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Der Gnadengeber

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<strong>Der</strong> <strong>Gnadengeber</strong><br />

Es war ein guter Tag. Er hatte gut begonnen und würde noch besser enden. <strong>Der</strong> Vorschlag von seiner<br />

aktuellen Chatbekanntschaft auf ein spontanes Treffen hatte ihn in Hochstimmung versetzt. Trotzdem<br />

bereitete er sich sorgfältig vor. Keine Begegnung war gleich. Er war routiniert. Heute nacht würde er<br />

wieder ein Meisterstück vollbringen. Lange hatte er sich in Geduld geübt. Mit viel Sorgfalt sein Ziel<br />

ausgewählt. Er spürte ein Ziehen in seinen Lenden. Hätte er sie erstmal geschnappt, würde er es<br />

langsam angehen. Langsam und genüsslich. Schon beim ersten, kurzen Treffen mit ihr war ihm klar,<br />

dass sie die Richtige war. Gross, braunhaarig, gegen aussen selbstbewusst. Erfolgreich im Beruf. Ende<br />

20. Unabhängig genug um als Single durchs Leben zu gehen. Diesen Typ mochte er am Liebsten. Er<br />

würde ihr zeigen was ihr ein Mann alles geben konnte. Durch die langen Nächte im Chat wusste er<br />

auch von ihrer romantischen Seite. Sie wollte verführt werden, auf Rosen gebettet. Er lachte leise vor<br />

sich hin. Sollte sie haben was sie sich wünschte. Er würde es sich danach nehmen. <strong>Der</strong> schönste<br />

Moment war, wenn sie vor ihm lagen, wehrlos, und das Wissen um das Endgültige in ihre Augen trat.<br />

Kurz bevor er zustach. Dieser Blick blieb, selbst noch, wenn diese Augen leblos an die Decke starrten.<br />

Bevor er die Rose pflückte würde er sich noch ein bisschen Spass mit ihr gönnen. Die letzte hatte auf<br />

eine Art und Weise gebettelt die ihn besonders erregte. 12 Stunden konnte er sich mit ihr vergnügen<br />

bevor sie apathisch wurde. Uninteressant. Als er das Stilett in der Hand hielt kam nochmals kurz Leben<br />

in sie. Diesen Moment fing er ein als er mit dem <strong>Gnadengeber</strong> zustach. Er liebte dieses Wort. Es war<br />

das, was er ihnen schlussendlich gab, wenn sie es sich verdient hatten: Gnade.<br />

Gwen raufte sich die kurzen Haare. Wenn der Bericht von der Pathologie nicht bald kommen würde<br />

müsste sie sich auf den Weg dorthin machen. Sie mochte die sterilen weissen Wände und das kalte<br />

Licht nicht. <strong>Der</strong> Geruch verursachte ihr Kopfschmerzen. Die Leichen machten ihr nichts aus, daran war<br />

sie nach 10 Jahren beim Morddezernat gewöhnt. Zurzeit war wieder Hochsaison. Sie schüttelte den<br />

Kopf. Ein Mann hatte in der Nacht zuvor seine Frau und ihre beiden minderjährigen Söhne ermordert<br />

und sich danach selbst gerichtet. Wusste der Teufel was solchen Menschen durch den Kopf ging. Auf<br />

ihrem kleinen Pult stapelten sich Papiere. <strong>Der</strong> Internetkiller war auch noch nicht gefasst. Wann würde<br />

er wohl wieder zuschlagen? Sie massierte ihre schmerzenden Schläfen. Ihre grünen Augen<br />

konzentrierten sich auf den Bildschirm. Sie blinzelte und seufzte. Schon war sie wieder seit 10 Stunden<br />

am Arbeiten und es war erst vier Uhr nachmittags. Sie würde eine Pause einlegen müssen. Auf dem<br />

Weg zum Kaffeautomaten begegnete sie Morris, ihrem Kollegen von der Drogenfahndung. "Hey wie<br />

läufts?" begrüsste sie ihn knapp. Morris musterte die lange schlanke Gestalt, schaute in das feminine<br />

Gesicht mit dem wachen Blick. Zurzeit war er ein bisschen trüb. "Du solltest mal Pause machen<br />

Gwen," meinte er. "Was meinst Du tue ich gerade?!" schnauzte sie ihn an. Eingeschüchtert zog er die<br />

Schultern hoch und machte sich von dannen. Jeder da drin war überarbeitet, aber Gwen toppte sie alle.<br />

Ihre Arbeitstage fingen um sechs an, meist war sie nicht vor neun aus dem Büro. Wenn ein Verbrechen<br />

passierte, kam sie als Erste am Tatort an. Und dies geschah meistens in der Nacht. Verbrecher hielten<br />

sich leider nicht an Bürozeiten. Das Morddezernat der Metropolitan Police in Washington DC gliech<br />

einem Bienenstock. Polizisten schwirrten beschäftigt umher. Es war laut, roch nach überlangen<br />

Arbeitstagen und schlechtem Kaffee. Als Gwen sich zwei Becher geholt hatte machte sie sich auf den<br />

Weg zu ihrer Assistentin. Mia lehnte an ihren Schreibtisch und starrte stirnrunzelnd auf die Fotos die an<br />

ihrem Whiteboard befestigt waren. Die junge Frau mit den langen blonden Locken sah mehr wie ein<br />

Model aus als wie eine Polizistin. Ihre sanften braunen Augen täuschten. Ihr messerscharfer Verstand<br />

und ihr eiskaltes Kalkül hatten ihr zu einer steilen Karriere verholfen. Gwen war stolz auf sie und auch<br />

auf sich selbst. Sie überreichte ihr den Kaffe. Mia sah sie misstrauisch an: "Ist dies eine Belohnung<br />

oder Bestechung?" Gwen grinste schief. "Such es Dir aus. Ich hab das Gefühl, dass der Internetkiller


ald wieder zuschlägt. Letztes Mal hat er knapp ein halbes Jahr gewartet. Es sind jetzt fünf Monate her.<br />

Dieses Mal will ich diesen Bastard erwischen." Mia nickte schweigend. Das letzte Mal hatte er einen<br />

Fehler gemacht. Die Nachbarin der jungen Frau, die gestorben war, hatte ihn gesehen. "Er wird sich<br />

verkleiden- wer weiss, wie er dieses Mal aussieht." Die Phantomzeichnung hatte das Bild eines<br />

blonden, gutaussehenden Mann um die 30 ergeben. Seine Haare waren kurz geschnitten und er besass<br />

einen durchtrainierten, mittelgrossen Körperbau. Die Nachbarin war sich nicht ganz sicher, aber sie sie<br />

meinte sie hätte wohl in braune Augen geblickt.<br />

"Kontaktier alle Internetcafes und schick ihnen das Bild" befahl Gwen. Mia schaute sie mit grossen<br />

Augen an. Alle? In allen Bezirken? Das waren über hundert. "Alle", meinte Gwen. "Er wird sich<br />

einloggen müssen. Irgendwo wird er auftauchen. Dann schnappen wir ihn" sagte sie und lief zu ihrem<br />

Büro."Nimm Dir Clark zur Hilfe" rief sie noch über die Schulter bevor sie darin verschwand. Mia<br />

seufzte. Es gab wohl niemanden in der ganzen Zentrale, der gerade nichts zu tun hatte. Nun, je eher sie<br />

den Killer schnappten desto besser, also ran an die Arbeit.<br />

Die Augen im Spiegel schauen mich gross an. Ein bisschen verträumt vielleicht. Ich hole tief Luft. Was<br />

war es schon. Ein Date mit einem attraktiven Mann. Hauptsache ein netter, unterhaltsamer Abend.<br />

Kritisch mustere ich meine Mitte. Hatte ich zugenommen? Ich würde diesen Frühling noch etwas<br />

häufiger ins Fitness gehen müssen. Genüsslich steige ich in die Wanne. Das Wasser heiss, wie ich es<br />

mochte, umspielt meine Brüste. Ich frage mich, warum ich ein flaues Gefühl in der Magengegend habe.<br />

Es war ja nicht so, dass es mein erstes Date war. Aber Thomas war anders. Eleganter, verführerischer.<br />

Er hatte etwas unnahbares an sich. Etwas das mich reizte. Das Weib in mir. Ich will dass er mich<br />

verführt. Dass er mich mit seinen Blicken verschlingt. Ein Schauern durchläuft meinen Körper. Heute<br />

will ich wieder mal so richtig guten Sex erleben. Ich schliesse die Augen.<br />

<strong>Der</strong> Mann, der sich Thomas nannte, betrachtete sich. Seinen gutgebauten Körper. Seine schlanken,<br />

durchtrainierten Muskeln. Er war perfekt gebaut und wusste es. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Er<br />

hatte lange gebraucht, bis er zu dem wurde was er heute war. In der Schule war er gehänselt worden,<br />

von den älteren Schüler sogar verprügelt. Er war linkisch gewesen und keiner hatte ihn richtig gekannt.<br />

Man hatte ihn gehasst. Heute liebten sie ihn. Auch heute kannte ihn keiner, doch mit seinem Charme<br />

wickelter er das weibliche Geschlecht um den Finger und die Männer hatten Respekt vor seinem<br />

scharfsinnigen Humor. Er war glatt und konnte sich jeder Situation anpassen. Dies machte ihn<br />

unberechenbar und gefährlich. Seine Vorbereitungen waren beendet, er war bereit.<br />

"Du kannst nicht genug von mir kriegen was, kleines Mädchen?" Mein Onkel lachte dreckig. Ich<br />

verkroch mich in den hintersten Winkel des kleinen Zimmers. "Du kommst mir hier nicht davon du<br />

dreckiges Luder!" Er kam mit drohenden Schritten auf mich zu. "Nein bitte!" Panisch schrecke ich auf.<br />

Ich bin von meinem eigenen Geschrei erwacht. Stöhnend sinke ich zurück in das warme Wasser. Hat<br />

mir gerade noch gefehlt, dass ein Alptraum mir die gute Stimmung verdorb. In letzter Zeit kamen sie<br />

wieder häufiger. Erinnerungen an die schlimmen Ereignisse vor vielen Jahren, als ich noch ein hilfloses<br />

kleines Mädchen war. Aber das bin ich nicht mehr. Ich bin eine selbstbewusste und unabhänige junge<br />

Frau. Ich habe schon einiges erreicht und bin stolz auf mich. Energisch nehme ich den Duschkopf und<br />

spüle mir den restlichen Schaum aus den Haaren. Ich würde einen sexy Abend geniessen. Nichts und<br />

niemand konnte mir das kaputt machen.<br />

Während sich die junge Frau zum Gehen anschickte, ging ein lauer Frühlingstag langsam in den Abend<br />

über. Sie hatte ihre gute Laune wieder, der Traum war vergessen. Wie hätte sie auch wissen sollen, dass<br />

sie bald in die Fänge eines grausamen Mörders geraten würde? <strong>Der</strong> dazu noch in Gestalt eines<br />

verführerischen Mannes mit dunklen Haaren und eisblauen Augen auf sie wartete. Die Pubs und Bars<br />

in Georgetown füllten sich, es war Freitag Abend, ein perfektes Wochenende lag vor der Tür.


An einem eleganten Ort hoch über den Dächern von Washington trafen sich zwei attraktive junge<br />

Menschen. Sie trug ein verführerisches blaues Kleid mit hohem Kragen. Ihre langen braunen Haare<br />

hatte sie zu einem Zopf geflochten, den sie über der linken Schulter trug. Sie unterhielt sich angeregt<br />

mit ihrem Gegenüber, einem Typ in einem schwarzen Seidenhemd. Sein Sakko hatte er ausgezogen und<br />

lässig über die Lehne gelegt. Sie scherzten und lachten. Ab und zu berührte er kurz den Arm seiner<br />

Partnerin und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ihre Wangen waren gerötet und sie blickte ihn vergnügt an.<br />

Als sie kurz auf die Toilette verschwand, nahm der Mann, der sich Thomas nannte, ein winziges<br />

Fläschchen hervor und träufelte ein paar Tropfen in ihren Drink. Die ganze Aktion daurte nur ein paar<br />

Sekunden. Niemand hatte etwas gesehen, die Menschen in der Bar waren mit sich selbst beschäftigt.<br />

Als sie von der Toilette zurück kam, hielt er ihr sein Glas hin und lächelte. Sich tief in die Augen<br />

blickend stossen sie an. Keine halbe Stunde später verliessen sie engumschlungen die Bar.<br />

Ich bin wieder ein kleines Mädchen. Meine Füsse sind ans Bett gefesselt. Es brennt in meinem<br />

Unterleib. Ich will mich bewegen, doch meine Glieder sind wie gelähmt. Alles ist schwer. Mein Onkel<br />

ist im Zimmer. Aber ich sehe ihn nur verschwommen. Warum bin ich gefesselt? Ich war doch immer<br />

brav. Er kommt zu mir und schiebt sich in mich rein. Es tut weh. Neben dem Bett steht ein Stuhl. Wieso<br />

liegt dort ein Messer? Er bewegt sich schnaufend, immer schneller. Ich strenge mein Hirn an, zwinge<br />

mich zu denken. Irgendetwas stimmte nicht. Nein ich bin kein kleines Mädchen mehr. Ich bin eine<br />

erwachsene Frau. Und ich bin stark. Aus meiner Kehle dringt ein animalischer Schrei. Er kommt aus<br />

meinem Mund, dringt durch die Haustür bis zum Nachbarhaus. Meine Finger greifen nach dem Messer.<br />

Bin ich das wirklich, die so schreit? Ich erfasse den Griff und steche zu. Schreie und steche, schreie<br />

und steche.<br />

Frau Anderson. FRAU ANDERSON! Sehen sie mich an, SEHEN SIE MICH AN! Die Stimmt dringt<br />

durch mein Bewusstsein. Ich liege auf meinem Bett, Rosenblätter sind darauf verteilt. Überall ist Blut.<br />

Sehr viel Blut. Menschen um mich herum. Eine Frau mit grünen Augen beugt sich über mich.<br />

Polizistenaugen. Frau Anderson, ich bin Gwen Coleman von der Metropolitan Police. Sie sind in<br />

Sicherheit. Hören Sie mich? Sie haben ihn zur Strecke gebracht. Sie hält meine blutverschmierte Hand.<br />

"Wir bringen Sie ins nächste Spital und benachrichtigen ihre Eltern. Sie werden wieder gesund." Ich<br />

schliesse die Augen. Alles wird gut. Ich bin stark.

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