannten<br />
Liernen, die weder vom<br />
Kämpfer noch von einem<br />
zentralen Schlußstein ausgehen.<br />
Die Liernen sind wie<br />
Maßwerk mit Nasen verziert,<br />
die sich von der Gewölbefläche<br />
lösen.<br />
Die Steigerung dieser Gestaltung<br />
findet sich in den<br />
Grabnischen der Berkeleys,<br />
wo Kielbögen kopfüber<br />
übereinander getürmt<br />
werden <strong>und</strong> umgedrehte<br />
Vielpaßbögen fast orientalisch<br />
anmutende Räume<br />
bilden.<br />
97
Bristol<br />
Kathedrale<br />
98
Millennium Bridge<br />
Standort: London<br />
Baujahr: 2001<br />
Bauherr: Millennium Bridge Trust <strong>und</strong> London Borough of<br />
Southwark<br />
Architekt: Foster and Partners<br />
Ingenieur: Ove Arup & Partners<br />
Bildhauer: Sir Anthony Caro<br />
Literatur: LeCuyer, Annette: Stahl & Co., Basel 2003<br />
Detail 8/1999<br />
Foster and Partners: Foster Catalouge 2001,<br />
London 2001<br />
Zum Jahrtausendwechsel<br />
wollte man durch eine neue<br />
Brücke eine Verbindung<br />
zwischen den Bezirken<br />
Bankside <strong>und</strong> Southwark<br />
herstellen. Zu Fuß kann<br />
man nun bequem über die<br />
Fußgängerbrücke von der<br />
St. Pauls-Kathedrale hinüber<br />
zur gegenübergelegenen<br />
Tate Gallery of Modern<br />
Art hinüberspazieren. Doch<br />
nicht nur die infrastrukturelle<br />
Funktion der Millennium<br />
Bridge ist von Bedeutung.<br />
Sie verschafft durch ihre<br />
Gestaltung Fußgängern<br />
eine neue Wahrnehmung<br />
der Stadt. Man hat das Gefühl<br />
zu schweben <strong>und</strong> hat<br />
dabei einen ungehinderten<br />
Blick auf die Attraktionen<br />
der Stadt.<br />
Konstruktiv ist die Millennium<br />
Bridge eine flache Hängebrücke,<br />
deren Hauptteil<br />
zwischen zwei Brückenpfeilern<br />
144 m weit spannt.<br />
Die Gesamtlänge beträgt<br />
340m <strong>und</strong> die Breite 4m. An<br />
den zwei Y-förmigen Brükkenpfeilern<br />
sind je vier<br />
120mm dicke Seile parallel<br />
zu beiden Längsseiten<br />
der Brücke aufgehängt.<br />
Querliegende Ausleger,<br />
welche die Seile alle 8m an<br />
den Seiten festgeklemmt<br />
sind, tragen die Brückenplatte.<br />
London<br />
Millennium Bridge<br />
Diese steigt von den Widerlagern<br />
am Ufer bis zur<br />
Brückenmitte lediglich<br />
30cm an <strong>und</strong> bildet so einen<br />
flachen Bogen. In<br />
Brückenmitte hängen die<br />
Spannseile am meisten<br />
durch, aber trotzdem nur<br />
maximal 2,30m, was große<br />
Horizontalkräfte zur Folge<br />
hat, die von den Widerlagern<br />
aufgenommen werden<br />
müssen. Ihren höchsten<br />
Punkt haben die<br />
Spannseile auf Höhe der Yförmigen<br />
Brückenpfeiler.<br />
Dort werden sie drei Meter<br />
oberhalb <strong>und</strong> sieben Meter<br />
außerhalb des Brückenstegs<br />
gehalten. Diese<br />
Maße entsprechen gerade<br />
mal einem Zehntel einer<br />
normalen Hängebrücke.<br />
Durch die Ausleger werden<br />
die beiden geometrischen<br />
Ordnungen – Seillinie <strong>und</strong><br />
Brückenlinie – verb<strong>und</strong>en.<br />
Auf Höhe der Brückenmitte<br />
sind diese recht kurz <strong>und</strong><br />
nach unten geneigt. Zum<br />
Brückenpfeiler hin werden<br />
sie länger <strong>und</strong> flacher bis<br />
sie sich schließlich auf<br />
Höhe des Pfeilers stufenweise<br />
aufrichten <strong>und</strong> abspreizen.<br />
Die beiden Brückenenden<br />
sind an ihre jeweilige Umgebung<br />
angepasst. Als Verlängerung<br />
einer Achse<br />
steigt man an der nördlichen<br />
Uferseite von St.<br />
Paul´s ausgehend über<br />
eine großzügige Treppenanlage<br />
unmittelbar zur<br />
Brücke hinab. Am südlichen<br />
Ufer hingegen, an<br />
dem sich die neue Tate<br />
Gallery befindet, wird der<br />
Zugang zur Uferpromenade<br />
betont. Die Brücke teilt<br />
sich, um eine zentrale<br />
Rampe zu umschließen,<br />
die nun in umgekehrter<br />
Richtung abwärts führt <strong>und</strong><br />
99
London<br />
Millennium Bridge<br />
100<br />
die Spaziergänger den<br />
Fluss hinauf- oder hinablenkt.<br />
Während des Bauprozess<br />
lagen die Schwierigkeiten<br />
darin, die Materialien an die<br />
Baustelle zu bringen, da es<br />
am Nordufer keine Zufahrtsstraße<br />
gab. Außerdem<br />
war die Flussströmung<br />
sehr stark, darüber<br />
hinaus musste der Schiffsverkehr<br />
berücksichtigt werden,<br />
da man diesen nicht<br />
einfach unterbrechen konnte.<br />
Aufgr<strong>und</strong> des geringen<br />
Durchhanges der Seile<br />
muss jedes Widerlager<br />
Kräfte aus dem Eigengewicht<br />
von 2000 Tonnen aufnehmen.<br />
Die Pfahlkopfplatten<br />
der Widerlager, welche<br />
die Größe von zwei Tennisplätzen<br />
haben, werden von<br />
Gründungspfählen getragen<br />
<strong>und</strong> nehmen die Kräfte<br />
aus den Seilen auf. Die<br />
Seilanker bestehen am<br />
nördlichen Ufer aus<br />
100mm dicken Stahlplatten,<br />
die in die Widerlager<br />
eingegossen sind, <strong>und</strong> am<br />
Südufer aus Druck- <strong>und</strong><br />
Zugankern, welche an der<br />
Uferböschung wie Beton<strong>und</strong><br />
Stahlflügel aussehen.<br />
Für die Brückenpfeiler wurden<br />
Kofferdämme in den<br />
Fluss gebaut. Sie ruhen auf<br />
Betonsenkkästen.<br />
Die „Arme“ der Brückenpfeiler<br />
an denen die Seile<br />
befestigt sind, wurden aus<br />
Stahlblechen vorgefertigt.<br />
Die Querausleger bestehen<br />
ebenfalls aus Stahlblechen,<br />
aber in Form von Kastenprofilen.<br />
Dort, wo die<br />
Seile tief hängen, sind sie<br />
mit ihnen an deren Unterseite<br />
<strong>und</strong> dort, wo die Seile<br />
hochgehalten werden, an<br />
deren Oberseite fest verklemmt.<br />
Der Brückensteg<br />
wurde aus Einzelteilen vor<br />
Ort zusammengesetzt. An<br />
den Brückenrändern befinden<br />
sich Stahlrohre. Darauf<br />
lagern Gitterost, das Geländer<br />
<strong>und</strong> die Beleuchtung.<br />
Im Juni 2000 wurde die<br />
Brücke das erste Mal eröffnet.<br />
An diesem Wochenende<br />
kamen bereits 100.000<br />
Menschen, um die Brücke<br />
einzuweihen. Dabei stellte<br />
sich heraus, dass die seitliche<br />
Auslenkung größer als<br />
erwartet war. Die Brücke<br />
musste umgehend wieder<br />
geschlossen werden. Verursacht<br />
wurde die Auslenkung<br />
durch synchronisierte<br />
Schritte. Dieses Phänomen<br />
tritt zwar auch bei anderen<br />
Brücken auf, doch<br />
wurde es bisher noch nie<br />
ausreichend in den Verordnungen<br />
zum Brückenbau<br />
dokumentiert. Man führte<br />
weitere Untersuchungen<br />
durch <strong>und</strong> installierte<br />
schließlich Schwingungsdämpfer.<br />
So konnte die<br />
Brücke im Februar 2002<br />
wieder eröffnet werden.
Tate Gallery of Modern Art<br />
Standort: London, Bankside, Southwark<br />
Baujahr: 2000<br />
Bauherr: The Tate Gallery<br />
Architekt: Herzog & de Meuron<br />
Ingenieur: Ove Arup & Partners<br />
Literatur: Architektur Aktuell, 243/244<br />
<strong>Exkursion</strong>sführer Structures<br />
Detail, 4/2000 + 7/2000<br />
Ursprünglich begrenzte<br />
sich die Tate Gallery mit ihren<br />
Ausstellungen über britische<br />
historische <strong>und</strong> zeitgenössische<br />
Malerei auf<br />
das Millbank-Gebäude, jedoch<br />
litt man schon seit<br />
geraumer Zeit unter Platznot.<br />
Besuchten doch r<strong>und</strong><br />
20.000 Kunstinteressierte<br />
pro Tag die Kunstgalerie.<br />
Folglich ließ der damalige<br />
Direktor der Galerie im Februar<br />
1995 einen Wettbewerb<br />
zur Umgestaltung eines<br />
Kraftwerks ausschreiben.<br />
Ausgewähltes Objekt<br />
war die Bankside Power<br />
Station, die von 1947 bis<br />
1963 von Sir Giles Gilbert<br />
Scott (Entwerfer der roten<br />
britischen Telefonhäuschen)<br />
erbaut wurde. Damals<br />
galt es als eines der<br />
größten Kraftwerke Englands.<br />
Der imposante Ziegelbau<br />
war in drei parallel<br />
angeordneten Raumschichten<br />
organisiert, von<br />
denen jede eine spezifische<br />
Funktion hatte. Zur<br />
Themse hin war das Kesselhaus<br />
eingerichtet, in der<br />
Mitte standen große Turbinen<br />
<strong>und</strong> auf der Südseite<br />
das Switch-house, in dem<br />
bis heute Transformatoren<br />
untergebracht sind.<br />
1982 schließlich wurde das<br />
Kraftwerk stillgelegt <strong>und</strong><br />
von 1995 bis 2000 von<br />
Herzog & de Meuron umgewandelt.<br />
Das Architektenpaar<br />
konnte sich gegen<br />
147 Teilnehmer bei dem<br />
Wettbewerb durchsetzen.<br />
Man wollte keinen abgeschlossenen<br />
Entwurf <strong>und</strong><br />
suchte einen Baumeister,<br />
London<br />
Tate Gallery<br />
der am ehesten Bankside<br />
Power Station versteht <strong>und</strong><br />
dessen Potential entwikkeln<br />
kann.<br />
Die Aufgabe der Schweizer<br />
bestand nun in erster Linie<br />
darin, das Ambiente des<br />
Industriebaus sowohl von<br />
außen wie von innen zu<br />
bewahren. Die Dreiteiligkeit<br />
des Baus wurde beibehalten.<br />
Eine breite Rampe<br />
führt von der Westseite hinunter<br />
in die gigantische Eingangshalle,<br />
ehemals Turbinenhalle.<br />
Sie ist ein überwältigender<br />
Raum von 160<br />
Metern Länge <strong>und</strong> 30 Metern<br />
Höhe. Hier sind Ticketschalter,<br />
ein Café <strong>und</strong> eine<br />
Kunstbuchhandlung untergebracht.<br />
Nur ein mittig<br />
angeordneter Steg durchschneidet<br />
den nahezu sakral<br />
anmutenden Raum. Er<br />
ist der Rest einer Deckenplatte,<br />
die sich vor dem<br />
Umbau auf die gesamte<br />
Gebäudelänge ausdehnte.<br />
Von dem Steg aus kann der<br />
Besucher die Aktivitäten in<br />
der Halle überblicken <strong>und</strong><br />
in den Museumstrakt gelangen.<br />
Von dort aus gelangt<br />
man über Rolltreppen<br />
in die oberen Geschosse<br />
mit den Galerien. Diese<br />
sind thematisch <strong>und</strong> nicht<br />
wie gewöhnlich chronologisch<br />
unterteilt. Alle Galerieräume<br />
sind mindestens<br />
fünf Meter hoch. Sie unter<br />
101
London<br />
Tate Gallery<br />
102<br />
scheiden sich aber in Abmessung<br />
<strong>und</strong> Proportion,<br />
um den jeweiligen Kunstwerken<br />
den optimalen Rahmen<br />
zu bieten. Die Belichtung<br />
erfolgt teilweise durch<br />
Tageslicht, das über Oberlichter<br />
oder die kathedralartigen<br />
Fenster in die Räume<br />
gelangt. Lichtbänder<br />
erhellen die Räume zusätzlich<br />
mit fein regulierbarem<br />
Kunstlicht.<br />
Die große Eingangshalle<br />
wird durch Lichteinfall<br />
durch das Dach belichtet.<br />
Hierzu wurde ein zweigeschossiger<br />
Glasriegel auf<br />
das Dach aufgesetzt. Dies<br />
ist die einzige von außen<br />
sichtbare bauliche Veränderung<br />
an der ehemaligen<br />
Bankside Power Station.<br />
Die Idee des großen Lichtkörpers,<br />
der über dem<br />
schweren Backsteingebäu-<br />
de schwebt, existierte bereits<br />
von Anfang der Entwurfsüberlegungen<br />
an.<br />
Tagsüber bringt er Licht in<br />
die Geschosse , während<br />
er nachts das Kunstlicht in<br />
den Himmel Londons wirft.<br />
Der Leuchtkörper steht im<br />
Dialog mit dem 93 Meter<br />
hohen Turm <strong>und</strong> stellt heute<br />
das eindrucksvolle<br />
Schlüsselelement des Museums<br />
dar, welches man<br />
schon von weitem sieht,<br />
wenn man zum Beispiel<br />
über die Millennium Bridge<br />
kommend das Kunstmuseum<br />
ansteuert.
London<br />
Tate Gallery<br />
103
London<br />
Millenium Dome<br />
104<br />
Millennium Dome<br />
Standort: London<br />
Baujahr: 1996-1999<br />
Bauherr: New Millennium Experience Company Ltd. <strong>und</strong><br />
Millennium Commission<br />
Architekt: Richard Rogers Partnership<br />
Ingenieur: Büro Happold<br />
Literatur: LeCuyer, Annette: Stahl & Co., Basel 2003<br />
Detail 6/2000<br />
Lyall, Sutherland: Ingenieure – Bau – Kunst,<br />
Die Konstruktion der neuen Form, Stuttgart 2002<br />
Der Millennium Dome gilt<br />
als größte Membrankonstruktion<br />
der Welt. Er wurde<br />
auf der Halbinsel Greenwich<br />
errichtet, an der Südseite<br />
der Themse. Das<br />
Baugr<strong>und</strong>stück war ehemals<br />
ein Industrieareal,<br />
gehörte früher British Gas<br />
<strong>und</strong> war in weiten Teilen<br />
kontaminiert. Vor der eigentlichen<br />
Errichtung des<br />
Dome musste der Boden<br />
des 120 Hektar großen<br />
Geländes von seinen Altlasten<br />
befreit werden. Erst<br />
danach konnte der Entwurf<br />
von Richard Rogers in Zusammenarbeit<br />
mit der Designergruppe<br />
Imagination<br />
<strong>und</strong> dem Büro Happold verwirklicht<br />
werden.<br />
Das Konzept lag darin, eine<br />
Hängedachkonstruktion als<br />
Textil- <strong>und</strong> Seilstruktur zu<br />
entwickeln. Entstanden ist<br />
ein dreidimensionales, seilverspanntes<br />
Netzwerk.<br />
Hierzu sind 72 paarweise<br />
angeordnete Spannseile<br />
vom Mittelpunkt aus strahlenförmig<br />
in der Membranebene<br />
angeordnet. Diese<br />
aus Drähten gew<strong>und</strong>enen,<br />
einzeln vorgespannten <strong>und</strong><br />
verzinkten Seile werden<br />
von einem im Kreis verlaufenden<br />
Radialträger gehalten.<br />
So werden sie in ihrer<br />
Position fixiert. Die Ringträger<br />
sind von zwölf 90 m<br />
hohen Vierendeel-Masten<br />
abgehängt, die jeweils in<br />
einem Abstand von 100 m<br />
zum Mittelpunkt positioniert<br />
sind, <strong>und</strong> über Abspann-<br />
seile in den Boden rückverankert<br />
sind. Gegen Knikken<br />
haben die Masten die<br />
Form einer Zigarre.<br />
Als Material für die Membran<br />
wurde teflonbeschichtetes<br />
Glasfasergewebe verwendet.<br />
Das Dach besteht<br />
aus zwei Schichten. So<br />
wird ein gewisser Dämmwert<br />
erreicht <strong>und</strong> Kondensation<br />
vermieden.<br />
Gewebe <strong>und</strong> Seile sind<br />
zugbeansprucht. Um ihre<br />
Durchbiegung zu verringern<br />
<strong>und</strong> damit ihre Tragfähigkeit<br />
zu erhöhen, sind<br />
die Seile mit 4 kN/m vorgespannt.<br />
Treten Lasten auf,<br />
wie zum Beispiel durch<br />
Wind <strong>und</strong> Schnee, werden<br />
sie aus dem Gewebe über<br />
die Abspannseile <strong>und</strong> den<br />
Ringträger in den Boden<br />
abgeleitet. Die Spannseile<br />
sind im Zentrum durch einen<br />
Seilring zusammengefasst,<br />
so dass bei dem Verlust<br />
der Tragfähigkeit eines<br />
Seils, die Funktion des Systems<br />
trotzdem gewährleistet<br />
ist. Am äußeren Rand<br />
der Membran nehmen<br />
Randseile jeweils die vier<br />
der sechs Radialseile pro<br />
Kuppelsegment auf, die<br />
nicht direkt im Beton verankert<br />
werden <strong>und</strong> leiten die<br />
Kräfte zu 24 Stahlbetonankern<br />
auf dem Streifenf<strong>und</strong>ament<br />
des Dome.<br />
Die Belastbarkeit einer gespannten<br />
Struktur hängt<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich von ihrer<br />
Form ab, da sowohl Spannungen<br />
als auch Neigung<br />
der Belastung entgegenwirken.<br />
Je stärker sie gekrümmt<br />
ist, desto geringer<br />
muß sie also vorgespannt<br />
sein, um der gleichen Auflast<br />
entgegenzuwirken. Der<br />
Vorteil der flachen Kuppelform<br />
des Dome liegt darin,<br />
daß bei dieser Form die<br />
Neigung der Spannseile mit<br />
ihrer Spannweite zunimmt;
die größeren Kräfte werden<br />
daher durch die Neigung<br />
annähernd ausgeglichen.<br />
Die einzelnen Bahnen des<br />
Daches sind keilförmig zugeschnitten;<br />
ihre Breite<br />
wächst von 1m an der Spitze<br />
auf 15m, was den Vorteil<br />
hat, daß das Wasser<br />
mit zunehmender Breite<br />
verstärkt nach unten gelenkt<br />
wird. Entlang der<br />
Längskanten verläuft in einer<br />
Manschette jeweils ein<br />
12mm dickes Seil, das über<br />
Aluminium-Strangpressprofile<br />
an den radialen<br />
Spannseilen festgeklemmt<br />
wurde. Über die Stöße wurden<br />
Gewebelappen heiß<br />
auf die Membran geschweißt.<br />
Um Vertiefungen<br />
zu vermeiden in denen sich<br />
Regenwasser sammeln<br />
könnte, wurde die Konstruktion<br />
des Ringträgers<br />
<strong>und</strong> der Membran entkoppelt,<br />
indem die Ringträger<br />
über die Membranebene<br />
angehoben wurden. Lediglich<br />
an den Aufhängepunkten<br />
durchstoßen massive<br />
V-förmige Verbindungsglieder<br />
das Textil.<br />
Bei der Detailierung von<br />
Seilkonstruktionen kommt<br />
den Systempunkten <strong>und</strong> -<br />
linien sowie deren Kreuzungspunkten<br />
<strong>und</strong> der Bewegung<br />
der Seile an den<br />
Knoten besondere Bedeutung<br />
zu. Die radialen<br />
Spannseile dürfen an ihren<br />
Aufhängeknoten nicht<br />
durchlaufen, da das einen<br />
zu hohen Verschleiß des<br />
Materials verursachen wür-<br />
London<br />
Millenium Dome<br />
de. Deshalb wurde hier ein<br />
Knotenstück eingesetzt.<br />
Das sogenannte Gabelbein<br />
ist ein geschweißtes Stahlverbindungsstück,<br />
das Radialseil<br />
Seilringträger aufnimmt<br />
<strong>und</strong> an ein Abhängeseil<br />
anschließt. Es hält<br />
den Seilringträger außerdem<br />
im erforderlichen Abstand<br />
über der Membran.<br />
Als komplizierter stellte sich<br />
die Detaillierung der riesigen<br />
Stahlmastenköpfe heraus.<br />
Hier durften sich die<br />
Abhängeseile nicht berühren.<br />
Die Verbindungen der<br />
12 identischen Masten sind<br />
geschweißt. An jedem Fuß<br />
befindet sich ein Gelenk mit<br />
Gummilagerung <strong>und</strong> eine<br />
einzige Bolzenverbindung<br />
zur lokalen Fixierung.<br />
Die Belüftung des Dome<br />
<strong>und</strong> des darunter liegenden<br />
Autotunnels erfolgt über einen<br />
Schacht. Dazu ist ein<br />
Netz aus Stahlseilen in das<br />
Membrandach eingelassen.<br />
Das Netz nimmt die<br />
gleiche Zugspannung auf<br />
wie das angrenzende Glasfasergewebe<br />
<strong>und</strong> erlaubt<br />
den maximalen Lüftungsquerschnitt.<br />
Schon lange gibt es Visionen<br />
über große Schutzhüllen,<br />
die das Leben in unfre<strong>und</strong>lichem<br />
Klima erleichtern.<br />
Mit der Seiltechnologie<br />
des Millennium Dome<br />
könnte man mit einem entsprechendem<br />
Material sogar<br />
eine Fläche von<br />
150.000m² erzielen, d.h.<br />
eine ganze Stadt könnte<br />
damit überdacht werden.<br />
105
London<br />
St. Paul´s Cathedral<br />
106<br />
St. Paul’s Cathedral<br />
Standort: London<br />
Baujahr: 1675-1710<br />
Architekt: Sir Christopher Wren<br />
Literatur: Semsek, Hans-Günther: London <strong>und</strong> Umgebung,<br />
Bielefeld, 2003<br />
Michelin: Der Grüne Reiseführer Großbritannien,<br />
Frankreich, 2000<br />
Das heute zu besichtigende<br />
Wahrzeichen von London,<br />
ist die St. Paul’s Cathedral<br />
nach dem Entwurf<br />
von Sir Christopher Wren<br />
aus dem 17. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
Das erste Gotteshaus an<br />
diesem Ort wurde bereits<br />
im Jahre 604 auf Initiative<br />
des ersten Bischofs von<br />
London, Mellitius, errichtet.<br />
Nachdem man 200 Jahre<br />
nach der Errichtung die<br />
Kathedrale renoviert hatte,<br />
brannte sie 1087 das erste<br />
Mal ab.<br />
1175 war eine neue Kathedrale<br />
errichtet worden, die<br />
sich jedoch durch ständige<br />
Erweiterungen <strong>und</strong> Umbauten<br />
immer wieder veränderte.<br />
Damals gehörte<br />
Old St. Paul’s zu den beeindruckendstenSakralbauten<br />
der damaligen Christenheit.<br />
Der Glockenturm<br />
war 142 m hoch. In den<br />
Jahres 1444 <strong>und</strong> 1561<br />
schlug der Blitz in den<br />
Kirchturm ein. Dieser<br />
brannte ab, so dass sich St.<br />
Paul’s danach mit einem<br />
Turmstumpf präsentierte.<br />
Im 15. <strong>und</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
war die eigentliche Nutzung<br />
der Kathedrale als Gottes-<br />
haus zunehmend in den<br />
Hintergr<strong>und</strong> getreten. Das<br />
Mittelschiff wurde von den<br />
Fußgängern als „Durchgangsstraße“<br />
genutzt.<br />
Kaufleute <strong>und</strong> Krämer ließen<br />
sich dort nieder, geschäftliche<br />
Gespräche wurden<br />
in den Nischen geführt,<br />
<strong>und</strong> das alles während die<br />
Messe zelebriert wurde.<br />
Die Kathedrale war in einem<br />
erbärmlichen Zustand.<br />
Nachdem in England die<br />
Monarchie wieder eingeführt<br />
war, erhielt Christopher<br />
Wren, Astronom <strong>und</strong><br />
Mathematiker in Oxford,<br />
den Auftrag, die Kathedrale<br />
zu restaurieren. 1666<br />
hatte er diese Arbeiten abgeschlossen,<br />
als das Große<br />
Feuer ausbrach <strong>und</strong> St.<br />
Paul’s bis auf die Gr<strong>und</strong>mauern<br />
niederbrannte.<br />
Wieder reichte Wren Entwürfe<br />
für einen Neubau ein.<br />
1675 schließlich wurde mit<br />
dem Bau begonnen <strong>und</strong> 35<br />
Jahre später vollendet.<br />
Das Erkennungszeichen<br />
der Kathedrale <strong>und</strong> das<br />
besondere an Wrens Entwurf,<br />
ist bis heute noch die<br />
mächtige Kuppel. Im Gegensatz<br />
zur Kuppel des<br />
Petersdoms in Rom hat<br />
diese Kuppel nicht die<br />
Form einer Halbkugel. Ihr<br />
Tambour besteht aus zwei<br />
Ebenen. Die untere ist von<br />
Säulen umgeben <strong>und</strong> mit<br />
einer Balustrade versehen,<br />
während die obere, etwas<br />
von der Balustrade abgesetzt,<br />
eine kreisförmige<br />
Aussichtsgalerie, die Stone<br />
Gallery bildet. Die Kuppelspitze<br />
besteht aus einer<br />
schlichten Laterne im englischen<br />
Barockstil, die auf<br />
ihren vier Seiten mit Säulen<br />
versehen ist <strong>und</strong> eine<br />
weitere, kleinere Kuppel mit
einer goldenen Kalotte<br />
(Durchmesser 2m)trägt.<br />
Neben der Bauüberwachung<br />
an St. Paul’s leitete<br />
Sir Christopher Wren insgesamt<br />
51 weitere Kirchenbauten.<br />
London<br />
St. Paul´s Cathedral<br />
107
London<br />
Waterloo-Station<br />
108<br />
Waterloo Terminal in London<br />
Standort: London<br />
Baujahr: 1991-1993<br />
Bauherr: British Rail<br />
Architekt: Nicholas Grimshaw and Partners<br />
Ingenieur: Anthony Hunt Associates<br />
Literatur: Powell, Kenneth, Moore, Rowan: Struktur, Raum<br />
<strong>und</strong> Haut – Nicholas Grimshaw & Partners, Berlin<br />
1993<br />
Detail 4/1995<br />
Aufgr<strong>und</strong> des Baus der<br />
neuen Kanaltunnellinien<br />
Paris-London <strong>und</strong> Brüssel-<br />
London sollte ein neuer<br />
Kopfbahnhof neben der alten<br />
Waterloo Station entstehen.<br />
Im Rahmen dieses<br />
Projektes wurden zehn Architekturbürosaufgefordert,<br />
detaillierte Angaben<br />
über ihre Firma bei British<br />
Rail einzureichen. Der Auftraggeber<br />
bezeichnete das<br />
bevorstehende Projekt als<br />
einen der im heutigen Europa<br />
zweifellos interessantesten<br />
Aufgaben. Mit dieser<br />
Auffassung stimmte Nicholas<br />
Grimshaw überein <strong>und</strong><br />
entwarf ein Terminal, das<br />
an die Tradition der englischen<br />
Bahnhofshallen des<br />
19. Jahrh<strong>und</strong>erts anknüpft<br />
<strong>und</strong> gleichzeitig ein Wahrzeichen<br />
eines neuen Bahnzeitalters<br />
darstellt.<br />
Als Schwierigkeit des Entwurfs<br />
stellte sich die beengte<br />
innerstädtische Gr<strong>und</strong>stückssituation<br />
heraus. Um<br />
dieses Problem zu lösen,<br />
ließen die Architekten die<br />
400 m lange Anlage schlangenförmig<br />
dem Verlauf der<br />
Schienenstränge folgen.<br />
Der Querschnitt variiert zwischen<br />
32 <strong>und</strong> 58 m.<br />
Der Waterloo Terminal ist<br />
im wesentlichen wie ein<br />
Flughafen organisiert. Die<br />
unterschiedlichen Bereiche,<br />
wie Bahnsteig, Ankunft<br />
<strong>und</strong> Abfahrt, sind durch un-<br />
terschiedliche Ebenen getrennt.<br />
Die Bahnsteige liegen<br />
auf der gleichen Ebene<br />
wie die der alten Waterloo<br />
Station <strong>und</strong> werden<br />
stützenfrei von einem Dach<br />
aus Stahl <strong>und</strong> Glas überspannt.<br />
Ein Geschoss darunter<br />
liegt die Abfahrtsebene.<br />
Hier befinden sich auch<br />
die Wartebereiche, die man<br />
nach der Ticket- <strong>und</strong> Sicherheitskontrolle<br />
erreicht.<br />
Noch eine Etage tiefer befindet<br />
sich der Ankunftsbereich<br />
mit der Zollstation,<br />
von wo aus der Reisende<br />
mit Taxis oder U-Bahn weiter<br />
fahren kann. Diese klare<br />
Gliederung des Gebäudes<br />
spielt eine wichtige<br />
Rolle beim Lenken der Passagierströme.<br />
Überall werden<br />
den Reisenden Orientierungsmöglichkeitengeboten.<br />
Die Züge haben sie<br />
beständig im Blickfeld.<br />
Das spektakulärste Element<br />
des Entwurfs ist das<br />
filigrane Dachtragwerk,<br />
welches jedoch nur 10 %<br />
der Gesamtkosten ausmachte.<br />
Es besteht aus abgeflachten,<br />
in Zug- <strong>und</strong><br />
Druckstäbe aufgelösten<br />
Dreigelenkbögen <strong>und</strong> bezieht<br />
seine Raffinesse aus<br />
der asymmetrischen Form.<br />
Diese rührt daher, dass auf<br />
der westlichen Seite ein<br />
Gleis am Rand der Halle<br />
liegt <strong>und</strong> die Konstruktion<br />
hier steiler aufragen muss,<br />
um den Lichtraum für die<br />
durchfahrenden Züge zu<br />
gewährleisten. In diesem<br />
Bereich liegt die Tragkonstruktion<br />
außerhalb der<br />
Glashaut.
Die Dreigelenkbögen bestehen<br />
aus dreieckigen<br />
Fachwerk-Bindern, die im<br />
Übergang von innenliegender<br />
zu außenliegender<br />
Konstruktion durch ein Gelenk<br />
verb<strong>und</strong>en sind. Ähnliche<br />
Gelenke befinden sich<br />
an den beiden unteren Auflagern.<br />
Auf der Westseite<br />
erfolgt die Aussteifung zwischen<br />
den Hauptträgern<br />
über die diagonal angebrachten<br />
Zugstäbe in der<br />
Ebene des Untergurtes des<br />
außenliegenden Binders .<br />
Die gesamte Konstruktion<br />
wurde so bemessen, dass<br />
möglichst wenig Stahl benötigt<br />
wurde. Entsprechend<br />
dem Kräfteverlauf ändert<br />
sich der Querschnitt des<br />
jeweils druckbelasteten<br />
Gurtes.<br />
Die gesamte Westseite der<br />
Dachkonstruktion ist verglast,<br />
wobei die Glaseindeckung<br />
unterhalb des Bogensegments<br />
aufgehängt<br />
ist. Auf der Ostseite liegt die<br />
London<br />
Waterloo-Station<br />
Dacheindeckung hingegen<br />
auf. Bei der Entwicklung<br />
des Glases ließ sich Grimshaw<br />
von drei Prinzipien inspirieren:<br />
der Schuppenanordnung<br />
eines Reptils, eines<br />
einfach gedeckten<br />
Dachs <strong>und</strong> den Gelenkverbindungen<br />
von Eisenbahnwagen.<br />
So entstand eine<br />
schuppenförmige Verglasung<br />
mit nur einem einzigen<br />
rechtwinkligen Scheibenformat.<br />
Die Glashalteprofile<br />
sind an gelenkigen<br />
Verbindungsteilen aus<br />
Edelstahl befestigt, die<br />
gleichzeitig die Bewegung<br />
der Dachstruktur ermöglichen.<br />
Seitlich sind die Sicherheitsgläser<br />
durch Neoprenteile<br />
verb<strong>und</strong>en, die<br />
sich den unterschiedlichen<br />
Abständen anpassen <strong>und</strong><br />
Bewegungen aufnehmen.<br />
Die ganze Dachstruktur<br />
schwingt in einer wellenförmigen<br />
Bewegung <strong>und</strong> sorgt<br />
mit ihren Erhebungen <strong>und</strong><br />
Senkungen auch für den<br />
Abfluss von Regenwasser.<br />
109
London<br />
London Eye<br />
110<br />
London Eye<br />
Standort: London<br />
Baujahr: 2000<br />
Bauherr: The London Eye Company Ltd. (u.a. British Airways)<br />
Architekt: Marks Barfield<br />
Ingenieur: Jane Wernick (Arup)<br />
Literatur: LeCuyer, Annette: Stahl & Co., Basel 2003<br />
British Airways: London eye – the essential eye,<br />
London 2001<br />
Lyall, Sutherland: Ingenieure – Bau – Kunst,<br />
Die Konstruktion der neuen Form, Stuttgart 2002<br />
Mit einer Höhe von 135 m<br />
ist das British Airways London<br />
Eye das größte Aussichtsriesenrad<br />
der Welt.<br />
An einem dunstfreien Tag<br />
bietet sich ein Panorama<br />
bis zu einer Entfernung von<br />
40 km. Seine Errichtung<br />
erfolgte im Jahre 2000 zur<br />
Feier der Jahrtausendwende,<br />
zu dessen Anlass 1993<br />
ein Ideenwettbewerb ohne<br />
ersten Preisträger ausgeschrieben<br />
wurde. Das Riesenrad<br />
befindet sich im<br />
Herzen Londons, direkt an<br />
der Themse, auf dem Big<br />
Ben gegenüberliegenden<br />
Flussufer.<br />
Nicht nur seine Größe beeindruckt,<br />
sondern auch<br />
seine präzise Ausbalancierung.<br />
Es schwebt förmlich<br />
über der Themse <strong>und</strong> ist<br />
dabei noch in jedem Detail<br />
ausgesprochen leicht <strong>und</strong><br />
schlank.<br />
Die Konstruktion folgt dem<br />
Prinzip des Speichenrades.<br />
Von einer zentralen Nabe<br />
ausgehend, halten Kabelspeichen<br />
eine Felge unter<br />
Druck. Das Riesenrad wird<br />
aber nur einseitig von der<br />
Landseite gehalten.<br />
Durch die Vorspannung der<br />
Kabelspeichen ergibt sich<br />
eine Druckbeanspruchung<br />
in der Felge. Damit verhindert<br />
man, dass die Kabel<br />
unter der Eigenlast des<br />
Rades oder durch Windkräfte<br />
schlaff werden. Um<br />
der permanenten Tendenz<br />
des Rades, auszuknicken,<br />
entgegenzuwirken, wurde<br />
die Geometrie der Felge<br />
<strong>und</strong> der Nabe so optimiert,<br />
dass maximale Steifigkeit<br />
bei minimalem Gewicht erreicht<br />
wurde. Für die Felge<br />
wählte man daraufhin einen<br />
Fachwerkträger. Die<br />
Verbindung der Felge zur<br />
Nabe über die vorgespannte<br />
Speiche <strong>und</strong> die Rotationskabel<br />
gewährleistet die<br />
gleichmäßige Drehung von<br />
Felge <strong>und</strong> Nabe.<br />
Dadurch, dass man für die<br />
Gurte <strong>und</strong> Streben des<br />
Fachwerkträgers relativ<br />
schlanke Querschnitte<br />
wählte, genügte eine unmittelbare<br />
Verbindung der<br />
Stahlrohre nicht aus, um<br />
die gewaltigen Kräfte der<br />
sich drehenden Konstruktion<br />
auszuhalten. Folglich<br />
wurden zusätzliche Bleche<br />
an den Knoten angeschweißt.<br />
Damit vergrößerte<br />
man die Berührungsflächen<br />
<strong>und</strong> die mögliche<br />
Kraftübertragung.<br />
Insgesamt wiegt das Riesenrad<br />
1800 Tonnen. Dieses<br />
Gewicht wird von einem<br />
einzigen Kragarm gehalten.<br />
Dieser sogenannte<br />
Radzapfen wurde aus<br />
Gusseisen hergestellt. Er<br />
wurde mehrmals während<br />
der Fertigung der Einzelteile<br />
spanabhebend behandelt<br />
<strong>und</strong> nach dem Zusammenschweißen<br />
noch einmal.
Darüber hinaus wurde das<br />
Gusseisen vergütet, um<br />
herstellungsbedingte Einspannungen<br />
zu reduzieren.<br />
Sämtliche Schneidevorgänge<br />
wurden digital gesteuert,<br />
um die außergewöhnlich<br />
geringen Toleranzen<br />
von 0,015 mm an kritischen<br />
Punkten <strong>und</strong> bis zu<br />
2 mm an den übrigen Stellen<br />
zu gewährleisten.<br />
Beide Naben sind ebenfalls<br />
aus Gusseisen gefertigt.<br />
Sie bestehen aus jeweils<br />
zwei voneinander getrennten<br />
Ebenen. An dem kreisr<strong>und</strong>en,<br />
großen Flansch<br />
sind die Kabelspeichen befestigt,<br />
an dem kleineren,<br />
facettierten Flansch die Rotationskabel.<br />
Die Radlast<br />
wird in der Nabe durch einen<br />
Ring aus kugelförmigen<br />
Rollenlagern aus Edelstahl<br />
auf den Radzapfen<br />
übertragen. Zusammen<br />
kommen Nabe <strong>und</strong> Zapfen<br />
auf ein Gewicht von 335<br />
Tonnen, zum Vergleich,<br />
eine Boeing 747 wiegt nur<br />
geringfügig mehr.<br />
Gehalten wird das Riesenrad<br />
von einer Bockkonstruktion,<br />
die an der Radnabe<br />
ansetzt. Die Verbindung<br />
zwischen Rahmen<br />
<strong>und</strong> Zapfen besteht aus einem<br />
von einem Drehgelenk<br />
gehaltenen Gussstahlknoten.<br />
Die Bockkonstruktion<br />
ist gelenkig auf Stahlbetonstützen<br />
gelagert, die widerum<br />
ins Stahlbetonf<strong>und</strong>ament<br />
übergehen (Gewicht<br />
2600 Tonnen). Aufgr<strong>und</strong><br />
des Lehmbodens<br />
musste diese auf Pfähle<br />
gestellt werden. Durch vier<br />
Seilabspannungen, die<br />
vom Achszapfen bis zu einer<br />
weiteren Stahlbetonplatte<br />
reichen, erhält das<br />
Rad seine Standsicherheit.<br />
Die Platten sind unterirdisch<br />
über schwere Stahlbetonträger<br />
miteinander<br />
verb<strong>und</strong>en, so dass sie<br />
konstruktiv eine Einheit bilden.<br />
Da die Kabel <strong>und</strong> Abspannseile<br />
durch Regenwasser<br />
<strong>und</strong> Wind in<br />
Schwingungen geraten,<br />
wurden um die Felge herum<br />
Trägheitsdämpfer angeordnet.<br />
London<br />
London Eye<br />
Personen werden in den<br />
aerodynamisch geformten<br />
Kabinen befördert. Sie haben<br />
ein Bodenchassis aus<br />
Stahl, das zwischen zwei<br />
Stahlringen rotiert, die auf<br />
auskragenden Konsolen<br />
auf der Felge befestigt sind.<br />
Der Boden der Kabine<br />
bleibt während der Drehung<br />
des Riesenrads immer<br />
waagerecht. Dies wird<br />
gewährleistet durch eine<br />
Zahnradspur, die durch einen<br />
Motor angetrieben<br />
wird.<br />
Die bis zu 25 Passagiere in<br />
einer Kabine blicken durch<br />
klares Verb<strong>und</strong>glas. Die<br />
Kabine ist klimatisiert. Das<br />
Rad bewegt sich lediglich<br />
mit einer Geschwindigkeit<br />
von 0,26 m pro Sek<strong>und</strong>e,<br />
so dass ein Anhalten zum<br />
Ein- <strong>und</strong> Ausstieg nicht erforderlich<br />
ist.<br />
111
London<br />
London Eye<br />
112<br />
Entgegen der ursprünglichen<br />
Planung wurde London<br />
Eye im Liegen zusammengebaut.<br />
Hierzu wurden<br />
temporäre Tragkonstruktionen<br />
auf dem Wasser benötigt.<br />
Nabe, Achszapfen <strong>und</strong><br />
die Füße des Hauptrahmens<br />
mussten exakt positioniert<br />
werden, bevor das<br />
letzte Stück der Felge an<br />
seinen Platz gebracht werden<br />
konnte. Anschließend<br />
konnten die Kabel montiert<br />
<strong>und</strong> danach vorgespannt<br />
werden.<br />
Als großes Problem stellte<br />
sich nach dem Zusammenbau<br />
das Aufrichten des<br />
Rades heraus. Ein Versuch<br />
scheiterte, was den Spott<br />
der Medien mit sich brachte.<br />
Beim zweiten Versuch<br />
gelang die Aufrichtung des<br />
Rades mit einem Kran.<br />
Es war der größte Anhub eines<br />
Objekts von der Horizontalen<br />
in die Vertikale,<br />
den es bisher gab.<br />
Nachdem die hinteren<br />
Spannseile gesichert waren,<br />
konnten innerhalb kurzer<br />
Zeit die Kabinen <strong>und</strong><br />
die Trägheitsdämpfer installiert<br />
werden.
King’s Cross Station<br />
London<br />
King´s Cross Station<br />
Standort: Euston Road, London<br />
Baujahr: 1852 / 1988<br />
Bauherr: British Rail<br />
Architekt: William Cubbits / Foster and Partners<br />
Ingenieur: Ove Arup & Partners<br />
Literatur: <strong>Exkursion</strong>sführer Structures<br />
Foster & Partners: Foster Catalogue 2001, London 2001<br />
King’s Cross <strong>und</strong> St. Pancras<br />
sind zwei der wichtigsten<br />
Bahnhöfe in London.<br />
Sie befinden sich zwischen<br />
West End <strong>und</strong> der City von<br />
London <strong>und</strong> liegen nur<br />
knapp 100 m voneinander<br />
entfernt. Sie sind die Bahnhöfe<br />
der „Eastern Region“<br />
für Züge, die nach Nordengland<br />
<strong>und</strong> <strong>Schottland</strong><br />
gehen.<br />
Der palastartige Bau von<br />
St. Pancras wurde 1867 bis<br />
1874 von Sir Gilbert Scott<br />
erbaut. Die Hauptfassade<br />
zeigt Nachbildungen französischer<br />
<strong>und</strong> italienischer<br />
Gotik. Als Materialien wurden<br />
roter Ziegel aus Nottingham,<br />
roter <strong>und</strong> grauer<br />
Granit sowie gelber Sandstein<br />
verwendet. Auffällig ist<br />
die Verbindung von historischen<br />
Baustilen mit technischen<br />
Neuerungen. So gibt<br />
es u.a. Säulen, deren Kapitelle<br />
mit Eisenbahnmotiven<br />
verziert sind.<br />
Die Bahnhofshalle entwarf<br />
Henry Barlow. Hierbei handelt<br />
es sich um eine einschiffige<br />
Halle mit einem<br />
über die kurzen Seiten gespanntem<br />
Bogentragwerk<br />
aus Gusseisen <strong>und</strong> Glas.<br />
King’s Cross wurde bereits<br />
1852 von Sir William Cub-<br />
bits erbaut. Diese Halle<br />
wird von einem Doppeltonnendach<br />
überdeckt. Die<br />
Horizontalkräfte dieser Dächerwerden<br />
von Zugbändern<br />
unterhalb der Bahnsteige<br />
aufgenommen. Die<br />
Fassade ist aus Ziegelmauerwerk.<br />
Heute ist King’s Cross Londons<br />
größter öffentlicher<br />
Verkehrsumschlagplatz mit<br />
zwei Intercity Terminals, der<br />
Thameslink Linie, fünf Untergr<strong>und</strong>linien<br />
<strong>und</strong> der Nord<br />
London Linie. Die Umgestaltung<br />
des Bahnhofs resultierte<br />
aus dem Bau des<br />
Kanaltunnels <strong>und</strong> dem Bedarf<br />
nach einem neuen internationalen<br />
Bahnhof.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der Rivalität zweierEisenbahngesellschaften,<br />
des Wegfalls des Kohleabbaus<br />
<strong>und</strong> der Verödung<br />
des Umlandes, sollte<br />
das Gelände saniert werden.<br />
Man brauchte außerdem<br />
ein neues Terminal, da<br />
IC-Bahnsteige benötigt<br />
wurden <strong>und</strong> die Züge aus<br />
dem Kanaltunnel hier halten<br />
sollten. Dazu wurde ein<br />
Wettbewerb ausgeschrieben,<br />
den Foster and Partners<br />
für sich entscheiden<br />
konnten.<br />
113
London<br />
King´s Cross Station<br />
114<br />
Sie erstellten einen Masterplan,<br />
der sich auf die beiden<br />
unter Denkmalschutz<br />
stehenden Stationen King’s<br />
Cross <strong>und</strong> St. Pancras bezog.<br />
In ihrem Entwurf umfasst<br />
das Gelände von 52 Hektar<br />
Größe zum Teil bestehende<br />
Gebäude Seite an<br />
Seite mit neuen Wohnungen,<br />
einen Kanal <strong>und</strong> einen<br />
Park. Der Masterplan war<br />
ein Versuch eine Kultur von<br />
Mischnutzung wieder zu<br />
finden, man versprach sich<br />
viel von der Integration sauberer<br />
Industrie in Wohnnachbarschaften<br />
<strong>und</strong> untersuchte<br />
Möglichkeiten unterschiedliche<br />
Nutzungen zusammen<br />
zu führen. Auf diese<br />
Weise sollte eine funktionierende<br />
städtische<br />
Kommune geschaffen werden.<br />
Fünf organisatorische Indikatoren<br />
wurden im Vorfeld<br />
festgelegt: Die Erhaltung von<br />
bestehenden Gebäuden,<br />
gruppiert um die historischen<br />
Bahnhofshallen <strong>und</strong> die<br />
Kreuzung Kanal/Straße im<br />
Zentrum; der Kanal selber;<br />
die bestehende Straße <strong>und</strong><br />
die Gleise; Schaffung eines<br />
neuen, klaren Straßenrasters;<br />
<strong>und</strong>, als Schwerpunkt<br />
des Entwurfes, ein neuer offener<br />
Platz in der Tradition<br />
der Londoner Parks <strong>und</strong><br />
Plätze.<br />
Der Masterplan sieht zwei<br />
Hochhäuser im Norden des<br />
Areals vor, gestaltet als<br />
zwei zueinander gehörende<br />
„Turmspitzen“, die das<br />
Gelände nach Norden hin<br />
abschließen.<br />
Das neue internationale<br />
Terminal befindet sich zwischen<br />
den beiden bestehenden<br />
Bahnhöfen King’s<br />
Cross <strong>und</strong> St. Pancras,<br />
überdacht von einem flach<br />
gekrümmten Glasgewölbe,<br />
das in seiner Spannweite<br />
die der bestehenden Hallen<br />
übertrifft. In zwei Geschossen<br />
finden hier Fahrkartenverkauf,<br />
Gepäckaufgabe<br />
<strong>und</strong> Reiseartikelverkauf<br />
statt. Über Rolltreppen gelangt<br />
man zu den Bahnsteigen.<br />
Der von Gebäuderiegeln<br />
umschlossene ovale Park,<br />
in dem Teile der bestehenden<br />
Gebäude stehen geblieben<br />
sind, wird in seinem<br />
Zentrum vom Regents Kanal<br />
durchkreuzt.. Der Friedhof<br />
der Old St. Pancras<br />
Church aus dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
verschmilzt mit<br />
dem neuen Gelände. Eine<br />
Shopping Arcade, die von<br />
Bürobauten aller Art umgeben<br />
ist, führt vom Park zum<br />
neuen Terminal.
Innenhof des British Museum in London<br />
London<br />
British Museum<br />
Standort: London<br />
Baujahr: 1999-2001<br />
Bauherr: Trustees of the British Museum<br />
Architekt: Foster & Associates<br />
Ingenieur: Büro Happold<br />
Literatur: Detail 8/1999, 6/2001<br />
LeCuyer, Annette: Stahl & Co., Neue Strategien für<br />
Metalle in der Architektur, Basel 2003<br />
Foster and Partners: Norman Foster and the British<br />
Museum, London 2001<br />
Das British Museum wurde<br />
1823 bis 1852 von Robert<br />
Smirke erbaut. Der ursprüngliche<br />
Plan sah den<br />
Innenhof als parkartige<br />
Grünanlage vor. Doch<br />
schon bald nach seiner<br />
Fertigstellung wurde er zu<br />
einem vergessenen Ort.<br />
Denn bereits 1857 hatte der<br />
Bruder des Architekten,<br />
Sydney Smirke, einen Kuppelbau<br />
in die Mitte gesetzt,<br />
der als Lesesaal der British<br />
Library diente. Der Saal<br />
wurde durch Erweiterungsbauten<br />
für Büchermagazine<br />
<strong>und</strong> Lagerflächen ergänzt<br />
<strong>und</strong> so entwickelte<br />
sich der Hof allmählich zu<br />
einer riesigen, ungeordneten<br />
Rumpelkammer, die für<br />
die Öffentlichkeit verschlossen<br />
blieb. 1998 verließ die<br />
Bibliothek schließlich die<br />
Räume, um in das neue<br />
Domizil bei St. Pancras umzuziehen.<br />
Damit war der<br />
Weg geebnet, den Hof wieder<br />
für Museumsbesucher<br />
zugänglich zu machen.<br />
Sämtliche Baracken <strong>und</strong><br />
Buden wurden abgerissen<br />
<strong>und</strong> eine 6700 m² große<br />
Fläche entstand. Nun konnte<br />
der beeindruckende Bau<br />
in der Mitte des Innenhofes<br />
als freistehendes Gebäude<br />
neu erstrahlen.<br />
Durch eine Überdachung<br />
des Innenhofes sollte dieser<br />
genügend Platz für Geschäfte,<br />
Cafés <strong>und</strong> andere<br />
zentrale Nutzungen bieten<br />
<strong>und</strong> als großzügige Vertei-<br />
lerzone zu den einzelnen<br />
Galerien dienen.<br />
Die Suche nach einer eleganten<br />
Lösung für den<br />
Übergang zwischen dem<br />
rechteckigen Innenhof <strong>und</strong><br />
dem kreisr<strong>und</strong>en Lesesaal<br />
wurde zusätzlich durch<br />
dessen Position im Hof erschwert.<br />
Der Kuppelbau<br />
weicht fünf Meter vom eigentlichenRaummittelpunkt<br />
ab. So ergab sich für<br />
das Dach eine komplexe<br />
Geometrie – ein zum<br />
Rechteck verzerrter Torus.<br />
Dieser besteht aus einer<br />
Reihe unterschiedlicher<br />
Bögen – ihr Stich variiert<br />
zwischen 3 <strong>und</strong> 7m, die<br />
Spannweiten zwischen 14<br />
<strong>und</strong> 40m. Um die exakten<br />
Dimensionen <strong>und</strong> die unterschiedlichenDachelemente<br />
zu ermitteln, bedurfte es<br />
einem speziell dafür entwickeltenComputerprogramms.<br />
Für den Betrachter sollte es<br />
den Anschein haben, dass<br />
das Dach schwebt. Da aber<br />
keine zusätzlichen Lasten<br />
auf die bestehende Eisenkonstruktion<br />
des Lesesaals<br />
abgetragen werden sollten,<br />
wird das Dach von einem<br />
Ring aus 24 m hohen Stützen<br />
getragen. Diese Stützen<br />
werden hinter der neuen<br />
Fassade des Lesesaals<br />
versteckt. Der r<strong>und</strong>e Bau<br />
erhielt außen eine zweite<br />
Haut aus spanischem Kalkstein.<br />
Die Stützen sind mit<br />
Beton ausgegossen, um<br />
den statischen <strong>und</strong> brandschutztechnischenAnforderungen<br />
zu genügen. Am<br />
Kopf der Stützen befindet<br />
sich auf einem Gleitlager<br />
eine kreisförmige Zwischenplatte<br />
aus Beton, welcher<br />
die Horizontalkräfte<br />
aufnimmt.<br />
115
London<br />
British Museum<br />
116<br />
Entlang des Viereckgr<strong>und</strong>risses<br />
ist das Dach auf kurzen<br />
Stahlstützen gelagert,<br />
die wiederum von einem<br />
Ringanker getragen werden,<br />
der sich hinter den<br />
Hauptgesimsen aus Stein<br />
verbirgt. Da sämtliche Vertikallasten<br />
von den Steinfassaden<br />
abgetragen werden,<br />
kann sich das Dach –<br />
unabhängig von den bestehenden<br />
Gebäuden – auf<br />
den Gleitlagern seitwärts<br />
bewegen. Die Aussteifung<br />
erfolgt über Querstreben,<br />
die sich hinter den vier mittigen<br />
Steinportiken verbergen.<br />
Im Schnitt folgt das Dach<br />
einem Radius von ca. 50m.<br />
Zu den Ecken hin wird es<br />
flacher. Radial angeordnete<br />
Rechteckrohre bilden<br />
zusammen mit zwei weiteren<br />
Richtungen von Rohren<br />
ein Netz aus Dreiecksmaschen.<br />
In den Ecken, wo<br />
sehr hohe Lasten wirken,<br />
ist die Konstruktion durch<br />
außen liegende Stahlprofile<br />
verstärkt. Die Konstruktion<br />
einer Gitterschale bot<br />
den Vorteil, selbsttragend<br />
<strong>und</strong> in sich steif zu sein.<br />
Somit wirken nur lineare<br />
Lasten auf die historischen<br />
Wände, Horizontallasten<br />
werden minimiert. Die in<br />
der Werkstatt geschweißten<br />
Einheiten des Stahltragwerks<br />
wurden mit Kränen<br />
über das Museumsgebäude<br />
gehoben <strong>und</strong> auf ein<br />
Gerüst, das den gesamten<br />
Hof ausfüllte, aufgelegt. Um<br />
eine optimale Kraftschlüssigkeit<br />
zu erreichen, wurden<br />
die einzelnen Elemente<br />
dann auf der Baustelle<br />
miteinander verschweißt.<br />
Zuletzt wurde das Dach mit<br />
3312 dreieckigen Isolierglasscheiben<br />
gedeckt, von<br />
denen keine der anderen<br />
gleicht. Sie sind mit weißen<br />
Punkten bedruckt, um das<br />
Sonnenlicht zu filtern. Da<br />
die Gitterkonstruktion sowohl<br />
als Tragwerk als auch<br />
als Rahmen für die Glaselemente<br />
fungiert, war keine<br />
Sek<strong>und</strong>ärkonstruktion<br />
dafür nötig.<br />
Auch bei diesem Projekt<br />
sollte das bestehende Gebäude,<br />
also das Museum,<br />
in seiner Funktion nicht eingeschränkt<br />
werden. Das<br />
Museum blieb während der<br />
Umbauphase geöffnet, was<br />
einen schnellen Arbeitsablauf<br />
erforderte <strong>und</strong> nur geringe<br />
Lagerflächen zur Verfügung<br />
standen. Auch hier<br />
kam das „just-in-time“ Prinzip<br />
zum Tragen. Es wurden<br />
nur so viele Träger zur Baustelle<br />
gebracht, wie an einem<br />
Tag verarbeitet werden<br />
konnten.
London<br />
British Museum<br />
117
London<br />
New Parlamentary Building<br />
118<br />
New Parliamentary Building<br />
Standort: London<br />
Baujahr: 1989-2000<br />
Architekt: Michael Hopkins<br />
Literatur: Davies, Colin: Hopkins, Michael Hopkins and<br />
Partners, Bauten <strong>und</strong> Projekte, London 1993<br />
Davies, Colin: Hopkins 2, London 2001<br />
Aufgr<strong>und</strong> des Platzmangels<br />
im Palace of Westminster<br />
wurde dringend ein<br />
neues Gebäude benötigt,<br />
das Büroräume für 208 Abgeordnete<br />
bietet <strong>und</strong> zusätzlich<br />
die Parlamentssekretariate,<br />
eine Bibliothek,<br />
ein Restaurant, eine Kantine<br />
<strong>und</strong> eine Reihe von Sitzungsräumen<br />
für besondere<br />
Ausschüsse aufnehmen<br />
kann.<br />
Der besondere Standort direkt<br />
an der Themse zwischen<br />
dem Palace of Westminster<br />
<strong>und</strong> den Gebäuden<br />
von Norman Shaw sollte<br />
Teil des nach außen hin<br />
abgegrenzten „Parlaments-<br />
Campus“ sein, der sich von<br />
der Bridge Street bis zum<br />
Richmond House <strong>und</strong> vom<br />
Victoria Embankment bis<br />
zur Parliament Street erstreckt.<br />
Unter dem Gebäude befindet<br />
sich der im Rahmen der<br />
Jubilee-Line Station Erweiterung<br />
neu gebaute U-<br />
Bahnhof Westminster, was<br />
sich auch auf die Tragstruktur<br />
des darüber liegenden<br />
Gebäudes auswirkt.<br />
Die Gr<strong>und</strong>form des geplanten<br />
Gebäudes ist einfach -<br />
ein sechsgeschossiger,<br />
rechteckiger Block mit zentralem<br />
Innenhof. Im unteren<br />
Bereich wird der Bau an<br />
zwei Straßenfronten von<br />
Kolonnaden umgeben, die<br />
den von zwei Geschäften<br />
flankierten U-Bahneingang<br />
abschirmen. Der Haupteingang<br />
für den Publikumsverkehr<br />
befindet sich an der<br />
dem Victoria Embankment<br />
zugewandten Seite des<br />
Gebäudes. Die Eingangshalle<br />
führt über eine große<br />
Treppenanlage direkt zu<br />
den Ausschussräumen im<br />
ersten Obergeschoss. Die<br />
Abgeordneten selbst betreten<br />
das Gebäude durch<br />
eine Unterführung, die vom<br />
New Palace Yard aus die<br />
Bridge Street unterquert<br />
<strong>und</strong> von der aus Rolltreppen<br />
in den Innenhof hinaufführen.<br />
Der Innenhof selbst<br />
wird auf der Höhe der beiden<br />
unteren Geschosse<br />
von klosterähnlichen Gängen<br />
umgeben <strong>und</strong> auf der<br />
Höhe des zweiten Obergeschosses<br />
mit einem Glasdach<br />
abgedeckt, so dass<br />
eine Art begrüntes Gewächshaus<br />
mit Bar <strong>und</strong><br />
Cafeteria <strong>und</strong> einer mit der<br />
Bibliothek verb<strong>und</strong>enen<br />
Lesezone entsteht.<br />
Oberhalb der Überdachung<br />
des Innenhofs tritt eine konventionelle<br />
Raumaufteilung<br />
mit über einen zentralen<br />
Flur erschlossenen Einzelbüros<br />
an die Stelle der Klosterstruktur.<br />
Auf diese Weise<br />
fällt Tageslicht in das Gebäude<br />
ein, <strong>und</strong> man spart<br />
Energiekosten. Die Lüftung<br />
erfolgt über spezielle Kanäle<br />
an der Fassade, die die<br />
einzelnen Räume mit hohen<br />
Kaminen auf dem<br />
Dach verbinden. Ventilatoren<br />
auf dem Dach saugen
die verbrauchte Luft durch<br />
die Kamine ab. Frischluft<br />
wird durch die Wärmerückgewinnungsanlage<br />
am unteren<br />
Ende der Schächte<br />
angesaugt. Die Kamine<br />
sind nicht bloße Dekoration,<br />
sondern funktionale<br />
Elemente, bereichern aber<br />
gleichzeitig die Dachlandschaft<br />
<strong>und</strong> tragen damit<br />
neben anderen Elementen<br />
dazu bei, das Gebäude in<br />
einfühlsamer Weise in das<br />
Umfeld einzugliedern. Die<br />
Struktur der aus Bronze<br />
<strong>und</strong> Stein bestehenden<br />
Fassade nimmt die gotischen<br />
Stilelemente des<br />
Palace of Westminster auf,<br />
die abger<strong>und</strong>eten Ecken<br />
erinnern an die Erkertürme<br />
der Norman Shaw-Bauten,<br />
<strong>und</strong> die schwarz patinierte<br />
Dachabdeckung aus Bronzeplatten<br />
passt sich den<br />
Dächern der beiden benachbarten<br />
Gebäude an.<br />
Da das neue Parlamentsgebäude<br />
gemeinsam mit<br />
der neuen U-Bahnstation<br />
geplant wurde, bedeutete<br />
das starke Einschränkungen<br />
bei der baulichen<br />
Form. Die Gr<strong>und</strong>struktur<br />
der Außenwände besteht<br />
aus lastabtragenden, vorgefertigten<br />
Pfeilern aus-<br />
Sandstein. Vorgefertigte<br />
Betondeckenelemente<br />
London<br />
New Parlamentary Building<br />
spannen zwischen den äußeren<br />
<strong>und</strong> inneren Wänden.<br />
Die Lasten der Außenwände<br />
können durch eine<br />
Unterkonstruktion ohne<br />
größere Probleme in das<br />
Erdreich abgeleitet werden.<br />
Anders war das bei den inneren<br />
Wänden. Diese mussten<br />
schließlich nur durch<br />
sechs Stützen getragen<br />
werden, welche durch<br />
asymmetrische Betonbögen<br />
auf Höhe des Kreuzgangs<br />
der ersten Etage miteinander<br />
verb<strong>und</strong>en sind.<br />
Die horizontalen Auflagerkräfte<br />
der Bögen werden<br />
über Stahlträger (Zugband)<br />
kurzgeschlossen.<br />
Die Konstruktion des Daches<br />
im Innenhof ist eine<br />
Schale aus hölzernen Vierecksmaschen,<br />
die durch<br />
diagonal gespannte Seile<br />
ausgesteift sind. Darauf<br />
liegt eine gläserne Eindekkung.<br />
Hopkins´ Ziel war es, hier<br />
eine Architektur zu schaffen,<br />
die sich harmonisch in<br />
den historischen Kontext<br />
einfügt, gleichzeitig aber<br />
die technischen Einrichtungen<br />
<strong>und</strong> die Wirtschaftlichkeit<br />
aufweist, die man am<br />
Ende des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
von einem Gebäude erwartet.<br />
119
London<br />
New Parlamentary Building<br />
120
Greater London Authority Headquarters<br />
Standort: Southwark, London<br />
Baujahr: 1998-2002<br />
Bauherr: CIT Group<br />
Architekt: Foster and Partners<br />
Ingenieur: Ove Arup & Partners<br />
Literatur: Foster and Partners: Foster Catalogue 2001,<br />
London 2001<br />
www.london.gov.uk/gla/city_hall/index.jsp<br />
Das Rathaus ist eines der<br />
wichtigsten neuen Projekte<br />
der Hauptstadt. Das<br />
neue Gebäude verkörpert<br />
die Transparenz der demokratischen<br />
Prozesse <strong>und</strong><br />
demonstriert die Funktionalität<br />
eines kaum umweltbelastenden<br />
öffentlichen<br />
Gebäudes. Das Rathaus<br />
liegt am Ufer der Themse<br />
neben der Tower Bridge.<br />
Es beherbergt Versammlungs-<br />
<strong>und</strong> Ausschussräume,<br />
öffentliche Einrichtungen,<br />
zusammen mit Büros<br />
für den Mayor, Ausschussmitglieder,<br />
das Kabinett<br />
<strong>und</strong> Personal, das<br />
18.000 m² Fläche auf 19<br />
Geschosse verteilt versorgt.<br />
Von den Versammlungsräumen<br />
aus blickt man nach<br />
Norden über den Fluss in<br />
Richtung Tower of London.<br />
Die verglaste Fassade ermöglicht<br />
der Londoner Bevölkerung,<br />
den Politikern bei<br />
der Arbeit zuzuschauen. Die<br />
Bevölkerung soll an diesem<br />
Gebäude teilhaben. Hierzu<br />
gibt es im obersten Geschoss<br />
einen flexiblen<br />
Raum, London’s Living<br />
Room, der für Ausstellungen<br />
<strong>und</strong> Veranstaltungen genutzt<br />
werden kann. Auf dem Dach<br />
befindet sich eine Terrasse,<br />
von der aus die Besucher einen<br />
ungehinderten Blick<br />
über London haben. Im Erdgeschoss<br />
gibt es einen Platz<br />
mit Café von dem aus man<br />
das Ufer der Themse genießen<br />
kann. Lifte <strong>und</strong> Rampen<br />
bieten freie Bewegungsmöglichkeiten<br />
im Gebäude.<br />
Das Rathaus ist nicht wie üblicherweise<br />
mit einer Vorder<strong>und</strong><br />
einer Rückseite entworfen<br />
worden. Die Form ist abgeleitet<br />
von einer geometrisch<br />
modifizierten Kugel,<br />
entwickelt mit Hilfe der Computertechnik.<br />
Diese Form<br />
ermöglicht optimale Energieausnutzung<br />
bei Reduzierung<br />
der Oberfläche, die dem direkten<br />
Sonnenlicht ausgesetzt<br />
ist. Analysen des Sonnenlichts<br />
während des Jahres<br />
ergaben eine Wärmekarte<br />
für die Gebäudeoberfläche,<br />
welches sich in der Fassade<br />
ausdrückt. Eine Reihe<br />
von aktiven <strong>und</strong> passiven<br />
Sonnenschutzvorrichtungen<br />
werden eingesetzt. Nach Süden<br />
neigt sich das Gebäude<br />
zurück, so dass die einzelnen<br />
Geschosse nach innen<br />
treten <strong>und</strong> Schatten für die<br />
natürlich belüfteten Büros<br />
bieten. Für die Klimaanlage<br />
wird das Gr<strong>und</strong>wasser genutzt.<br />
Diese energiesparenden<br />
Techniken benötigen<br />
keine zusätzlichen Kühlvorrichtungen.<br />
Auch ist die meiste<br />
Zeit des Jahres keine Beheizung<br />
erforderlich. Insgesamt<br />
wird für das Rathaus<br />
nur ein Viertel der Energie<br />
benötigt, wie für ein Bürogebäude<br />
mit herkömmlicher<br />
Klimaanlage.<br />
Das Gebäude ist Teil des<br />
Southwark Riverside Masterplan,<br />
der eine Fläche von 5,5<br />
Hektar zwischen London<br />
Bridge <strong>und</strong> Tower Bridge<br />
beinhaltet. Der Masterplan<br />
sieht einen Straßenzug mit<br />
zwei öffentlichen Hauptplätzen<br />
vor, wo öffentliche Einrichtungen<br />
wie Geschäfte,<br />
Restaurants, Cafés <strong>und</strong> ein<br />
Hotel sich ansiedeln sollen.<br />
Der Plan beinhaltet fünf große<br />
Bürogebäude, die zusammen<br />
93.000 m² Fläche<br />
hoher Qualität einnehmen.<br />
London<br />
Rathaus<br />
121
London<br />
South Quay Footbridge<br />
122<br />
South Quay Footbridge<br />
Standort: Docklands, London<br />
Baujahr: 1997<br />
Bauherr: London Docklands Development Corporation<br />
Architekt: Wilkinson Eyre<br />
Ingenieur: Jan Bobrowski & Partners<br />
Literatur: www.bobrowski.co.uk<br />
www.structurae.de<br />
Die London Docklands Development<br />
Corporation<br />
schrieb Mitte der 90er einen<br />
Wettbewerb für eine weit<br />
spannende neue Docklands-Fußgängerbrücke<br />
zwischen South <strong>und</strong> Heron<br />
Quay aus, die sowohl aus<br />
beweglichen als auch aus<br />
festen Elemente bestehen<br />
<strong>und</strong> sich für die Durchfahrt<br />
von Schiffen öffnen lassen<br />
sollte. Da das Dock in absehbarer<br />
Zeit verengt werden<br />
soll, mußte es außerdem<br />
möglich sein, die Konstruktion<br />
zu verkürzen <strong>und</strong><br />
100 m nach Osten zu versetzen,<br />
in die Achse des<br />
Canary Wharf DS7 Towers.<br />
Wilkinson Eyre/Bobrowski<br />
gewannen den Wettbewerb.<br />
Ihre Southquay Footbridge<br />
ist eine drehbare<br />
Seilbrücke mit zwei schlanken<br />
Masten <strong>und</strong> einem sförmig<br />
geschwungenen<br />
Deck. Diese wenigen Elemente<br />
– die Linien des<br />
Decks, der optische Gegenpol<br />
der Masten <strong>und</strong> die<br />
Spreizung der Seile – machen<br />
die Eleganz dieser<br />
Konstruktion aus. Die Breite<br />
des Decks variiert über<br />
die Länge, um ein visuelles<br />
Gegengewicht zu den Masten<br />
zu schaffen. Zu den<br />
Enden sowie zur Brückenmitte<br />
verjüngen sie sich<br />
dagegen. Dadurch wird<br />
nicht nur ein optischer Eindruck<br />
von Leichtigkeit erzeugt,<br />
sondern tatsächlich<br />
gezeigt, wo das Gewicht<br />
der Brücke am geringsten<br />
ist.<br />
Das Deck wird auf einer<br />
Längsseite von einer sich<br />
dem Verlauf anpassenden<br />
Stahlwand eingefaßt, die<br />
die Fußgänger vor Wind<br />
schützt, <strong>und</strong> auf der anderen<br />
Seite von einer Balustrade,<br />
auf der eine Lichtschiene<br />
verläuft, die bei<br />
Nacht die S-Geometrie hervorhebt.<br />
Die Stahlmasten haben einen<br />
sich verändernden<br />
Querschnitt, welcher in der<br />
Mitte am größten ist. Damit<br />
verfügt der Querschnitt an<br />
der Stelle mit der größten<br />
Knickgefahr über den größten<br />
Widerstand. Seile verbinden<br />
die Anker am Masten<br />
mit einem stützenden<br />
Bogenträger, der das Auslegerdeck<br />
hält. Durch die<br />
Formung des Decks verschieben<br />
sich die Seile je<br />
nach Blickwinkel beim Passieren<br />
der Brücke.<br />
Durch diese Verbindung<br />
von skulpturaler Form <strong>und</strong><br />
funktionaler Notwendigkeit<br />
sind Architektur <strong>und</strong> Konstruktion<br />
hier nicht zu trennen.<br />
Die Southquay Footbridge<br />
wurde im Mai 1997<br />
eröffnet. Aufgr<strong>und</strong> des weiteren<br />
Ausbaus der Docks<br />
wurde die Brücke mittlerweile<br />
versetzt <strong>und</strong> verkürzt.
Canary Wharf Bridge<br />
Standort: London, West India dock<br />
Baujahr: 1996-1999<br />
Architekt: Future System<br />
Ingenieur: Anthony Hunt Associates<br />
Literatur: Field, Marcus: Future Systems, London 1999<br />
Detail 8/1999<br />
Der Entwurf ging als Sieger<br />
aus einem Wettbewerb der<br />
London Docklands Development<br />
Corporation hervor.<br />
Die Brücke verbindet<br />
zwei unterschiedliche<br />
Stadtteile miteinander, auf<br />
der einen Seite das West<br />
India Quay mit der Canary<br />
Wharf <strong>und</strong> auf der anderen<br />
Seite eine Reihe von Lagerhäusern<br />
aus dem frühen<br />
19. Jahrh<strong>und</strong>ert. Mit<br />
dem Entwurf einer schwimmenden<br />
Brücke wurde ein<br />
autarkes Bauteil geschaffen,<br />
das sich in seiner Gestalt<br />
weder an die eine,<br />
noch an die andere Uferbebauung<br />
anlehnt.<br />
Durch das angewendete<br />
Pontonprinzip konnte das<br />
94 m breite Becken mit Einzelspannweiten<br />
von maximal<br />
15 m überbrückt werden,<br />
ohne die Kaimauern<br />
zu belasten. Diese sind<br />
aufgr<strong>und</strong> ihres Alters nicht<br />
mehr tragfähig. Die Teilung<br />
der Brücke ermöglichte<br />
auch die Vorfertigung der<br />
gesamten Konstruktion in<br />
der Fabrik. An einem geräumigen<br />
Kai am Stadtrand<br />
von London wurden die Teile<br />
zusammengesetzt <strong>und</strong><br />
schließlich in zwei Hälften<br />
auf der Themse an ihren<br />
späteren Standort geschleppt<br />
<strong>und</strong> dort zusammengesetzt.<br />
Für Future Systems war<br />
Vorfertigung schon immer<br />
ein wichtiges Element. Im<br />
Idealfall wird ein Bauteil in<br />
London<br />
Canary Wharf Bridge<br />
einem trockenen, effizient<br />
arbeitenden Werk hergestellt.<br />
Diese Produktion ist<br />
wirtschaftlicher <strong>und</strong> die Verarbeitung<br />
präziser <strong>und</strong> besser<br />
als eine unter Baustellenbedingungen,<br />
bei Wind<br />
<strong>und</strong> Wetter entstandene<br />
Arbeit.<br />
Vor Ort mussten dann nur<br />
noch die Rückverankerungen<br />
eingebracht werden,<br />
die das Abtreiben der Brükke<br />
verhindern. Hierzu wurden<br />
Stahlrohre tief in die<br />
Sohle des Docks gerammt,<br />
an denen jeweils ein Pontonpaar<br />
befestigt ist. Die<br />
mit Beton ausgegossenen<br />
Rohre sind auf maximale<br />
Auflast bei Ebbe ausgelegt.<br />
So verursacht der Tidenhub<br />
von ca. 40 cm <strong>und</strong> das variierende<br />
Gewicht durch<br />
Menschen keine Auf- <strong>und</strong><br />
Abbewegung der Brücke.<br />
Zwei 6,60m breite Segmente<br />
am Scheitel der leicht bogenförmigen<br />
Konstruktion<br />
können mittels eines hydraulischen<br />
betriebenen<br />
Gewichts aufgeklappt werden.<br />
So wird Schiffen die<br />
Durchfahrt ins Dock gewährt.<br />
Die Pontons sind<br />
durch Gummipuffer gegen<br />
anprallende Schiffe geschützt.<br />
Sie sind zudem mit<br />
geschlossenzelligem Polyurethanschaumstoff<br />
gefüllt,<br />
um eine zusätzliche Sicherheit<br />
gegen eindringendes<br />
Wasser aufgr<strong>und</strong> von Beschädigung<br />
zu gewährleisten.<br />
123
London<br />
Canary Wharf Bridge<br />
124<br />
Die Beleuchtung der Brükke<br />
war ein zentrales Thema<br />
der Konzeption. In die<br />
Handläufe integrierte Beleuchtungseinheitenschaffen<br />
Helligkeit bei Nacht, ergänzt<br />
durch die Notbeleuchtung<br />
im Brückendeck,<br />
wodurch elegante, sich in<br />
die Ferne verlierende Linien<br />
entstehen. Bei Dunkelheit<br />
wirkt die Brücke wie ein<br />
großes, auf dem Wasser<br />
sitzendes, gelbes Insekt.
Swiss Re Tower<br />
Standort: London, 30 St. Mary Axe<br />
Baujahr: 2001-2004<br />
Bauherr: Swiss Reinsurance Company<br />
Architekt: Foster & Partner<br />
Ingenieur: Ove Arup and Partners<br />
Literatur: Stahlbau-Nachrichten 2/2004<br />
Foster and Partners: Foster Catalogue 2001,<br />
London 2001<br />
DBZ 3/2004<br />
Detail 7/8 2003<br />
Mit dem Swiss Re Tower,<br />
auch „Gurke“ genannt, wollte<br />
Sir Norman Foster keinen<br />
neuen Höhenrekord aufstellen<br />
– mit 180 m liegt er beispielsweise<br />
unter dem benachbarten<br />
Tower (183 m)-<br />
, sondern sich mit seinem<br />
ungewöhnlichen Bauwerk<br />
deutlich von der orthogonalen<br />
Monotonie vieler Hochbauten<br />
auf der ganzen Welt<br />
aus den letzten Jahren absetzen.<br />
Die ungewöhnliche Form sei<br />
die logische Konsequenz<br />
aus monatelangen Untersuchungen<br />
über die effizienteste<br />
Gebäudeform für das<br />
Baugr<strong>und</strong>stück, behaupten<br />
die Architekten. Es sei eine<br />
angemessene Form, die<br />
nicht etwa durch Eitelkeiten<br />
bestimmt sei, sondern sich<br />
aus umfassenden aerodynamischen<br />
Tests <strong>und</strong> Untersuchungen<br />
zur Tageslichtführung<br />
bis auf Bodenniveau<br />
ergeben habe. Auch<br />
die örtlichen Behörden befürworten<br />
die Form <strong>und</strong> die<br />
Höhe des Gebäudes. Foster<br />
bezeichnet den Entwurf als<br />
eine Weiterentwicklung<br />
von Ideen zu klima- <strong>und</strong><br />
lichtoptimierten Büroräumen.<br />
Diese Ideen gab es<br />
bereits in den 70er Jahren,<br />
doch damals war man noch<br />
nicht in der Lage diese auch<br />
zu realisieren. Computerprogramme<br />
fehlten, welche<br />
die gebogenen Oberflächen<br />
London<br />
Swiss Re Tower<br />
des Baukörpers rechnerisch<br />
in segmentierte, plane Flächen<br />
überführten. Erst CAD<br />
machte dies möglich.<br />
Der Swiss Re Tower hat einen<br />
kreisförmigen Gr<strong>und</strong>riss<br />
von 49,3 m. Der Durchmesser<br />
vergrößert sich bis zum<br />
16. Stockwerk auf 56,6 m<br />
<strong>und</strong> verjüngt sich zur Spitze<br />
hin wieder. Mit dieser Formgebung<br />
reagierte der Architekt<br />
auf die Ansprüche des<br />
Baugr<strong>und</strong>stücks, das nur<br />
0,57 ha betrug, reduzierte<br />
ebenerdig die Windreflektionen<br />
<strong>und</strong> erhöhte den Lichteinfall.<br />
Die Konstruktion dieses 40geschossigen<br />
Gebäudes<br />
geht aus von einem zentralen<br />
Stahlkern, der ausschließlich<br />
die vertikalen<br />
Lasten abträgt. Von dort aus<br />
laufen strahlenförmig die<br />
Deckenträger auf die äußere<br />
Stahlrohrkonstruktion zu.<br />
Durch diesen Gr<strong>und</strong>aufbau<br />
entstehen völlig stützenfreie<br />
Innenräume. Die als „verdrehtes<br />
Gitternetz“ sichtbare<br />
äußere Struktur des Objekts<br />
wird gebildet von zweigeschossigenDreiecksmaschen,<br />
die durch Bolzen miteinander<br />
verschraubt sind.<br />
Jedes Dreieck besteht aus<br />
einem Stützenpaar, das an<br />
einem Stahlknoten fixiert ist.<br />
Die Säulen haben kreisförmige<br />
Endplatten, die mit den<br />
125
London<br />
Swiss Re Tower<br />
126<br />
passenden Verbindungsplatten<br />
der Knoten durch<br />
Bolzen fixiert werden. Die<br />
Stützen bestehen aus Rohrprofilen,<br />
die weitgehend den<br />
einheitlichen Außendurchmesser<br />
von 508 mm <strong>und</strong><br />
Wanddicken von 32 mm <strong>und</strong><br />
40 mm aufweisen. Wermutstropfen<br />
für den Stahlbauenthusiasten:<br />
Die filigrane<br />
Stahlrohrkonstruktion,<br />
die das Gebäudes aussteift<br />
<strong>und</strong> Decken- <strong>und</strong> Fassadenkonstruktion<br />
trägt, erhält<br />
aus brandschutztechnischen<br />
Gründen noch eine<br />
folienbeschichtete Mineralwollummantelung<br />
sowie<br />
eine Aluminiumbekleidung –<br />
beides lässt die Gitterstruktur<br />
nicht mehr ganz so<br />
schlank erscheinen wie statisch<br />
möglich.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der engen <strong>und</strong><br />
von Hochhäusern eingeschlossenen<br />
Baustelle musste<br />
man sich über die Anlieferung<br />
bzw. Lagerung der<br />
Materialien Gedanken machen.<br />
So kam man zu der<br />
Lösung, dass die erforderlichen<br />
Rohre „just in time“<br />
angeliefert werden sollten.<br />
Das bedeutete, dass exakt<br />
so viele Rohre geliefert wurden,<br />
wie auch an einem Tag<br />
verarbeitet werden konnten.<br />
Der Baufortschritt betrug<br />
etwa zwei Stockwerke in 14<br />
Tagen, darin enthalten eine<br />
Woche, die benötigt wurde,<br />
um die Dreiecke in ihre fixe<br />
Position zu bringen.<br />
Die Vertikalverdrehung in<br />
der Gebäudehülle kommt<br />
durch eine besondere Aufhängung<br />
der Geschossflächen<br />
zustande, die durch<br />
die Verglasung als dunkler<br />
Streifen erscheint. Die Etagen<br />
sind in einzelne Segmente<br />
eingeteilt, die zur<br />
Fassade hin einen keilförmigen<br />
Zwischenraum ausbilden.<br />
Durch ein verdrehtes<br />
<strong>und</strong> terrassenförmiges Arrangement<br />
der Segmente<br />
entstehen Kanäle. Sie dienen<br />
der verbesserten Tageslichtführung<br />
tief in das<br />
Gebäude hinein, zugleich<br />
wird über die entstehenden<br />
Einschnitte ein Luftaustausch<br />
über alle Ebenen hinweg<br />
ermöglicht. Zur komplett<br />
verglasten Gebäudehülle<br />
hin laufen die einzelnen<br />
Ebenen in Freiflächen<br />
aus, die eine imposante<br />
Aussicht auf die umliegende<br />
Stadtlandschaft bieten.<br />
Mit der konzeptionellen <strong>und</strong><br />
formalen Schlüssigkeit des<br />
Entwurfs für den Swiss Re-<br />
Tower werden Foster and<br />
Partners einmal mehr ihrem<br />
Ruf als „Star-Architekten“<br />
gerecht. Und dies im positiven<br />
Sinne: Die extravagante<br />
Fassade erfährt ihre Berechtigung<br />
aus der Motivation,<br />
die Qualität der inneren<br />
Struktur klimatisch, lichttechnisch<br />
<strong>und</strong> ästhetisch zu<br />
optimieren <strong>und</strong> damit den<br />
Arbeitsplatz menschlicher<br />
zu gestalten.
Bankenviertel London<br />
Literatur: Semsek, Hans-Günter: London <strong>und</strong> Umgebung,<br />
Bielefeld 2003<br />
Beide Gebäude, das<br />
Lloyd’s Building <strong>und</strong> der<br />
Swiss Re Tower, haben ihren<br />
Standort in der City of<br />
London. Dort befindet sich<br />
auch das bekannte, durch<br />
seine Hochhäuser schon<br />
von weitem erkennbare<br />
Bankenviertel der Stadt.<br />
An der Threadneele Street<br />
liegt die im klassizistischen<br />
Stil errichtete königliche<br />
Börse, die Royal Exchange.<br />
Die <strong>Institut</strong>ion wurde<br />
im Jahre 1566 von dem<br />
Händler <strong>und</strong> Finanzexperten<br />
Thomas Gresham gegründet.<br />
Das erste Gebäude<br />
fiel 1666 den Flammen<br />
des Großen Brandes zum<br />
Opfer, der darauffolgende<br />
Bau brannte 1838 nieder.<br />
1844 wurde schließlich das<br />
heutige Gebäude von Sir<br />
William Tite errichtet.<br />
Zwischen Mansion House<br />
<strong>und</strong> Royal Exchange verläuft<br />
in südöstlicher Richtung<br />
die Lombard Street.<br />
Diese Straße gilt seit dem<br />
12. Jahrh<strong>und</strong>ert als Bankenmeile<br />
der Stadt. Noch<br />
heute haben alle großen,<br />
weltweit operierenden<br />
Geldinstitute hier ihre Niederlassung.<br />
Schilder hängen<br />
über den Bürgersteigen.<br />
So konnten auch damals<br />
Bürger, die nicht lesen<br />
konnten, ihre Bank anhand<br />
des Wappens wieder erkennen.<br />
Die Lloyd’s Bank<br />
hat z.B. das Pferd als ihr Erkennungszeichen<br />
auf dem<br />
Schild.<br />
London<br />
Bankenviertel<br />
An dem Cityknotenpunkt<br />
liegt die Bank of England.<br />
Sie wurde 1694 von Privatleuten<br />
gegründet, um als<br />
Finanzierungsinstitution für<br />
den bevorstehenden Krieg<br />
mit Frankreich zu dienen.<br />
Nachdem in zehn Tagen –<br />
wie es der Herrscher gefordert<br />
hatte – über eine Mio.<br />
Pf<strong>und</strong> an Einlagen zusammenkamen,<br />
konnte die<br />
Bank per königlichem Dekret<br />
ihren Geschäften<br />
nachgehen. 1734 entstand<br />
das erste Gebäude, zwischen<br />
1788 <strong>und</strong> 1833 wurden<br />
unter der Leitung von<br />
Sir John Soane Umbauten<br />
<strong>und</strong> Erweiterungen vorgenommen.<br />
Zwischen 1925<br />
<strong>und</strong> 1939 veränderte <strong>und</strong><br />
vergrößerte dann Sir Herbert<br />
Baker das Innere der<br />
Bank. In den drei unterirdischenGewölbegeschossen<br />
lagern die Goldreserven<br />
Großbritanniens. 1946<br />
wurde die Bank verstaatlicht.<br />
Schräg gegenüber der<br />
Royal Exchange befindet<br />
sich die 26 Stockwerke<br />
hohe Stock Exchange. Das<br />
ist die Wertpapierbörse der<br />
Hauptstadt. Das moderne<br />
Gebäude wurde in den Jahren<br />
von 1970 bis 1973 erbaut.<br />
The House, wie der<br />
Volksm<strong>und</strong> diesen bekannten<br />
Effektenumschlagplatz<br />
nennt, ist eine der größten<br />
Börsen der Welt.<br />
In der St. Axe Street befindet<br />
sich noch die größte<br />
Schiffsbörse der Welt, die<br />
Baltic Exchange. R<strong>und</strong><br />
70% des Weltseeverkehrs<br />
werden hier gemakelt.<br />
Südlich von Lloyd’s hat das<br />
Plantation House seinen<br />
Standort. Hier werden im<br />
sogenannten Cry-out-Verfahren<br />
Kakao, Kaffee, Zukker<br />
etc. gehandelt. Seit<br />
1980 ist hier auch die größte<br />
Metallbörse, die Metal<br />
Exchange, untergebracht.<br />
127
London<br />
Lloyds<br />
128<br />
Lloyd’s of London<br />
Standort: 107 Leadenhall Street, London<br />
Baujahr: 1978 – 1986<br />
Bauherr: Lloyd’s of London<br />
Architekt: Richard Rogers Partnership Ltd.<br />
Richard Rogers, John Young, Marco Goldschmied,<br />
Mike Davies<br />
Ingenieur: Ove Arup & Partners<br />
Jack Zunz, Peter Rice, Tom Barker<br />
Literatur: www.archinform.de<br />
Bernhard Tokarz (Hg.): <strong>Konstruieren</strong> lernen an<br />
Bauten in Großbritannien, Universität Stuttgart 1990<br />
Für das Projekt wurden<br />
1977 Architekten zu einem<br />
Gutachten eingeladen, um<br />
Lösungen für folgende drei<br />
Aufgaben zu entwickeln.<br />
Lloyd’s forderten für ihr<br />
Gebäude ein hohe Flexibilität<br />
des Gr<strong>und</strong>risses, ein<br />
repräsentatives Bauwerk,<br />
welches die Spitzenposition<br />
von Lloyd’s wiederspiegelt,<br />
sowie die Abwicklung<br />
der Geschäfte mit einem<br />
Minimum an Unterbrechungen.<br />
Richard Rogers erhielt den<br />
Auftrag <strong>und</strong> begann 1978<br />
mit dem Entwurf.<br />
Der rechteckige Block<br />
des Hauptgebäudes umfasst<br />
eine Fläche von<br />
68,4 x 46,8m mit insgesamt<br />
14 Geschossen, die sich in<br />
Richtung Südwesten aus<br />
Gründen der Mindestabstände<br />
zu den Nachbargebäuden<br />
bis auf sechs Geschosse<br />
abstufen. Die Außenstützen<br />
des Haupttragwerkes<br />
(Skelettbau) stehen<br />
vor der Fassade <strong>und</strong> ermöglichen<br />
so einen flexiblen<br />
Gr<strong>und</strong>riss. Die beiden<br />
inneren Stützenreihen begrenzen<br />
das Atrium.<br />
Das Hauptgebäude beinhaltet<br />
die Büro- <strong>und</strong> Geschäftsräume.<br />
Sämtliche<br />
Ver- <strong>und</strong> Entsorgungseinheiten<br />
sowie WC’s, Trep-<br />
penräume, Aufzüge <strong>und</strong><br />
übereinander gestapelte<br />
Besprechungs- <strong>und</strong> Aufenthaltsräume<br />
sind in den<br />
sechs Servicetürmen außerhalb<br />
des Hauptgebäudes<br />
angeordnet. Vier davon<br />
befinden sich an den<br />
Schmalseiten <strong>und</strong> je einer<br />
an den Längsseiten.<br />
Der Eingangsbereich im<br />
abgesenkten Erdgeschoss<br />
befindet sich 2,50 m unterhalb<br />
des Straßenniveaus.<br />
Er beinhaltet sowohl die<br />
öffentlichen Bereiche sowie<br />
ein Restaurant <strong>und</strong> die wiederaufgebaute<br />
alte Bücherei.<br />
Darüber beginnt der<br />
Room. Er nimmt die ganze<br />
Fläche ein <strong>und</strong> erstreckt<br />
sich über zwei Geschosse.<br />
Außerdem kann er von der<br />
Straße aus direkt über eine<br />
Rampe erreicht werden.<br />
Die nächsten sechs Geschosse<br />
sind zum Atrium<br />
hin offen <strong>und</strong> können bei<br />
Bedarf dem Room hinzugeschaltet<br />
werden. Die darüber<br />
liegenden Ebenen<br />
sind zum Atrium hin verglast<br />
<strong>und</strong> haben somit<br />
Blickkontakt. Außer den ersten<br />
drei Roomgeschossen,<br />
die durch Rolltreppen<br />
miteinander verb<strong>und</strong>en<br />
sind, können die anderen<br />
Geschosse nur über die in<br />
den Servicetürmen angeordneten<br />
Treppen oder die<br />
außenliegenden Aufzüge<br />
erreicht werden.<br />
Die Konstruktion des<br />
Hauptgebäudes besteht<br />
aus Stahlbetonr<strong>und</strong>stützen<br />
in einer inneren <strong>und</strong> äußeren<br />
Stützenreihe. Die Stützen,<br />
in Ortbeton erstellt, tragen<br />
über spezielle, vorgefertigte<br />
Konsolen vorgespannte,<br />
umgekehrte U-<br />
Träger (Ortbeton). Die Auflager<br />
übertragen sowohl
horizontale wie vertikale<br />
Lasten. Sie liegen in der<br />
Mitte eines Rasterfeldes<br />
<strong>und</strong> 1,80m ausserhalb der<br />
Stützenachse. Von den<br />
umgekehrten U-Trägern<br />
wird das 1,80 x 1,80m<br />
Deckenraster aus Stahlbetonbalken<br />
getragen. Die<br />
Lasten verteilen sich im<br />
Raster gleichmäßig <strong>und</strong> die<br />
Balken spannen in beide<br />
Richtungen.<br />
Betonstempel an den Knotenpunkten<br />
tragen abgekantete,<br />
profilierte Bleche,<br />
auf denen die durchgehende<br />
Betonplatte liegt. Sie bildet<br />
die Tragschicht für den<br />
Fußbodenaufbau <strong>und</strong> dient<br />
dem Brandschutz.<br />
Zunächst war das Tragwerk<br />
in Stahl gedacht, doch der<br />
damit verb<strong>und</strong>ene immense<br />
Aufwand zur Erfüllung<br />
des Brandschutzes bewirkte<br />
ein Umschwenken auf<br />
eine Stahlbetonkonstruktion.<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />
erklären sich jedoch die<br />
dem Stahlbau ähnlichen<br />
Verbindungen <strong>und</strong> Anschlüsse<br />
im Stützen / Auflager<br />
/ Aussteifungs / Raster<br />
– Gefüge, die die Erscheinung<br />
des Gebäudes<br />
entscheidend prägen.<br />
Die Elastomerauflager dienen<br />
zur Abtragung der vertikalen<br />
Lasten. Die Stahldübel<br />
leiten horizontale Lasten<br />
weiter.<br />
Zur Aussteifung des Gebäudes<br />
sind hinter den ServicetürmenVertikalverbände<br />
angeordnet. Die Diagonalen<br />
bestehen aus dickwandigen<br />
Stahlrohrprofilen,<br />
die zum Schutz vor Korrosion<br />
<strong>und</strong> Feuer mit Beton<br />
ummantelt sind.<br />
Das durch die innere Stützenreihe<br />
gebildete, zwölfgeschossige,<br />
vollständig<br />
verglaste, tonnenbedeckte,<br />
76,5 m hohe Atrium nimmt<br />
die Windlasten im Süden<br />
über ein über drei Geschosse<br />
spannendes Stahlbetonkreuz<br />
auf. Vertikal<br />
stehende Fachwerkträger<br />
aus Stahl tragen die Glasfassade.<br />
Sie beginnen jeweils<br />
eine Ebene über den<br />
obersten Geschossdecken<br />
des abgestuften Hauptgebäudes.<br />
Zum Fachwerk<br />
aufgelöste Bögen tragen<br />
das Dach. Dreigurt-Fachwerkstützen,<br />
-träger <strong>und</strong> –<br />
bögen dienen zur Aufnahme<br />
vertikaler <strong>und</strong> horizontaler<br />
Lasten.<br />
Anstatt ein neues System<br />
zu installieren <strong>und</strong> auch<br />
Stützen in Stahl auszubilden,<br />
werden die inneren<br />
Stahlbetonstützen des<br />
Haupttragwerkes über die<br />
obersten Geschossdecken<br />
hinausgeführt <strong>und</strong> tragen<br />
das Stahlfachwerk des Daches.<br />
Für die Servicetürme kamen<br />
vorgefertigte Stahlbetonkonstruktionen<br />
zum Einsatz,<br />
deren Verbindungen<br />
zum Hauptgebäude verschraubt<br />
wurden. Die Türme<br />
sind gegen Windlasten<br />
mit Diagonalverbänden aus<br />
betonummantelten Stahl<br />
gesichert. Beim Deckenaufbau<br />
ist eine Trennung<br />
von Betonplatte <strong>und</strong> Tragraster<br />
vorgenommen worden,<br />
was eine einfache<br />
Montage, aber auch Flexibilität<br />
sicherstellt.<br />
Die Fassade des Hauptgebäudes<br />
besteht aus stockwerkshohen<br />
<strong>und</strong> 1,80 m<br />
breiten Elementen, die im<br />
Wesentlichen aus einer<br />
doppelwandigen, thermisch<br />
getrennten Dreifachverglasung<br />
bestehen. Der<br />
Zwischenraum dient der<br />
Abführung der Luft. Die<br />
London<br />
Lloyds<br />
129
London<br />
Lloyds<br />
130<br />
äußerste <strong>und</strong> die innerste<br />
Scheibe sind aus Gussglas<br />
gefertigt. Tagsüber wirken<br />
sie als Lichtwand nach innen<br />
<strong>und</strong> Nachts strahlen<br />
sie wie ein Kristall nach<br />
außen.<br />
Alle Konstruktionsteile der<br />
Fassade bestehen aus Aluminium,<br />
so auch die Windbrecher,<br />
die die Druck- <strong>und</strong><br />
Sogbelastung des Windes<br />
auf die Fassade vermindern<br />
sollen.
U-Bahnstationen<br />
Canary Wharf<br />
Standort: London<br />
Baujahr: 1999<br />
Architekt: Foster & Partner<br />
Tragwerk: Ove Arup & Partners<br />
Literatur: Detail 1/2001<br />
Foster Catalogue 2001, München 2001<br />
www.fosterandpartnerships.com<br />
In den 80er-Jahren entschloss<br />
sich das Britische<br />
Parlament zu einer Erweiterung<br />
der Jubilee Line.<br />
Dieses gigantische Projekt<br />
beinhaltete 11 Stationen,<br />
von denen sechs Stationen<br />
neu gebaut <strong>und</strong> fünf Stationen<br />
in großem Maßstab<br />
erweitert <strong>und</strong> modernisiert<br />
werden sollten.<br />
Da auf der Isle of Dogs ein<br />
Geschäftsviertel errichtet<br />
wurde, welches angemessen<br />
erschlossen werden<br />
musste, entstand der neue<br />
Bahnhof Canary Wharf, der<br />
die größte der elf Stationen<br />
London<br />
U-Bahnstationen<br />
werden sollte.<br />
Er ist zwei Geschosse tief<br />
in das ehemalige West India<br />
Dock eingegraben <strong>und</strong><br />
nimmt in Stoßzeiten stündlich<br />
bis zu 40.000 Passagiere<br />
auf.<br />
Von außen ist die Station<br />
an den drei muschelförmigen<br />
Glasdächern zu erkennen.<br />
Durch sie fällt tagsüber<br />
Licht in die Station,<br />
während sie sich nachts zu<br />
schillernden Leuchtkörpern<br />
verwandeln. Im Innern des<br />
Bahnhofs dienen die Glasdächer<br />
als Orientierungspunkte.<br />
Über zwanzig Rolltreppen<br />
werden die Passagiere<br />
in die Station transportiert.<br />
Diese Anlage ist<br />
gegliedert durch nur eine<br />
mittig angeordnete Stützenreihe,<br />
die die gewölbte<br />
Rippendecke trägt. Trotz<br />
ihrer Größe erscheint sie<br />
recht übersichtlich. Geschäfte<br />
<strong>und</strong> andere Nebenräume<br />
sind an den Seiten<br />
angeordnet, so dass der<br />
Raum als große Halle frei<br />
bleibt.<br />
Die Materialwahl wurde<br />
nach Gesichtspunkten der<br />
Haltbarkeit <strong>und</strong> Wartungsfreiheit<br />
ausgewählt – Sichtbeton,<br />
Edelstahl <strong>und</strong> Glas.<br />
131
London<br />
U-Bahnstationen<br />
132<br />
Westminster<br />
Die größten technischen<br />
Schwierigkeiten entstanden<br />
bei der Station Westminster.<br />
Hier mussten zwei<br />
Bahnlinien während der<br />
Bauarbeiten in Betrieb bleiben.<br />
Da der neue Bahnsteig<br />
unterhalb der bestehenden<br />
U-Bahnstrecken<br />
liegt, wurde eine unterirdische<br />
Brücke gebaut, auf<br />
der die bestehenden Gleise<br />
<strong>und</strong> Bahnsteige aufgelegt<br />
sind.<br />
Bermondsey<br />
Das Juwel des Projekts ist<br />
die Station Bermondsey.<br />
Sie ist die kompakteste <strong>und</strong><br />
einzige Station, die von<br />
oben zugänglich war. Sie<br />
ist so konzipiert, dass natürliches<br />
Licht ins Innere<br />
gelangt <strong>und</strong> selbst auf der<br />
Plattformebene – ca. 20m<br />
unter Straßenniveau – ein<br />
Sichtbezug nach außen<br />
möglich ist. Abgestützt gegen<br />
Erddruck werden die<br />
Wände durch an drei Seiten<br />
horizontal liegenden<br />
Betonfachwerkträgern.<br />
Man gelangt über eine von<br />
Michael Hopkins entworfene<br />
niedrige Eingangshalle<br />
in die Station. Mit zunehmender<br />
Tiefe allerdings<br />
wandelt sich das Bild.<br />
Schräg gestellte Rolltreppen<br />
durchschneiden diagonal<br />
die ca. 20 Meter hohe,<br />
offene Verteilerhalle, an die<br />
insgesamt drei übereinander<br />
gestapelte Plattformen<br />
angeb<strong>und</strong>en sind. Die Aussenwände<br />
werden von horizontalen<br />
Stahlstreben gegeneinander<br />
abgestützt,<br />
die über 21m spannen. Die<br />
Materialien Sichtbeton <strong>und</strong><br />
grau beschichtetes Metall<br />
entfalten durch die effektvoll<br />
eingesetzte Beleuchtung<br />
von hell strahlenden<br />
Punktleuchten ihre Wirkung.<br />
Weitere Stationen die zur<br />
Erweiterung der Jubilee<br />
Line gehören, sind Waterloo,<br />
Southwark, London<br />
Bridge, Canada Water,<br />
North Greenwich, Canning<br />
Town, West Ham <strong>und</strong> Stratford.
Impressum:<br />
Erscheinungsdatum: 7.9.2004<br />
Herausgeber: <strong>Institut</strong> für Tragwerksentwurf<br />
<strong>und</strong> Bauweisenforschung<br />
Herrenhäuser Str.8<br />
D 30419 Hannover<br />
Redaktion:<br />
Text Hedda Saemann<br />
Martin Kersting<br />
Vanessa Hellmich<br />
Layout Heidi Drossel<br />
Impressum