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Organisatorischer Zusammenschluss von Kleinunternehmen in der ...

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<strong>Organisatorischer</strong> <strong>Zusammenschluss</strong> <strong>von</strong> <strong>Kle<strong>in</strong>unternehmen</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Abfallwirtschaft Freetowns/Sierra Leone<br />

─<br />

Potentiale und Grenzen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Raum<br />

unsicherer <strong>in</strong>stitutioneller Konfigurationen<br />

Magisterarbeit<br />

im Studiengang<br />

Magister Artium<br />

<strong>der</strong><br />

Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen - Nürnberg<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie<br />

Betreuer: Prof. Dr. Fred Krüger<br />

Zweitgutachter<strong>in</strong>: Prof. Dr. Perdita Pohle<br />

vorgelegt <strong>von</strong><br />

Florian Weisser<br />

aus Fürth/Bayern<br />

Erlangen, im Juni 2008


Vorwort<br />

Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis e<strong>in</strong>es knapp dreimonatigen Forschungs- und Arbeitsauf-<br />

enthaltes im Projekt „Beschäftigungsför<strong>der</strong>ung für marg<strong>in</strong>alisierte Jugendliche“ <strong>in</strong> den Monaten<br />

August bis Oktober 2007 bei <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ)<br />

<strong>in</strong> Freetown, Sierra Leone. An dieser Stelle sei <strong>der</strong> Projektleiter<strong>in</strong> Frau Dr. Salua Nour gedankt,<br />

die mir die Möglichkeit gab <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sicher nicht e<strong>in</strong>fachen Forschungsumfeld zu arbeiten und<br />

die im Rahmen <strong>von</strong> kontroversen Diskussionen immer wie<strong>der</strong> me<strong>in</strong>en Blickw<strong>in</strong>kel erweitert hat.<br />

Dank gilt auch Frau Stephanie Gigot, die als zuständige Mitarbeiter<strong>in</strong> nicht müde wurde, mir die<br />

Organisation Kl<strong>in</strong> Salone näher zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Für die Betreuung dieser Arbeit und die im H<strong>in</strong>blick auf das Erkenntnis<strong>in</strong>teresse immer sehr<br />

fruchtbaren Anmerkungen sei Herrn Prof. Dr. Fred Krüger vom Institut für Geographie <strong>der</strong> Uni-<br />

versität Erlangen-Nürnberg gedankt.<br />

Me<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Dank gilt aber vor allem denjenigen, <strong>der</strong>en Organisationen und Lebenswelten<br />

ich zu me<strong>in</strong>em Forschungsgegenstand machte, die sich dabei viel ihrer knapp bemessenen Zeit<br />

nahmen und die es immer wie<strong>der</strong> schafften durch ihre freundschaftliche Art e<strong>in</strong> re<strong>in</strong> wissenschaft-<br />

liches Verhältnis aufzubrechen und um kurzweilige Momente zu bereichern. An dieser Stelle sol-<br />

len Herr Alimamy Turay und Herr Joseph Y. Fofonah stellvertretend für die Mitarbeiter Kl<strong>in</strong><br />

Salones und Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jugendorganisationen erwähnt werden, denen ich me<strong>in</strong>en herzlichsten<br />

Dank aussprechen möchte.<br />

II


Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort................................................................................................................................................................................................................ II<br />

Inhaltsverzeichnis..............................................................................................................................................................................................III<br />

Abbildungsverzeichnis .....................................................................................................................................................................................VI<br />

Abkürzungsverzeichnis .................................................................................................................................................................................. VII<br />

Technische Vorbemerkungen .................................................................................................................................................................... VIII<br />

I. GEGENSTANDSBEREICH UND METHODIK DER UNTERSUCHUNG........................................ 1<br />

1. Gegenstand und Erkenntnis<strong>in</strong>teresse <strong>der</strong> Untersuchung .............................................................................. 1<br />

2. Methoden <strong>der</strong> empirischen Erhebung.............................................................................................................. 2<br />

2.1 Methodologie <strong>der</strong> Untersuchung: Grounded Theory .................................................................................................................... 2<br />

2.2 Wahl <strong>der</strong> Neuen Institutionenökonomik als theoretischer Rahmen .......................................................................................... 4<br />

2.3 Empirisches Instrumentarium <strong>der</strong> Untersuchung........................................................................................................................... 6<br />

2.4 Anmerkungen zu Untersuchungsraum und -zeit ............................................................................................................................ 8<br />

2.5 Reflexion <strong>der</strong> angewandten Methodik ............................................................................................................................................... 8<br />

3. Vorgehensweise................................................................................................................................................... 9<br />

II. THEORETISCHE GRUNDLAGEN: DIE NEUE INSTITUTIONENÖKONOMIK...................... 11<br />

1. Innovationen <strong>der</strong> NIÖ..................................................................................................................................... 11<br />

2. Institutionen und <strong>der</strong>en Wandel bei Douglass C. North............................................................................ 13<br />

2.1 Zweck <strong>von</strong> Institutionen.....................................................................................................................................................................14<br />

2.2 Formelle und <strong>in</strong>formelle Institutionen ............................................................................................................................................15<br />

2.3 Überwachung und Bestrafung ...........................................................................................................................................................17<br />

2.4 Institutionen und Organisationen ....................................................................................................................................................17<br />

2.5 Wandel <strong>von</strong> Institutionen ..................................................................................................................................................................18<br />

2.6 Institutionen und Transaktionskosten ............................................................................................................................................20<br />

3. Entwicklungstheoretische Relevanz <strong>der</strong> NIÖ............................................................................................... 21<br />

3.1 Unzulänglichkeiten handlungsorientierter Ansätze <strong>der</strong> Entwicklungsforschung ..................................................................22<br />

3.2 NIÖ und unsichere <strong>in</strong>stitutionelle Konfigurationen....................................................................................................................24<br />

4. Entwicklungspraktische Relevanz <strong>von</strong> Institutionen – Angekommen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklungspolitik? ..... 28<br />

III. ANMERKUNGEN ZU ANALYTISCHEN ZUGÄNGEN ZUM GEGENSTANDSBEREICH .... 31<br />

1. Konzepte des Staatszerfalls – h<strong>in</strong>reichendes Analyse<strong>in</strong>strument?.............................................................. 31<br />

1.1 Kategorisierung prekärer Staatlichkeit.............................................................................................................................................32<br />

1.2 Raum prekärer Staatlichkeit: Raum unsicherer <strong>in</strong>stitutioneller Konfigurationen?................................................................33<br />

1.3 Erkenntnisse aus <strong>der</strong> Dekonstruktion des Staatszerfalldiskurses................................................................................................35<br />

1.4 Prekäre Staatlichkeit – „Entwicklung <strong>von</strong> unten“!........................................................................................................................36<br />

III


Inhaltsverzeichnis<br />

2. Umgang mit (k)e<strong>in</strong>em gesellschaftlichen Abfallprodukt............................................................................. 37<br />

2.1 Län<strong>der</strong> des Südens: Die Ambivalenz des Produktes „Müll“ ........................................................................................................37<br />

2.2 Nicht „Urban Government” – „Urban Governance”! .................................................................................................................38<br />

2.3 Müll und das „soziale Dilemma“ .......................................................................................................................................................42<br />

IV. RAHMENINFORMATIONEN ZU SIERRA LEONE: PREKARISIERUNG UND<br />

REHABILITIERUNG EINES STAATES ....................................................................................................... 46<br />

1. Kle<strong>in</strong>e postkoloniale Geschichte Sierra Leones ............................................................................................ 47<br />

1.1 Prekarisierung und Delegitimierung des Staates ............................................................................................................................48<br />

EXKURS: „Taylor-factor“, „Curse of Resources“ und e<strong>in</strong> “Neuer Krieg”..........................................................................................50<br />

2. Folgen des Krieges: Der lange Weg <strong>der</strong> Rehabilitierung.............................................................................. 52<br />

2.1 E<strong>in</strong> kurzer Blick auf die Qualität <strong>der</strong> Staatlichkeit ........................................................................................................................52<br />

2.2 Sozioökonomische Situation: Verstädterung und Marg<strong>in</strong>alisierung.........................................................................................54<br />

3. Ausgewählte, relevante Aspekte zur Entwicklungszusammenarbeit .......................................................... 56<br />

3.1 Allgeme<strong>in</strong>e Informationen zur EZ mit Sierra Leone.....................................................................................................................56<br />

3.2 Deutsche EZ: Privatwirtschafts- und Beschäftigungsför<strong>der</strong>ung .................................................................................................57<br />

4. Wi<strong>der</strong> die <strong>in</strong>stitutionelle Leere? Institutionelle Konfigurationen <strong>in</strong> Räumen prekärer Staatlichkeit ... 59<br />

V. EMPIRISCHE ERGEBNISSE: ABFALLWIRTSCHAFT IN FREETOWN - POTENTIALE UND<br />

GRENZEN KLIN SALONES............................................................................................................................ 61<br />

1. Die Organisation „Kl<strong>in</strong> Salone Waste Management Association” ............................................................... 61<br />

1.1 Zielgruppe privater Sektor: CBOs und MSEs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Abfallwirtschaft Freetowns..................................................................61<br />

1.2 Funktionsweise und Service Kl<strong>in</strong> Salones........................................................................................................................................67<br />

1.3 Kl<strong>in</strong> Salone: Organisation für e<strong>in</strong>en neuen <strong>in</strong>stitutionellen Rahmen .......................................................................................71<br />

2. Politisch-<strong>in</strong>stitutioneller Rahmen <strong>der</strong> Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown ........................................................ 76<br />

2.1 Urban Governance: Zu lokalen Fähigkeiten im Zentralstaat......................................................................................................76<br />

2.2 Öffentliche Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown: Kurze Geschichte e<strong>in</strong>es Nie<strong>der</strong>gangs...................................................................77<br />

2.3 Abfallentsorgung zwischen Rehabilitierung und politischer Instrumentalisierung ...............................................................80<br />

2.4 Akteure, Regelwerke und E<strong>in</strong>flüsse <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit...................................................................................81<br />

2.4.1 Weltbank und GTZ: Konfligierende Ansätze und <strong>der</strong>en Folgen........................................................................................................... 81<br />

EXKURS: Und noch e<strong>in</strong> weiteres Beispiel für konfligierende Ansätze <strong>der</strong> EZ ............................................................................................ 84<br />

2.5 Konsolidierung des Freetown Waste Management Systems .......................................................................................................85<br />

2.6 Die Bedeutung <strong>der</strong> politisch-<strong>in</strong>stitutionellen Konfiguration......................................................................................................87<br />

IV


Inhaltsverzeichnis<br />

3. Soziale Netzwerke – konfligierende Institutionen? ..................................................................................... 89<br />

3.1 Genese sozialer Netzwerke (Jugendlicher) unter prekärer Staatlichkeit <strong>in</strong> Sierra Leone ......................................................89<br />

3.2 Zugang zur Organisation Kl<strong>in</strong> Salone: Hürde für marg<strong>in</strong>alisierte Jugendliche? .....................................................................90<br />

3.3 Ziele und Funktionsweise <strong>der</strong> (Jugend-) Organisationen <strong>in</strong> Freetown.....................................................................................92<br />

3.4 Normendualismus: Zwischen Sozialkapital und Kl<strong>in</strong> Salone .....................................................................................................95<br />

4. Kosten <strong>der</strong> adm<strong>in</strong>istrativen Koord<strong>in</strong>ierung: Informelle Institutionen...................................................... 97<br />

4.1 Misswirtschaft .......................................................................................................................................................................................97<br />

4.2 Korrupte Praktiken ..............................................................................................................................................................................99<br />

4.3 Sozialkapital und Klientelismus – e<strong>in</strong> schmaler Grat..................................................................................................................101<br />

4.4 Überwachung und Bestrafung: Notwendiger Kostenfaktor für den <strong>in</strong>stitutionellen Wandel ..........................................103<br />

5. Determ<strong>in</strong>anten sozialer Dilemmata .............................................................................................................105<br />

5.1 Schaffung e<strong>in</strong>er neuen Institution: Potentiale und H<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse Kl<strong>in</strong> Salones ......................................................................105<br />

5.1.1 Wahrnehmung und Legitimität <strong>der</strong> öffentlichen Hand.........................................................................................................................106<br />

5.1.2 Motivation <strong>der</strong> Kunden und Wahrnehmung Kl<strong>in</strong> Salones ...................................................................................................................107<br />

5.1.3 Überwachung und Bestrafung: Institutionelle Leere ..............................................................................................................................109<br />

5.2 Handlungsrationalitäten <strong>der</strong> Kunden ............................................................................................................................................111<br />

5.2.1 Zahlungsmoral und Reproduktion f<strong>in</strong>anziellen Mangels.......................................................................................................................111<br />

5.2.2 Periodische und saisonale Unsicherheiten .................................................................................................................................................114<br />

5.2.3 Unsicherheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> räumlichen Dimension ..............................................................................................................................................115<br />

5.2.4 Reichweite <strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone...................................................................................................................................................119<br />

5.2.5 Bewältigungsstrategien Kl<strong>in</strong> Salones............................................................................................................................................................121<br />

6. Nachhaltigkeit des neuen Regelwerks..........................................................................................................121<br />

6.1 Kl<strong>in</strong> Salone - Neue nachhaltige Lebenswelten?............................................................................................................................122<br />

6.2 Leistungen <strong>der</strong> MSEs .........................................................................................................................................................................124<br />

6.3 Abhängigkeiten <strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone.............................................................................................................................126<br />

VI. ABSCHLIEßENDE ANMERKUNGEN.................................................................................................127<br />

1. Zusammenfassung: Potentiale und Grenzen <strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone ...........................................127<br />

2. Grenzen und Mehrwert <strong>der</strong> NIÖ im Rahmen <strong>der</strong> Entwicklungsforschung............................................130<br />

QUELLENVERZEICHNIS.............................................................................................................................133<br />

Anhang ..............................................................................................................................................................................................................144<br />

Erklärung <strong>der</strong> selbstständigen Arbeitsanfertigung ...................................................................................................................................147<br />

V


Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildung 1: Idealtypische Ausprägung kritischer <strong>in</strong>stitutioneller Konfigurationen..................................................26<br />

Abbildung 2: Fortschritt bezüglich <strong>der</strong> MDG bei prekärer Staatlichkeit .......................................................................34<br />

Abbildung 3: Modell des Integrated Susta<strong>in</strong>able Waste Managements...........................................................................39<br />

Abbildung 4: Das Gefangenendilemma ..................................................................................................................................43<br />

Abbildung 5: Übersichtskarte Sierra Leone ...........................................................................................................................46<br />

Abbildung 6: Übersichtskarte Freetown I ..............................................................................................................................55<br />

Abbildung 7: MSEs bei <strong>der</strong> Arbeit............................................................................................................................................67<br />

Abbildung 8: Service Kl<strong>in</strong> Salones ............................................................................................................................................68<br />

Abbildung 9: Struktur Kl<strong>in</strong> Salones .........................................................................................................................................69<br />

Abbildung 10: Transit Sites des FWMS .................................................................................................................................70<br />

Abbildung 11: Anschubf<strong>in</strong>anzierung Kl<strong>in</strong> Salones...............................................................................................................75<br />

Abbildung 12: Müllsituation <strong>in</strong> Freetown vor Kl<strong>in</strong> Salone und Rehabilitierung des FWMS....................................79<br />

Abbildung 13: Fuhrpark des FWMS vor dessen Rehabilitierung im Jahr 2006 ............................................................81<br />

Abbildung 14: Formalisierte Informalität ..............................................................................................................................94<br />

Abbildung 15: Saisonale und räumliche Unsicherheiten <strong>der</strong> MSEs .............................................................................. 115<br />

Abbildung 16: Infrastrukturell bed<strong>in</strong>gte Unsicherheit e<strong>in</strong>es adäquaten Ansatzes..................................................... 117<br />

Abbildung 17: Zugänglichkeit und Müllsituation e<strong>in</strong>es Marg<strong>in</strong>alviertels ................................................................... 118<br />

Abbildung 18: Übersichtskarte Freetown II ....................................................................................................................... 119<br />

Abbildung 19: Kartenausschnitt Freetown Central.......................................................................................................... 120<br />

Abbildung 20: Übersichtkarte Freetown III ....................................................................................................................... 144<br />

VI


Abkürzungsverzeichnis<br />

APC All People’s Congress<br />

ECOMOG Economic Community Cease-Fire Monitor<strong>in</strong>g Group<br />

CBO Community-Based Organisation<br />

DFID Department for International Development<br />

EPP Employment Promotion Program for Marg<strong>in</strong>alized Youth<br />

EZ Entwicklungszusammenarbeit<br />

FCC Freetown City Council<br />

FWMC Freetown Waste Management Company<br />

FWMS Freetown Waste Management System<br />

GTZ Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit<br />

ISWM Integrated Susta<strong>in</strong>able Waste Management<br />

Kl<strong>in</strong> Salone Kl<strong>in</strong> Salone Waste Management Association<br />

Le Leone<br />

MSE Micro and Small Enterprise<br />

NIÖ Neue Institutionenökonomik<br />

NPRC National Provisional Rul<strong>in</strong>g Council<br />

PPP Public Private Partnership<br />

PRSP Poverty Reduction Strategy Paper<br />

RUF Revolutionary United Front<br />

SLPP Sierra Leone People’s Party<br />

UNAMSIL United Nations Mission <strong>in</strong> Sierra Leone<br />

UNDP United Nations Development Programme<br />

UNHCR United Nations High Commissioner for Refugees<br />

UWEP Urban Waste Expertise Programme<br />

YES Youth Employment Scheme<br />

VII


Technische Vorbemerkungen<br />

E<strong>in</strong>e Übersichtskarte zu Freetown bef<strong>in</strong>det sich im Anhang (S. 144) und enthält e<strong>in</strong>e Auswahl<br />

<strong>von</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Arbeit erwähnten Stadtteilen sowie befragten Akteuren.<br />

Die beiden Exkurse s<strong>in</strong>d zum Verständnis des fortlaufenden Textes nicht zw<strong>in</strong>gend relevant, sie<br />

unterstützen aber die Argumentation dieser Arbeit und bieten weiterführende Informationen.<br />

Offizielle Währung Sierra Leones ist <strong>der</strong> Leone (Le). Der Umrechnungskurs zum Zeitpunkt <strong>der</strong><br />

Untersuchung betrug <strong>in</strong> ca. 1 000 Le = 0,25 €. 1 € entspricht so <strong>in</strong> etwa 4000 Le.<br />

VIII


Gegenstandsbereich und Methodik <strong>der</strong> Untersuchung<br />

I. Gegenstandsbereich und Methodik <strong>der</strong> Untersuchung<br />

1. Gegenstand und Erkenntnis<strong>in</strong>teresse <strong>der</strong> Untersuchung<br />

„Kl<strong>in</strong> Salone is an umbrella organization that coord<strong>in</strong>ates the activities of various groups who<br />

are engaged <strong>in</strong> waste collection and disposal activities. Kl<strong>in</strong> Salone will set standards and provide<br />

equipment, tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, market<strong>in</strong>g, and transportation support for member groups. Kl<strong>in</strong> Salone is<br />

committed to provid<strong>in</strong>g convenient and affordable waste collection services, while promot<strong>in</strong>g susta<strong>in</strong>able<br />

employment for its members and a cleaner future for Sierra Leone” (KLIN SALONE<br />

2008).<br />

Die duale Zielsetzung <strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) unterstützten<br />

Organisation „Kl<strong>in</strong> Salone Waste Management Association“ fokussiert zwei Problemlagen, welche<br />

die sierra-leonische Hauptstadt Freetown vom „Athen Westafrikas“ nicht nur <strong>in</strong> militärischer<br />

Sicht zu e<strong>in</strong>er „City Un<strong>der</strong> Siege“ (ZACK-WILLIAMS 2002) werden ließen: zum e<strong>in</strong>en die „Belage-<br />

rung“ <strong>der</strong> Urbanität durch e<strong>in</strong> „Heer“ <strong>von</strong> arbeitslosen Jugendlichen, zum an<strong>der</strong>en e<strong>in</strong> ubiquitäres<br />

Müllproblem mit dem sich die Stadt seit Jahren konfrontiert sieht, ohne dabei über lange Zeit<br />

selbst Teil e<strong>in</strong>er Lösung des Problems geworden zu se<strong>in</strong>.<br />

Die Perspektivlosigkeit <strong>der</strong> jungen Bevölkerung und ihre so mögliche Instrumentalisierung durch<br />

die Kriegsparteien, <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> Revolutionary United Front (RUF), wird nicht nur <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

sierra-leonischen Gesellschaft, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> wissenschaftlichen und entwicklungspoliti-<br />

schen Geme<strong>in</strong>de als e<strong>in</strong> zentraler Katalysator des Krieges <strong>von</strong> 1991 bis 2002 angesehen (stellver-<br />

tretend ALIE 2006, GIGA/DSF 2007, HANLON 2005, RUDNER 2005, ZACK-WILLIAMS 2002).<br />

Die Situation <strong>der</strong> jungen Bevölkerung bestimmt damit nicht nur die Lebenschancen <strong>der</strong> als Ju-<br />

gendliche klassifizierten 15 bis 35-Jährigen, son<strong>der</strong>n die <strong>der</strong> gesamten Bevölkerung e<strong>in</strong>es zwei-<br />

felsohne erst am Anfang <strong>der</strong> Friedenskonsolidierung stehenden Staates Sierra Leone (ALB-<br />

RECHT/MALAN 2006, HANLON 2005: 468).<br />

E<strong>in</strong> verschmutztes Lebensumfeld ist Nährboden für Krankheiten wie Malaria, Typhus, Tuberku-<br />

lose etc. und gefährdet so per se die menschliche Entwicklung. E<strong>in</strong>e verbesserte Umweltsituation<br />

<strong>in</strong> Folge e<strong>in</strong>er adäquaten Abfallwirtschaft hat somit direkte Auswirkungen auf die Millenium<br />

Development Goals: „Reduce un<strong>der</strong>-five mortality by twothirds“ (MDG 4), „Combat HIV/AIDS,<br />

malaria & other diseases“ (MDG 6) und „Ensure environmental susta<strong>in</strong>ability“ (MDG 7) (UNITED<br />

NATIONS 2007).<br />

1


Gegenstandsbereich und Methodik <strong>der</strong> Untersuchung<br />

Diesen beiden Problemlagen will die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit <strong>der</strong> Etablierung<br />

<strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone im Rahmen ihres Projektes „Beschäftigungsför<strong>der</strong>ung für marg<strong>in</strong>ali-<br />

sierte Jugendliche“ begegnen. Primäres Ziel ist die Re<strong>in</strong>tegration <strong>von</strong> Jugendlichen <strong>in</strong> wirtschaftli-<br />

che Kreisläufe. Dazu werden unter dem Dach Kl<strong>in</strong> Salones Jugendgruppen dabei unterstützt,<br />

e<strong>in</strong>en Teil <strong>der</strong> Müllentsorgung Freetowns auf privatwirtschaftlicher Basis zu übernehmen. Damit<br />

sollen sie ihr eigenes E<strong>in</strong>kommen erwirtschaften und darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>en Beitrag zur Verbesse-<br />

rung <strong>der</strong> Umweltsituation <strong>in</strong> Freetown leisten (GTZ 2007c, KLIN SALONE 2006 und 2008).<br />

Zentrales Erkenntnis<strong>in</strong>teresse dieser Untersuchung ist daran anschließend, <strong>in</strong>wieweit die Organi-<br />

sation Kl<strong>in</strong> Salone diese doppelte Zielsetzung erreichen kann. Im Mittelpunkt <strong>der</strong> Arbeit steht<br />

daher die entwicklungspraktisch wie entwicklungstheoretisch relevante Beantwortung <strong>der</strong> beiden<br />

folgenden Fragen:<br />

1) Welche Vorteile bzw. Potentiale bietet die Organisation Kl<strong>in</strong> Salone ihren Mitglie<strong>der</strong>n bei<br />

<strong>der</strong> Durchführung ihrer Aktivitäten im Bereich <strong>der</strong> Abfallwirtschaft Freetowns?<br />

2) Welche Determ<strong>in</strong>anten bee<strong>in</strong>flussen die Tätigkeiten und den Erfolg <strong>der</strong> unter Kl<strong>in</strong> Salone<br />

zusammengeschlossenen Akteure und somit die Müllsituation <strong>in</strong> Freetown? 1<br />

2. Methoden <strong>der</strong> empirischen Erhebung<br />

2.1 Methodologie <strong>der</strong> Untersuchung: Grounded Theory<br />

Das <strong>in</strong> dieser Arbeit angewandte Methodenset lehnt sich an die Herangehensweise <strong>der</strong> <strong>von</strong> An-<br />

selm Strauss und Barney Glaser seit Mitte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts entwickelten Grounded Theory<br />

an. Im Rahmen dieser sollen vorhandene Kategorien gerade nicht durch e<strong>in</strong>e für die Grundge-<br />

samtheit repräsentative Stichprobe auf quantitative Art und Weise verifiziert bzw. falsifiziert wer-<br />

den. Ziel ist es vielmehr, neue Theorien zu entdecken (KROMREY 1994: 440, STRAUSS/CORBIN<br />

7f.). Dementsprechend wird die Kategorie- und Hypothesenbildung auf Basis theoretischer<br />

1 Auf e<strong>in</strong>e Formulierung ausdifferenzierter, aber auch komplizierter Arbeitshypothesen wurde an dieser Stelle bewusst<br />

verzichtet. Es werden nur zwei relativ „banale“ Fragen zum Untersuchungsgegenstand an den Anfang gestellt. Zum<br />

e<strong>in</strong>en möchte ich damit die angewandte Methodik unterstreichen (vgl. Kapitel I.2.1, S. 2). Zum an<strong>der</strong>en werden die<br />

den Forschungsgegenstand betreffenden Grundannahmen implizit und sukzessive <strong>in</strong> den Ausführungen ausgearbeitet.<br />

2


Gegenstandsbereich und Methodik <strong>der</strong> Untersuchung<br />

Grundannahmen idealtypisch nicht an den Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er wissenschaftlichen Betrachtung gesetzt.<br />

Dort steht <strong>der</strong> Untersuchungsbereich, woraus Relevantes erst im Zuge des Forschungsprozesses<br />

herausgefiltert wird (ebd.: 8).<br />

Die Auswahl <strong>der</strong> Herangehensweise <strong>der</strong> gegenstandsbezogenen Theoriebildung erschien für mich<br />

deshalb vorteilhaft und angemessen, da damit die Gefahr <strong>in</strong> vorgefertigten Schemata zu denken<br />

zum<strong>in</strong>dest methodisch reduziert wird 2 . Gerade die weit verbreiteten politikwissenschaftlichen<br />

Ansätze zu fragiler Staatlichkeit zeigen exemplarisch e<strong>in</strong>e entscheidende Schwäche <strong>von</strong> „Denken<br />

<strong>in</strong> Schubladen“: Auf Grundlage e<strong>in</strong>es eurozentrischen Staatsbegriffes als Analyseraster <strong>der</strong> Be-<br />

trachtung afrikanischer Gesellschaftsorganisation wird nur das erfasst, was im Gegensatz zum<br />

idealtypischen mo<strong>der</strong>nen Staat nicht vorhanden ist. Tiefergehende Betrachtungen f<strong>in</strong>den oftmals<br />

nicht statt (HAUCK 2004, SCHLICHTE 2005). KEEN aber bemerkt mit Blick auf Afrika im Allge-<br />

me<strong>in</strong>en und Sierra Leone im Speziellen: „[T]he state has never been the only game <strong>in</strong> town“ (2005:<br />

4). Daher erschien es mir bei <strong>der</strong> Untersuchung <strong>von</strong> gesellschaftlichen Prozessen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em als fragil<br />

„vermessenen“ Staat wie Sierra Leone s<strong>in</strong>nvoll, eben nicht das konventionelle Raster anzulegen.<br />

Ziel soll es vielmehr se<strong>in</strong>, <strong>von</strong> <strong>der</strong> Praxis zur Bildung <strong>von</strong> (neuen) Kategorien zu kommen. Damit<br />

bietet sich unter Rückgriff auf die Grounded Theory die Möglichkeit auch nicht formelle Gegens-<br />

tandsbereiche des Sozialen zu erfassen. Diese leiden sonst häufig unter <strong>der</strong> Dom<strong>in</strong>anz des Formel-<br />

len und erfahren so nicht die entsprechende Beachtung und adäquate Theorie- und Kategoriebil-<br />

dung (dazu auch NORTH 1992: 43). Der Ansatz <strong>der</strong> Grounded Theory dagegen beansprucht für<br />

sich, <strong>in</strong> enger Tuchfühlung mit <strong>der</strong> sozialen Realität zu arbeiten (LUDWIG-<br />

MAYERHOFER 1999: o. S.). Diese Untersuchung soll somit e<strong>in</strong>en Beitrag zum Verständnis <strong>von</strong><br />

Gesellschaftsorganisation leisten, das über die dom<strong>in</strong>ierenden, oftmals verkürzten Betrachtungs-<br />

weisen h<strong>in</strong>ausreicht. Dabei erfolgt die Auswahl <strong>der</strong> Untersuchungsgegenstände eben nicht nach<br />

Kriterien <strong>der</strong> statistischen Repräsentativität auf Basis schon vorhandener Theorien bzw. Katego-<br />

rien, son<strong>der</strong>n nach <strong>der</strong>en Potential das Wissen über den Untersuchungsgegenstand zu erweitern.<br />

So muss bereits nach Betrachtung e<strong>in</strong>es Gegenstandes nach Fällen gesucht werden, die geeignet<br />

se<strong>in</strong> könnten, bisherige Erkenntnisse zu falsifizieren, zu verifizieren o<strong>der</strong> zu modifizieren (ebd.).<br />

2 Da <strong>der</strong> Forscher <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er wissenschaftlichen Sozialisation aber vielfach <strong>in</strong> Kontakt mit Theorien gerät, stellt die<br />

Grounded Theory wohl e<strong>in</strong>e sehr idealisierte Beschreibung dar, da das „Denken <strong>in</strong> Schubladen“ nur schwerlich abgestreift<br />

werden kann. Sie soll daher verstanden werden als Möglichkeit <strong>der</strong> kritischen Reflexion etablierter Denkweisen.<br />

3


Gegenstandsbereich und Methodik <strong>der</strong> Untersuchung<br />

Die theoretische Erkenntnis erf<strong>in</strong>det sich im Forschungsprozess immer wie<strong>der</strong> neu. Folgende<br />

Bestandteile bilden daher die Basisprämissen <strong>der</strong> Annäherung an e<strong>in</strong>en Untersuchungsbereich im<br />

Zuge <strong>der</strong> Grounded Theory (KROMREY 1994: 440f., LUDWIG-MAYERHOFER 1999: o. S.,<br />

STRAUSS/CORBIN 1996):<br />

• Alle gewonnenen Informationen, die mit jedem denkbaren Erhebungs<strong>in</strong>strument erfasst<br />

werden, s<strong>in</strong>d zu berücksichtigen (extensive Datensammlung). Dabei erfolgt e<strong>in</strong>e unmit-<br />

telbare Rückkopplung <strong>der</strong> Analyse zur Datensammlung, so dass weiterer Informationsbe-<br />

darf aus bereits gewonnenen Resultaten abgeleitet wird. Nachfolgende Untersuchungsfäl-<br />

le werden auf Grund <strong>der</strong> bisherigen Daten<strong>in</strong>terpretation ausgewählt („theoretical<br />

sampl<strong>in</strong>g“), so dass bereits nach e<strong>in</strong>er Erhebung Hypothesen formuliert werden kön-<br />

nen/sollten.<br />

• Im Zuge des Kodierens werden Kategorien gebildet und ihnen Daten zugeordnet. Sie<br />

müssen bzw. sollen weiter verfe<strong>in</strong>ert und modifiziert werden. Kategorien werden erst im<br />

Kodierungsprozess gebildet.<br />

• Das Kontrastieren als „permanenter Vergleich“ <strong>von</strong> Fällen dient <strong>der</strong> Überprüfung <strong>der</strong><br />

Reichweite <strong>der</strong> bislang entwickelten Kategorien.<br />

• Das „theoretical sampl<strong>in</strong>g“ besagt, dass die Fallauswahl dem jeweiligen Stand <strong>der</strong> Daten-<br />

auswertung entspricht. Die daraus entstandenen Ideen, Konzepte und Fragen haben das<br />

Ziel neue Vergleichsfälle zu generieren.<br />

• Das Schreiben <strong>von</strong> Memos, also das Festhalten <strong>von</strong> Ideen, Notizen und Kommentaren<br />

zur Kodierung, soll am Ende des Forschungsprozesses die Theoriebildung ermöglichen.<br />

2.2 Wahl <strong>der</strong> Neuen Institutionenökonomik als theoretischer Rahmen<br />

Zwar wird die Organisation Kl<strong>in</strong> Salone <strong>von</strong> den Initiatoren <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft für<br />

Technische Zusammenarbeit (GTZ) nicht explizit als Institution-Build<strong>in</strong>g bezeichnet, doch kann<br />

sie me<strong>in</strong>er Ansicht nach diesem Instrument <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit zugerechnet wer-<br />

den. Angeregt durch e<strong>in</strong>e entsprechende Debatte <strong>in</strong> den Wirtschaftswissenschaften um die Be-<br />

deutung <strong>von</strong> sozialen Regelwerken für wirtschaftliche Entwicklungsprozesse, wird die Relevanz<br />

4


Gegenstandsbereich und Methodik <strong>der</strong> Untersuchung<br />

<strong>von</strong> Institutionen 3 auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nord-Süd-Zusammenarbeit mehr und mehr erkannt. Daher liegt<br />

es nahe, den untersuchten Gegenstandsbereich durch e<strong>in</strong>e Theorie zu erklären, welche die Bedeu-<br />

tung <strong>von</strong> Regelwerke für Entwicklungsprozesse <strong>in</strong> den Mittelpunkt <strong>der</strong> Betrachtung stellt: die<br />

Neue Institutionenökonomik (NIÖ). Mit Verweis auf die methodologische Herangehensweise<br />

<strong>der</strong> Grounded Theory muss aber festgestellt werden, dass e<strong>in</strong>e Theorie ja gerade nicht am Anfang<br />

des Forschungsprozesses stehen sollte. Daher fanden auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> vorliegenden Untersuchung zu-<br />

nächst Erhebungen statt, ehe dann <strong>in</strong> ständiger Wechselwirkung zwischen Empirie und Theorie,<br />

erstere gedeutet, letztere überprüft und somit die NIÖ als geeigneter und vor allem Erkenntnisge-<br />

w<strong>in</strong>n br<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> Analyserahmen des Forschungsbereiches bestätigt werden konnte.<br />

Douglass C. NORTH als <strong>der</strong> dieser Arbeit zu Grunde gelegte Referenztheoretiker <strong>der</strong> NIÖ unter-<br />

stützt die Wahl <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bettung. Er weist darauf h<strong>in</strong>, dass er se<strong>in</strong>en theoretischen Rahmen als <strong>in</strong>-<br />

terdiszipl<strong>in</strong>ären Ansatz versteht, <strong>der</strong> auch an<strong>der</strong>e Sozialwissenschaften e<strong>in</strong>schließt (1988: VI, auch<br />

FRAMBACH 2001: 11, HARRIS/HUNTER/LEWIS 1995: 1f., RICHTER/FURUBOTN 2003: X<br />

und 50). Die NIÖ schafft es me<strong>in</strong>es Erachtens darüber h<strong>in</strong>aus zwischen strukturalistisch und<br />

handlungsorientierten Konzeptionen zu vermitteln, betont sie doch e<strong>in</strong>erseits die Bedeutung <strong>von</strong><br />

Regelwerken als Handlungsrahmen (structure), <strong>der</strong> aber auch geän<strong>der</strong>t werden kann (agency).<br />

Somit kann über die Heranziehung <strong>der</strong> NIÖ im Rahmen <strong>der</strong> geographischen Entwicklungsfor-<br />

schung die Dichotomie <strong>von</strong> strukturalistischen und handlungsorientierten Ansätzen und mit ihr<br />

die Kritik aus dem jeweils an<strong>der</strong>en Lager überwunden werden (vgl. Kapitel II.3.2, S. 24 und Kapi-<br />

tel VI.2, S. 130). Neben den metatheoretischen Vorteilen ermöglicht die NIÖ als Multiebenen-<br />

sansatz (MORRISON ET AL. 2008) Erkenntnisse über entwicklungstheoretisch relevante Zusam-<br />

menhänge unterschiedlicher Maßstabsebenen, wie beispielsweise die Gegenüberstellung westli-<br />

cher Geberansätze und lokaler Beson<strong>der</strong>heiten (SCHOLZ 2004: 152ff.).<br />

3 Institutionen sollen zunächst als Regelwerke sozialer Interaktion verstanden werden. E<strong>in</strong>e genauere Betrachtung folgt<br />

<strong>in</strong> Kapitel II, S. 11.<br />

5


Gegenstandsbereich und Methodik <strong>der</strong> Untersuchung<br />

2.3 Empirisches Instrumentarium <strong>der</strong> Untersuchung<br />

Entsprechend <strong>der</strong> Basisprämissen im Rahmen <strong>der</strong> Herangehensweise <strong>der</strong> Grounded Theory wur-<br />

de das empirische Methodenset ausgewählt und <strong>der</strong> Forschungsprozess durchgeführt. Zentraler<br />

Bestandteil des Instrumentariums waren dabei 50 Interviews, die <strong>der</strong> Grounded Theory entspre-<br />

chend <strong>in</strong> ihrer Struktur sehr offen angelegt waren. Dreizehn da<strong>von</strong> waren Interviews, die mit<br />

Kunden <strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone geführt wurden. Sie waren strukturierter und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />

kürzer (re<strong>in</strong>e Interviewzeit 10 bis 20 M<strong>in</strong>uten). E<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> empirischen Erkenntnisse<br />

stammt aber aus Gesprächen mit Mitarbeitern Kl<strong>in</strong> Salones sowie Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> darunter orga-<br />

nisierten <strong>Kle<strong>in</strong>unternehmen</strong> respektive <strong>der</strong>en Mutterorganisationen. 37 dieser Gespräche wurden<br />

geführt und dauerten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel zwischen 45 M<strong>in</strong>uten und zwei Stunden. Dabei stellen wenig<br />

bis kaum strukturierte Interviews beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ungen an den Forscher, da er ohne Fra-<br />

gebogen arbeitet und so zwar e<strong>in</strong>en großen Freiheitsspielraum <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anpassung an Interview-<br />

partner und Gesprächsituation hat, aber gleichzeitig e<strong>in</strong>en Prozess permanenter spontaner Opera-<br />

tionalisierung auslöst (ATTESLANDER 2000: 154). Dabei ist das Gespräch nicht entlang e<strong>in</strong>es Leit-<br />

fadens ausgerichtet, son<strong>der</strong>n an Fragen, die sich aus den Aussagen des Interviewten ergeben<br />

(ebd.: 141). Trotzdem wurden zentrale Fragen immer wie<strong>der</strong> gestellt (Schlüssel- o<strong>der</strong> Eventualfra-<br />

gen), so dass die Interviewmethode unter dem Begriff wenig strukturiertes Leitfadengespräch ge-<br />

fasst werden kann. Auch LIEBERT/LAUTH und HARDERS/SCHAUBER (beide 1999) plädieren bei<br />

<strong>der</strong> Betrachtung <strong>von</strong> auf den ersten Blick übersehbaren Determ<strong>in</strong>anten sozialer Interaktion für<br />

qualitative Fallstudien <strong>in</strong> Form offener Interviews o<strong>der</strong> „dichter Beschreibung“. Letztere sowie<br />

an<strong>der</strong>e Beobachtungsarten und Erhebungs<strong>in</strong>strumente kamen <strong>in</strong> Folge <strong>der</strong> begrenzten Kapazitä-<br />

ten im Zuge e<strong>in</strong>er Magisterarbeit aber nur ergänzend zum E<strong>in</strong>satz. Sie dienten vor allem dem Rah-<br />

menverständnis des Forschers 4 . Trotzdem s<strong>in</strong>d die daraus gewonnenen Erkenntnisse im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong><br />

extensiven Datensammlung im Rahmen <strong>der</strong> Grounded Theory <strong>von</strong> zentraler Bedeutung. Die<br />

Datensicherung <strong>der</strong> Gespräche erfolgte durch Mitschrift und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen wenigen Fällen durch<br />

Anfertigung e<strong>in</strong>es Gedächtnisprotokolls. Die Interviews wurden mit Hilfe e<strong>in</strong>es digitalen Auf-<br />

nahmegerätes aufgezeichnet, das aber auf Grund äußerer Umstände nicht <strong>in</strong> allen Fällen e<strong>in</strong>ge-<br />

4 Darunter fallen E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die Buchführung Kl<strong>in</strong> Salones, die Teilnahme an offiziellen und <strong>in</strong>offiziellen Sitzungen<br />

<strong>der</strong> Organisation, die Begleitung <strong>der</strong> Mitarbeiter und <strong>Kle<strong>in</strong>unternehmen</strong> bei <strong>der</strong> Arbeit, <strong>in</strong>formelle Gespräche mit<br />

Mitarbeitern <strong>der</strong> GTZ o<strong>der</strong> alltägliche Unterhaltungen mit E<strong>in</strong>wohnern Freetowns.<br />

6


Gegenstandsbereich und Methodik <strong>der</strong> Untersuchung<br />

setzt werden konnte (Marktlärm, Lärm durch Regen etc.). Die Audioaufzeichnungen wurden<br />

zum e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> jenen Fällen herangezogen, bei denen sich Unklarheiten aus den Mitschriften erga-<br />

ben, zum an<strong>der</strong>en zur exakten Erfassung <strong>von</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausarbeitung wie<strong>der</strong>gegebenen wörtlichen<br />

Zitaten. E<strong>in</strong>e Transkription erfolgte daher und aus methodologischen Gründen (dazu<br />

STRAUSS/CORBIN 1996: 14) nur selektiv.<br />

Me<strong>in</strong>es Erachtens macht es nur e<strong>in</strong>geschränkt S<strong>in</strong>n dabei zwischen Experten<strong>in</strong>terviews und „nor-<br />

malen“ Befragten zu unterscheiden. So s<strong>in</strong>d alle Experten ebenso <strong>in</strong> den Forschungsbereich <strong>in</strong>vol-<br />

viert und damit im entsprechenden Diskurs „gefangen“. Daher können sie erstens nicht als Exper-<br />

ten, son<strong>der</strong>n allenfalls als Produzenten e<strong>in</strong>es Diskurses gelten. Zweitens wäre es wenig verständ-<br />

lich, wenn man <strong>von</strong> Mitarbeitern <strong>der</strong> EZ als Experten etwa bezüglich sozialer Netzwerke sprechen<br />

würde, während h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong> Mitglied nur als normaler Befragter aufgeführt wird, obwohl dieses<br />

<strong>der</strong> eigentliche Experte ist 5 . So s<strong>in</strong>d auch die Befragungen <strong>von</strong> Mitarbeitern Kl<strong>in</strong> Salones (IntKS)<br />

als Experten<strong>in</strong>terviews (IntEx) zu verstehen 6 . Auch br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e Differenzierung zwischen Mitar-<br />

beitern <strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone an sich und Vertretern <strong>der</strong> <strong>Kle<strong>in</strong>unternehmen</strong> (IntMSE)<br />

kaum analytischen Mehrwert, da die Mitarbeiter <strong>in</strong> nahezu allen Fällen e<strong>in</strong>er h<strong>in</strong>ter dem Kle<strong>in</strong>un-<br />

ternehmen stehenden Jugendorganisation angehören. Trotz dieser E<strong>in</strong>wände wurden <strong>der</strong> Über-<br />

sichtlichkeit wegen Gruppen gebildet. Daher kommen viele <strong>der</strong> Mitarbeiter Kl<strong>in</strong> Salones auch bei<br />

Thematiken zu Wort, die die Jugendorganisationen und <strong>Kle<strong>in</strong>unternehmen</strong> an sich betreffen.<br />

Manche Informationen waren dabei sensibel und hätten für die Interviewten bei Veröffentlichung<br />

wohl Nachteile zur Folge. Daher werden die jeweiligen Interviewpartner mit „Int X1“, „Int X2“<br />

usw. anonymisiert, so dass ke<strong>in</strong>e Rückschlüsse auf die dah<strong>in</strong>ter stehenden Personen möglich s<strong>in</strong>d.<br />

Werden Personen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview e<strong>in</strong>es Vergehens beschuldigt, wurden diese mit „X“ be-<br />

zeichnet.<br />

E<strong>in</strong>e ausführliche Diskussion <strong>der</strong> Literatur soll an dieser Stelle nicht erfolgen, da dies bei Bedarf an<br />

<strong>der</strong> jeweiligen, <strong>in</strong>haltlich relevanten Stelle geschieht, so dass lediglich e<strong>in</strong>ige allgeme<strong>in</strong>e, wenn auch<br />

5 Das Argument, dass <strong>der</strong> Experte die Thematik <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en größeren Kontext e<strong>in</strong>ordnen bzw. „objektiver“ bewerten<br />

kann, ist nur im jeweiligen Diskurs möglich, <strong>der</strong> und dessen Kategorien ja eigentlich h<strong>in</strong>terfragt werden soll.<br />

6 Sie alle hatten Leitungsfunktionen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Organisation <strong>in</strong>ne und können somit als Experten gelten. Der Adm<strong>in</strong>istration<br />

Officer <strong>der</strong> Organisation (IntKS 12) war darüber h<strong>in</strong>aus zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebungen schon mehrere<br />

Jahre Mitglied <strong>in</strong> Freetown City Council.<br />

7


Gegenstandsbereich und Methodik <strong>der</strong> Untersuchung<br />

nicht unbedeutende Anmerkungen gemacht werden sollen. E<strong>in</strong> nicht unwesentlicher Teil <strong>der</strong><br />

Erkenntnis basiert auf grauer bzw. unveröffentlichter Literatur des GTZ-Büros Freetown/Sierra<br />

Leone. Diese war <strong>in</strong>sofern <strong>von</strong> elementarer Bedeutung, als dass sich große Teile <strong>der</strong> (jüngeren)<br />

über Sierra Leone veröffentlichten wissenschaftlichen Publikationen vor allem mit dem Krieg an<br />

sich beschäftigen. Zwar ist durchaus auch ausreichend Material zum Themenfeld Staatlichkeit<br />

vorhanden, was pr<strong>in</strong>zipiell den Kern <strong>der</strong> Arbeit trifft. Diese bleibt jedoch häufig auf <strong>der</strong> nationa-<br />

len Makroebene verhaftet. Darüber h<strong>in</strong>aus wurde auf Grund des elfjährigen Bürgerkrieges kaum<br />

Feldforschung betrieben, so dass diese Untersuchung nicht aus e<strong>in</strong>em Fundus <strong>von</strong> vorhandenen<br />

lokalen Erkenntnissen, wie etwa zur Situation <strong>von</strong> sozialen Netzwerken, schöpfen kann. Sie ist<br />

daher auf vergleichbare Literatur über an<strong>der</strong>e Regionen o<strong>der</strong> eigene empirische Erhebungen an-<br />

gewiesen. Daher kann diese Arbeit über die Beantwortung <strong>der</strong> Fragestellung h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>en Beitrag<br />

zur Schließung dieser Forschungslücke leisten.<br />

2.4 Anmerkungen zu Untersuchungsraum und -zeit<br />

Die Feldforschung <strong>in</strong> Freetown fand <strong>in</strong> den Monaten August und September 2007 statt, dem<br />

Höhepunkt <strong>der</strong> dortigen Regenzeit. Vor dem H<strong>in</strong>tergrund dieser Tatsache waren dem Forscher<br />

Grenzen gesetzt (Zugänglichkeit <strong>der</strong> Gebiete, Verspätungen auf Grund des Regens etc.). Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus fanden Anfang August 2007 Parlaments- und Präsidentschaftswahlen <strong>in</strong> Sierra Leone statt,<br />

wobei letztere erst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stichwahl Anfang September entschieden wurde. So waren Experten<br />

des politischen Systems bzw. <strong>der</strong> Verwaltung für Gespräche nur e<strong>in</strong>geschränkt verfügbar. Des<br />

Weiteren mussten auf Grund <strong>der</strong> im Zuge <strong>der</strong> Wahlen gespannten Sicherheitslage mehrtägige<br />

Unterbrechungen <strong>der</strong> Erhebungsphase bzw. e<strong>in</strong>e Konzentration auf „sichere“ Gebiete <strong>in</strong> Kauf<br />

genommen werden. Trotz <strong>der</strong> erschwerten Umstände, o<strong>der</strong> besser gerade deswegen, konnten e<strong>in</strong>i-<br />

ge <strong>in</strong>teressante Erkenntnisse gewonnen werden, die unter e<strong>in</strong>facheren Bed<strong>in</strong>gungen wohl unter<br />

den Tisch gefallen wären (vgl. Kapitel V.5.2.2, S. 114).<br />

2.5 Reflexion <strong>der</strong> angewandten Methodik<br />

E<strong>in</strong>e Stärke <strong>der</strong> Grounded Theory, nämlich die Übernahme <strong>von</strong> Kategorien, welche die Befragten<br />

zur Verfügung stellen, konnte nicht voll ausgespielt werden. Nahezu alle Gesprächspartner stan-<br />

den <strong>in</strong> engem Kontakt zur GTZ und bedienten sich so, das ist zum<strong>in</strong>dest me<strong>in</strong> E<strong>in</strong>druck, oftmals<br />

<strong>der</strong> Sprache des Entwicklungsdiskurses und übernahmen daher vielfach dessen Kategorien. Auch<br />

die eigene Nähe zur GTZ, die zwangsläufig e<strong>in</strong>em fremden (weißen) Forscher unterstellt wird,<br />

8


Gegenstandsbereich und Methodik <strong>der</strong> Untersuchung<br />

konnte zwar immer wie<strong>der</strong> dadurch negiert werden, dass ich me<strong>in</strong>e Autonomie herausstellte. Sie<br />

muss aber trotzdem als nicht unwesentliche Bee<strong>in</strong>flussung festgestellt werden. So kann nicht aus-<br />

geschlossen werden, dass mitunter gefällige Antworten gegeben wurden, die nicht <strong>in</strong> allen Fällen<br />

mit weiterem Nachfragen durch tiefere E<strong>in</strong>blicke ersetzt werden konnten. Zum an<strong>der</strong>en wurde<br />

ich als „Vertreter“ <strong>der</strong> EZ, <strong>der</strong> ich streng genommen ja auch war, vielfach als Instrument gesehen,<br />

die Wünsche <strong>der</strong> Befragten an die GTZ heranzutragen. Alternative Lösungsansätze bzw. Bewälti-<br />

gungsstrategien, die ohne Unterstützung <strong>der</strong> EZ zu verwirklichen wären, wurden mir möglicher-<br />

weise nicht mitgeteilt. Sonst hätte aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Befragten vielleicht die Gefahr bestanden,<br />

weniger Unterstützung zu erhalten (vgl. dazu das Selbsthilfeproblems, Kapitel III.2.2, S. 38)<br />

Die fortschreitende Auswahl <strong>der</strong> Interviewpartner erfolgte zwar durchaus nach dem Kriterium<br />

neuen Erkenntnisgew<strong>in</strong>ns (etwa die Befragung <strong>in</strong> unterschiedlichen Teilen <strong>der</strong> Stadt, vgl.<br />

Abbildung 20, S. 144), war aber zwangsläufig auch durch Pragmatismus geprägt. Das zeigt sich<br />

zum Beispiel daran, dass <strong>der</strong> Zugang bzw. die Term<strong>in</strong>vere<strong>in</strong>barung <strong>in</strong> manchen Fällen schlicht<br />

nicht möglich war. Beabsichtigte Gespräche, wie etwa mit weniger erfolgreichen MSEs, konnten<br />

nur <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gem Umfang geführt werden. Darüber h<strong>in</strong>aus war es mir nicht immer möglich bei<br />

Diskussionen <strong>in</strong> größerem Kreis den Inhalten zu folgen, da meist die gängige Verkehrssprache<br />

Krio verwendet wurde. Zwar wurden mir die Inhalte bereitwillig übersetzt, blieben aber so teilwei-<br />

se unvollständig bzw. wurden vom Übersetzer „verfälscht“, da dieser <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel durch die GTZ<br />

„sozialisiert“ war. Trotzdem blieben me<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung zu Folge ke<strong>in</strong>e zentralen Fragen offen<br />

und alle relevanten Gegenstandsbereiche konnten ausgeleuchtet werden.<br />

Trotz, o<strong>der</strong> besser gerade wegen <strong>der</strong> Kenntnis dieser nicht zu vernachlässigenden Schwächen eig-<br />

net sich me<strong>in</strong>es Erachtens das gewählte Instrumentarium, um die Fragestellung zu beantworten<br />

und um wichtige Erkenntnisse zu erhalten.<br />

3. Vorgehensweise<br />

Dazu sollen <strong>in</strong> Kapitel II zunächst die Grundzüge, relevanten theoretischen Erkenntnisse und<br />

zentralen Begrifflichkeiten <strong>der</strong> Neuen Institutionenökonomik (NIÖ) North’scher Prägung vorge-<br />

stellt werden. Diese sollen dann für e<strong>in</strong>e Untersuchung im Rahmen <strong>der</strong> geographischen Entwick-<br />

lungsforschung als auch für entwicklungspraktische Fragestellungen fruchtbar gemacht werden.<br />

Kapitel III dient <strong>der</strong> kritischen Reflexion <strong>von</strong> analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich,<br />

9


Gegenstandsbereich und Methodik <strong>der</strong> Untersuchung<br />

die über die Theorie <strong>der</strong> NIÖ h<strong>in</strong>ausgehen. Aus <strong>der</strong> größtenteils hegemonial geführten Debatte<br />

um prekäre Staatlichkeit sollen oftmals vernachlässigte, aber me<strong>in</strong>es Erachtens umso wesentlichere<br />

Erkenntnisse h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Fragestellung extrahiert werden. Nicht zuletzt auf dieser Basis soll<br />

dann e<strong>in</strong>e erste konzeptionelle Annäherung an den greifbaren Gegenstandsbereich <strong>der</strong> Untersu-<br />

chung erfolgen: <strong>der</strong> gesellschaftliche Umgang mit Müll, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> Län<strong>der</strong>n des Südens. Ka-<br />

pitel IV richtet den Fokus auf Sierra Leone respektive Freetown und liefert Rahmen<strong>in</strong>formatio-<br />

nen zum Untersuchungsraum. Dabei sollen die Ursachen <strong>der</strong> Prekarisierung des Staates Sierra<br />

Leone ebenso aufgezeigt werden wie die resultierenden Folgen und die als notwendig erachteten<br />

E<strong>in</strong>griffe externer Akteure. In Kapitel V werden die hypothesenrelevanten empirischen Ergebnisse<br />

<strong>der</strong> Arbeit dargelegt. Dazu werden zunächst Zielgruppe, Arbeitsweise und Funktion <strong>der</strong> Organisa-<br />

tion Kl<strong>in</strong> Salone und <strong>der</strong>en Rolle bei <strong>der</strong> Etablierung nachhaltiger Wirtschaftskreisläufe sowie bei<br />

<strong>der</strong> Lösung <strong>der</strong> Müllproblematik <strong>in</strong> Freetown betrachtet. Es wird aber auch zu sehen se<strong>in</strong>, welche<br />

spezifischen Faktoren die Ziele <strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone und die <strong>der</strong> daran beteiligten<br />

Kle<strong>in</strong>stunternehmen konterkarieren und somit e<strong>in</strong>er verbesserten Umweltsituation und <strong>der</strong> Etab-<br />

lierung nachhaltiger wirtschaftlicher Kreisläufe entgegenstehen. Dabei wird <strong>der</strong> politische Rah-<br />

men ebenso untersucht wie die Bedeutung alternativer Gesellschaftsorganisation und die <strong>in</strong>neror-<br />

ganisatorische Wirkung <strong>in</strong>formeller Regelwerke. Schließlich stehen jene Probleme im Fokus, die<br />

sich aus gesellschaftlichen Mustern im Umgang mit Müll ergeben. Im abschließenden Kapitel VI<br />

werden die zentralen empirischen Ergebnisse <strong>der</strong> Arbeit theoriegeleitet zusammengefasst und<br />

zusammengeführt, um die Fragestellung <strong>der</strong> Arbeit zu beantworten und um die Eignung des theo-<br />

retischen Rahmens für das konkrete Erkenntnis<strong>in</strong>teresse im Beson<strong>der</strong>en und für e<strong>in</strong>e geographi-<br />

sche Entwicklungsforschung im Allgeme<strong>in</strong>en zu überprüfen.<br />

10


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

II. Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

1. Innovationen <strong>der</strong> NIÖ<br />

Die Behandlung <strong>von</strong> Institutionen im Rahmen <strong>der</strong> Wirtschaftswissenschaften ist ke<strong>in</strong>eswegs auf<br />

die jüngste Vergangenheit beschränkt, wie man vermuten könnte, betrachtete man die Vergabe<br />

<strong>der</strong> Nobelpreise an zwei <strong>der</strong> Hauptvertreter dieses Forschungsgebietes, Ronald Coase und<br />

Douglass C. North, <strong>in</strong> den Jahren 1991 und 1993 als Ausgangspunkte <strong>der</strong> Diskussion. Zum e<strong>in</strong>en<br />

stammt Coase’ grundlegende Schrift „The Nature of the Firm“ bereits aus dem Jahr 1937, zum<br />

an<strong>der</strong>en waren Institutionen immer wie<strong>der</strong> Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Fragestel-<br />

lungen. Die Vergabe <strong>der</strong> Nobelpreise <strong>in</strong> den frühen neunziger Jahren ist vielmehr Ausdruck e<strong>in</strong>er<br />

zunehmenden Verdichtung <strong>von</strong> Beiträgen <strong>der</strong> Denkschule <strong>der</strong> NIÖ zur wissenschaftlichen De-<br />

batte und e<strong>in</strong>er Etablierung im Ma<strong>in</strong>stream <strong>der</strong> Wirtschaftswissenschaften. Von dort wird <strong>der</strong><br />

Ansatz immer öfter zur Behandlung entwicklungstheoretischer und entwicklungspraktischer<br />

Fragestellungen herangezogen und damit das auch auf diesem Feld lange Zeit dom<strong>in</strong>ante neoklas-<br />

sische Paradigma herausgefor<strong>der</strong>t. Dabei teilt die NIÖ mit <strong>der</strong> Knappheits- und Wettbewerbsan-<br />

nahme <strong>der</strong> Neoklassik den entscheidenden Kern ökonomischer Betrachtung und bewegt sich so<br />

durchaus <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Tradition. Jedoch erfolgt e<strong>in</strong>e Aufgabe <strong>der</strong> ausschließlichen Rationalität als<br />

grundlegende Verhaltensannahme und somit die Abkehr <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>stitutionenfreien Theorie<br />

(NORTH 1995: 17, VOIGT 2002: 28ff.).<br />

Die zentrale Verhaltensannahme <strong>der</strong> NIÖ beruht auf dem auf Max Weber und dessen Schüler<br />

Joseph Schumpeter zurückgehenden Methodologischen Individualismus. Darunter ist jenes Axi-<br />

om zu verstehen, welches annimmt, dass Menschen zunächst verschieden s<strong>in</strong>d, unterschiedliche<br />

Vorlieben, Ziele und Vorstellungen haben und diese <strong>in</strong> kollektiven Phänomenen wie Gesellschaft,<br />

Staat, Unternehmen, Parteien usw. reproduzieren. E<strong>in</strong>e Untersuchung sozialer Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

muss daher bei den Verhaltensformen des Individuums ansetzen, das so zum Ausgangspunkt <strong>der</strong><br />

neo<strong>in</strong>stitutionalistischen Analyse wird (FRAMBACH 2001: 12, RICHTER/FURUBOTN 2003: 3,<br />

VOIGT 2002: 28). Zunächst aber geht die NIÖ analog zur Neoklassik da<strong>von</strong> aus, dass Individuen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> sozialen Interaktion im Allgeme<strong>in</strong>en und beim wirtschaftlichen Tausch im Beson<strong>der</strong>en<br />

Eigen<strong>in</strong>teressen verfolgen und ihren Gew<strong>in</strong>n unter vorherrschenden Rahmenbed<strong>in</strong>gungen maxi-<br />

mieren wollen (RICHTER/FURUBOTN 2003: 3). Sie zeigen opportunistisches Verhalten, das sich<br />

11


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

im Verbergen <strong>der</strong> wahren Präferenzen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verfälschung <strong>von</strong> Daten und Ähnlichem zeigt<br />

(ebd.: 6). Erste zentrale Modifikation gegenüber den neoklassischen Verhaltensannahmen ist die<br />

Abkehr vom Paradigma vollkommener <strong>in</strong>dividueller Rationalität und die H<strong>in</strong>wendung zur un-<br />

vollkommenen <strong>in</strong>dividuellen Rationalität (bounded rationality) (ebd.: 4). Demnach s<strong>in</strong>d Men-<br />

schen im Vorfeld e<strong>in</strong>er beabsichtigten Tauschhandlung nicht fähig, alle theoretisch möglichen<br />

Alternativen wahrzunehmen, dabei alle Konsequenzen ihres Handelns abzuschätzen sowie e<strong>in</strong>e<br />

vollständige und konsistente Bewertung aller möglichen Ergebnisse im selben Augenblick und<br />

dabei ohne jede Kosten vorzunehmen (ERLEI/LESCHKE/SAUERLAND 1999: 9ff., VOIGT 2002: 29).<br />

Das Individuum verlässt sich vielmehr auf Rout<strong>in</strong>en, verhält sich regelgesteuert und begnügt sich<br />

mit zufrieden stellenden Ergebnissen. Die optimale, rationale Entscheidungsfähigkeit e<strong>in</strong>es Homo<br />

oeconomicus, dessen Modell zu viele handlungsrelevante Details unberücksichtigt lässt, wird <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

NIÖ damit negiert (ERLEI/LESCHKE/SAUERLAND 1999: 9ff., PRIDDAT 2005: 7f., VOIGT 2002:<br />

26).<br />

Die Abkehr <strong>von</strong> <strong>der</strong> Annahme <strong>der</strong> vollkommenen Rationalität führt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Konsequenz zum Auf-<br />

treten <strong>von</strong> Transaktionskosten, verstanden als Such- und Informationskosten, Verhandlungs- und<br />

Entscheidungskosten sowie Überwachungs- und Durchsetzungskosten. Diese muss das nicht all-<br />

wissende Individuum für Anbahnung, Aushandlung und Durchsetzung <strong>von</strong> Verträgen aufbr<strong>in</strong>gen<br />

(VOIGT 2002: 30f.). Dies ist die zweite entscheidende Modifikation <strong>der</strong> NIÖ gegenüber <strong>der</strong> neo-<br />

klassischen Grundannahme (ebd.: 29), welche dazu tendiert, „e<strong>in</strong>e ernsthafte Beschäftigung mit […]<br />

Transaktionskosten eher zu vermeiden“ (RICHTER/FURUBOTN 2003: 2). Existieren ke<strong>in</strong>e Transak-<br />

tionskosten, muss auch ke<strong>in</strong> Instrument geschaffen werden, um diese zu m<strong>in</strong>imieren bzw. zu be-<br />

seitigen. Institutionen werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> klassischen ökonomischen Betrachtung als nicht notwendig<br />

erachtet (ebd. und 13).<br />

Die NIÖ h<strong>in</strong>gegen macht Regelwerke zu entscheidenden Determ<strong>in</strong>anten wirtschaftlicher Ent-<br />

wicklung und analysiert die „Wirkung <strong>von</strong> Institutionen jeglicher Art auf das Verhalten <strong>der</strong> mit<br />

diesen Institutionen konfrontierten Akteure“ (ERLEI/LESCHKE/SAUERLAND 1999: Vorwort). Dazu<br />

soll <strong>in</strong> den folgenden Ausführungen zur Theorie <strong>der</strong> NIÖ und auch später bei <strong>der</strong> theoriegeleite-<br />

ten Deutung <strong>der</strong> empirischen Ergebnisse als Referenztheoretiker <strong>der</strong> NIÖ Douglass C. North<br />

herangezogen werden.<br />

12


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

2. Institutionen und <strong>der</strong>en Wandel bei Douglass C. North<br />

North gilt als e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> wichtigsten Vertreter <strong>der</strong> NIÖ und als <strong>der</strong> Vertreter <strong>der</strong> Diskussion über<br />

den <strong>in</strong>stitutionellen Wandel (FRAMBACH 2001: 4). Daher basieren me<strong>in</strong>e Ausführungen <strong>von</strong> nun<br />

an <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf Norths Werken „Institutionen, <strong>in</strong>stitutioneller Wandel und Wirtschaftsleis-<br />

tung“ (1988) und „Theorie des <strong>in</strong>stitutionellen Wandels. E<strong>in</strong>e neue Sicht <strong>der</strong> Wirtschaftsge-<br />

schichte“ (1992).<br />

Norths Anliegen besteht dar<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>heitlichen analytischen Rahmen und damit e<strong>in</strong> neues<br />

Instrumentarium zur Erklärung <strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> westlichen Welt anzubieten (FRAMBACH<br />

2001: 6, NORTH 1988: VII). Das impliziert gleichzeitig, dass er e<strong>in</strong>e Erklärung liefert, warum an-<br />

<strong>der</strong>e Gesellschaften bzw. Ökonomien sich nicht <strong>in</strong> dieser Weise entwickelt haben. Damit ist be-<br />

reits e<strong>in</strong> erster Bezug zur Entwicklungsforschung erkennbar. Im Zuge se<strong>in</strong>er Ausführungen be-<br />

schäftigt er sich mit <strong>der</strong> Frage, wie sich Ökonomien im Zeitablauf entwickeln, wobei er Elemente<br />

neoklassischer Ökonomik, <strong>der</strong> NIÖ und <strong>der</strong> Neuen Wirtschaftsgeschichte vere<strong>in</strong>t (FRAMBACH<br />

2001: 1). Er kritisiert dabei Ökonomen, die <strong>von</strong> ihrer Diszipl<strong>in</strong> als e<strong>in</strong>er Theorie <strong>der</strong> Wahlhand-<br />

lungen sprechen, was nicht berücksichtigt, dass es Ersche<strong>in</strong>ungen gibt, die eben diese Möglichkei-<br />

tenmenge beschränken: Institutionen (NORTH 1988: 207).<br />

Zwar gesteht NORTH <strong>der</strong> Neoklassik zu, bei <strong>der</strong> Analyse <strong>von</strong> Märkten <strong>in</strong> entwickelten Län<strong>der</strong>n<br />

wichtige Erkenntnisse geliefert zu haben, für weniger entwickelte Län<strong>der</strong> bleibt <strong>der</strong> Erklärungsge-<br />

halt jedoch ger<strong>in</strong>g (1992: 13). Da aber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität <strong>in</strong> großem Maße <strong>in</strong>effiziente Wirtschafts-<br />

ordnungen zu beobachten s<strong>in</strong>d, muss North e<strong>in</strong>e Methode zur Erklärung dieser Ineffizienz suchen<br />

(PRIDDAT 2005: 14). Diese sieht er nicht o<strong>der</strong> nur wenig erklärt, was er <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie darauf zu-<br />

rückführt, dass neoklassischen Ansätzen e<strong>in</strong> Verständnis für das Wesen menschlicher Koord<strong>in</strong>ati-<br />

on und Kooperation fehle (NORTH 1992: 13f.). Er stellt fest, dass die „traditionelle“ Herange-<br />

hensweise allen <strong>in</strong>teressanten Fragen ausweicht und somit e<strong>in</strong>e reibungslose Welt annimmt, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

soziale Regelwerke nicht nötig s<strong>in</strong>d, da e<strong>in</strong> vollkommen funktionieren<strong>der</strong> Markt sich als Grundla-<br />

ge jeden Tausches konstituiert: „Kurz gesagt, es gibt ke<strong>in</strong>e Informationskosten, ke<strong>in</strong>e Unsicherheit<br />

und ke<strong>in</strong>e Transaktionskosten“ (NORTH 1988: 5). Nach NORTH ist <strong>der</strong> wirtschaftliche Tausch<br />

aber mit Kosten verbunden (1992: 32). Wo<strong>von</strong> aber hängt die Höhe dieser Kosten ab und auf<br />

welche Art und Weise können sie m<strong>in</strong>imiert werden? E<strong>in</strong>e entscheidende Rolle spielen Instituti-<br />

onen, <strong>der</strong>en Wesen und Funktionen nun <strong>in</strong> differenzierter Form betrachtet werden sollen.<br />

13


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

2.1 Zweck <strong>von</strong> Institutionen<br />

„Institutionen s<strong>in</strong>d die Spielregeln e<strong>in</strong>er Gesellschaft o<strong>der</strong>, förmlicher ausgedrückt, die <strong>von</strong> Menschen<br />

erdachten Beschränkungen menschlicher Interaktion. […] Institutionen def<strong>in</strong>ieren und limitieren<br />

den Wahlbereich des e<strong>in</strong>zelnen“ (NORTH 1992: 3f.).<br />

Institutionen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> System <strong>von</strong> Regeln, Zustimmungsverfahren und moralischen bzw. ethi-<br />

schen Verhaltensnormen, die <strong>von</strong> Tabus bis h<strong>in</strong> zu Auffor<strong>der</strong>ungen reichen (NORTH 1988:<br />

207ff.). Sie bestehen aus formgebundenen und formlosen Beschränkungen, die e<strong>in</strong> zusammen-<br />

hängendes Netz bilden, das <strong>in</strong> verschiedenen Komb<strong>in</strong>ationen die Menge <strong>der</strong> Entscheidungsmög-<br />

lichkeiten für das Individuum <strong>in</strong> unterschiedlichen Situationen bestimmt (NORTH 1992: 82).<br />

Nötig werden Institutionen deshalb, weil dem menschlichen Gehirn <strong>in</strong> Verarbeitung, Ordnung<br />

und Nutzung <strong>von</strong> Informationen Grenzen gesetzt s<strong>in</strong>d. Um nicht bei je<strong>der</strong> zwischenmenschli-<br />

chen Interaktion diese komplett neu bewerten zu müssen, bilden sich Institutionen heraus. Diese<br />

vere<strong>in</strong>fachen die Komplexität <strong>von</strong> Handlungen, standardisieren sie gewissermaßen (ebd.: 31). Als<br />

Richtl<strong>in</strong>ien für menschliches Verhalten dienen sie dazu, zu wissen bzw. relativ leicht <strong>in</strong> Erfahrung<br />

br<strong>in</strong>gen zu können, wie man sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> sozialen Interaktion zu verhalten hat (ebd.: 4). Sie s<strong>in</strong>d<br />

somit repetitiver Art und sollen <strong>von</strong> jedem bei beliebiger Wie<strong>der</strong>holung je<strong>der</strong>zeit wie<strong>der</strong> verfolgt<br />

werden können und so auf Dauer gewährleistet se<strong>in</strong> (PRIDDAT 2005: 30). Das Beispiel Straßen-<br />

verkehr verdeutlicht diesen Sachverhalt anschaulich: Bewegt man sich mit e<strong>in</strong>em Fahrzeug auf<br />

öffentlichen Verkehrswegen fort, so ist im festlandeuropäischen Raum vorgeschrieben, sich auf<br />

<strong>der</strong> rechten Straßenseite zu halten. Die Institution Straßenverkehrsordnung bzw. das dar<strong>in</strong> ent-<br />

haltene „Rechtsfahrgebot“ erspart es uns jedes Mal, wenn uns e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Fahrzeug begegnet, In-<br />

formationen e<strong>in</strong>zuholen, sprich langsamer zu fahren, um noch rechtzeitig entscheiden zu können,<br />

wer <strong>von</strong> beiden nun auf welcher Seite am An<strong>der</strong>en vorbeifährt. Indem wir nicht jedes Mal bei<br />

e<strong>in</strong>er Begegnung mit e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Verkehrsteilnehmer abbremsen müssen, sparen wir Zeit.<br />

Zwar wird die Handlungsfreiheit des E<strong>in</strong>zelnen durch diese gesellschaftlich etablierte Institution<br />

e<strong>in</strong>geschränkt, die Regel verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t aber durch die Schaffung e<strong>in</strong>er gewissen Ordnung Unsicher-<br />

heiten <strong>in</strong> unserem täglichen Leben (NORTH 1992: 4). Die Freiheit aus allen Handlungsmöglich-<br />

keiten zu wählen wird e<strong>in</strong>getauscht gegen die Sicherheit des Rückgriffs auf e<strong>in</strong>en bestimmteren<br />

Handlungsmöglichkeitenbereich (PRIDDAT 2005: 28ff.). Das Individuum kann so rational mit<br />

14


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

Unsicherheiten umgehen (VOIGT 2002: 30). Hauptzweck <strong>der</strong> Institutionen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft<br />

ist die Schaffung e<strong>in</strong>er stabilen, dabei aber nicht notwendigerweise effizienten Ordnung 7 (NORTH<br />

1992: 6). Sie verm<strong>in</strong><strong>der</strong>n Unsicherheiten menschlicher Interaktion und schaffen so e<strong>in</strong>en höheren<br />

Konfidenzgrad <strong>der</strong> Realisation bestimmter Handlungsmöglichkeiten (PRIDDAT 2005: 28ff.). Da<br />

<strong>der</strong>artige Ordnungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vielzahl <strong>von</strong> Fällen nicht auf verschriftlichten Regelwerken beru-<br />

hen, muss e<strong>in</strong>e weitere Differenzierung vorgenommen werden.<br />

2.2 Formelle und <strong>in</strong>formelle Institutionen<br />

„S<strong>in</strong>d Institutionen formgebunden o<strong>der</strong> formlos? Sie können das e<strong>in</strong>e wie das an<strong>der</strong>e se<strong>in</strong>, […]<br />

formgebundene Beschränkungen – wie vom Menschen erdachte Regeln – als auch formlose Beschränkungen<br />

– wie Gepflogenheiten o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Verhaltenskodex“ (NORTH 1992: 4).<br />

Formgebundene (formelle) Institutionen umfassen dabei politische, rechtliche und wirtschaftli-<br />

che Regeln und Verträge (NORTH 1992: 56). Diese e<strong>in</strong>seitige Betrachtung <strong>von</strong> verschriftlichten<br />

Regelwerken würde aber zu kurz greifen, so dass e<strong>in</strong>e irreführende Vorstellung des Zusammen-<br />

hangs zwischen Regelwerk und Leistungen <strong>der</strong> entsprechenden Gesellschaft die Folge wäre (ebd.:<br />

64). In <strong>der</strong> sozialen Interaktion zeigt sich vielmehr e<strong>in</strong>e Ordnung, die ebenso auf Verhaltenskodi-<br />

zes, Sitten, Gebräuchen und Konventionen beruht (ebd.: 43). Im e<strong>in</strong>zelnen Tauschvorgang bei<br />

dem hierarchisch angeordnete formelle Regeln (Verfassungsnormen, Gesetze, Verordnungen<br />

usw.) subjektive Rechte bestimmen, komplettieren diese <strong>in</strong>formellen Institutionen den Hand-<br />

lungsrahmen. An<strong>der</strong>nfalls würde wegen <strong>der</strong> Kostspieligkeit <strong>der</strong> Messung e<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> Verträge<br />

unvollständig bleiben. Aus diesem Grund spielen auch formlose Beschränkungen e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Rolle, etwa e<strong>in</strong> guter Ruf, allgeme<strong>in</strong> akzeptierte Verhaltensregeln o<strong>der</strong> Konventionen (ebd.: 74).<br />

Dass diese <strong>in</strong>formellen Institutionen für sich genommen wichtig s<strong>in</strong>d, zeigt NORTH daran, dass<br />

dieselben formgebundenen Regeln bzw. Verfassungen <strong>in</strong> verschiedenen Gesellschaften zu unter-<br />

7 Das Stabilitätsargument bei gleichzeitiger Negierung e<strong>in</strong>er ubiquitären Effizienzfunktion f<strong>in</strong>det sehr gut Anschluss <strong>in</strong><br />

ELWERTs „Command State“ (2001) und TROTHAs „Basislegitimitäten“ (1995), die beide die Institution „überlegene<br />

Staatsgewalt“ (Recht <strong>der</strong> Autorität bzw. <strong>der</strong> Gewalt) als Grundlage e<strong>in</strong>er stabilen (Staats-) Ordnung sehen. Zwar wird<br />

bei ihnen das Effizienzkriterium nicht explizit erwähnt, es dürfte aber auf Grundlage empirischer Erfahrungen (Zimbabwe,<br />

Nordkorea etc.) deutlich werden, dass e<strong>in</strong>er auf Gewalt basierenden Ordnung hohe Kosten immanent s<strong>in</strong>d<br />

(etwa fehlen<strong>der</strong> Anreiz zur wirtschaftlichen Tätigkeit) und somit e<strong>in</strong>e Ordnung zwar stabil und verlässlich, aber (wirtschaftlich)<br />

kaum effizient se<strong>in</strong> kann.<br />

15


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

schiedlichen Ergebnissen führen 8 (ebd.: 43). „[F]ormlose […] Beschränkungen […] entstehen aus<br />

Information, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft weitergegeben wird, und s<strong>in</strong>d Teil jenes Erbes, das wir Kultur<br />

nennen“ 9 (ebd.: 44).<br />

Dabei stellt es sich jedoch weit weniger schwierig dar, formelle Regeln zu entwickeln, zu beschrei-<br />

ben und anzugeben als die <strong>in</strong>formellen Regelwerke, welche nahezu unmöglich zu erfassen und<br />

e<strong>in</strong>deutig festzustellen s<strong>in</strong>d (ebd.: 43). Da aber Wachstum und Entwicklung, gesellschaftliches<br />

Handeln im Allgeme<strong>in</strong>en, <strong>von</strong> formellen ebenso wie <strong>von</strong> <strong>in</strong>formellen Regeln bee<strong>in</strong>flusst wird, ist es<br />

zw<strong>in</strong>gend notwendig, formelle, <strong>in</strong>formelle und das Verhältnis dieser unterschiedlichen Ausprä-<br />

gung <strong>von</strong> Institutionen zu berücksichtigen (VOIGT 2002: 20). E<strong>in</strong> wesentlicher Unterschied zwi-<br />

schen beiden Ersche<strong>in</strong>ungsformen <strong>von</strong> Institutionen besteht dar<strong>in</strong>, dass formelle Regeln durch<br />

politische und gerichtliche Entscheidungen quasi über Nacht geän<strong>der</strong>t werden können, <strong>in</strong>formelle<br />

Regelwerke <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er vorsätzlichen Politik aber weit weniger zu bee<strong>in</strong>flussen s<strong>in</strong>d (NORTH 1992:<br />

7). So ist die Durchsetzbarkeit formeller Regeln an ihre Kompatibilität mit den gültigen <strong>in</strong>formel-<br />

len Regeln gekoppelt und nicht umgekehrt (VOIGT 2002: 20). Dabei können verschiedene Bezie-<br />

hungsmuster zwischen externen (Durchsetzung unter Rückgriff auf den Staat) und <strong>in</strong>ternen<br />

(Durchsetzung nicht unter Rückgriff auf den Staat) Institutionen ausgemacht werden: 1) e<strong>in</strong>e<br />

neutrale Beziehung bei unterschiedlichen Gegenstandsbereichen 2) e<strong>in</strong>e komplementäre Bezie-<br />

hung bei <strong>in</strong>haltlich ähnlicher o<strong>der</strong> gleicher Beschränkung und Überwachung <strong>der</strong> Regele<strong>in</strong>haltung<br />

durch Staat sowie Private 3) e<strong>in</strong>e substitutive Beziehung bei <strong>in</strong>haltlich ähnlicher o<strong>der</strong> gleicher Be-<br />

schränkung und Überwachung durch Staat o<strong>der</strong> Private sowie 4) e<strong>in</strong>e konfligierende Beziehung,<br />

wenn die Beachtung e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternen Institution mit dem Verstoß gegen e<strong>in</strong>e externe Institution<br />

8 Hier lohnt e<strong>in</strong> Blick auf das <strong>von</strong> den ehemaligen Kolonialmächten oktroyierte Regierungssystem, das im europäischen<br />

Raum zu diametral an<strong>der</strong>en Resultaten geführt hat, als <strong>in</strong> den unabhängig gewordenen afrikanischen Staaten.<br />

Weite Teile politikwissenschaftlicher Literatur (vgl. dazu exemplarisch ERDMANN 2001, TETZLAFF 2003, kritischer<br />

ENGEL 2004) erklären dies mit dem Konzept des Neopatrimonialismus, e<strong>in</strong>er „Hybridform <strong>von</strong> Herrschaft“, welche<br />

mit Instrumenten <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Staatlichkeit (formelle Institutionen!), wie e<strong>in</strong>er rationalen Bürokratie, vormo<strong>der</strong>ne<br />

(<strong>in</strong>formelle) Herrschaftsmethoden (Klientelismus, Personalisierung) stabilisiert, aber dabei selten mit demokratischen<br />

Wertemustern und <strong>der</strong> E<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong> Menschenrechte e<strong>in</strong>hergeht.<br />

9 North liefert somit me<strong>in</strong>es Erachtens e<strong>in</strong>en entscheidenden Beitrag zu e<strong>in</strong>em Cultural Turn <strong>in</strong> den Wirtschaftswissenschaften,<br />

da er die Bedeutung eben jener <strong>in</strong>formellen Institutionen betont, die Kultur ausmachen und diesen e<strong>in</strong>en<br />

hohen Stellenwert bei wirtschaftswissenschaftlichen Fragestellungen e<strong>in</strong>räumt.<br />

16


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

verbunden ist o<strong>der</strong> umgekehrt (ebd.: 40f.). Es s<strong>in</strong>d aber nicht nur unterschiedliche Beziehungs-<br />

muster, welche die Wirksamkeit <strong>von</strong> Institutionen bestimmen.<br />

2.3 Überwachung und Bestrafung<br />

„E<strong>in</strong> wesentlicher Aspekt <strong>der</strong> Wirkungsweise <strong>von</strong> Institutionen ist […] die Kostspieligkeit <strong>der</strong><br />

Feststellung <strong>von</strong> Übertretungen und die Schwere <strong>der</strong> Strafe. […] Manche […] s<strong>in</strong>d erfolgreich,<br />

weil sie die Regeln fortgesetzt missachten […]. Ob diese Strategie lohnt, hängt offensichtlich vom<br />

Erfolg e<strong>in</strong>er Überwachung und <strong>von</strong> <strong>der</strong> Schwere <strong>der</strong> Strafe ab“ (NORTH 1992: 4f.).<br />

Die E<strong>in</strong>haltung <strong>von</strong> Institutionen muss also kontrolliert werden. Dabei lassen sich nach VOIGT<br />

(2002: 36ff.) folgende Idealformen <strong>der</strong> Überwachung <strong>von</strong> Regeln unterscheiden: 1) Konventio-<br />

nen durch Selbstüberwachung, weil Regelbruch Nachteile für den Regelbrechenden bedeutet 2)<br />

ethische Regeln mit imperativer Selbstb<strong>in</strong>dung, die nicht auf zweckrationalem Kalkül beruht 3)<br />

Sitten mit spontaner Überwachung durch an<strong>der</strong>e Akteure 4) formelle private Regeln mit geplan-<br />

ter Überwachung durch an<strong>der</strong>e Akteure und 5) Regeln positiven Rechts durch organisierte staat-<br />

liche Überwachung. Wenn staatliche Institutionen und die damit e<strong>in</strong>hergehenden Sanktionen<br />

jedoch nicht durchsetzungsfähig s<strong>in</strong>d, wie dies idealtypisch für Fälle prekärer Staatlichkeit gilt<br />

(vgl. Kapitel III.1.1, S. 32), muss gesellschaftliche Interaktion (und die damit verbundene Re-<br />

gele<strong>in</strong>haltung) auf an<strong>der</strong>e Art und Weise sichergestellt werden.<br />

2.4 Institutionen und Organisationen<br />

Geson<strong>der</strong>ter Betrachtung bedürfen nun, und dabei zieht NORTH e<strong>in</strong>e Analogie aus dem Mann-<br />

schaftssport heran, die Spielregeln auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en und die teilnehmenden Spieler auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite (1992: 5). Die Spielregeln legen den Rahmen fest, auf welche Art und Weise das Spiel statt-<br />

f<strong>in</strong>det. Doch <strong>in</strong> diesem äußeren Rahmen kann durch Komb<strong>in</strong>ation <strong>von</strong> Können, Strategie und<br />

Koord<strong>in</strong>ation versucht werden, den Ausgang des Spiels zu den eigenen Gunsten zu bee<strong>in</strong>flussen.<br />

Die Spieler organisieren sich als Mannschaft, zusammengesetzt aus E<strong>in</strong>zelpersonen, aber mit ei-<br />

nem geme<strong>in</strong>samen Ziel: im Rahmen <strong>der</strong> Spielregeln möglichst erfolgreich zu agieren, und darüber<br />

h<strong>in</strong>aus zur Bee<strong>in</strong>flussung dieses Rahmens 10 (ebd.).<br />

10 Hier greift Norths Analogie zum Mannschaftssport dann sicherlich zu kurz.<br />

17


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

„Organisationen werden so angelegt, daß sie im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Ziele ihrer Grün<strong>der</strong> wirken“ (ebd.: 87). Sie<br />

s<strong>in</strong>d somit zweckgerichtete Gebilde mit <strong>der</strong> Intention, Vermögen, E<strong>in</strong>kommen aber auch an<strong>der</strong>e<br />

Zielgrößen zu maximieren. NORTH (1992: 5) subsumiert unter dem Begriff Organisation öffent-<br />

liche Körperschaften, wie politische Parteien, Stadträte o<strong>der</strong> Verwaltungsbehörden, Rechtsperso-<br />

nen des Wirtschaftslebens, wie Unternehmen, Gewerkschaften o<strong>der</strong> Genossenschaften, aber auch<br />

Familienbetriebe und Anstalten des Bildungswesens, wie Schulen o<strong>der</strong> Universitäten. Im An-<br />

schluss daran kann e<strong>in</strong>e Unterscheidung zwischen formgebundenen (formellen) Organisationen<br />

und formungebundenen (<strong>in</strong>formellen) Organisationen getroffen werden (RICHTER/FURUBOTN<br />

2003: 10). Informelle Zusammenschlüsse s<strong>in</strong>d beispielsweise Marktgeme<strong>in</strong>schaften, Geheimbün-<br />

de o<strong>der</strong> soziale Netzwerke.<br />

Aufgaben e<strong>in</strong>er Unternehmensführung s<strong>in</strong>d Marktschaffung und Marktbeobachtung, die Pro-<br />

duktbewertung o<strong>der</strong> die Koord<strong>in</strong>ation <strong>der</strong> Aktivitäten <strong>der</strong> Mitarbeiter. Tätigkeiten, die alle mit<br />

e<strong>in</strong>em Unsicherheitsfaktor belegt s<strong>in</strong>d und daher zur Bewältigung Investition <strong>in</strong> Information<br />

benötigen (NORTH 1992: 92). Im neoklassischen Modell besteht die Organisation (Firma) nur<br />

aus e<strong>in</strong>er Gew<strong>in</strong>nfunktion. Der Unterschied zum e<strong>in</strong>zelnen wirtschaftenden Individuum bleibt<br />

unklar. Mit Bezug auf COASE (1988: 38) und die NIÖ s<strong>in</strong>d die entscheidenden Charakteristika<br />

<strong>der</strong> Organisation aber die ihr <strong>in</strong>newohnenden hierarchischen Verhältnisse und die Koord<strong>in</strong>ation<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Handlungen. Beide verfolgen das Ziel, die Kosten <strong>der</strong> Nutzung des re<strong>in</strong>en<br />

Preismechanismus (<strong>der</strong> Annahme <strong>der</strong> Neoklassik) zu reduzieren. Diese Kosten entstehen <strong>in</strong> Folge<br />

<strong>der</strong> Aushandlung und des Abschlusses <strong>von</strong> Verträgen. Sie können beispielsweise durch Abschluss<br />

e<strong>in</strong>es langfristigen Vertrags durch die Organisation gespart werden, da nicht jedes e<strong>in</strong>zelne Indivi-<br />

duum bei je<strong>der</strong> Interaktion e<strong>in</strong>e neue Vere<strong>in</strong>barung treffen muss (COASE 1988: 38ff., ER-<br />

LEI/LESCHKE/SAUERLAND 1999: 65f.). Neben dem koord<strong>in</strong>ierten Handeln <strong>in</strong> vorgegebenem<br />

Rahmen, nehmen Organisationen darüber h<strong>in</strong>aus auch selbst E<strong>in</strong>fluss auf die Entwicklung des<br />

Regelwerkes (NORTH 1992: 5).<br />

2.5 Wandel <strong>von</strong> Institutionen<br />

E<strong>in</strong> weiterer Kritikpunkt an <strong>der</strong> Neoklassik ist <strong>der</strong> Vorwurf, dass diese ahistorisch argumentiere<br />

und damit den Faktor Zeit und so den Wandel <strong>von</strong> Institutionen nicht beachte (FRAMBACH<br />

2001: 9). „[I]m Zuge <strong>der</strong> Verfolgung ihrer Ziele [aber] verän<strong>der</strong>n Organisationen schrittweise die<br />

Institutionenordnung“ (NORTH 1992: 87). Die Aussicht auf Gew<strong>in</strong>n durch Modifikation be-<br />

18


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

stimmter Regelwerke ist Anreiz genug, diese auch tatsächlich durchzuführen bzw. zum<strong>in</strong>dest zu<br />

verfolgen (PRIDDAT 2005: 16). Die Organisation kann versuchen, Mittel <strong>in</strong> die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

vorhandenen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu <strong>in</strong>vestieren. Nun br<strong>in</strong>gt NORTH (1992: 83, dazu auch<br />

MORRISON ET AL. 2008: o. S.) die Machtkomponente <strong>in</strong>s Spiel: Formelle Institutionen können<br />

nur dann geän<strong>der</strong>t werden (etwa über politische o<strong>der</strong> gerichtliche Entscheidungen), wenn dies<br />

den Interessen <strong>der</strong>jenigen entspricht, welche ausreichend Verhandlungsmacht haben, diese Modi-<br />

fikationen auch durchzuführen. Im Unterschied dazu s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>formelle Institutionen durch e<strong>in</strong>e<br />

vorsätzliche Politik weit weniger leicht zu bee<strong>in</strong>flussen (NORTH 1992: 7). Bisher wurden formelle<br />

und <strong>in</strong>formelle Institutionen geson<strong>der</strong>t betrachtet. Gerade <strong>in</strong> ihrem Zusammenspiel jedoch sor-<br />

gen sie für e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Stabilität und än<strong>der</strong>n sich nur langsam (NORTH 1988: 211). Dass es<br />

aber nicht immer zu e<strong>in</strong>em Zusammenspiel kommen muss, zeigt das Verhältnis <strong>von</strong> formellen und<br />

<strong>in</strong>formellen Institutionen, das, wie gesehen, auch konfligierend se<strong>in</strong> kann. Im Umkehrschluss<br />

müsste dies dann zu gesellschaftlichen Konflikten und Instabilitäten führen. Darauf weist auch<br />

VOIGT (2002: 20) h<strong>in</strong>, <strong>der</strong> die Durchsetzung <strong>von</strong> wachstums- und entwicklungsför<strong>der</strong>nden Insti-<br />

tutionen durch die kulturelle Prägung <strong>der</strong> jeweiligen Gesellschaft beschränkt sieht. Än<strong>der</strong>ungen<br />

des <strong>in</strong>stitutionellen Rahmens „über Nacht“ sche<strong>in</strong>en dabei eher die Ausnahme zu se<strong>in</strong>, vielmehr<br />

kommt es häufiger zu schrittweisen und so langandauernden Verschiebungen <strong>in</strong> den Randzonen<br />

<strong>der</strong> Regelwerke:<br />

„Diese kle<strong>in</strong>en Än<strong>der</strong>ungen sowohl <strong>der</strong> formgebundenen Regeln wie <strong>der</strong> formlosen Beschränkungen<br />

werden im Lauf <strong>der</strong> Zeit den Institutionenrahmen allmählich verän<strong>der</strong>n, so daß er<br />

schließlich e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Menge <strong>von</strong> Entscheidungsmöglichkeiten vorstellt als am Anfang“<br />

(NORTH 1992: 83).<br />

Sowohl fundamentale als auch allmähliche Än<strong>der</strong>ungen bezeichnet er, wir s<strong>in</strong>d beim theoreti-<br />

schen Kern <strong>der</strong> North’schen Argumentation angekommen, als <strong>in</strong>stitutionellen Wandel. Dieser<br />

erfolgt immer dann, wenn neue Institutionen im Gegensatz zu den existierenden <strong>von</strong> den<br />

verhandlungs- und durchsetzungsmächtigen Akteuren als Gew<strong>in</strong>n versprechen<strong>der</strong> angesehen<br />

werden (FRAMBACH 2001: 12). Nun ist die Verhandlungs- bzw. Durchsetzungsmacht nicht aus-<br />

schließlich <strong>in</strong> Organisationen als handelnden E<strong>in</strong>heiten begründet. Institutionen s<strong>in</strong>d also nicht<br />

immer das Ergebnis e<strong>in</strong>es zielgerichteten Entwurfs e<strong>in</strong>er befugten Instanz, son<strong>der</strong>n können auch<br />

e<strong>in</strong>e „spontane“ Entstehung auf Grundlage des Eigen<strong>in</strong>teresses des E<strong>in</strong>zelnen se<strong>in</strong>, ohne Übere<strong>in</strong>-<br />

kunft, legislativen Zwang o<strong>der</strong> sogar ohne Berücksichtigung des öffentlichen Interesses (RICH-<br />

TER/FURUBOTN 2003: 8, VOIGT 2002: 35). Die höhere Stabilität weisen „spontane“ Institutionen<br />

19


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

auf (RICHTER/FURUBOTN 2003: 8), was seitens <strong>der</strong> <strong>in</strong> dieser Arbeit betrachteten Entwicklungs-<br />

zusammenarbeit unbed<strong>in</strong>gt berücksichtigt werden muss, aber nicht immer wird. Woran aber be-<br />

messen sich Effizienz und Gew<strong>in</strong>nerwartung <strong>von</strong> Institutionen?<br />

2.6 Institutionen und Transaktionskosten<br />

„Die Geschichte <strong>der</strong> wirtschaftlichen Entwicklung ist e<strong>in</strong>e Geschichte <strong>der</strong> Transaktionskostensenkung<br />

durch <strong>in</strong>stitutionellen Wandel“ (PRIDDAT 2005: 17).<br />

Transaktionskosten tauchen erstmals <strong>in</strong> RONALD COASE’ „The Nature of the Firm“ <strong>von</strong> 1937 als<br />

Kosten <strong>der</strong> Nutzung des Marktes auf, wobei sie begrifflich nicht explizit erwähnt werden, ihn aber<br />

trotzdem zum Vater <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Transaktionskostenökonomik machten (ER-<br />

LEI/LESCHKE/SAUERLAND 1999: 42). Sollte es ke<strong>in</strong>e Transaktionskosten geben, so se<strong>in</strong>e Argu-<br />

mentation, würde dies gleichbedeutend se<strong>in</strong> mit <strong>der</strong> Annahme e<strong>in</strong>es effizienten und kostenlosen<br />

Marktes auf dem Transaktionen dezentral ablaufen. Wenn diese Annahme wie<strong>der</strong>um zutreffen<br />

würde, gäbe es auch ke<strong>in</strong>e Firmen. Diese existieren nach COASE aber, da die Kosten <strong>der</strong> Nutzung<br />

des Marktes, also die Transaktionskosten, höher se<strong>in</strong> können als die Kosten, die sich durch organi-<br />

sierte Hierarchien <strong>in</strong> Firmen ergeben. Diese nutzen als Konsequenz daraus die Vorteile zentraler<br />

Planung (COASE 1988: 38ff., VOIGT 2002: 30, ERLEI/LESCHKE/SAUERLAND 1999: 42). Aber auch<br />

durch die Errichtung <strong>von</strong> Organisationen entstehen ihnen <strong>in</strong>härente Kosten, die <strong>der</strong> adm<strong>in</strong>istra-<br />

tiven Koord<strong>in</strong>ierung (RICHTER/FURUBOTN 2003: 12). Sie s<strong>in</strong>d somit <strong>in</strong>direkte Folge <strong>der</strong> Trans-<br />

aktionskosten.<br />

Transaktionskosten setzen sich zusammen aus „Kosten <strong>der</strong> Messung <strong>der</strong> wertvollen Attribute <strong>der</strong><br />

getauschten Gegenstände und den Kosten des Rechtsschutzes und <strong>der</strong> Überwachung und Durchset-<br />

zung <strong>von</strong> Vere<strong>in</strong>barungen“ (NORTH 1992: 32 und 35). Sie entstehen, weil Informationen kostspie-<br />

lig s<strong>in</strong>d und <strong>von</strong> den Tauschpartnern asymmetrisch gehalten werden (NORTH 1995: 18). Diese<br />

Messungs- und Erfüllungskosten s<strong>in</strong>d die Ursache für Institutionen sozialer, politischer und öko-<br />

nomischer Art (NORTH 1992: 32). Diese senken vor dem H<strong>in</strong>tergrund begrenzter Information<br />

und Rechenfähigkeit, also <strong>der</strong> Verhaltensannahme <strong>der</strong> bounded rationality, die Kosten <strong>der</strong><br />

menschlichen Interaktion (ebd.: 43). Beide Seiten e<strong>in</strong>es Tauschvorganges haben ja e<strong>in</strong> Interesse<br />

die Kosten <strong>der</strong> benötigten Informationen möglichst ger<strong>in</strong>g zu halten, so dass sich Tauschvorgänge<br />

annähernd automatisch vollziehen können (ebd.: 49). Transaktionskosten, die für Käufer und<br />

Verkäufer entstehen, s<strong>in</strong>d wie<strong>der</strong>um Ausdruck <strong>der</strong> <strong>in</strong>stitutionellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen (ebd.:<br />

20


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

76). Sie können dabei <strong>in</strong> leicht zu beobachtenden Dimensionen auftreten wie die Kosten, die<br />

durch den Markt laufen. Jedoch kommen sie ebenso häufig <strong>in</strong> kaum messbaren Ausprägungen vor<br />

wie Kosten durch Bestechung und Wartezeiten o<strong>der</strong> wie Verluste <strong>in</strong> Folge unvollkommener Ü-<br />

berwachung und Erfüllungssicherung (NORTH 1992: 83).<br />

„Diese schwer zu messenden Kosten lassen die genaue Ermittlung <strong>der</strong> gesamten Transaktionskosten,<br />

die auf e<strong>in</strong>e ganz bestimmte Institution zurückzuführen s<strong>in</strong>d, zum Problem werden“ (ebd.).<br />

Nun senken aber Institutionen Transaktionskosten nicht zwangsläufig, son<strong>der</strong>n „es gibt auch sol-<br />

che, die die Transaktionskosten erhöhen […]. Weil […] [<strong>der</strong>] Markt unvollkommen ist, s<strong>in</strong>d Instituti-<br />

onen überall e<strong>in</strong> Gemisch aus solchen, die die Kosten senken, und solchen, die sie erhöhen“ (ebd.: 76f.).<br />

Was aber offensichtlich se<strong>in</strong> dürfte ist <strong>der</strong> folgende Kausalzusammenhang: „[J]e höher die Trans-<br />

aktionskosten [s<strong>in</strong>d], desto ger<strong>in</strong>ger [ist] die Zahl <strong>der</strong> Transaktionen“ (VOIGT 2002: 31, NORTH<br />

1992: 81). Wirtschaftlicher Tausch und somit <strong>der</strong> Zugang zu Gütern wird reduziert. Was im Zu-<br />

ge dieser Feststellungen <strong>in</strong> das Zentrum des Interesses rückt, ist, wie sich Transaktionskosten <strong>in</strong><br />

verschiedenen Ausprägungen <strong>in</strong>stitutioneller Konfiguration verhalten:<br />

„[Denn] [s]tellt man [nun] die Gesamtheit <strong>der</strong> Institutionen <strong>in</strong> Län<strong>der</strong>n wie den Vere<strong>in</strong>igten<br />

Staaten, England, Frankreich, Deutschland und Japan denen <strong>in</strong> Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Dritten Welt o<strong>der</strong><br />

denen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit <strong>der</strong> hochentwickelten Industrielän<strong>der</strong>n gegenüber, so wird […] klar,<br />

daß dieser <strong>in</strong>stitutionelle Rahmen ausschlaggebend ist für den relativen Erfolg <strong>von</strong> Wirtschaften“<br />

(NORTH 1992: 84).<br />

Man ist an <strong>der</strong> Stelle <strong>der</strong> entwicklungstheoretischen Relevanz <strong>von</strong> Institutionen und ihrer perso-<br />

nifizierten Kehrseite, <strong>der</strong> Organisation (ERLEI/LESCHKE/SAUERLAND 1999: 25), im Allgeme<strong>in</strong>en<br />

und <strong>der</strong> <strong>von</strong> Transaktionskosten im Beson<strong>der</strong>en angelangt.<br />

3. Entwicklungstheoretische Relevanz <strong>der</strong> NIÖ<br />

In den Schriften, die <strong>der</strong> NIÖ zugeschrieben werden können, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e bei North, s<strong>in</strong>d bereits<br />

viele Anknüpfungspunkte an die geographische Entwicklungsforschung angelegt, jedoch me<strong>in</strong>es<br />

Erachtens auch zwei zentrale Schwachstellen zu f<strong>in</strong>den. Zum e<strong>in</strong>en bleibt <strong>der</strong> North’sche Ansatz<br />

trotz mehrfacher Akteursbezüge, die aber <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> Verdeutlichung se<strong>in</strong>er Argumentati-<br />

on dienen, bei <strong>der</strong> Erklärung <strong>von</strong> Entwicklung vorrangig auf makroökonomischer Ebene verhaf-<br />

tet. Zum an<strong>der</strong>en erklärt North nur wirtschaftliche Entwicklung, was zwar den genu<strong>in</strong>en Gegens-<br />

tandsbereich <strong>von</strong> Ökonomen darstellt, für darüber h<strong>in</strong>ausreichende Annäherung an entwick-<br />

21


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

lungsrelevante Fragestellungen aber weite Bereich unberücksichtigt lässt. Hier versucht diese Un-<br />

tersuchung als Teil <strong>der</strong> geographische Entwicklungsforschung die NIÖ mit handlungsorientierten<br />

Ansätzen zu verb<strong>in</strong>den und damit für akteursbezogene, multisektorale Fragestellungen fruchtbar<br />

zu machen.<br />

3.1 Unzulänglichkeiten handlungsorientierter Ansätze <strong>der</strong> Entwicklungsforschung<br />

Nachdem die Phase <strong>der</strong> Orientierungslosigkeit <strong>der</strong> 1980/1990er Jahre h<strong>in</strong>sichtlich Theoriebezü-<br />

gen überwunden werden konnte, erkennt KRÜGER (2003: 6) drei wesentlichen Merkmalen sich<br />

herausbilden<strong>der</strong> neuerer Ansätze <strong>der</strong> geographischen Entwicklungsforschung: 1) e<strong>in</strong>e multisekt-<br />

orale und mehrere Maßstabsebenen umfassende Betrachtungsweise des Untersuchungsgegenstan-<br />

des 2) den Anwendungsbezug und die entwicklungsstrategische Relevanz <strong>der</strong> Betrachtungen und<br />

schließlich 3) die H<strong>in</strong>wendung zu akteurs- und handlungsorientierten Ansätzen, <strong>in</strong> denen Hand-<br />

lungsspielräume, -rationalitäten, -entscheidungen und -folgen <strong>der</strong> <strong>in</strong>volvierten Akteure untersucht<br />

werden. Alle drei Eigenheiten werden auch <strong>in</strong> dieser Untersuchung zu f<strong>in</strong>den se<strong>in</strong>, die sich somit<br />

als Beitrag zur neueren geographischen Entwicklungsforschung sieht. Dabei ermöglicht die Ver-<br />

b<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> NIÖ mit handlungsorientierten Ansätzen me<strong>in</strong>es Erachtens die notwendige und<br />

gleichberechtigte Berücksichtigung struktureller Faktoren, <strong>der</strong>en tatsächliche Relevanz im Gefolge<br />

des E<strong>in</strong>zugs Giddens’scher Handlungstheorie <strong>in</strong> die Entwicklungsforschung laut DÖRF-<br />

LER/GRAEFE/MÜLLER-MAHN (2003) nicht ausreichend Beachtung erfährt 11 . Diese Arbeit soll<br />

diesem Problem Rechnung tragen und sieht sich daher an <strong>der</strong> Schnittstelle <strong>von</strong> structure und agen-<br />

cy (BOHLE 2007: 24).<br />

E<strong>in</strong>e Arbeitsrichtung dieser neueren handlungstheoretisch ausgerichteten Ansätze s<strong>in</strong>d Verwund-<br />

barkeits- und im Anschluss daran Livelihood-Studien mit deutlichen Fokus auf dem Haushalt als<br />

handelndes Subjekt (KRÜGER 2003: 6f.). An dieser Stelle soll letzterer <strong>in</strong> aller Kürze vorgestellt<br />

11 Die Giddens’sche Handlungstheorie basiert unter an<strong>der</strong>em darauf, dass sie annimmt, dass „die sche<strong>in</strong>bar so festen<br />

Strukturen entstehen und vergehen und kont<strong>in</strong>uierlich durch die Akteure verän<strong>der</strong>t werden.“ (JOAS/KNÖBl 2004: 403,<br />

Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al). Diese durch die Akteure immer wie<strong>der</strong> bewusst o<strong>der</strong> unbewusst vorangetriebene Än<strong>der</strong>ung<br />

bezeichnet er als Strukturierung (ebd.: 413). Diese Strukturierung möchte ich <strong>in</strong> dieser Arbeit als agency verstehen.<br />

Dem Gegenüber stehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Soziologie Theorien, welche die Strukturen (structure) als konstituierende Merkmale<br />

gesellschaftlicher Reproduktion auffassen und die e<strong>in</strong>e Handlungsautonomie pr<strong>in</strong>zipiell negieren (ebd. 403).<br />

22


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

werden, ehe er dann auf theoretischer Ebene im Zuge <strong>der</strong> Verknüpfung mit <strong>der</strong> NIÖ um e<strong>in</strong>e<br />

strukturelle Betrachtungsweise erweitert werden.<br />

Der Susta<strong>in</strong>able Livelihoods Approach (vgl. auch DFID 1999) kann <strong>in</strong> <strong>der</strong> wissenschaftlichen Be-<br />

trachtung gewissermaßen als Reaktion auf die Kritik des Verwundbarkeitsansatzes, vor allem h<strong>in</strong>-<br />

sichtlich Operationalisierbarkeit und Messbarkeit <strong>von</strong> Vulnerabilität gedeutet werden (KRÜGER<br />

2003: 10f.). Er betrachtet den gesamten Verwundbarkeitskontext e<strong>in</strong>es Haushaltes und dessen<br />

Nachhaltigkeit im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Sicherung <strong>der</strong> immateriellen und materiellen Vermögenswerte sowie<br />

<strong>der</strong> natürlichen Ressourcenbasis. Die Stress- und Schockabfe<strong>der</strong>ung basiert dabei auf e<strong>in</strong>em Le-<br />

benshaltungssystem, ausgestattet mit fünf Ressourcenbündeln: 1) Humankapital (Wissen, Fähig-<br />

keiten, Fertigkeiten, Gesundheit etc.) 2) Naturkapital (Land, Wasser, Böden, Biodiversität etc.)<br />

3) Sozialkapital (soziale Netzwerke, Status, Vertrauensverhältnisse etc.) 4) Sachkapital (Infra-<br />

struktur, Produktionsmittel, Wohnraum etc.) und 5) F<strong>in</strong>anzkapital (E<strong>in</strong>kommen, Ersparnisse,<br />

Kreditzugang etc.). Die Betrachtung dieser Ressourcen (auch assets o<strong>der</strong> Aktiva) ermöglicht e<strong>in</strong>e<br />

Analyse des Überlebenshandelns Verwundbarer und zeigt darüber h<strong>in</strong>aus Ansatzpunkte für ex-<br />

terne Interventionen auf (KRÜGER 2003: 11).<br />

Aber auch <strong>der</strong> Susta<strong>in</strong>able Livelihoods Approach bleibt wegen se<strong>in</strong>er Schwächen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Diskussion.<br />

So s<strong>in</strong>d materielle und soziale Strukturen die zentralen Stützen <strong>der</strong> Lebensabsicherung. Drohen<br />

sie wegzubrechen setzt nach dem Modell die Krise e<strong>in</strong>. Diese Sichtweise f<strong>in</strong>det Entsprechung <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Funktionalismus, kann jedoch nicht Beweggründe bzw. das Scheitern <strong>von</strong> Handlungsrati-<br />

onalitäten erklären, wie etwa die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen des <strong>in</strong>dividuellen Handelns (ebd.: 11f.).<br />

Die Livelihood-Konzeption ist ke<strong>in</strong> erklären<strong>der</strong> Ansatz, son<strong>der</strong>n eher e<strong>in</strong> Analyse<strong>in</strong>strument, das<br />

mit Erklärungen verknüpft werden muss (DÖRFLER/GRAEFE/MÜLLER-MAHN 2003: 13). Sonst<br />

bleibt er e<strong>in</strong> positivistischer Ansatz, im S<strong>in</strong>ne <strong>von</strong> im Vorfeld def<strong>in</strong>ierten Bed<strong>in</strong>gungen (assets), <strong>der</strong><br />

dann auf dieser Basis e<strong>in</strong>en Befund liefert. Daher sollte man bei <strong>der</strong> empirischen Herangehenswei-<br />

se besser analysieren, „was wird gemacht“ bzw. „wo liegen die Probleme“ als „welche assets s<strong>in</strong>d<br />

vorhanden/nicht vorhanden“. Es ist zu betrachten, wie diese Aktiva mit bestimmten Strategien<br />

mobilisiert werden können. E<strong>in</strong>e implizierte Wahlfreiheit muss dabei aber nicht zwangsläufig<br />

vorhanden se<strong>in</strong>. Entscheidend wird also die Frage, „warum und wie <strong>der</strong> Zugang zu den assets funk-<br />

tioniert?“. Daher muss die Analyse <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Handlungsebene mit <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong><br />

gesellschaftlichen und makroökonomischen Strukturen verknüpft werden (DÖRF-<br />

23


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

LER/GRAEFE/MÜLLER-MAHN 2003). An dieser Stelle rücken Institutionen <strong>in</strong> den Fokus <strong>der</strong> geo-<br />

graphischen Entwicklungsforschung und die Herangehensweise <strong>der</strong> NIÖ wird zum geeigneten<br />

Analyse<strong>in</strong>strument.<br />

3.2 NIÖ und unsichere <strong>in</strong>stitutionelle Konfigurationen<br />

Dabei ist die Befassung mit <strong>der</strong> Institutionenthematik nicht neu, im Gegenteil, viele geographi-<br />

sche Arbeiten 12 , nicht nur im Rahmen <strong>der</strong> geographischen Entwicklungsforschung, haben sich<br />

implizit und explizit mit Institutionen beschäftigt (MÜLLER-BÖKER 2001: 2). Für entwicklungsre-<br />

levante Fragestellungen wird nun ausgehend vom Livelihood-Ansatz die NIÖ aufgegriffen und <strong>in</strong><br />

Konzepte zur Erklärung sozialer Vulnerabilität <strong>in</strong>tegriert. Individuelles Handeln und Überlebens-<br />

sicherung werden nicht mehr nur durch die Anwesenheit <strong>von</strong> Ressourcen bzw. Aktiva begründet,<br />

son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong> System kollektiver Regeln e<strong>in</strong>gebunden, welches aus formellen und <strong>in</strong>formellen<br />

Bestimmungen besteht, soziales Handeln bestimmt und damit e<strong>in</strong>e Schlüsselrolle für politische,<br />

soziokulturelle und ökonomische Entwicklung spielt (KRÜGER 2003: 12). Es geht nicht mehr nur<br />

darum, den Wert und die Produktivität <strong>der</strong> assets zu berücksichtigen, son<strong>der</strong>n um die Optionen,<br />

E<strong>in</strong>schränkungen und Kosten, denen Menschen gegenüber stehen, die diese Aktiva verwenden<br />

wollen (Morrison et al. 2008: o. S.). Doch ist dies ke<strong>in</strong>e neue Erkenntnis, obwohl e<strong>in</strong>e Verdich-<br />

tung <strong>der</strong> wissenschaftlichen Debatte erst <strong>in</strong> jüngster Zeit stattgefunden hat. Bereits <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Auf-<br />

satz „Informelle Institutionen versus Entwicklung. Plädoyer für detaillierte empirische Regional-<br />

forschung als Grundlage entwicklungsstrategischer Überlegungen und projektbezogener Maß-<br />

nahmen“ <strong>von</strong> 1986 weist SCHOLZ darauf h<strong>in</strong>, dass <strong>in</strong>formelle Institutionen e<strong>in</strong> wesentliches Ele-<br />

ment <strong>der</strong> jeweiligen Gesellschaften und Ökonomien darstellen und dass <strong>der</strong>en Bedeutung als Re-<br />

gelwerk im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umgang nicht hoch genug zu veranschlagen ist<br />

(285ff., auch SCHOLZ 2004: 164). Diese Institutionen müssen, da sie nicht e<strong>in</strong>fach beseitigt o<strong>der</strong><br />

ignoriert werden können, beson<strong>der</strong>e Berücksichtigung und Behandlung erfahren. Und durchaus<br />

12 Vergleiche etwa die Beiträge im Themenheft <strong>der</strong> Geographica Helvetica (Jg. 56. 2001/Heft 1), die sich auf Grundlage<br />

<strong>der</strong> Neuen Institutionenökonomik mit unterschiedlichen Fragen h<strong>in</strong>sichtlich Dezentralisierungsprozessen, Landkonflikten<br />

sowie Naturschutz und Entwicklung beschäftigen; LINDER (1999) legt se<strong>in</strong>er Dissertation „Räume und<br />

Regeln unternehmerischen Handelns. Industrieentwicklung <strong>in</strong> Paläst<strong>in</strong>a aus <strong>in</strong>stitutionenorientierter Perspektive.“ die<br />

Arbeiten North’ zu Grunde: „Wenn die <strong>in</strong>stitutionelle Konfiguration e<strong>in</strong>er Gesellschaft für die Leistung <strong>der</strong> Wirtschaft<br />

entscheidend verantwortlich ist, dann liegt es nahe, Entwicklungsprobleme auf diese Konfiguration zurückzuführen“<br />

(LINDNER 1999: 22).<br />

24


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

wurden die wissenschaftlichen Fachdiskussionen seit den 1990er Jahren über soziologische, poli-<br />

tikwissenschaftliche und (<strong>in</strong>stitutionen-) ökonomische Diszipl<strong>in</strong>grenzen h<strong>in</strong>weg vor allem über<br />

Wertesysteme, Herrschaftsstrukturen und an<strong>der</strong>e <strong>in</strong>stitutionelle Voraussetzungen und <strong>der</strong>en<br />

Bedeutung für Entwicklung diskutiert (JAKOBEIT 2004: 90). Auch HYDEN sieht die Beantwor-<br />

tung se<strong>in</strong>er Frage „Why Africa f<strong>in</strong>ds it so hard to develop“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Kultur<br />

und <strong>der</strong> <strong>in</strong>formellen Institutionen (2004: 692). Dafür ist e<strong>in</strong>e detaillierte empirische Regionalfor-<br />

schung die unbed<strong>in</strong>gte Voraussetzung (SCHOLZ 1986: 295). Die geographische Fokussierung ent-<br />

wicklungsrelevanter Fragestellungen auf Basis <strong>in</strong>stitutionenzentrierter Ansätze erhält ihre Legiti-<br />

mität.<br />

Die entwicklungsgeographische Heranziehung <strong>der</strong> NIÖ geht nun da<strong>von</strong> aus, dass es unzulängliche<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>seitige Regelungen gibt, die zur Destabilisierung <strong>der</strong> Rahmenstrukturen menschlicher<br />

Interaktion führen können, mit <strong>der</strong> Folge <strong>der</strong> Erosion <strong>der</strong> Lebensabsicherung. Existenzgefährdun-<br />

gen s<strong>in</strong>d somit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dom<strong>in</strong>anz bestimmter Institutionen begründet, die die Gleichwertigkeit<br />

<strong>von</strong> Lebensbed<strong>in</strong>gungen beschränken bzw. verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n (KRÜGER 2003: 12). Normatives Ziel muss<br />

nach MÜLLER-BÖKER (2001: 2) daher die Lösung gesellschaftlicher Disparitäten und Konflikte<br />

se<strong>in</strong> und zwar durch Schaffung und För<strong>der</strong>ung <strong>in</strong>stitutioneller Regelungen, um den Individuen<br />

gerechten und nachhaltigen Zugang zu Ressourcen zu ermöglichen. Es geht also nicht mehr vor-<br />

rangig um die bloße Vermehrung <strong>der</strong> Ressourcen (availibility), son<strong>der</strong>n um Zugangsrechte im<br />

S<strong>in</strong>ne des Entitlement-Ansatzes (SEN 1981). Institutionen s<strong>in</strong>d so <strong>der</strong> Filter zwischen dem E<strong>in</strong>zel-<br />

nen und dem Kapitalbestand (NORTH 1988: 207). In <strong>der</strong> orig<strong>in</strong>ären NIÖ s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />

wirtschaftliche Leistung und <strong>der</strong> Zugang zu F<strong>in</strong>anzkapital geme<strong>in</strong>t. E<strong>in</strong>e holistische Entwick-<br />

lungsforschung kann im Zuge <strong>der</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit <strong>der</strong> NIÖ h<strong>in</strong>gegen auf an<strong>der</strong>e gesellschaftliche<br />

Bereiche erweitert werden und auf diese Weise Entwicklung und (Nicht-) Aktivierbarkeit <strong>von</strong><br />

Sozial-, Human, Natur- und Sachkapital erklären.<br />

Dabei lassen sich unter Bezugnahme und Modifikation 13 <strong>der</strong> Erkenntnisse NORTHS (1992) drei<br />

Grundmuster <strong>in</strong>stitutioneller Konfigurationen identifizieren, welche die gesellschaftliche und<br />

13 North geht immer <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er vorhandenen Kontroll<strong>in</strong>stanz aus, die Verstöße gegen die Regeln sanktioniert. Außerdem<br />

impliziert er gleiche Ausgangsbed<strong>in</strong>gungen und gleiche Regelwerke nach denen gespielt wird. Im Entwicklungskontext<br />

s<strong>in</strong>d diese Prämissen aber oftmals nicht gegeben (KRÜGER 2003: 12).<br />

25


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

<strong>in</strong>dividuelle Anfälligkeit erhöhen und zu Existenzkrisen führen können (KRÜGER 2003: 12f., vgl.<br />

Abbildung 1, S. 26):<br />

Sozialraum<br />

Institution A<br />

Institutionelle Opulenz<br />

Verhaltenskanalisation<br />

durch Institution A,<br />

konterkariert durch Institution B<br />

Handeln Handeln<br />

Erhöht<br />

Unsicherheit<br />

&<br />

TAK<br />

Institution B<br />

z.B.<br />

trad. Bodenrecht vs. staatl. Landvergabe<br />

TAK: Transaktionskosten<br />

TYP I<br />

TYP II<br />

Sozialraum<br />

Externe Institution B<br />

Erhöht<br />

Unsicherheit<br />

&<br />

TAK<br />

Institutionelle Leere<br />

Verhaltenskanalisation<br />

im Sozialraum aufgehoben<br />

Abbildung 1: Idealtypische Ausprägung kritischer <strong>in</strong>stitutioneller Konfigurationen (eigene Darstellung)<br />

Erstens die Überlagerung unterschiedlicher <strong>in</strong>stitutioneller Regelungen (<strong>in</strong>stitutionelle Opulenz)<br />

mit <strong>der</strong> Folge <strong>von</strong> Unsicherheit, Ungerechtigkeit und Konflikten. MUMMERT (1998: 38) stellt<br />

fest, dass bei Nichtvere<strong>in</strong>barkeit <strong>von</strong> staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen die (Tran-<br />

saktions-) Kosten <strong>der</strong> Nutzung des Systems steigen. DOEVENSPECKs <strong>in</strong>stitutionenzentrierte Kon-<br />

fliktanalyse und Diskussion <strong>der</strong> Relevanz <strong>von</strong> Institutionenpluralismen (2005 und 2006) stellt<br />

unter an<strong>der</strong>em am Beispiel <strong>von</strong> Landbesitz <strong>in</strong> Migrantensiedlungen fest, dass unklare <strong>in</strong>stitutio-<br />

nelle Vorgaben zu Instabilitäten <strong>in</strong> politischen Strukturen führen (2006: 51). Dabei herrscht e<strong>in</strong>e<br />

Multiplizität <strong>von</strong> Entscheidungs<strong>in</strong>stanzen, die die Möglichkeit des „<strong>in</strong>stitution shopp<strong>in</strong>g“ eröffnen,<br />

im Zuge dessen sich die Akteure entsprechend ihrer partikularen Interessen an unterschiedliche<br />

Instanzen wenden (ebd.: 54). Das duale Rechtssystem <strong>der</strong> Landnutzung im subsaharischen Afrika<br />

ist das Paradebeispiel zur Darstellung <strong>der</strong> Problembeladenheit nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> existieren<strong>der</strong> Re-<br />

gelwerke (KRÜGER 2003: 12, MÜLLER-BÖKER 2001: 2f.). In Folge <strong>der</strong> Parallelität verschiedener<br />

Institutionen bei zunehmen<strong>der</strong> Knappheit <strong>von</strong> Ressourcen werden Konflikte wahrsche<strong>in</strong>lich, bei<br />

Lokale Institution A<br />

z.B.<br />

EZ-Maßnahmen vs. lokale Problemlösung<br />

Sozialraum<br />

Konflikt<br />

Handeln<br />

Individuum 1<br />

Erhöht<br />

Unsicherheit<br />

& TAK<br />

Handeln<br />

Individuum 2<br />

z.B.<br />

fehlende rechtliche<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

für wirtschaftlichen Tausch<br />

26


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

denen beson<strong>der</strong>s die Bevölkerungsgruppen benachteiligt s<strong>in</strong>d, die sich auf e<strong>in</strong>e unterlegene <strong>in</strong>sti-<br />

tutionelle Regelung berufen (müssen) (KRÜGER 2003: 12).<br />

E<strong>in</strong>en Spezialfall <strong>in</strong>stitutioneller Opulenz, und damit e<strong>in</strong>e zweite Möglichkeit e<strong>in</strong>er unsicheren<br />

Konfiguration <strong>von</strong> Institutionen, bildet sich <strong>in</strong> Folge <strong>der</strong> externen Regulierung lokaler Prozesse<br />

durch vom lokalen Raum- und Handlungskontext abgekoppelte Institutionen aus, die damit die<br />

Existenzsicherung lokaler Akteure bee<strong>in</strong>trächtigen können (KRÜGER 2003: 13). Die h<strong>in</strong>ter den<br />

Fremde<strong>in</strong>griffen stehenden Akteure s<strong>in</strong>d dadurch charakterisiert, dass sie vorhandene Regelwerke<br />

nicht wahrnehmen bzw. abwerten und übergehen. Die Verhandlung <strong>der</strong> <strong>in</strong>stitutionellen Verhält-<br />

nisse wird wenn überhaupt außerhalb des lokalen Kontextes geführt und wird oft paternalistisch<br />

legitimiert. E<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> Kritik an unterschiedlichsten Formen <strong>der</strong> Entwicklungszusammen-<br />

arbeit beruht auf dieser Argumentation.<br />

Neben den beiden Ausprägungen <strong>in</strong>stitutioneller Opulenz können Regelungen aber auch gänzlich<br />

fehlen bzw. unwirksam se<strong>in</strong> („<strong>in</strong>stitutionelle Leere“). Diese dritte idealtypische <strong>in</strong>stitutionelle<br />

Konfiguration ist vor allem für gesellschaftliche Transformationsphasen kennzeichnend und da-<br />

her ebenso für die im Rahmen dieser Untersuchung behandelte Postkonfliktgesellschaft Sierra<br />

Leone relevant. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: 1) Bisher gültige Regelwerke werden ungültig<br />

und nicht ersetzt o<strong>der</strong> 2) Neue Regelwerke werden <strong>in</strong> Folge <strong>von</strong> jüngsten Entwicklungen nicht<br />

h<strong>in</strong>reichend schnell umgesetzt. In beiden Fällen s<strong>in</strong>d unkontrollierte, nicht sanktionierbare<br />

Handlungsmöglichkeiten mit e<strong>in</strong>hergehen<strong>der</strong> erhöhter Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit <strong>von</strong> Konflikten und<br />

Unsicherheiten die Folge (KRÜGER 2003: 13).<br />

Bei <strong>der</strong> Betrachtung <strong>von</strong> Gesellschaft durch die Brille <strong>der</strong> NIÖ im Zuge e<strong>in</strong>er (geographischen)<br />

Entwicklungsforschung wird nach MORRISON ET AL. (2008: o. S.) die große Bandbreite <strong>von</strong> Insti-<br />

tutionen erfasst, gleichgültig ob <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationalem o<strong>der</strong> nationalem Maßstab. Auch Gen<strong>der</strong>-<br />

Beziehungen und Untersuchungen auf Community- und Haushaltsebene mit dem Ergebnis <strong>von</strong><br />

Erkenntnissen über die Folgen <strong>in</strong>stitutionellen Wandels auf Ressourcenzugang, -verwendung und<br />

-produktivität und damit auf die Lebenswelt des Individuums werden möglich (ebd.). Die NIÖ<br />

gewährt so E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e mögliche Diskrepanz zwischen asset, Aktivität und Ergebnis als Folge<br />

struktureller Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Mikro-, Meso- und Makroebene. Wie gesehen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> gesellschaft-<br />

lichen Umbruchphasen <strong>in</strong>stitutionelle Leere und, so me<strong>in</strong>e These, vor allem auch <strong>in</strong>stitutionelle<br />

Opulenz ausgeprägt. Beide (unsichere) Konfigurationen limitieren die Handlungsmöglichkeiten<br />

27


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

des Individuums strukturell und erhöhen Transaktionskosten (nicht nur monetärer Art). Sie er-<br />

möglichen es aber gesellschaftlichen Akteuren auch, e<strong>in</strong>mal mehr, e<strong>in</strong>mal weniger, E<strong>in</strong>fluss auf die<br />

Fortentwicklung <strong>der</strong> Institutionen zu nehmen, diese zu schaffen bzw. zu wandeln und so zu versu-<br />

chen die Kosten <strong>der</strong> Nutzung des Systems zu senken. Str<strong>in</strong>gent strukturalistische Herangehens-<br />

weisen greifen daher ebenso zu kurz wie auch ausschließlich handlungstheoretisch orientierte<br />

Ansätze.<br />

4. Entwicklungspraktische Relevanz <strong>von</strong> Institutionen – Angekommen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwick-<br />

lungspolitik?<br />

Etwa zeitgleich zur Debatte um Institutionen <strong>in</strong> den Wirtschaftswissenschaften <strong>in</strong> den 1990er<br />

Jahren kam die Erkenntnis <strong>der</strong> Bedeutung <strong>der</strong> <strong>in</strong>stitutionellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ent-<br />

wicklungspolitik an, zum<strong>in</strong>dest rhetorisch. Bis dah<strong>in</strong> war <strong>der</strong> Wash<strong>in</strong>gton Consensus ökonomische<br />

Doktr<strong>in</strong>, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Zuge die oftmals zu Recht viel gescholtenen Strukturanpassungsprogramme<br />

und -darlehen das entwicklungspolitische Feld bestimmten. Im neoklassischen Analysesystem, das<br />

die Paradigmen <strong>von</strong> Weltbank und <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Internationalen Währungsfonds bestimmt(e),<br />

s<strong>in</strong>d es die relativen Preise, die Märkte funktionieren lassen und daher prom<strong>in</strong>ent im Fokus <strong>der</strong><br />

makroökonomischen Interventionen <strong>der</strong> Bretton-Woods-Organisationen standen und stehen<br />

(HYDEN (2004: 692, JAKOBEIT 2004: 90). „Sett<strong>in</strong>g the prices right“ sowie das Diktat <strong>von</strong> Stabilität<br />

und Privatisierung bestimmten die Reformbemühungen <strong>der</strong> 1980er Jahre (KOCHENDÖRFER-<br />

LUCIUS/VAN DE SAND 2000: o. S.). Dass makroökonomische Stabilisierungsbemühungen vor dem<br />

H<strong>in</strong>tergrund unklarer Handlungsrechte und mangelhafter Struktur und Durchsetzungskraft<br />

staatlicher Institutionen nicht zu den beabsichtigten Ergebnissen führen konnten, erkannte man<br />

freilich erst später (MUMMERT 1998: 38, ZIAI 2004: 1094ff.). Zu diesem Zeitpunkt war das K<strong>in</strong>d<br />

<strong>in</strong> vielen afrikanischen Staaten aber schon <strong>in</strong> den Brunnen gefallen. Jene makroökonomische Stra-<br />

tegie wurde <strong>in</strong> den letzten 30 Jahre <strong>von</strong> Projekten flankiert, die bei befristeter Laufzeit, Breiten-<br />

wirksamkeit und replikative Effekt erzielen sollten, was freilich nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> M<strong>in</strong><strong>der</strong>zahl <strong>der</strong> Fälle<br />

e<strong>in</strong>traf. Vorrangiges Ziel <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung war die Schaffung <strong>von</strong> assets, also die Bildung <strong>von</strong> Vermö-<br />

gen o<strong>der</strong> Fähigkeiten (KOCHENDÖRFER-LUCIUS/VAN DE SAND 2000: o. S.). Die Entwicklungszu-<br />

sammenarbeit hatte lange Zeit denselben bl<strong>in</strong>den Fleck wie die Wirtschaftswissenschaften: Insti-<br />

tutionen.<br />

28


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

Erst <strong>in</strong> jüngerer Zeit werden Überlegungen zu <strong>in</strong>stitutionellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen wichtiger. Im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Verschiebung <strong>der</strong> Debatte wird die traditionelle Projektför<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> <strong>der</strong> Instituti-<br />

onenför<strong>der</strong>ung abgelöst und mit ihr die Fokussierung auf die asset-creation, auf <strong>der</strong> das klassische<br />

Projekt mit se<strong>in</strong>er Vorstellung e<strong>in</strong>er l<strong>in</strong>earen Beziehung zwischen För<strong>der</strong>maßnahme und Ergebnis<br />

beruhte (KOCHENDÖRFER-LUCIUS/VAN DE SAND 2000: o. S., RAUCH 2004: 194ff.). Der Artikel<br />

„Entwicklungshilfe vom Kopf auf die Füße stellen. Institutionenför<strong>der</strong>ung statt Projektförde-<br />

rung“ <strong>von</strong> KOCHENDÖRFER-LUCIUS/VAN DE SAND <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeitschrift „Entwicklung und Zusam-<br />

menarbeit“ aus dem Jahr 2000 markiert den Zeitpunkt des endgültigen Angriffs <strong>der</strong> Institutio-<br />

nenthematik auf den Ma<strong>in</strong>stream <strong>der</strong> Entwicklungspolitik. „Nicht Ressourcentransfer muss im<br />

Mittelpunkt [<strong>der</strong>] Aktivitäten stehen, son<strong>der</strong>n Hilfe zur Verän<strong>der</strong>ung entwicklungsbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>n<strong>der</strong><br />

Institutionen“ (ebd., MÜLLER-BÖKER 2001: 2f.). Das entwicklungspolitische Instrument des Insti-<br />

tution-Build<strong>in</strong>g war geboren. Auch die Weltbank erkennt <strong>in</strong> zunehmendem Maße die Bedeutung<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong>stitutionellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen. Bereits 1996 stellte die Bretton-Woods-Organisation<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Studie 14 fest, dass Konflikte zwischen gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen<br />

bedeutsam s<strong>in</strong>d und dass die Gründe für die Entwicklungsprobleme Afrikas <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Parallelität <strong>von</strong> gesetzten „mo<strong>der</strong>nen“ und gewachsenen „traditionellen“ Regelwerken zu f<strong>in</strong>den<br />

s<strong>in</strong>d (MUMMERT 1998: 39). Die Institutionenthematik war zunehmend bedeuten<strong>der</strong> <strong>in</strong> den<br />

Weltentwicklungsberichten vertreten (WELTBANK 1997, 2000 UND 2001), ehe sie schließlich<br />

2002 unter dem Titel „Institutionen für Märkte schaffen“ (WELTBANK 2002) zum zentralen<br />

Thema wurden, unter an<strong>der</strong>em mit <strong>der</strong> Feststellung <strong>der</strong> zentralen Bedeutung <strong>von</strong> Integration<br />

<strong>in</strong>formeller und formeller Institutionen für Entwicklungsprozesse (ebd. 211ff.). Die Thematik<br />

verschwand auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge nicht aus <strong>der</strong> Diskussion (WELTBANK 2003 und 2006), so dass auch<br />

RAUCH feststellt: „Das Motto: ‚Get the Institutions Right’ hat das allzu reduktionistische neoklassi-<br />

sche Motto ‚Get the Prices Right’ ergänzt o<strong>der</strong> gar ersetzt“ (2001: 13).<br />

Die Marktorientierung des neoliberalen Wash<strong>in</strong>gton Consensus blieb aber laut ZIAI (2004: 1096f.,<br />

HYDEN 2004: 692), entgegen <strong>der</strong> aufgeführten Verlautbarungen, dom<strong>in</strong>ant <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weltbankpoli-<br />

tik verankert. So s<strong>in</strong>d die „Poverty Reduction Strategy Papers“ (PRSP), welche die Grundlage <strong>der</strong><br />

14 Dia, Mamadou (1996): Africa’s Management <strong>in</strong> the 1990s and Beyond. Reconcil<strong>in</strong>g Indigenous and Transplanted<br />

Institutions. Wash<strong>in</strong>gton.<br />

29


Theoretische Grundlagen: Die Neue Institutionenökonomik<br />

Kreditvergabe bilden, nach wie vor <strong>von</strong> den „alten“ neoklassischen Paradigmen durchdrungen, wie<br />

auch <strong>in</strong> dieser Untersuchung exemplarisch gezeigt werden kann (vgl. Kapitel V.2.4.1, S. 81).<br />

Kaum jemand aber wird bestreiten, dass Institutionen zur Beseitigung <strong>der</strong> Armut ebenso wie zu<br />

<strong>der</strong>en Erhalt beitragen können (KOCHENDÖRFER-LUCIUS/VAN DE SAND 2000: o. S.). Daher liegt<br />

die Herausor<strong>der</strong>ung heute nicht mehr <strong>in</strong> technischen Lösungen <strong>von</strong> Produktion und Verteilung,<br />

son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong> Strukturierung <strong>von</strong> Institutionen zur För<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> Tausch und Wachstum (NI-<br />

CHOLAS/MAITLAND 2006: 2). Dazu zählen „klar def<strong>in</strong>ierten und e<strong>in</strong>klagbaren Eigentumsrechten“,<br />

Mechanismen <strong>der</strong> Wettbewerbsregulierung, „e<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichend kohäsive Gesellschaft, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ver-<br />

trauen und sozialer Zusammenhalt e<strong>in</strong>e gewisse Rolle spielen“, demokratische und politisch legiti-<br />

mierte Institutionen, die das Risiko begrenzen und nicht zuletzt rechtsstaatliche Strukturen (KO-<br />

CHENDÖRFER-LUCIUS/VAN DE SAND 2000: o. S.). Das Hauptaugenmerk muss dabei aber nicht<br />

nur auf Institutionen <strong>der</strong> Makroebene gerichtet werden, son<strong>der</strong>n vor allem auch auf die lokale<br />

Ebene (RAUCH 2004: 196), so dass sie den Armen Chancen und Macht geben, ihr eigenes Han-<br />

deln zu bestimmen und partizipativ am Entwicklungsprozess teilzunehmen. Local Empowerment<br />

und die Entwicklung <strong>der</strong> Institutionen <strong>der</strong> Marg<strong>in</strong>alisierten muss um die Vertretung letzterer auf<br />

nationaler Ebene ergänzt werden (KOCHENDÖRFER-LUCIUS/VAN DE SAND 2000: o. S.). Sonst<br />

verbleibt die Debatte um Institutionen etwa im Zuge <strong>von</strong> Diskursen zum Staatszerfall auf <strong>der</strong><br />

Makroebene und die wertvollen Erkenntnisse und Potentiale <strong>der</strong> Perspektivumkehr h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er<br />

„Entwicklung <strong>von</strong> unten“ (SCHOLZ 2004: 182) laufen Gefahr <strong>in</strong> Vergessenheit zu geraten.<br />

30


Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

III. Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

1. Konzepte des Staatszerfalls – h<strong>in</strong>reichendes Analyse<strong>in</strong>strument?<br />

E<strong>in</strong> entscheiden<strong>der</strong> Produzent und Verwalter <strong>von</strong> Institutionen ist <strong>der</strong> Staat. Dieser hat nach <strong>der</strong><br />

Verbannung aus <strong>der</strong> Diskussion im Zuge <strong>der</strong> Dom<strong>in</strong>anz <strong>der</strong> Liberalisierungsstrategien <strong>der</strong><br />

1980/90er Jahre wie<strong>der</strong> E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> Debatten <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen und <strong>der</strong> Entwicklungspolitik<br />

gehalten. Die Allgegenwärtigkeit des Credos <strong>der</strong> Marktmechanismen und <strong>der</strong> damit e<strong>in</strong>hergehen-<br />

de m<strong>in</strong>imalistische Staat s<strong>in</strong>d passé (ZIAI 2004: 1095). „Der Staat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sich än<strong>der</strong>nden Welt“<br />

(WELTBANK 1997) muss sich <strong>der</strong> Aufgabe stellen, wie<strong>der</strong> näher an den Bürgern zu se<strong>in</strong> und vor<br />

allem Institutionen aufbauen, die e<strong>in</strong>en leistungsfähigen öffentlichen Sektor begünstigen. Parallel<br />

zur Renaissance <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> Potentiale des Staates rückt dieser auch auf unehrenhafte Art<br />

und Weise <strong>in</strong> den Fokus <strong>der</strong> (politikwissenschaftlichen) Betrachtung. Unzählige Indizes zur Klas-<br />

sifizierung und e<strong>in</strong>e breite begriffliche Bandbreite s<strong>in</strong>d Ausdruck <strong>der</strong> nicht gerade erstrebenswer-<br />

ten Prom<strong>in</strong>enz, die den wahlweise als fragil (DEBIEL 2006 und 2007, SCHNECKENER 2004 und<br />

2005), zerfallen(d) (TETZLAFF 2002) o<strong>der</strong> kollabiert (KRASNER 2005) betitelten Staaten zu Teil<br />

wird. Sie bewegen sich irgendwo <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kont<strong>in</strong>uum aus e<strong>in</strong>er apokalyptischen Trias zwischen<br />

Staatsversagen, Staatsverfall und Staatszerfall (ERDMANN 2003) und werden zum Problem <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong>ternationalen Politik o<strong>der</strong> gar e<strong>in</strong> globales Sicherheitsrisiko (SCHNECKENER 2004 und 2005).<br />

Der Wegfall <strong>der</strong> Blockkonfrontation, während <strong>der</strong> Fehlentwicklungen <strong>in</strong> verbündeten Staaten<br />

noch h<strong>in</strong>genommen wurden, verlangte ebenso nach neuen Erklärungen für staatliche Leistungsde-<br />

fizite wie die Entwicklungen <strong>in</strong> Somalia, Ruanda, auf dem Balkan o<strong>der</strong> auch <strong>in</strong> Sierra Leone (vgl.<br />

Kapitel IV.1, S. 47). Nicht zuletzt die Verquickung <strong>von</strong> Terrorismus und fragiler Staatlichkeit <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> sicherheitspolitischen Debatte nach den Anschlägen des 11. September 2001 ließen den The-<br />

menkomplex schließlich zu e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> zentralen Themen <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Politik werden. Da<br />

Entwicklungspolitik schon immer Interessenpolitik war (NUSCHELER 2005: 432ff.), gilt es nun, so<br />

die Argumentationen im Diskurs, dem <strong>in</strong>ternationalen Terrorismus den Nährboden und Rück-<br />

zugsraum zu entziehen. E<strong>in</strong> Instrument dazu: die Entwicklungszusammenarbeit. So ist „Staatsver-<br />

sagen (…) zu e<strong>in</strong>em zentralen entwicklungspolitischen Thema des beg<strong>in</strong>nenden 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

geworden“ (DEBIEL 2007: 2). Trotz e<strong>in</strong>er großen Bandbreite wissenschaftlicher Behandlungen des<br />

Phänomens bef<strong>in</strong>det sich die Identifizierung und Ausformulierung strategischer Handlungsmög-<br />

lichkeiten noch <strong>in</strong> ihren Anfängen (ROEHDER 2004: 9f.). Zwar kann es nicht Ziel dieser Arbeit<br />

31


Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige Politikempfehlung auszuarbeiten, jedoch sollen e<strong>in</strong>ige H<strong>in</strong>weise, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

zur Bedeutung <strong>von</strong> Institutionen jenseits des Staates vorgebracht werden, die im Zuge <strong>der</strong> Staats-<br />

zentrierung <strong>der</strong> Debatte me<strong>in</strong>es Erachtens häufig zu kurz kommen. Trotzdem können Failed<br />

State-Konzepte, bei Berücksichtigung dieser Tatsache, auch nicht zu unterschätzenden Mehrwert<br />

br<strong>in</strong>gen.<br />

1.1 Kategorisierung prekärer Staatlichkeit<br />

Doch zunächst sollen <strong>in</strong> aller Kürze e<strong>in</strong>ige zentrale Merkmale prekärer Staatlichkeit aufgezeigt<br />

werden, welche die wissenschaftliche Diskussion zu Tage geför<strong>der</strong>t hat. Dabei lassen sich folgende<br />

Kategorien prekärer Staatlichkeit ausmachen, die dabei aber ke<strong>in</strong>en l<strong>in</strong>earen Entwicklungsprozess<br />

implizieren sollen (ROEHDER 2004: 11): Das Idealbild bildet <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Staat nach Weber, <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Empirie als stabiler (funktionsfähiger, konsolidierter, effektiver) Staat ausgemacht wird. Es<br />

folgen <strong>in</strong>stabile (schwache, fragile), zerfallende (verfallende, versagende, fail<strong>in</strong>g) und schließlich als<br />

Extremausprägung zerfallene (gescheiterte, collapsed, failed) Staaten. Sie weisen dabei mehr o<strong>der</strong><br />

weniger erhebliche Leistungsdefizite <strong>in</strong> zentralen staatlichen Funktionsbereichen auf. So s<strong>in</strong>d sie<br />

kaum <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage e<strong>in</strong> legitimes Gewaltmonopol zu halten und Sicherheit zu garantieren (Sicher-<br />

heitsleistung). E<strong>in</strong> Rechtswesen ist nur defizitär vorhanden und die Kontrolle <strong>der</strong> Herrschenden<br />

f<strong>in</strong>det unzureichend statt. Der Wirtschaft fehlen verlässliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen (Rechtsstaats-<br />

funktion). Staatliche Leistungen und Steuererhebungen (Wohlfahrtsfunktion) funktionieren,<br />

wenn überhaupt, nur <strong>in</strong> Städten (DEBIEL 2007: 2, ROEHDER 2004: 11, SCHNECKENER 2007:<br />

368f.). Dabei fallen bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>ordnung und Messung die große Bandbreite <strong>der</strong> Methoden und<br />

fehlende Begründungen für die Auswahl <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Indikatoren auf (SCHLICHTE 2005b: 78).<br />

So lässt sich kaum e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>gültige Abgrenzung bzw. Liste <strong>von</strong> fragilen Staaten f<strong>in</strong>den, da<br />

verschiedene Indikatoren unterschiedlich gewichtet werden. E<strong>in</strong>e Diskussion e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nvollen<br />

o<strong>der</strong> weniger s<strong>in</strong>nvollen Abgrenzung soll daher, aber auch weil es für das Erkenntnis<strong>in</strong>teresse we-<br />

niger relevant ist, hier nicht erfolgen. Ebenso erlaubt die ausschließliche Betrachtung Sierra Leo-<br />

nes, e<strong>in</strong>e sehr genaue, spezifische Analyse <strong>von</strong> Ursachen, Folgen und Interventionsmöglichkeiten<br />

und -chancen. E<strong>in</strong>e Kategorisierung kann so vermieden werden. E<strong>in</strong> detaillierter Blick im Rahmen<br />

dieser Studie wird e<strong>in</strong>e weitere Unzulänglichkeit dieser Art <strong>von</strong> Konzepten offenbaren: sie gehen<br />

(fast) ausschließlich <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Fehlen <strong>von</strong> Regelungsmechanismen aus, was re<strong>in</strong> formal gesehen,<br />

es handelt sich ja um e<strong>in</strong>e Betrachtung des Staates, vertretbar ist. Allerd<strong>in</strong>gs wird dabei, wenn auch<br />

nicht dezidiert negiert, so doch im Zuge e<strong>in</strong>er Staatszentrierung me<strong>in</strong>es Erachtens nicht ausrei-<br />

32


Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

chend berücksichtigt, dass die Abwesenheit des Staates nicht mit <strong>in</strong>stitutioneller Leere gleichzu-<br />

setzen ist. Denn es s<strong>in</strong>d gerade die verbliebenen Institutionen jenseits des Staates, die häufig dessen<br />

Aufgaben übernehmen und <strong>der</strong>en Bedeutung und Potentiale nicht zu unterschätzen s<strong>in</strong>d. Trotz-<br />

dem bleiben Staatszerfallskonzepte bei <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> <strong>in</strong>stitutionellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

wichtig, dürfen aber eben nur als e<strong>in</strong> Teil gesellschaftlicher Organisationsweise gesehen werden.<br />

Bei allen Abgrenzungsschwierigkeiten sche<strong>in</strong>t fest zu stehen, dass durch die Klassifizierung prekä-<br />

rer Staatlichkeit e<strong>in</strong>e Qualität <strong>von</strong> Entwicklungshemmnis erreicht ist, das beson<strong>der</strong>er Betrachtung<br />

bedarf.<br />

1.2 Raum prekärer Staatlichkeit: Raum unsicherer <strong>in</strong>stitutioneller Konfigurationen?<br />

Wenn auch Abgrenzungsversuche <strong>von</strong> prekarisierten Staaten und „nur“ armen Län<strong>der</strong>n kontro-<br />

vers bleiben, so s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> jedem Fall e<strong>in</strong>ige Trends h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> sozioökonomischen Situation<br />

<strong>in</strong>teressant. Sie beruhen auf me<strong>in</strong>er Grundannahme, dass die Kosten gesellschaftlicher Interaktion<br />

<strong>in</strong> diesen Fällen im Allgeme<strong>in</strong>en und <strong>in</strong> Sierra Leone im Beson<strong>der</strong>en auf Grund <strong>der</strong> spezifisch<br />

unsicheren <strong>in</strong>stitutionellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen erhöht s<strong>in</strong>d.<br />

Das Department for International Development (DFID) setzt sich <strong>in</strong> „Why we need to work more<br />

effectively <strong>in</strong> fragile states“ (2005) mit <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Qualität <strong>von</strong> Entwicklungs<strong>in</strong>dikatoren und<br />

-zusammenarbeit <strong>in</strong> Fällen prekärer Staatlichkeit ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. So weist die sozioökonomische<br />

Situation e<strong>in</strong>ige beson<strong>der</strong>e Merkmale auf (vgl. Abbildung 2, S. 34). Und auch die Zusammenar-<br />

beit gestaltete sich bisher nicht effektiv. Die britische Entwicklungsorganisation stellt fest, dass<br />

arme Bevölkerungsgruppen <strong>in</strong> prekarisierten Staaten durch dessen Unfähigkeit und fehlendem<br />

Handlungswillen Basisleistungen bereitzustellen, die Hauptopfer dieser Politik s<strong>in</strong>d (DFID 2005:<br />

3 und Vorwort). E<strong>in</strong>e Schätzung geht da<strong>von</strong> aus, dass zwar prekarisierte Staaten nur 14% <strong>der</strong><br />

Weltbevölkerung beheimaten, aber gleichzeitig fast e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong> Armen dieser Welt dort lebt<br />

und 41% aller Todesfälle unter K<strong>in</strong><strong>der</strong>n dort zu verzeichnen s<strong>in</strong>d. Die soziale Lage im Vergleich<br />

zu „normalen“ Entwicklungslän<strong>der</strong>n ist dramatisch (DFID 2005: 5 und 9f.).<br />

„Fragile states cannot or will not deliver what citizens need to live decent, secure lives. They cannot<br />

or will not tackle poverty. As such, they significantly reduce the likelihood of the world meet<strong>in</strong>g<br />

the Millennium Development Goals (MDGs) by 2015” (DFID 2005: 5).<br />

33


Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

Abbildung 2: Fortschritt bezüglich <strong>der</strong> MDG bei prekärer Staatlichkeit im<br />

Vergleich mit an<strong>der</strong>en "armen" Län<strong>der</strong>n für das Jahr 2000 (DFID 2005: 9)<br />

Legt man nun die theoretischen Erkenntnisse zu Grunde, nach denen Institutionen bzw. <strong>der</strong>en<br />

Konfiguration entwicklungsbestimmend s<strong>in</strong>d, lässt sich, im H<strong>in</strong>blick auf die oben genannten<br />

Indikatoren zur soziökonomischen Situation, feststellen, dass im Umkehrschluss auch die Institu-<br />

tionen bzw. <strong>der</strong>en spezifische Konfiguration e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e (entwicklungshemmende) Qualität<br />

aufweisen müssen.<br />

Der Aufbau neuer bzw. die Rehabilitierung bestehen<strong>der</strong> Institutionen (Institution-Build<strong>in</strong>g) gerät<br />

so <strong>in</strong> den Fokus <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Entwicklungszusammenarbeit. Vor dem H<strong>in</strong>tergrund des<br />

Fehlens <strong>von</strong> geeigneten (formellen) Institutionen steht die Nord-Süd-Zusammenarbeit mit preka-<br />

risierten Staaten dabei vor beson<strong>der</strong>en Herausfor<strong>der</strong>ungen und es stellt sich die Frage, warum die<br />

Hilfe die Armut <strong>in</strong> fragilen Staaten bisher nicht reduziert hat (DFID 2005: 11f.). War sie gar<br />

selbst Teil des Problems (HYDEN 2004: 692) und an <strong>der</strong> Reproduktion unsicherer <strong>in</strong>stitutioneller<br />

Konfigurationen beteiligt? Fehlende Hilfe, die Konzentration auf lohnende Staaten und e<strong>in</strong>e<br />

mangelnde Fähigkeit prekarisierter Staaten die Konditionen <strong>der</strong> Geber zu erfüllen deuten ebenso<br />

darauf h<strong>in</strong> wie Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Aufnahme großer Summen sowie schwankende Hilfszah-<br />

lungen, die an kurzfristige Regierungsperformance geknüpft s<strong>in</strong>d. Und auch die Qualität <strong>der</strong> Hilfe<br />

leidet <strong>in</strong> Folge unkoord<strong>in</strong>ierter Projekte <strong>der</strong> Geber und schadet oftmals mehr als sie nützt (DFID<br />

2005: 11f., vgl. auch Kapitel V.2.4, S. 81). Alternativen Strategien und <strong>der</strong> Rufe nach e<strong>in</strong>em „stay<br />

engaged, but differently“ werden laut (DEBIEL 2007: 4, DFID 2005: 14f., ROEHDER 2004).<br />

34


Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

1.3 Erkenntnisse aus <strong>der</strong> Dekonstruktion des Staatszerfalldiskurses<br />

Es ist durchaus anzuerkennen, dass die Diskussion um prekäre Staatlichkeit bei Fokussierung des<br />

E<strong>in</strong>zelfalls und <strong>der</strong> damit e<strong>in</strong>hergehenden Betrachtung <strong>der</strong> Ursachen <strong>der</strong> sozioökonomischen<br />

Situation als auch bei <strong>der</strong> Politikformulierung seitens <strong>der</strong> Geberlän<strong>der</strong> fruchtbar se<strong>in</strong> kann.<br />

Trotzdem lassen sich zahlreiche Kritikpunkte an dieser fast hegemonialen Debatte ausmachen, die<br />

vor allem darauf abzielen, die Interessen <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Diskursproduktion beteiligten Akteure (des<br />

Nordens) aufzuzeigen 15 .<br />

E<strong>in</strong> Aspekt lässt im Rahmen dieser Untersuchung beson<strong>der</strong>en Erkenntnisgew<strong>in</strong>n erwarten: Der<br />

Diskurs über Failed States geht da<strong>von</strong> aus, dass die mo<strong>der</strong>ne Staatlichkeit westlicher Provenienz<br />

die generelle Norm politischer Organisation e<strong>in</strong>es Raumes darstellt (HEIN 2005: 6). Alternative<br />

Prozesse <strong>der</strong> Gesellschaftsorganisation drohen unter dessen Dom<strong>in</strong>anz an den Rand <strong>der</strong> Debatte<br />

gedrängt zu werden. Hier sei nur auf die Arbeiten <strong>von</strong> ELWERT (2001), TROTHA (1995) und<br />

HAUCK (2004) verwiesen, die allesamt durchaus stabile staatliche Gebilde erkennen können, die<br />

aber eher wenig mit dem westlichen Idealbild zu tun haben. ELWERT spricht bei dem <strong>von</strong> ihm <strong>in</strong><br />

die Diskussion e<strong>in</strong>geführten „Command State“ <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em relativ stabilen System auf Basis allge-<br />

genwärtiger Autorität (2001: 419f.). TROTHA (1995: 9f.) zieht unter an<strong>der</strong>em Gewalt als Beispiel<br />

e<strong>in</strong>er „Basislegitimität“ heran, die er als e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> wenigen verbliebenen Quellen <strong>der</strong> Legitimität <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> afrikanischen Postkolonie ausmacht. HAUCK (2004: 425) stellt fest, dass sich die schwache<br />

Staatlichkeit des heutigen Afrikas allenfalls <strong>in</strong> Bezug auf die Regulationsmacht, aber ke<strong>in</strong>eswegs <strong>in</strong><br />

Bezug auf die Akkumulationssicherungsmacht des Staatsapparates bezieht. David KEEN schließ-<br />

lich liefert mit „Conflict & Collussion <strong>in</strong> Sierra Leone“ (2005) nicht nur e<strong>in</strong>e ausgezeichnete E<strong>in</strong>-<br />

zelfallanalyse e<strong>in</strong>es oftmals simplifiziert dargestellten Konfliktes, son<strong>der</strong>n beklagt auch die zu-<br />

nehmende problematische Nähe zwischen <strong>der</strong> Diagnose „prekärer Staatlichkeit“ und dem damit<br />

verme<strong>in</strong>tlich e<strong>in</strong>hergehenden Chaos. Auch er kommt nicht umh<strong>in</strong> Bezug auf „The Com<strong>in</strong>g Anar-<br />

chy“ 16 zu nehmen, wor<strong>in</strong> <strong>der</strong> viel kritisierte Robert Kaplan für Afrika <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er schrumpfenden<br />

Sphäre funktionieren<strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge spricht, dabei aber den Staat zu prom<strong>in</strong>ent <strong>in</strong> den Fokus <strong>der</strong> Be-<br />

15 Die e<strong>in</strong>zelnen Kritikpunkte sollen wegen nicht unmittelbarer Relevanz bezüglich des Kerns <strong>der</strong> Arbeit an dieser<br />

Stelle nicht dargestellt werden. Es sei dazu auf SCHLICHTE (2005) verwiesen.<br />

16 Kaplan, Robert (1994): The Com<strong>in</strong>g Anarchy. Atlantic Monthly. February.<br />

35


Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

trachtung rückt. Nicht zuletzt unter Heranziehung dieser Beispiele sche<strong>in</strong>t es lohnend zu se<strong>in</strong>,<br />

sich die Frage zu stellen, wie Gesellschaftsorganisation und somit die <strong>in</strong>stitutionellen Rahmenbe-<br />

d<strong>in</strong>gungen abseits <strong>der</strong> verbreitenden staatszentrierten Erklärungsansätze noch aussehen können<br />

bzw. welche Rückschlüsse daraus für die Zusammenarbeit abgeleitet werden können.<br />

1.4 Prekäre Staatlichkeit – „Entwicklung <strong>von</strong> unten“!<br />

Vor allem für die ländlichen Regionen Afrikas, dies gilt me<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung nach aber ebenso für<br />

urbane Gebiete, stellen KULESSA/HEINRICH (o. J.: 3) fest, dass die politisch nicht aktive Bevölke-<br />

rungsmehrheit selten positive Erfahrungen mit dem Staat gemacht hat. Elementare Leistungen<br />

wurden nicht <strong>von</strong> staatlichen Akteuren, son<strong>der</strong>n <strong>von</strong> privaten Trägern o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Selbsthilfe er-<br />

bracht. Im Sicherheitsbereich s<strong>in</strong>d Willkür, Menschenrechtsverletzungen und Korruption an <strong>der</strong><br />

Tagesordnung, so dass die Bürger sich vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> gemachten Erfahrungen eher vor<br />

dem Staat schützen, als dass dieser sie schützt. Aus diesem Grund wählten weite Teile <strong>der</strong> Bevöl-<br />

kerung die „exit option“, also den Rückzug <strong>von</strong> Kontakten mit dem Staat <strong>in</strong> private Räume und<br />

den <strong>in</strong>formellen Sektor. Diesem muss <strong>in</strong> Län<strong>der</strong>n mit schwachen formellen Institutionen hohe<br />

Bedeutung zugemessen werden (NICHOLAS/MAITLAND 2006: 2). So leben Menschen nach dem<br />

Verschw<strong>in</strong>den staatlicher Strukturen und Funktionen nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em politischen und adm<strong>in</strong>istra-<br />

tiven Vakuum, son<strong>der</strong>n die Geme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> Ausgeschlossenen greift auf alternative Regelwerke<br />

zurück, um ihr soziales Leben fortzusetzen: Traditionelle Institutionen, lokale Verbände aber<br />

auch NGOs treten an die Stelle <strong>der</strong> „Leere des Formellen“ und übernehmen, zum<strong>in</strong>dest teilweise,<br />

dessen vormalige Funktionen (KULESSA/HEINRICH o. J.: 3, vgl. Kapitel V.3, S. 89). Dabei stellen<br />

KULESSA/HEINRICH (o. J.: 1ff.) fest, dass soziale Geme<strong>in</strong>schaft auf lokaler und regionaler Ebene<br />

leichter herzustellen ist, so dass sich dort bei prekärer Staatlichkeit Chancen für neue, tragfähigere<br />

Strukturen ergeben, die es zu identifizieren und nutzen gilt. Daher kommt es bei <strong>der</strong> Rehabilitie-<br />

rung <strong>von</strong> Staaten und <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit mit diesen nicht ausschließlich auf die<br />

formellen Institutionen und Akteure auf Makroebene an, son<strong>der</strong>n auch auf die lokale Bevölke-<br />

rung und <strong>der</strong>en Regelwerke (GIENANTH/HANSEN 2006: 3). Gerade vor dem H<strong>in</strong>tergrund prekä-<br />

rer Staatlichkeit kann also „Entwicklung <strong>von</strong> unten“ (SCHOLZ 2004: 178ff.) fruchtbare Potentiale<br />

zur Verbesserung <strong>der</strong> Lebensbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er Vielzahl <strong>von</strong> Menschen bieten. Freilich erfor<strong>der</strong>t<br />

dies e<strong>in</strong>e adäquate Abstimmung auf die lokale Situation. Formelle und vor allem <strong>in</strong>formelle Insti-<br />

tutionen geraten <strong>in</strong> den Fokus <strong>der</strong> Betrachtung.<br />

36


Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

2. Umgang mit (k)e<strong>in</strong>em gesellschaftlichen Abfallprodukt<br />

2.1 Län<strong>der</strong> des Südens: Die Ambivalenz des Produktes „Müll“<br />

Vor allem <strong>in</strong> den Metropolen <strong>der</strong> Dritten Welt, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> Fällen prekärer Staatlichkeit, s<strong>in</strong>d<br />

Kommunen oftmals nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, den anfallenden Müll zu beseitigen (Wohlfahrtsfunktion).<br />

Er wird „wild“ <strong>in</strong> Gewässer entsorgt, die auch <strong>der</strong> Tr<strong>in</strong>kwasserversorgung dienen. Abgelagerter<br />

Abfall bildet die Brutstätte <strong>von</strong> Krankheiten, <strong>von</strong> denen 80% Folge <strong>der</strong> Nutzung <strong>von</strong> verschmutz-<br />

tem Wasser o<strong>der</strong> unhygienischen Lebensbed<strong>in</strong>gungen s<strong>in</strong>d, beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> Marg<strong>in</strong>alsiedlungen<br />

(Knippschild 17 zit. nach HAAS/ERNST 1990: 137). Unsachgemäße Müll- und Abwasserbeseiti-<br />

gung riskiert so vor allem die Gesundheit <strong>der</strong> städtischen Armen (KÖBERLEIN 2003: 37). Dies ist<br />

jedoch nur die e<strong>in</strong>e Seite <strong>der</strong> Medaille. Da Müll erst zu Müll wird, „when the owner or generator of<br />

a material discards it without expect<strong>in</strong>g to be compensated for its <strong>in</strong>herent value” (Co<strong>in</strong>treau 18 zit.<br />

nach KÖBERLEIN 2003: 14), ist es nahe liegend, dass Abfall nicht mit Abfall gleichgesetzt werden<br />

sollte. So wird Müll <strong>in</strong> unterschiedlichen Gesellschaften, gesellschaftlichen Gruppierungen und<br />

<strong>in</strong>dividuell stark unterschiedlich wahrgenommen und mit Bedeutung beladen (KÖBERLEIN 2003:<br />

14). Das ist darauf zurückzuführen, dass dieser schlicht zu wertvoll ist, als ihn e<strong>in</strong>fach wegzuwer-<br />

fen. In Ansätzen <strong>der</strong> Abfallwirtschaft mit e<strong>in</strong>er ausschließlichen Fokussierung auf den öffentli-<br />

chen Sektor wird Müll vor allem als Bedrohung sowie Umwelt- und Gesundheitsgefahr gesehen,<br />

die beseitigt werden muss. Entwicklungsrelevante Potentiale werden nicht ausgeschöpft. Unter<br />

Berücksichtigung privater Akteure kann Müll aber als wichtige Ressource im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es verwert-<br />

baren Produktes zur nachhaltigen Überlebenssicherung <strong>der</strong> Armen <strong>in</strong>wertgesetzt werden und so<br />

Arbeitsplätze schaffen (ebd.). Für Ansätze <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit bedeutet dies, dass<br />

unter Rückgriff auf <strong>in</strong>formelle und private Akteure und <strong>der</strong>en Integration <strong>in</strong> die formelle Abfall-<br />

wirtschaft Umweltbed<strong>in</strong>gungen verbessert werden können, bei gleichzeitiger Stärkung <strong>der</strong> Fähig-<br />

keiten <strong>der</strong> partizipierenden Akteure (ebd.).<br />

17 Knippschild, W. (1986): Waste Management as as component of the <strong>in</strong>ternational dr<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g water supply and sanitation<br />

decade (1981-1990). In: Thomé-Kozm<strong>in</strong>esky, K.J. (Hrsg.): Waste management <strong>in</strong> develop<strong>in</strong>g countries 1. Berl<strong>in</strong>.<br />

S. 1-7.<br />

18 Co<strong>in</strong>treau, S. (1982): Environmental Management of Urban Wastes <strong>in</strong> Develop<strong>in</strong>g Countries. The World Bank.<br />

Urban Development Technical Paper 5. Wash<strong>in</strong>gton, DC.<br />

37


Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

2.2 Nicht „Urban Government” – „Urban Governance”!<br />

Die Abfallwirtschaft (solid waste management 19 ) ist durch die Schaffung <strong>von</strong> sanitären und hygie-<br />

nischen Umweltbed<strong>in</strong>gungen Basis des öffentlichen Gesundheitswesens, im Anschluss daran kriti-<br />

scher Bestandteil <strong>der</strong> städtischen Infrastruktur (KÖBERLEIN 2003: 14) und somit wesentliche<br />

Komponente <strong>von</strong> Urban Governance. Ursprünglich war die entwicklungsrelevante Behandlung<br />

<strong>der</strong> Abfallwirtschaft <strong>von</strong> Ingenieuren und Ökonomen und e<strong>in</strong>er naturwissenschaftlichen Sicht-<br />

weise bestimmt. Ziel war es, den wachsenden Mengen Müll mit technologischen Lösungen entge-<br />

genzutreten und e<strong>in</strong>e effiziente Abfallentsorgung zu organisieren (ebd.: 18). Primäres Ziel war so<br />

die Schaffung <strong>von</strong> hygienischen Verhältnissen durch systematische, effiziente und umweltverträg-<br />

liche Beseitigung aller Abfälle (HAAS/ERNST 1990: 137). Jedoch ist dies e<strong>in</strong> „technology-centred<br />

approach, which has so often failed” (VAN DE KLUNDERT/ANSCHÜTZ 2001: 7), denn die Abfall-<br />

wirtschaft ist vielen E<strong>in</strong>flussfaktoren unterworfen: <strong>der</strong> Zusammensetzung des Mülls, dem Klima,<br />

<strong>der</strong> Siedlungsstruktur aber vor allem den kulturellen, politischen und sozioökonomischen Rah-<br />

menbed<strong>in</strong>gungen. E<strong>in</strong>e Synchronisation mit <strong>der</strong> kontextspezifischen, lokalen Situation ist zw<strong>in</strong>-<br />

gend notwendig (KÖBERLEIN 2003: 14). Sozialwissenschaftliche, respektive politikwissenschaftli-<br />

che Ansätze betonen die Bedeutung <strong>der</strong> gesetzlichen und adm<strong>in</strong>istrativen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>der</strong> Abfallentsorgung, die <strong>in</strong> den vergangenen Jahren als die komplexesten Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

angesehen werden. Diese Konzepte fokussieren die Regeln und regelnden Instrumente, die den<br />

adm<strong>in</strong>istrativen, technischen und f<strong>in</strong>anziellen Standard <strong>der</strong> Abfallentsorgung bestimmen (ebd.:<br />

18). Bei den neueren Ansätzen geht es <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie um die E<strong>in</strong>stellung und das Verhalten des<br />

Managements, <strong>der</strong> Bürger, aber vor allem auch <strong>der</strong> privaten Unternehmer und des e<strong>in</strong>zelnen<br />

Müllsammlers. In dieser holistischen Betrachtungsweise spielen <strong>in</strong>stitutionelle Rahmenbed<strong>in</strong>gun-<br />

gen, die Umwelt sowie <strong>der</strong> soziale und kulturelle Kontext e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle. Somit lösen<br />

nicht <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie F<strong>in</strong>anzen und Ausstattung Probleme, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>in</strong>stitutionelle Wandel<br />

(VAN DER KLART/ANSCHÜTZ 2001: 10). Auf allgeme<strong>in</strong>er Maßstabsebene können so als jüngste<br />

Instrumente <strong>von</strong> Urban Governance die Privatisierung <strong>von</strong> Serviceleistungen, e<strong>in</strong>e verbesserte<br />

öffentliche Partizipation, die Dezentralisierung und Community Management ausgemacht wer-<br />

19 Unter solid waste ist sogenannter Feststoffabfall zu verstehen. Nicht geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d Abwässer, Exkremente usw.<br />

38


Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

den. Ansätze, die nicht zuletzt im W<strong>in</strong>dschatten <strong>der</strong> Institutionenthematik E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> die Ent-<br />

wicklungszusammenarbeit erhalten haben.<br />

Abbildung 3: Modell des Integrated Susta<strong>in</strong>able Waste Managements (VAN DE KLART/ANSCHÜTZ<br />

2001: 14)<br />

Entsprechend werden auch die unterschiedlichen Rollen und Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> stark heteroge-<br />

nen Akteure <strong>der</strong> Abfallwirtschaft heute bewusster wahrgenommen, berücksichtigt und <strong>in</strong> das<br />

System <strong>in</strong>tegriert (KÖBERLEIN 2003: 15ff.). E<strong>in</strong>en ausgezeichneten analytische Rahmen zur Erfas-<br />

sung dieser Akteure und ihres Handlungsumfelds bietet das Konzept des „Integrated Susta<strong>in</strong>able<br />

Waste Management“ (ISWM, vgl. Abbildung 3, S. 39), das im Rahmen des „Urban Waste Experti-<br />

se Programme“ <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>ländischen Nichtregierungsorganisation WASTE entwickelt wurde und<br />

dessen Erkenntnisse auch im Rahmen dieser Arbeit immer wie<strong>der</strong> herangezogen werden sollen<br />

(vgl. dazu MULLER/HOFFMANN 2001, MULLER ET. AL 2002, SCHEINBERG 2001, VAN DER<br />

KLART/ANSCHÜTZ 2001).<br />

Urban Governance im Bereich <strong>der</strong> Abfallentsorgung wurde lange Zeit und wird noch heute <strong>von</strong><br />

vielen Verantwortlichen gleichgesetzt mit <strong>der</strong> Zuständigkeit <strong>der</strong> öffentlichen Hand, <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />

Lokalregierung und -verwaltung. Aber <strong>der</strong> Term<strong>in</strong>us Urban Governance bedeutet mehr, nämlich:<br />

39


Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

alle den Abfall betreffende Akteure, Prozesse und Aktivitäten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Raum (KÖBERLEIN 2003:<br />

15).<br />

Doch zunächst zur öffentlichen Hand: Traditionell und idealerweise werden staatliche Akteure<br />

als zuständig für die Bereitstellung <strong>der</strong> Komponenten <strong>der</strong> Abfallwirtschaft erachtet. Dazu gehören<br />

die materiellen Teile ebenso wie die Verwaltungs<strong>in</strong>frastruktur, die <strong>in</strong>stitutionellen Rahmenbed<strong>in</strong>-<br />

gungen und die Durchführung <strong>der</strong> täglichen Operationen. In <strong>der</strong> Realität zeigt sich jedoch, dass<br />

die öffentlichen Lokalregierungen vielfach nur (Teile <strong>der</strong>) Hauptgeschäftsviertel und gehobenere<br />

Wohngebiete versorgen (können), während Siedlungen <strong>der</strong> Armen kaum bedient werden (MUL-<br />

LER/HOFFMANN 2001: 7). E<strong>in</strong> Grund ist sicherlich auch, dass unter allen städtischen Leistungen<br />

<strong>in</strong> Län<strong>der</strong>n des Südens die Aufgabe <strong>der</strong> Abfallbeseitigung als e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> am wenigsten Wichtigen<br />

erachtet wird und Entscheidungsträger auf Probleme häufig mit Apathie und Unbetroffenheit<br />

reagieren 20 (KÖBERLEIN 2003: 17). Dabei nimmt gerade die Abfallbeseitigung e<strong>in</strong>en em<strong>in</strong>ent<br />

wichtigen Stellenwert für die Stadtverwaltung e<strong>in</strong>, ist sie doch für die Bürger e<strong>in</strong> offensichtlicher<br />

Indikator für die Regierungs- und Verwaltungsleistung, <strong>der</strong> darüber h<strong>in</strong>aus direkt mit <strong>der</strong> öffentli-<br />

chen Gesundheit, <strong>der</strong> Umwelt und Wirtschaft korreliert und somit Auswirkungen auf die Legi-<br />

timität <strong>der</strong> politischen Entscheidungsträger hat. Zwar ist die Abfallwirtschaft dabei vergleichswei-<br />

se teuer, sie bietet im Gegenzug aber auch e<strong>in</strong>e Großzahl öffentlicher Arbeitsplätze (VAN DER<br />

KLUNDERT/ANSCHÜTZ 2001: 9).<br />

In vielen Städten <strong>in</strong> Län<strong>der</strong>n des Südens, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e bei prekärer Staatlichkeit, haben die loka-<br />

len Autoritäten jedoch nicht die Ressourcen o<strong>der</strong> den Willen zur Abfallbeseitigung (vgl. Kapitel<br />

V.2, S. 76), so dass Micro and Small Enterprises (MSE) 21 <strong>in</strong> diese Lücke stoßen (passive Privatisie-<br />

rung) o<strong>der</strong> die Verantwortlichen die Abfallbeseitigung privatisieren (lassen müssen 22 ) (SCHEIN-<br />

BERG 2001: 8). Bei mangelnden Fähigkeiten und Kapazitäten <strong>der</strong> öffentlichen Hand entsteht e<strong>in</strong><br />

20 Sicherlich vor allem auf Grund mangeln<strong>der</strong> Ressourcen. Ob diese nun generell nicht vorhanden s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> aber <strong>der</strong>en<br />

Wert <strong>in</strong> private Taschen wan<strong>der</strong>te, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden.<br />

21 Als MSE sollen zunächst privatwirtschaftliche Unternehmen mit nicht mehr als 20 Arbeitern verstanden werden.<br />

Weitere, für diese Untersuchung relevante Charakteristika werden <strong>in</strong> Kapitel V.1.1, S. 61, aufgeführt. E<strong>in</strong>e Differenzierung<br />

zwischen Micro- und Small Enterprises soll nicht erfolgen, zumal auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>schlägigen Literatur (vgl.<br />

SCHEINBERG 2001, MULLER ET AL. 2002) ke<strong>in</strong>e Unterscheidung erfolgt und dies <strong>der</strong> Verständlichkeit wegen auch für<br />

diese Arbeit beibehalten werden soll.<br />

22 Etwa auf Druck <strong>der</strong> Geber <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit.<br />

40


Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

Sektor, <strong>der</strong> die Chance identifiziert und sich dieses Geschäftsfeld zu Eigen macht. Vielen Ansät-<br />

zen <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit fehlt aber laut KÖBERLEIN, dass <strong>der</strong> <strong>in</strong>formelle Sektor eben<br />

nicht <strong>in</strong> Konzepte und Strategien <strong>der</strong> Abfallwirtschaft <strong>in</strong>tegriert wird (2003: 20). Dabei ist gerade<br />

die Anerkennung und das Verstehen <strong>der</strong> Tätigkeiten <strong>von</strong> Akteuren des (<strong>in</strong>formellen) privaten<br />

Sektors <strong>der</strong> Schlüssel zu e<strong>in</strong>er gleichberechtigten städtischen Entwicklung und damit effektiver<br />

Urban Governance. In e<strong>in</strong>er Studie zur Rehabilitierung <strong>der</strong> Abfallbeseitigung <strong>in</strong> Hy<strong>der</strong>abad, In-<br />

dien, zeigt ROUSE (2004: 6), dass Verbesserungen vor allem durch die Zusammenarbeit mit <strong>in</strong>-<br />

formellen Akteure erreicht wurden. Bei <strong>der</strong> Planung <strong>von</strong> städtischen Entwicklungsprojekten sollte<br />

man <strong>von</strong> existierenden Dienstleistungsmechanismen des <strong>in</strong>formellen Sektors lernen und mit die-<br />

sem zusammenarbeiten (ebd.: 8). In e<strong>in</strong>e ähnliche Richtung zielt die E<strong>in</strong>beziehung <strong>von</strong> Communi-<br />

ty-Based Organisations (CBO) 23 , die freilich nicht immer trennungsscharf zu Akteuren des <strong>in</strong>for-<br />

mellen Sektors abgegrenzt werden können (vgl. Kapitel V.1.1, S. 61). Sie teilen mit ihm aber die<br />

nicht zu unterschätzende Wirkung auf e<strong>in</strong>e verbesserte Abfallbeseitigung und Umweltsituation.<br />

Dabei werden <strong>in</strong> neueren Ansätzen zur Abfallwirtschaft MSEs und CBOs als Subunternehmer <strong>in</strong><br />

das System <strong>in</strong>tegriert, mit dem Vorteil, dass sie zu ger<strong>in</strong>gen Kosten operieren 24 , flexibel s<strong>in</strong>d und<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> lokalen Bevölkerung akzeptiert und unterstützt werden. Sie schaffen Arbeit und E<strong>in</strong>-<br />

kommen, vor allem <strong>in</strong> Gebieten <strong>der</strong> marg<strong>in</strong>alisierten städtischen Bevölkerung. Dabei operieren sie<br />

oftmals <strong>in</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> öffentlichen Hand nicht bedienten, nur schwer zugänglichen Gebieten (MUL-<br />

LER ET AL. 2002: 241, VAN DER KLART/ANSCHÜTZ 2001: 24). Die Lokalverwaltung sollte daher<br />

MSEs und CBOs unterstützen, <strong>in</strong>dem sie den Weitertransport des gesammelten Abfalls sicher-<br />

stellt und die bürokratischen Hürden und Regulierungen für MSEs und CBOs beseitigt. Weiter-<br />

h<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d Hilfen bei <strong>der</strong> Materialbereitstellung und Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsmaßnahmen ebenso anzuraten, wie<br />

bei <strong>der</strong> Schaffung e<strong>in</strong>es verbesserten (Umwelt-) Bewusstse<strong>in</strong>s <strong>der</strong> Bevölkerung (VAN DE<br />

KLART/ANSCHÜTZ 2001: 24). Inwieweit die im Rahmen des ISWM formulierten Erfor<strong>der</strong>nisse<br />

für die <strong>in</strong> dieser Untersuchung betrachteten Akteure erfüllt werden, wird <strong>in</strong> Kapitel V (S. 61)<br />

darzustellen se<strong>in</strong>.<br />

23 CBOs werden verstanden als Organisationen <strong>der</strong> Zivilgesellschaft, welche die Zielsetzung haben, das Leben <strong>der</strong><br />

Menschen im unmittelbaren Umfeld <strong>der</strong> „Geme<strong>in</strong>de“ zu verbessern und sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie aus Bewohnern <strong>der</strong> Community<br />

zusammensetzen (dazu SCHEINBERG 2001: 15).<br />

24 Dieses Argument entfaltet natürlich nur aus Sicht <strong>der</strong> Stadtverwaltung se<strong>in</strong>e Wirkung, die dadurch e<strong>in</strong>e möglicherweise<br />

kostspieligere Lösung des Problems umgeht.<br />

41


Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

Derartige partizipative und auf Selbsthilfe basierende Ansätze ziehen aber auch Kritik auf sich<br />

(BERNER/PHILLIPS 2004: 500). Zunächst trägt aber aktive Teilnahme aus drei Gründen zur Ar-<br />

mutsbekämpfung bei: 1) Arme verfügen über wichtige Informationen, die Experten fehlen 2)<br />

Arme s<strong>in</strong>d kompetent und 3) Arme s<strong>in</strong>d verlässlich. Des Weiteren erhöhen partizipative Ansätze<br />

die Legitimität und Akzeptanz <strong>von</strong> Interventionen. Jedoch wird stillschweigend da<strong>von</strong> ausgegan-<br />

gen, dass Arme ungenutzte Ressourcen und Kapazitäten haben, e<strong>in</strong>e Annahme die durchaus kriti-<br />

scher Betrachtung bedarf. MULLER ET AL. (2002: 242) stellen fest, dass community participation<br />

zwei Motivationen hat: 1) die Verwendung als Instrument, das Abfallbeseitigung effizienter<br />

macht und zwar über die Involvierung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e vorbestimmte Politik. Damit e<strong>in</strong>her geht die Erwar-<br />

tung, dass etwa die monatlich Bezahlung <strong>von</strong> Serviceleistungen seitens <strong>der</strong> Bürger durch die gesell-<br />

schaftliche Verankerung erfolgreicher verlaufen wird. O<strong>der</strong> 2) als Ansatz, um soziale Entwicklung<br />

über die Stärkung <strong>der</strong> Kapazitäten <strong>der</strong> Bewohner und <strong>der</strong> Organisationen <strong>der</strong> Nachbarschaften zu<br />

erreichen. Dabei werden Entscheidungskompetenzen und -verantwortlichkeiten übertragen, die<br />

dann als Ergebnis ebenfalls e<strong>in</strong> breites soziales E<strong>in</strong>verständnis zur Folge haben. BERNER/PHILLIPS<br />

(2004: 501) kritisieren, dass es aber wohl die E<strong>in</strong>spareffekte s<strong>in</strong>d, die sich im Zuge des partizipati-<br />

ven Instrumentariums ergeben und die <strong>der</strong> Hauptgrund für die Popularität <strong>der</strong>artiger Ansätze<br />

s<strong>in</strong>d:<br />

„Die allgeme<strong>in</strong>e Bewegung h<strong>in</strong> zur Selbsthilfe kann als unverfängliche Oberfläche des handfesten<br />

Versuchs verstanden werden, Umverteilung auf <strong>in</strong>ternationaler und <strong>in</strong>nergesellschaftlicher Ebene<br />

zu diskreditieren“.<br />

Daher müssen partizipative und auf Selbsthilfe basierende Ansätze zw<strong>in</strong>gend <strong>von</strong> weiteren Maß-<br />

nahmen auf an<strong>der</strong>en Maßstabsebenen (national wie regional) flankiert werden, soll dieses Argu-<br />

ment entkräftet werden.<br />

2.3 Müll und das „soziale Dilemma“<br />

Dass Abfallentsorgung jedoch, auch unter E<strong>in</strong>beziehung zivilgesellschaftlicher Ansätze, mit nicht<br />

unbedeutenden, gesellschaftlich bed<strong>in</strong>gten Schwierigkeiten zu kämpfen hat, soll hier zunächst auf<br />

theoretischer Ebene unter Rückgriff auf die Public Choice-Schule <strong>der</strong> Ökonomie gezeigt werden.<br />

Diese stellt fest, dass sich gesellschaftliche Akteure immer wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> „soziale Dilemmata“ verstri-<br />

cken:<br />

42


Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

Darunter s<strong>in</strong>d Situationen zu verstehen, <strong>in</strong> denen das rationale Handeln <strong>der</strong> Beteiligten Ergebnisse<br />

zu Tage för<strong>der</strong>t, die für die unmittelbaren Akteure o<strong>der</strong> für die Gesellschaft als Ganzes abträglich<br />

s<strong>in</strong>d. Trotzdem ist <strong>der</strong> Anreiz für die direkt Beteiligten, die bestehende Lage o<strong>der</strong> ihr eigenes<br />

Verhalten so zu än<strong>der</strong>n, daß für sie o<strong>der</strong> für alle Beteiligten positive Handlungsfolgen entstehen,<br />

äußerst ger<strong>in</strong>g. Am Ende geraten alle <strong>in</strong> sogenannte ‚Rationalitätenfallen’. Der Weg zur<br />

wechselseitig vorteilhaften Kooperation ist versperrt“ (BRENNAN/BUCHANAN 1993: XII 25 ).<br />

Y<br />

gesteht<br />

Y<br />

gesteht nicht<br />

X<br />

gesteht 6 / 6 0,5 / 10<br />

X<br />

gesteht nicht 10 / 0,5 1 / 1<br />

Abbildung 4: Das Gefangenendilemma (<strong>in</strong> Anlehnung an BRENNAN/BUCHANAN 1993: 5)<br />

Das klassische Gefangenendilemma (vgl. Abbildung 4, S. 43) soll dies verdeutlichen: Zwei Ver-<br />

dächtige (X und Y) werden festgenommen und getrennt <strong>von</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong>haftiert. Die Polizei weiß,<br />

dass sie zusammen e<strong>in</strong>e Straftat begangen haben, hat jedoch nicht genügend Beweise und ist des-<br />

halb auf Geständnisse angewiesen. Die Ermittler sichern jedem <strong>der</strong> beiden Verdächtigen als An-<br />

reiz für e<strong>in</strong> Geständnis zu, <strong>in</strong> diesem Fall vor Gericht nicht die Höchststrafe <strong>von</strong> 10 Jahren zu<br />

beantragen. Gesteht nur e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> beiden, würde se<strong>in</strong> Komplize mit <strong>der</strong> Höchststrafe <strong>von</strong> 10 Jah-<br />

ren belegt, während se<strong>in</strong>e eigene Strafe auf e<strong>in</strong> halbes Jahr reduziert wird (Kronzeugenregelung).<br />

Gestehen beide werden sie jeweils 6 Jahre h<strong>in</strong>ter Gitter wan<strong>der</strong>n (Kronzeugenregelung muss nicht<br />

angewandt werden). Gesteht ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Beiden, werden sie auf Grund e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en Gesetzversto-<br />

ßes zu ger<strong>in</strong>gen Strafen verurteilt (e<strong>in</strong> Jahr). Nun ist es für X, unabhängig da<strong>von</strong> was Y tut, besser<br />

zu gestehen. Sollte X gestehen und Y nicht, bekäme X die halbjährige Strafe (besser als e<strong>in</strong> Jahr bei<br />

Geständnis <strong>von</strong> Y). Sollte Y gestehen, bekäme X sechs Jahre (besser als 10 Jahre bei nicht geste-<br />

hen). Zu gestehen wird zur dom<strong>in</strong>anten Strategie, weil sie dem <strong>in</strong>dividuellen Nutzen entspricht.<br />

Dies führt aber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge nicht zum rational besten Ergebnis für das Kollektiv, da beide bei<br />

25 Dar<strong>in</strong> <strong>von</strong> Watr<strong>in</strong>, Christian: „E<strong>in</strong>leitung zur deutschen Ausgabe. Die Bedeutung <strong>von</strong> Regeln für die gesellschaftliche<br />

Kooperation.“<br />

43


Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

Verfolgung des <strong>in</strong>dividuellen Nutzenkalküls sechs Jahre h<strong>in</strong>ter Gitter müssten. Wenn ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong><br />

beiden gestehen würden, kämen sie beide mit e<strong>in</strong>er jeweils e<strong>in</strong>jährigen Strafe da<strong>von</strong> (BREN-<br />

NAN/BUCHANAN 1993: 4, VOIGT 2002: 48f.).<br />

E<strong>in</strong>e modifizierte Herangehensweise kann über das Schwarzfahrerproblem <strong>von</strong> Olsen 26 erfolgen.<br />

Dessen Theorie besagt, dass rational handelnde E<strong>in</strong>zelpersonen versuchen werden, die Kosten <strong>der</strong><br />

Teilnahme an e<strong>in</strong>er großen Gruppe zu vermeiden, wenn sie <strong>in</strong>dividuelle Vorteile auch als<br />

Schwarzfahrer nutzen können (NORTH 1988: 10f.). Somit, das zeigen diese beiden Beispiele, ist<br />

„[j]ede Regel, die, wenn sie befolgt wird, e<strong>in</strong> – gesellschaftlich gesehen – besseres Ergebnis zustandebr<strong>in</strong>gt,<br />

[…] <strong>der</strong> Gefahr ausgesetzt, <strong>von</strong> e<strong>in</strong>igen o<strong>der</strong> allen am Spiel Beteiligten verletzt zu werden,<br />

sobald diese dem <strong>in</strong>dividuell rationalen Verhaltenskalkül folgen. Das Verhalten e<strong>in</strong>es Individuums,<br />

das die Regel verletzt, kann nicht als abweichend o<strong>der</strong> irrational klassifiziert werden“<br />

(BRENNAN/BUCHANAN 1993: 6).<br />

Wie ist dieses soziale Dilemma also zu lösen? Die Beantwortung <strong>der</strong> „Frage, wie das Verhalten<br />

unterschiedlich motivierter Individuen so <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang gebracht w[erden kann], daß Handlungser-<br />

gebnisse zustandekommen, die <strong>von</strong> allen Beteiligten toleriert werden können“ (BREN-<br />

NAN/BUCHANAN 1993: 6) stellt den Kern e<strong>in</strong>es solchen Lösungsgedankens dar. Es s<strong>in</strong>d also Insti-<br />

tutionen vorzuschlagen, bei denen es für Akteure <strong>in</strong> <strong>der</strong> sozialen Interaktion rational ist, sich an<br />

gemachte Versprechungen zu halten 27 . Da aber die Kosten den Müll e<strong>in</strong>fach auf öffentlichen Plät-<br />

zen abzuladen weit ger<strong>in</strong>ger s<strong>in</strong>d als im kosten<strong>in</strong>tensivsten Fall (etwa bei Privatisierung) dafür<br />

Gebühren zu zahlen, würde das <strong>in</strong>dividuelle Nutzenkalkül erstere, für die Gesellschaft aber sehr<br />

kosten<strong>in</strong>tensive Lösung vorziehen (ANAND 1999: 161f.). Wirksame staatliche Regeln und Strafen<br />

wären e<strong>in</strong>e Lösung, die aber bei mangeln<strong>der</strong> Reichweite und Durchsetzungskraft (<strong>in</strong>stitutionelle<br />

Leere), analog zur Theorie <strong>der</strong> NIÖ (vgl. Kapitel II.2.3, S. 17), wenig erfolgversprechend zu se<strong>in</strong><br />

sche<strong>in</strong>en. Die Haushalte müssten, das wird im Gefangenendilemma ausgeschlossen, kommunizie-<br />

ren und e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>barung treffen, ke<strong>in</strong>en Müll auf öffentlichen Plätzen mehr zu entsorgen, son-<br />

<strong>der</strong>n geeignete Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Um möglichst viele Haushalte <strong>von</strong> <strong>der</strong> gesamtge-<br />

sellschaftlich besseren Lösung zu überzeugen, wäre es erfor<strong>der</strong>lich durch Öffentlichkeitsarbeit<br />

26 Weiterführend: Olsen, Mancur (1968): Die Logik des kollektiven Handelns. Tüb<strong>in</strong>gen.<br />

27 Darunter ist etwa das Versprechen zu verstehen, die Gesetze des Staates zu achten. Im Gegenzug erhält <strong>der</strong> Bürger<br />

dafür im Idealfall staatlichen Schutz und staatliche Leistungen.<br />

44


Anmerkungen zu analytischen Zugängen zum Gegenstandsbereich<br />

über die gesellschaftlichen und <strong>in</strong>dividuellen Folgen abweichenden Verhaltens zu <strong>in</strong>formieren und<br />

die Bevölkerung zu sensibilisieren. Darüber h<strong>in</strong>aus müsste auch gewährleistet se<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong>e Al-<br />

ternative zur „wilden Entsorgung“ vorhanden wäre und, sollte dies <strong>der</strong> Fall se<strong>in</strong>, <strong>der</strong>en Vorteile<br />

nicht <strong>von</strong> zu vielen „Schwarzfahrern“ genutzt werden. Über die E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>von</strong> zivilgesellschaft-<br />

lichen Gruppierungen und des privaten Sektors wird <strong>in</strong> Freetown/Sierra Leone <strong>von</strong> <strong>der</strong> Entwick-<br />

lungszusammenarbeit versucht, diese Erkenntnisse zu berücksichtigen und ähnlich dem ISWM <strong>in</strong><br />

die Praxis umzusetzen. Dies ist <strong>der</strong> (empirische) Gegenstandsbereich dieser Untersuchung. Der<br />

duale Ansatz <strong>der</strong> deutschen EZ zielt zum e<strong>in</strong>en darauf ab, die Beschäftigung Jugendlicher zu för-<br />

<strong>der</strong>n, um diese im Nachgang des Krieges wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> wirtschaftliche Kreisläufe zu <strong>in</strong>tegrieren. Zum<br />

an<strong>der</strong>en sollen die enormen Müllprobleme Freetowns reduziert werden. Die Lösung sozialer Di-<br />

lemmata und auch des Schwarzfahrerproblems ist jedoch e<strong>in</strong> äußerst langwieriger Weg auf dem<br />

zahlreiche H<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse überwunden werden müssen (vgl. Kapitel V, S. 61).<br />

45


Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

IV. Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabili-<br />

tierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

Abbildung 5: Übersichtskarte Sierra Leone (UNIVERSITY OF TEXAS 2005)<br />

46


Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

1. Kle<strong>in</strong>e postkoloniale Geschichte Sierra Leones<br />

„Of the West African colonies that came <strong>in</strong>to <strong>in</strong>dependance <strong>in</strong> the 1960s, this territory is unmatched<br />

<strong>in</strong> the recklessness with which its political elite has callously un<strong>der</strong>m<strong>in</strong>ed the hopes and<br />

aspirations of its people for political stability and the susta<strong>in</strong>ed improvement of liv<strong>in</strong>g standards.<br />

Now widely advertised as one of the world’s poorest nations, though with an immense potential<br />

<strong>in</strong> human and material resources, this ill-fated republic has repeatedly squan<strong>der</strong>ed its opportunity<br />

to <strong>in</strong>stitutionalize democratic governance, the rule of law, and the protection of the fundamental<br />

freedoms of its people” (CONTEH-MORGAN/DIXON-FYLE 1999: 1).<br />

Bei diesem vernichtenden Urteil fragt sich <strong>der</strong> Betrachter, wie aus Sierra Leone und <strong>der</strong> Haupt-<br />

stadt Freetown, bei <strong>der</strong> Unabhängigkeit 1961 noch als „Athen Westafrikas“ bezeichnet, mit sei-<br />

nen sche<strong>in</strong>bar äußerst günstigen Voraussetzungen e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> ärmsten Staaten <strong>der</strong> Welt werden<br />

konnte. Die Geschichte Sierra Leones spiegelt durchaus das typische Muster <strong>der</strong> postkolonialen<br />

Entwicklung <strong>der</strong> afrikanischen Staaten wie<strong>der</strong>. Auf diesem Weg, den so viele unabhängig gewor-<br />

dene Territorien des Kont<strong>in</strong>ents gehen mussten, wurde e<strong>in</strong> kurzes Demokratieexperiment <strong>in</strong> den<br />

frühen 1960er Jahren relativ schnell durch dreißig Jahre E<strong>in</strong>parteien- o<strong>der</strong> Militärherrschaft abge-<br />

löst (HIRSCH 2001: 28, KEEN 2005: 9). CONTEH-MORGAN/DIXON-FYLE sehen dabei e<strong>in</strong> Konti-<br />

nuum <strong>von</strong> Programmen und Politiken <strong>der</strong> verantwortlichen Autoritäten, die schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorko-<br />

lonialzeit begannen und sich bis heute fortsetzen 28 (1999: 1, auch KEEN 2005: 8). Es soll gezeigt<br />

werden, wie <strong>der</strong> Staat Sierra Leone durch endogene und exogene Prozesse zwischen 1961 und<br />

1991 prekarisiert wurde und als primärer Referenzrahmen für gesellschaftliche Akteure an Rele-<br />

vanz verlieren musste. Der elfjährige Krieg zwischen 1991 und 2002, im Zuge dessen <strong>der</strong> Staat <strong>in</strong><br />

weiten Teilen des Landes quasi nicht mehr existent war und durch an<strong>der</strong>e Regelwerke ersetzt<br />

wurde, muss als Höhepunkt des Prekarisierungsprozesses gesehen werden. Zwar wird dabei nicht<br />

ausführlich Bezug genommen auf e<strong>in</strong>e Informalisierung <strong>von</strong> Wirtschaftstätigkeiten, da <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang schlicht die Literatur fehlt bzw. ke<strong>in</strong>e empirischen Erhebungen gemacht wurden.<br />

Trotzdem s<strong>in</strong>d die Folgen <strong>der</strong> Ereignisse <strong>der</strong> 1990er Jahre <strong>von</strong> maßgeblicher Bedeutung für die<br />

Postkonfliktperiode sowie ihren entsprechenden <strong>in</strong>stitutionellen Konfigurationen.<br />

28 Weiterführend für (Prä-) Kolonialzeit siehe CONTEH-MORGAN/DIXON-FYLE (1999). In diesem Rahmen soll jedoch<br />

ausführlicher nur auf die Postkolonialperiode e<strong>in</strong>gegangen werden.<br />

47


Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

1.1 Prekarisierung und Delegitimierung des Staates<br />

Übere<strong>in</strong>stimmend kommen nahezu alle Experten auf dem Gebiet <strong>der</strong> sierra-leonischen Geschich-<br />

te zu dem Schluss, dass die Prekarisierung des Staates und <strong>der</strong> daraus resultierende Krieg <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie auf die autokratische und personalisierte Herrschaft Siaka Stevens <strong>von</strong> 1968 bis 1985 zu-<br />

rückzuführen s<strong>in</strong>d (ALBRECHT/MALAN 2006: 35). Zwar begann die Informalisierung <strong>der</strong> Politik<br />

bereits unter dessen Vorgänger Albert Margai, dem Bru<strong>der</strong> des beliebten ersten Präsidenten Sir<br />

Milton Margai (FYLE 2006: xli, HIRSCH 2001: 28). Jedoch entstand vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ägide Siaka<br />

Stevens aus den Reihen des All People’s Congress (APC) e<strong>in</strong> hochzentralisiertes, <strong>in</strong>effizientes und<br />

korruptes bürokratisches System, das die Bevölkerung marg<strong>in</strong>alisierte und den Bürgern ihren Frei-<br />

heiten und Rechten beraubte (ALIE 2006: 18). Nicht mehr Leistung, son<strong>der</strong>n klientelistische Be-<br />

ziehungen waren fortan das konstituierende Merkmal <strong>der</strong> persönlichen Gew<strong>in</strong>nerwartungen 29<br />

(ALIE 2006: 19, HIRSCH 2001: 24f. und 28, KEEN 2005: 14). Mit <strong>der</strong> Machtübernahme Stevens<br />

wurde „[t]he decl<strong>in</strong>e of politics and the politics of decl<strong>in</strong>e” 30 e<strong>in</strong>geläutet (ZACK-WILLIAMS 2002:<br />

298). Auch KALLON sieht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Untersuchung „The Political Economy of Corruption <strong>in</strong> Sierra<br />

Leone“ (2004) die Korruption und Misswirtschaft unter Stevens und dessen Nachfolger Momoh<br />

als die Ursache <strong>der</strong> prekären Staatlichkeit und <strong>der</strong>en desaströser Folgen. Die Herrschaft Stevens<br />

war geprägt <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em allmählichen und anhaltenden Verfall <strong>der</strong> Wirtschaft, bei augensche<strong>in</strong>li-<br />

cher Korruption und Maßnahmen zum eigenen Machterhalt. So wurden se<strong>in</strong>e Gegner <strong>in</strong> die eige-<br />

nen Reihen <strong>in</strong>korporiert, klientelistische Beziehung zum Militär ausgebaut sowie 1978 nach Un-<br />

ruhen <strong>in</strong> Folge <strong>von</strong> Studentenprotesten am Fourah Bay College Neuwahlen ausgerufen. Freilich<br />

erst nachdem das Parlament e<strong>in</strong> Gesetz verabschiedete, das die E<strong>in</strong>parteienherrschaft ermöglichte<br />

(FYLE 2006: xli f.). Stevens korrumpierte und zerstörte während se<strong>in</strong>er Herrschaft sämtliche Insti-<br />

tutionen des Staates („seventeen-year plague of locusts“). Das Parlament wurde bedeutungslos,<br />

Richter e<strong>in</strong>geschüchtert o<strong>der</strong> bestochen, die Universität nicht mehr f<strong>in</strong>anziert, Ausbildung zu<br />

Gunsten <strong>der</strong> Akquirierung schnellen Reichtums zurückgefahren und die Leistungsfähigkeit <strong>der</strong><br />

29 Vor allem auf Grundlage <strong>der</strong> beiden großen vorherrschenden Ethnien wurde Rivalität politisch konstruiert und fand<br />

so E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> die Parteienlandschaft. Die vor allem im Süden und Südosten ansässigen Mende werden <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />

<strong>der</strong> Sierra Leone People’s Party (SLPP), die vor allem im Norden beheimateten Temne vorrangig <strong>der</strong> APC zugeordnet.<br />

30 So <strong>der</strong> Titel des Aufsatzes <strong>von</strong> Zack-Williams, Alfred B. (1987): Sierra Leone, 1968-85: The Decl<strong>in</strong>e of Politics and<br />

the Politics of Decl<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Sierra Leone. In: Jones, Adams/Mitchell, Peter K. (Hrsg.): Sierra Leone Studies at Birm<strong>in</strong>gham<br />

1985. Birm<strong>in</strong>gham.<br />

48


Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

Armee unterm<strong>in</strong>iert (HIRSCH 2001: 29). Der wirtschaftliche Verfall wurde massiv <strong>in</strong> den 1980er<br />

Jahren und wurde begleitet <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em enormen Haushaltsdefizit, galoppieren<strong>der</strong> Inflation des<br />

Leones, hohen Schulden für Öl und e<strong>in</strong>er wachsenden Abhängigkeit <strong>von</strong> externen F<strong>in</strong>anzierungs-<br />

quellen, wie dem Internationalen Währungsfond (IWF). Die Konditionen <strong>der</strong> Strukturanpas-<br />

sungsprogramme mit denen ja vielfach auf die Schuldenkrise reagiert wurde, hatten nicht die ge-<br />

wünschten Effekte, son<strong>der</strong>n niedrigere Löhne, steigende Konsumausgaben und so e<strong>in</strong>e Verar-<br />

mung <strong>der</strong> Bevölkerung zur Folge, da die sierra-leonischen Autoritäten die Restriktionen <strong>der</strong> Be-<br />

völkerung auferlegten. Die Ausgaben für Sozialleistungen sanken, Elektrizität gab es auch <strong>in</strong> Free-<br />

town nur sporadisch, Benz<strong>in</strong> war knapp, die Infrastruktur verfiel und die Arbeitslosigkeit erreich-<br />

te Höchststände (ABDULLAH 2002: 206, ALBRECHT/MALAN 2006: 35, HIRSCH 2001: 30). Den<br />

Stopp <strong>der</strong> Bezahlung <strong>von</strong> Lehrern konnten nur reiche Familien umgehen, die den Schulunterricht<br />

ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> persönlich beim Lehrer bezahlten. Unausgebildete, perspektivlose Jugendliche waren<br />

die Folge, die dann leicht <strong>von</strong> den Kämpfern <strong>der</strong> Revolutionary United Front (RUF) für ihre Zwe-<br />

cke missbraucht werden konnten (HIRSCH 2001: 30). CONTEH-MORGAN/DIXON-FYLE<br />

(1999: 5) machen die Strukturanpassungspolitik <strong>von</strong> Weltbank und Internationalem Währungs-<br />

fonds als bedeutenden Faktor <strong>in</strong> <strong>der</strong> Strangulierung des e<strong>in</strong>fachen Sierra-Leoners aus. Dieser hatte<br />

unter den durch die Regierung verordneten E<strong>in</strong>sparungen beson<strong>der</strong>s zu leiden, während die herr-<br />

schende M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit weiterh<strong>in</strong> ihre Pfründe sichern konnte, da sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong> <strong>von</strong> Stevens gesponnenes<br />

Netz klientelistischer Beziehungen e<strong>in</strong>geflochten war und mit den verbleibenden Staatsrevenuen<br />

ruhig gestellt wurde (RENO 2003: 46). Als diese immer mehr zurückg<strong>in</strong>gen, wurde die Landwirt-<br />

schaft geschröpft. Die Zivilgesellschaft wurde weiter unterdrückt. Unternehmer zogen sich <strong>in</strong> die<br />

<strong>in</strong>formelle Ökonomie zurück. Die Legitimität <strong>der</strong> Regierung erodierte weiter. Die Führung wie-<br />

<strong>der</strong>um reagierte mit weiterer Privatisierung <strong>von</strong> Staatsressourcen entlang ethnischer und persona-<br />

lisierter L<strong>in</strong>ien, was die sozialen und politischen Spannungen weiter steigen ließ (ZACK-WILLIAMS<br />

2002: 298).<br />

Zu se<strong>in</strong>em Nachfolger bestimmte Stevens schließlich den Brigadegeneral J.S. Momoh, <strong>der</strong> die<br />

gefälschten Wahlen 1985 als e<strong>in</strong>ziger angetretener Kandidat gewann. Der Verfall <strong>der</strong> Wirtschaft<br />

beschleunigte sich aber weiter. Mit dem Ende <strong>der</strong> Sowjetunion im Jahre 1991 und <strong>der</strong> dadurch<br />

folgenden Konditionierung <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziellen Hilfe an Demokratisierungsprozesse g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> hoher<br />

Druck seitens <strong>der</strong> Zivilgesellschaft vor allem <strong>der</strong> Studenten e<strong>in</strong>her (FYLE 2006: xliii f.). Die Gesell-<br />

schaft war nach <strong>der</strong> Herrschaft Stevens <strong>von</strong> großen Hoffnungen auf Momoh geprägt. Jedoch<br />

49


Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

wurde bald offensichtlich, dass dieser nur fortsetzte, was Stevens begann und nicht fähig war das<br />

Land effektiv zu führen (HIRSCH 2001: 30).<br />

EXKURS: „Taylor-factor“, „Curse of Resources“ und e<strong>in</strong> “Neuer Krieg”<br />

Nur vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> über lange Zeit entstandenen strukturellen Faktoren ist zu verste-<br />

hen, wie aus e<strong>in</strong>er Gruppe <strong>von</strong> e<strong>in</strong>hun<strong>der</strong>t bis dreihun<strong>der</strong>t Kämpfern, die sich aus Anhängern<br />

Charles Taylors 31 , sierra-leonischen Dissidenten um Foday Sankoh und e<strong>in</strong>igen Söldnern aus Bur-<br />

k<strong>in</strong>a Faso zusammensetzten, e<strong>in</strong> über e<strong>in</strong> Jahrzehnt andauern<strong>der</strong> Konflikt werden konnte<br />

(HIRSCH 2001: 31, KEEN 2005: 1f., RENO 2003: 56).<br />

“By 2000 […] Sierra Leone had jo<strong>in</strong>ed Somalia, Rwanda, the Democratic Republic of Congo<br />

(DRC), Sudan and Angola <strong>in</strong> the catalogue of states and societies by protracted conflict” (Hirsch<br />

2001: 13).<br />

Wie konnte es nun zu e<strong>in</strong>er <strong>der</strong>artigen Dynamisierung <strong>der</strong> Kampfhandlungen mit über 50 000<br />

Toten, 20 000 Amputierten und mehr als zwei Millionen Flüchtl<strong>in</strong>gen kommen? 32 E<strong>in</strong>e Erklä-<br />

rung kann mit Hilfe des Konzepts <strong>der</strong> neuen Kriege erfolgen (MÜNKLER 2002). Diese s<strong>in</strong>d <strong>von</strong><br />

e<strong>in</strong>er Privatisierung <strong>der</strong> Gewaltakteure, <strong>der</strong> Ökonomisierung <strong>der</strong> Gewaltmotive, <strong>der</strong> Brutalisie-<br />

rung <strong>der</strong> Gewaltstrategien und <strong>der</strong> Krim<strong>in</strong>alisierung <strong>der</strong> Gewaltökonomien geprägt (HEUPEL<br />

2005). Zwischen 1991 und 1996 näherte sich <strong>der</strong> Konflikt <strong>in</strong> Sierra Leone dem Typus e<strong>in</strong>es sol-<br />

chen neuen Krieges an und erfüllte <strong>von</strong> da an alle Kriterien, die e<strong>in</strong>e Klassifizierung als neuer Krieg<br />

erlauben. So war e<strong>in</strong>e Vielzahl unterschiedlichster Gewaltakteuren <strong>in</strong>volviert (RUF, Independant<br />

RUF, West-Side-Boys, LURD, Civil Defense Forces, reguläre sierra-leonische und gu<strong>in</strong>eische Streit-<br />

kräfte, ECOMOG, Executive Outcomes, Sandl<strong>in</strong>e). Der souveräne Staat Sierra Leone war nicht<br />

mehr das ausschließlich bestimmende Element des afrikanischen <strong>in</strong>ternationalen Systems ist (RE-<br />

NO 1997: 8). Die ökonomischen Gewaltmotive <strong>der</strong> RUF rangierten klar vor ideologischen Be-<br />

31 Taylor löste 1989 mit e<strong>in</strong>em bewaffneten Aufstand gegen den damaligen Machthaber Liberias, Samuel Doe, e<strong>in</strong>en<br />

Konflikt aus, <strong>in</strong> welchem Taylor fortan als Warlord agierte. 1997 wurde er trotzdem zum liberianischen Präsidenten<br />

gewählt. Der Bürgerkrieg dauerte an. Heute steht Taylor vor dem UN-Son<strong>der</strong>gerichtshof für Sierra Leone und muss<br />

sich wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten.<br />

32 Auf e<strong>in</strong>e chronologische und vollständige Darstellung des Kriegsverlaufs wird an dieser Stelle verzichtet. Es sei auf<br />

die umfangreiche Literatur zu diesem Thema verwiesen (ALIE 2006, Conteh-Morgan/Dixon-Fyle 1999, FYLE 2006,<br />

HEUPEL 2005, HIRSCH 2001, KEEN 2005, RENO 1997, RENO 2003, ZACK-WILLIAMS 2002).<br />

50


Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

gründungen. Diese war für viele arbeitslose Jugendliche ohneh<strong>in</strong> wohl eher sekundär, sie traten<br />

<strong>der</strong> RUF bei, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hoffnung <strong>der</strong> Armut zu entfliehen (ALIE 2006: 31). Sie waren gerade vor dem<br />

H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> sozioökonomischen Situation leicht für die Botschaft empfänglich, das autoritä-<br />

re und kleptokratische System des APC zu beseitigen (ZACK-WILLIAMS 2002: 287). E<strong>in</strong>e Brutali-<br />

sierung gegenüber <strong>der</strong> Bevölkerung war festzustellen. Die F<strong>in</strong>anzierung erfolgte auf <strong>der</strong> Basis <strong>von</strong><br />

Diamantenschmuggel (HEUPEL 2005: 141). Der Krieg funktioniert also nach eigenen Regelwer-<br />

ken. KEEN (2005: 2ff.) zeigt darüber h<strong>in</strong>aus, dass dieser Konflikt wenig mit Kaplans „The Com<strong>in</strong>g<br />

Anarchy“ geme<strong>in</strong> hat und argumentiert gegen die Inhumanisierung <strong>von</strong> Gewaltkonflikten. Denn<br />

die Gleichsetzung <strong>von</strong> Staatskollaps sowie Anarchie und Gräueltaten s<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>er Ansicht e<strong>in</strong>e<br />

non-explanation. In dieselbe Richtung zielt HIRSCH (2001: 17), <strong>der</strong> die Ursachen des Krieges <strong>in</strong><br />

den politischen Interessen bestimmter Politiker und ihrer Klüngel sieht. Der Konflikt <strong>in</strong> Sierra<br />

Leone muss so durch Analyse <strong>der</strong> Handlungen und Ziele <strong>der</strong>er, die Gewaltakte verüben und <strong>in</strong>-<br />

strumentalisieren, erklärt werden (KEEN 2005: 5 und 8):<br />

„In many ways, Sierra Leone may simply have been unlucky <strong>in</strong> its comb<strong>in</strong>ation of proximity to<br />

Liberia and possession of very valuable – easily extractable resources – most notably <strong>in</strong> the form<br />

of alluvial diamonds”.<br />

Die relativ e<strong>in</strong>fache Ausbeutung <strong>der</strong> Diamantenvorkommen war e<strong>in</strong> mitentscheiden<strong>der</strong> Faktor<br />

für den Krieg und die Art und Weise <strong>der</strong> Kriegsführung, da diese alluvial abgelagert s<strong>in</strong>d und nicht<br />

durch technologische M<strong>in</strong>enarbeit abgebaut werden müssen. Die ökonomischen Interessen an <strong>der</strong><br />

Kontrolle dieser wertvollen m<strong>in</strong>eralischen Ressourcen s<strong>in</strong>d die (mit) entscheidende Motivation<br />

für Beg<strong>in</strong>n und Dauer des Kriegs, da Sankoh bei Taylor die Diamanten für Waffen e<strong>in</strong>tauschen<br />

konnte und beide <strong>von</strong> <strong>der</strong> Fortdauer des Krieges und <strong>der</strong> Instabilität <strong>der</strong> Grenzregion profitierten<br />

(ALIE 2006: 16, KEEN 2005: 8, HIRSCH 2001: 15 und 25ff., RENO 2003: 45f.).<br />

Nachdem elf britische Soldaten <strong>von</strong> den West Side Boys, e<strong>in</strong>er Splittergruppe <strong>der</strong> RUF, entführt<br />

wurden, schlugen die mittlerweile auf Seiten <strong>der</strong> Regierung Kabbah (seit 1996) <strong>in</strong>volvierten Bri-<br />

ten die RUF entscheidend zurück. Die am 22. Oktober 1999 auf Grundlage <strong>der</strong> Resolution 1270<br />

des UN-Sicherheitsrates begonnene UNAMSIL-Mission, wurde später mit den Resolutionen<br />

1289 (7. Februar 2000) und 1346 (30. März 2001) überarbeitet (ICG 2004: 1) und hatte die Sta-<br />

tionierung <strong>von</strong> 20 500 UN-Peacekeeper und 250 Beobachtern zur Folge (HIRSCH 2001: 17). Im<br />

wurde Mai 2001 die Entwaffnung <strong>der</strong> Rebellen vere<strong>in</strong>bart (FYLE 2006: li). UNAMSIL beendete<br />

ihr Mandat am 31. Dezember 2005 (ALBRECHT/MALAN 2006: 36).<br />

51


Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

2. Folgen des Krieges: Der lange Weg <strong>der</strong> Rehabilitierung<br />

CONTEH-MORGAN/DIXON-FYLE stellten 1999 (151) fest, dass Sierra Leone nur <strong>in</strong> sehr begrenz-<br />

tem Umfang <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage ist auch nur kle<strong>in</strong>ste Bedürfnisse <strong>der</strong> Bevölkerung zu stillen. Nicht zu-<br />

letzt wegen des vollständigen ökonomischen Zusammenbruchs <strong>in</strong> Folge des Krieges ist die Regie-<br />

rung nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage ihre sozialen, wirtschaftlichen und sicherheitsrelevanten Verantwortlich-<br />

keiten gegenüber ihren Bürgern zu erfüllen (ALIE 2006: 16). Die Idee e<strong>in</strong>er zentralen nationalen<br />

Regierung war nahezu verschwunden, sah sie sich doch <strong>der</strong> Dom<strong>in</strong>anz sub-staatlicher Formen <strong>von</strong><br />

Herrschaft gegenüber (KAARSHOLM 2006: 2). An dieser Stelle soll kurz bewertet werden, wie sich<br />

die Rolle des Staates seither geän<strong>der</strong>t hat und wie sie sich gegenwärtig darstellt, da dieser den wei-<br />

teren Handlungsrahmen für die später im Mittelpunkt <strong>der</strong> Betrachtung stehenden Akteure <strong>der</strong><br />

Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown bildet.<br />

2.1 E<strong>in</strong> kurzer Blick auf die Qualität <strong>der</strong> Staatlichkeit<br />

“Sierra Leone is still a fragile state <strong>in</strong> which peace will not be consolidated until two th<strong>in</strong>gs happen.<br />

The elections must be violence-free and fair for results to be respected. Then the new authorities<br />

must deal with sources of discontent such as corruption, chiefs’ abuse of power and youth unemployment,<br />

lest they threaten stability” (ICG 2007: i).<br />

Die erste Voraussetzung, die die International Crisis Group für e<strong>in</strong>e Rehabilitierung des Staates als<br />

unabd<strong>in</strong>gbar anführt, wurde mit <strong>der</strong> friedlich und ohne nennenswerte Zwischenfälle verlaufenen<br />

Parlaments- und Präsidentenwahl im August bzw. September 2007 erfüllt. In <strong>der</strong>en Folge trat die<br />

neu gewählte APC-Regierung um Ernest Bai Koroma am 17.09.2007 ihr Amt an. Für zentrale<br />

Bereiche <strong>der</strong> Staatlichkeit (Sicherheit und Gewaltmonopol, Recht und Rechtstaatlichkeit, Wohl-<br />

fahrt und Ressourcenverteilung) soll nun e<strong>in</strong>e Bestandsanalyse erfolgen, um so den (formellen)<br />

<strong>in</strong>stitutionellen Rahmen bewerten zu können, dem sich die <strong>in</strong> dieser Arbeit untersuchten wirt-<br />

schaftenden Akteure gegenübersehen. So viel vorneweg: Sierra Leone wird <strong>in</strong> acht <strong>von</strong> acht unter-<br />

schiedlichen Rank<strong>in</strong>gs und Indizes aus den Jahren 2003 bis 2006 als Staat mit erheblichen Defizi-<br />

ten <strong>in</strong> mehreren Dimensionen <strong>von</strong> Staatlichkeit gelistet (SCHNECKENER 2007: 362f.).<br />

Sicherheit und staatliches Gewaltmonopol s<strong>in</strong>d zentrale Voraussetzung für die Entwicklung <strong>der</strong><br />

lokalen Wirtschaft sowie für die Anziehung <strong>von</strong> Auslands<strong>in</strong>vestitionen (security development ne-<br />

xus) und damit Voraussetzung <strong>von</strong> Rehabilitierungsbestrebungen <strong>in</strong> allen Sektoren. Das Gewalt-<br />

monopol <strong>in</strong> Sierra Leone ist wie<strong>der</strong> hergestellt (ICG 2007: 1). Dabei wurden beachtliche Fort-<br />

52


Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

schritte erreicht bei <strong>der</strong> Klärung <strong>der</strong> Zuständigkeiten <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Sicherheitsorgane, bei <strong>der</strong><br />

Etablierung des Pr<strong>in</strong>zips des Primats <strong>der</strong> polizeilichen Zuständigkeit <strong>in</strong> Sachen <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Si-<br />

cherheit, bei <strong>der</strong> entsprechenden Reduzierung <strong>der</strong> Stärke des Militärs sowie bei <strong>der</strong> Zusammenar-<br />

beit zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Organen. Gerade vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Transformation <strong>von</strong> stark politisierten, unberechenbaren Sicherheitsorganen, die vor allem den<br />

Interessen <strong>der</strong> Herrscher dienten, können Erfolge verzeichnet werden. Nichtsdestotrotz s<strong>in</strong>d noch<br />

viele Herausfor<strong>der</strong>ungen zu bewältigen, wobei vor allem die fehlenden Kapazitäten für Löhne,<br />

Ausrüstung, Infrastruktur bei allen Sicherheitsorganen auffallen. Daher wird Sierra Leone <strong>in</strong> die-<br />

sem Bereich mittelfristig <strong>von</strong> externer Unterstützung abhängig bleiben (GIENANTH/HANSEN<br />

2006: 4).<br />

Rechtstaatlichkeit basiert auf verschiedenen Säulen, unter an<strong>der</strong>em <strong>der</strong> Polizei und <strong>der</strong> Justiz.<br />

Diese Bereiche müssen unbed<strong>in</strong>gt gleichzeitig entwickelt werden, da sonst Probleme im e<strong>in</strong>en<br />

Bereich an<strong>der</strong>e Bereiche beh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, wie es gegenwärtig für Sierra Leone <strong>der</strong> Fall ist. Zwar wurde<br />

<strong>der</strong> Polizeiapparat <strong>in</strong> den vergangenen Jahren reformiert, an<strong>der</strong>e Bereiche blieben aber zurück. E<strong>in</strong><br />

weiteres Problem zeigt sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dualität <strong>von</strong> „mo<strong>der</strong>nem“ und „traditionellem“ Rechtssystem.<br />

Dabei ist für die zukünftige Entwicklung em<strong>in</strong>ent wichtig, das customary law <strong>in</strong> das formelle Ge-<br />

setz zu <strong>in</strong>korporieren (GIENANTH/HANSEN 2006: 5f.), da die Än<strong>der</strong>ung <strong>in</strong>formeller Institutio-<br />

nen weit schwieriger zu verfolgen ist, als die <strong>der</strong> formellen Gegenparts (vgl. Kapitel II.2.5, S. 18).<br />

E<strong>in</strong>e weitere zentrale Herausfor<strong>der</strong>ung für e<strong>in</strong>en erfolgreichen Friedensprozess ist die Beseitigung<br />

<strong>von</strong> Korruption auf allen Regierungsebenen. Ohne angemessene Anti-Korruptionsmaßnahmen<br />

wird die vorangetriebene Dezentralisierung nur zu e<strong>in</strong>er „Dezentralisierung <strong>der</strong> Korruption“ füh-<br />

ren. Mit <strong>der</strong> Etablierung <strong>der</strong> Anti-Corruption-Commission im März 2000 wurde e<strong>in</strong> erster Schritt<br />

getan (ALBRECHT/MALAN 2006: 10). Gerade unter Rückgriff auf die Theorie wird dies aber e<strong>in</strong><br />

sehr langer Prozess werden, da Korruption im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>formellen Institution <strong>der</strong>art <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gesellschaft <strong>in</strong>ternalisiert ist, dass Erfolge nicht schnell zu erreichen se<strong>in</strong> werden (dazu RENO<br />

2003: 64f., vgl. auch Kapitel V.4.2, S. 99)<br />

E<strong>in</strong>e Steigerung <strong>der</strong> Wohlfahrtsleistung des Staates und e<strong>in</strong>e gerechte Ressourcenverteilung, e<strong>in</strong>-<br />

hergehend mit wirtschaftlicher Entwicklung und Beseitigung <strong>der</strong> Armut ist e<strong>in</strong> weiterer wesentli-<br />

cher Bestandteil <strong>der</strong> Friedenskonsolidierung (ALBRECHT/MALAN 2006: 11, GIENANTH/HANSEN<br />

2006: 9). Gerade die reichen natürlichen Ressourcen, die Sierra Leone <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit zum<br />

Verhängnis wurden, könnten e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, Arbeitsplätze zu<br />

53


Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

schaffen und öffentliche E<strong>in</strong>nahmen zu erzielen. Jedoch wird die Landwirtschaft die Zukunft des<br />

Landes bestimmen. Daher ist e<strong>in</strong>e Modifikation des Bodenrechts <strong>von</strong> Nöten, um die völlige Kon-<br />

trolle des Landes <strong>in</strong> Händen <strong>der</strong> Paramount Chiefs zu beseitigen. Auch die bessere <strong>in</strong>frastrukturel-<br />

le Anb<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> ländlichen Gebiete an die Märkte muss erreicht werden (GIENANTH/HANSEN<br />

2006: 10).<br />

„While the task of build<strong>in</strong>g the security and governance sectors has moved decisively forward and<br />

while <strong>in</strong>itiatives are be<strong>in</strong>g taken to enhance Sierra Leone’s economy, one message of the sem<strong>in</strong>ar is<br />

clear — the peacebuild<strong>in</strong>g process has only just begun” (ALBRECHT/MALAN 2006: 7).<br />

2.2 Sozioökonomische Situation: Verstädterung und Marg<strong>in</strong>alisierung<br />

„The city of Freetown […] became the dream dest<strong>in</strong>ation of every citizen <strong>in</strong> search of the proverbial<br />

greener pasture – from the high school dropout to the college graduate, from the casual labourer<br />

to the skilled worker, from the rural migrant to the Sierra Leonean <strong>in</strong> the diaspora. And<br />

Freetown would be the place to go when a nasty rebel war broke out […]” (Abdullah 2002: 205).<br />

Die sozioökonomische Situation Sierra Leones ist <strong>in</strong> Folge <strong>der</strong> postkolonialen Politik und des<br />

elfjährigen Krieges verheerend. Zwar konnte <strong>in</strong> den Jahren <strong>von</strong> 2000 bis 2005 e<strong>in</strong> durchschnittli-<br />

ches jährliches Wachstum des Brutto<strong>in</strong>landsproduktes <strong>von</strong> 13,7% verzeichnet werden (WELT-<br />

BANK 2007), da aber davor praktisch ke<strong>in</strong>e (formellen) wirtschaftlichen Tätigkeiten vorhanden<br />

waren, relativiert sich dieser Wert nahezu. So urteilt die International Crisis Group (ICG 2007: 8),<br />

dass die Reformen im Nachgang des Krieges bisher nicht die beabsichtigten wirtschaftlichen Ef-<br />

fekte nach sich zogen. Sierra Leone liegt auf dem vorletzten Rang des Human Development Index<br />

(HDI). Schon 1989 lebten 82,8% <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wohner Sierra Leones unter <strong>der</strong> nationalen Armutsgren-<br />

ze <strong>von</strong> zwei US-Dollar, was global <strong>der</strong> höchste Wert war. Auch 2003/2004 wurde diese unrühmli-<br />

che Spitzenposition gehalten, als es noch 70,2% waren, wobei 79% auf ländliche und 56,4% auf<br />

städtische Gebiete entfielen. 26% lebten <strong>in</strong> extremer Armut (ICG 2007: 8, WELTBANK 2007).<br />

Die Alphabetisierungsrate <strong>von</strong> Erwachsenen ab 15 Jahren beträgt für die Jahre <strong>von</strong> 2000 bis 2004<br />

35% und ist damit e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> weltweit niedrigste Werte 33 (WELTBANK 2007). Dr<strong>in</strong>gend notwendi-<br />

33 Sicherlich auch e<strong>in</strong>e Folge e<strong>in</strong>er Dekade des Krieges, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Folge für e<strong>in</strong>en Großteil <strong>der</strong> Jugendlichen ke<strong>in</strong>e Ausbildung<br />

möglich war. Als Jugendliche s<strong>in</strong>d daher heute diejenigen erfasst, welche zwischen 15 und 35 Jahren alt s<strong>in</strong>d<br />

(GOVERNMENT OF SIERRA LEONE 2005), so dass diese <strong>von</strong> För<strong>der</strong>ungsmaßnahmen profitieren können.<br />

54


Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

ge Verbesserungen durch Investitionen des privaten Sektors s<strong>in</strong>d nicht zu erwarten. Sierra Leone<br />

wird weiter absolut abhängig <strong>von</strong> se<strong>in</strong>en Gebern se<strong>in</strong> (ABDULLAH 2002: 210).<br />

Freetown/Sierra Leone<br />

Abbildung 6: Übersichtskarte Freetown I(verän<strong>der</strong>t nach DACO/SLIS 2007)<br />

Zwar ist die Armut <strong>in</strong> den Städten ger<strong>in</strong>ger als <strong>in</strong> ländlichen Gebieten, doch ist gerade Freetown<br />

vor beson<strong>der</strong>e Probleme gestellt, die sich vor allem <strong>in</strong> Folge des Krieges und den damit verbunde-<br />

nen Zuwan<strong>der</strong>ern ergeben. Freetown war über lange Zeit die letzte Bastion gegenüber den Ge-<br />

waltakteuren. Auch im Nachgang des Krieges s<strong>in</strong>d starke Migrationsströme zu verzeichnen, gilt es<br />

doch <strong>der</strong> Armut auf dem Lande zu entfliehen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hoffnung e<strong>in</strong> neues Leben <strong>in</strong> Freetown be-<br />

g<strong>in</strong>nen zu können (ABDULLAH 2002: 211). Während und nach dem Krieg kamen 40% <strong>der</strong> sierra-<br />

leonischen Bevölkerung <strong>in</strong> die Hauptstadt und den Western Rural District (GTZ 2006b: 4, vgl.<br />

Abbildung 5, S.46). Die für Freetown angegebenen Bevölkerungszahlen s<strong>in</strong>d unterschiedlich,<br />

zeigen jedoch das enorme Wachstum <strong>der</strong> Stadt: 1985 wurden <strong>in</strong> Freetown 469 776 Menschen<br />

gezählt, für 2001 wurden 1 020 000 angenommen (DACO/SLIS 2004: 4). Die Weltbank-Berater<br />

<strong>von</strong> PRICEWATERHOUSECOOPERS/DHV (2006: 22) schätzen die Zahl nach <strong>der</strong> Volkszählung<br />

<strong>von</strong> 2004 auf bis zu 1,5 Millionen. E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er geht Schätzungen <strong>von</strong> 800 000 E<strong>in</strong>wohnern für<br />

1995 und 1,8 Millionen E<strong>in</strong>wohner im Jahr 2003 aus (SOOD 2004: 7). Bei e<strong>in</strong>em <strong>von</strong> <strong>der</strong> Welt-<br />

bank erwarteten jährlichen Bevölkerungswachstum <strong>von</strong> 3,4% für Freetown ist ke<strong>in</strong>e Entspannung<br />

<strong>der</strong> Lage <strong>in</strong> Sicht. Entsprechend werden auch die Anfor<strong>der</strong>ungen an Urban Governance weiter<br />

steigen (SOOD 2004: 7). So bezeichnet ZACK-WILLIAMS (2002) Freetown nicht nur wegen des<br />

Krieges als „City Un<strong>der</strong> Siege”. Steigende Armut und Exklusion <strong>der</strong> ländlichen Bevölkerung als<br />

W<br />

N<br />

S<br />

O<br />

55<br />

0 1 2 3km


Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

Auslöser <strong>von</strong> Land-Stadt-Wan<strong>der</strong>ung waren schon lange vor dem Krieg zu verzeichnen. Die Zu-<br />

wan<strong>der</strong>er stießen aber <strong>in</strong> Freetown auf kaum vorhanden Arbeitsplätze und weitere Marg<strong>in</strong>alisie-<br />

rung (ALIE 2006: 20). Beson<strong>der</strong>s im Ostteil <strong>der</strong> Stadt (vgl. Abbildung 6, S. 55) ist die Lage prekär,<br />

da dort 25% <strong>der</strong> „guten“ Häuser während <strong>der</strong> Rebellenbesatzung <strong>von</strong> Freetown im Januar 1999<br />

zerstört wurden und dieser Teil immer noch als erste Anlaufstelle <strong>der</strong> Migranten gilt:<br />

„The densely populated East End and its rough life contrast sharply with the sparsely populated<br />

central or West End and its posh hilltop suburbs of Wilberforce, Juba Hill, and Hill Station”<br />

(ABDULLAH 2002: 207).<br />

Als e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Hauptursachen des Krieges wird vor allem die Perspektivlosigkeit <strong>der</strong> jugendlichen<br />

Bevölkerung ausgemacht, die sich jedoch kaum verän<strong>der</strong>t hat. So liegt die Jugendarbeitslosigkeit<br />

bei fast 80%, da die Rehabilitierungs- und Re<strong>in</strong>tegrationsbemühungen <strong>der</strong> Geber und <strong>der</strong> Regie-<br />

rung wenig zur Lösung des Problems <strong>der</strong> Marg<strong>in</strong>alisierung beigetragen und kaum Arbeitsmög-<br />

lichkeiten für Jugendliche geschaffen haben (HANLON 2005: 461ff., ICG 2007: i und 8). E<strong>in</strong> Ex-<br />

perte <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit formulierte es so: „What we are offer<strong>in</strong>g them at the mo-<br />

ment is re<strong>in</strong>tegration <strong>in</strong>to poverty” (<strong>in</strong> GIENANTH/HANSEN 2006: 10). För<strong>der</strong>ung und Empower-<br />

ment Jugendlicher ist aber e<strong>in</strong> zentraler Punkt <strong>der</strong> Rehabilitierungsmaßnahmen und die Voraus-<br />

setzung für e<strong>in</strong>en nachhaltigen Frieden, denn die Jugend dürfte <strong>der</strong>zeit das größte Risikopotential<br />

des Landes darstellen. Viele <strong>der</strong> ehemaligen K<strong>in</strong><strong>der</strong>soldaten leben <strong>in</strong> Freetown ohne Arbeit <strong>in</strong> den<br />

marg<strong>in</strong>alisierten Vierteln. Aber auch diejenigen, welche nicht als K<strong>in</strong><strong>der</strong>soldaten missbraucht<br />

wurden, s<strong>in</strong>d <strong>von</strong> den Folgen Krieges geprägt. Sie haben oftmals ke<strong>in</strong>e Grund- und Ausbildung,<br />

s<strong>in</strong>d verwaist und entwurzelt. Daher ist e<strong>in</strong>e bedeutende Herausfor<strong>der</strong>ung, die „Krise <strong>der</strong> Jugend“<br />

zu beenden, vor allem die hohe Arbeitslosenrate, da zwei Drittel <strong>der</strong> Bevölkerung unter 30 Jahre<br />

alt s<strong>in</strong>d (GIENANTH/HANSEN 2006: 11, RUDNER 2005: 18).<br />

3. Ausgewählte, relevante Aspekte zur Entwicklungszusammenarbeit<br />

3.1 Allgeme<strong>in</strong>e Informationen zur EZ mit Sierra Leone<br />

Sowohl die kurzfristige Friedenskonsolidierung als auch die mittelfristige Entwicklung Sierra Le-<br />

ones ist abhängig <strong>von</strong> externer Unterstützung (HIRSCH 2001: 16f.). Dabei war Sierra Leone bis<br />

vor kurzem noch ke<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s beachteter Empfänger <strong>von</strong> <strong>in</strong>ternationaler Unterstützung (SAN-<br />

DY 2003: 325). Lag die öffentliche Entwicklungshilfe pro Kopf 1998 bei 22$, sank sie für 1999,<br />

sicherlich auch als Folge des RUF-E<strong>in</strong>marsches <strong>in</strong> Freetown, auf 15$, ehe sie dann mit 36$ für das<br />

56


Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

Jahr 2000, 56$ für 2003 auf 67$ im Jahr 2004 anstieg (WELTBANK 2001, 2002, 2003, 2006 und<br />

2007). Im afrikanischen Vergleich stellt dies mittlerweile e<strong>in</strong>en relativ hohen Wert dar. Die Stra-<br />

tegie <strong>der</strong> Regierung <strong>von</strong> Sierra Leone und die <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Geme<strong>in</strong>schaft basiert <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie auf dem Poverty Reduction Strategic Paper, wo<strong>von</strong> e<strong>in</strong> zentraler Bereich die armutsorientier-<br />

te Beschäftigungs- und Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung ist (GOVERNMENT OF SIERRA LEONE 2005: 83ff.).<br />

Diese liegt damit auch dem konkreten, <strong>in</strong> dieser Arbeit behandelten Projekt zu Grunde.<br />

3.2 Deutsche EZ: Privatwirtschafts- und Beschäftigungsför<strong>der</strong>ung<br />

Sierra Leone ist ke<strong>in</strong> Partnerland <strong>der</strong> deutschen Entwicklungszusammenarbeit, die wegen <strong>der</strong><br />

schlechten Regierungsführung schon <strong>in</strong> den 1990er Jahren e<strong>in</strong>gestellt wurde. Heute ist die „Deut-<br />

sche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit“ (GTZ) wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Sierra Leone tätig, unter<br />

an<strong>der</strong>em <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bildung und Ausbildung <strong>von</strong> Jugendlichen und an<strong>der</strong>en marg<strong>in</strong>alisierten Grup-<br />

pen sowie <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> Jungunternehmern 34 (RUDNER 2005: 19). Dabei ist für Sierra Leone<br />

im Allgeme<strong>in</strong>en das Konzept „Entwicklungsorientierte Transformation bei fragiler Staatlichkeit<br />

und schlechter Regierungsführung“ des Bundesm<strong>in</strong>isteriums für wirtschaftlichen Zusammenar-<br />

beit und Entwicklung aus dem Jahre 2007 <strong>von</strong> Bedeutung. Dieses ordnet Sierra Leone <strong>in</strong> die Ka-<br />

tegorie <strong>der</strong> „fragilen Staaten“ mit grundsätzlich entwicklungsorientierter Regierungsführung bei<br />

allerd<strong>in</strong>gs gravierenden Defiziten e<strong>in</strong>. Dabei sollen positive Anstrengungen <strong>der</strong> Regierung unter-<br />

stützt werden, produktive Aktivitäten armer Haushalte durch Zugang zu Ressourcen, Märkten<br />

und Eigentumsrechtesicherung geför<strong>der</strong>t und Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten für<br />

marg<strong>in</strong>alisierte Jugendliche bereitgestellt werden (BMZ 2007, GTZ 2007a: 2).<br />

Jedoch wurde erkannt, dass die vormals seitens <strong>der</strong> GTZ im Rahmen <strong>der</strong> Implementierung <strong>von</strong><br />

Disarmament, Demobilization und Re<strong>in</strong>tegration-Programmen (DDR) <strong>der</strong> Weltbank und später<br />

<strong>der</strong> Re<strong>in</strong>tegrationsbestrebungen <strong>von</strong> UNDP und UNHRC verfolgten technischen und berufli-<br />

chen Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsmaßnahmen nicht zur Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit und zur Schaffung neuer<br />

Arbeitsplätze beitragen konnten (GTZ 2007c: 1). Es wurde vernachlässigt, dass <strong>in</strong> Folge <strong>der</strong> Zer-<br />

störung <strong>der</strong> Produktionsapparate und <strong>der</strong> Marktkreisläufe die Aufnahmekapazitäten des Ar-<br />

34 Weitere Tätigkeitsfel<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d beschrieben <strong>in</strong>: BMZ – Fe<strong>der</strong>al M<strong>in</strong>istry for Economic Cooperation and Development<br />

(Hrsg.): Transform<strong>in</strong>g Fragile States – Examples of Practical Experience. Baden-Baden.<br />

57


Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

beitsmarktes nahezu nicht vorhanden waren (GTZ 2007d: 3, HANLON 2005: 467). Mit den<br />

Worten <strong>der</strong> Theorie gesprochen lag <strong>der</strong> Fokus also auf <strong>der</strong> Erhöhung <strong>von</strong> Humankapital. Dieser<br />

Ansatz ist jedoch unzureichend, da die Inwertsetzung dieses assets unter den vorherrschenden<br />

<strong>in</strong>stitutionellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen nicht erfolgen konnte. Die Reziprozität <strong>von</strong> asset (Ausbil-<br />

dung) und Institutionen (Markt) wurde nicht berücksichtigt. Daher wurde vom Bundesm<strong>in</strong>iste-<br />

rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Mai 2006 das „Employment Pro-<br />

motion Program for Marg<strong>in</strong>alized Youth” (EPP) umgesetzt (GTZ 2007c: 1). „Marg<strong>in</strong>alized Youth<br />

are those affected by the war“ (IntEx 2). Für Exkombattanten stehen dabei spezielle Programme<br />

zur Verfügung. Die marg<strong>in</strong>alisierten Jugendlichen s<strong>in</strong>d dabei ohne adäquate Ausbildung und <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Regel zu alt, um zur Schule zu gehen. Sie bilden die Zielgruppe des EPP (IntEx 2). Die Lösung<br />

des Problems liegt aus Sicht <strong>der</strong> GTZ im wirtschaftlichen Aufschwung, den <strong>der</strong> Staat alle<strong>in</strong>e je-<br />

doch nicht bewerkstelligen kann. Er ist deswegen auf den privaten Sektor angewiesen, <strong>der</strong> jedoch<br />

nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage ist, sich aus eigener Kraft zu entwickeln (GTZ 2007d: 3). Die Rahmenbed<strong>in</strong>-<br />

gungen s<strong>in</strong>d extrem schlecht, <strong>der</strong> Do<strong>in</strong>g Bus<strong>in</strong>ess Report <strong>der</strong> Weltbank listet Sierra Leone am Ende<br />

des Rank<strong>in</strong>g und <strong>der</strong> Corruption Perception Index <strong>von</strong> Transparency International positioniert<br />

Sierra Leone auf Platz 142 <strong>von</strong> 163 (GTZ 2007a: 1). Dabei besteht <strong>der</strong> private Sektor <strong>in</strong> diesem<br />

Ansatz nicht nur aus großen formellen und ausländischen Unternehmen, die ohneh<strong>in</strong> nur <strong>in</strong> sehr<br />

beschränkter Anzahl <strong>in</strong> Sierra Leone ihren Geschäftstätigkeiten nachgehen, son<strong>der</strong>n vielmehr aus<br />

allen (an<strong>der</strong>en) wirtschaftenden Akteuren, die gegenwärtig dem Großteil <strong>der</strong> Sierra-Leoner das<br />

Überleben sichert (GTZ 2007c: 2, OSHIKAYO/MLAMBO 2002: 298f.). Daher hängt die Beseiti-<br />

gung <strong>der</strong> Armut vor allem <strong>von</strong> <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> MSEs ab. Sie s<strong>in</strong>d es, die das Potential zu E<strong>in</strong>-<br />

kommenserwirtschaftung bilden, Arbeitsplätze schaffen und dabei partizipativ angelegt s<strong>in</strong>d<br />

(SANDY 2003: 326).<br />

Die Reziprozität <strong>von</strong> Ausbildung und Markt sowie die E<strong>in</strong>beziehung des (<strong>in</strong>formellen) privaten<br />

Sektors s<strong>in</strong>d die Basisprämissen des Vorhabens <strong>der</strong> technischen Zusammenarbeit „Beschäftigungs-<br />

för<strong>der</strong>ung für marg<strong>in</strong>alisierte Jugendliche“. Jugendliche sollen über die För<strong>der</strong>ung des privaten<br />

Sektors dauerhaft beschäftigt und so wirtschaftlich und sozial <strong>in</strong> die Gesellschaft <strong>in</strong>tegriert wer-<br />

den. Auf Mikroebene werden Anschubf<strong>in</strong>anzierungen gewährt und zwar für jene, welche den<br />

Großteil des privaten Sektors <strong>in</strong> Sierra Leone ausmachen, <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie MSEs (GTZ 2007c: 2).<br />

Darunter s<strong>in</strong>d Akteure des formellen wie <strong>in</strong>formellen Sektor ebenso zu fassen wie NGOs und<br />

CBOs. Diesen werden dabei nicht nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bereitstellung <strong>der</strong> assets <strong>in</strong> Form <strong>von</strong> technischer<br />

58


Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

und f<strong>in</strong>anzieller Hilfe und Bewertung <strong>der</strong> Vermarktungsmöglichkeiten unterstützt, son<strong>der</strong>n auch<br />

auf Meso-Ebene durch die Stärkung <strong>von</strong> Jugendorganisationen und wirtschaftlichen Verbänden<br />

sowie auf Makroebene durch Politik- und Strategieberatung (GTZ 2007a: 3, GTZ 2007c: 3). Die<br />

Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>in</strong>stitutionellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, die die Aktivierbarkeit <strong>der</strong> assets <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie bestimmen, steht so im Mittelpunkt des Interesses. Die <strong>in</strong> dieser Arbeit betrachtete Organi-<br />

sation Kl<strong>in</strong> Salone ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>art geför<strong>der</strong>te Jugendorganisation.<br />

4. Wi<strong>der</strong> die <strong>in</strong>stitutionelle Leere? Institutionelle Konfigurationen <strong>in</strong> Räumen prekärer<br />

Staatlichkeit<br />

„More generally, African cities are often seen as threatend by chaos […]. [But I]t will be asserted<br />

that, far from behav<strong>in</strong>g <strong>in</strong> an anarchic fashion, actors <strong>in</strong> urban politics […] base their behavior<br />

on widely un<strong>der</strong>stood and accepted, if <strong>in</strong>formal, rules for social <strong>in</strong>teraction” (Rakodi 2002b: 46).<br />

Was Rakodi für den Bereich des Urban Land Development Process feststellt, kann auch auf an<strong>der</strong>e<br />

Sphären erweitert werden: Neben dem formellen Bereich besteht e<strong>in</strong> großer Bereich <strong>in</strong>formeller<br />

Regelwerke, die, sollten die formellen wegfallen, <strong>in</strong> das Zentrum <strong>der</strong> sozialen Reproduktion rü-<br />

cken. Informelle Institutionen können dabei durchaus im Interesse des Staates agieren und wer-<br />

den auch <strong>von</strong> staatlichen Akteuren herangezogen, um Inhalte zu transportieren o<strong>der</strong> Nähe herzu-<br />

stellen (HARDERS/SCHAUBER 1999: 173). Jedoch, so proklamiert ABDULLAH für das postkolonia-<br />

le Freetown, ist es vor allem e<strong>in</strong>e „new army of subalterns threaten<strong>in</strong>g to remake the city <strong>in</strong> ways that<br />

would be accommodative of their collective <strong>in</strong>terest“ (2002: 212), die also mit ihrem täglichen Ver-<br />

halten die Urbanität schaffen. E<strong>in</strong> Teil dieser f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> CBOs und Jugendorganisationen, die<br />

als Sozialräume Schnittstellen für formelle und <strong>in</strong>formelle Partizipationsformen bilden und große<br />

Teile <strong>der</strong> ansonsten <strong>von</strong> den Institutionen des Staates eher abgeschnittene Bevölkerung e<strong>in</strong>bezie-<br />

hen (HARDERS/SCHAUBER 1999: 181). Daher kann man zwar <strong>von</strong> Staatszerfall im S<strong>in</strong>ne des Zer-<br />

falls <strong>der</strong> staatlichen (formellen) Regelwerke sprechen, nicht aber <strong>von</strong> Zerfall <strong>der</strong> <strong>in</strong> diesem Raum<br />

agierenden gesellschaftlichen Akteure und ihrer Regelwerke. Vielmehr ist e<strong>in</strong>e neue Form <strong>von</strong><br />

Governance <strong>der</strong> Stadt auszumachen: e<strong>in</strong>e Governance <strong>von</strong> unten (dazu ABDULLAH 2002: 212).<br />

Gleiches gilt für den ökonomischen Bereich. Vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> sozioökonomischen Situa-<br />

tion (Strukturanpassungsprogramme, Korruption etc.) „people enthusiastically resorted to the estab-<br />

lishment of small and medium scale enterprises as the only realistic alternative for the alleviation of<br />

their plight” (SANDY 2003: 326). Sie dienen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie dem Überleben (HEIN 205: 9, RAKODI<br />

59


Rahmen<strong>in</strong>formationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung e<strong>in</strong>es Staates<br />

2002a: 323) und wurden so zum zentralen Bestandteil <strong>der</strong> sozialen und wirtschaftlichen Repro-<br />

duktion wurden.<br />

So wäre es also verfehlt für Sierra Leone <strong>von</strong> <strong>in</strong>stitutioneller Leere zu sprechen. Es s<strong>in</strong>d durchaus<br />

Regelwerke vorhanden, die <strong>in</strong> Folge <strong>der</strong> Staatszentrierung <strong>der</strong> Debatte aber häufig nur e<strong>in</strong>ge-<br />

schränkt berücksichtigt werden. Erst kürzlich geschaffen (Entwicklungszusammenarbeit, Staats-<br />

konsolidierung) o<strong>der</strong> <strong>in</strong>formeller Natur (soziale Netzwerke, Korruption) geben sie <strong>in</strong> ihrer „jun-<br />

gen“ Konfiguration die Struktur <strong>in</strong>dividuellen Handelns vor und konterkarieren sich dabei nicht<br />

selten. Trotzdem bilden sie ke<strong>in</strong> starres Handlungskorsett, son<strong>der</strong>n eröffnen auch Handlungs-<br />

möglichkeiten, wie am Beispiel <strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone darzustellen se<strong>in</strong> wird.<br />

Das weitere Erkenntnisziel soll im Folgenden se<strong>in</strong>, die durch die empirischen Erhebungen identi-<br />

fizierten Institutionen und Determ<strong>in</strong>anten im Bereich <strong>der</strong> Abfallwirtschaft darzulegen, um zu<br />

zeigen, auf welche Art und Weise diese unterschiedlichen <strong>in</strong>stitutionellen Konfigurationen den<br />

Rahmen für die dort tätigen Akteure bilden und wie diese E<strong>in</strong>fluss darauf nehmen können.<br />

60


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

V. Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und<br />

Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Im folgenden, empirischen Teil soll nun auf Basis <strong>der</strong> theoretisch-konzeptionellen Ausführungen<br />

und Erkenntnisse e<strong>in</strong>e Analyse <strong>der</strong> Handlungsmöglichkeiten und des Handlungsrahmens <strong>der</strong> im<br />

Bereich <strong>der</strong> Abfallwirtschaft Freetowns wirtschaftenden MSEs durchgeführt werden. Diese versu-<br />

chen sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kontext aus nach wie vor prekärer Staatlichkeit, Anwesenheit <strong>von</strong> Organisati-<br />

onen <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit sowie Formen alternativer Gesellschaftsorganisation e<strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong>kommen zu sichern. Dazu soll zunächst auf Ziele und Funktionsweise <strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Entwick-<br />

lungszusammenarbeit <strong>in</strong>itiierten Organisation Kl<strong>in</strong> Salone e<strong>in</strong>gegangen werden, zu <strong>der</strong> sich MSEs<br />

zusammengeschlossen haben, um erfolgreicher wirtschaften zu können. Daran anschließend<br />

möchte ich aufzuzeigen, mit welchen Schwierigkeiten diese trotz dessen zu kämpfen haben und<br />

welche Rolle unterschiedliche <strong>in</strong>stitutionelle Konfigurationen dabei spielen.<br />

1. Die Organisation „Kl<strong>in</strong> Salone Waste Management Association”<br />

1.1 Zielgruppe privater Sektor: CBOs und MSEs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Abfallwirtschaft Freetowns<br />

„Our start<strong>in</strong>g po<strong>in</strong>t <strong>in</strong> deliver<strong>in</strong>g services <strong>in</strong> fragile states should be to strengthen what works”<br />

(DFID 2005: 23).<br />

Im theoretisch-konzeptionellen Teil <strong>der</strong> Arbeit wurde dargelegt, dass die Abfallwirtschaft durch<br />

die öffentliche Hand nur e<strong>in</strong>e Möglichkeit <strong>der</strong> Müllbeseitigung darstellt. Sollte diese nicht funkti-<br />

onieren, bleibt die Möglichkeit <strong>der</strong> wilden Entsorgung, wie sie <strong>in</strong> Freetown über lange Zeit<br />

zwangsweise durchgeführt wurde und vielfach noch heute durchgeführt wird. Daneben etablier-<br />

ten sich bei fehlenden formellen Organisationen und e<strong>in</strong>em entsprechendem Regelwerk private<br />

Akteure und so e<strong>in</strong> neuer Rahmen gesellschaftlicher Organisation: „Governance <strong>von</strong> unten“ (vgl.<br />

Kapitel III.2.2, S. 38). Im Bereich <strong>der</strong> Abfallwirtschaft wurde <strong>der</strong> private Sektor aktiv 35 , da <strong>in</strong> ers-<br />

ter L<strong>in</strong>ie seitens kommerzieller Nachfrager (Hotels, E<strong>in</strong>zelhandel und Büros) Interesse an e<strong>in</strong>er<br />

geregelten Abfallentsorgung bestand, so dass <strong>in</strong> diesem Sektor kle<strong>in</strong>e, private Unternehmen tätig<br />

35 Vor allem im Nachgang des Krieges und dem totalen Zusammenbruch <strong>der</strong> Müllentsorgung <strong>in</strong> Freetown (IntKS 7,<br />

IntKS 17).<br />

61


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

wurden (KLIN SALONE 2006: 3, PRICEWATERHOUSECOOPERS/DHV 2006: 11). So sollte zwar <strong>der</strong><br />

FCC für die Säuberung <strong>der</strong> lokalen Märkte zuständig se<strong>in</strong>, kam dieser Verpflichtung aber nicht<br />

nach. In diese Lücke stießen Vere<strong>in</strong>igungen Jugendlicher und übernahmen dessen Aufgabe. Die<br />

Organisation <strong>der</strong> Händler, zuständig für den Betrieb e<strong>in</strong>es Marktes im Zentrum Freetowns, fi-<br />

nanzierte und organisierte e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige Gruppierung, die später im Rahmen Kl<strong>in</strong> Salones tätig<br />

wurde:<br />

„We decided, as young men […] we see it all filled with dirt. We have felt this is our time not to<br />

be negligent […] about our place, where we are do<strong>in</strong>g our bus<strong>in</strong>ess. […] We did not employ, because<br />

employment is, when you pay someone. On that time we did not pay them. […] The little<br />

with<strong>in</strong> [our own pockets] we gave them […] and we don’t collect […] money [from the customers]<br />

at that time, from nobody. So we did it voluntarily. Before Kl<strong>in</strong> Salone we give [members] <strong>in</strong>centives…from<br />

our own little…the one that we have. […] The problems? There were many…“<br />

(IntMSE7).<br />

So bot das Umfeld <strong>der</strong> Märkte Freetowns, um e<strong>in</strong> erstes Beispiel anzuführen, für private Akteure<br />

e<strong>in</strong>e Gelegenheit e<strong>in</strong> wenn auch äußerst ger<strong>in</strong>ges E<strong>in</strong>kommen zu erwirtschaften (IntKS 3, IntMSE<br />

7). Über diese <strong>von</strong> kommerziellen Interessen getragene Gruppen h<strong>in</strong>aus etablierten sich auch Ver-<br />

e<strong>in</strong>igungen <strong>in</strong> den Wohngegenden Freetowns (Communities), die dort für die Müllbeseitigung<br />

verantwortlich waren (KLIN SALONE 2006: 3). In <strong>der</strong> Literatur (ISWM, MULLER/HOFFMANN<br />

2001: 16) werden diese als „Community-Based Organisations“ (CBO) <strong>von</strong> MSEs abgegrenzt, da sie<br />

ke<strong>in</strong>e explizite Gew<strong>in</strong>nfunktion verfolgen. Trotzdem müssen auch sie betriebswirtschaftlich<br />

Handeln, also Kosten und E<strong>in</strong>kommen kalkulieren. Darüber h<strong>in</strong>aus besitzen MSEs und CBOs<br />

weitere Ähnlichkeiten (SCHEINBERG 2001: 15):<br />

• Beide s<strong>in</strong>d “Livelihood Bus<strong>in</strong>esses” bei denen die Eigentümer bzw. Unternehmer annä-<br />

hernd auf <strong>der</strong>selben sozioökonomischen (E<strong>in</strong>kommens-) Stufe wie die Arbeiter stehen.<br />

Die Unternehmer versuchen den Angestellten e<strong>in</strong>en angemessenen Lohn zu zahlen.<br />

• Sowohl MSEs als auch CBOs s<strong>in</strong>d abhängig <strong>von</strong> <strong>der</strong> Mithilfe durch Familie, Community,<br />

Freiwilligen und an<strong>der</strong>en Formen unbezahlter Unterstützung. Diese Netzwerke subven-<br />

tionieren die Tätigkeit versteckt und implizit. Wenn diese Beihilfe wegfällt, droht die Ge-<br />

fahr des Scheiterns des Unternehmens.<br />

62


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

• Für die Eigentümer bzw. Unternehmer ist es schwierig die eigenen Kosten und Leistungs-<br />

fähigkeit zu berechnen, da personelle, soziale und wirtschaftliche Funktionen verschränkt<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

• Viele <strong>der</strong> CBOs und MSEs haben persönliche Beziehungen zu ihren Kunden.<br />

Im Zuge <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> gewonnenen Erkenntnisse aus den empirischen Erhebungen wird<br />

gezeigt werden, dass bei allen Differenzen <strong>von</strong> CBOs und MSEs die Geme<strong>in</strong>samkeiten überwiegen<br />

und Unterschiede gradueller Natur s<strong>in</strong>d. Dazu sollen nun die Aktivitäten <strong>der</strong>artiger Vere<strong>in</strong>igun-<br />

gen vorgestellt werden, wie sie vor <strong>der</strong> Etablierung <strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone durchgeführt<br />

wurden.<br />

Was das Urban Waste Expertise Programme auf Basis se<strong>in</strong>er praktischen Erfahrung im Bereich <strong>der</strong><br />

Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Län<strong>der</strong>n des Südens feststellt, muss für Freetown modifiziert werden. Die<br />

Ergebnisse des UWEP gehen da<strong>von</strong> aus, dass durchaus registrierte MSEs und CBOs existieren, die<br />

Mehrzahl sich aber im <strong>in</strong>formellen Sektor bewegt und so auch ke<strong>in</strong>e Lizenzgebühren o<strong>der</strong> Steuern<br />

an den Staat zahlt (SCHEINBERG 2001: 15). Da e<strong>in</strong>e Vielzahl <strong>der</strong>artiger Unternehmen <strong>in</strong> Freetown<br />

jedoch aus registrierten Organisationen entstammt, würden sie qua Def<strong>in</strong>ition dem formellen<br />

Sektor zugeordnet werden. E<strong>in</strong>e trennscharfe Abgrenzung macht, ob <strong>der</strong> Heterogenität <strong>der</strong> Re-<br />

gelwerke <strong>in</strong>nerhalb, aber auch zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Organisationen, wenig S<strong>in</strong>n. Ohneh<strong>in</strong> stellt<br />

North fest: „Der Unterschied zwischen formlosen und formgebundenen Beschränkungen ist e<strong>in</strong> gra-<br />

dueller“ (NORTH 1992: 55). Darüber h<strong>in</strong>aus ersche<strong>in</strong>t mir e<strong>in</strong>e Differenzierung zwischen formel-<br />

lem und <strong>in</strong>formellem Sektor gerade bei prekärer Staatlichkeit analytisch wenig erkenntnisreich, da<br />

formelle Regelwerke und Akteure nur teilweise vorhanden s<strong>in</strong>d. Von e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>formellen Sektor<br />

könnte aber nur dann gesprochen werden, wenn auch e<strong>in</strong> entsprechen<strong>der</strong> formeller Bereich exis-<br />

tiert. Zwar ist e<strong>in</strong> verschriftlichtes Regelwerk teilweise vorhanden (vgl. Kapitel V.5.1.3, S. 109),<br />

dieses erreicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Implementierung e<strong>in</strong>e Vielzahl <strong>der</strong> Bürger und <strong>der</strong> MSEs jedoch nicht<br />

und bleibt daher für e<strong>in</strong>en nicht unwesentlichen Teil <strong>der</strong> Gesellschaft irrelevant 36 . E<strong>in</strong>e Unter-<br />

36 Im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Theorie: Die Wirksamkeit <strong>von</strong> Institutionen hängt <strong>von</strong> <strong>der</strong>en Überwachung und <strong>der</strong> Schwere <strong>der</strong><br />

Strafe ab, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> prekarisierten Staatlichkeit Sierra Leones für formelle Regelwerke nur sehr e<strong>in</strong>geschränkt gegeben<br />

ist.<br />

63


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

scheidung formeller und <strong>in</strong>formeller Akteure wäre me<strong>in</strong>es Erachtens so mit wenig zielführend.<br />

Daher soll im Folgenden <strong>von</strong> MSEs und CBOs als Akteuren des privaten Sektors gesprochen wer-<br />

den, um e<strong>in</strong>e problematische und wenig adäquate Abgrenzung zu vermeiden.<br />

Die vordr<strong>in</strong>gliche Motivation des privaten Sektors sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Abfallwirtschaft zu engagieren<br />

speist sich <strong>in</strong> Anlehnung an MULLER/HOFFMANN (2001: 15) aus drei Gründen, <strong>von</strong> denen für<br />

Freetown vor allem die letzten beiden am bedeutendsten s<strong>in</strong>d: erstens <strong>der</strong> Wunsch natürliche<br />

Ressourcen <strong>in</strong> <strong>der</strong> städtischen Umwelt zu erhalten, zweitens e<strong>in</strong> Verlangen nach e<strong>in</strong>er sauberen<br />

Umwelt für sich selbst und die Geme<strong>in</strong>schaft sowie drittens die Überzeugung, dass Arbeit und<br />

E<strong>in</strong>kommen für arme Menschen, wie arbeitslose Jugendliche, geschaffen werden muss.<br />

Dabei lassen sich für CBOs und MSEs <strong>in</strong> Freetown zahlreiche Ähnlichkeiten feststellen. So führ-<br />

ten sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel ihre Säuberungsaktionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> eigenen Community durch, wenige an<strong>der</strong>e<br />

auch <strong>in</strong> fremden Stadtteilen (IntMSE 5, IntMSE 8, IntMSE 10, IntKS 1, IntKS 2, IntKS 3, IntKS<br />

8, IntKS 10, IntKS 11, IntKS 13, IntKS 17). Der Wunsch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sauberen und so auch gesünde-<br />

ren Umgebung zu leben, nicht selten <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit <strong>der</strong> Identifikation für das eigene Land –<br />

„It was a way to clean our country because it was very, very filthy“ (IntKS 2) – stellte e<strong>in</strong>e Motivati-<br />

on dar, soziale Anerkennung e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e (IntKS 2, IntKS 3, IntKS 10, IntKS 13, IntMSE 8,<br />

IntMSE 10). Entscheidend war aber vor allem <strong>der</strong> Beitrag zur persönlichen Überlebenssicherung<br />

<strong>in</strong> Form <strong>von</strong> Lohn, kle<strong>in</strong>eren f<strong>in</strong>anziellen Anreizen, Medikamenten o<strong>der</strong> auch e<strong>in</strong>er Mahlzeit<br />

(IntKS 2, IntKS 3, IntKS 10, IntKS 13). Gab es so etwas wie monatliche Gehälter, lagen diese <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Regel zwischen 10 000 und 100 000 Le, jedoch tendenziell eher im niedrigen fünfstelligen<br />

Bereich (IntMSE 5, IntMSE 15, IntKS 6, IntKS 8, IntKS 11, IntKS 13, IntKS 17). Des Weiteren<br />

h<strong>in</strong>g die Höhe auch da<strong>von</strong> ab, wie viele Personen bei den Säuberungsaktionen beteiligt waren: <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Regel zwischen fünf und fünfzig Personen (IntKS 2, IntKS 4, IntKS 8, IntKS 19, IntKS 13,<br />

IntMSE 5, IntMSE 10). Auch erwirtschafteten die Gruppen mehr E<strong>in</strong>kommen, welche <strong>in</strong> Gebie-<br />

ten mit e<strong>in</strong>er höheren Konzentration <strong>von</strong> Geschäften, Restaurants etc. arbeiteten, während <strong>in</strong><br />

Wohnvierteln die Gew<strong>in</strong>ne vor allem <strong>in</strong> ideeller H<strong>in</strong>sicht (Anerkennung etc.) betrachtet werden<br />

müssen. Meist e<strong>in</strong>mal pro Woche, häufig samstags, wurden die Säuberungsaktionen durchgeführt<br />

(IntMSE 15, IntKS 8, IntKS 11, IntKS 13, IntKS 17). Erwirtschaftete Gew<strong>in</strong>ne flossen zum Teil<br />

<strong>in</strong> die Kasse <strong>der</strong> jeweiligen Organisation, auf die zur F<strong>in</strong>anzierung an<strong>der</strong>er Aktivitäten o<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

Notsituation zurückgegriffen wurde (vgl. Kapitel V.3.3, S. 92). In e<strong>in</strong>igen Fällen stand h<strong>in</strong>ter den<br />

Organisationen e<strong>in</strong>e im Verhältnis reichere Person, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Community ansässige Ge-<br />

64


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

schäftsmänner o<strong>der</strong> Personen des politischen Systems, welche die Gruppen unterstützen (IntKS 2,<br />

IntKS 12, IntMSE 15). Die Organisationen handelten also ke<strong>in</strong>eswegs immer isoliert <strong>von</strong> staatli-<br />

chen Akteuren. Das zeigt auch das Beispiel <strong>der</strong> „Kangama Youth Development Organisation“, die<br />

sich mit <strong>der</strong> Bitte um Unterstützung für Material an e<strong>in</strong>en leitenden Beamten <strong>der</strong> lokalen Poli-<br />

zeiwache wandte. Sie erhielten F<strong>in</strong>anzmittel zum Kauf <strong>von</strong> Schubkarren und Handschuhen<br />

(IntKS 13). E<strong>in</strong>e Jugendgruppe aus dem Osten <strong>der</strong> Stadt kontaktierte das M<strong>in</strong>istry of Health und<br />

bekam daraufh<strong>in</strong> für Säuberungsaktionen <strong>in</strong> ihrer Community e<strong>in</strong>en Traktor bereitgestellt<br />

(IntMSE 10). E<strong>in</strong> Mitglied des FCC, heute gleichzeitig Adm<strong>in</strong>istration Officer <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone,<br />

kam für die Abfallentsorgung <strong>der</strong> Gruppe „Central Waste Unit“ auf:<br />

„I was <strong>in</strong> City Council. I have a special <strong>in</strong>terest <strong>in</strong> sanitation. I was liv<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Susan’s Bay. It was<br />

an opportunity to serve my people. I developed great <strong>in</strong>terest <strong>in</strong> sanitation, so I decided to form a<br />

special group, the Central Waste Unit“ (IntKS 12).<br />

Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Vorstellung e<strong>in</strong>er starren Abgrenzung <strong>von</strong> staatlichem Be-<br />

reich und CBOs bzw. MSEs des privaten Sektors die reale Situation nicht adäquat erfasst. Viel-<br />

mehr s<strong>in</strong>d <strong>der</strong>artige Zusammenschlüsse durchaus auf vielfältige Art und Weise mit, wenn auch<br />

schwachen, staatlichen Akteuren und Institutionen verbunden. E<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation, die e<strong>in</strong>e wich-<br />

tige Komponente gesellschaftlicher und politischer Reproduktion <strong>in</strong> Staaten mit e<strong>in</strong>geschränkter<br />

Reichweite öffentlicher und offiziell kanalisierter staatlicher Leistungen darstellt.<br />

Den Beitrag <strong>der</strong> beschriebenen Aktivitäten des privaten Sektors zu e<strong>in</strong>er geordneten Müllentsor-<br />

gung <strong>in</strong> Freetown sieht <strong>der</strong> Weltbankberater SOOD (2004: 15) jedoch als ger<strong>in</strong>g an, da <strong>der</strong> Müll<br />

häufig außerhalb des bedienten Gebietes erneut deponiert und das Problem nur räumlich verlagert<br />

wurde. Die Gruppen besaßen <strong>in</strong> aller Regel schlicht ke<strong>in</strong>e Kapazitäten, um den Abfall zu den zwei<br />

Mülldeponien im Stadtgebiet zu transportieren. Trotzdem stellt sich <strong>der</strong> private Sektor als e<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gesellschaft bereits <strong>in</strong>härenter Problemlösungsmechanismus als geeignet dar, die Müllproblema-<br />

tik abseits (noch) nicht funktionieren<strong>der</strong> staatlicher Strukturen im Rahmen e<strong>in</strong>er Rehabilitierung<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Müllentsorgung <strong>in</strong> den Griff zu bekommen (vgl. Kapitel V.2, S. 76).<br />

65


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Die Akteure des privaten Sektors <strong>in</strong> <strong>der</strong> Müllentsorgung 37 leisteten zwar e<strong>in</strong>en Beitrag zur Ver-<br />

besserung <strong>der</strong> Müllprobleme, boten jedoch e<strong>in</strong>en une<strong>in</strong>heitlichen Service und Gebühren an und<br />

konnten ke<strong>in</strong> sicheres und stabiles E<strong>in</strong>kommen für ihre Mitglie<strong>der</strong> erwirtschaften (GTZ 2006a: 2,<br />

GTZ 2006b: 4f., KLIN SALONE 2006: 3). In erster L<strong>in</strong>ie fehlte es an adäquater Ausstattung:<br />

Werkzeuge, Handschuhe, Stiefel und vor allem f<strong>in</strong>anziellen Möglichkeiten, die zu e<strong>in</strong>er Etablie-<br />

rung bzw. besseren Inwertsetzung <strong>der</strong> Tätigkeiten <strong>von</strong> Nöten waren (IntMSE 5, IntMSE 7,<br />

IntMSE 15, IntKS 8, IntKS 12). Auf Basis <strong>der</strong> bestehenden Strukturen sollen die Akteure nun bei<br />

<strong>der</strong> Etablierung nachhaltiger wirtschaftlicher Kreisläufe unterstützt und gleichzeitig e<strong>in</strong> Beitrag<br />

zur Verbesserung <strong>der</strong> Governance-Leistung im Bereich <strong>der</strong> Abfallwirtschaft Freetowns geleistet<br />

werden. Dazu begleitete die GTZ im Juli 2006 Jugendgruppen auf dem Weg zur Gründung <strong>der</strong><br />

„Kl<strong>in</strong> Salone Waste Management Association“, die das Ziel hat, e<strong>in</strong> sich selbst f<strong>in</strong>anzierendes Door-<br />

to-Door-Abfallbeseitigungssystem <strong>in</strong> Freetown zu etablieren 38 (GTZ 2007b: 1). Dafür wurden <strong>in</strong><br />

drei Phasen <strong>in</strong>sgesamt 42 Gruppen zu je sechs Personen ausgewählt, die fortan als formelle MSEs<br />

für die Abfallabholung zuständig se<strong>in</strong> sollten. Zunächst wurden im Oktober 2006 zwanzig Grup-<br />

pen mit Material ausgestattet (vgl. Abbildung 7, S. 67) und auf die Aufgabe vorbereitet. E<strong>in</strong>ige<br />

Monate später folgten dreizehn und schließlich noch e<strong>in</strong>mal weitere sechs Gruppen, so dass bei<br />

drei mittlerweile wie<strong>der</strong> ausgetretenen MSEs zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Untersuchung 39 Jugendgrup-<br />

pen unter dem Dach <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone organisiert waren (GTZ 2007b: 1, IntEx 2). Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

bestehen zahlreiche weitere Organisationen, die Mitglied <strong>der</strong> Initiative werden wollen. Zwanzig<br />

Bewerber, <strong>von</strong> denen fünfzehn schon außerhalb Kl<strong>in</strong> Salones <strong>in</strong> <strong>der</strong> Abfallwirtschaft tätig s<strong>in</strong>d,<br />

warten auf Aufnahme (IntKS 1).<br />

37 Die <strong>von</strong> <strong>der</strong> Weltbank <strong>in</strong> Auftrag gegebene Studie <strong>von</strong> SOOD (2004: 52) kommt me<strong>in</strong>es Erachtens fälschlicherweise<br />

zu dem Schluss, dass e<strong>in</strong>e Partizipation des privaten Sektors im Bereich <strong>der</strong> Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown gegenwärtig<br />

noch nicht vorhanden ist. Hier werden schon die unterschiedlichen Wahrnehmungen des privaten Sektors seitens <strong>der</strong><br />

Weltbank und <strong>der</strong> GTZ deutlich.<br />

38 E<strong>in</strong> ähnliches Projekt beschreiben auch MULLER ET AL. (2002: 248ff.) für Bamako/Mali. Weitere Beispiele s<strong>in</strong>d auf<br />

<strong>der</strong> Homepage <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>nützigen Organisation Waste unter http://www.waste.nl/page/206 (Aufgerufen am<br />

03.06.2008) aufgeführt. Dort s<strong>in</strong>d darüber h<strong>in</strong>aus Informationen zum ISWM zu f<strong>in</strong>den. Auch Civic Exnora verfolgt<br />

e<strong>in</strong>en <strong>der</strong>artigen Ansatz. Mehr dazu unter: http://www.exnora<strong>in</strong>ternational.org/civic_exnora.shtml (Aufgerufen am<br />

03.06.2008). Im benachbarten Conakry/Gu<strong>in</strong>ea, im Jahr 2002 mit e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>wohnerzahl <strong>von</strong> 1,8 Millionen und weiteren<br />

Ähnlichkeiten mit Freetown bezüglich <strong>der</strong> Müll- als auch <strong>der</strong> wirtschaftlichen Situation, wurden über 90% des<br />

produzierten Abfalls gebührenf<strong>in</strong>anziert <strong>von</strong> MSEs abgeholt (SOOD 2004: 27).<br />

66


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

1.2 Funktionsweise und Service Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Abbildung 7: MSEs bei <strong>der</strong> Arbeit (eigene Fotos)<br />

Kl<strong>in</strong> Salone bildet die Dachorganisation <strong>von</strong> MSEs, die sich jeweils aus sechs Jugendlichen zu-<br />

sammensetzen. Sie hat das Ziel, die Aktivitäten <strong>von</strong> privaten Akteure aus dem Bereich <strong>der</strong> Abfall-<br />

wirtschaft zu koord<strong>in</strong>ieren (KLIN SALONE 2006: 2). Sie soll damit e<strong>in</strong>en Beitrag zur Beseitigung<br />

<strong>der</strong> Müllprobleme <strong>in</strong> Freetown leisten und dabei nachhaltige Arbeitsplätze für Jugendliche schaf-<br />

fen, <strong>in</strong>dem sie die private Müllentsorgung, Aufbereitung und den Weiterverkauf organisiert 39<br />

(IntEx 2, KLIN SALONE 2006: 2). Somit wird mit Kl<strong>in</strong> Salone die konventionellen Herangehens-<br />

weise an Abfallprobleme als Umwelt- und Gesundheitsgefahr um den Faktor <strong>der</strong> Inwertsetzung<br />

des privaten Sektors ergänzt, so dass das Projekt die Herangehensweise des ISWM teilt. Die unter<br />

Kl<strong>in</strong> Salone organisierten Gruppen s<strong>in</strong>d als MSEs e<strong>in</strong>er privatwirtschaftlichen Logik unterworfen<br />

und müssen versuchen nachhaltig zu wirtschaften. Auf Basis e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>heitlichen Preissystems<br />

können Kunden (Haushalte, Büros, Restaurants, Fabriken etc.) den Service <strong>der</strong> Müllabholung bei<br />

dem für ihr Gebiet zuständigen MSE abonnieren und dabei zwischen unterschiedlichen Größen<br />

<strong>der</strong> Mülltonnen entsprechend <strong>der</strong> produzierten Müllmenge, unterschiedlichen Frequenzen <strong>der</strong><br />

Abholung und <strong>der</strong> bevorzugten Zahlungsweise wählen (vgl. Abbildung 8, S. 68).<br />

39 Zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Untersuchung im August und September 2007 war das Projekt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anfangsphase, so dass<br />

bisher nur die Komponente <strong>der</strong> Entsorgung implementiert wurde. Daher beziehen sich die Ausführungen ausschließlich<br />

auf die Abfallbeseitigung.<br />

67


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Sizes and Schedules SMALL (65 litres) MEDIUM (100 litres) LARGE (200 litres)<br />

Collection Frequency<br />

Monthly<br />

service fee<br />

Weekly<br />

service fee<br />

Monthly<br />

service fee<br />

Weekly<br />

service fee<br />

Monthly<br />

service fee<br />

Weekly<br />

service fee<br />

1x per week LE 6,500 LE 1,600 LE 12,000 LE 2,800 LE 22,000 LE 5,200<br />

3x per week LE 19,500 LE 4,600 LE 29,000 LE 6,800 LE 55,000 LE 12,800<br />

Daily (Mon-Sat) LE 29,000 LE 6,800 LE 55,000 LE 12,800 LE 105,000 LE 24,500<br />

B<strong>in</strong> Options<br />

After you rent for 12 months,<br />

you own the conta<strong>in</strong>er.<br />

LE 5,000<br />

(one-time<br />

payment)<br />

LE 3,000<br />

(monthly)<br />

or LE 800<br />

(weekly)<br />

LE 34,000<br />

(one-time<br />

payment)<br />

LE 50,000<br />

(one-time<br />

payment)<br />

LE 4,500<br />

(monthly)<br />

or LE 1,100<br />

(weekly)<br />

LE 45,000<br />

(one-time<br />

payment)<br />

Abbildung 8: Service Kl<strong>in</strong> Salones (eigene Darstellung nach KLIN SALONE 2008)<br />

LE 50,000<br />

(one-time<br />

payment)<br />

LE 8,000<br />

(monthly)<br />

or LE 2,000<br />

(weekly)<br />

Entsprechend holen die Gruppen den Müll ab, <strong>in</strong>dem sie Handkarren aus Metall verwenden mit<br />

denen <strong>der</strong> gesammelte Müll zu Zwischenlagerstätten gebracht wird (vgl. Abbildung 7, S. 67). Kl<strong>in</strong><br />

Salone stellt dabei den Kunden gegen Entgelt Mülltonnen zur Verfügung, <strong>in</strong> welchen die Kunden<br />

ihren Abfall bis zur Abholung lagern können (vgl. Abbildung 8, S. 68). Je nach gewählter Zah-<br />

lungsart ist e<strong>in</strong> Mitglied <strong>der</strong> Gruppe, <strong>der</strong> sogenannte Sales Agent, dafür verantwortlich, die Ge-<br />

bühren bei den Kunden zu kassieren. Der Sales Agent muss alle f<strong>in</strong>anziellen Transaktionen quit-<br />

tieren sowie über sämtliche Kunden und <strong>der</strong>en Bezahlung Buch führen. Am Ende e<strong>in</strong>es jeden<br />

Monats wird das gesammelte Geld an e<strong>in</strong>en sogenannten Monitor gezahlt, welcher das Geld auf<br />

e<strong>in</strong>em für die MSE bei Kl<strong>in</strong> Salone e<strong>in</strong>gerichteten Konto deponiert. Von diesem werden die mo-<br />

natlichen Gehälter an die Gruppe ausbezahlt. E<strong>in</strong> weiteres Mitglied <strong>der</strong> Sechsergruppe, die Vocal<br />

Person, soll als Vorsitzen<strong>der</strong> an den regelmäßigen Versammlungen <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone teilnehmen<br />

und das MSE gegenüber <strong>der</strong> Organisation vertreten. Die an<strong>der</strong>en vier Mitglie<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d Arbeiter,<br />

welche die Müllentsorgung per se durchführen. Jede Gruppe wird <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em bei Kl<strong>in</strong> Salone an-<br />

gestellten Monitor unterstützt.<br />

68


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

12<br />

Nightsweeper-<br />

Gruppen zu<br />

10 Personen<br />

Säuberung<br />

wichtiger<br />

Straßen<br />

20<br />

Sicherheitskräfte<br />

Kl<strong>in</strong> Salone Waste Management Association<br />

Steer<strong>in</strong>g Committee und General Assembly<br />

Public Private Partnership<br />

F<strong>in</strong>anzierung durch die öffentliche Hand<br />

Giant Sanitation Team<br />

und Supervisor<br />

43 Arbeiter<br />

Mülldeponie<br />

K<strong>in</strong>gtom<br />

25 Arbeiter<br />

Mülldeponie<br />

Kissy<br />

Weiter-<br />

transport<br />

durch<br />

öffentl.<br />

Hand:<br />

FWMS<br />

Transit<br />

Site 1<br />

Transit<br />

Site 2<br />

Door-to-Door-Müllabholung<br />

durch privaten Servicekontrakt<br />

Entsorgung an Transit Site<br />

Abbildung 9: Struktur Kl<strong>in</strong> Salones. Gegenstand dieser Untersuchung ist <strong>der</strong> Bereich des privaten<br />

Sektors (eigene Darstellung)<br />

Kl<strong>in</strong> Salone besteht als Dachorganisation für Jugendgruppen aber aus zwei Komponenten (vgl.<br />

Abbildung 9, S. 69): zum e<strong>in</strong>en erwähnten MSEs, welche die Door-to-Door-Abfallbeseitigung<br />

durchführen und sich über Abonnementgebühren eigenständig f<strong>in</strong>anzieren; zum an<strong>der</strong>en aus<br />

Jugendgruppen, die im Rahmen e<strong>in</strong>er Public Private Partnership (PPP) <strong>von</strong> <strong>der</strong> Regierung bezahlt<br />

werden 40 . Sie s<strong>in</strong>d an den Zwischenlagerstätten, sogenannten Transit Sites (vgl. Abbildung 10,<br />

S. 70) und auf den Mülldeponien beschäftigt. Die 30 Jugendgruppen, die für die Transit Sites<br />

verantwortlich s<strong>in</strong>d, bestehen wie die Door-to-Door-Gruppen aus sechs Personen und s<strong>in</strong>d für die<br />

Bewirtschaftung <strong>der</strong> Zwischenlagerstätten und <strong>der</strong> Beladung <strong>der</strong> Fahrzeuge <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Hand verantwortlich. An den beiden Mülldeponien K<strong>in</strong>gtom und Kissy s<strong>in</strong>d zwei Jugendgruppen<br />

zu 25 bzw. 43 Personen beschäftigt. In <strong>der</strong> Nachtschicht arbeiten 12 Jugendgruppen, die die<br />

40 Diese PPP wurde erst mit <strong>der</strong> Rehabilitierung <strong>der</strong> öffentlichen Abfallwirtschaft geschaffen (vgl. Kapitel V.2.5, S. 85),<br />

soll aber <strong>der</strong> Kohärenz und Verständlichkeit wegen bereits hier aufgeführt werden.<br />

…<br />

Transit<br />

Site 30<br />

Privater Sektor<br />

F<strong>in</strong>anzierung durch Serviceleistung<br />

MSE 1<br />

Management<br />

und Monitors<br />

MSE 2<br />

Gebiet 1 Gebiet 2 Gebiet 39<br />

…<br />

…<br />

MSE 39<br />

69


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Hauptverkehrswege im Zentrum und Osten Freetowns säubern. 20 weitere Jugendliche s<strong>in</strong>d als<br />

Sicherheitskräfte <strong>in</strong> Zweierteams während <strong>der</strong> Nacht an strategischen Punkten postiert, um irre-<br />

guläre Müllbeseitigung und Sabotageakte zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Die im Rahmen <strong>der</strong> PPP angestellten,<br />

unter Kl<strong>in</strong> Salone organisierten Jugendlichen werden koord<strong>in</strong>iert <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Giant Sanitation<br />

Team und <strong>von</strong> siebzehn Supervisors überwacht. Die Gesamtzahl <strong>der</strong> so geschaffenen Arbeitsplätze<br />

beträgt 414 Personen (GTZ 2007b: 2). Zusammen mit den 39 Door-to-Door-Gruppen s<strong>in</strong>d so<br />

<strong>in</strong>sgesamt 648 Personen unter Kl<strong>in</strong> Salone organisiert.<br />

Abbildung 10: Transit Sites des FWMS, bewirtschaftet im Rahmen e<strong>in</strong>er Public Private Partnership<br />

zwischen <strong>der</strong> öffentlichen Hand und Kl<strong>in</strong> Salone (eigene Fotos)<br />

In Folge <strong>der</strong> Operationen <strong>der</strong> unter Kl<strong>in</strong> Salone organisierten Jugendgruppen und <strong>der</strong> noch dar-<br />

zustellenden Rehabilitierung <strong>der</strong> öffentliche Müllentsorgung (vgl. Kapitel V.2.5, S. 85) hat sich<br />

e<strong>in</strong>e signifikante Verbesserung <strong>der</strong> Müllsituation e<strong>in</strong>gestellt. Diese wurde aber vor allem durch die<br />

Komponente <strong>der</strong> PPP herbeigeführt, da diese für die Beseitigung des Mülls <strong>in</strong> öffentlichen Räu-<br />

men verantwortlich s<strong>in</strong>d. Damit es dort aber überhaupt nicht zu e<strong>in</strong>er Ablagerung <strong>von</strong> Müll<br />

kommt, darf e<strong>in</strong>e zuverlässige Müllbeseitigung nur an den vorgesehenen (Zwischen-) Lagerstätten<br />

erfolgen. Hier greift die Zuständigkeit <strong>der</strong> Door-to-Door-MSEs, die aber im Gegensatz zur PPP-<br />

70


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Komponente noch mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Alle<strong>in</strong> aus e<strong>in</strong>er simplen<br />

Hochrechnung lässt sich ersehen, dass <strong>der</strong> Beitrag <strong>der</strong> Door-to-Door-Gruppen noch erhebliches<br />

Steigerungspotential besitzt. Bei e<strong>in</strong>er Gesamtzahl <strong>von</strong> 39 unter Kl<strong>in</strong> Salone organisierten MSEs<br />

und e<strong>in</strong>er durchschnittlichen Kundenzahl <strong>von</strong> 100 Haushalten, Geschäften etc. werden so <strong>in</strong>sge-<br />

samt 3 900 Kunde bedient. Bei e<strong>in</strong>er hoch veranschlagten Zahl <strong>von</strong> 20 Personen, die pro Abon-<br />

nement ihren Müll entsorgen, werden 78 000 E<strong>in</strong>wohner Freetowns erreicht, je nach Schätzung<br />

<strong>der</strong> Gesamte<strong>in</strong>wohnerzahl zwischen fünf und zehn Prozent. Und tatsächlich ist es die Door-to-<br />

Door-Komponente die mit Problemen zu kämpfen hat (IntEx 2, IntKS 16, PK 1, PK 2, PK 6, PK<br />

8). Sie bildet daher für diese Untersuchung den Gegenstand <strong>der</strong> näheren Untersuchung 41 .<br />

1.3 Kl<strong>in</strong> Salone: Organisation für e<strong>in</strong>en neuen <strong>in</strong>stitutionellen Rahmen<br />

„Kl<strong>in</strong> Salone will set standards” (KLIN SALONE 2006) und kann somit, <strong>der</strong> Theorie folgend, Trans-<br />

aktionskosten <strong>der</strong> wirtschaftenden Akteure reduzieren, <strong>in</strong>dem die Organisation versucht den<br />

<strong>in</strong>stitutionellen Wandel zu den Gunsten <strong>der</strong> beteiligten MSEs voranzutreiben, so dass Unsicher-<br />

heiten m<strong>in</strong>imiert werden. Ziel ist die Etablierung e<strong>in</strong>es neuen Regelwerkes <strong>in</strong> <strong>der</strong> Abfallwirtschaft<br />

(Institution-Build<strong>in</strong>g), das im Rahmen e<strong>in</strong>er Komb<strong>in</strong>ation <strong>von</strong> öffentlichen, aber vor allem priva-<br />

ter Leistungen, e<strong>in</strong>erseits die Müllprobleme Freetowns reduziert, an<strong>der</strong>seits nachhaltige Wirt-<br />

schaftskreisläufe <strong>in</strong> Gang setzt. Zentrales neues Moment ist die Idee, die zuständigen privaten<br />

MSEs durch Gebühren zu f<strong>in</strong>anzieren. Die vormals öffentliche Entsorgung wird durch e<strong>in</strong>en neu-<br />

en privatwirtschaftlichen <strong>in</strong>stitutionellen Rahmen ersetzt bzw. neu geschaffen. Durch den Orga-<br />

nisationscharakter bieten sich Kl<strong>in</strong> Salone und den MSEs darüber h<strong>in</strong>aus die Vorteile e<strong>in</strong>es Un-<br />

ternehmens, welches versucht auch <strong>in</strong> den gegebenen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen die Gew<strong>in</strong>ne zu ma-<br />

ximieren.<br />

Im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> theoretischen und konzeptionellen Ausführungen ist es s<strong>in</strong>nvoll bestehende Struk-<br />

turen zu berücksichtigen, diese <strong>in</strong> formelle Tätigkeiten zu <strong>in</strong>tegrieren und damit zur Aufwertung<br />

<strong>der</strong> Aktivitäten beizutragen (dazu auch RÖPER 1995: 358f.). Dies geschah mit <strong>der</strong> Aufnahme <strong>der</strong><br />

41 Auf die Komponente <strong>der</strong> PPP wird im Folgenden nur noch e<strong>in</strong>gegangen, wenn diese signifikante Rückwirkungen<br />

auf die Tätigkeiten <strong>der</strong> Door-to-Door-Gruppen verursacht. Die Fokussierung auf nur e<strong>in</strong>en Teilbereich war e<strong>in</strong>erseits<br />

<strong>der</strong> Problemorientierung dieser Studie geschuldet, aber ebenso den limitierten Kapazitäten im Rahmen e<strong>in</strong>er Abschlussarbeit.<br />

71


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

39 privaten Gruppierungen. Entsprechend setzt sich auch das Steer<strong>in</strong>g Committee 42 <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong><br />

Salone aus Vertretern <strong>von</strong> Akteuren des privaten Sektors zusammen, die zuvor bereits für mehrere<br />

Jahre <strong>in</strong> <strong>der</strong> privaten Müllentsorgung tätig waren. Nicht zuletzt <strong>der</strong>en Erfahrungen soll zur Ent-<br />

wicklung <strong>von</strong> Richtl<strong>in</strong>ien und Standards für die Müllentsorgung beitragen (KLIN SALONE 2006:<br />

2).<br />

Zunächst wurde mit <strong>der</strong> Etablierung Kl<strong>in</strong> Salones die vormals häufig <strong>in</strong>formelle Tauschbeziehung<br />

zwischen dem MSE und den Kunden auf e<strong>in</strong>e formelle Ebene gestellt. Die MSEs können auf <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> Dachorganisation Kl<strong>in</strong> Salone bereitgestellte schriftliche Vertragswerke zurückgreifen, so dass<br />

<strong>der</strong> Tausch fortan auf e<strong>in</strong>er sicheren Rechtsgrundlage basiert (IntMSE 6, IntKS 3, IntKS 8, IntKS<br />

11). Die Planungssicherheit wird erhöht, da die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit steigt, dass die Vere<strong>in</strong>barung<br />

<strong>von</strong> Seiten <strong>der</strong> Kunden auch e<strong>in</strong>gehalten wird. Zuvor waren die Gruppen auf das „Wort“ <strong>der</strong> Ge-<br />

schäftspartner angewiesen. Jedoch muss auch angemerkt werden, dass die „Rechtsgrundlage“ wohl<br />

eher dazu dient, das Verpflichtungsgefühl bei den Kunden zu erhöhen, als vor dem H<strong>in</strong>tergrund<br />

<strong>der</strong> noch schwachen Ausprägung des Rechtstaates <strong>in</strong> Sierra Leone e<strong>in</strong>e wirkliche rechtliche Si-<br />

cherheit zu schaffen (vgl. Kapitel IV.2.1, S. 52). Ohneh<strong>in</strong> ersche<strong>in</strong>t es unrealistisch, dass MSEs vor<br />

dem H<strong>in</strong>tergrund mangeln<strong>der</strong> Kenntnis <strong>der</strong> rechtlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen sowie limitierter<br />

f<strong>in</strong>anzieller Kapazitäten, Verstöße gegen den Vertrag rechtlich anfechten. So müssten erst die<br />

<strong>in</strong>stitutionellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen auf Makro- und Mesoebene geschaffen werden, ehe auch<br />

<strong>der</strong> Vertrag e<strong>in</strong>e tatsächliche rechtliche Absicherung br<strong>in</strong>gt. Die Verschriftlichung <strong>der</strong> Grundlage<br />

<strong>der</strong> Beziehung zwischen Serviceleister und Kunden ist jedoch nur e<strong>in</strong>e Komponente <strong>der</strong> Formali-<br />

sierung. Auch <strong>der</strong> <strong>in</strong>traorganisatorische Geschäftsablauf ist nun durch verpflichtende Buchfüh-<br />

rung formalisiert und bietet daher maßgebliche Vorteile, soll aber an an<strong>der</strong>er Stelle genauer ausge-<br />

führt werden (vgl. Kapitel V.4.4, S. 103).<br />

E<strong>in</strong>e weitere Maßnahme Kl<strong>in</strong> Salones zielt darauf ab, durch Öffentlichkeitsarbeit und Marke-<br />

t<strong>in</strong>gmaßnahmen das Umweltbewusstse<strong>in</strong> und den gesellschaftlichen Umgang mit Abfall zu ver-<br />

42 Das Steer<strong>in</strong>g Committee ist <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie zuständig für die Überwachung und Beratung des Managements <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong><br />

Salone. E<strong>in</strong>e regelmäßig stattf<strong>in</strong>dende General Assembly dient unter Anwesenheit <strong>der</strong> MSE, des Managements und des<br />

Steer<strong>in</strong>g Committees als Kommunikationsforum, <strong>in</strong> welchem Probleme gelöst und Entscheidungen getroffen werden.<br />

Da aber die <strong>in</strong>traorganisatorische Funktionsweise bzgl. des Forschungsgegenstandes nicht per se bedeutend ist, soll<br />

diese nicht explizit ausgeführt, son<strong>der</strong>n vielmehr an entsprechen<strong>der</strong> Stelle gegenstandsbezogen dargestellt werden.<br />

72


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

än<strong>der</strong>n und auf diese Art den neuen <strong>in</strong>stitutionellen Rahmen zu Gunsten <strong>der</strong> beteiligten Akteure<br />

zu bewerben. Für e<strong>in</strong> vergleichbares Projekt <strong>in</strong> Bangalore stellen MULLER ET AL. (2002: 247) fest,<br />

dass jede Kampagne zur Erhöhung des (Problem-) Bewusstse<strong>in</strong>s 15% mehr Kunden nach sich zog.<br />

Dabei wird e<strong>in</strong>erseits versucht das Umweltbewusstse<strong>in</strong> zu erhöhen, an<strong>der</strong>seits wird an die Solida-<br />

rität <strong>der</strong> Mitbürger appelliert bzw. die Bedeutung <strong>der</strong> Beschäftigungsför<strong>der</strong>ung für (marg<strong>in</strong>alisier-<br />

te) Jugendliche betont. Die Idee Kl<strong>in</strong> Salones wird durch die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> MSEs und Mitarbei-<br />

ter Kl<strong>in</strong> Salones (Monitore) <strong>von</strong> Haus zu Haus verbreitet. Aber vor allem Werbemaßnahmen, die<br />

für nicht organisierte MSEs schlicht nicht durchführbar waren und wären, werden vorangetrie-<br />

ben: Diskussionen im Radio, öffentliche Säuberungsaktionen, Zeitungsanzeigen, Handzettel und<br />

Poster. Sie sollen dazu dienen, die Annehmlichkeiten und Qualität <strong>der</strong> Abfallentsorgung durch<br />

Kl<strong>in</strong> Salone hervorzuheben und das Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong> <strong>der</strong> Bürger für e<strong>in</strong>e saubere<br />

Umwelt durch <strong>der</strong>en Mithilfe zu erhöhen (KLIN SALONE 2006: 2f., IntMSE 5, IntEx 2, IntKS 12,<br />

IntKS 15, IntKS 16). Auch MULLER/HOFFMANN stellen im Rahmen des ISWM die entscheiden-<br />

de Rolle <strong>von</strong> Öffentlichkeitsarbeit fest (2001: 31). Daher wird auch auf die Bedeutung <strong>der</strong> MSEs<br />

h<strong>in</strong>gewiesen, die diese Gesundheitsgefahren reduzieren, Arbeit schaffen, E<strong>in</strong>kommen generieren,<br />

Umweltressourcen schonen und daher gesellschaftliche und staatliche Unterstützung brauchen.<br />

Zwar wurden seitens Kl<strong>in</strong> Salones bereits zahlreiche Anstrengungen unternommen, sogar e<strong>in</strong>e<br />

Parade mit Musik und Rednern durch Freetown fand statt, jedoch fehlten nach anfänglichen Er-<br />

folgen regelmäßige Sensibilisierungsmaßnahmen (IntMSE 12, IntEx 2, IntKS 15, PK 8).<br />

E<strong>in</strong>e weitere Funktion, die nur e<strong>in</strong>e (große) Organisation leisten kann, ist die erfolgreiche Interes-<br />

senvertretung gegenüber Dritten, wie Akteuren des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen aber vor<br />

allem politischen Systems. Damit hat Kl<strong>in</strong> Salone die Möglichkeit direkt auf Entscheidungspro-<br />

zesse e<strong>in</strong>zuwirken, welche den <strong>in</strong>stitutionellen Rahmen ihres Handelns betreffen. Kl<strong>in</strong> Salone<br />

kann, sicherlich mit Unterstützung <strong>der</strong> GTZ, gegenüber politischen Autoritäten (FCC, Regie-<br />

rung) Lobbyarbeit zu Gunsten <strong>der</strong> MSEs betreiben, wie beispielsweise <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verfolgung e<strong>in</strong>es<br />

Alternativkonzeptes zu dem die MSEs gefährdenden Weltbank/PricewaterhouseCoopers-<br />

Ansatzes, <strong>der</strong> als Basis <strong>der</strong> Rehabilitierung <strong>der</strong> öffentlichen Müllentsorgung <strong>in</strong> Freetown dienen<br />

sollte (vgl. Kapitel V.2.4, S. 81). Auch haben die MSEs nun bei Bedarf die Möglichkeit seitens <strong>der</strong><br />

Polizei Unterstützung e<strong>in</strong>zufor<strong>der</strong>n. Das war vormals nicht immer <strong>der</strong> Fall und ist nun mit e<strong>in</strong>er<br />

vorgelegten ID-Card Kl<strong>in</strong> Salones unproblematisch (IntMSE 5, IntMSE 12, IntKS 1, IntKS 10,<br />

IntKS 12).<br />

73


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Zwar können (theoretisch) für nahezu alle Lebensumstände <strong>in</strong>stitutionenzentrierte Erklärungsan-<br />

sätze herangezogen werden. Jedoch darf <strong>in</strong> <strong>der</strong> Diskussion um die Bedeutung <strong>der</strong> <strong>in</strong>stitutionellen<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen nicht vergessen werden, dass es zunächst die assets s<strong>in</strong>d, die vorhanden se<strong>in</strong><br />

müssen. Diese ermöglichen überhaupt erst das Vorantreiben des <strong>in</strong>stitutionellen Wandels (vgl.<br />

NORTH 1988: 4). In se<strong>in</strong>em Aufsatz „Bessere Rahmenbed<strong>in</strong>gungen alle<strong>in</strong> beseitigen Armut<br />

nicht!“ (2003) votiert RAUCH daher für e<strong>in</strong>e Mehrebenen-Interventionsstrategie, die auch an den<br />

Kapazitäten <strong>der</strong> lokalen Akteure ansetzen muss. In diesem S<strong>in</strong>ne kann die Unterstützung <strong>der</strong><br />

MSEs und <strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone seitens <strong>der</strong> GTZ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anfangsphase bis zur Deckung<br />

<strong>der</strong> Kosten durch Abonnementgebühren als Anschubhilfe gewertet werden (GTZ 2006d: 12).<br />

Die deutsche EZ unterstützt Kl<strong>in</strong> Salone als Berater, mit <strong>der</strong> Bereitstellung <strong>von</strong> Ausrüstung, <strong>der</strong><br />

F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong> Gehälter <strong>der</strong> Mitarbeiter <strong>der</strong> Organisation und <strong>der</strong> MSEs sowie mit Mitteln für<br />

Market<strong>in</strong>gmaßnahmen (KLIN SALONE 2006: 7). Dar<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d die monatliche Zahlung e<strong>in</strong>es Gehal-<br />

tes für jeden Arbeiter <strong>von</strong> 150 000 Le, mediz<strong>in</strong>ische Versorgung sowie die Bereitstellung <strong>der</strong> Ar-<br />

beitsausstattung enthalten (vgl. Abbildung 11, S. 75). Letztere umfasst Schubkarren, Abfallbehäl-<br />

ter für die Kunden, Handkarren, Schaufeln, Besen, Handschuhe, Schutzmasken, Overalls, Stiefel<br />

und Regenjacken. Diese macht die Arbeit e<strong>in</strong>facher, effektiver und bezüglich <strong>der</strong> Gesundheitsge-<br />

fahren risikoärmer (IntMSE 3, IntMSE 5, IntMSE 10, IntKS 3, IntKS 4, IntKS 6, IntKS 12).<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus erhalten die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jugendgruppen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorf<strong>in</strong>anzierungsphase f<strong>in</strong>an-<br />

zielle Unterstützung im Krankheits- o<strong>der</strong> Verletzungsfall zur Deckung <strong>der</strong> Kosten <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>i-<br />

schen Behandlung. Auch damit soll die schwierige Etablierungsphase erfolgreich zu bewältigen<br />

se<strong>in</strong>. Die Dauer <strong>der</strong> Anschubf<strong>in</strong>anzierung lief ursprünglich über zwei Monate, wurde aber auf vier<br />

Monate verlängert, da nach zwei Monaten kaum e<strong>in</strong>e Gruppe ihre Kosten decken konnte (IntM-<br />

SE 5, IntEx 2, IntKS 10, PK 8, vgl. Kapitel V.6.2, S. 124).<br />

Neben <strong>der</strong> Erhöhung des F<strong>in</strong>anz- und Sachkapitals, soll auch das Humankapital <strong>der</strong> beteiligten<br />

Akteure verbessert werden. H<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Müllentsorgung werden die Gruppen nun tra<strong>in</strong>iert,<br />

auf welche Art und Weise Müll behandelt und entsorgt werden muss, um Gesundheitsgefahren zu<br />

vermeiden, denn „[s]ome even used their bare hands to collect the waste“ (IntKS 2). Die Instandhal-<br />

tung <strong>der</strong> bereitgestellten Ausstattung gehört ebenso dazu, wie <strong>der</strong> Umgang mit Kunden <strong>in</strong> Marke-<br />

t<strong>in</strong>gfragen und bei auftretenden Problemen. Darüber h<strong>in</strong>aus f<strong>in</strong>den Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsmaßnahmen <strong>in</strong><br />

betriebswirtschaftlichen Fragen statt, wie man das MSE verwaltet, Buch führt etc. (IntMSE 5,<br />

IntMSE 6, IntMSE 8, IntMSE 15, IntKS 2, IntKS 10, IntKS 15, PK 4). Diese Aktivitäten sollen<br />

74


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

langfristig <strong>von</strong> <strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone übernommen werden, die im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Theorie eben<br />

nicht nur auf e<strong>in</strong>e Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> <strong>in</strong>stitutionellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen abzielt, son<strong>der</strong>n auch<br />

entsprechend <strong>der</strong> Analogie des Mannschaftssport, versucht, im Rahmen <strong>der</strong> vorhanden Regeln<br />

erfolgreich zu agieren.<br />

Abbildung 11: Anschubf<strong>in</strong>anzierung Kl<strong>in</strong> Salones <strong>in</strong> Form bereitgestellter Arbeitsausstattung (eigene<br />

Fotos)<br />

„The […] groups agree to coord<strong>in</strong>ate their waste management procedures and activities. By participat<strong>in</strong>g<br />

<strong>in</strong> a coord<strong>in</strong>ated system, groups ga<strong>in</strong> credibility and are better able to market their services”<br />

(KLIN SALONE 2006: 2).<br />

So müssen die MSEs nicht bei jedem Kunden e<strong>in</strong>en neuen Preis festlegen, e<strong>in</strong>en neuen Vertrag<br />

vere<strong>in</strong>baren o<strong>der</strong> die Art und Weise <strong>der</strong> Abholung verhandeln: Tätigkeiten, die mit Kosten ver-<br />

bunden s<strong>in</strong>d. Die Komplexität reduziert sich durch die Schaffung e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>heitlichen Rahmens<br />

und die Geschäftstätigkeiten <strong>der</strong> MSEs werden für diese kalkulierbar. Des Weiteren ist es nicht<br />

<strong>von</strong> Nöten, dass jedes e<strong>in</strong>zelne MSE e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>barung mit dem Staat trifft, die sicherstellt, dass<br />

<strong>der</strong> <strong>von</strong> ihnen entsorgte Müll durch die öffentliche Hand weitertransportiert wird. Die Organisa-<br />

tion führt <strong>in</strong> Vertretung für alle Jugendgruppen die Verhandlungen und spart dadurch Transakti-<br />

onskosten und erhöht die Verhandlungsmacht. Die Kosten <strong>der</strong> beteiligten MSEs werden gesenkt.<br />

Auch erwähnte Market<strong>in</strong>gaktivitäten, etwa Spots <strong>in</strong> Radiosendungen, s<strong>in</strong>d nur durch die kumu-<br />

lierte F<strong>in</strong>anzleistung <strong>der</strong> Gruppen unter Kl<strong>in</strong> Salone zu erreichen. Kl<strong>in</strong> Salone bildet im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong><br />

Theorie das Potential durch organisatorischen <strong>Zusammenschluss</strong> im Rahmen <strong>der</strong> vorhanden <strong>in</strong>-<br />

75


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

stitutionellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen den Geschäftsprozess zu optimieren und somit die Transakti-<br />

onskosten für die e<strong>in</strong>zelnen MSEs zu reduzieren (vgl. Kapitel II.2.4, S. 17).<br />

Trotz dieser Beiträge zum <strong>in</strong>stitutionellen Wandel und den Vorteilen <strong>der</strong> unternehmerischen<br />

Organisation s<strong>in</strong>d viele <strong>der</strong> Jugendgruppen mit Erfolglosigkeit konfrontiert (vgl. Kapitel V.6.2, S.<br />

124). Die Gründe dafür sollen nun dargelegt werden. Sie lassen sich zu e<strong>in</strong>em nicht unwesentli-<br />

chen Teil auf die spezielle <strong>in</strong>stitutionelle Konfigurationen <strong>in</strong> Sierra Leone bzw. Freetown zurück-<br />

führen.<br />

2. Politisch-<strong>in</strong>stitutioneller Rahmen <strong>der</strong> Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown<br />

2.1 Urban Governance: Zu lokalen Fähigkeiten im Zentralstaat<br />

E<strong>in</strong>e zentrale Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> (afrikanischen) Urbanität ist es, wirtschaftliches Wachstum zu<br />

ermöglichen. Die städtische Wirtschaft soll zur nationalen ökonomischen Entwicklung beitragen,<br />

e<strong>in</strong>en Arbeitsmarkt für die wachsende urbane Bevölkerung schaffen und Ressourcen für Service-<br />

leistungen und städtisches Management akquirieren (RAKODI 2002a: 310). Schwierigkeiten tre-<br />

ten <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e dann auf, wenn nationale Autoritäten lokale Politik blockieren o<strong>der</strong> <strong>in</strong> die eige-<br />

ne Zuständigkeit überführen und als Instrument politischer Kontrolle missbrauchen. Getrieben<br />

vom Bestreben die Nation zu e<strong>in</strong>en, sich dabei aber gleichzeitig die Kontrolle <strong>der</strong> nationalen Res-<br />

sourcen zu sichern und sich selbst im Amt zu behaupten, erodierten so die Autonomien <strong>der</strong> Lo-<br />

kalregierungen zu Gunsten <strong>der</strong> herrschenden nationalen Parteien <strong>in</strong> den Hauptstädten <strong>in</strong> nicht<br />

wenigen afrikanischen Staaten. Die Budgets lokaler politischer Körperschaften g<strong>in</strong>gen vielfach,<br />

auch befeuert durch den entwicklungspolitischen Diskurs <strong>der</strong> 1960er Jahre und den dar<strong>in</strong> propa-<br />

gierten zentralisierten Planungssystemen <strong>in</strong> die Zuständigkeit <strong>der</strong> nationalen Regierung über<br />

(TULL 2004: 71). Sie verschwanden dabei aber wohl häufiger <strong>in</strong> dunklen Kanälen, als dass sie <strong>in</strong><br />

Form <strong>von</strong> Wohlfahrtsleistungen <strong>der</strong> Bevölkerung zu Gute kamen. Lokalpolitik wurde <strong>von</strong> den<br />

Machtklüngeln nicht selten als (potentielle) Gefahr für die eigene Position wahrgenommen, <strong>der</strong> es<br />

zu begegnen galt. E<strong>in</strong>e weitere Marg<strong>in</strong>alisierung mit dem Ergebnis e<strong>in</strong>er chronischen Schwäche<br />

<strong>der</strong> Lokalregierungen und e<strong>in</strong>e zunehmende Handlungsunfähigkeit <strong>in</strong> wirtschaftlichen Fragen<br />

und staatlichen Leistungen war die Folge (RAKODI 2002a: 313f., TULL 2004: 71).<br />

Derart kann auch die Entwicklung <strong>in</strong> Sierra Leone beschrieben werden, wo sich die politische<br />

Macht über e<strong>in</strong>en Großteil <strong>der</strong> postkolonialen Periode bei <strong>der</strong> Staatsregierung konzentrierte<br />

76


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

(ALBRECHT/MALAN 2006: 8, vgl. Kapitel IV, S. 48). Die extreme Zentralisierung <strong>der</strong> politischen<br />

Handlungsmacht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hauptstadt schwächte lokale Strukturen. Die auf substaatlicher Ebene<br />

zuständigen Körperschaften büßten ihre Leistungsfähigkeit e<strong>in</strong> und e<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

wurde <strong>von</strong> <strong>der</strong> Partizipation an Entwicklungsprozessen ausgeschlossen. Wo lokale Autoritäten <strong>der</strong><br />

öffentlichen Hand trotzdem bestanden, fungierten sie oftmals als Erfüllungsgehilfen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>par-<br />

teienherrschaft, denn die Mitglie<strong>der</strong> waren nicht gewählt, son<strong>der</strong>n <strong>von</strong> <strong>der</strong> Zentralregierung er-<br />

nannt (ALIE 2006: 19f.). Auch die Governance-Fähigkeiten des postkolonialen Freetowns litten<br />

unter dem extremen politischen Zentralisierungsprozess, <strong>der</strong> unter den Regierungen des APC<br />

zwischen 1968 und 1992 se<strong>in</strong>en Höhepunkt erreichte und es <strong>in</strong> lokalen politischen Strukturen<br />

quasi unmöglich machte eigenständig zu regieren. Im Jahr 1984 wurde die Demokratie auf lokaler<br />

Ebene <strong>in</strong> Freetown abgeschafft, als die vormals gewählten Stadträte zu Gunsten e<strong>in</strong>es „Manage-<br />

ment Committee“ aus <strong>von</strong> Siaka Stevens ausgewählten Klienten ersetzt wurden (ZACK-WILLIAMS<br />

2002: 291 und 298). Der FCC, welcher <strong>in</strong> <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Wahrnehmung bis dah<strong>in</strong> relativ gute<br />

Arbeit leistete, faire und regelmäßige Wahlen abhielt, wurde <strong>in</strong> das Patronagenetzwerk <strong>der</strong> herr-<br />

schenden Partei verwoben und verlor jede Autonomie. Die öffentlichen E<strong>in</strong>richtungen verfielen<br />

<strong>in</strong> Folge <strong>von</strong> Selbstbereicherung und Missmanagement. Die Daumenschrauben <strong>der</strong> Strukturan-<br />

passungsprogramme <strong>der</strong> Weltbank, die ja nicht zuletzt dieser Bad Governance begegnen sollten,<br />

legten sich die verantwortlichen Akteure nicht selbst, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Bevölkerung an. Bei Ausbruch<br />

des Krieges im Jahr 1991 war die städtische Infrastruktur bereits <strong>in</strong> fortgeschrittenem Verfall beg-<br />

riffen, so dass dieser den Nie<strong>der</strong>gang lediglich weiter beschleunigte (ABDULLAH 2002: 206 und<br />

210, HIRSCH 2001: 21).<br />

2.2 Öffentliche Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown: Kurze Geschichte e<strong>in</strong>es Nie<strong>der</strong>gangs<br />

Bereits wenige Jahre nach <strong>der</strong> Unabhängigkeit wurde <strong>von</strong> Müllproblemen <strong>in</strong> Freetown berichtet<br />

(GANDI 1986: 334). Daher lancierten <strong>der</strong> FCC und das M<strong>in</strong>istry of Health 1977 schließlich die<br />

Kampagne „Keep the City Clean“ zur Verbesserung <strong>der</strong> Müllsituation, die nach anfänglichen Er-<br />

folgen jedoch wenig Wirkung entfaltete. 1980 übernahm e<strong>in</strong> privates Unternehmen <strong>in</strong> Zusam-<br />

menarbeit mit dem FCC und den Public Health Inspectors <strong>der</strong> Regierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erwartung <strong>der</strong><br />

Ausrichtung des Gipfels <strong>der</strong> Organization for African Unity (OAU) die Abfallbeseitigung. In<br />

den1980er Jahren schließlich fand schon e<strong>in</strong>mal im Rahmen <strong>der</strong> deutschen Entwicklungszusam-<br />

menarbeit e<strong>in</strong>e Kooperation im Bereich <strong>der</strong> Abfallwirtschaft statt. Nachdem es zu politischen<br />

77


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Differenzen kam und <strong>der</strong> deutsche Botschafter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge <strong>von</strong> den sierra-leonischen Autoritäten<br />

zur Person non grata erklärt wurde, endete auch die Unterstützung (ANAND 1986: 334, DUM-<br />

BUYA 1986: 329ff., GANDI 1986: 334f., SOOD 2004: 9). Ebenfalls Anfang <strong>der</strong> 1980er Jahre wurde<br />

e<strong>in</strong> privatwirtschaftliches Unternehmen mit <strong>der</strong> Beseitigung des Abfalls betraut. Jedoch kamen<br />

alsbald f<strong>in</strong>anzielle Unregelmäßigkeiten an die Öffentlichkeit und <strong>der</strong> Kontrakt wurde daher 1993<br />

beendet. Die Abfallwirtschaft <strong>von</strong> nun an wie<strong>der</strong> ausschließlich vom M<strong>in</strong>istry of Health durchge-<br />

führt (IntKS 12, SOOD 2004: 9). Zu diesem Zeitpunkt war die städtische Infrastruktur bereits<br />

nahezu verfallen. Die Auswirkungen <strong>der</strong> Strukturanpassungsprogramme und die Misswirtschaft<br />

zeigten ihre Folgen. Und das Müllproblem <strong>in</strong> Freetown verschlimmerte sich weiter. Niemand<br />

fühlte sich für die Abfallbeseitigung verantwortlich, <strong>der</strong> entmachtete FCC und Regierung be-<br />

schuldigten sich gegenseitig (IntKS 12). Der Müll wuchs zu Bergen. Die Probleme wurden so<br />

drängend, dass die Regierung Mitte <strong>der</strong> 1990er Jahre den letzten Samstag des Monats zum Tag des<br />

„general clean<strong>in</strong>g of the city“ ausrief (ABDULLAH 2002: 206). 1995 stellt die Weltbank im Rahmen<br />

ihres „Freetown Infrastructure Rehabilitation Program“ (FIRP) <strong>der</strong> Stadt Fahrzeuge und Contai-<br />

ner zur Verfügung. Trotzdem war e<strong>in</strong> akuter Mangel an Kapazitäten zu verzeichnen, so dass den<br />

wachsenden Erfor<strong>der</strong>nissen durch die kriegesbed<strong>in</strong>gte verstärkte Zuwan<strong>der</strong>ung nach Freetown<br />

kaum noch Rechnung getragen werden konnte. In Folge des Krieges und <strong>der</strong> episodischen Wie-<br />

<strong>der</strong>kehr <strong>der</strong> Kampfhandlungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hauptstadt wurde e<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> Ausstattung beschädigt<br />

o<strong>der</strong> zerstört. 1999 bat die sierra-leonische Regierung Großbritannien um Hilfe, mit <strong>der</strong> Bitte,<br />

Material zur Verfügung zu stellen, wo<strong>von</strong> aber e<strong>in</strong> Großteil schon kurze Zeit später wegen man-<br />

geln<strong>der</strong> Instandhaltung nicht mehr funktionierte (SOOD 2004: 9f.). Die Situation verschlechterte<br />

sich weiter bedeutend und wie<strong>der</strong> waren die Ursachen ähnlich: bürokratische Ineffizienz, Korrup-<br />

tionsvorwürfe bei Beschaffung <strong>von</strong> Ersatzteilen, die Existenz <strong>von</strong> angeblichen zu bezahlenden<br />

Arbeiter, schlechtes Management, mangelnde Rechenschaftspflicht und fehlende F<strong>in</strong>anzen (ebd.:<br />

10). Abholung und Transport blieb weit h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Müllproduktion zurück. In <strong>der</strong> Folge waren<br />

überall Berge <strong>von</strong> Müll zu sehen, <strong>von</strong> denen viele zur Beseitigung entzündet wurden (IntEx 4,<br />

IntKS 17, GTZ 2007b: 1, GTZ 2007e: 1, SOOD 2004: 11). Der Abfall wurde an jedem erdenkli-<br />

chen Platz deponiert: auf unbewohnten Landparzellen, an Kreuzungen, am Straßenrand und <strong>in</strong><br />

Flussläufen, die zum Meer führen (vgl. Abbildung 12, S. 79). Das Abwassersystem war <strong>von</strong> Müll<br />

blockiert, Kanalschächte zur Entsorgung geöffnet und viele <strong>der</strong> aufgestellten öffentlichen Müll-<br />

conta<strong>in</strong>er zerstört (IntAbo 4, IntKS 5, IntKS 13, SOOD 2004: 17f.). Die Anwohner am Wasser<br />

78


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

deponierten den Müll im Meer und Müllverbrennung <strong>in</strong> Wohngebieten war an <strong>der</strong> Tagesord-<br />

nung (IntKS 13). Die Folge dieser Umstände war e<strong>in</strong>e bedeutsame Erhöhung <strong>von</strong> Krankheiten,<br />

die auf Stechmücken und Luftverschmutzung zurückzuführen waren (IntKS 17, SOOD 2004: 7).<br />

Abbildung 12: Müllsituation <strong>in</strong> Freetown vor Kl<strong>in</strong> Salone und Rehabilitierung des FWMS. Im Uhrzeigers<strong>in</strong>n<br />

<strong>von</strong> l<strong>in</strong>ks oben: Lumley, Markt <strong>in</strong> Congo Town, Kissy, Congo Town (Fotos: unbekannt)<br />

SOOD (2004: 17) schätzt für die unmittelbaren Nachkriegsjahre, dass nur 35-55% <strong>der</strong> gesamten<br />

produzierten Müllmenge <strong>von</strong> etwa 700 Tonnen täglich (GTZ 2006b: 4) adäquat entsorgt wur-<br />

den. 2006 sprechen PRICEWATERHOUSECOOPERS/DHV (22) <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er gar nur 10%igen Abhol-<br />

rate, die GTZ (2006b: 4) <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Menge <strong>von</strong> täglich 105 Tonnen, was zwischen 10 und 20% <strong>der</strong><br />

gesamten <strong>in</strong> Freetown produzierten Menge an Müll entspricht. Ohneh<strong>in</strong> waren die beiden Müll-<br />

deponien Freetowns, Kissy und K<strong>in</strong>gtom, auf Grund <strong>von</strong> Managementfehlern schon mit dieser<br />

Menge ausgelastet, obwohl sie bei entsprechen<strong>der</strong> Organisation weit höhere Kapazitäten gehabt<br />

hätten. Der Rest wurde entsprechend auf öffentlichen Flächen gelagert, <strong>in</strong> Gewässern und Ab-<br />

flussr<strong>in</strong>nen entsorgt, vergraben o<strong>der</strong> entlang <strong>der</strong> Straßen abgeladen (IntMSE 10, SOOD 2004: 17).<br />

Das Müllproblem war dabei im Ostteil und Zentrum <strong>der</strong> Stadt akuter (SOOD 2004: 15). In vielen<br />

79


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Vierteln Freetowns, wie Thun<strong>der</strong> Hill im Osten o<strong>der</strong> Sewa Ground Park im Zentrum <strong>der</strong> Stadt,<br />

gab es schlicht ke<strong>in</strong>e öffentliche Entsorgung (IntMSE 3, IntMSE 7).<br />

2.3 Abfallentsorgung zwischen Rehabilitierung und politischer Instrumentalisierung<br />

Mit dem Ende des Krieges im Jahr 2001 und dem daraus verstärktem Interesse <strong>der</strong> Geber, war die<br />

Chance gekommen auch e<strong>in</strong>en Neuanfang <strong>in</strong> <strong>der</strong> Abfallwirtschaft Freetowns e<strong>in</strong>zuleiten. Doch<br />

die Situation, wie sie im vorigen Kapitel dargestellt wurde, konnte so noch bis Ende 2006 wahrge-<br />

nommen werden, denn „Waste management <strong>in</strong> Freetown, un<strong>der</strong> shift<strong>in</strong>g authorities, has been trea-<br />

ted as a political football” (Sood 2004: 9). Diesen wollten die unterschiedlichen Akteure im Zuge<br />

steigen<strong>der</strong> Zuwendungen <strong>der</strong> Entwicklungsagenturen und <strong>der</strong> damit verbundenen Aussicht auf<br />

Prestige, aber <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie wohl f<strong>in</strong>anziellen Gew<strong>in</strong>ns, am liebsten selbst spielen.<br />

Der wichtigste, o<strong>der</strong> besser, <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anzstärkste Geber im Bereich <strong>der</strong> Abfallwirtschaft war und ist<br />

die Weltbank, die jedoch aus <strong>der</strong> Erfahrung <strong>von</strong> Poor Governance auf e<strong>in</strong>en aus ihrer Sicht kompe-<br />

tenten Partner wartete, mit <strong>der</strong> Hoffnung <strong>der</strong> neue FCC könnte dieser im Zuge <strong>der</strong> Lokalwahlen<br />

2004 werden (IntKS 12, GTZ 2007e: 1). In jenem Jahr wurde die Verantwortlichkeit <strong>in</strong> den Be-<br />

reichen, Landwirtschaft, Gesundheit, Bildung und Infrastruktur <strong>in</strong> Sierra Leone im Rahmen <strong>der</strong><br />

Dezentralisierungsbestrebungen <strong>der</strong> Geber <strong>von</strong> <strong>der</strong> Regierung auf die neunzehn landesweit ge-<br />

wählten Stadträte übertragen (ALBRECHT/MALAN 2006: 8, GTZ 2007e: 1, TULL 2004: 71f.). So<br />

war fortan <strong>der</strong> FCC zuständig für Fragen im Bereich <strong>der</strong> Abfallwirtschaft Freetowns (JOHNSON<br />

2007: o. S., PRICEWATERHOUSECOOPERS/DHV 2006: 13). Doch auch „[i]n their mentality waste<br />

is not a prior th<strong>in</strong>g” (IntEx 2). Weit problematischer war jedoch, dass die Kommunalwahlen 2004<br />

dem APC bedeutsame Gew<strong>in</strong>ne bescherten, so unter an<strong>der</strong>em auch die Mehrheit im FCC (ICG<br />

2007: 1). Die amtierende nationale SLPP-Regierung wollte nun die benötigten F<strong>in</strong>anzmittel nicht<br />

<strong>der</strong> lokalen politischen Konkurrenz überlassen und so verzichtete man auf die Unterzeichnung<br />

<strong>der</strong> Verträge mit den Gebern, so dass seitens <strong>der</strong> Weltbank ke<strong>in</strong>e Mittel freigegeben werden konn-<br />

ten. Mit diesem partei- und machtpolitisch motivierten Schachzug wollte die SLPP allem An-<br />

sche<strong>in</strong> nach verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, dass <strong>der</strong> APC handlungsfähig bleibt (IntKS 12, TULL 2004: 72). Auch<br />

<strong>der</strong> Major <strong>von</strong> Freetown, W<strong>in</strong>stanley Bankole Johnson (APC), wies darauf h<strong>in</strong>, dass während <strong>der</strong><br />

Zeit <strong>der</strong> Verantwortlichkeit des FCC die <strong>von</strong> <strong>der</strong> Regierung bereitgestellten Mittel für Reparatu-<br />

ren, Benz<strong>in</strong> und Löhne verhältnismäßig weit unter den denen lagen, die die Regierung bei eigener<br />

Zuständigkeit aufwandte (JOHNSON 2007: o. S., IntMSE 7). Zwischen 2004 und 2006 standen<br />

80


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

dem FCC so kaum f<strong>in</strong>anziellen Mittel zur Verfügung, um e<strong>in</strong>en geregelten Ablauf <strong>der</strong> öffentli-<br />

chen Abfallwirtschaft zu gewährleisten. Daher konnten ke<strong>in</strong>e neuen Fahrzeuge und Ausstattung<br />

angeschafft bzw. das bestehende Material nicht verwendet o<strong>der</strong> repariert werden (GTZ 2006b: 4,<br />

IntEx 2, IntEx 4, IntKS 7, IntKS 17, vgl. Abbildung 13, S. 81). Auch vor diesem H<strong>in</strong>tergrund ist<br />

die schlechte Leistungsfähigkeit des FCC zu erklären. Der Müll wurde zwar an den Straßen depo-<br />

niert, <strong>der</strong> Weitertransport jedoch fand, wenn überhaupt, mit e<strong>in</strong>er erheblichen Verzögerung <strong>von</strong><br />

oftmals über e<strong>in</strong>er Woche statt (IntKS 10). Darüber h<strong>in</strong>aus waren die Arbeiter schlecht und un-<br />

regelmäßig bezahlt. Die Ausstattung mit Arbeitsmaterial war ungenügend (IntKS 3, IntKS 7,<br />

IntKS 13, IntKS 15, IntMSE 15).<br />

Abbildung 13: Fuhrpark des FWMS vor dessen Rehabilitierung im Jahr 2006 (eigene Fotos)<br />

2.4 Akteure, Regelwerke und E<strong>in</strong>flüsse <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit<br />

2.4.1 Weltbank und GTZ: Konfligierende Ansätze und <strong>der</strong>en Folgen<br />

Ziel <strong>der</strong> GTZ mit <strong>der</strong> Etablierung Kl<strong>in</strong> Salones war zunächst im Rahmen des Projektes EPP die<br />

Schaffung <strong>von</strong> nachhaltigen Beschäftigungsmöglichkeiten im Bereich <strong>der</strong> Abfallwirtschaft (vgl.<br />

Kapitel V.1.2, S. 67). Jedoch mussten die Verantwortlichen <strong>der</strong> deutschen Entwicklungszusam-<br />

menarbeit bald feststellen, dass die MSEs, welche die Door-to-Door-Müllbeseitigung durchführ-<br />

ten, auf e<strong>in</strong> Funktionieren <strong>der</strong> öffentlichen Müllentsorgung angewiesen waren. Der <strong>von</strong> den<br />

MSEs gesammelte Müll musste <strong>von</strong> den Zwischenlagerstätten (Transit Sites) weiter auf die zwei<br />

Mülldeponien transportiert werden, um das Müllproblem <strong>in</strong> den Griff zu bekommen und die<br />

Legitimität <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone und <strong>der</strong> Door-to-Door-Komponente nicht zu untergraben (zur Be-<br />

deutung des Weitertransports für an<strong>der</strong>e regionale Beispiele vgl. ANAND 1999: 176, MULLER ET.<br />

AL 2002: 254). Diese Kapazitäten, <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> Form <strong>von</strong> Fahrzeuge, konnten jedoch nicht<br />

81


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

<strong>von</strong> den MSEs erbracht werden. Daher war auch die Rehabilitierung <strong>der</strong> öffentlichen Müllentsor-<br />

gung <strong>in</strong> den Fokus <strong>der</strong> deutschen EZ gerückt (IntEx 2, GTZ 2007b: 1, GTZ 2006b: 5).<br />

In dieser H<strong>in</strong>sicht standen sich jedoch die Ansätze zweier Akteure <strong>der</strong> Entwicklungszusammenar-<br />

beit gegenüber: Die Weltbankkonzeption auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en und <strong>der</strong> Ansatz <strong>der</strong> GTZ auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite.<br />

Die Weltbank bot <strong>der</strong> sierra-leonischen Regierung im Mai 2004 im Rahmen des Guma Valley<br />

Water Projects ihre Unterstützung für die Rehabilitierung <strong>der</strong> städtischen Abfallwirtschaft Free-<br />

towns an. Im Zuge des Dezentralisierungsprozesses dieses Politikbereichs (vgl. Kapitel V.2.1,<br />

S. 76) erfolgten ab Januar 2005 dann die Verhandlungen zwischen <strong>der</strong> Weltbank und dem FCC<br />

(GTZ 2007e: 1). Die Rehabilitierung und Privatisierung <strong>der</strong> Abfallwirtschaft Freetowns sollte<br />

durch die Bereitstellung <strong>von</strong> 2,5 Millionen US-Dollar erreicht werden, wurde aber dadurch blo-<br />

ckiert, dass sich die Weltbank und die sierra-leonischen Autoritäten aus erwähnten Gründen<br />

nicht auf e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Vorgehen e<strong>in</strong>igen konnten (GTZ 2007b: 1, vgl. Kapitel V.2.3, S. 80).<br />

In den Jahren 2005 und 2006 wurde trotzdem seitens <strong>der</strong> Weltbank e<strong>in</strong> Projektplan entwickelt,<br />

<strong>der</strong> die Rehabilitierung und die nachhaltige Funktionsweise <strong>der</strong> Abfallwirtschaft Freetowns durch<br />

die Schaffung e<strong>in</strong>es Privatunternehmens (Freetown Waste Management Company, FWMC) lösen<br />

will. Diese soll die Aktivitäten des privaten Sektors koord<strong>in</strong>ieren. Demnach soll Freetown <strong>in</strong> fünf<br />

bis sechs Zonen unterteilt werden, <strong>in</strong> denen jeweils Subunternehmer die Zuständigkeiten für die<br />

Abfallwirtschaft übernehmen. In <strong>der</strong> Folge soll sich e<strong>in</strong> Markt mit Konkurrenzmechanismen her-<br />

ausbilden (PRICEWATERHOUSECOOPERS/DHV 2006: 10f.). Die Privatunternehmer sollen dabei<br />

die Gebühren für die Müllbeseitigung selbst direkt <strong>von</strong> den Kunden e<strong>in</strong>for<strong>der</strong>n, um sich und die<br />

FWMC zu f<strong>in</strong>anzieren. Dazu merken die Weltbankberater <strong>von</strong> PRICEWATERHOUSECOOP-<br />

ERS/DHV (2006: 17) an, dass <strong>in</strong> low <strong>in</strong>come countries die Gebühren- und Steuererhebung e<strong>in</strong>e<br />

schwierige Sache sei, vor allem <strong>in</strong> low <strong>in</strong>come areas und es daher attraktiv wäre, „to hand over this<br />

risk to the private sector, assum<strong>in</strong>g/expect<strong>in</strong>g that they will solve this problem, or take over this risk”<br />

(PRICEWATERHOUSECOOPERS/DHV 2006: 17). Das Ergebnis sollen bessere, effektivere und<br />

billigere Serviceleistungen se<strong>in</strong> (ebd.: 5).<br />

Jedoch hat dieses Konzept aus Sicht <strong>der</strong> GTZ (2006b: 9f.) etliche Unzulänglichkeiten: So wird an<br />

dem Vorschlag kritisiert, dass e<strong>in</strong> <strong>der</strong>artiges Privatunternehmen nur <strong>in</strong> den „bessere“ Stadtteilen<br />

82


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

operieren kann, da es den wirtschaftlich weniger potenten E<strong>in</strong>wohnern, die aber die Mehrheit <strong>der</strong><br />

Bevölkerung ausmachen, nicht möglich ist, die hohen, <strong>von</strong> diesen Privatunternehmen gefor<strong>der</strong>ten<br />

Gebühren zu bezahlen. Auch <strong>der</strong> Weltbankberater SOOD (2004: 16) stellt fest, dass die Müllabho-<br />

lung <strong>in</strong> „besseren“ Gebieten häufiger als <strong>in</strong> ärmeren Gegenden erfolgt, da sich dort die Zugangs-<br />

möglichkeiten h<strong>in</strong>sichtlich Infrastruktur problematischer darstellen. Die Gefahr <strong>der</strong> Exklusion<br />

weiter Teile <strong>der</strong> Bevölkerung, die schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verantwortlichkeit <strong>der</strong> öffentlichen Hand gegeben<br />

ist, würde sich wohl mit e<strong>in</strong>em an <strong>der</strong> Gew<strong>in</strong>nfunktion orientierten großskaligen Privatunter-<br />

nehmen weiter verschlimmern (dazu auch SCHEINBERG 2001: 10). Weiterh<strong>in</strong> wird kritisiert, dass<br />

die erwirtschafteten Gew<strong>in</strong>ne nur e<strong>in</strong>igen wenigen großen, gew<strong>in</strong>nabschöpfenden Unternehmen<br />

zufließen würden, statt hun<strong>der</strong>te neue Jobs für Jugendliche zu schaffen, die als MSEs ihr E<strong>in</strong>-<br />

kommen <strong>in</strong> Folge ger<strong>in</strong>gerer Gebühren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em größeren Kundenkreis akquirieren können.<br />

Nachdem also Kl<strong>in</strong> Salone und die Door-to-Door-Abfallbeseitigung bereits etabliert waren (vgl.<br />

Kapitel V.1.2, S. 67), hatte die GTZ nun e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Interesse daran, die öffentliche Müllent-<br />

sorgung nach zu Kl<strong>in</strong> Salone kompatiblen Bed<strong>in</strong>gungen zu rehabilitieren. Sie bot daher dem FCC<br />

an, auf Basis technischer Zusammenarbeit e<strong>in</strong> Rehabilitierungs- und Privatisierungskonzept zu<br />

erarbeiten, das die Zustimmung <strong>von</strong> Weltbank und <strong>der</strong> sierra-leonischen Regierung erhalten<br />

konnte (GTZ 2007e: 1). Die Umsetzung des Weltbankansatzes musste aus Sicht <strong>der</strong> GTZ mit<br />

Blick auf Kl<strong>in</strong> Salone <strong>in</strong> jedem Fall verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden, da sonst die Existenz <strong>der</strong> zahlreichen MSEs<br />

bedroht gewesen wäre. Das neue Element im GTZ-Vorschlag ist nun, dass e<strong>in</strong>e PPP zwischen<br />

e<strong>in</strong>em neu gegründeten unter öffentlicher Trägerschaft stehenden Freetown Waste Management<br />

System (FWMS) und Kl<strong>in</strong> Salone etabliert werden sollte. Auf dieser Basis wurde, wie erwähnt, 56<br />

weiteren Jugendgruppen unter Kl<strong>in</strong> Salone organisiert (vgl. Kapitel V.1.2, S. 67). Für diesen <strong>der</strong><br />

öffentlichen Hand zur Verfügung gestellten Service werden sie als Kle<strong>in</strong>unternehmer entspre-<br />

chend bezahlt. Die Kosten dafür trägt das FWMS und damit die öffentliche Hand. Somit werden<br />

nach diesem Ansatz Teile <strong>der</strong> Abfallwirtschaft als MSEs unter Anerkennung <strong>der</strong> staatlichen Auto-<br />

ritäten privatisiert bei gleichzeitiger Integration <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e generelle Strategie <strong>der</strong> Abfallentsorgung<br />

(vgl. Kapitel III.2.2, S. 38).<br />

Der Unterschied <strong>der</strong> beiden Ansätze kann mit Bezug auf ZIAI (2004: 1096f.), <strong>der</strong> die These <strong>der</strong><br />

Persistenz des Marktordnungsprimates <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weltbankpolitik vertritt, herausgestellt werden (vgl.<br />

Kapitel II.4, S. 28). Der <strong>von</strong> <strong>der</strong> Weltbank und <strong>der</strong>en Berater PricewaterhouseCoopers/DHV<br />

vorgeschlagene Projektplan geht <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Markt aus, <strong>der</strong> ohne E<strong>in</strong>schränkungen <strong>von</strong> (großen)<br />

83


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

privaten Unternehmen bedient werden soll. Die neoklassischen Konnotationen s<strong>in</strong>d unverkenn-<br />

bar: Das Müllproblem soll durch „Marktmacht“ <strong>von</strong> oben gelöst werden. Jedoch besteht im Zuge<br />

<strong>der</strong> Privatisierung öffentlicher Leistungen die Gefahr, dass das Geme<strong>in</strong>wohl nicht ausreichend<br />

Beachtung f<strong>in</strong>det, da Privatunternehmen zu allererst an Gew<strong>in</strong>nen orientiert s<strong>in</strong>d. Die Säuberung<br />

öffentlicher Räume garantiert beispielsweise ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>nahmen. E<strong>in</strong>e umfassende Privatisierung<br />

kann also ke<strong>in</strong>e adäquate Lösung se<strong>in</strong>. Somit stellt me<strong>in</strong>es Erachtens <strong>der</strong> Ansatz <strong>der</strong> GTZ, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Teilprivatisierung verfolgt (PPP!) die geeignetere Lösung dar. Darüber h<strong>in</strong>aus haben MSEs <strong>in</strong><br />

Folge des partizipativen Charakters weitaus höhere Potentiale bei <strong>der</strong> Akquirierung <strong>von</strong> Kunden<br />

(vgl. Kapitel III.2.2, S. 38 und Kapitel V.3.4, S. 95), obwohl selbst diese <strong>Kle<strong>in</strong>unternehmen</strong> mit<br />

Schwierigkeiten zu kämpfen haben (vgl. Kapitel V.5, S. 105). Der Ansatz <strong>der</strong> GTZ propagiert so,<br />

im Gegensatz zur Weltbank, e<strong>in</strong>e „Entwicklung <strong>von</strong> unten“ und bezieht bereits existente Akteure<br />

und Mechanismen (Institutionen!) mit e<strong>in</strong>.<br />

EXKURS: Und noch e<strong>in</strong> weiteres Beispiel für konfligierende Ansätze <strong>der</strong> EZ<br />

Im Rahmen e<strong>in</strong>es „Youth Employment Scheme“ (YES) des M<strong>in</strong>istry of Youth and Sport s<strong>in</strong>d Ju-<br />

gendliche <strong>in</strong> öffentlichen Dienstleistungen <strong>der</strong> Stadt Freetown beschäftigt (ICG 2007: 8). Diese<br />

werden <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie durch Gel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Geber, <strong>in</strong> diesem Fall des UNDP, f<strong>in</strong>anziert. Jedoch stel-<br />

len sie nur e<strong>in</strong>e kurzfristige Lösung des Problems <strong>der</strong> Jugendarbeitslosigkeit dar (GTZ 2006b: 4,<br />

ICG 2007: 8). Nachhaltigkeit, selbst bei begleitenden Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsmaßnahmen, wird nicht erreicht.<br />

Derartige Ansätze s<strong>in</strong>d daher zwar als Nothilfe geeignet, weniger aber als sich selbst tragende Be-<br />

schäftigungsmöglichkeiten o<strong>der</strong> gar als Instrument zur Rehabilitierung <strong>der</strong> Wirtschaft (GTZ<br />

2007c: l). Sie mögen zwar zur Verbesserung <strong>der</strong> Infrastruktur beitragen, s<strong>in</strong>d aber auf Grund <strong>der</strong><br />

Schaffung <strong>von</strong> langfristigen Abhängigkeiten <strong>von</strong> Hilfszahlungen <strong>in</strong> entwicklungspraktischer Sicht<br />

eher nicht zu favorisieren (GIENANTH/HANSEN 2006: 10).<br />

Die Beschäftigten e<strong>in</strong>es dieser YES s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadtre<strong>in</strong>igung tätig, <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie bei <strong>der</strong> Beseiti-<br />

gung <strong>von</strong> Abfall aus den Abwasserkanälen. Dieser wird dann am Straßenrand deponiert, da dem<br />

YES ke<strong>in</strong>e Gerätschaften zum Weitertransport <strong>in</strong> die Mülldeponien zur Verfügung stehen. Die<br />

Fahrzeuge mit Müllpressen des FWMS s<strong>in</strong>d nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage diesen Abfall aufzunehmen, so dass<br />

dieser nicht entsorgt wird. E<strong>in</strong>erseits droht so e<strong>in</strong>e erneute Verschlechterung <strong>der</strong> Müllsituation,<br />

an<strong>der</strong>seits wird die Legitimität des FWMS als auch Kl<strong>in</strong> Salones untergraben, die ja <strong>in</strong> <strong>der</strong> öffent-<br />

lichen Wahrnehmung als zuständig für die Säuberung <strong>der</strong> Stadt erachtet werden (IntEx 1, PK 8).<br />

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Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Dies ist e<strong>in</strong> weiteres Beispiel auf welche Art und Weise konfligierende Institutionen <strong>der</strong> EZ die<br />

Transaktionskosten Kl<strong>in</strong> Salones und <strong>der</strong> beteiligten MSEs erhöhen können. Durch die Praxis <strong>der</strong><br />

F<strong>in</strong>anzierung öffentlicher Public Works-Programme als Ansatz <strong>der</strong> Geber wird Kl<strong>in</strong> Salone ge-<br />

zwungen beim zuständigen M<strong>in</strong>isterium zu opponieren. Die Öffentlichkeit muss, soll es zu kei-<br />

nem Legitimitätsverlust kommen, <strong>in</strong>formiert werden, dass die Produkte <strong>der</strong> Entsorgung des YES<br />

nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verantwortlichkeit Kl<strong>in</strong> Salones liegen. Es entstehen durch nötige Verhandlungen<br />

und Maßnahmen <strong>der</strong> Öffentlichkeitsarbeit Transaktionskosten, die zurückverfolgt werden kön-<br />

nen auf das <strong>von</strong> fehlen<strong>der</strong> Koord<strong>in</strong>ation geprägte Regelwerk <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit<br />

(<strong>in</strong>stitutionelle Opulenz).<br />

2.5 Konsolidierung des Freetown Waste Management Systems<br />

Der <strong>von</strong> <strong>der</strong> GTZ zusammen mit dem FCC <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Task-Force erarbeite Ansatz erhielt im Ok-<br />

tober 2006 die Zustimmung <strong>von</strong> Weltbank und den sierra-leonischen Autoritäten und war Aus-<br />

gangspunkt <strong>der</strong> Verhandlungen über die Rehabilitierung des FWMS (GTZ 2007b: 1). Da sich<br />

aber die Müllprobleme, auch im Zuge <strong>der</strong> Verzögerung durch die gegensätzlichen Vorstellungen<br />

<strong>der</strong> beteiligten Akteure, verschlimmerten und die Müllentsorgung vollständig zusammengebro-<br />

chen war, entschied sich die Regierung Sierra Leones, nicht auf den Abschluss <strong>der</strong> Verhandlungen<br />

und die Freigabe <strong>der</strong> Gel<strong>der</strong> seitens <strong>der</strong> Weltbank zu warten, son<strong>der</strong>n auf eigene Rechnung die<br />

Operationen auf Basis des GTZ/FCC-Vorschlags zu starten. Da <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong> anerkannte Grund<br />

des Zusammenbruchs <strong>der</strong> öffentlichen Abfallwirtschaft die Defizite <strong>in</strong> <strong>der</strong> Managementleistung<br />

waren, for<strong>der</strong>te die Regierung den FCC auf, die technische Hilfe <strong>der</strong> GTZ zu akzeptieren. Damit<br />

verbunden wäre die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es geme<strong>in</strong>sam <strong>von</strong> <strong>der</strong> GTZ und dem FCC verwalteten Kon-<br />

tos gewesen, so dass <strong>der</strong> FCC die Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> deutschen EZ ablehnte. E<strong>in</strong> Interview-<br />

partner wies darauf h<strong>in</strong>, dass die Probleme des FCC im Bereich <strong>der</strong> Abfallwirtschaft nicht nur<br />

technischer Natur waren, denn Freetown hatte als e<strong>in</strong>zige <strong>von</strong> vielen Kommunen Probleme mit<br />

<strong>der</strong> im Zuge <strong>der</strong> Dezentralisierung übergebenen Zuständigkeit 43 (IntEx 1). Aus diesem Grund<br />

entzog die Regierung <strong>von</strong> Sierra Leone entsprechend Artikel 97 des Decentralization Law dem<br />

43 Dadurch setzt sich <strong>der</strong> FCC dem Verdacht aus, dass e<strong>in</strong>e Kontrolle durch die GTZ nicht erwünscht war. Die Gründe<br />

liegen auf <strong>der</strong> Hand, s<strong>in</strong>d aber, da diesbezüglich ke<strong>in</strong>e weiteren Informationen vorliegen, spekulativer Natur und<br />

sollen daher hier nicht weiter ausgeführt werden.<br />

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Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

FCC die Zuständigkeit im Bereich Abfallwirtschaft und übertrug sie dem M<strong>in</strong>istry of Local Go-<br />

vernment and Community Development, so dass die Operationen am 25. Dezember 2006 begon-<br />

nen werden konnten (GTZ 2007b: 1f., GTZ 2007e: 2, IntEx 1). Der Major <strong>von</strong> Freetown hatte<br />

darauf natürlich e<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e Sicht:<br />

“[R]e-tak<strong>in</strong>g over the Solid Waste functions of the municipality from the City Council […] was<br />

all a calculated bundle of lies, calumny and subterfuge typical of their adm<strong>in</strong>istration. […] With<br />

the re-<strong>in</strong>troduction of Local Councils, the M<strong>in</strong>istry of Local Government and Community Development<br />

honestly lacks cont<strong>in</strong>ued relevance and will cont<strong>in</strong>ue to constitute a political masquerad<strong>in</strong>g<br />

mischief. How can a hand-picked, pro-government m<strong>in</strong>ister effectively and impartially supervise<br />

duly elected Local Government Institutions with ‘executive and legislative authority’? […]<br />

GTZ were go<strong>in</strong>g it alone – no doubt with <strong>in</strong>structions from the GoSL who <strong>in</strong> late November released<br />

$20k direct to them as ‘start –up funds’ to beg<strong>in</strong> the ‘Kl<strong>in</strong> Salone’ project. The GTZ is a<br />

will<strong>in</strong>g and compliant tool […] In summary, I see the whole GTZ <strong>in</strong>fluence as a deliberate GoSL<br />

policy to rob us APC-led FCC of our right to perform purely for political reasons” (Johnson<br />

2007: o. S.).<br />

Diese Aussage unterstreicht, dass <strong>der</strong> politisch-<strong>in</strong>stitutionelle Rahmen, <strong>der</strong> ja das formelle Hand-<br />

lungsumfeld <strong>der</strong> MSEs darstellt, <strong>von</strong> partei- und machtpolitischen Prozessen und Handlungsmo-<br />

tivationen bestimmt ist. Auch unterschiedliche Geberansätze können zu e<strong>in</strong>er Erhöhung <strong>der</strong> Un-<br />

sicherheit beitragen o<strong>der</strong> diese zum<strong>in</strong>dest aufrechterhalten. Gerade für „service-based” MSEs <strong>in</strong><br />

Freetown gilt, was SCHEINBERG (2001: 25) im Allgeme<strong>in</strong>en feststellt:<br />

„Because they depend on contracts with the municipal authorities, services-based MSEs are vulnerable<br />

to political, adm<strong>in</strong>istrative and legal changes. These organisations have relatively little<br />

ability to mobilise political power and to <strong>in</strong>sert themselves <strong>in</strong>to the formal plann<strong>in</strong>g process, so<br />

they are exceptionally vulnerable to political changes and/or to donor-funded <strong>in</strong>itiative.”<br />

Schlussendlich wurde aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sogenannten emergency phase vom 25.12.2006 bis zum<br />

03.01.2007 das Hauptquartier des FWMS rehabilitiert, aber weit wichtiger noch, die Stadt <strong>von</strong><br />

3 000 Tonnen Müll befreit und auf dieser Grundlage e<strong>in</strong>e Abfallbeseitigungssystem etabliert (In-<br />

tEx 1), das bereits schon <strong>in</strong> wesentlichen Teilen dargestellt wurde (vgl. Kapitel V.1.2, S. 67 und<br />

Abbildung 9, S. 69). Bereits „[t]hree days after the 25th of december, most of the big heaves where<br />

cleared” (IntEx 1). Im Rahmen dieser Strukturen wurden <strong>in</strong> den darauf folgenden drei Monaten<br />

durchschnittlich je 4 500 Tonnen Abfall beseitigt. Die Kosten <strong>von</strong> monatlich 135 Millionen Leo-<br />

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Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

nes 44 werden <strong>von</strong> <strong>der</strong> Regierung regulär bezahlt. Die GTZ unterstützt das FWMS mit Hilfe <strong>in</strong><br />

technischen und adm<strong>in</strong>istrativen Belangen (GTZ 2007b: 2). Die monatliche Menge, die nun <strong>in</strong><br />

die Mülldeponien transportiert wird, beträgt 4 000 Tonne (IntEx 1), hat sich also nahezu verdop-<br />

pelt. Sie zeigt aber auch mit Bezug auf die gesamte produzierte Müllmenge, dass noch erhebliches<br />

Steigerungspotential vorhanden ist. Die Verbesserung <strong>der</strong> Umweltsituation ist aber bereits offen-<br />

sichtlich. Der Müll ist (weitestgehend) aus dem Straßenbild verschwunden. Die Geruchsbelästi-<br />

gung g<strong>in</strong>g ebenso zurück wie die Population <strong>von</strong> Mücken und die damit verbundenen Krankhei-<br />

ten (exemplarisch IntMSE 4, IntMSE 7, IntMSE 8, IntEx 1, IntKS 10, IntKS 11, IntKS 12).<br />

2.6 Die Bedeutung <strong>der</strong> politisch-<strong>in</strong>stitutionellen Konfiguration<br />

Obwohl die Weltbank den GTZ-Ansatz zur Rehabilitierung <strong>der</strong> Abfallwirtschaft Freetowns ak-<br />

zeptiert hat und dieser auch umgesetzt wurde, ist das öffentliche FWMS nur als Wegbereiter <strong>der</strong><br />

nach Freigabe <strong>der</strong> Weltbankgel<strong>der</strong> geplanten privatisierten FWMC vorgesehen. Bisher hat aber<br />

die Weltbank noch ke<strong>in</strong>e Mittel zur Verfügung gestellt, um diese Umwandlung auch durchzufüh-<br />

ren, da sie noch die im August und September 2007 stattgefunden Wahlen abwarten wollte (In-<br />

tEx 2). Die GTZ setzt im S<strong>in</strong>ne Kl<strong>in</strong> Salones darauf, dass die nachfolgende FMWC die vorhande-<br />

nen Strukturen des FWMS aufrechterhält, da sie sich als funktionsfähig und kosteneffizient her-<br />

ausgestellt haben. Dabei identifiziert die GTZ mit <strong>der</strong> e<strong>in</strong>geschränkten Autonomie gegenüber<br />

politischen Akteuren jedoch e<strong>in</strong> zentrales Problem <strong>der</strong> FWMC (GTZ 2006b: 11). Der Weltbank-<br />

Ansatz sieht nämlich vor, dass e<strong>in</strong> Board of Directors etabliert wird (PRICEWATERHOUSECOO-<br />

PERS/DHV 2006: 3), welches aus sechs <strong>von</strong> <strong>der</strong> Regierung und drei vom FCC entsandten Mit-<br />

glie<strong>der</strong>n besteht. Es soll die Verantwortlichkeit im technischen und adm<strong>in</strong>istrativen Bereich des<br />

vormaligen FWMS übernehmen (GTZ 2007e: 3f.). Hier gehen die Privatisierungsvorstellungen<br />

<strong>von</strong> Weltbank und GTZ ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> (IntEx 2). Die GTZ befürchtet, dass mit dem Board of Di-<br />

rectors e<strong>in</strong> System geschaffen wird, dass anfällig für politischen E<strong>in</strong>fluss ist. Dieses Leitungsgremi-<br />

um sei e<strong>in</strong> verlängerter politischer Arm, da es <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie mit parte<strong>in</strong>ahen Vertretern besetzt<br />

ist. Die Idee <strong>der</strong> Privatisierung als Reaktion auf Korruption und Unsicherheit durch politischen<br />

Wandel würden ad absurdum geführt:<br />

44 Diese entsprachen zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebungen <strong>in</strong> etwa 33 750 Euro.<br />

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Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

„Privatization <strong>in</strong> the right way is the solution, because you can’t work with the government.<br />

They don’t have the people nor the funds to manage it. If you want someth<strong>in</strong>g to work here, you<br />

better work without the government. […] A private company is the only th<strong>in</strong>g that will work.<br />

The government will not do it, because of corruption and <strong>in</strong>competence. They are not bus<strong>in</strong>essmen.<br />

There is fraud and <strong>in</strong>competence also. […] The board of directors talks on themselves, on<br />

their salary etc.” (IntEx 2).<br />

Noch also ist das System <strong>der</strong> Abfallbeseitigung <strong>in</strong> Freetown nicht konsolidiert und es besteht die<br />

Gefahr, dass die dem FWMS nachfolgende FWMC mit dem Board of Directors wie<strong>der</strong> unter poli-<br />

tischen E<strong>in</strong>fluss gerät. Die Folgen wären, vor dem H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>er Persistenz <strong>von</strong> <strong>in</strong>formellen<br />

Praktiken (Klientelismus, Korruption), die Gefahr e<strong>in</strong>er Destabilisierung und e<strong>in</strong>er mangelnden<br />

Funktionsfähigkeit <strong>der</strong> öffentlichen Müllentsorgung, wie sie aus nahezu identischen Gründen für<br />

e<strong>in</strong>en Großteil <strong>der</strong> postkolonialen Phase zu beobachten war. Da die MSEs unter Kl<strong>in</strong> Salone aber<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> Funktionsfähigkeit <strong>der</strong> öffentlichen Hand abhängig s<strong>in</strong>d, bildet die FWMC die Grund-<br />

voraussetzung des Wirtschaftens Kl<strong>in</strong> Salones.<br />

Es ist also die Opulenz <strong>von</strong> Institutionen (Regelwerke <strong>der</strong> EZ, extreme parteipolitische Rivalitä-<br />

ten) <strong>in</strong> prekärer, wenn auch sich allmählich konsolidieren<strong>der</strong> Staatlichkeit, die im Zuge <strong>der</strong> Ver-<br />

folgung <strong>der</strong> Ziele <strong>der</strong> politischen Akteure (Weltbank, GTZ, SLPP, APC) diesen die Möglichkei-<br />

ten eröffnen, <strong>in</strong>stitutionellen Wandel nach ihren Vorstellungen voranzutreiben. Dadurch werden<br />

für die MSEs Unsicherheiten geschaffen, wie die mögliche Auflösung <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone o<strong>der</strong> die<br />

Konkurrenz durch private Unternehmer im Zuge e<strong>in</strong>er möglichen Implementierung des Welt-<br />

bank-Modells. Die Transaktionskosten würden erhöht. Darunter wäre das E<strong>in</strong>holen <strong>von</strong> Infor-<br />

mationen über potentielle neue Mitbewerber für die MSEs genauso zu fassen wie <strong>der</strong> Wegfall <strong>der</strong><br />

Vorteile e<strong>in</strong>er dem Wettbewerb nicht standhaltenden Organisation Kl<strong>in</strong> Salone. Auswirkungen<br />

auf den Erfolg <strong>der</strong> MSEs und somit die Lebenswelten <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> wären nicht zu vermeiden 45 .<br />

45 Als e<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> Arbeit schon geschrieben war, bestätigte die aktuelle Entwicklung Anfang April die These <strong>der</strong><br />

unsicheren politisch-<strong>in</strong>stitutionellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, die ich auf Grundlage <strong>von</strong> Informationen<br />

aus e<strong>in</strong>er E-Mail <strong>der</strong> Projektleiter<strong>in</strong> <strong>der</strong> GTZ vom 17.04.2008 und onl<strong>in</strong>e publizierten Artikeln <strong>der</strong><br />

sierra-leonischen Tageszeitung Concord Times (Auf: http://allafrica.com/stories/200804210587.html,<br />

http://allafrica.com/stories/200804071888.html und http://allafrica.com/stories/200804080675.html. Alle aufgerufen<br />

am 03.06.2008) kurz zusammenfassen möchte: Kl<strong>in</strong> Salone wurde zu diesem Zeitpunkt zum Gegenstand e<strong>in</strong>er<br />

Attacke des Innenm<strong>in</strong>isters sowie <strong>der</strong> neu gegründeten FWMC, die Kl<strong>in</strong> Salone als H<strong>in</strong><strong>der</strong>nis betrachteten, sich <strong>der</strong><br />

Weltbankgel<strong>der</strong> <strong>von</strong> 3 Millionen US-Dollar zu bemächtigen. Kl<strong>in</strong> Salone sollte als Organisation aufgelöst werden,<br />

Gehälter <strong>der</strong> PPP wurden stark verzögert gezahlt und zahlreiche Arbeiter dieser entlassen. Die Door-to-Door-<br />

Gruppen sollten nicht mehr als autonome MSEs arbeiten, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong>en Arbeiter <strong>in</strong> die FWMC überführt werden,<br />

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Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

3. Soziale Netzwerke – konfligierende Institutionen?<br />

Die 39 unter Kl<strong>in</strong> Salone organisierten MSEs stammen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel aus größeren Jugendorganisa-<br />

tionen Freetowns, die nach e<strong>in</strong>er erfolgreichen Bewerbung sechs Mitglie<strong>der</strong> aus ihren Reihen aus-<br />

wählen, die dann als privatwirtschaftliches MSE im Door-to-Door-Bereich Kl<strong>in</strong> Salones tätig<br />

werden. Derartige Jugendorganisationen, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> jüngeren Zeit e<strong>in</strong>e konstituierende Kompo-<br />

nente sierra-leonischer Gesellschaftsorganisation und -reproduktion darstellen, bilden somit den<br />

„Unterbau“ Kl<strong>in</strong> Salones, nicht ohne dabei E<strong>in</strong>fluss auf die Organisation zu nehmen.<br />

3.1 Genese sozialer Netzwerke (Jugendlicher) unter prekärer Staatlichkeit <strong>in</strong> Sierra Leone<br />

Soziale Netzwerke als <strong>in</strong>formelle Institutionen gew<strong>in</strong>nen mit zunehmen<strong>der</strong> Prekarisierung des<br />

Staates und den damit e<strong>in</strong>hergehenden öffentlichen Leistungsdefiziten an Bedeutung (vgl. Kapitel<br />

III.1.4, S. 36). In Freetown existiert e<strong>in</strong>e Vielzahl <strong>der</strong>artiger Organisationen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Jugend-<br />

licher. Sie bilden e<strong>in</strong>e wesentliche Komponente <strong>der</strong> Gesellschaftsorganisation und -reproduktion.<br />

Die Zivilgesellschaft 46 , zu <strong>der</strong> auch die als soziale Netzwerke zu verstehenden Jugendorganisatio-<br />

nen gezählt werden (ERDMANN 2004: 346f.), war <strong>in</strong> <strong>der</strong> jüngeren Geschichte Sierra Leones sehr<br />

schwach ausgeprägt. Von 1990 an jedoch entwickelte sich <strong>in</strong> Folge des Staatsstreichs <strong>von</strong> 1992<br />

und <strong>der</strong> Übernahme <strong>der</strong> Regierungsgewalt durch den NPRC e<strong>in</strong>e dynamische, wenn auch erst <strong>in</strong><br />

den Anfängen begriffene Bewegung, die zuvor durch die E<strong>in</strong>parteienherrschaft Stevens unter-<br />

drückt wurde (CIVICUS o. J.: 21, HIRSCH 2001: 40, KULESSA/HEINRICH o. J.: 3). Die Bedeutung<br />

<strong>von</strong> sozialen Netzwerken Jugendlicher <strong>in</strong> Sierra Leone wurde nach Ende des Krieges noch e<strong>in</strong>mal<br />

dadurch verstärkt, dass perspektivlose Jugendliche entscheiden<strong>der</strong> Katalysator <strong>der</strong> Kampfhand-<br />

lungen waren und sich die Entwicklungszusammenarbeit deshalb <strong>in</strong> ihren Rehabilitierungsbemü-<br />

hungen zu e<strong>in</strong>em nicht unwesentlichen Teil auf diese konzentriert. Jugendorganisationen erfüllen<br />

daher oftmals die Funktion als Mediatoren und Träger dieser Maßnahmen. In ihrer Gesamtheit<br />

was durchaus dem erwähnten Weltbankansatz entsprach. Die Müllsituation verschlechterte sich <strong>in</strong>nerhalb kurzer Zeit.<br />

Dabei zeigte sich aber <strong>der</strong> Organisationscharakter Kl<strong>in</strong> Salones, die es, sicherlich auch unterstützt durch politische<br />

Lobbyarbeit <strong>der</strong> GTZ schaffte, die Öffentlichkeit zu mobilisieren und Druck auf politische Entscheidungsträger auszuüben<br />

(agency!). Letzten Endes delegierte <strong>der</strong> Präsident die Zuständigkeiten an den FCC, <strong>der</strong> nun e<strong>in</strong>en neuen Vertrag<br />

mit Kl<strong>in</strong> Salone abschließen soll.<br />

46 Verstanden als “The space outside the household, government and the market where people organise or associate to advocate<br />

with and on behalf of the people, geared towards the <strong>in</strong>terest of the community” (CIVICUS o.J.: 22).<br />

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Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

teilen sie zwar das weit gefasst propagierte Ziel <strong>der</strong> „Entwicklung“, s<strong>in</strong>d aber darunter <strong>in</strong> ihren<br />

Tätigkeitsbereichen sehr heterogen ausgeprägt: Der Kampf für e<strong>in</strong> Mehrparteiensystem steht<br />

ebenso auf <strong>der</strong> Agenda wie die Bestreitung des Lebensunterhaltes durch landwirtschaftliche Tä-<br />

tigkeiten. E<strong>in</strong> deutlicher Schwerpunkt <strong>der</strong> Jugendorganisationen <strong>in</strong> Freetown liegt auf <strong>der</strong> Schaf-<br />

fung <strong>von</strong> Beschäftigungsmöglichkeiten für Jugendliche (IntEx 3).<br />

Soziale Netzwerke s<strong>in</strong>d wesentlicher Bestandteil <strong>der</strong> sozialen, gesellschaftlichen und politischen<br />

Reproduktion und bilden <strong>in</strong> vielen Fällen die letzte Instanz <strong>der</strong> Überlebenssicherung:<br />

„Each organisation consists of poor youths, because they th<strong>in</strong>k, they can benefit from that. If you<br />

are from a poor background, the only way to f<strong>in</strong>d yourself somewhere is the formation of a youth<br />

group” (IntKS 7).<br />

Da <strong>der</strong> Interviewte als Monitor zwar Angestellter Kl<strong>in</strong> Salones nicht aber Mitglied e<strong>in</strong>er Jugend-<br />

organisation ist, muss er feststellen:<br />

„Once I will be not any more with this job, I can just go home and sit down. […] If at any time,<br />

they decide to drop me, I have no place to go” (IntKS 7).<br />

Weil darüber h<strong>in</strong>aus Organisationen <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit im Zuge partizipativer<br />

Ansätze durchaus immer häufiger zivilgesellschaftliche Gruppierungen als Adressaten bzw. Medi-<br />

atoren ihrer Anstrengungen konsultieren (MULLER/HOFFMANN 2001: 15), werden diese an <strong>der</strong><br />

Schnittstelle zwischen <strong>in</strong>formeller Selbstorganisation und formeller Politik (HAR-<br />

DERS/SCHAUBER 1999: 170) zum „E<strong>in</strong>kaufswagen“ beim „Institutional-Shopp<strong>in</strong>g“. So ist es nur<br />

schwer möglich Mitglied <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone zu werden, wenn man ke<strong>in</strong>er Jugendorganisation ange-<br />

hört. E<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> Jugendorganisationen wurden nur wegen <strong>der</strong> GTZ gegründet bzw. mit dem Ziel<br />

Zugang zu Unterstützung zu erhalten (IntMSE 5, IntKS 13, PK 8).<br />

3.2 Zugang zur Organisation Kl<strong>in</strong> Salone: Hürde für marg<strong>in</strong>alisierte Jugendliche?<br />

Um als Individuum <strong>von</strong> den Vorteilen Kl<strong>in</strong> Salones profitieren zu können, müssen drei Hürden<br />

genommen werden, die sich e<strong>in</strong>er Teilnahme an <strong>der</strong> Organisation <strong>in</strong> den Weg stellen. Zunächst ist<br />

die Aufnahme als Mitglied <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Jugendorganisation unabd<strong>in</strong>gbar. Diese wie<strong>der</strong>um ist dann<br />

e<strong>in</strong>em Bewerbungsprozess ausgesetzt, an dessen erfolgreichen Ende e<strong>in</strong>e Assoziierung mit Kl<strong>in</strong><br />

Salone steht. Und schließlich ist es erfor<strong>der</strong>lich, <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Organisation für das jeweilige MSE<br />

ausgewählt zu werden.<br />

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Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

„It is easy to become a member of a youth organisation” (IntKS 13), <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel im eigenen Woh-<br />

numfeld. Zwar wird die Erbr<strong>in</strong>gung gewisser Leistungen vorausgesetzt, jedoch kann diese auch auf<br />

nichtmonetäre Art und Weise erfolgen. Trotzdem werden gerade marg<strong>in</strong>alisierte Gruppen ausge-<br />

schlossen, <strong>von</strong> denen ke<strong>in</strong> o<strong>der</strong> kaum Gew<strong>in</strong>n erwartet wird. E<strong>in</strong>ige Jugendorganisationen haben<br />

so e<strong>in</strong>e Obergrenze bezüglich <strong>der</strong> Mitgliedszahl. Aber auch für Individuen mit e<strong>in</strong>em höheren<br />

Bildungsstand können Probleme auftreten:<br />

„It is hard to become a member of a group. You must start at grassroot level aga<strong>in</strong>. They only<br />

need manual workers. Education not really counts <strong>in</strong> terms of becom<strong>in</strong>g member of any group”<br />

(IntKS 7).<br />

Jedoch spielen an<strong>der</strong>e Hürden beim Zugang zu Kl<strong>in</strong> Salone e<strong>in</strong>e größere Rolle. Sollte e<strong>in</strong>e Organi-<br />

sation sich dazu entschließen im Rahmen <strong>der</strong> Initiative tätig werden zu wollen, muss zunächst<br />

e<strong>in</strong>e Registrierung beim M<strong>in</strong>istry of Youth and Sports vorgenommen werden, was sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />

unproblematisch darstellt. Anschließend erfolgt das Aufnahmeverfahren durch Kl<strong>in</strong> Salone. Ne-<br />

ben <strong>der</strong> Registrierung muss die Organisation strukturiert se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e Verfassung, e<strong>in</strong> Büro und Platz<br />

zur Lagerung des Arbeitsmaterials haben (IntKS 2). Des Weiteren hatten die Gruppen potentielle<br />

Kunden mit e<strong>in</strong>em Gegenwert <strong>von</strong> 500 000 Le an zu erwartenden Abonnementgebühren nach-<br />

zuweisen und das Management überprüfte, ob die Organisation bereits zuvor im Bereich <strong>der</strong> Ab-<br />

fallwirtschaft tätig war (IntKS 15, IntKS 17, PK 8). Von etwa 120 Gruppen wurden 42 [39] aus-<br />

gewählt (IntKS 2, IntKS 11, IntKS 17), wobei sich die Kriterien verschärft haben und nur die e<strong>in</strong>e<br />

Chance erhalten, welche die Ziele erreichen und den Kriterien am ehesten entsprechen (GTZ<br />

2007b: 1, IntEx 2, IntMSE 7, IntKS 2, IntKS 12, IntKS 17). E<strong>in</strong>e nicht unwesentliche Zahl <strong>von</strong><br />

„schlechteren“ Jugendgruppen wird ausgeschlossen, da <strong>der</strong> Ansatz Kl<strong>in</strong> Salones zwar auf Mikro-<br />

ebene angreift, jedoch auch im S<strong>in</strong>ne des Erfolgs <strong>der</strong> Organisation auf das Leistungspr<strong>in</strong>zip setzt.<br />

Auch f<strong>in</strong>det <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> nun erfolgreichen Gruppen e<strong>in</strong> weiteres Auswahlverfahren statt, so<br />

dass wie<strong>der</strong> nur die leistungsfähigeren Mitglie<strong>der</strong> erfolgreich se<strong>in</strong> können, da auch hier nach an-<br />

fänglichen Rekrutierungsschwierigkeiten die Jobs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel sehr beliebt s<strong>in</strong>d (IntEx 2, IntMSE<br />

4, IntMSE 6, IntMSE 12, IntKS 4, IntKS 6). Erneut s<strong>in</strong>d es so nicht die marg<strong>in</strong>alisiertesten Ju-<br />

gendlichen, die <strong>von</strong> diesem Ansatz profitieren. RÖPER stellt für Formalisierungsversuche <strong>in</strong> diesem<br />

Gewerbe fest, dass damit sogar e<strong>in</strong> Verlust <strong>von</strong> Beschäftigungsmöglichkeiten e<strong>in</strong>hergehen kann,<br />

wobei vor allem schwächere Gruppen ausgeschlossen werden (1995: 362). Dies kann für Free-<br />

town we<strong>der</strong> quantitativ verifiziert noch falsifiziert werden, böte aber e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante Fragestel-<br />

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Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

lung zur weiteren Forschung im Rahmen e<strong>in</strong>er Wirkungsanalyse <strong>von</strong> Projekten <strong>der</strong> EZ und e<strong>in</strong>er<br />

möglichen Diskrepanz zwischen <strong>in</strong>tendierter und tatsächlicher Zielgruppe. Fest sche<strong>in</strong>t aber zu<br />

stehen, dass, vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> schlechten sozioökonomischen Situation <strong>in</strong> Sierra Leone,<br />

die Mitgliedschaft <strong>in</strong> Kl<strong>in</strong> Salone selbst für besser gestellte Jugendliche e<strong>in</strong>en reizvollen Gew<strong>in</strong>n<br />

darstellt und diese <strong>in</strong> Konkurrenz zu ihren noch deprivierteren Altersgenossen treten. Auch e<strong>in</strong><br />

auf <strong>der</strong> Mikroebene ansetzendes Instrument <strong>der</strong> EZ, wie es Kl<strong>in</strong> Salone darstellt, kann dieses<br />

Problem nicht beseitigen.<br />

3.3 Ziele und Funktionsweise <strong>der</strong> (Jugend-) Organisationen <strong>in</strong> Freetown<br />

„Most of the organisations have different objectives, but the ma<strong>in</strong> aim is almost always development.<br />

[…] Most young people are less privileged. It is hard to get access to opportunities <strong>in</strong> life.<br />

They group themselves for stronger force. When you are <strong>in</strong> a group you are a matter <strong>in</strong> society.<br />

[…] Young People are vulnerable. They form groups to address their vulnerabilities. They are<br />

somehow aware of their rights. They come together to seek a specific <strong>in</strong>terest” (IntEx 3).<br />

Soziale Netzwerke und ihr Regelwerk bilden so „die ‚<strong>in</strong>formellen Institutionen’ <strong>der</strong> Armen und<br />

verletzbaren Gruppen“ (HARDERS/SCHAUBER 1999: 166). Zentrales Ziel <strong>der</strong> sozialen Netzwerke<br />

ist <strong>in</strong> die Verbesserung <strong>der</strong> Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> bzw. <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wohner <strong>der</strong> betreffen-<br />

den Community (HARDERS/SCHAUBER 1999: 168ff., MULLER/HOFFMANN 2001: 15). Dabei<br />

führen die Organisationen unterschiedlichste Aktivitäten durch, <strong>von</strong> denen Säuberungsaktionen<br />

oftmals nur e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Bestandteil bilden. An<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um haben sich ausschließlich zu die-<br />

sem Zweck gegründet. Die Gruppen f<strong>in</strong>anzieren sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel aus den Beiträgen <strong>der</strong> Mitglie-<br />

<strong>der</strong> sowie durch E<strong>in</strong>nahmen aus <strong>von</strong> <strong>der</strong> Organisation durchgeführten Aktivitäten (IntMSE 3,<br />

IntMSE 6). Der meist monatlich gezahlte Mitgliedsbeitrag beträgt meist zwischen 500 und 4 000<br />

Leones (IntMSE 6, IntMSE 7, IntMSE 19). Die Zusammenschlüsse bestehen aus 15 bis h<strong>in</strong> zu 80<br />

Mitglie<strong>der</strong>n (IntMSE 1, IntMSE 4, IntMSE 6, IntMSE 12), die sich regelmäßig treffen, um die<br />

ihre Gruppe betreffende Sachverhalte, Probleme und Aktivitäten zu diskutieren (IntMSE 9,<br />

IntKS 8, PK 6). Dabei haben die e<strong>in</strong>zelnen Organisationen e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel ausdifferenzierte<br />

Struktur mit Vorsitzenden, Schriftführer, Schatzmeister etc. und entsprechendem schriftlichen<br />

Regelwerk. Die hochgradig formalisierten Abläufe <strong>der</strong>artiger Netzwerke lassen die Bezeichnung<br />

„formalisierte Informalität“ angemessener ersche<strong>in</strong>en (Har<strong>der</strong>s/Schauber 1999: 173, IntMSE 1,<br />

PK 6, vgl. Abbildung 14, S. 94). Die Generierung <strong>von</strong> E<strong>in</strong>kommen erfolgt darüber h<strong>in</strong>aus über die<br />

Durchführung <strong>von</strong> sozialen Events, etwa durch die Veranstaltung <strong>von</strong> Fußballspielen, Karneval<br />

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Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

und Shows <strong>in</strong> <strong>der</strong> Community. Dabei werden über den Verkauf <strong>von</strong> E<strong>in</strong>trittskarten, Snacks und<br />

Getränken E<strong>in</strong>nahmen erzielt. Zielsetzung ist, weitere Freunde zu gew<strong>in</strong>nen und Bewusstse<strong>in</strong> für<br />

die Organisation zu schaffen, so dass diese weiter wachsen kann bzw. <strong>in</strong> ihren Aktivitäten unter-<br />

stützt wird (IntKS 11, IntKS 13, IntMSE 9, IntMSE 10, IntMSE 12). Der Handlungsraum er-<br />

streckt sich dabei auf das unmittelbare räumliche Umfeld, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel die Community, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

durchaus mehrere Hun<strong>der</strong>te Menschen <strong>von</strong> den Aktivitäten profitieren können (IntMSE 1).<br />

Soziale Netzwerke bilden im S<strong>in</strong>ne des Verwundbarkeitsansatzes die Abfe<strong>der</strong>ungskapazität <strong>in</strong><br />

Krisenfällen (HARDERS/SCHAUBER 1999: 170). Sie s<strong>in</strong>d das Ergebnis <strong>von</strong> Risikohandeln vor dem<br />

H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> Wahrnehmung fehlen<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er (staatlicher) Leistungen (BERNER/PHILLIPS<br />

2004: 502). Sie dienen dazu, f<strong>in</strong>anzielle Mittel zur Behandlung <strong>von</strong> Krankheiten sowie zur Hilfe<br />

<strong>in</strong> Sterbefällen zu akquirieren. Wenn die Aufwendungen mehr Mittel beanspruchen als die Orga-<br />

nisation aufbr<strong>in</strong>gen kann, werden Partner gesucht, etwa e<strong>in</strong>e Krankenschwester aus <strong>der</strong> Nachbar-<br />

schaft (IntMSE 3, IntMSE 6, IntMSE 9, IntMSE 10, IntMSE 12, IntMSE 13, IntMSE 15, IntKS<br />

4, IntKS 11). Konzeptionell ausgedrückt: Das Individuum kann über die Teilnahme an „dichten“<br />

Sozialbeziehungen („bond<strong>in</strong>g social capital“, hier die Jugendorganisation) „l<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g social capital“<br />

(Sozialkapital <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> des <strong>Zusammenschluss</strong>es) aktivieren (SCHÜTTE 2003: 227).<br />

Dies gilt auch <strong>in</strong> Fällen, wenn Jugendliche <strong>in</strong> wirtschaftliche Tätigkeiten bzw. Ausbildungsver-<br />

hältnisse vermittelt werden. Darüber h<strong>in</strong>aus stellen die Organisationen f<strong>in</strong>anzielle Hilfen bei <strong>der</strong><br />

Bezahlung <strong>von</strong> Schulgebühren o<strong>der</strong> Unterrichtsmaterialien bereit (IntEx 3, IntMSE 1, IntKS 13,<br />

IntKS 17, IntMSE 12, IntMSE 14). F<strong>in</strong>anzen <strong>der</strong> Organisationen fließen auch <strong>in</strong> die (Aufrecht-<br />

erhaltung <strong>der</strong>) Infrastruktur <strong>der</strong> Community wie Brunnen, Wasserhähne/-leitungen etc. (IntMSE<br />

1, IntMSE 9). „Bond<strong>in</strong>g social capital“ ermöglicht so auch die Mobilisierung und Sicherung (ge-<br />

me<strong>in</strong>samer) materieller Ressourcen („common pool ressources“).<br />

93


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Abbildung 14: Formalisierte Informalität - Verschriftlichung <strong>von</strong> Regelwerken <strong>von</strong> Jugendorganisationen.<br />

L<strong>in</strong>ks: Die „Gesetze“ und Strafen, die am Treffpunkt <strong>der</strong> Organisation gelten. Rechts oben:<br />

Alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Organisation s<strong>in</strong>d mit ihren Kontaktdaten für alle Mitglie<strong>der</strong> ersichtlich im<br />

Versammlungsraum notiert. Rechts unten: Mitgliedsausweis e<strong>in</strong>er Jugendorganisation auf dem gezahlte<br />

Beiträge notiert werden (eigene Fotos).<br />

Soziale Netzwerke leisten auch psychologische Hilfestellungen, schaffen e<strong>in</strong> Zusammen- und Zu-<br />

gehörigkeitsgefühl (IntEx 3):<br />

„I feel I am belong<strong>in</strong>g somewhere. […] When a member of the community loses a relative, we help<br />

with little contributions. […] We are giv<strong>in</strong>g this as a condolence to make this person feel that he is<br />

belong<strong>in</strong>g somewhere. This money is not enough it is just an <strong>in</strong>centive that we feel with him. If<br />

somebody is sick, we spend some time with him for him to feel strong. Maybe we contribute some<br />

money” (IntKS 11).<br />

Dazu dienen auch die oben schon erwähnten geme<strong>in</strong>schaftlichen Events, die nicht nur ausschließ-<br />

lich auf E<strong>in</strong>kommensgenerierung ausgerichtet s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n vielmehr die Identifikation mit <strong>der</strong><br />

Organisation symbolisieren (IntMSE 1). Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d die Netzwerke Forum <strong>der</strong> Kom-<br />

munikation, „als Schnittstelle für und Vermittlungs<strong>in</strong>stanz zwischen diversen Lebensbereichen“<br />

(HARDERS/SCHAUBER 1999: 171). So s<strong>in</strong>d Jugendorganisationen Interessengruppen, die die Poli-<br />

tik bee<strong>in</strong>flussen, etwa im Rahmen <strong>von</strong> politischen Veranstaltungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Community bzw. die als<br />

Vermittlungs<strong>in</strong>stanzen des politischen Systems dienen (IntEx 3, IntMSE 1, IntMSE 12).<br />

94


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

3.4 Normendualismus: Zwischen Sozialkapital und Kl<strong>in</strong> Salone<br />

„Auch <strong>in</strong>formelle Selbsthilfe gelangt an ihre Grenzen, wenn Reziprozitätserwartungen nicht<br />

mehr erfüllt werden können. Netzwerke kompensieren fehlende staatliche Sicherungsstrukturen<br />

nur <strong>in</strong> dem Maße, wie Menschen über die nötigen Ressourcen verfügen, die zur Aufrechterhaltung<br />

<strong>der</strong> Netzwerke unbed<strong>in</strong>gt nötig s<strong>in</strong>d. Die Ärmsten <strong>der</strong> Armen s<strong>in</strong>d deshalb oft auch <strong>von</strong> den<br />

<strong>in</strong>formellen Formen <strong>der</strong> Selbstorganisation und Partizipation ausgeschlossen“ (HAR-<br />

DERS/SCHAUBER 1999: 170).<br />

Die Mitglie<strong>der</strong> als auch die Verantwortlichen <strong>der</strong> Organisation als Repräsentanten des Ganzen<br />

erwarten vom E<strong>in</strong>zelnen e<strong>in</strong>en Beitrag zum geme<strong>in</strong>schaftlichen Leben. Von den Vorteilen <strong>der</strong><br />

„Banana Water Youth Development Organization“ profitiert etwa nur, das ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verfassung<br />

festgelegt, wer zuvor m<strong>in</strong>destens sechs Monate für den <strong>Zusammenschluss</strong> gearbeitet hat (IntMSE<br />

12). Darüber h<strong>in</strong>aus können die Jugendorganisationen für die Door-to-Door-MSEs nur sechs<br />

Personen auswählen, die auf diese Weise e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>kommen erwirtschaften, so dass an<strong>der</strong>e Mitglie-<br />

<strong>der</strong> zunächst leer ausgehen. Daher wurde <strong>von</strong> <strong>der</strong> Organisation e<strong>in</strong> Fonds geschaffen, <strong>in</strong> den die<br />

unter Kl<strong>in</strong> Salone organisierten Arbeiter Teile ihres Gehaltes e<strong>in</strong>zahlen. Dieser Fonds dient <strong>der</strong><br />

Unterstützung <strong>der</strong> für Kl<strong>in</strong> Salone nicht berücksichtigten Mitglie<strong>der</strong>. Dafür gibt es ke<strong>in</strong>e explizite<br />

Vorschrift, aber die Geber erachten es als notwendig, und auch die an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> bilden im<br />

S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Reziprozität diese auf Solidarität basierende Erwartungshaltung aus. So fließen je nach<br />

Organisation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel zwischen 5 000 und 20 000 Le vom monatlichen Gehalt <strong>der</strong> Arbeiter <strong>in</strong><br />

diesen Topf (IntMSE 9, IntMSE 12, IntKS 4, IntKS 6). Unter Berücksichtigung dieses Sozialver-<br />

trages bzw. Solidaritätsverhaltens ersche<strong>in</strong>t es auch durchaus im Bereich des Möglichen, dass die<br />

e<strong>in</strong>zelnen Mitgliedsgruppen e<strong>in</strong>en größeren Teil <strong>der</strong> E<strong>in</strong>nahmen, die ja eigentlich an Kl<strong>in</strong> Salone<br />

bzw. die GTZ zur Redistribution bzw. F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong> Aktivitäten gezahlt werden, e<strong>in</strong>behalten<br />

und ihrer Organisation zukommen lassen. Und auch die für Kl<strong>in</strong> Salone verantwortliche Pro-<br />

jektmitarbeiter<strong>in</strong> <strong>der</strong> GTZ beklagt:<br />

„Some groups give money for [their] organizations […] but not for the GTZ. Some are pay<strong>in</strong>g the<br />

organisation and br<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g only a small part to GTZ” (IntEx 2, auch PK 1).<br />

Aus Sicht Kl<strong>in</strong> Salones bzw. <strong>der</strong> GTZ s<strong>in</strong>d schlechte Ergebnisse <strong>der</strong> MSEs auf Missmanagement<br />

zurückzuführen (vgl. Kapitel V.4.1, S. 97). Sie können aber auch, wie hier aufgeführt, durch den<br />

Solidarverbund begründet se<strong>in</strong>. Hier ist die Bande <strong>der</strong> Individuen mit ihrer Institution, dem so-<br />

zialen Netzwerk dicker als mit <strong>der</strong> neu <strong>in</strong>stitutionalisierten Organisation Kl<strong>in</strong> Salone, da ersteres<br />

<strong>in</strong> vielen Bereichen bei fehlenden staatlichen Leistungen das zentrale Instrument <strong>der</strong> Überlebens-<br />

95


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

sicherung darstellt (HARDERS/SCHAUBER 1999: 166, KERSTING/SPERBERG 1999: 185). Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus ist das im Rahmen Kl<strong>in</strong> Salones vorgesehene Gehalt <strong>von</strong> 150 000 Le beim Auftreten <strong>von</strong><br />

Krisenereignissen <strong>in</strong> vielen Fällen nur <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gem Maße abfe<strong>der</strong>nd, da zu ger<strong>in</strong>g (vgl. Kapitel<br />

V.6.1, S. 122). Im Falle e<strong>in</strong>er Krankheit etc. ist das Individuum weiterh<strong>in</strong> auf se<strong>in</strong>e Organisation<br />

angewiesen (IntMSE 9).<br />

Problematisch wird dabei, was RAUCH (2004: 188) als Folge dieses Normendualismus aufführt:<br />

Das Individuum ist gefangen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Spannungsfeld zwischen Überlebenssicherung durch e<strong>in</strong>en<br />

geme<strong>in</strong>schaftlichen Solidarverbund auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en und <strong>der</strong> Nutzung verbesserter Marktchancen<br />

auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. Da e<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> MSEs unter den f<strong>in</strong>anziellen Erwartungen bleibt und<br />

nicht genug E<strong>in</strong>kommen erwirtschaftet (vgl. Kapitel V.6.2, S. 124), und die E<strong>in</strong>nahmen im Zwei-<br />

felsfall tendenziell eher an die Jugendorganisationen fließen, erhöht sich die Gefahr, dass Kl<strong>in</strong><br />

Salone als Organisation selbst nicht genügend F<strong>in</strong>anzen akquirieren kann. Die Durchführung <strong>der</strong><br />

eigenen Operationen und das Bestreben <strong>der</strong> Herbeiführung des <strong>in</strong>stitutionellen Wandels werden<br />

e<strong>in</strong>geschränkt. Steigende Transaktionskosten für Kl<strong>in</strong> Salone wie für die partizipierenden MSEs<br />

s<strong>in</strong>d die Folge. E<strong>in</strong>e Auflösung dieses Spannungsverhältnisses liegt nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erwirtschaftung <strong>von</strong><br />

ausreichend E<strong>in</strong>kommen, so dass Unterstützung für die Jugendorganisationen geleistet werden<br />

kann. Denn es ist gerade die E<strong>in</strong>bettung <strong>der</strong> MSEs <strong>in</strong> größere soziale Netzwerke, welche die<br />

Grundlage des Funktionierens dieses Systems bildet, da so <strong>in</strong> <strong>der</strong> entsprechende Community sozi-<br />

ale und familiäre Beziehungen vorhanden s<strong>in</strong>d, die e<strong>in</strong>e Unterstützung <strong>der</strong> MSEs för<strong>der</strong>n (IntKS<br />

13). Darüber h<strong>in</strong>aus werden soziale Netzwerke auch zur Me<strong>in</strong>ungsbildung und für den Informa-<br />

tionsfluss genutzt und s<strong>in</strong>d so entscheiden<strong>der</strong> Wegbereiter e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>formellen Öffentlichkeit<br />

(HARDERS/SCHAUBER 1999: 181). Auf diese Art können sie als Multiplikatoren im S<strong>in</strong>ne <strong>von</strong><br />

Sensibilisierungsmaßnahmen zu Gunsten dieses Konzeptes <strong>der</strong> Abfallbeseitigung genutzt werden.<br />

Durch die notwendige Mitgliedschaft müssen zunächst Mitgliedsbeiträge an die Jugendorganisa-<br />

tion gezahlt werden bzw. zusätzliche Unterstützung geleistet werden. Mit den Worten <strong>der</strong> Theo-<br />

rie gesprochen erhöhen sich die Transaktionskosten <strong>in</strong> Folge <strong>der</strong> nicht zu umgehenden Institution<br />

„Soziale Netzwerke“, die sich <strong>in</strong> Folge prekärer Staatlichkeit <strong>in</strong> Sierra Leone ausprägen. Dass er-<br />

höhte Transaktionskosten damit aber durchaus im Interesse <strong>der</strong> Gesellschaft o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest <strong>der</strong><br />

Geme<strong>in</strong>schaft stehen können, wurde anhand <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> Aktivitäten <strong>der</strong> Jugendorgani-<br />

sationen ersichtlich. Damit e<strong>in</strong>hergehen aber erhöhte Transaktionskosten für die Organisation<br />

Kl<strong>in</strong> Salone. Es ist also erst die spezielle <strong>in</strong>stitutionelle Konfiguration <strong>der</strong> Opulenz (endogene<br />

96


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Krisenreaktion durch soziale Netzwerke auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en und exogene Krisenreaktion durch die EZ<br />

auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite), die e<strong>in</strong> sicherlich nicht e<strong>in</strong>fach zu lösendes Dilemma heraufbeschwört, das<br />

im Idealfall soziale Netzwerke stützt ohne dabei Kl<strong>in</strong> Salone zu schaden. Im Worst-Case-Szenario<br />

aber wird Kl<strong>in</strong> Salone, sicherlich ergänzt durch das E<strong>in</strong>wirken an<strong>der</strong>er Faktoren, soweit geschä-<br />

digt, dass <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge auch die Gew<strong>in</strong>ne und ihre Investition <strong>in</strong> soziale Netzwerke durch Solidar-<br />

zahlungen ausbleiben. Im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Theorie ist <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er höheren Persistenz <strong>der</strong> <strong>in</strong>formellen In-<br />

stitution soziales Netzwerk und e<strong>in</strong>em hohen E<strong>in</strong>fluss auf formelle Institutionen (Kl<strong>in</strong> Salone)<br />

auszugehen, so dass es ratsam sche<strong>in</strong>t, die <strong>in</strong>formelle, durchaus positiv zu bewertende Unterstüt-<br />

zung für die Jugendorganisation <strong>in</strong> Kl<strong>in</strong> Salone zu <strong>in</strong>stitutionalisieren und somit auf formelle Fü-<br />

ße zu stellen. Dadurch wäre auch die Problematik des Ausschlusses <strong>der</strong> marg<strong>in</strong>alisiertesten Indivi-<br />

duen <strong>von</strong> Maßnahmen <strong>der</strong> EZ zum<strong>in</strong>dest abgemil<strong>der</strong>t.<br />

4. Kosten <strong>der</strong> adm<strong>in</strong>istrativen Koord<strong>in</strong>ierung: Informelle Institutionen<br />

Bisher wurde gezeigt, dass die Organisation Kl<strong>in</strong> Salone im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Theorie dazu dient, um<br />

erstens Transaktionskosten <strong>in</strong> vorhandenem <strong>in</strong>stitutionellen Rahmen durch geme<strong>in</strong>schaftliches<br />

Handeln zu reduzieren und zweitens, um den <strong>in</strong>stitutionellen Wandel dieser Rahmenbed<strong>in</strong>gun-<br />

gen zu bee<strong>in</strong>flussen. Darüber h<strong>in</strong>aus wurde die Rolle <strong>der</strong> politischen-<strong>in</strong>stitutionellen Rahmenbe-<br />

d<strong>in</strong>gungen und alternativer Gesellschaftsorganisation dargelegt. Nun wird darzustellen se<strong>in</strong>, dass<br />

auch die Gründung e<strong>in</strong>er Organisation per se mit Kosten verbunden se<strong>in</strong> kann, da auch dort ge-<br />

sellschaftliche Institutionen wirken.<br />

4.1 Misswirtschaft<br />

„As GTZ came <strong>in</strong>, some had their first job. Now with this, they want to make money for their<br />

lifetime” (IntKS 16).<br />

Die MSEs bestehen wie dargestellt aus sechs Personen: vier Arbeitern, e<strong>in</strong>em Sales Agent sowie<br />

<strong>der</strong> Vocal Person. Im Zuge <strong>der</strong> empirischen Erhebungen zeigte sich als zentrales Problem, dass sich<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er nicht unwesentlichen Zahl <strong>von</strong> Fällen e<strong>in</strong> Riss zwischen den Arbeitern auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en und<br />

97


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

den beiden Adm<strong>in</strong>istratoren (Sales Agent, Vocal Person) auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite zog 47 . Letztere s<strong>in</strong>d<br />

dabei häufig sozial höher gestellt als die oftmals unausgebildeten Arbeiter, nicht selten besuchen<br />

sie e<strong>in</strong>e Schule o<strong>der</strong> die Universität (IntMSE 3 IntMSE 6, IntEx 2, IntKS 12). In e<strong>in</strong>igen Fällen<br />

kommt es zwar zu Problemen mit den Arbeitern (IntMSE 4, IntMSE 13, IntKS 11, IntKS 12),<br />

wesentlich häufiger sche<strong>in</strong>en jedoch die Fälle, <strong>in</strong> denen vor allem <strong>der</strong> Sales Agent <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Gruppe nicht gerade zum Vorteil des MSE wirtschaftet und se<strong>in</strong>e Position gegenüber den Arbei-<br />

tern ausspielt: „If one is up, he wants privileges. It is a m<strong>in</strong>istry way of th<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g“ (IntEx 2, auch<br />

IntKS 1), aber auch „The vocal person can act as bossmann and be tempted to act more than he is<br />

allowed“ (IntMSE 6, darüber h<strong>in</strong>aus IntKS 16, PK 6). Die Gruppe arbeitet nicht als Team, die<br />

Zugriffsmacht auf die assets wird alle<strong>in</strong> vom Sales Agent bzw. <strong>von</strong> <strong>der</strong> Vocal Person gehalten:<br />

„Everybody wants to be <strong>in</strong> charge of f<strong>in</strong>ance. In an organisation there has to be a specific person,<br />

who is responsible. Some members of the group feel cheated. It br<strong>in</strong>gs confusion among the members”<br />

(IntKS 12).<br />

In e<strong>in</strong>er nicht unwesentlichen Anzahl <strong>von</strong> Fällen wird ihnen Misswirtschaft und mangelnde<br />

Transparenz zu Ungunsten <strong>der</strong> Arbeiter vorgeworfen (IntMSE 6, IntEx 2, IntKS 3, IntKS 4,<br />

IntKS 8, IntKS 9, IntKS 12, IntKS 14, IntKS 15, IntKS 16, PK 6, PK 7, PK 8). Des Öfteren wirt-<br />

schaftet <strong>der</strong> Sales Agent <strong>in</strong> die eigene Tasche bzw. steht stark unter Verdacht, da er, um nur e<strong>in</strong>en<br />

exemplarischen Fall zu nennen, <strong>in</strong> den acht Monaten seit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Operationen ke<strong>in</strong>e Quittun-<br />

gen für die Bezahlung <strong>der</strong> Kunden ausstellte und se<strong>in</strong> Handeln so nicht nachvollzogen werden<br />

konnte (IntKS 7). Darüber h<strong>in</strong>aus wird versucht, die wahre Nummer <strong>der</strong> Abonnenten und somit<br />

die Gesamte<strong>in</strong>nahme niedriger als tatsächlich darzustellen, um das überschüssige Geld <strong>in</strong> die eige-<br />

ne Tasche wan<strong>der</strong>n zu lassen (IntKS 3). Auch <strong>der</strong> Verkauf <strong>der</strong> bereitgestellten Ausstattung war zu<br />

beobachten (IntKS 8, PK 2, PK 8). In m<strong>in</strong>destens zwei Fällen 48 zog sich die Vocal Person nach<br />

Übergabe des Materials aus Kl<strong>in</strong> Salone zurück (IntKS 4).<br />

47 Das Problem <strong>der</strong> „Zweiklassengesellschaft“ <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>iger Jugendgruppen Kl<strong>in</strong> Salones wurde auch seitens <strong>der</strong><br />

GTZ erkannt. In <strong>der</strong>en Intention hat das E<strong>in</strong>kommen <strong>der</strong> Arbeiter, auch vor dem H<strong>in</strong>tergrund des oftmals besseren<br />

sozioökonomischen Status <strong>der</strong> beiden Adm<strong>in</strong>istratoren, Priorität (IntMSE 3, IntEX 2, IntKS 16, PK 8). E<strong>in</strong>ige Gruppen<br />

mit sehr schlechten Leistungen wurden daher <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit nach dem Forschungsaufenthalt restrukturiert.<br />

48 Gerade im Bereich <strong>von</strong> <strong>in</strong>formellen Institutionen wie Korruption, Klientelismus und Misswirtschaft ist durchaus<br />

da<strong>von</strong> auszugehen, dass die erhobenen Fälle auf Grund <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Schwierigkeit <strong>der</strong> empirischen Erhebung auf<br />

diesem Gebiet möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs darstellen.<br />

98


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

4.2 Korrupte Praktiken<br />

„Corruption is the violation of an obligation by a decision-maker, <strong>in</strong> or<strong>der</strong> to obta<strong>in</strong> an extrapositional<br />

private benefit from the agent who bribes or is be<strong>in</strong>g extorted, <strong>in</strong> exchange for benfits<br />

granted to the briber or the extorted whose value exceed the costs of the bribe or the extorted<br />

amount or service” (Garzón Valdés49 zit. nach LAUTH 1999: 73).<br />

In Anlehnung daran kann zwischen zwei grundlegende Formen <strong>von</strong> Korruption unterschieden<br />

werden, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> divergierenden Richtung <strong>der</strong> Bee<strong>in</strong>flussung begründet s<strong>in</strong>d (LAUTH 1999: 73):<br />

Erstens die E<strong>in</strong>flussnahme <strong>von</strong> gesellschaftlichen Akteuren auf politische Entscheidungen durch<br />

materielle Zuwendung (Bestechung) und zweitens die an Bürger gerichteten For<strong>der</strong>ungen <strong>von</strong><br />

Staatsbediensteten zur Erbr<strong>in</strong>gung ihrer obligatorischen Leistungen (Erpressung). Für diese Un-<br />

tersuchung ist <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die zweite <strong>der</strong> beiden Ausprägungen relevant, jedoch mit <strong>der</strong> Modi-<br />

fikation, dass nicht das Verhältnis zwischen Bürger und Staatsbedienstetem korrumpiert wird,<br />

son<strong>der</strong>n das zwischen e<strong>in</strong>em Mitglied bzw. Mitarbeiter Kl<strong>in</strong> Salones und e<strong>in</strong>em statushöherem<br />

Entscheidungsträger <strong>der</strong> Organisation 50 . Das Verhältnis des Individuums (Bürger bzw. Mitarbei-<br />

ter Kl<strong>in</strong> Salones) und e<strong>in</strong>em Vertreter se<strong>in</strong>er Organisation (Staatsbediensteter/Vertreter des poli-<br />

tischen Systems bzw. Führungskraft Kl<strong>in</strong> Salones), das ja eigentlich im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Indivi-<br />

duen wirken soll und erst dadurch se<strong>in</strong>e Legitimität erhält, wird ad absurdum geführt. Im Folgen-<br />

den sollen nun zwei empirische Evidenzen des Auftretens <strong>der</strong> Institution Korruption <strong>in</strong>nerhalb<br />

des Systems Kl<strong>in</strong> Salones dargelegt werden 51 .<br />

Der Koord<strong>in</strong>ator <strong>der</strong> Nachtschicht verlangte <strong>von</strong> se<strong>in</strong>en Untergebenen Bezahlung (Erpressung)<br />

mit <strong>der</strong> Begründung, er habe diesen ja den Job als Night-Sweeper verschafft und kassierte bis zu<br />

<strong>der</strong> Hälfte <strong>der</strong>en monatlichen Gehaltes <strong>von</strong> 150 000 Le: „If you want to keep your job, you have to<br />

pay“ (IntKS 16). An die Öffentlichkeit kam dieser Fall als e<strong>in</strong> Erpressungsopfer sich bei <strong>der</strong> GTZ<br />

Projektleitung beschwerte. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten nur noch fünf <strong>von</strong> zwölf Gruppen <strong>der</strong><br />

Nachtschicht. E<strong>in</strong> Untersuchungskomitee wurde e<strong>in</strong>berufen und das Problem konnte gelöst wer-<br />

49 Garzón Valdés, Ernesto (1997): The Concept of Corruption. In: Associations 1. 1. S.103-125.<br />

50 Zur Korruption <strong>in</strong> Sierra Leone im Allgeme<strong>in</strong>en vgl. KALLON 2004.<br />

51 Auf Grund <strong>der</strong> Probleme bei <strong>der</strong> empirischen Erhebung gilt zunächst Fußnote 48 . Darüber h<strong>in</strong>aus wird auch e<strong>in</strong><br />

Beispiel aus dem Bereich <strong>der</strong> PPP herangezogen, da dieses anschaulich das me<strong>in</strong>es Erachtens auch im Bereich <strong>der</strong> Doorto-Door-Komponente<br />

vorhandene Problem charakterisiert.<br />

99


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

den (IntEx 2, IntKS 4, IntKS 13). E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Befragter aber schil<strong>der</strong>te für den Door-to-Door-<br />

Bereich folgenden Fall 52 :<br />

„This is a very big secret I would like to tell you now. […] Most of the steer<strong>in</strong>g committee members,<br />

if not all… the only exception to my knowledge is the chairman (…) but the majority of them<br />

are <strong>in</strong> the habit of harass<strong>in</strong>g the workers to give them money at the time of receiv<strong>in</strong>g payments,<br />

salary. For each one s<strong>in</strong>gle time we come here to collect our salary you will see a l<strong>in</strong>e of them beh<strong>in</strong>d<br />

us wait<strong>in</strong>g […] for us to part with our 5 000 Le to give it to them. […] When you expose<br />

these secrets and they know that it is you, who has exposed it, they will fire me. They will eng<strong>in</strong>eer<br />

all sorts of mechanism to ensure that I will be fired. It is go<strong>in</strong>g on and it is affect<strong>in</strong>g us and we<br />

want it to be stopped […] A few months ago […] she [die Projektleiter<strong>in</strong>] passed a resolution that<br />

she has suspected some authorities go<strong>in</strong>g around workers, harass<strong>in</strong>g them […]. She has the op<strong>in</strong>ion<br />

that some higher authorities, precisely the steer<strong>in</strong>g committee are <strong>in</strong> the habit of harass<strong>in</strong>g<br />

workers just to extract money from them. […] Any time you are seen or caught receiv<strong>in</strong>g money<br />

from a worker you’ll be fired. So now they are still do<strong>in</strong>g it, but they call us around the corner. If<br />

you are stand<strong>in</strong>g out there, they don’t allow you to give them money […] As soon as you are <strong>in</strong> a<br />

small qualm they will come around you, even yesterday. I received my salary yesterday. As soon as<br />

I climbed down the stairs [X] was stand<strong>in</strong>g there expect<strong>in</strong>g me to give him 5 000 or more Leones.<br />

[…] He was wait<strong>in</strong>g for us, not only me, to give him amounts rang<strong>in</strong>g from 5 000 upwards. So as<br />

I climbed down the stairs I was so angry. [Zwischenfrage <strong>von</strong> mir: All the monitors?] All the<br />

monitors! Anyone who refuses to do it will have problems. And that problem is be<strong>in</strong>g fired. This<br />

has been go<strong>in</strong>g on despite of the warn<strong>in</strong>g of the doctor [Dr. Nour, die Projektleiter<strong>in</strong>]. She<br />

wanted to ensure this place to be corruption free. […] Now they are do<strong>in</strong>g it secretly, not openly.<br />

[…] As soon as I climbed down the stairs he was right there wait<strong>in</strong>g for the monitors to come one<br />

by one to give him his share. So I deliberately removed this 5 000 Le from my pocket and I knew<br />

that he will not accept it at that po<strong>in</strong>t. […] He told me: ‘Not here, not here. Go <strong>in</strong> that room and<br />

wait for me’. I went <strong>in</strong> the room and he followed me there and there he received the money from<br />

me. And that’s not only <strong>in</strong> my case but all monitors. […] Some of the workers, the monitors, who<br />

have been sacked, that was due to this factor, because two or three monitors were fired before you<br />

came <strong>in</strong>. They refuse one time or another to give him someth<strong>in</strong>g. And [X] is not the only one […]<br />

but [the others] are not so notorious. The time you refuse to pay, they keep <strong>in</strong> m<strong>in</strong>d. If you do it<br />

more than two times, you have serious problems, no matter if you do your job well or not. […] I<br />

need everyth<strong>in</strong>g I worked for. If someone comes to extract money from me, I can not help myself<br />

with the lost money” (IntX1).<br />

E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Mitarbeiter<strong>in</strong>, die <strong>der</strong>artige Fälle untersuchte, me<strong>in</strong>te lakonisch: „You can not get a<br />

100% clean system […] It is still go<strong>in</strong>g on, but at a rate that won’t kill the system“ (IntKS 16). Es<br />

52 Da ich dieses Gespräch erst am Ende <strong>der</strong> Feldforschungen führen konnte, hatte ich nicht mehr die Möglichkeit, auch<br />

vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> Sensibilität <strong>der</strong> Thematik, weitergehende Untersuchungen durchzuführen. Doch attestiere<br />

ich dem Interviewpartner hohe Glaubwürdigkeit. E<strong>in</strong> weiterer Interviewpartner (IntX2) wich aus und es war offensichtlich,<br />

dass diesem die Situation sichtlich unangenehm war, <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Interpretation aus Angst um se<strong>in</strong>en Job, den<br />

er mit <strong>der</strong> Preisgabe <strong>von</strong> Informationen womöglich gefährdet sah.<br />

100


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

kann also da<strong>von</strong> ausgegangen werden, dass weitere Fälle vorhanden s<strong>in</strong>d, nicht nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bezie-<br />

hung zwischen dem Steer<strong>in</strong>g Committee bzw. Management und <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Monitore, son-<br />

<strong>der</strong>n auch auf an<strong>der</strong>en Ebenen. Dadurch werden die E<strong>in</strong>nahmen <strong>der</strong> Angestellten und Arbeiter<br />

gem<strong>in</strong><strong>der</strong>t und stehen diesen nicht <strong>in</strong> ihrer Überlebensökonomie zur Verfügung (IntEx 2). Parti-<br />

kular<strong>in</strong>teressen werden mit Hilfe <strong>von</strong> für die Allgeme<strong>in</strong>heit bestimmten Mitteln befriedigt<br />

(LAUTH 1999: 74). Mit <strong>der</strong> Ausprägung des Organisationsapparates Kl<strong>in</strong> Salone wurde e<strong>in</strong> neuer<br />

Korruptionsraum geschaffen, <strong>in</strong> welchem das Regelwerk Korruption parallel zum transparenten<br />

Geschäftsablauf nach den Bestimmungen Kl<strong>in</strong> Salones die wirtschaftlichen Aktivitäten struktu-<br />

riert. Zur Beteiligung am System Kl<strong>in</strong> Salone müssen zusätzliche Korruptions-, also Transaktions-<br />

kosten zur Ermöglichung und Aufrechterhaltung <strong>der</strong> Geschäftsaktivitäten aufgebracht werden.<br />

Nach dem <strong>in</strong>dividuellen Rationalitätskalkül ist Korruption vielfach effektiver als formelle Mög-<br />

lichkeiten <strong>der</strong> politischen und sozialen Interaktion. Damit verbundene Rollenerwartungen wer-<br />

den Teil <strong>der</strong> (politischen) Kultur (LAUTH 1999: 74). Die „Kultur <strong>der</strong> Korruption“ war e<strong>in</strong> we-<br />

sentlicher Faktor bei <strong>der</strong> Prekarisierung des Staates Sierra Leone (KALLON 2004: 34). Im S<strong>in</strong>ne<br />

<strong>der</strong> hohen Persistenz <strong>in</strong>formeller Institutionen kann da<strong>von</strong> ausgegangen werden, dass diese <strong>in</strong>sti-<br />

tutionelle Konfiguration, bestehend aus <strong>der</strong> neu<strong>in</strong>stitutionalisierter Organisation Kl<strong>in</strong> Salone und<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong>formellen Institution Korruption, e<strong>in</strong> Merkmal <strong>der</strong> nach wie vor prekarisierter Staatlichkeit<br />

Sierra Leones darstellt und nicht kurzfristig geän<strong>der</strong>t werden kann.<br />

4.3 Sozialkapital und Klientelismus – e<strong>in</strong> schmaler Grat<br />

„[Klientelismus ist die Bezeichnung] für Formen e<strong>in</strong>er zum bei<strong>der</strong>seitigen Nutzen dienenden<br />

Schutzgenossenschaft o<strong>der</strong> Schutzverwandtschaft zwischen e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> <strong>der</strong> gesellschaftlichen Rangordnung<br />

höhergestellten Person und höhergestellten Personen (Patron) und e<strong>in</strong>er auf Schutz<br />

und Vorteilserwerb bedachten Gefolgschaft (Klientel)“ (Schmidt53 zit. nach LAUTH 1999: 66).<br />

Als <strong>der</strong>artige <strong>in</strong>formelle Institutionen können auch Prozesse im System Kl<strong>in</strong> Salone <strong>in</strong>terpretiert<br />

werden. Es wurde auf die em<strong>in</strong>ent wichtige Bedeutung <strong>von</strong> Sozialkapital und sozialen Netzwerken<br />

<strong>in</strong> den <strong>in</strong>dividuellen Überlebensökonomien h<strong>in</strong>gewiesen, so dass auch klientelistische Beziehun-<br />

gen „für Betroffene e<strong>in</strong>e angemessene und rationale Reaktionsform auf existierende Unsicherheiten<br />

53 Schmidt, Manfred G. (1995): Wörterbuch zur Politik. Stuttgart. S. 476.<br />

101


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

darstellen […], [die] jedoch partikular und nicht auf die Allgeme<strong>in</strong>heit bezogen gestaltet ist“ (LAUTH<br />

1999: 67). Bei e<strong>in</strong>er nicht problem-, son<strong>der</strong>n klienten- und damit nicht auf die Allgeme<strong>in</strong>heit<br />

bezogenen Handlungsweise des Systems Kl<strong>in</strong> Salone (bzw. dessen Repräsentanten) s<strong>in</strong>kt die Legi-<br />

timität <strong>der</strong> Organisation, natürlich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie bei den <strong>von</strong> <strong>der</strong> gegenseitigen Vorteilsnahme<br />

Ausgeschlossenen. Darüber h<strong>in</strong>aus entstehen für letztere natürlich auch handfeste Nachteile,<br />

wenn es beispielsweise um die Verteilung <strong>von</strong> nur <strong>in</strong> begrenztem Umfang vorhandenem Material<br />

geht. Die Ausprägung klientelistischer (o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest paternalistischer) Strukturen <strong>in</strong>nerhalb<br />

des Organisationsapparates Kl<strong>in</strong> Salones ist dabei systemisch bed<strong>in</strong>gt, denn nahezu alle Mitglie<strong>der</strong><br />

des Steer<strong>in</strong>g Committee und auch die Monitore <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone entstammen aus denselben Ju-<br />

gendorganisation wie die MSEs. Führungspersonen haben so <strong>in</strong> <strong>der</strong> täglichen Arbeit mit ihren<br />

Mutterorganisationen, respektive den zugehörigen MSEs, zu tun. So bekommen e<strong>in</strong>ige Gruppe<br />

Informationen früher, an<strong>der</strong>e erhalten mehr Hilfe bei <strong>der</strong> Lösung ihrer Probleme, da e<strong>in</strong> Mitglied<br />

ihrer Organisation als Führungskraft spezifische Handlungsoptionen besitzt (IntMSE 7, IntKS 5,<br />

IntKS 8, IntKS 9).<br />

„Some of the members of the steer<strong>in</strong>g committee have special <strong>in</strong>terest <strong>in</strong> the groups they are com<strong>in</strong>g<br />

from. The Steer<strong>in</strong>g Committee favours certa<strong>in</strong> groups, no matter if they are perform<strong>in</strong>g well”<br />

(Int KS 7).<br />

Probleme entstehen dann, wenn „Beziehungen“ dem Leistungsgedanken vorgezogen werden:<br />

„There is the problem of affiliation. We f<strong>in</strong>d out that most workers have not a good quality. Mr<br />

[X] was part of steer<strong>in</strong>g committee. He employed a member from his organisation as monitor,<br />

just because of the relationship” (IntKS 13).<br />

Das <strong>der</strong>artige Verhältnisse aber auch negative Implikationen für die MSEs haben können, zeigt<br />

e<strong>in</strong>e Gruppe, aus <strong>der</strong>en Mutterorganisation ebenfalls e<strong>in</strong> Mitglied des Steer<strong>in</strong>g Committee<br />

stammt:<br />

„The [client X] of the [the Member of the Steer<strong>in</strong>g Committee X] was not able to encourage customers.<br />

It is a problem with him” (IntMSE 15).<br />

Der Klient ist aber nur Arbeiter und nimmt sich auf Grund se<strong>in</strong>er Beziehungen mehr heraus<br />

(IntMSE 15, IntMSE 16). Im Gegenzug profitiert die Gruppe aber auch wie<strong>der</strong> <strong>von</strong> ihren „Bezie-<br />

hungen“:<br />

102


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

„One week ago, a jeep clashed with one of the workers. [X] took him to hospital. (…) The assistance<br />

all comes from [X]. He helps us a lot” (IntMSE 16).<br />

Die Institution Klientelismus reduziert zwar <strong>der</strong> „Vorteilsbeziehung“ Transaktionskosten, die<br />

Allgeme<strong>in</strong>heit jedoch wird <strong>von</strong> den Gew<strong>in</strong>nen ausgeschlossen. Die Zuweisung <strong>von</strong> Mitteln und<br />

Vorteilen <strong>der</strong> Organisation wird nicht mehr nach dem Leistungspr<strong>in</strong>zip bzw. <strong>der</strong> tatsächliche<br />

Bedürftigkeit vorgenommen und geregelt, son<strong>der</strong>n klientelistische Beziehungen drohen als <strong>in</strong>sti-<br />

tutionelle Determ<strong>in</strong>anten e<strong>in</strong>e bedeuten<strong>der</strong>e Rolle e<strong>in</strong>zunehmen. Entsprechend den Ausführun-<br />

gen zur Korruption s<strong>in</strong>d auch klientelistische Strukturen und e<strong>in</strong>e entsprechende politische Kul-<br />

tur Ausdruck e<strong>in</strong>er bis heute fortdauernden Prekarisierung des Staates Sierra Leone.<br />

4.4 Überwachung und Bestrafung: Notwendiger Kostenfaktor für den <strong>in</strong>stitutionellen<br />

Wandel<br />

Die Position des Monitors dient <strong>der</strong> Überwachung des Regelwerks <strong>der</strong> Organisation. Neben sei-<br />

ner Aufgabe <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong> Jugendgruppen <strong>in</strong> Market<strong>in</strong>gaktivitäten und bei <strong>der</strong> Problem-<br />

lösung mit den Kunden, kommt ihm die Aufgabe zu, vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong><br />

diesem Kapitel aufgeführten bestehenden <strong>in</strong>formellen Institutionen, e<strong>in</strong>en transparenten Ge-<br />

schäftsablauf zu gewährleisten.<br />

Zur Kontrolle <strong>der</strong> MSEs s<strong>in</strong>d im Rahmen Kl<strong>in</strong> Salones gegenwärtig 16 Personen zuständig (IntEx<br />

2, IntKS 14). Jede Gruppe wird durchschnittlich dreimal im Monat besucht. Dabei wird auch die<br />

Buchführung abgeglichen, wo detailgenau aufgelistet ist, welches Material den MSEs bereitgestellt<br />

worden ist, wie viele Kunden die Gruppe hat (e<strong>in</strong>schließlich Adresse), welche Größe des Abfall-<br />

behälters und Frequenz die Kunden abonniert haben und wie viel die Jugendgruppen <strong>in</strong>sgesamt<br />

(Gebühren für die Müllentsorgung und Rückerstattung für die Abfallbehälter) über den zuständi-<br />

gen Monitor an den F<strong>in</strong>ance Officer Kl<strong>in</strong> Salones zahlen müssen (IntKS 1, IntKS 3, IntKS 4,<br />

IntKS 12, IntKS 14, IntKS 15). Der formalisierte Ablauf (Buchführung, Quittungen) soll Kor-<br />

ruption, Misswirtschaft und ähnliches verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n: „This is very important. No false allegation will<br />

be made, because I have a proper record” (IntKS 6, auch IntKS 5, IntKS 14, IntKS 16). Des Weite-<br />

ren wird durch den Ablauf (Jugendgruppen sammeln Geld e<strong>in</strong>, zahlen es an Kl<strong>in</strong> Salone, und diese<br />

wie<strong>der</strong>um zahlt jeden e<strong>in</strong>zelnen Arbeiter <strong>der</strong> Gruppe mit se<strong>in</strong>em Gehalt aus) verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t, dass<br />

e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Gruppe die an<strong>der</strong>en benachteiligt (IntMSE 3, IntKS 1):<br />

103


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

„If we would leave the money to some guys of the groups, they will eat it. We have an <strong>in</strong>terest <strong>in</strong><br />

the system go<strong>in</strong>g on […]” (IntKS 2, auch IntKS 6).<br />

Dass auch an dieser Stelle viele <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> nur den Diskurs <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit<br />

nachbeten kann nicht ausgeschlossen werden, so zum<strong>in</strong>dest lässt sich die Aussage „GTZ likes to<br />

have a proper record“ auch <strong>in</strong>terpretieren (IntKS 6).<br />

Tritt e<strong>in</strong> Probleme <strong>in</strong>nerhalb des MSE auf, s<strong>in</strong>d es zunächst die Monitore, welche die betroffenen<br />

Jugendgruppen besuchen und versuchen das Problem zu lösen (IntKS 8, IntKS 14, PK 2, PK 7).<br />

Sollte es weiter bestehen, wird es an höhere Instanzen (F<strong>in</strong>ance Officer, Adm<strong>in</strong>istration Officer<br />

etc.) überwiesen (IntKS 8). Dabei werden dann durchaus Strafen verhängt, so dass E<strong>in</strong>zelne schon<br />

aus <strong>der</strong> Organisation ausgeschlossen wurden und die Polizei verständigt wurde (IntKS 2, IntKS<br />

4). Was HARDERS/SCHAUBER (1999: 172) für soziale Netzwerke <strong>in</strong> Ghana feststellen, gilt me<strong>in</strong>es<br />

Erachtens aber auch für die Problemlösungsmechanismen <strong>in</strong> Kl<strong>in</strong> Salone. Konflikte sollten durch<br />

Aushandlung gelöst werden, erst bei Scheitern e<strong>in</strong> Ausschluss bzw. Überweisung an offizielle<br />

(staatliche) Stellen erfolgen. E<strong>in</strong> Rauswurf ist sowohl für die betroffene Person als auch für das<br />

Netzwerk unvorteilhaft, denn die dar<strong>in</strong> verbleibenden Mitglie<strong>der</strong> könnten Nachteile entstehen<br />

und die Ausgeschlossenen dürfen als diskreditierte Personen nicht mehr auf die Hilfe <strong>der</strong> Ge-<br />

me<strong>in</strong>schaft hoffen. Hier wan<strong>der</strong>t Kl<strong>in</strong> Salone auf schmalem Grat, denn sollten zu viele Regelver-<br />

stöße auf Grund zu laxer Sanktionsmechanismen auftreten untergraben sie das System und er-<br />

möglichen e<strong>in</strong>e Verschiebung des <strong>in</strong>stitutionellen Rahmens <strong>in</strong> den Randzonen. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite sollte beachtet werden, dass Kl<strong>in</strong> Salone für e<strong>in</strong>en Großteil <strong>der</strong> Jugendlichen die e<strong>in</strong>zige<br />

Chance ist und dass e<strong>in</strong> Ausschluss verheerende persönliche Folgen haben könnte, so dass an<strong>der</strong>e<br />

Lösungen vorzuziehen s<strong>in</strong>d.<br />

Die Monitore s<strong>in</strong>d also das Instrument, dessen Kosten als ger<strong>in</strong>ger erachtet werden als jene, wel-<br />

che durch ihre Aktivität reduzieren werden können. Im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Theorie sollen sie die durch<br />

<strong>in</strong>formelle Institutionen entstehenden Transaktionskosten reduzieren, dienen also auch, analog<br />

<strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone, dem <strong>in</strong>stitutionellen Wandel. Doch auch die Instanz <strong>der</strong> Monitore<br />

handelt im Rahmen <strong>von</strong> Institutionen, wie sollte es an<strong>der</strong>s se<strong>in</strong>. So musste bereits e<strong>in</strong> Monitor<br />

ausgetauscht werden, mit e<strong>in</strong>em weiteren gibt es ernsthafte Probleme (IntKS 1, IntKS 4, PK 1).<br />

104


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

5. Determ<strong>in</strong>anten sozialer Dilemmata<br />

Nachdem das FWMS, zum<strong>in</strong>dest als Übergangslösung, rehabilitiert wurde, stellt sich daran an-<br />

schließend die Frage, wie das zwar unter E<strong>in</strong>beziehungen <strong>der</strong> Zivilgesellschaft (vgl. Kapitel V.3,<br />

S. 89), aber dennoch zu gewissem Teil „<strong>von</strong> oben“ implementierte System <strong>der</strong> Abfallbeseitigung<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft angenommen wird.<br />

Der entscheidende Faktor bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>kommensgenerierung <strong>der</strong> MSEs konstituiert sich aus dem<br />

<strong>in</strong>dividuellen und gesamtgesellschaftlichen Umgang mit Müll, dessen Än<strong>der</strong>ung SOOD, neben <strong>der</strong><br />

Rehabilitierung <strong>der</strong> öffentlichen Hand, als Voraussetzung für das Funktionieren <strong>der</strong> Abfallwirt-<br />

schaft Freetowns sieht (2004: 8 und 53). Und auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Urbanitäten Afrikas ist fehlende<br />

Unterstützung seitens <strong>der</strong> Bevölkerung die Ursache f<strong>in</strong>anzieller Schwierigkeiten <strong>der</strong> MSEs, die es<br />

so nicht schaffen ausreichend Kunden zu akquirieren bzw. wenn diese Hürde überwunden ist,<br />

sich Problemen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zahlungsmoral gegenüber sehen (MULLER ET. AL 2002: 249).<br />

Die theoretische Erklärung kann durch das soziale Dilemma erfolgen (vgl. Kapitel III.2.3, S. 42).<br />

Im S<strong>in</strong>ne des Schwarzfahrerproblems lässt sich feststellen, dass Individuen versuchen, die Teil-<br />

nahme an e<strong>in</strong>er Gruppe (hier dem zahlenden Kundenkreis Kl<strong>in</strong> Salones) zu meiden, dabei aber<br />

<strong>von</strong> den Vorteilen (<strong>in</strong>sgesamt saubereres Wohnumfeld) profitieren. Je mehr Personen aber nach<br />

dieser Handlungsrationalität agieren, desto unwahrsche<strong>in</strong>licher wird <strong>der</strong> Erfolg Kl<strong>in</strong> Salones und<br />

e<strong>in</strong>e Verschlechterung <strong>der</strong> Umweltsituation ist die Folge. Individuell rationales Verhalten führt<br />

also nicht zu e<strong>in</strong>em gesamtgesellschaftlich besseren Ergebnis. Im Folgenden müssen daher die<br />

Ursachen <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Handlungsrationalitäten untersucht werden, da sie die Determ<strong>in</strong>an-<br />

ten s<strong>in</strong>d, die dazu führen, dass Individuen eben nicht am gesamtgesellschaftlichen Vorteil <strong>in</strong>teres-<br />

siert s<strong>in</strong>d bzw. se<strong>in</strong> können und <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Folge sich e<strong>in</strong> soziales Dilemma im Bereich <strong>der</strong> Abfall-<br />

wirtschaft e<strong>in</strong>stellt.<br />

5.1 Schaffung e<strong>in</strong>er neuen Institution: Potentiale und H<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Das Verhalten bei <strong>der</strong> Müllentsorgung, wie offenes Verbrennen o<strong>der</strong> <strong>in</strong>adäquate Ablagerung, ist<br />

für SOOD (2004: 8 und 24) e<strong>in</strong> Indikator für mangelnde Sensibilität und e<strong>in</strong>geschränktes Prob-<br />

lembewusstse<strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung bei <strong>der</strong> Behandlung des Abfalls. Dieser „erlernte“ Umgang mit<br />

Müll kann nicht <strong>von</strong> heute auf morgen geän<strong>der</strong>t werden (IntEX 2, IntKS 15). An<strong>der</strong>e Stimmen<br />

sprechen sogar <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er „I don’t care-attitude“ <strong>in</strong> Folge <strong>der</strong>er je<strong>der</strong> se<strong>in</strong>en Müll dort ablagert, wo<br />

105


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

er gerade möchte (IntKS 13). Trotz dieser Aussagen bleibt es schwierig die Schlüssigkeit dieser<br />

Aussagen nachzuvollziehen. An<strong>der</strong>e Erklärungsmuster für die mangelnde Kooperation <strong>der</strong> Bevöl-<br />

kerung bieten me<strong>in</strong>es Erachtens daher mehr Erkenntnisgew<strong>in</strong>n. So b<strong>in</strong> ich durchaus <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung,<br />

dass die gesellschaftliche Risikoproduktion soweit funktionsfähig ist, dass sie Gefahren durch <strong>in</strong>-<br />

adäquaten Umgang mit Müll <strong>in</strong> Risiko übersetzt. Nur scheitert me<strong>in</strong>es Erachtens das entspre-<br />

chende Risikohandeln an e<strong>in</strong>er Komb<strong>in</strong>ation, die sich <strong>in</strong> Folge <strong>in</strong>stitutioneller Konfigurationen,<br />

des <strong>in</strong>dividuellen Nutzenkalküls und e<strong>in</strong>er Prioritätensetzung - „Besser etwas zu Essen <strong>in</strong> ver-<br />

schmutzter Umgebung“ als „Hunger <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sauberen Umfeld“ - als Folge e<strong>in</strong>er Verknappung<br />

<strong>von</strong> assets ausprägt.<br />

5.1.1 Wahrnehmung und Legitimität <strong>der</strong> öffentlichen Hand<br />

E<strong>in</strong>e Ursache für die fehlende gesellschaftliche Unterstützung privater Akteuren <strong>der</strong> Abfallwirt-<br />

schaft liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Persistenz <strong>der</strong> Idee des Wohlfahrtstaates <strong>in</strong> den Köpfen <strong>der</strong> Gesellschaft 54 be-<br />

gründet (dazu auch SOOD 2004: 20). So stellt es sich für die MSEs mitunter äußerst problema-<br />

tisch dar, die Bevölkerung für e<strong>in</strong> Abonnement des Service Kl<strong>in</strong> Salones zu gew<strong>in</strong>nen, da die Bür-<br />

ger häufig nicht nachvollziehen können, dass die bis dato entgeltfreie Müllentsorgung nun kos-<br />

tenpflichtig se<strong>in</strong> soll (IntMSE 7, IntKS 10). Ohneh<strong>in</strong> sei die Abfallbeseitigung die Aufgabe <strong>der</strong><br />

öffentlichen Hand, wo<strong>von</strong> selbst Mitarbeiter Kl<strong>in</strong> Salones und <strong>der</strong> MSEs ausgehen (IntAbo 1,<br />

IntAbo 3, IntAbo 7, IntAbo 10, IntAbo 11, IntAbo 12, IntAbo 13, IntMSE 2, IntMSE 5, IntMSE<br />

6, IntKS 3, IntKS 13, IntKS 14):<br />

„Some others are th<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g they don’t have to pay us. Some of our customers are stubborn to pay,<br />

because, they have never been used to such a system” (IntMSE 15).<br />

O<strong>der</strong> drastischer ausgedrückt: „They want the government to feed them“ (IntKS 13), wie es weniger<br />

schmeichelhaft e<strong>in</strong>e Mitarbeiter<strong>in</strong> Kl<strong>in</strong> Salones äußerte. Da die Organisation aber erst seit e<strong>in</strong>igen<br />

Monaten existiert, konnte e<strong>in</strong>e Sensibilisierung <strong>der</strong> Bevölkerung noch nicht <strong>in</strong> ausreichendem<br />

54 Dass die Idee des Wohlfahrtsstaates trotz e<strong>in</strong>er über Jahrzehnte fortdauernden Prekarisierung des Staates vorhanden<br />

ist, sche<strong>in</strong>t zunächst überraschend. Dennoch war diese Idee prom<strong>in</strong>ent <strong>in</strong> den Ergebnissen <strong>der</strong> Befragungen vertreten<br />

und liefert e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis darauf, dass die „physischen“ Institutionen e<strong>in</strong>es Staates zwar zerfallen se<strong>in</strong> können, die Idee<br />

e<strong>in</strong>er sierra-leonischen Geme<strong>in</strong>schaft <strong>in</strong> den Köpfen <strong>der</strong> Gesellschaft aber trotzdem vorhanden se<strong>in</strong> kann und <strong>der</strong> Staat<br />

als Imag<strong>in</strong>ation weiter besteht.<br />

106


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Maße erfolgen (IntMSE 15, IntKS 12). Neben den Problemen, die sich so für die MSEs bei <strong>der</strong><br />

Akquirierung <strong>von</strong> Kunden ergeben, hat die Idee des Wohlfahrtstaates <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit <strong>der</strong><br />

mangelnden Leistungsfähigkeit <strong>der</strong> Verwaltung (IntEx 2) auch Auswirkungen auf die Legitimität<br />

des Staates (IntAbo 1, IntAbo 3, IntAbo 5, IntAbo 7, IntAbo 8, IntAbo 10, IntAbo 11, IntAbo<br />

12, IntAbo 13, IntMSE 3, IntMSE 4, IntMSE 5, IntMSE 7). Auf Grund <strong>der</strong> zahlreichen Unzu-<br />

länglichkeiten (Korruption, fehlende F<strong>in</strong>anzen etc.) ist das Ansehen <strong>der</strong> öffentlichen Hand nicht<br />

das Beste, worunter auch die MSEs zu leiden haben (IntEx 1, IntAbo 3, IntAbo 6, IntAbo 7).<br />

Daher ist die Sensibilisierung umso wichtiger, worauf <strong>der</strong> Adm<strong>in</strong>istration Officer Kl<strong>in</strong> Salones<br />

h<strong>in</strong>weist:<br />

„There are problems of present<strong>in</strong>g it to the people and problems gett<strong>in</strong>g the nation recogniz<strong>in</strong>g the<br />

system. People never paid for waste management. Sensitization is necessary. We have done it for<br />

the past six months: radio, rallies, workshops […] I believe it is a matter of time. It takes time before<br />

the idea is mov<strong>in</strong>g“(IntKS 12).<br />

Gerade dadurch entstehen aber (Transaktions-) Kosten, da vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> Idee des<br />

Wohlfahrtsstaates immense Mittel aufgewendet werden müssen, um Tauschhandlungen (Service-<br />

leistung gegen Gebühr) im Bereich <strong>der</strong> Abfallwirtschaft zu <strong>in</strong>itiieren. Die Persistenz <strong>der</strong> Idee des<br />

Wohlfahrtsstaates kann zwar vor dem H<strong>in</strong>tergrund schleppen<strong>der</strong> Verbesserungen im Nachgang<br />

des Krieges bei gleichzeitig neu geschöpfter Hoffnung auf Verbesserung <strong>der</strong> Lebensumstände,<br />

e<strong>in</strong>erseits den Staat delegitimieren und die Transaktionskosten <strong>der</strong> MSEs respektive Kl<strong>in</strong> Salones<br />

erhöhen. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite kann aber auch die Übernahme <strong>der</strong> eigentlich öffentlichen Aufga-<br />

be durch Kl<strong>in</strong> Salone <strong>von</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung honoriert werden und somit legitimitätssteigernde<br />

Wirkung haben.<br />

5.1.2 Motivation <strong>der</strong> Kunden und Wahrnehmung Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Entsprechend <strong>der</strong> dualen Zielsetzung Kl<strong>in</strong> Salones, Schaffung <strong>von</strong> Arbeitsplätzen auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en<br />

und Verbesserung <strong>der</strong> Müllsituation auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite, verhält sich auch die Wahrnehmung <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Bevölkerung. Diese sieht die Organisation durch beide Zwecke legitimiert. Dabei wird ange-<br />

geben, dass e<strong>in</strong>e große Mehrheit <strong>von</strong> bis zu 90% <strong>der</strong> Bewohner Freetowns Kl<strong>in</strong> Salone kennen<br />

würde (IntAbo 1, IntKS 3). E<strong>in</strong>e durchaus realistische Zahl, s<strong>in</strong>d doch <strong>in</strong> nahezu jedem Stadtteil<br />

Jugendgruppen tätig und prägen mit ihren Handkarren das Straßenbild.<br />

107


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Nach anfänglichen Schwierigkeiten − „the people abused and fight us dur<strong>in</strong>g the first time of Kl<strong>in</strong><br />

Salone. […] they have pushed away the push cart, if we parked it somewhere” (IntMSE 15) − wird die<br />

Organisation mittlerweile <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er großen Mehrheit <strong>der</strong> Bevölkerung geschätzt. Alle Befragten<br />

haben, auch <strong>in</strong> <strong>in</strong>formellen Gesprächen, angegeben, dass mit <strong>der</strong> Etablierung Kl<strong>in</strong> Salones die<br />

Müllsituation e<strong>in</strong>e eklatante Verbesserung erfahren hat (IntAbo 13, IntKS 2, IntKS 3, vgl. Kapitel<br />

V.2.5, S. 85). Dafür ist me<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung nach zu e<strong>in</strong>em großen Teil die Komponente <strong>der</strong> PPP<br />

verantwortlich (IntAbo 9), wenn es um die re<strong>in</strong> visuelle Reduzierung des Mülls geht. Da<strong>von</strong> profi-<br />

tieren aber die Door-to-Door-Gruppen ebenso, da Kl<strong>in</strong> Salone als Entität aus beiden Teilen wahr-<br />

genommen wird. Darüber h<strong>in</strong>aus wird Kl<strong>in</strong> Salone <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Communities mit ihrem<br />

Beitrag zu e<strong>in</strong>em gesün<strong>der</strong>em Lebensumfeld ungeme<strong>in</strong> geschätzt, da nun weniger Mücken und<br />

entsprechend Malaria auftritt (IntAbo 1, IntAbo 2, IntAbo 3, IntAbo 4, IntAbo 5, IntAbo 6,<br />

IntAbo 7, IntAbo 10, IntAbo 13, IntMSE 2, IntMSE 6, IntMSE 9). Auch s<strong>in</strong>d zum Beispiel die<br />

Märkte sauberer und für Geschäftsleute und Restaurantbesitzer ist e<strong>in</strong>e reduzierte Geruchsbeläs-<br />

tigung und weniger Ungeziefer selbstredend umsatzsteigernd (IntAbo 5, IntMSE 7). E<strong>in</strong> weiterer<br />

Grund für die Beliebtheit Kl<strong>in</strong> Salones ergibt sich daraus, dass viele Menschen Angst haben, ihre<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> könnten sich Krankheiten und Verletzung zuziehen, wenn sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er mit Müll ver-<br />

schmutzten Umwelt spielen (IntMSE 4). Vor <strong>der</strong> regelmäßigen Müllbeseitigung durch Kl<strong>in</strong> Salo-<br />

ne lagerte dieser bis zur Entsorgung im unmittelbaren, ohneh<strong>in</strong> oftmals schon beengten Wohn-<br />

umfeld, so dass auch hier Stechmücken und Nagetiere auftraten (IntAbo 11). Auch wird <strong>der</strong> Bei-<br />

trag Kl<strong>in</strong> Salones für die Entwicklung <strong>der</strong> Nation hervorgehoben (IntAbo 4, IntAbo 7, IntAbo 8).<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus bedeutet Sauberkeit auch Re<strong>in</strong>heit, e<strong>in</strong> Zeichen <strong>von</strong> Göttlichkeit, und die Legiti-<br />

mation Kl<strong>in</strong> Salones erhält e<strong>in</strong>e transzendente Legitimation (IntMSE 6).<br />

E<strong>in</strong>e zweite Legitimationsgrundlage Kl<strong>in</strong> Salones ist die Schaffung <strong>von</strong> Arbeitsplätzen und E<strong>in</strong>-<br />

kommen durch die Organisation, die so vorher vielfach arbeitslosen Jugendlichen e<strong>in</strong>e Perspektive<br />

bietet (IntAbo 4, IntAbo 5, IntAbo 6, IntAbo 12, IntMSE 2, IntMSE 6, IntKS 2). Zwar wäre es<br />

vielen Unternehmen und Haushalten möglich, auch weiterh<strong>in</strong> den Müll <strong>von</strong> Angestellten, den<br />

eigenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n o<strong>der</strong> Akteuren des <strong>in</strong>formellen Sektors entsorgen zu lassen. Jedoch wird <strong>der</strong> zu-<br />

verlässige Service <strong>der</strong> Gruppen geschätzt und ist e<strong>in</strong>e große Hilfe für die Bewohner (IntAbo 1,<br />

IntAbo 6, IntAbo 8, IntAbo 9, IntAbo 11, IntAbo 12, IntAbo 13). Auch dass die Probleme <strong>der</strong><br />

Jugendgruppen bei den Kunden bekannt s<strong>in</strong>d, lässt auf e<strong>in</strong>e gute Verankerung Kl<strong>in</strong> Salones <strong>in</strong> den<br />

(bedienten) Bevölkerungsteilen schließen (Int Abo 4, IntAbo 5). Wer sich h<strong>in</strong>ter den lokalen<br />

108


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

MSEs für Kl<strong>in</strong> Salone verantwortlich zeichnet, ist den meisten Kunden aber nicht bekannt (IntA-<br />

bo 1, IntAbo 2, IntAbo 4, IntAbo 5, IntAbo 9, IntAbo 10, IntAbo 12). So s<strong>in</strong>d auch ke<strong>in</strong>e Delegi-<br />

timierungseffekte durch die Existenz externer Geber (GTZ) zu befürchten. Darüber h<strong>in</strong>aus wer-<br />

den Jugendliche bzw. <strong>der</strong>en Perspektivlosigkeit als e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Hauptursachen des Krieges angesehen<br />

(vgl. Kapitel IV.2.2, S. 54), so dass die Entwicklung <strong>der</strong> Jugend e<strong>in</strong> gesamtgesellschaftliches Inte-<br />

resse darstellt, gerade vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> vergangenen Gewalterfahrungen.<br />

Dass Kl<strong>in</strong> Salone durchaus positiv wahrgenommen wird, lässt den Schluss zu, es könnten vor al-<br />

lem f<strong>in</strong>anzielle Aspekte bzw. das sich auch daraus ergebende Schwarzfahrerproblem se<strong>in</strong>, welche<br />

die Probleme für die Jugendgruppen bereiten. Zunächst soll aber e<strong>in</strong> Argument angeführt werden,<br />

dass durchaus <strong>in</strong> die Argumentation <strong>der</strong> gängigen Staatszerfallkonzepten passt.<br />

5.1.3 Überwachung und Bestrafung: Institutionelle Leere<br />

Der gesellschaftliche Umgang mit Müll <strong>in</strong> Sierra Leone respektive Freetown ist nur <strong>in</strong> sehr ger<strong>in</strong>-<br />

gem Maße formell geregelt. Zwar weist SOOD (2004: 24) auf e<strong>in</strong>e Verordnung aus dem Jahr 1962<br />

h<strong>in</strong>, die „Vermüllung“ mit 25 Le (9 Cent) unter Strafe stellt 55 . Diese ist aber äußerst ger<strong>in</strong>g und so<br />

sehr <strong>in</strong>effektiv. E<strong>in</strong>e Umweltgesetzgebung, sowie <strong>der</strong>en Implementierung, ist so gut wie nicht<br />

vorhanden, was sich nicht zuletzt daran ablesen lässt, dass das M<strong>in</strong>istry of Land and Environment<br />

für den gesamten Staat lediglich acht Mitarbeiter zur Verfügung hat. Die nötige Durchsetzungs-<br />

kraft ist nicht zuletzt wegen mangeln<strong>der</strong> Kapazitäten, nicht existenter Verordnungen und Statu-<br />

ten nicht gegeben (SOOD 2004: 24). E<strong>in</strong>e formelle Verhaltenskanalisation erfolgt auf ke<strong>in</strong>e Weise.<br />

Sie müsste aber forciert werden, um Haushalte dazu zu bewegen, überhaupt Gebühren für Müll-<br />

entsorgung zu zahlen (IntAbo 9, IntKS 13, PRICEWATERHOUSECOOPERS/DHV 2006: 16f.). So<br />

aber ergeben sich <strong>in</strong> <strong>in</strong>stitutioneller Leere Handlungsspielräume <strong>der</strong> Individuen, die oftmals zum<br />

Nachteil <strong>der</strong> Gesamtgesellschaft bzw. den MSEs gereichen (IntAbo 13, IntKS 5).<br />

Es s<strong>in</strong>d also mit <strong>der</strong> bis vor kurzem nicht vorhandenen Wohlfahrtsfunktion (Fehlen e<strong>in</strong>er öffent-<br />

lichen Müllentsorgung) und <strong>der</strong> mangeln<strong>der</strong> Rechtsstaatsfunktion (unzureichende rechtliche<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen und Strafen bzw. <strong>der</strong>en Durchsetzung) zwei Kernbereiche staatlicher Leis-<br />

55 Auf heutige Verhältnisse kann diese Strafe nur schwerlich umgerechnet werden, da nicht bekannt ist, für welches<br />

Jahr diese gilt (nicht 1962!).<br />

109


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

tung, die es für den Bereich <strong>der</strong> Abfallwirtschaft durchaus angemessen ersche<strong>in</strong>en lassen, vom<br />

Scheitern des Staates respektive <strong>der</strong> Lokalverwaltung zu sprechen. Die staatliche Leistungsfähig-<br />

keit ist mit <strong>der</strong> Etablierung des FWMS im Aufbau begriffen, die rechtlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

bleiben aber unzureichend, so dass gegenwärtig nur <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>geschränkten Verbesserung ge-<br />

sprochen werden kann.<br />

An dieser Stelle wird <strong>von</strong> e<strong>in</strong>igen Befragten hervorgehoben, dass die Müllprobleme mit e<strong>in</strong>er star-<br />

ken Regierung reduziert wären (IntKS 5) bzw. unter den Militärregierungen bzw. den autoritären<br />

Regimen <strong>der</strong> Vergangenheit weniger existent gewesen seien. Die „Governance of the people“ sei<br />

Grund allen (Müll-) Übels. Die E<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong> Bestimmungen wurde <strong>von</strong> Aufsehern überwacht<br />

und die Bürger haben die Regeln entsprechend beachtet, was heute kaum mehr <strong>der</strong> Fall ist (IntA-<br />

bo 1, IntKS 16, KAMARA 2007):<br />

„Dur<strong>in</strong>g the military government un<strong>der</strong> NPRC, there was a general clean<strong>in</strong>g every Saturday.<br />

There were b<strong>in</strong>s <strong>in</strong> the streets. The conta<strong>in</strong>ers belonged to City Council. At this time there were<br />

penalties, if you depose your waste elsewhere. With the democratic rule then, everybody did what<br />

he wanted. […] Concer<strong>in</strong>g waste the military regime was much better“ (IntKS 16).<br />

Nicht zuletzt North weist darauf h<strong>in</strong>, dass die Wirksamkeit e<strong>in</strong>er Institution <strong>von</strong> <strong>der</strong> Überwa-<br />

chung und <strong>der</strong> Schwere <strong>der</strong> Bestrafung e<strong>in</strong>er Übertretung abhängt (vgl. Kapitel II.2.3, S. 17). Da-<br />

mit soll aber ke<strong>in</strong>eswegs repressiven staatlichen Organisationsformen das Wort geredet werden,<br />

son<strong>der</strong>n vielmehr am Beispiel <strong>der</strong> Abfallwirtschaft gezeigt werden, dass es nicht unbed<strong>in</strong>gt <strong>der</strong><br />

Staat nach dem westlichen Idealbild se<strong>in</strong> muss, <strong>der</strong> gesellschaftliche Ordnung ermöglicht. So aber<br />

werden <strong>in</strong> Sierra Leone respektive Freetown durch fehlende staatliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, wie<br />

sie idealtypisch für prekäre Staatlichkeit ausgeprägt s<strong>in</strong>d, Transaktionskosten <strong>der</strong> MSEs unter Kl<strong>in</strong><br />

Salone erhöht. Diese können sich nicht darauf verlassen, dass <strong>der</strong> Staat Regelübertretungen sank-<br />

tioniert und somit Verhalten kanalisiert. Unsicherheiten entstehen und Kl<strong>in</strong> Salone bzw. die<br />

MSEs müssen Transaktionskosten (Sensibilisierungsmaßnahmen, Öffentlichkeitsarbeit, problem-<br />

lösende Gespräche etc.) aufwenden, um den Problem zu begegnen. Warum aber stellt es sich <strong>der</strong>-<br />

art problematisch dar, die Bevölkerung für e<strong>in</strong>e Teilnahme am System Kl<strong>in</strong> Salone zu gew<strong>in</strong>nen?<br />

110


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

5.2 Handlungsrationalitäten <strong>der</strong> Kunden<br />

5.2.1 Zahlungsmoral und Reproduktion f<strong>in</strong>anziellen Mangels<br />

SOOD (2004: 14) kommt für die Bevölkerung Freetowns zu dem Schluss, dass diese nicht bereit<br />

o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage ist, Gebühren für Müllentsorgung zu zahlen. Dieser E<strong>in</strong>schätzung ist auf Basis<br />

<strong>der</strong> empirischen Erhebungen zuzustimmen. E<strong>in</strong> Grund für die mangelnde Bereitschaft, sicherlich<br />

auch vor dem H<strong>in</strong>tergrund ohneh<strong>in</strong> begrenzter F<strong>in</strong>anzmittel, wurde mit <strong>der</strong> Persistenz <strong>der</strong> Idee<br />

des Wohlfahrtsstaates bei gleichzeitig mangeln<strong>der</strong> Überwachung und Bestrafung bereits ange-<br />

führt. E<strong>in</strong>e weitere Ursache Gebühren überhaupt nicht bzw. bei Unterzeichnung des Kontraktes<br />

nur unregelmäßig zu bezahlen, br<strong>in</strong>gt folgende Aussage gut auf den Punkt:<br />

„Every country has priorities. Everyone has paramount aims and others. There is much poverty.<br />

The people don’t care about their environments. They just want to fill their stomach” (IntKS<br />

16).<br />

Und auch an<strong>der</strong>e Studien zum Verhalten bezüglich <strong>der</strong> Abfallentsorgung kommen zu dem<br />

Schluss, dass sozioökonomische Faktoren das Verhalten <strong>der</strong> Bevölkerung im Umgang mit Müll<br />

bestimmen (HAAS/ERNST 1990: 137). Armen Haushalten ist es so <strong>in</strong> nur ger<strong>in</strong>gem Umfang mög-<br />

lich für öffentliche wie auch private Dienstleistungen f<strong>in</strong>anzielle Leistungen zu erbr<strong>in</strong>gen (MUL-<br />

LER/HOFFMANN 2001: 18). Gerade vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> sozioökonomischen Struktur (vgl.<br />

Kapitel IV.2.2, S. 54) stellt es sich <strong>in</strong> Freetown für die MSEs beson<strong>der</strong>s problematisch dar E<strong>in</strong>-<br />

kommen zu generieren. Viele <strong>der</strong> privaten Abonnenten erachten es oftmals als unmöglich am<br />

Ende des Monats die erfor<strong>der</strong>lichen Gebühren zu bezahlen, da sie (f<strong>in</strong>anziell) unter Stress stehen<br />

und erst an<strong>der</strong>e, unmittelbar lebenswichtigere Ausgaben getätigt werden (Nahrungsmittel, Schul-<br />

gebühren für K<strong>in</strong><strong>der</strong>). Die E<strong>in</strong>nahmen <strong>der</strong> MSEs treffen, wenn überhaupt, erst verspätet e<strong>in</strong> (In-<br />

tAbo 8, IntEx 4 IntMSE 3, IntMSE 5, IntMSE 6, IntMSE 7, IntMSE 8, IntMSE 10, IntMSE 12,<br />

IntMSE 13, IntKS 3, IntKS 4, IntKS 5, IntKS 11, IntKS 14, IntKS 15, PK 6, PK 8). Diese s<strong>in</strong>d<br />

aber äußerst abhängig <strong>von</strong> <strong>der</strong> Zahlungsmoral <strong>der</strong> Kunden, denn die MSEs haben<br />

„extremely low profit marg<strong>in</strong>s, which depend on a great many costs not be<strong>in</strong>g <strong>in</strong>cluded <strong>in</strong> the calculation.<br />

Delays <strong>in</strong> payment […] tend to eat up any marg<strong>in</strong>s that may be there <strong>in</strong> theory”<br />

(Sche<strong>in</strong>berg 2001: 25).<br />

E<strong>in</strong> Beispiel e<strong>in</strong>es MSE zeigt, dass <strong>von</strong> den 60 bis 70 Kunden, die die Gruppe bedient, 20 bis 25<br />

verspätet bezahlen, was zu bedeutenden E<strong>in</strong>nahmeausfällen führt (IntMSE 7). Bei e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en<br />

111


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Gruppe s<strong>in</strong>d es sechs bis sieben <strong>von</strong> 72 Kunden (IntMSE 6). In nicht wenigen Fällen verweigern<br />

sich die Kunden <strong>der</strong> Bezahlung sogar vollständig mit <strong>der</strong> Begründung, sie hätten ke<strong>in</strong>en Müll und<br />

entsorgen diesen auf an<strong>der</strong>e Art und Weise, <strong>in</strong> Abflussr<strong>in</strong>nen, an <strong>der</strong> Straße etc. (IntAbo 7, IntEx<br />

1, IntMSE 3, IntMSE 9, IntMSE 10, IntMSE 12, IntKS 9, IntKS 12). Auch wenn Abfallbehälter<br />

nicht gänzlich gefüllt s<strong>in</strong>d, wollen Kunden e<strong>in</strong>en niedrigeren Preis aushandeln (IntMSE 9), eben-<br />

so wenn es zu vernachlässigbaren Verspätungen bei <strong>der</strong> Müllentsorgung seitens <strong>der</strong> Jugendgrup-<br />

pen gekommen ist (IntMSE 5, IntMSE 6). Probleme entstehen auch dann, wenn die Kunden<br />

e<strong>in</strong>en Vertrag unterschrieben haben, obwohl sie die Inhalte <strong>in</strong> Folge Analphabetentums 56 nicht<br />

erfassen konnten (IntKS 7, PK 6). Die Erfolge <strong>von</strong> <strong>der</strong> Formalisierung <strong>der</strong> Abfallentsorgung im<br />

Zuge <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>von</strong> schriftlichen Verträgen zwischen MSEs und Kunden s<strong>in</strong>d vor diesem<br />

H<strong>in</strong>tergrund bei allen Vorteilen differenziert zu betrachten. Viele <strong>der</strong> jetzigen Kunden entsorgten<br />

ihren Müll durch die Bezahlung e<strong>in</strong>zelner K<strong>in</strong><strong>der</strong>, und es ist anzunehmen, dass e<strong>in</strong> bedeuten<strong>der</strong><br />

Teil <strong>von</strong> Nichtkunden auf diese Weise verfährt. So wurden bereits Abonnements des Service Kl<strong>in</strong><br />

Salones gekündigt, da die betreffenden Haushalte wie<strong>der</strong> auf den billigeren <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n angebo-<br />

tenen Service zurückgreifen möchten (IntAbo 4, IntAbo 10, IntAbo 11, IntAbo 12, IntAbo 13,<br />

IntMSE 16, IntKS 7, IntKS 8, IntKS 16). Dieser ist preiswerter, aber auch das Bestreben <strong>von</strong><br />

Haushalten den <strong>in</strong>formellen Akteuren nicht ihren Kle<strong>in</strong>stverdienst zu kündigen, lässt sie zu Kon-<br />

kurrenten für die MSEs Kl<strong>in</strong> Salones werden. Beide Gruppierungen stehen so zum<strong>in</strong>dest teilweise<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Konkurrenzverhältnis, das den Beitrag zu <strong>der</strong> jeweiligen ohneh<strong>in</strong> schon schwachen Ü-<br />

berlebensökonomie reduziert.<br />

Die mangelnde Bereitschaft für Abfallentsorgung (regelmäßig) f<strong>in</strong>anzielle Leistungen zu erbr<strong>in</strong>-<br />

gen muss me<strong>in</strong>es Erachtens <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie als Strategie gewertet werden, um f<strong>in</strong>anzielle Mittel für<br />

die <strong>in</strong>dividuelle Überlebensökonomie des Haushalts zu sichern, zumal die Komponente <strong>der</strong> PPP<br />

ohneh<strong>in</strong> die (wichtigen) öffentlichen Gebiete säubert. Das „Schwarzfahren“ jedoch bestimmt<br />

nicht nur über Erfolg und Misserfolg <strong>der</strong> MSEs, son<strong>der</strong>n, da diese über kurz o<strong>der</strong> lang Kl<strong>in</strong> Salone<br />

f<strong>in</strong>anzieren sollen, auch über den <strong>der</strong> gesamten Organisation, so dass dieses Verhalten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge<br />

e<strong>in</strong> gesamtgesellschaftlich schlechteres Ergebnis zur Folge hätte (vgl. Kapitel III.2.3, S. 42).<br />

56 Die Analphabetenrate lag 2005 für Sierra Leone nach UNDP bei 65,2% (Auf:<br />

http://hdrstats.undp.org/countries/country_fact_sheets/cty_fs_SLE.html. Aufgerufen am 03.06.2008).<br />

112


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Im Zuge des Mangels an F<strong>in</strong>anzkapital <strong>der</strong> Kunden geraten die MSEs nun <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zielkonflikt.<br />

E<strong>in</strong>erseits sollten sie im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>heitlichen Preissystems den stabilisierenden und verlässli-<br />

chen Handlungsrahmen Kl<strong>in</strong> Salones unterstützen und daher nicht die Preise senken, was zu-<br />

nächst mit weniger E<strong>in</strong>kommen für die Gruppe e<strong>in</strong>hergehen würde (im Anschluss an SCHEIN-<br />

BERG 2001: 25). An<strong>der</strong>seits trifft die Argumentation ebenso zu, dass durch flexible Preise mehr,<br />

vor allem f<strong>in</strong>anziell schwächer gestellte Bevölkerungsteile, erreicht werden könnten, was beson<strong>der</strong>s<br />

Gruppen betrifft, die Marg<strong>in</strong>alviertel Freetowns bedienen. Auch <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Gebietes existie-<br />

ren mit F<strong>in</strong>anzkapital unterschiedlich ausgestattete Haushalte. MULLER/HOFFMANN (2001: 18)<br />

raten an, auf <strong>der</strong>en unterschiedliche Fähigkeit, die erfor<strong>der</strong>liche Gebühr aufzubr<strong>in</strong>gen mit darauf<br />

abgestimmten Preisen zu reagieren. Dafür würde ebenso sprechen, dass „...die Suche nach Sicher-<br />

heit e<strong>in</strong>deutig Priorität vor <strong>der</strong> E<strong>in</strong>kommensmaximierung [hat], welche (…) gegenüber <strong>der</strong> Stabilisie-<br />

rungsorientierung sekundär ist“ (Elwert et al. 1983 57 zit. nach RÖPER 1995: 356). Und auch ROUSE<br />

(2004: 7) stellt für die E<strong>in</strong>beziehung <strong>von</strong> <strong>in</strong>formellen Müllsammlern <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Door-to-Door-<br />

Abfallbeseitigungssystem <strong>in</strong> Hy<strong>der</strong>abad/Indien fest, dass die Beteiligten mehr Stabilität und Si-<br />

cherheit genießen ohne dabei notwendigerweise e<strong>in</strong> mehr an F<strong>in</strong>anzen zur Verfügung zu haben. In<br />

diesem S<strong>in</strong>ne wären niedrigere Preise die geeignete Lösung, Kundenakquirierung zu vere<strong>in</strong>fachen<br />

und um die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit zu erhöhen, dass Kunden e<strong>in</strong>en reduzierten, an ihre eigenen Mög-<br />

lichkeiten angepassten Preis eher zuverlässig bezahlen. Da darüber h<strong>in</strong>aus jede Gruppe e<strong>in</strong> ihr<br />

zugewiesenes Gebiet bedient, ergibt auch ke<strong>in</strong>e Gefahr durch Preisdump<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Folge <strong>von</strong> <strong>in</strong>traor-<br />

ganisatorischer Konkurrenzsituation. Die Ausrichtung <strong>der</strong> Preise unterläge also den e<strong>in</strong>zelnen<br />

MSEs, so dass diese selbst kalkulieren müssten, ob e<strong>in</strong>e Subvention <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzschwächeren durch<br />

F<strong>in</strong>anzstärke im e<strong>in</strong>zelnen Gebiet möglich wäre („cross subsidiz<strong>in</strong>g“). Problematisch wäre dabei,<br />

dass Solidarität und <strong>in</strong>dividuelles Nutzenkalkül <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wohner <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Community auf-<br />

e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> träfen. Die Messung <strong>der</strong> tatsächlichen Bedürftigkeit <strong>der</strong> Kunden und <strong>der</strong> so zu bezah-<br />

lende Preis, würden darüber h<strong>in</strong>aus erneut Transaktionskosten verursachen.<br />

Und tatsächlich war auch zu beobachten, dass Kunden, die nicht für e<strong>in</strong>en regelmäßigen Service<br />

aufkommen können, <strong>von</strong> <strong>der</strong> Gruppe die Möglichkeit erhalten, <strong>in</strong>formell als nicht registrierte<br />

57 Elwert, Georg/Evers, Hans-Dieter/Wilkens, Werner (1983): Die Suche nach Sicherheit. Komb<strong>in</strong>ierte Produktionsformen<br />

im sogenannten Informellen Sektor. In: Zeitschrift für Soziologie. 12 (4). S. 281-296.<br />

113


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Kunden bei Bedarf zu e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>geren Preis den Müll entsorgt zu bekommen (IntMSE 3, IntM-<br />

SE 6, IntKS 3, IntKS 14). Da diese Praxis nicht selten angewandt wird, ist auch an dieser Stelle<br />

über e<strong>in</strong>e Formalisierung schon <strong>in</strong>härenter Problemlösungsmechanismen nachzudenken. E<strong>in</strong>e<br />

an<strong>der</strong>e, alternative Lösung läge im <strong>Zusammenschluss</strong> mehrere Haushalte, wie <strong>in</strong> bereits Kunden<br />

praktizieren und diese sich so die Kosten und den Müllbehälter teilen und damit die <strong>in</strong>dividuelle<br />

Belastung ger<strong>in</strong>g halten können (IntAbo 1, IntAbo 4).<br />

5.2.2 Periodische und saisonale Unsicherheiten<br />

Während des Untersuchungszeitraumes fanden Anfang August Präsidentschafts- und Parla-<br />

mentswahlen <strong>in</strong> Sierra Leone statt, wobei im Zuge ersterer e<strong>in</strong>en Monat später e<strong>in</strong>e Stichwahl die<br />

Entscheidung br<strong>in</strong>gen musste. Die International Crisis Group spricht <strong>in</strong> ihrem Africa Report<br />

N°129 „The Election Opportunity“ (ICG 2007) <strong>von</strong> Hoffnungen, aber auch Unsicherheiten, die<br />

mit dem Wahlakt an sich sowie mit dem zukünftigen Entwicklungsweg verbunden s<strong>in</strong>d und die so<br />

o<strong>der</strong> <strong>in</strong> ähnlicher Weise auch <strong>von</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung wahrgenommen werden. Die Unsicherheit<br />

h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>es friedlichen Verlaufs <strong>der</strong> Wahlen und <strong>der</strong> zukünftigen Regierungspolitik bee<strong>in</strong>-<br />

flusste auch das Handeln <strong>der</strong> Bevölkerung - „After the Election, I will pay“ IntKS 15) und „When<br />

the election is over, I will jo<strong>in</strong> the programme“ (IntMSE 8) - und somit den Erfolg <strong>der</strong> Akteure <strong>der</strong><br />

Abfallwirtschaft (ebenso IntKS 14, PK 7, PK 8). Solange die Gesellschaft und <strong>der</strong> Staat Sierra<br />

Leone noch nicht stabiler s<strong>in</strong>d, werden bei <strong>der</strong>artigen Ereignissen (Wahlakte, aber auch etwa bei<br />

Nahrungsmittelknappheiten etc.) auch die Rückwirkungen auf e<strong>in</strong>e nicht unmittelbar als lebens-<br />

notwendig wahrgenommene Müllentsorgung nicht ausbleiben, da die Kunden ihre Handlungs-<br />

prioritäten erst e<strong>in</strong>mal auf an<strong>der</strong>e D<strong>in</strong>ge konzentrieren und Müllentsorgung <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund<br />

tritt.<br />

Die Wahlen 2007 waren auf die Regenzeit um den Monat August term<strong>in</strong>iert, so dass die Auswir-<br />

kungen, die im Folgenden angeführt wurden, die Unsicherheiten <strong>der</strong> MSEs weiter erhöhten. In<br />

<strong>der</strong> Regenzeit gehen die E<strong>in</strong>nahmen <strong>der</strong> Jugendgruppen teilweise dramatisch zurück:<br />

„We have a ra<strong>in</strong> problem. Inside [our area] a stream is pass<strong>in</strong>g through […]. The people dispose<br />

their waste their. We haven’t received money for the past month” (IntMSE 12, vgl. Abbildung<br />

15, S. 115).<br />

Diese Art <strong>der</strong> Müllentsorgung stellt dabei ke<strong>in</strong>eswegs die Ausnahme dar, son<strong>der</strong>n betrifft die<br />

Gruppen <strong>in</strong> nicht zu unterschätzendem Maße, da sich die Kunden häufig weigern zu bezahlen, da<br />

114


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

sie ja nun ke<strong>in</strong>en Müll mehr haben. Schätzungen zu Folge verlieren so e<strong>in</strong>ige Gruppen 25% ihrer<br />

Kunden/E<strong>in</strong>nahmen. An<strong>der</strong>e konnten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regenzeit überhaupt ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>nahmen verzeichnen.<br />

Die Akquirierung neuer Kunden während dieser Monate ist aussichtslos (IntMSE 2, IntMSE 3,<br />

IntKS 3, IntKS 8, IntKS 10, IntKS 11, IntKS 14, IntKS 15, PK 7, PK 8).<br />

Abbildung 15: Saisonale und räumliche Unsicherheiten <strong>der</strong> MSEs. L<strong>in</strong>ks oben: Gängige Praxis <strong>der</strong><br />

Müllentsorgung vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regenzeit und die Folgen (rechts oben). Vor allem <strong>in</strong> Siedlungen<br />

unmittelbar am Atlantik o<strong>der</strong> mit Wasserläufen (rechts unten) entsorgt die Bevölkerung ihren Abfall<br />

<strong>in</strong> das nahe gelegene Gewässer. L<strong>in</strong>ks unten: E<strong>in</strong> Extrembeispiel zeigt die Situation im unmittelbaren<br />

Umfeld e<strong>in</strong>er Marg<strong>in</strong>alsiedlung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Susan’s Bay (eigene Fotos).<br />

5.2.3 Unsicherheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> räumlichen Dimension<br />

Auch auf Grund <strong>der</strong> speziellen Topographie und Infrastruktur Freetowns und nicht zuletzt durch<br />

die sozialräumliche Verteilung <strong>der</strong> Bevölkerung s<strong>in</strong>d Risiken und Unsicherheiten auch räumlich<br />

differenziert.<br />

Freetown liegt am Fuße <strong>der</strong> Pen<strong>in</strong>sula Mounta<strong>in</strong>s im Norden <strong>der</strong> dem Festland vorgelagerten<br />

Halb<strong>in</strong>sel. Durch das enorm starke Bevölkerungswachstum konnten neue Siedlungsgebiete nur an<br />

den Hängen erschlossen werden bzw. e<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> zugewan<strong>der</strong>ten Migranten siedelte sich im<br />

Ostteil <strong>der</strong> Stadt an (Kissy). An e<strong>in</strong>en adäquaten Ausbau <strong>der</strong> Infrastruktur war während des Krie-<br />

ges und <strong>in</strong> Folge <strong>der</strong> schwachen Governance-Leistung nicht zu denken, so dass die gegenwärtige<br />

115


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

<strong>in</strong>frastrukturelle Situation <strong>in</strong> Freetown <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em denkbar schlechten Zustand ist (ABDULLAH<br />

2002: 211). Das bleibt nicht ohne Folgen für die MSEs. Bei Gegebenheiten, wie Siedlungen <strong>in</strong><br />

Hanglage, schlechten Straßen und kaum zugänglichen Haushalten muss die Müllentsorgung die-<br />

sen Erfor<strong>der</strong>nissen entsprechen und an die lokalen Umstände angepasst werden (IntEx 1, MUL-<br />

LER/HOFFMANN 2001: 18). Vor allem die am dichtesten besiedelten Gebiete Freetowns, die im-<br />

merh<strong>in</strong> mehr als 60% aller Wohngebiete ausmachen und <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Menschen mit niedrigem<br />

E<strong>in</strong>kommen beherbergen, for<strong>der</strong>n die Abfallbeseitigung mit ihren schmalen Straßen und man-<br />

gelnden Lagermöglichkeiten für Müll heraus (SOOD 2004: 11ff.). Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund ist <strong>der</strong><br />

manual labour Ansatz Kl<strong>in</strong> Salones dieser Situation durchaus angemessen, obwohl auch dieser<br />

durch diese Problemlage nicht unwesentlich betroffen ist.<br />

Die <strong>in</strong>frastrukturelle Situation ist <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im Ostteil <strong>der</strong> Stadt problematisch. Die schlech-<br />

ten Straßen stellten die Arbeiter vor Probleme, wenn zum Beispiel die Handkarren beschädigt<br />

werden (IntMSE 3, IntKS 5). Die Gruppe „Thun<strong>der</strong> Hill“ bedient, wie <strong>der</strong> Name schon vermuten<br />

lässt, e<strong>in</strong> Gebiet <strong>in</strong> unwegsamen, steilen Gelände (vgl. Abbildung 16, S. 117). Das Viertel ist nur<br />

durch e<strong>in</strong>en sehr unebenen, ungepflasterten und dabei noch steilen Weg erschlossen. Für die Ar-<br />

beiter stellt es sich schwer dar den Karren überhaupt zu bewegen. Kurz vor den empirischen Erhe-<br />

bungen kam es durch e<strong>in</strong> Manöver am Hang mit dem voll beladenen Gefährt zu e<strong>in</strong>em Unfall, bei<br />

dem sich e<strong>in</strong> Arbeiter so schwer am Knie verletzt hat, dass er seitdem noch nicht wie<strong>der</strong> arbeiten<br />

konnte. Die Gruppe muss auf die Arbeitskraft verzichten, wodurch die Tätigkeit sicher nicht<br />

leichter o<strong>der</strong> weniger risikoreich wird (IntMSE 3, IntMSE 9, IntMSE 13). Aber auch e<strong>in</strong> Schaden<br />

am Handkarren hätte fatale Folgen: Die Gruppe könnte ihren Tätigkeiten nicht nachgehen und<br />

die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, dass Kunden den Service reklamieren, würde steigen. E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Gruppe<br />

im Zentrum <strong>der</strong> Stadt profitiert zwar <strong>von</strong> guten Straßen, hat aber mit an<strong>der</strong>en Problemen zu<br />

kämpfen. Hier s<strong>in</strong>d die Straßen <strong>der</strong>art <strong>von</strong> Menschen und Fahrzeugen blockiert, dass das Navigie-<br />

ren mit dem Handkarren <strong>in</strong> Mitten <strong>von</strong> Fahrzeugen und Fußgängern sehr schwierig ist, so dass<br />

nur mit Problemen <strong>der</strong> Zeitplan e<strong>in</strong>gehalten werden kann (vgl. Abbildung 16, S. 117). Sollten sie<br />

trotzdem zu spät kommen, ist e<strong>in</strong> Streit mit den Kunden nicht selten (IntMSE 16). Auch damit<br />

erhöhen sich die Transaktionskosten, die so nicht <strong>in</strong> jedem Fall unmittelbar auf <strong>in</strong>stitutionelle<br />

Konfigurationen zurückgeführt werden können.<br />

116


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Abbildung 16: Infrastrukturell bed<strong>in</strong>gte Unsicherheit e<strong>in</strong>es adäquaten Ansatzes. L<strong>in</strong>ks: Die Gruppe<br />

„Central Waste Unit“ auf blockierter Straße im Zentrum <strong>der</strong> Stadt. Rechts: Hauptzugang <strong>in</strong> das<br />

unwegsame Gebiet Thun<strong>der</strong> Hill im Osten Freetowns (eigene Fotos)<br />

E<strong>in</strong> weiteres <strong>in</strong>frastrukturell bed<strong>in</strong>gtes Problem, wird durch die Lokalisierung <strong>der</strong> Transit Sites<br />

verursacht. E<strong>in</strong>igen Angaben zu Folge würden mehr <strong>der</strong>artige Zwischenlagerstätten gebraucht,<br />

etwa <strong>in</strong> schon erwähntem Thun<strong>der</strong> Hill o<strong>der</strong> im weitläufigen Aberdeen im äußersten Westen <strong>der</strong><br />

Stadt (IntMSE 3, IntMSE 4, IntMSE 9, IntMSE 16, IntKS 16). So ist <strong>in</strong> diesen Fällen auf Grund<br />

<strong>der</strong> hohen Entfernung nur e<strong>in</strong>e begrenzte Anzahl <strong>von</strong> Touren möglich, da <strong>der</strong> Handkarren immer<br />

wie<strong>der</strong> an den Transit Sites entleert werden muss. Das MSE <strong>in</strong> Aberdeen (vgl. Abbildung 20, S.<br />

144) hat so schon zehn bis fünfzehn Kunden verloren, da es ihnen nicht möglich war, diese recht-<br />

zeitig zu bedienen (IntMSE 4). Die E<strong>in</strong>richtung weiterer Transit Sites ist aber problematisch, da,<br />

sollten diese <strong>in</strong> Mitten des Viertels o<strong>der</strong> nicht weit genug entfernt liegen, die Gefahr bestünde,<br />

dass die Bewohner ihren Müll selbst zu dem Transit Po<strong>in</strong>t br<strong>in</strong>gen. Die Gruppe würde Abonnen-<br />

ten und somit E<strong>in</strong>nahmen verlieren (IntMSE 3, IntMSE 12, PK 8).<br />

Des Weiteren ist die (Un-) Sicherheit <strong>der</strong> MSEs <strong>von</strong> <strong>der</strong> topographischen Lage <strong>der</strong> <strong>von</strong> ihnen<br />

bedienten Siedlungen abhängig. Vor allem nahe liegende Gewässer dienen als Entsorgungsmög-<br />

lichkeit (IntAbo 2, IntAbo 7, IntMSE 10, IntKS 5, IntKS 9, PK 8, darüber h<strong>in</strong>aus HAAS/ERNST<br />

1990: 139f.). Da dort oftmals (wie <strong>in</strong> den „Bays“) marg<strong>in</strong>alisierte Bevölkerungsgruppen leben,<br />

s<strong>in</strong>d Kunden <strong>in</strong> diesen Gebieten kaum zu akquirieren (vgl. Abbildung 15, S. 115, Abbildung 17, S.<br />

118, Abbildung 19, S. 120)<br />

117


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

Abbildung 17: Zugänglichkeit und Müllsituation e<strong>in</strong>es Marg<strong>in</strong>alviertels an e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> „Bays“ im<br />

Zentrum Freetowns (eigene Fotos)<br />

E<strong>in</strong> weiterer Großteil dieser lebt vor allem im Ostteil <strong>der</strong> Stadt (IntEx 4, IntMSE 14). Die Le-<br />

bensumstände s<strong>in</strong>d prekär (ABDULLAH 2002: 207, ZACK-WILLIAMS 2002: 297) und die MSEs<br />

unterliegen daher den schwierigen Bed<strong>in</strong>gungen, wie <strong>der</strong> schon dargestellten Reproduktion f<strong>in</strong>an-<br />

ziellen Mangels (IntKS 5, IntKS 15). Entsprechend an<strong>der</strong>s sieht die Lage im Zentrum und im<br />

Westen <strong>der</strong> Stadt aus, wie auch <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige größere Privatunternehmer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Abfallwirtschaft<br />

Freetowns berichtet (IntEx 4), <strong>der</strong> <strong>von</strong> se<strong>in</strong>en Kunden über 60% im Westen <strong>der</strong> Stadt, knapp 40%<br />

im Zentrum und ke<strong>in</strong>en im Osten hat: „I can foresee that the situation, that operation <strong>in</strong> the east is<br />

not good. I can’t use the vehicles <strong>in</strong> the east” (IntEx 4). Nicht nur deswegen s<strong>in</strong>d MSEs <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zig<br />

adäquate Ansatz <strong>in</strong> marg<strong>in</strong>alisierten Gebieten. Der Vorteil <strong>der</strong> Gruppen im Zentrum Freetowns<br />

liegt dar<strong>in</strong>, dass dort vor allem viele größere Geschäfte angesielt s<strong>in</strong>d, die im Gegensatz zu den<br />

Privathaushalten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel pünktlich bezahlen (IntMSE 7, IntMSE 12, IntMSE 13, IntKS 5,<br />

IntKS 15). Die Gruppen im Westen schließlich profitieren da<strong>von</strong>, dass hier wirtschaftlich poten-<br />

tere Bevölkerungsteile leben: Regierungsangestellte, Entwicklungshelfer, Hotels und Restaurants<br />

versprechen sichereres E<strong>in</strong>kommen und leichtere Akquirierung <strong>von</strong> Neukunden (IntEx 4, IntKS<br />

4, IntKS 5). Da es aber auch im Osten die Ziele erreichende Gruppen agieren, zeigt unter an<strong>der</strong>em<br />

die Gruppe „Sober Women“ (PK 8) und e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Kausalitätsbeziehung Raum – Leistung greift<br />

selbstredend zu kurz, da es Determ<strong>in</strong>anten wie „Verankerung des MSE <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung“ und<br />

„Organisation des MSE“ s<strong>in</strong>d, die über Erfolg und Misserfolg bestimmen.<br />

118


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

5.2.4 Reichweite <strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone<br />

„Services <strong>in</strong> low-<strong>in</strong>come areas rema<strong>in</strong> absent or irregular because of access difficulties and limited<br />

ability to pay“ (Rakodi 2002a: 322).<br />

Die Reichweite <strong>der</strong> Organisation ist zweifach determ<strong>in</strong>iert. Zunächst auf <strong>der</strong> Maßstabsebene <strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>zelnen Gebiete, die den Jugendgruppen zugewiesen s<strong>in</strong>d und darüber h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong>nerhalb des<br />

Gebietes. Mit 21 Jugendgruppen, die zunächst im Rahmen Kl<strong>in</strong> Salones aktiv wurden und dem<br />

Bestandteil <strong>der</strong> PPP deckte das FWMS 30% <strong>der</strong> nötigen Müllentsorgung ab, mit e<strong>in</strong>em noch of-<br />

fenen Potential <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Reichweite <strong>von</strong> 80 bis 90% (GTZ 2007b: 2, GTZ 2007c: 3). Kl<strong>in</strong> Salo-<br />

ne beschränkt sich auf <strong>der</strong> Maßstabsebene <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Gebiete nicht auf erfolgversprechende<br />

Räume, im Gegensatz zum privaten Sektor und möglicherweise auch großskalige Unternehmern,<br />

wie sie <strong>der</strong> Ansatz <strong>der</strong> Weltbank vorsieht. So haben nach Schätzungen etwa 60 bis 70% <strong>der</strong> Bevöl-<br />

kerung Zugang zu Kl<strong>in</strong> Salone, gemessen an dem Umstand, dass <strong>der</strong> Wohnort <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bedienten<br />

Gebiet liegt. Mount Aurel und Teile <strong>der</strong> Kroobay werden ebenso wie Lumley und Kissy nicht<br />

o<strong>der</strong> nur unzureichend versorgt (vgl. Abbildung 18, S. 119, IntKS 5, IntKS 12).<br />

vgl. Abbildung 19<br />

Freetown/Sierra Leone<br />

0 1 2 3km<br />

Abbildung 18: Übersichtskarte Freetown II (verän<strong>der</strong>t nach DACO/SLIS 2007)<br />

W<br />

N<br />

S<br />

O<br />

119


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

White Man’s Bay<br />

Syke Street<br />

Abbildung 19: Kartenausschnitt Freetown Central. Insbeson<strong>der</strong>e die nicht bebauten Bereiche an den<br />

Zuflüssen zu den „Bays“ s<strong>in</strong>d mittlerweile Siedlungsgebiete (verän<strong>der</strong>t nach DACO/SLIS 2007b).<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus ist die Reichweite auch <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Gebiete beschränkt. Etliche Räu-<br />

me wie die Squattersiedlungen an <strong>der</strong> Susan’s Bay, <strong>der</strong> Kroobay o<strong>der</strong> auch <strong>der</strong> White Man’s Bay<br />

s<strong>in</strong>d selbst mit den flexiblen Handkarren kaum o<strong>der</strong> gar nicht zugänglich (IntEx 1, vgl. Abbildung<br />

17, S. 118 und Abbildung 19, S. 120). Die so ohneh<strong>in</strong> schon <strong>in</strong>frastrukturell benachteiligten Ge-<br />

biete, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel <strong>von</strong> beson<strong>der</strong>s marg<strong>in</strong>alisierten Gruppen bewohnt s<strong>in</strong>d, werden somit wei-<br />

ter ausgeschlossen (IntKS 13). Exemplarisch zeigt sich diese B<strong>in</strong>nendifferenzierung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Ge-<br />

biet <strong>der</strong> Jugendgruppe KAFOGO im Westteil Freetowns. Alle ihrer Kunden bewohnen die „bes-<br />

seren“ (Ste<strong>in</strong>-) Häusern im Bereich <strong>der</strong> Syke Street <strong>in</strong> Ascension Town (vgl. Abbildung 19, S.<br />

120). In den Marg<strong>in</strong>alsiedlungen unmittelbar an <strong>der</strong> White Man’s Bay haben sie h<strong>in</strong>gegen ke<strong>in</strong>e<br />

Kunden, was nicht nur daran liegt, dass diese pr<strong>in</strong>zipiell weniger f<strong>in</strong>anzielle Mittel zur Verfügung<br />

haben und nicht gewillt wären Gebühren für Müllentsorgung zu bezahlen. Vielmehr ist es das<br />

Bestreben <strong>der</strong> MSEs, sicherlich auch vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> mangelnden Kapazitäten (Müllbe-<br />

hälter etc.), zunächst die wohlhabenden Teile <strong>der</strong> Bevölkerung zu gew<strong>in</strong>nen, wie eben jene <strong>der</strong> im<br />

Bereich <strong>der</strong> Syke Street wohnhaften, mehr Sicherheit garantierenden Anwohner (IntAbo 4, IntA-<br />

bo 7). Dem <strong>in</strong>dividuellen Nutzenkalkül folgend ist es natürlich verständlich, dass die MSEs <strong>der</strong>art<br />

handeln. Trotzdem droht auch hier die Gefahr auf, dass die Gew<strong>in</strong>nfunktion <strong>der</strong> Kle<strong>in</strong>unterneh-<br />

men bestimmte Räume gänzlich ausschließt.<br />

Kroo Bay<br />

Susan’s Bay<br />

W<br />

N<br />

S<br />

120<br />

0 250 500 750m<br />

O


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

5.2.5 Bewältigungsstrategien Kl<strong>in</strong> Salones<br />

E<strong>in</strong>ige Bewältigungsstrategien, die den Auswirkungen des Verhaltens <strong>der</strong> Bevölkerung im Allge-<br />

me<strong>in</strong>en und <strong>der</strong> Kunden im Beson<strong>der</strong>en begegnen sollen, wurden bereits aufgeführt, an<strong>der</strong>e sollen<br />

nun dargestellt werden. Sie zielen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie darauf ab, die Bedeutung <strong>der</strong> adäquaten Müllent-<br />

sorgung hervorzuheben, also <strong>in</strong>stitutionellen Wandels zu för<strong>der</strong>n. Auch die Formalisierung <strong>der</strong><br />

Vere<strong>in</strong>barung mit den Kunden kann dazu gezählt werden (vgl. Kapitel V.1.3, S. 71). Dafür s<strong>in</strong>d<br />

neben den Sales Agents <strong>der</strong> jeweiligen Jugendgruppen vor allem die Monitore zuständig. E<strong>in</strong>e<br />

ihrer Aufgaben ist <strong>der</strong> regelmäßige Besuch <strong>der</strong> Jugendgruppen, um geme<strong>in</strong>sam mit diesen Proble-<br />

me beim Umgang mit den Kunden aber auch <strong>der</strong> Bevölkerung zu lösen bzw. Werbung für Zwecke<br />

und Ziele Kl<strong>in</strong> Salones zu machen (IntMSE 3, IntKS 3, IntKS 14, PK 6). Bei Problemen mit<br />

Kunden werden diese durchaus häufig <strong>in</strong> gegenseitigem E<strong>in</strong>vernehmen aus <strong>der</strong> Welt geschaffen,<br />

wobei vorrangig Kommunikation Konflikte beheben soll (IntMSE 6, IntKS 7, IntKS 8, IntKS 11,<br />

PK 7). Sollten die Mechanismen <strong>der</strong> gegenseitigen Verständigung fehlschlagen, würden zunächst<br />

die Abfallbehälter wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>gezogen werden, als letztes Mittel greift die Benachrichtigung <strong>der</strong><br />

Polizei. Jedoch stellt dies ke<strong>in</strong>e ideale Lösung dar, weil sowohl Anbieter und Kunden <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben<br />

Community leben und daher an<strong>der</strong>e Konfliktlösungsmechanismen vorzuziehen s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong> <strong>der</strong>arti-<br />

ger E<strong>in</strong>griff würde die Motivation f<strong>in</strong>anzschwacher Kunden sich am System zu beteiligen schw<strong>in</strong>-<br />

den lassen, da sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Angst leben müssten auch bei unbeabsichtigter Nichtbezahlung Probleme<br />

zu bekommen (IntMSE 6).<br />

6. Nachhaltigkeit des neuen Regelwerks<br />

Die Frage nach den Determ<strong>in</strong>anten <strong>der</strong> Nachhaltigkeit <strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone sowie des<br />

maßgeblich <strong>von</strong> ihr bestimmten (neuen) <strong>in</strong>stitutionellen Rahmens <strong>der</strong> Müllentsorgung <strong>in</strong> Free-<br />

town wurde <strong>in</strong> den vorangegangenen Kapiteln schon implizit beantwortet, da es me<strong>in</strong>er Argu-<br />

mentation folgend die Institutionen bzw. <strong>der</strong>en spezifische Konfiguration ist, die den Erfolg bzw.<br />

Misserfolg <strong>der</strong> wirtschaftenden Akteure ausmachen. Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d die Mitarbeiter und<br />

Mitglie<strong>der</strong> Kl<strong>in</strong> Salones als handelende Akteure die wesentlichen Faktoren, die neben den <strong>in</strong>stitu-<br />

tionellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen die Nachhaltigkeit <strong>der</strong> Organisation respektive des Regelwerks<br />

bestimmen. Sie s<strong>in</strong>d nur solange bereit den <strong>in</strong>stitutionellen Wandel voranzutreiben und das Sys-<br />

tem Kl<strong>in</strong> Salone zu legitimieren, als dieses Vorteile für sie selbst verspricht. Als e<strong>in</strong> Indikator für<br />

121


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

die Legitimität dieses System können me<strong>in</strong>es Erachtens die assets des Livelihood-Ansatzes heran-<br />

gezogen werden.<br />

6.1 Kl<strong>in</strong> Salone - Neue nachhaltige Lebenswelten?<br />

„I am happy, because I have never had so much money. I was just a casual labourer <strong>in</strong> the street.<br />

Kl<strong>in</strong> Salone created employment for me. God Bless them. I hope it will last long […] It is a great,<br />

great help. […] My salary is 150.000 Leones. It is not enough. A bag of rice is 80 000 Leones.<br />

The rent for a s<strong>in</strong>gle room is 20 000 Leones. Then you have to eat and the transport. My wife<br />

helps with sell<strong>in</strong>g domestic stuff” (IntMSE 15).<br />

Nahezu alle Befragten gaben an, dass mit <strong>der</strong> Etablierung Kl<strong>in</strong> Salones ihr Lebensstandard stieg.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs wird häufig da<strong>von</strong> ausgegangen, dass das Gehalt <strong>von</strong> 150 000 Le <strong>in</strong> den Monaten <strong>der</strong><br />

Vorf<strong>in</strong>anzierungsphase die Normalität darstellt. Jedoch ist festzustellen, dass mit Auslauf <strong>der</strong> An-<br />

schubunterstützung auch die E<strong>in</strong>kommen deutlich niedriger wurden, da diese sich nun nach den<br />

tatsächlich erzielten E<strong>in</strong>nahmen richten. Diese versprechen erst wie<strong>der</strong> anzusteigen, wenn <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong>stitutionelle Wandel weiter vorangetrieben worden ist. Es kann also da<strong>von</strong> ausgegangen werden,<br />

dass zunächst über wenige Monate relativ viel F<strong>in</strong>anzkapital zur Verfügung steht, ehe es dann mit<br />

dem Ende <strong>der</strong> Vorf<strong>in</strong>anzierung deutlich abs<strong>in</strong>kt, um dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft <strong>in</strong> Folge des <strong>in</strong>stitutio-<br />

nellen Wandels bestenfalls kont<strong>in</strong>uierlich zu steigen. Dass gerade das Ende <strong>der</strong> Vorf<strong>in</strong>anzierung<br />

e<strong>in</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung für die Livelihood des Individuums und damit die Legitimität des gesamten<br />

Systems darstellt, ist e<strong>in</strong> sehr <strong>in</strong>teressanter Aspekt, konnte aber nicht Gegenstand <strong>der</strong> empirischen<br />

Erhebungen werden, da diese kurz vor bzw. während eben jener Umbruchphase stattfanden.<br />

Doch zunächst ist die Etablierung Kl<strong>in</strong> Salone mit e<strong>in</strong>er signifikanten Verbesserung <strong>der</strong> Liveli-<br />

hood nahezu aller Beteiligten verbunden. Viele <strong>der</strong> Arbeiter <strong>der</strong> Jugendgruppen trugen vor <strong>der</strong><br />

Etablierung Kl<strong>in</strong> Salones im besten Fall mit unregelmäßigen, unsicheren Beschäftigungen zur<br />

Sicherung ihres Überlebens bei und so s<strong>in</strong>d 150 000 Le <strong>in</strong> aller Regel mehr als sie jemals zuvor<br />

verdient haben (IntMSE 3, IntMSE 4, IntMSE 6, IntMSE 7, IntMSE 8, IntMSE 9, IntMSE 10,<br />

IntMSE 11, IntMSE 13, IntMSE 14, IntMSE 15, IntMSE 16, IntKS 2, IntKS 4, IntKS 8). E<strong>in</strong>ige<br />

konnten die E<strong>in</strong>nahmen sogar als Anschubf<strong>in</strong>anzierung für an<strong>der</strong>e Geschäfte nutzen: „A lot of<br />

people have resigend s<strong>in</strong>ce the start of the program or have saved money and started another bus<strong>in</strong>ess“<br />

(IntEx 2). Dennoch dürfte es vor allem die (zu erwartende) Regelmäßigkeit <strong>der</strong> Zahlung des Ge-<br />

haltes se<strong>in</strong>, die entsprechend des Primates des Stabilitätsorientierung gegenüber <strong>der</strong> E<strong>in</strong>kom-<br />

mensmaximierung (vgl. Kapitel V.5.2.1, S. 111), den entscheidenden Beitrag liefert. So berichtet<br />

122


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

auch ROUSE (2004: 7 auch IntMSE 6) <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Studie zur E<strong>in</strong>beziehung <strong>von</strong> <strong>in</strong>formellen Müll-<br />

sammlern <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Door-to-Door-Abfallbeseitigungssystem aus Hy<strong>der</strong>abad/Indien:<br />

“The employees now feel that, while the job has not necessarily made them much better off f<strong>in</strong>ancially,<br />

they enjoy much more stability and security”.<br />

Denn genauso wie e<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> nun im Rahmen Kl<strong>in</strong> Salones tätigen Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> MSEs<br />

angibt, e<strong>in</strong>e Verbesserung <strong>der</strong> Lebensumstände erfahren zu haben, wird im gleichen Atemzug<br />

genannt, dass das E<strong>in</strong>kommen zu ger<strong>in</strong>g sei. So müssen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Multiokkupationalität<br />

(KERSTING/SPERBERG 1999: 185) weitere Quellen, formeller wie <strong>in</strong>formeller Natur, zur Überle-<br />

benssicherung herangezogen werden. Die Abhängigkeit <strong>von</strong> sozialen Netzwerken <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong><br />

Krisen bleibt bestehen (IntMSE 3, IntMSE 4, IntMSE 10, IntMSE 11, IntMSE 12, IntMSE 13,<br />

IntKS 1, IntKS 2, IntKS 4, IntKS 9, IntKS 15, IntKS 19). Mit zu erwartendem und tatsächlichem<br />

Abs<strong>in</strong>ken <strong>der</strong> E<strong>in</strong>nahmen nach <strong>der</strong> Vorf<strong>in</strong>anzierungsphase könnte die Legitimität des Systems<br />

Kl<strong>in</strong> Salone s<strong>in</strong>ken und soziale Netzwerke an Bedeutung gew<strong>in</strong>nen, die so <strong>in</strong> Konkurrenz zu <strong>der</strong><br />

Organisation treten und <strong>der</strong>en Erfolg bee<strong>in</strong>flussen könnten.<br />

Kl<strong>in</strong> Salone ist zunächst e<strong>in</strong> Ansatz zur Verbesserung <strong>der</strong> ökonomischen Situation <strong>von</strong> Kle<strong>in</strong>stun-<br />

ternehmern. Nichtdestotrotz wird nicht ausschließlich das F<strong>in</strong>anzkapital <strong>der</strong> Akteure erhöht,<br />

son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong>en Humankapital <strong>in</strong> Form <strong>von</strong> gesellschaftlicher Anerkennung und persönlicher<br />

Zufriedenheit steigt und wirkt legitimitätserhöhend:<br />

„After the war, most youth groups were not organised and stabilised. Most of them dropped out of<br />

school and were used to drugs. You have to encourage them to drive out of the ghetto to become<br />

part of society” (IntKS 15).<br />

Nicht zuletzt durch e<strong>in</strong>e Re<strong>in</strong>tegration <strong>in</strong> die Gesellschaft g<strong>in</strong>g <strong>der</strong> Drogen- und Alkoholkonsum<br />

zurück (IntKS 1, IntKS 4). Die Erhöhung des Humankapitals erfolgt weiterh<strong>in</strong> über die Ausbil-<br />

dung durch Kl<strong>in</strong> Salone, <strong>von</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong> Monitor berichtet (für ähnliche Projekte ROUSE 2004: 7)<br />

„Even if Kl<strong>in</strong> Salone decides to leave me, I have someth<strong>in</strong>g on my own privately. It teaches me,<br />

how to talk to customers, how to encourage them <strong>in</strong> the system. I know how to prepare f<strong>in</strong>ancial<br />

transaction. It is useful for commercial stream” (IntKS 6).<br />

E<strong>in</strong>e entscheidende Verbesserung <strong>in</strong> <strong>der</strong> persönlichen Livelihood <strong>der</strong> Arbeiter erfolgte im psycho-<br />

sozialen Bereich (IntMSE 3, IntMSE 6, IntMSE 8, IntMSE 14, IntMSE 16, IntKS 1, IntKS 3,<br />

IntKS 4, IntKS 6, IntKS 11, IntKS 14). Vielfach werden Personen, die im Bereich <strong>der</strong> Abfallwirt-<br />

123


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

schaft tätig s<strong>in</strong>d, als gesellschaftliche Außenseiter wahrgenommen und diskrim<strong>in</strong>iert (ROUSE<br />

2004: 7). Dies galt für die Arbeiter <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone nur zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Tätigkeiten (IntKS 10). Sie<br />

werden nun, ob ihres Beitrages zur Verbesserung <strong>der</strong> Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Bürger Freetowns<br />

geschätzt (vgl. Kapitel V.5.1.2, S. 107). Darüber h<strong>in</strong>aus gilt e<strong>in</strong>e Arbeitsstelle bei <strong>der</strong> Organisation<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Staat mit kaum formalen Beschäftigungsmöglichkeiten durchaus als prestigeerhöhend<br />

und die gesellschaftliche bzw. familiäre Wertschätzung und Akzeptanz steigt (IntMSE 3, IntMSE<br />

6, IntMSE 8, IntKS 3, IntKS 4):<br />

„I feel good to be part of Kl<strong>in</strong> Salone, because I was do<strong>in</strong>g my bus<strong>in</strong>ess and decide to jo<strong>in</strong> Kl<strong>in</strong> Salone<br />

as a national development th<strong>in</strong>g. People praise me, give me respect. I don’t feel any k<strong>in</strong>d of<br />

difficulties to the people. They see that we are do<strong>in</strong>g a good job” (IntMSE 8).<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus schafft die Integration <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft nicht nur Sozialkapital, das bei kri-<br />

senhaften Entwicklungen Handlungsmöglichkeiten eröffnet, son<strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong> gewisses Zugehö-<br />

rigkeitsgefühl (IntMSE 6, IntKS 1, IntKS 3, IntKS 6, IntKS 11):<br />

„The ma<strong>in</strong> advantage is that I now engage myself. I am not sitt<strong>in</strong>g <strong>in</strong> the community […] discuss<strong>in</strong>g<br />

and mak<strong>in</strong>g idle talks. Early <strong>in</strong> the morn<strong>in</strong>g I know that I have somewhere to go” (IntKS 6).<br />

Diese Aspekte haben ebenso wie die Arbeitsstelle an sich Rückwirkungen auf das persönliche<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den (IntMSE 14, IntMSE 16, IntKS 6), das durchaus, wenn auch kaum empirisch veri-<br />

fizierbare Rückwirkungen auf die Abfe<strong>der</strong>ungskapazität beim Umgang mit Krisen und schwieri-<br />

gen Lebensbed<strong>in</strong>gungen hat.<br />

6.2 Leistungen <strong>der</strong> MSEs<br />

In <strong>der</strong> Door-to-Door-Komponente <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone s<strong>in</strong>d gegenwärtig 252 Personen beschäftigt,<br />

<strong>in</strong>klusive aller MSEs und Monitore (IntKS 15). Der Erfolg <strong>der</strong> MSEs, das wurde deutlich, ist maß-<br />

geblich durch die dargestellten <strong>in</strong>stitutionellen Konfigurationen bestimmt, die sich alles an<strong>der</strong>e als<br />

positiv auf die Tätigkeiten <strong>der</strong> MSEs auswirken. In vielen Fällen ist anzunehmen, dass die e<strong>in</strong>zel-<br />

nen Arbeiter nach Ablauf <strong>der</strong> Vorf<strong>in</strong>anzierungsphase nicht die vormalige <strong>von</strong> 150 000 Le verdie-<br />

nen werden. Vielmehr ist festzustellen, dass e<strong>in</strong> nicht unbeachtlicher Teil dieser MSEs es nicht<br />

schafft dieses angestrebte E<strong>in</strong>kommen (das ja ohneh<strong>in</strong> als zu niedrig wahrgenommen wird, vgl.<br />

Kapitel V.6.1, S. 122) zu erwirtschaften, geschweige denn e<strong>in</strong>en 5%igen Beitrag zur F<strong>in</strong>anzierung<br />

<strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone zu leisten. Die Zielvorgabe ist die Erwirtschaftung e<strong>in</strong>es Gesamtbe-<br />

trages <strong>von</strong> 1,5 Millionen Le im Monat, wo<strong>von</strong> 900 000 Le als Gehalt für die Gruppenmitglie<strong>der</strong><br />

124


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

und <strong>der</strong> Überschuss als Rücklagen für Material und die F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong> Aktivitäten <strong>der</strong> Organi-<br />

sation Kl<strong>in</strong> Salone dienen soll (IntKS 15). Von den ursprünglichen 20 Gruppen erreicht ke<strong>in</strong>e<br />

dieses Ziel (IntKS 16). „Central Waste“, die beste Gruppe mit äußerst günstigen Voraussetzungen<br />

erreichte 1,2 Millionen Leones monatlich, das zweithöchste E<strong>in</strong>kommen erwirtschaftete „East<br />

End Youth“. Zwei weitere Gruppen schaffen ca. e<strong>in</strong>e Million Leones (IntKS 16). Insgesamt s<strong>in</strong>d<br />

lediglich sechs bis sieben <strong>der</strong> zwanzig ersten <strong>in</strong> Kl<strong>in</strong> Salone aufgenommenen MSEs fähig, die Ge-<br />

hälter für die Gruppe zu bezahlen, jedoch nur Dank <strong>der</strong> Rücklagen, die sie während <strong>der</strong> Phase <strong>der</strong><br />

Anschubf<strong>in</strong>anzierung anlegen konnten. Die an<strong>der</strong>en Gruppen werden e<strong>in</strong>en deutlichen Rückgang<br />

<strong>der</strong> Gehälter zu verzeichnen haben (IntMSE 6, IntMSE 7, IntEx 2, IntKS 13, PK 1, PK 6, PK 8).<br />

E<strong>in</strong>ige MSEs schaffen es nicht e<strong>in</strong>mal 500 000 Le zu erwirtschaften, was als Aufnahmekriterium<br />

verlangt war (IntMSE 6, PK 8). Es ist möglich, dass das Vorhandse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er den Kriterien entspre-<br />

chenden Kundenzahl vorgetäuscht wurde (IntKS 3). Darüber h<strong>in</strong>aus trafen im Juli, August und<br />

September die Krisenereignisse Wahlen und Regenzeit aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> 58 , so dass e<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong><br />

Gruppen im August nicht ausreichend E<strong>in</strong>kommen generieren konnte (IntKS 14, IntKS 15). Von<br />

den 20 Gruppen, bei denen die Vorf<strong>in</strong>anzierung bereits abgelaufen ist, werden <strong>der</strong>zeit bei acht<br />

Gruppen Untersuchungsverfahren wegen Misswirtschaft durchgeführt (IntKS 3). Auch die Leis-<br />

tung <strong>der</strong> Jugendgruppen ist räumlich zu verorten: Im Osten arbeiten sieben <strong>von</strong> fünfzehn Grup-<br />

pen sehr gut, im Bereich „Central“ s<strong>in</strong>d es neun <strong>von</strong> sechzehn und im Westen sieben <strong>von</strong> acht<br />

(IntKS 5).<br />

Die mediz<strong>in</strong>ische Hilfe läuft mit Ende <strong>der</strong> Vorf<strong>in</strong>anzierungsphase ebenso wie die Gehaltszahlung<br />

aus, was nicht ausreichend kommuniziert wurde (IntMSE 9, IntMSE 11, IntMSE 13, IntKS 3,<br />

IntKS 8, IntKS 9, IntKS 10, PK 1, PK 7, PK 8). E<strong>in</strong>e so nötige Risikoproduktion f<strong>in</strong>det somit<br />

möglicherweise nicht statt. Darüber h<strong>in</strong>aus sollte anzunehmen se<strong>in</strong>, dass für Gruppen, die es nach<br />

Ablauf <strong>der</strong> Vorf<strong>in</strong>anzierungsphase nicht geschafft haben, nachhaltiges Wirtschaften <strong>in</strong> Gang zu<br />

setzen, <strong>der</strong> Stress weiter zunimmt: Auf Grund mangeln<strong>der</strong> E<strong>in</strong>nahmen wird beschädigtes Material<br />

nicht ersetzt werden können, das <strong>in</strong> vielen Fällen ohneh<strong>in</strong> bereits <strong>in</strong> schlechtem Zustand ist. Die<br />

Leistungsfähigkeit <strong>der</strong> Gruppen wird weiter bee<strong>in</strong>trächtigt (IntMSE 3, IntMSE 4, IntMSE 6,<br />

58 Für beide Ereignisse konnte im Vorfeld nur e<strong>in</strong>geschränkt Risiko „produziert“ werden, da sich Kl<strong>in</strong> Salone erst <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em ersten Jahr befand und daher noch ke<strong>in</strong>e Erfahrung mit diesen Situationen machen konnte.<br />

125


Empirische Ergebnisse: Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown - Potentiale und Grenzen Kl<strong>in</strong> Salones<br />

IntMSE 11, IntMSE 13, IntMSE 14, IntMSE 16, IntKS 2, IntKS 3, IntKS 9, IntKS 10, IntKS 11,<br />

PK 7, PK 8).<br />

6.3 Abhängigkeiten <strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone<br />

[Kl<strong>in</strong> Salone] is a new born child, we have to nurse” (IntMSE 9).<br />

Gegenwärtig, vor allem vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> Leistung <strong>der</strong> MSEs und den sich daraus erge-<br />

benden fehlenden E<strong>in</strong>nahmen <strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone – an<strong>der</strong>e E<strong>in</strong>kommensquellen s<strong>in</strong>d<br />

zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht akquiriert – wirtschaftet die Organisation als Ganzes noch<br />

nicht nachhaltig und wird <strong>der</strong>zeit ausschließlich durch die GTZ f<strong>in</strong>anziert (IntKS 12). Der Ge-<br />

schäftsplan sieht vor, dass die Gruppen <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone e<strong>in</strong>en durch die Verfassung festgelegten<br />

Betrag <strong>von</strong> etwa 5% <strong>der</strong> eigenen E<strong>in</strong>nahmen zur F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong> Organisation aufbr<strong>in</strong>gen sollen<br />

(IntEx 2, IntKS 3, IntKS 12, KLIN SALONE 2006: 7). Derzeit ist die Organisation so komplett <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> GTZ (IntKS 2, PK 8) abhängig. Schlussendlich kann die neue Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown<br />

<strong>der</strong>zeit noch <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Fall als nachhaltig bezeichnet werden. Da<strong>von</strong> war auch nicht auszugehen,<br />

da die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>in</strong>stitutionellen Konfiguration, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> <strong>in</strong>formellen Regelwerke<br />

(<strong>in</strong>stitutioneller Wandel) nicht kurzfristig erfolgen kann (vgl. Kapitel II.2.2, S. 15). Auch die so-<br />

zioökonomischen Determ<strong>in</strong>anten und damit weitere strukturelle Faktoren s<strong>in</strong>d nicht über Nacht<br />

zu än<strong>der</strong>n, so dass e<strong>in</strong>e langwierige Anstrengung bis zur nachhaltigen Etablierung Kl<strong>in</strong> Salone<br />

angenommen werden muss.<br />

126


Abschließende Anmerkungen<br />

VI. Abschließende Anmerkungen<br />

1. Zusammenfassung: Potentiale und Grenzen <strong>der</strong> Organisation Kl<strong>in</strong> Salone<br />

„<strong>Organisatorischer</strong> <strong>Zusammenschluss</strong> <strong>von</strong> <strong>Kle<strong>in</strong>unternehmen</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Abfallwirtschaft Free-<br />

towns/Sierra Leone − Potentiale und Grenzen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Raum unsicherer <strong>in</strong>stitutioneller Konfigura-<br />

tionen“. Gegenstand dieser Untersuchung war die <strong>von</strong> <strong>der</strong> GTZ <strong>in</strong>itiierte Organisation Kl<strong>in</strong> Salo-<br />

ne. Diese verfolgt e<strong>in</strong>e duale Zielsetzung: Zum e<strong>in</strong>en sollen Jugendliche <strong>in</strong> nachhaltige Kreisläufe<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Abfallwirtschaft Freetowns <strong>in</strong>tegriert werden, so dass diese sich e<strong>in</strong> eigenes E<strong>in</strong>kommen<br />

erwirtschaften können. Zum an<strong>der</strong>en sollen sie so e<strong>in</strong>en Beitrag zur Verbesserung <strong>der</strong> Müllsituati-<br />

on <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hauptstadt leisten. Zur Bewertung <strong>der</strong> Wirksamkeit dieses Instruments <strong>der</strong> Entwick-<br />

lungszusammenarbeit musste zunächst folgende forschungsleitende Frage beantwortet werden:<br />

Welche Vorteile bzw. Potentiale bietet die Organisation Kl<strong>in</strong> Salone ihren Mitglie<strong>der</strong>n bei<br />

<strong>der</strong> Durchführung ihrer Aktivitäten im Bereich <strong>der</strong> Abfallwirtschaft Freetowns?<br />

Dazu wurde zunächst gezeigt, dass zwar die Organisation Kl<strong>in</strong> Salone an sich e<strong>in</strong>e Neuschöpfung<br />

ist, Akteure <strong>der</strong> Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Freetown aber schon zuvor ihren Tätigkeiten nachg<strong>in</strong>gen. Als<br />

Zusammenschlüsse des privaten Sektors leisteten sie bei fast gänzlicher Leistungsunfähigkeit <strong>der</strong><br />

öffentlichen Abfallwirtschaft e<strong>in</strong>en Beitrag zur Urban Governance <strong>in</strong> Freetown. Nach Ende des<br />

Krieges erkannten die Akteure <strong>der</strong> deutschen Entwicklungszusammenarbeit auf dieser Basis e<strong>in</strong>e<br />

Möglichkeit, die Abfallproblematik <strong>in</strong> Freetown zu lösen bzw. zum<strong>in</strong>dest abzuschwächen. Dazu<br />

mussten die Aktivitäten des privaten Sektors <strong>in</strong>wertgesetzt werden. Zur Identifizierung vorhan-<br />

dener Problemlösungsmechanismen können die die Debatte beherrschenden Staatszerfallskon-<br />

zepte allerd<strong>in</strong>gs nur wenig beitragen (HYDEN 2004: 703). Mit dem Staat im Mittelpunkt <strong>der</strong> Be-<br />

trachtung werden nur dessen Defizite analysiert. Gerade für die Entwicklungszusammenarbeit ist<br />

es aber <strong>von</strong> essentieller Bedeutung auch die nicht auf den ersten Blick sichtbaren Regelwerke ge-<br />

sellschaftlicher Interaktion zu erkennen (BERNER/PHILLIPS 2004: 511). Diese bilden bei nach wie<br />

vor unzureichen<strong>der</strong> staatlicher Leistungsfähigkeit das Potential zur Verbesserung <strong>der</strong> Lebensbe-<br />

d<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Bevölkerung (SCHEINBERG 2001: 11). Durch die E<strong>in</strong>beziehung „gewachsener“<br />

Institutionen kann sich die Entwicklungszusammenarbeit darüber h<strong>in</strong>aus dem Vorwurf erwehren,<br />

sich nur <strong>der</strong> eigenen Rezepte zu bedienen und die lokale Bevölkerung zu übergehen. Gerade vor<br />

dem H<strong>in</strong>tergrund des Paradigmas <strong>der</strong> Nachhaltigkeit würde sich sonst noch dr<strong>in</strong>glicher die Frage<br />

127


Abschließende Anmerkungen<br />

stellen, ob externe, durch die durchsetzungsmächtigen Geber e<strong>in</strong>geführte Regelwerke nachhaltig<br />

se<strong>in</strong> können bzw. ob sie die gewünschten Effekte haben, da sie ja „oktroyierte“ Institutionen und<br />

daher, entsprechend den theoretischen Ausführungen, weniger stabil s<strong>in</strong>d.<br />

Durch die Gründung <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone wurde für die vormals oft <strong>in</strong>formell agierenden Akteure des<br />

privaten Sektors e<strong>in</strong> Dach geschaffen, unter dem die Erfolgsaussichten <strong>der</strong> nun formellen MSEs<br />

erheblich verbessert wurden. Die Mitarbeiter dieser Unternehmen stammen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel aus e<strong>in</strong>er<br />

Jugendorganisation, die dort ansässig ist, wo auch die MSEs ihren Tätigkeiten nachgehen. Durch<br />

diesen partizipativen Ansatz erhöhen sich die Legitimität Kl<strong>in</strong> Salones und die Erfolgsaussichten<br />

<strong>der</strong> beteiligten MSEs (dazu MULLER/HOFFMANN 2001: 7f.). Kl<strong>in</strong> Salone versucht im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong><br />

Theorie <strong>der</strong> NIÖ als organisatorischer <strong>Zusammenschluss</strong> im Rahmen <strong>der</strong> vorhandenen Instituti-<br />

onen ihre Mitglie<strong>der</strong> dabei zu unterstützen, möglichst erfolgreich zu wirtschaften. Dazu stellt sie<br />

den MSEs als Anschubf<strong>in</strong>anzierung die notwendigen assets bereit, so dass diese ihre Tätigkeiten<br />

durchführen können. Darüber h<strong>in</strong>aus will Kl<strong>in</strong> Salone durch Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit<br />

den <strong>in</strong>stitutionellen Rahmen zu Gunsten <strong>der</strong> MSEs bee<strong>in</strong>flussen bzw. überhaupt erst schaffen.<br />

Diese Möglichkeiten <strong>in</strong>stitutionellen Wandel bzw. Institution-Build<strong>in</strong>g voranzutreiben und damit<br />

die Transaktionskosten <strong>der</strong> am Regelwerk beteiligten Akteure zu senken, wurde auf Basis <strong>der</strong><br />

North’schen Konzeption <strong>der</strong> NIÖ h<strong>in</strong>reichend erklärt. Die Handlungswirkmacht (agency) zur<br />

Verän<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> Institutionen ist jedoch nur e<strong>in</strong>e Seite <strong>der</strong> die Gesellschaft prägende Medaille.<br />

Denn trotz dieser Hilfen muss festgestellt werden, dass e<strong>in</strong>e Mehrzahl <strong>der</strong> MSEs Schwierigkeiten<br />

hat genügend E<strong>in</strong>nahmen zu erzielen, um damit Kl<strong>in</strong> Salone zu f<strong>in</strong>anzieren und um e<strong>in</strong>en ausrei-<br />

chenden Beitrag zur Überlebensökonomie <strong>der</strong> Arbeiter zu leisten. Daraus ergab sich die zweite<br />

forschungsleitende Frage dieser Untersuchung:<br />

Welche Determ<strong>in</strong>anten bee<strong>in</strong>flussen die Tätigkeiten und den Erfolg <strong>der</strong> unter Kl<strong>in</strong> Salone<br />

zusammengeschlossenen Akteure und somit die Müllsituation <strong>in</strong> Freetown?<br />

Damit müssen die Strukturen <strong>in</strong> den Blick genommen werden, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Rahmen die MSEs Kl<strong>in</strong><br />

Salones handeln. Auch hier lohnt e<strong>in</strong> kritischer Blick auf Staatszerfallkonzepte. So konnte das<br />

fehlende formelle Regelwerk (<strong>in</strong>stitutionelle Leere) im Bereich <strong>der</strong> Abfallwirtschaft <strong>in</strong> Free-<br />

town/Sierra Leone als e<strong>in</strong>e Ursache identifiziert werden, welche dazu führt, dass die Bevölkerung<br />

nur e<strong>in</strong>geschränkt bereit ist, ihren Müll gegen Gebühr entsorgen zu lassen. Noch entscheiden<strong>der</strong><br />

s<strong>in</strong>d jedoch parallel existierende Regelwerke (<strong>in</strong>stitutionelle Opulenz). Auch sie nehmen E<strong>in</strong>fluss<br />

128


Abschließende Anmerkungen<br />

auf den Erfolg <strong>der</strong> MSEs. Die Ausprägung <strong>von</strong> Regelpluralismen, so die Argumentation dieser<br />

Untersuchung, ist neben <strong>in</strong>stitutionelle Leere die idealtypische Konfiguration <strong>von</strong> Regelwerken <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Raumes sich konsolidieren<strong>der</strong> aber immer noch prekarisierter Staatlichkeit. Parallel vor-<br />

handene Institutionen konterkarieren sich nicht selten und erhöhen die Transaktionskosten <strong>der</strong><br />

sich auf sie beziehenden Akteure.<br />

Dies wurde unter an<strong>der</strong>em mit den konfligierenden Institutionen des politischen Systems (SLPP<br />

vs. APC) und den unkoord<strong>in</strong>ierten Ansätzen <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit (Weltbank vs.<br />

GTZ, UNDP vs. GTZ) und <strong>der</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf das System Kl<strong>in</strong> Salone gezeigt. Räume prekarisier-<br />

ter, sich allmählich konsolidieren<strong>der</strong> Staatlichkeit werden im Nachgang <strong>von</strong> Konflikten als „loh-<br />

nen<strong>der</strong>“ Gegenstand verschiedenster Akteure und Ideologien <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit<br />

identifiziert und vielfach <strong>in</strong> „Projektlandschaften“ verwandelt. Diese treffen dort, zum<strong>in</strong>dest im<br />

Falle Sierra Leones, auf e<strong>in</strong> zwar durchaus reformbereites politisches System, das aber noch deut-<br />

lich fragmentiert und nach wie vor <strong>von</strong> <strong>in</strong>formellen Praktiken durchdrungen ist. Entlang <strong>der</strong> im-<br />

mer noch vorhandenen klientelistischen L<strong>in</strong>ien wollen unterschiedlichste Akteure <strong>von</strong> den Zu-<br />

wendungen <strong>der</strong> Geber profitieren (HANLON 2005: 461). Diese Fragmentierung des politischen<br />

Bereiches, ergänzt um unkoord<strong>in</strong>ierte Maßnahmen <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit, bleibt, wie<br />

am Beispiel <strong>von</strong> Akteuren <strong>der</strong> Abfallwirtschaft dargestellt, nicht ohne Auswirkungen auf die Go-<br />

vernance-Leistung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Raum und die sich dar<strong>in</strong> reproduzierenden Akteure. An dieser Stelle<br />

schaffte es die Organisation aber auch durch Lobbyarbeit und Druck gegenüber den politischen<br />

Entscheidungsträgern den <strong>in</strong>stitutionellen Rahmen zu eigenen Gunsten zu gestalten. Der<br />

„Kampf“ Kl<strong>in</strong> Salones gegen das sche<strong>in</strong>bar übermächtige Weltbankkonzept ist nur e<strong>in</strong> Beispiel,<br />

das zeigt, dass Strukturen und Handlungswirkmacht nicht statisch s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

ständigen Wechselspiel kont<strong>in</strong>uierlich gegenseitig bee<strong>in</strong>flussen.<br />

Auch soziale Netzwerke s<strong>in</strong>d Ausdruck <strong>von</strong> Staatsprekarisierungsprozessen. Diese sich <strong>in</strong> diesem<br />

Umfeld entwickelten Institutionen s<strong>in</strong>d nicht nur zentraler Bestandteil gesellschaftlicher Repro-<br />

duktion, son<strong>der</strong>n konterkarieren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er nicht unwesentlichen Zahl <strong>von</strong> Fällen den Erfolg <strong>der</strong><br />

unmittelbar geför<strong>der</strong>ten Akteure. Darüber h<strong>in</strong>aus stimmen diese nicht immer <strong>in</strong> Gänze mit <strong>der</strong><br />

beabsichtigten Zielgruppe übere<strong>in</strong>. Maßnahmen <strong>der</strong> EZ erfor<strong>der</strong>n daher stetige Modifikationen<br />

im Verhältnis <strong>von</strong> implementierten (Kl<strong>in</strong> Salone) und gewachsenen Institutionen (soziale Netz-<br />

werke). Letztere aber s<strong>in</strong>d im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> NIÖ weit weniger zu bee<strong>in</strong>flussen, so dass<br />

anzuraten ist, diese <strong>in</strong> die Ansätze zu <strong>in</strong>tegrieren. Das gilt selbstredend nicht für Korruption und<br />

129


Abschließende Anmerkungen<br />

Klientelismus. Beides s<strong>in</strong>d Ursache und Folge <strong>von</strong> Prekarisierungsprozessen und bleiben nicht<br />

ohne Auswirkungen auf neu geschaffene (und auch vorhandene) Organisationen und ihre Be-<br />

standteile. Diese <strong>in</strong>formellen Praktiken, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die endemische Korruption, müssen besei-<br />

tigt werden, was aber bei e<strong>in</strong>em nicht reformwilligen politischen System und gleichzeitig <strong>in</strong>konse-<br />

quenter Entwicklungszusammenarbeit e<strong>in</strong> aussichtsloser Kampf ist (HANLON 2005: 465).<br />

2. Grenzen und Mehrwert <strong>der</strong> NIÖ im Rahmen <strong>der</strong> Entwicklungsforschung<br />

In <strong>der</strong> vorliegenden Studie wurde <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluss <strong>von</strong> Regelwerken auf die Wirtschaftstätigkeit <strong>von</strong><br />

MSEs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Raum unsicherer <strong>in</strong>stitutioneller Konfigurationen untersucht. Die relevanten<br />

Institutionen wurden identifiziert und <strong>in</strong> ihrer Wirkung analysiert. In dieser H<strong>in</strong>sicht bot die für<br />

sozialgeographische Fragestellungen fruchtbar gemachte NIÖ e<strong>in</strong> adäquates Analyse<strong>in</strong>strument<br />

zur Erklärung und Deutung des erhobenen Materials.<br />

Es wurde aber auch dargelegt, dass es nicht <strong>in</strong> jedem Fall zielführend ist, ausschließlich <strong>in</strong>stitution-<br />

zentrierte Ansätze zur Erklärung <strong>von</strong> Entwicklung heranzuziehen. Zwar s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>stitutionelle Kon-<br />

figurationen bei <strong>der</strong> Ausprägung sozialer Dilemmata beteiligt (fehlende Gesetze und Bestrafung,<br />

Idee des Wohlfahrtstaates). Jedoch s<strong>in</strong>d es darüber h<strong>in</strong>aus greifende E<strong>in</strong>flussfaktoren, die als „Ka-<br />

talysatoren“ <strong>der</strong> Erhöhung <strong>von</strong> Unsicherheiten für die MSEs identifiziert werden können: die<br />

Regenzeit, Wahlen und somit externe Krisenereignisse. Auch die <strong>in</strong>frastrukturelle Situation o<strong>der</strong><br />

die spezielle Topographie des Wohnumfeldes <strong>der</strong> Bevölkerung begünstigen die Ausprägung sozia-<br />

ler Dilemmata, die trotzdem zu aller erst Folge <strong>von</strong> fehlenden gesellschaftlichen Regelwerken s<strong>in</strong>d<br />

und durch Schaffung <strong>von</strong> Institutionen beseitigt werden können.<br />

Trotz dieser kle<strong>in</strong>en Schwäche konnte <strong>in</strong> dieser Untersuchung nachgewiesen werden, dass Institu-<br />

tionen auf allen Ebenen, <strong>in</strong>ternational (Akteure <strong>der</strong> EZ), national (politisches System, Kultur <strong>der</strong><br />

Korruption) und lokal (soziale Netzwerke) den Handlungsspielraum existenzsichern<strong>der</strong> Akteure<br />

bestimmen. Als entwicklungspraktische Konsequenz müssen Interventionen auf allen Ebenen<br />

erfolgen (BERNER/PHILLIPS 2004: 511f., RAUCH 2003). Die gegenwärtigen Reformbestrebungen<br />

<strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit gehen aber <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie da<strong>von</strong> aus, dass die Rahmenbed<strong>in</strong>-<br />

gungen <strong>von</strong> oben zu verän<strong>der</strong>n seien (RAUCH 2004: 204). Die Prom<strong>in</strong>enz des dargestellten Staats-<br />

zerfalldiskurses auf theoretischer Ebene als auch die konkrete Weltbankpolitik im Bereich <strong>der</strong><br />

Abfallwirtschaft Freetowns unterstützen die These <strong>der</strong> konzeptionellen und praktischen Per-<br />

130


Abschließende Anmerkungen<br />

sistenz <strong>von</strong> Trickle-Down-Ansätzen. Aber auch die <strong>von</strong> <strong>der</strong> GTZ respektive Kl<strong>in</strong> Salone betriebe-<br />

ne „Entwicklung <strong>von</strong> unten“ erreicht nicht die absolut Ärmsten. Am Beispiel <strong>der</strong> sozialen Netz-<br />

werke wurde gezeigt, dass e<strong>in</strong>e auf dem Solidarpr<strong>in</strong>zip basierende <strong>in</strong>formelle Unterstützung <strong>der</strong><br />

<strong>von</strong> den unmittelbaren Maßnahmen <strong>der</strong> EZ Ausgeschlossenen erfolgt. Diese Anpassungen <strong>in</strong><br />

Form <strong>in</strong>formellen Mechanismen müssten identifiziert und bei weiteren Maßnahmen berücksich-<br />

tigt werden.<br />

Im Zuge <strong>der</strong> <strong>in</strong>stitutionenzentrierten Herangehensweise an die Fragestellung zeigte sich aber noch<br />

e<strong>in</strong>e weitere Schwäche. Zwar konnten die relevanten, E<strong>in</strong>fluss übenden Regelwerke identifiziert<br />

werden, allerd<strong>in</strong>gs war es nicht möglich den spezifischen E<strong>in</strong>fluss e<strong>in</strong>er konkreten Institution auf<br />

den Gesamtkontext und auf die an<strong>der</strong>en Regelwerke h<strong>in</strong>reichend zu quantifizieren. So kann zwar<br />

festgestellt werden, dass Institutionen E<strong>in</strong>fluss nehmen, nicht aber <strong>in</strong> welchem Maße zum Beispiel<br />

soziale Netzwerke Transaktionskosten erhöhen und welche Rückwirkungen sich auf an<strong>der</strong>e<br />

Komponenten des Systems aus <strong>der</strong> zunehmenden Misswirtschaft ergeben, mit <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>um ver-<br />

sucht wird diese Kosten auszugleichen. E<strong>in</strong> komplexes System konstituiert sich:<br />

„Derartige System können nicht alle<strong>in</strong> durch die Beschreibung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Elemente verstanden<br />

werden. Von Bedeutung s<strong>in</strong>d die iterierte und rückgekoppelte Interaktion zwischen den Elementen<br />

und die Konsequenzen, die aus diesen Interaktionen für das gesamte System resultieren.<br />

[…] Damit aber verlangt die Theorie, um die Wirklichkeit zutreffend beschreiben zu können,<br />

e<strong>in</strong>e Messgenauigkeit, die nur <strong>in</strong> konstruierten Welten wie <strong>der</strong> Informatik, pr<strong>in</strong>zipiell aber<br />

nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> physikalischen o<strong>der</strong> gar <strong>in</strong> <strong>der</strong> sozialen Wirklichkeit erreicht werden kann.“ (RAT-<br />

TER 2006: 112f.)<br />

Transaktionskosten müssten quantitativ operationalisiert werden, was schlicht unmöglich ist.<br />

North bleibt nicht umsonst auf <strong>der</strong> Makroebene verhaftet. Da Transaktionskosten darüber h<strong>in</strong>aus<br />

ja nicht nur <strong>in</strong> monetärer, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> allen erdenkliche Formen auftreten, kann auch die NIÖ für<br />

sozialgeographische Kontexte allenfalls qualitative Aussagen treffen. Die Auswirkungen <strong>von</strong> wei-<br />

teren E<strong>in</strong>griffen <strong>in</strong> das System bleiben so mit e<strong>in</strong>er Restunsicherheit behaftet, die mit e<strong>in</strong>er quali-<br />

tativen Betrachtungsweise <strong>von</strong> Institutionen aber reduziert werden kann und muss.<br />

Auch <strong>in</strong> wissenschaftstheoretischer H<strong>in</strong>sicht wird <strong>der</strong> Mehrwert <strong>der</strong> NIÖ <strong>in</strong> <strong>der</strong> geographischen<br />

Entwicklungsforschung erkennbar. Der Rückzug <strong>in</strong> „Theorien mittlerer Reichweite“ führt nach<br />

DÖRFLER/GRAEFE/MÜLLER-MAHN (2003) zu e<strong>in</strong>er Perspektivverengung und <strong>der</strong> Ausklamme-<br />

rung e<strong>in</strong>es wesentlichen Teils <strong>der</strong> Wirklichkeit. Sie for<strong>der</strong>n daher e<strong>in</strong>e epistemologische Umkeh-<br />

131


Abschließende Anmerkungen<br />

rung handlungsorientierter Ansätze. Das Subjekt, dessen Intentionen und Handlungsgründe sol-<br />

len <strong>von</strong> den Strukturen her gedacht werden. RAUCH (2001: 13) h<strong>in</strong>gegen wirft <strong>der</strong> NIÖ vor, dass<br />

sie nur die Auswirkungen <strong>von</strong> Institutionen auf den Entwicklungsprozess betrachtet und damit<br />

e<strong>in</strong>e Reziprozität <strong>von</strong> Institutionen und ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Ent-<br />

wicklungen negiert.<br />

Gerade die NIÖ aber leistet me<strong>in</strong>es Erachtens e<strong>in</strong>en Beitrag zur Auflösung <strong>der</strong> Dichotomie <strong>von</strong><br />

structure und agency. So versuchen agents (etwa Kl<strong>in</strong> Salone) <strong>in</strong>stitutionellen Wandel zu <strong>in</strong>duzie-<br />

ren:<br />

„While the structure, function and culture of an <strong>in</strong>stitution provide a framework with<strong>in</strong> which<br />

<strong>in</strong>dividuals act, they do not fully determ<strong>in</strong>e the actions of <strong>in</strong>dividuals. […] [C]hang<strong>in</strong>g circumstances<br />

and unforeseeable problems make it desirable to vest <strong>in</strong>dividuals with discretionary powers<br />

to reth<strong>in</strong>k and adjust old rules, norms, and ends, and sometimes elaborate new ones.”<br />

(MILLER 2007: o. S.)<br />

Insbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> gesellschaftlichen Umbrüchen, wie sie auch <strong>in</strong> Sierra Leone stattf<strong>in</strong>den, ergeben<br />

sich neben Verhaltensunsicherheiten auch Flexibilitäten (TRÖGER 2003: 29). So erhöht beispiels-<br />

weise die unzureichende Legitimität <strong>der</strong> öffentlichen Hand die Chancen steigen<strong>der</strong> Anerkennung<br />

Kl<strong>in</strong> Salones seitens <strong>der</strong> Bevölkerung. Der Handlungsmöglichkeitenbereich für die Organisation<br />

wird erweitert, so dass sie eigene Regelwerke durchsetzen und E<strong>in</strong>fluss auf die Struktur nehmen<br />

kann:<br />

„In any circumstance, the research frontier must beg<strong>in</strong> from the premise that Africans possess agency<br />

but that it is embedded <strong>in</strong> social relations that draw their <strong>in</strong>spiration from an economy of<br />

affection” (HYDEN 2004: 703).<br />

Diese Günstl<strong>in</strong>gsökonomie und ihre Folgen (Korruption, Klientelismus usw.) werden aber <strong>von</strong><br />

den vorherrschenden Ideologien und Ansätzen <strong>der</strong> Entwicklungszusammenarbeit gestützt (ICG<br />

2004: 24, MWENDA 2007: 17ff.). Sie bleiben daher auch mittelfristig außerhalb <strong>der</strong> Zugriffsmacht<br />

<strong>der</strong> Kle<strong>in</strong>unternehmer, so dass bei aller Wirkmacht <strong>der</strong> agency das Pendel <strong>in</strong> Richtung structure<br />

schw<strong>in</strong>gt. Trotzdem kann <strong>der</strong> Kerndisput nicht mit e<strong>in</strong>em „entwe<strong>der</strong>-o<strong>der</strong>“, son<strong>der</strong>n nur durch<br />

e<strong>in</strong> „sowohl-als-auch“ und e<strong>in</strong>e vermittelnde Position zwischen structure und agency gelöst werden<br />

(RAUCH 2003, TRÖGER 2003: 29). Diese Mittlerrolle nimmt e<strong>in</strong>e mit <strong>der</strong> geographischen Ent-<br />

wicklungsforschung verknüpfte NIÖ me<strong>in</strong>es Erachtens ebenso e<strong>in</strong>, wie die vorliegende Untersu-<br />

chung.<br />

132


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Interviews<br />

IntEx 1 Public Health Super<strong>in</strong>tendent im M<strong>in</strong>istry of Local Government and Community Development<br />

(21.08.07)<br />

IntEx 2 Projektassistent<strong>in</strong> bei GTZ (04.09.07)<br />

IntEx 3 Programs Assistant im Centre for Coord<strong>in</strong>ation of Youth Affairs (04.09.07)<br />

IntEx 4 Manager <strong>der</strong> Greenland Initiative (12.09.07)<br />

IntKS 1 F<strong>in</strong>ance Officer, Chief Monitor und Monitore <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (14.08.07)<br />

IntKS 2 Chief Coord<strong>in</strong>ator <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (15.08.07/21.08.07)<br />

IntKS 3 Chief Monitor und Monitor <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (17.08.07)<br />

IntKS 4 Monitor <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (28.08.07)<br />

IntKS 5 Chief Monitor <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (28.08.07)<br />

IntKS 6 Monitor <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (29.08.07)<br />

IntKS 7 Monitor <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (30.08.07)<br />

IntKS 8 Monitor <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (30.08.07)<br />

IntKS 9 Mitglied des Steer<strong>in</strong>g Committee <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (31.08.07)<br />

IntKS 10 Monitor <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (04.09.07)<br />

IntKS 11 Monitor <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (05.09.07)<br />

IntKS 12 Adm<strong>in</strong>istration Officer <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone und City Councillor <strong>in</strong> Freetown (05.09.07)<br />

IntKS 13 Monitor <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (06.09.07)<br />

IntKS 14 Monitor <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (06.09.07)<br />

141


Quellenverzeichnis<br />

IntKS 15 F<strong>in</strong>ance Officer <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (10.09.07)<br />

IntKS 16 Intern bei Kl<strong>in</strong> Salone (11.09.07)<br />

IntKS 17 Mitglied des Steer<strong>in</strong>g Committee <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (11.09.07)<br />

IntMSE 1 Exekutive <strong>der</strong> Portuguese Town Community Development Union (07.08.07)<br />

IntMSE 2 Mitglie<strong>der</strong> <strong>von</strong> Thun<strong>der</strong> Hill Central Base (15.08.07)<br />

IntMSE 3 Sales Agent <strong>von</strong> Thun<strong>der</strong> Hill Central Base (15.08.07/20.08.07)<br />

IntMSE 4 Chairman/Vocal Person <strong>der</strong> White Lion Cape Community Development Association<br />

(16.08.07)<br />

IntMSE 5 Director, Secretary General und Operation Manager <strong>der</strong> Community Clean<strong>in</strong>g Awareness<br />

Association (21.08.07)<br />

IntMSE 6 Vocal Person und Sales Agent <strong>der</strong> KAFOGO Youth Movement (22.08.07/23.08.07)<br />

IntMSE 7 Chairman/Vocal Person <strong>der</strong> Sewa Ground Park Youth Development Association (22.08.07)<br />

IntMSE 8 Sales Agent <strong>der</strong> Sewa Ground Park Youth Development Association (22.08.07)<br />

IntMSE 9 Chairman <strong>von</strong> Thun<strong>der</strong> Hill Central Base Organization (24.08.07)<br />

IntMSE 10 Sales Manager <strong>der</strong> Eastern Youth Organization (27.08.07)<br />

IntMSE 11 Zwei Arbeiter <strong>der</strong> White Lion Cape Community Development Association (04.09.)<br />

IntMSE 12 Chairman <strong>der</strong> Banana Water Youth Development Organization (05.09.07)<br />

IntMSE 13 Arbeiter <strong>der</strong> White Lion Cape Community Development Association (11.09.07)<br />

IntMSE 14 Arbeiter <strong>der</strong> White Lion Cape Community Development Association (11.09.07)<br />

IntMSE 15 Sales Agent <strong>der</strong> Central Waste Unit (12.09.07)<br />

IntMSE 16 Drei Arbeiter <strong>der</strong> Central Waste Unit (12.09.07)<br />

IntAbo 1 Abonnent Thun<strong>der</strong> Hill Central Base (15.08.07)<br />

IntAbo 2 Abonnent Eastern Youth Organization (27.08.07)<br />

IntAbo 3 Abonnent Eastern Youth Organization (27.08.07)<br />

IntAbo 4 Abonnent KAFOGO Youth Movement (03.09.07)<br />

IntAbo 5 Abonnent KAFOGO Youth Movement (03.09.07)<br />

IntAbo 6 Abonnent KAFOGO Youth Movement (03.09.07)<br />

142


Quellenverzeichnis<br />

IntAbo 7 Abonnent KAFOGO Youth Movement (03.09.07)<br />

IntAbo 8 Abonnent KAFOGO Youth Movement (03.09.07)<br />

IntAbo 9 Abonnent KAFOGO Youth Movement (03.09.07)<br />

IntAbo 10 Abonnent Central Waste Unit (12.09.07)<br />

IntAbo 11 Abonnent Central Waste Unit (12.09.07)<br />

IntAbo 12 Abonnent Central Waste Unit (12.09.07)<br />

IntAbo 13 Abonnent Central Waste Unit (12.09.07)<br />

Protokolle<br />

PK 1 General Assembly <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (02.08.07)<br />

PK 2 General Assembly <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (16.08.07)<br />

PK 3 General Assembly <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (23.08.07)<br />

PK 4 Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für Sales Agents <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (24.08.07)<br />

PK 5 Informelles Treffen Kl<strong>in</strong> Salone (27.08.07)<br />

PK 6 Treffen <strong>der</strong> Monitore <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (27.08.07)<br />

PK 7 Monitor<strong>in</strong>g <strong>von</strong> MSEs <strong>von</strong> Kl<strong>in</strong> Salone (29.08.07)<br />

PK 8 Treffen <strong>der</strong> Mitarbeiter Kl<strong>in</strong> Salones mit GTZ-Projektleitung (14.09.07)<br />

Kartographische Erzeugnisse<br />

DACO/SLIS (Sierra Leone Information System/Development Assistance Coord<strong>in</strong>ation Office) (2007a):<br />

District Map Western Map. O. O.<br />

DACO/SLIS (Sierra Leone Information System/Development Assistance Coord<strong>in</strong>ation Office) (2007b):<br />

Nima Freetown Map. O. O.<br />

UNIVERSITY OF TEXAS (2005): Country Map Sierra Leone. Auf:<br />

http://www.lib.utexas.edu/maps/africa/sierra_leone_rel_2005.jpg. Aufgerufen am 03.06.2008.<br />

143


Anhang<br />

Aberdeen<br />

Aberdeen<br />

WEST<br />

Lumley<br />

Wilberforce<br />

White Man’s Bay<br />

Congo Town<br />

Hill Station<br />

Kroo Bay<br />

CENTRAL<br />

Susan’s Bay<br />

erwähnte Stadtteile (Auswahl) näher untersuchtes MSE (Auswahl) Interviewpartner Abonnenten<br />

Abbildung 20: Übersichtkarte Freetown III (verän<strong>der</strong>t nach DACO/SLIS 2007b)<br />

EAST<br />

Kissy<br />

0 1000 2000 3000 m<br />

W<br />

N<br />

S<br />

Thun<strong>der</strong> Hill<br />

O<br />

144


Anhang<br />

LEBENSLAUF<br />

PERSÖNLICHE DATEN<br />

Name: Florian Weisser<br />

Geburtsdaten: 21.01.1984 <strong>in</strong> Fürth/Bayern<br />

Anschrift: Theodor-<strong>von</strong>-Zahn-Straße 25<br />

91052 Erlangen<br />

Telefon: 09131/8149008<br />

Mobiltelefon: 0179/6311043<br />

E-Mail: florian.weisser@gmx.de<br />

Familienstand: ledig<br />

Staatsangehörigkeit: deutsch<br />

SCHULDBILDUNG<br />

09/1994 – 07/2003: Gymnasium Langenzenn, Abschluss Abitur<br />

09/1990 – 07/1994: Grundschule Veitsbronn<br />

HOCHSCHULSTUDIUM<br />

10/2003 – heute Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-Nürnberg<br />

Magisterstudium <strong>der</strong> Geographie, Politischen Wissenschaften und<br />

Soziologie im 9. Semester<br />

Inhaltliche Schwerpunkte:<br />

− Entwicklungsforschung: Gesellschaftsorganisation im „afrikanischen“<br />

Staat, Entwicklungspolitik<br />

− Schwache und zerfallen(d)e Staaten, Geme<strong>in</strong>same Außen- und<br />

Sicherheitspolitik <strong>der</strong> EU, NATO<br />

− Diskursanalyse und Politische Geographie<br />

− Regionaler Schwerpunkt: Subsaharisches Afrika (<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

Botswana und Sierra Leone)<br />

145


Anhang<br />

AUSLANDSERFAHRUNG<br />

03/2007 Botswana: Exkursion unter Leitung <strong>von</strong> Prof. Dr. Krüger/PD Dr.<br />

Samimi zu Umwelt und Entwicklung im Südlichen Afrika<br />

08/2006 - 10/2006 Ecuador, Peru, Chile: Exkursion unter Leitung <strong>von</strong> Prof. Dr. Richter<br />

zur Physischen Geographie <strong>der</strong> Anden<br />

BISHERIGE BERUFSERFAHRUNG<br />

08/2007 – 10/2007 Praktikant bei GTZ, Freetown/Sierra Leone<br />

Tätigkeit: Evaluierung e<strong>in</strong>er Teilkomponente des Projekts „Beschäftigungsför<strong>der</strong>ung<br />

für marg<strong>in</strong>alisierte Jugendliche“<br />

12/2006 – 01/2007 Praktikant bei Mart<strong>in</strong> Burkert, Mitglied des Bundestages, Berl<strong>in</strong><br />

Tätigkeit: Recherche- und Öffentlichkeitsarbeit<br />

08/2005 Praktikant bei Stadtplanungsamt <strong>der</strong> Stadt Nürnberg<br />

Tätigkeit: Bestandsanalyse für städtebauliche Planung<br />

01/2002 – 05/2003: freier Mitarbeiter als Interviewer im Telefonstudio <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

für Konsum und Marktforschung, Nürnberg<br />

BESONDERE KENNTNISSE<br />

EDV-Kenntnisse MS Office sehr gute Kenntnisse<br />

Internetrecherche sehr gute Kenntnisse<br />

ATLAS.ti gute Kenntnisse<br />

Sprachkenntnisse Deutsch Muttersprache<br />

Englisch sehr gut<br />

Französisch Grundkenntnisse<br />

Spanisch Grundkenntnisse<br />

Arabisch Grundkenntnisse<br />

Erlangen, 10.06.2008<br />

146


Erklärung <strong>der</strong> selbstständigen Arbeitsanfertigung<br />

Ich erkläre hiermit, dass ich<br />

• die e<strong>in</strong>gereichte Magisterarbeit selbstständig und ohne unerlaubte Hilfe angefertigt habe,<br />

• außer den im Schrifttumsverzeichnis angegebenen Quellen und Hilfsmittel ke<strong>in</strong>e weite-<br />

ren benutzt und alle Stellen, die aus dem Schrifttum ganz o<strong>der</strong> annähernd entnommen<br />

s<strong>in</strong>d, als solche kenntlich gemacht und e<strong>in</strong>zeln nach ihrer Herkunft unter Bezeichnung<br />

des Ausgabe (Auflage und Jahr des Ersche<strong>in</strong>ens), des Bandes und <strong>der</strong> Seite des benützten<br />

Werkes <strong>in</strong> <strong>der</strong> Magisterarbeit nachgewiesen habe,<br />

• alle Stellen und Personen, welche mich bei <strong>der</strong> Vorbereitung und Anfertigung <strong>der</strong> Magis-<br />

terarbeit unterstützten, genannt habe,<br />

• die Magisterarbeit noch ke<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Stelle zur Prüfung vorgelegt habe.<br />

Erlangen, 10. Juni 2008<br />

Florian Weisser<br />

147

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