Es war einmal ein Theater... - edgar lange
Es war einmal ein Theater... - edgar lange
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„Kindche, mir have<br />
so viel durchjemacht, so viel<br />
Leid gsehe, mir wolle<br />
koon Theatr, mir wolle gor<br />
nichts mehr, mir wolle<br />
Die grosse<br />
bloß unsre Ruh.“<br />
Mission<br />
Wir haben uns 1976 bei den Aufnahmeprüfungen an der<br />
Tschepkin-<strong>Theater</strong>hochschule in Moskau kennengelernt. Ich, gerade<br />
erst siebzehn, kam aus Sibirien, die anderen jugendlichen Bewerber<br />
aus dem gleichen Breitengrad, oder aus Mittelasien und Kasachstan.<br />
Schon damals hatten wir <strong>ein</strong>e Gem<strong>ein</strong>samkeit: wir <strong>war</strong>en alle Kinder<br />
deportierter Rußlanddeutschen. Aus propagandistischen Gründen<br />
sollte nun Ende der siebziger Jahre <strong>ein</strong> deutschsprachiges <strong>Theater</strong><br />
für die in der Diaspora lebenden Rußlanddeutschen gegründet werden,<br />
um den Vorwurf des Westens, die Probleme dieser Minderheit<br />
würden verdrängt, zu dementieren. Während unseres Studiums wogen wir uns in der Gewißheit,<br />
<strong>ein</strong>e wichtige Mission zu erfüllen: <strong>ein</strong>e durch Terror, Krieg, und Deportation vernichtete<br />
kulturelle Tradition wieder auferstehen zu lassen. Bei der ersten Studententournee durch die<br />
deutschen Dörfer Nordkasachstans er<strong>war</strong>teten uns jedoch leere Klubhäuser. Wir gingen zu den<br />
Menschen, die ihre Gärten bestellten, die Kühe von der Weide holten, und versuchten sie für<br />
Lessings „Emilia Galotti“ zu begeistern. Im melodischen Wolgadeutsch bekamen wir zu hören:<br />
„Kindche, mir have so viel durchjemacht, so viel Leid gsehe, mir wolle koon Theatr, mir wolle<br />
gor nichts mehr, mir wolle bloß unsre Ruh.“<br />
Von Anfang an <strong>war</strong> das Deutsche <strong>Theater</strong> <strong>ein</strong> Opfer sowjetischer Kulturpolitik. Zwischen<br />
rauchenden Schloten, Kohlengruben und Chemiefabriken der kasachischen Industriestadt<br />
Temirtau durfte es 1980 s<strong>ein</strong>e Türen öffnen. Da es k<strong>ein</strong> deutschsprachiges Publikum in der<br />
Stadt gab, <strong>war</strong> das <strong>Theater</strong> sofort zu künstlerischer Zweitrangigkeit verdammt. Enttäuscht verließen<br />
<strong>ein</strong>ige Schauspieler das <strong>Theater</strong>.<br />
Als ich nach Moskau zurückging, wurde ich von<br />
den meisten Ensemblemitgliedern als Verräterin geächtet.<br />
Der missionarische Elan der jungen Truppe <strong>war</strong> noch nicht<br />
gebrochen. Die meisten Schauspieler blieben in Temirtau.<br />
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