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Das Ohr kommt theologisch vor dem Auge

Der Komponist Franz Rechsteiner im Gespräch

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Der Komponist Franz Rechsteiner im Gespräch:<br />

«<strong>Das</strong> <strong>Ohr</strong> <strong>kommt</strong> <strong>theologisch</strong> <strong>vor</strong> <strong>dem</strong> <strong>Auge</strong>»<br />

Franz Rechsteiner feiert am<br />

30. April seinen 75. Geburtstag. Im<br />

Vorfeld der Wiederaufführung seines<br />

« Mose-Requiems» und der Uraufführung<br />

seines neuesten Werkes<br />

mit <strong>dem</strong> Titel «Sibyllen» äusserte<br />

sich der Schweizer Komponist<br />

zu Aspekten seines kompositorischen<br />

Schaffens und zum aktuellen<br />

Verhältnis zwischen Kirche und<br />

zeitgenös sischer Musik (ca).<br />

Mit Franz Rechsteiner sprach<br />

Johanna Jud<br />

Johanna Jud: Der Geburtstag ist<br />

jeweils eine Gelegenheit, um auf das<br />

eigene Leben zurückzublicken. Ist<br />

dein Leben so verlaufen, wie du dir<br />

das im Alter von 20 Jahren <strong>vor</strong>gestellt<br />

hattest?<br />

Franz Rechsteiner: Nicht unbedingt.<br />

Nach der Schulzeit trat ich in den Kapuzinerorden<br />

ein und habe Theologie<br />

studiert. Es brauchte damals Musiklehrer<br />

an unseren eigenen Ordensschulen.<br />

So kam es, dass ich noch ein Musikstudium<br />

mit den Hauptfächern Geige und<br />

Theorie anhängte. Nach <strong>dem</strong> Ende des<br />

Studiums folgte bald der Ruf an die Aka<strong>dem</strong>ie<br />

für Schul- und Kirchenmusik in<br />

Luzern. Da ich dort meine Frau kennenlernte,<br />

bin ich aus <strong>dem</strong> Orden ausgetreten.<br />

<strong>Das</strong> war ein sehr schwieriger Entscheid<br />

und ein Einschnitt in meinem Leben, den<br />

ich so sicher nicht erwartet hatte. Aber<br />

eben, das Leben ist voller Überraschungen.<br />

Ich möchte die Zeit im Orden<br />

keinesfalls missen, die Theologie ist<br />

bis heute sehr wichtig geblieben für<br />

mich.<br />

Wie beeinflusst «der Theologe in<br />

dir» dein musikalisches Schaffen?<br />

Ich kann nicht sagen, dass mich das in<br />

meinem kompositorischen Schaffen konkret<br />

beeinflusst. Vielleicht einfach in <strong>dem</strong><br />

Sinne, dass ich eine gewisse Affinität zu<br />

geistlichen Texten und ein Interesse an<br />

geistlicher Chormusik habe, die im Gottesdienst<br />

aufgeführt werden kann.<br />

Wann hast du mit <strong>dem</strong> Komponieren<br />

angefangen?<br />

Ich habe bereits während des Theologiestudiums<br />

vereinzelt für den Fratres-Chor<br />

geschrieben. So richtig ins Komponieren<br />

bin ich aber erst durch das Theoriestudium<br />

bei Rudolf Kelterborn und Peter<br />

Wettstein gekommen. Beide waren für<br />

mich Komponisten mit Vorbildcharakter,<br />

in<strong>dem</strong> sie mir <strong>vor</strong>lebten, zu komponieren<br />

und mich ermutigten, es auch<br />

zu tun. Danach konnte ich nicht mehr<br />

davon lassen.<br />

Franz Rechsteiner im Gespräch<br />

In welcher Art würdest du deinen<br />

derzeitigen Kompositionsstil<br />

charakterisieren?<br />

<strong>Das</strong> ist schwierig. Ich suche harmonische<br />

Klänge, die nachvollziehbar sind<br />

und eine gewisse Konsequenz haben. Da<br />

spielt beispielsweise auch das Prinzip der<br />

Wiederholung eine wichtige Rolle. Die<br />

Harmonik kann durchaus noch auf Dreiklängen<br />

basieren, die dann um Dissonanzen<br />

erweitert werden. Es steht immer ein<br />

System dahinter. <strong>Das</strong> heisst, ich entwickle<br />

verschiedene Akkordreihen, von denen<br />

ich das Gefühl habe, dass deren Abfolge<br />

eine gewisse Logik aufweist.<br />

Wie hat sich dein Kompositionsstil<br />

über die Jahre hinweg verändert?<br />

Angefangen hat es im Prinzip im Studium<br />

mit Zwölftonübungen. Von dort aus habe<br />

ich dann meinen eigenen Stil gesucht.<br />

Ich bin wohl zusehends vom linearen<br />

Denken, das durchaus auch jetzt noch<br />

Foto Beat Habermacher


2 16<br />

7<br />

Franz Rechsteiner<br />

(*1941) in Appenzell. Nach Abschluss des Theologiestudiums<br />

(1961–1967) folgte das Studium an der Musikhochschule<br />

Zürich in den Hauptfächern Violine (Heiner Reitz),<br />

Musiktheorie (Rudolf Kelterborn, Peter Wettstein) und<br />

Komposition (Rudolf Kelterborn). Musikwissenschaftliche<br />

Studien an der Universität Zürich. 1970 Diplomabschluss<br />

Violine mit Auszeichnung. 1972 Diplomabschluss Lehrer<br />

für musiktheoretische Fächer. 1973–1975 Musiklehrer<br />

am Gymnasium Stans NW. 1974–2002 Dozent an der<br />

damaligen Aka<strong>dem</strong>ie für Schul- und Kirchenmusik Luzern<br />

ASK (heute Hochschule Luzern – Musik). 1976–1979<br />

Leiter der Kirchenmusikabteilung der ASK. Bis 1986 Konzerttätigkeit<br />

als Violinist in der Schweiz, Deutschland,<br />

Dänemark, Holland, Italien und Japan. Tätigkeit als Komponist.<br />

Aufführungen seiner Werke in verschiedenen Ländern<br />

Europas. Komponistenporträts in Luzern und am<br />

Radio DRS. Etliche Werke wurden von Radio DRS, <strong>dem</strong><br />

Rundfunk Dänemark und Holland aufgezeichnet. 1992<br />

Werkbeitrag von Kanton und Stadt Luzern.<br />

fr<br />

Foto Beat Habermacher<br />

Handschriftliche Partitur: Ausschnitt aus den «Sibyllen»<br />

<strong>vor</strong>handen ist, vermehrt auf harmonische<br />

Zusammenhänge gestossen. Ich war nie<br />

extrem, habe mich zum Beispiel nur<br />

höchst selten in der Mikrotonalität bewegt.<br />

Im Grunde bin ich mit meinem Stil<br />

irgendwo zwischen Tisch und Bank geraten:<br />

Die progressivste Avantgarde schaut<br />

diesen als überholt an und für die konservativen<br />

Vertreter ist meine Musik zu<br />

modern. Populär ist meine Musik sicher<br />

nicht. Aber ich meine, welche Musik<br />

spricht schon alle an?<br />

Wie läuft der Prozess des Komponierens<br />

bei dir ab?<br />

Viele meiner Stücke sind aus einer Art<br />

Ablaufbeschreibung entstanden, denn<br />

ich schreibe meist zuerst auf, was ich für<br />

eine Stimmung erzeugen möchte. Danach<br />

sitze ich am Klavier, improvisiere darüber<br />

und plötzlich stosse ich auf einen Klang<br />

oder eine Klangfolge, die ich festhalten<br />

will. Dabei handelt es sich aber nur um<br />

einen Einfall, das stellt also noch keine<br />

Komposition dar. Es geht dann darum,<br />

diesen Einfall in einen Zusammenhang<br />

mit weiteren Ideen zu bringen, ihn weiterzuentwickeln<br />

und fortzuspinnen. <strong>Das</strong><br />

fügt sich manchmal wie von selbst, muss<br />

teilweise aber auch sehr bewusst gesetzt<br />

werden.<br />

Die Zusammenarbeit mit deinem<br />

Bruder Justin Rechsteiner, der<br />

Theologe und Germanist ist, zieht<br />

sich wie ein roter Faden durch<br />

dein kompositorisches Schaffen.<br />

Wie erlebst du diese?<br />

Unsere Zusammenarbeit funktioniert<br />

sehr gut, wenn es auch für mich nicht<br />

immer einfach ist, seine Texte zu vertonen,<br />

da sie in ihrer <strong>theologisch</strong>en Aussage<br />

oft sehr direkt sind. Da <strong>kommt</strong> es<br />

schon mal <strong>vor</strong>, dass ich auf ihn zugehe<br />

und mit ihm darüber spreche, ob man<br />

zum Beispiel eine bestimmte Aussage<br />

nicht auch anders ausdrücken könnte.<br />

Er hat oft geistliche Texte aktualisiert<br />

und für die heutige Zeit ausgelegt. Für<br />

meine neueste Komposition «Sibyllen»<br />

habe ich ihn angefragt, ob er ausgehend<br />

von den Texten, die den Motetten von<br />

Orlando di Lasso zugrunde liegen, neue<br />

Texte verfassen könnte.<br />

Du hast im Auftrag der Basler<br />

Madrigalisten eine Ergänzung zu<br />

den Motetten «Prophetiae Sibyllarum»<br />

von Orlando di Lasso (1532–<br />

1594) komponiert, die Ende Februar<br />

uraufgeführt wurde. Klingt nach<br />

einer spannenden Aufgabe. Wie kam<br />

es dazu?<br />

Raphael Immoos, der Leiter des Vokalensembles,<br />

fragte mich an, ob ich Lust<br />

hätte, für eine konzertante Aufführung<br />

ein unfertiges Werk von Mendelssohn<br />

auf meine Art zu ergänzen. Ich konnte<br />

mir das aber nicht so wirklich <strong>vor</strong>stel-


8 2 16<br />

len. Dabei kam dann der Gedanke auf,<br />

dass ich vielleicht etwas zu den zwölf<br />

Sibyllen-Motetten von di Lasso schreiben<br />

könnte, die man sehr selten hört. Raphael<br />

hatte die Idee, im Konzert nicht einfach<br />

zuerst das eine und dann das andere<br />

Werk aufzuführen, sondern das Werk<br />

von di Lasso mit seiner anspruchsvollen<br />

Harmonik jeweils nach zwei, drei Motetten<br />

mit einer Reaktion musikalischer<br />

und textlicher Art unterbrechen zu lassen.<br />

<strong>Das</strong> fand ich eine reizvolle Aufgabe,<br />

denn mich interessiert die äusserst<br />

kühne harmonische Tonsprache aus der<br />

Renaissancezeit mit den chromatischen<br />

Terzverwandtschaften.<br />

Gedankensplitter – in drei Zeiten<br />

Zeit 1. Die Chorpartitur des «Mose-Requiems» von Franz Rechsteiner liegt noch<br />

unverblättert <strong>vor</strong> mir. Ein zeitgenössisches Werk entdecken zu dürfen, von <strong>dem</strong> noch<br />

keine Aufnahme im Handel existiert, ist doppelt spannend!<br />

Keine fulminante Eröffnungsmusik, nein, ein schlichtes, melancholisches Posaunensolo,<br />

welches mit seinem Motiv zugleich einen grossen Bogen spannt zum<br />

Schluss-Chor, der das Motiv als Zitat in verkleinerter Form wieder aufnimmt,<br />

A-cappella.<br />

Im Notenbild der Begleitung fallen Cluster auf, Quartenparallelen in den Trompeten,<br />

grosse Septimen, verminderte Akkorde, enorm viele Vorzeichen und enharmonische<br />

Verwechslungen, Triolen, Quintolen, Septolen, Flatterzungen, Tremoli... Die<br />

Chorstellen sind meist in motettischer Schreibweise zu finden. Textlich liegt ihnen<br />

grösstenteils der Psalm 90 zugrunde, der Mose-Psalm. Auch gibt es Sprechgesang,<br />

A-cappella-Chöre.<br />

<strong>Das</strong> Werk erscheint – die Einleitung nicht mitgezählt – in sieben Bildern, sieben<br />

Perspektiven? Darin findet sich auch Mirjams (Tanz-)Lied: Im 5 ⁄ 8-Takt notiert, als Sopranarie<br />

(2. Mose 15, 21) «Hoch erhaben...» bis zum hohen H. Die Rolle des Erzählers<br />

fällt <strong>dem</strong> Tenor zu; die Ich-Erzählungen des Mose <strong>dem</strong> Bariton.<br />

Zeit 2. Nun gilt es, in die Musik einzutauchen – sie wird mir im Lauf der Probenarbeit<br />

vertrauter und nahe. Die Zusammenklänge führen in eine neue-alte Welt, lassen<br />

erahnen, wie Mose immer wieder rang.<br />

<strong>Das</strong> ganze Werk erscheint mir wie ein grosses Rezitativ auskomponiert. Sehr<br />

eindrücklich die Orchestrierung beispielsweise in der Einleitung, was aus <strong>dem</strong><br />

Posaunensolo herauswächst: Sind da gar Schöpfungsklänge zu vernehmen? Dann<br />

die schweren Schritte, überlagert von leichtem Trippeln, wie wenn eine grosse<br />

Menschenmenge <strong>vor</strong>überziehen würde. Dann verhallen die Schritte. Oder später<br />

die Spaltung des Wassers, welches sich mächtig wogend aufbäumt – und wieder<br />

schliesst. Oder die Ankündigungen durch die Harfe, wenn es heisst «Und Gott<br />

sprach…». Oder die klare Präsenz Gottes, instrumentiert durch Klangsäulen der<br />

Posaunen. Oder – soweit ich durchhören konnte – die einzige Unisono-Stelle von<br />

Mose und <strong>dem</strong> Horn, wenn es heisst «Lass mich doch deine Herrlichkeit schauen.»<br />

Oder die nur noch sehr spärliche Instrumentierung nach Moses Tod – bis hin zum<br />

ganz leisen zweifachen gregorianischen Kyrieruf, der dieses grosse Werk beschliesst.<br />

Zeit 3. Nun ist sie verklungen, diese eindrückliche Musik. Ausschnitte wie «Dürfte<br />

ich doch […] hinübergehen…» oder «Kehre doch wieder, o Gott. Ach wie lange…»<br />

und «Ross und Reiter…» im 5 ⁄ 8-Takt klingen nach.<br />

Die neuen Perspektiven auf das Leben von Mose bleiben in lebendiger, klingender<br />

Erinnerung.<br />

Es war ein grosses Erlebnis, dieses Werk quasi von innen kennenlernen zu dürfen.<br />

Silvia Matile-Eggenberger sang bei der aktuellen Aufführung von Franz Rechsteiners<br />

Mose-Requiem im Chor der ZHdK mit.<br />

Orlando di Lasso und Franz Rechsteiner<br />

kompositorisch ineinander<br />

verschachtelt – wie muss ich mir das<br />

<strong>vor</strong>stellen?<br />

Manchmal ist es eine Art Weiterführung<br />

von Orlando di Lasso, manchmal kontrastiere<br />

ich ihn aber auch. Zum Prolog<br />

von di Lasso habe ich beispielsweise eine<br />

A-cappella-Motette geschrieben, die nur<br />

auf Vokale, also ohne Text, gesungen<br />

wird, um zu zeigen, welchen Weg man<br />

kontrapunktisch gehen könnte. An anderen<br />

Stellen habe ich teilweise Motive<br />

von di Lasso abgeleitet und diese dann zu<br />

einer Zwölftonreihe oder anderen Tonfolgen<br />

ausgeweitet. So steht beispielsweise<br />

am Beginn einer meiner Motetten die<br />

gleiche melodische Abfolge wie bei der<br />

<strong>vor</strong>angehenden Motette von di Lasso,<br />

diese wird dann aber kompositorisch<br />

anders weiterverarbeitet.<br />

Wie ist das für dich, wenn ein Werk<br />

von dir uraufgeführt wird?<br />

Natürlich freut es mich, wenn ein neues<br />

Werk zur Aufführung gelangt. Umgekehrt<br />

denke ich jeweils auch «um Himmels willen,<br />

in was habe ich mich da nur hinein<br />

begeben?».<br />

Wie meinst du das? Hast du Angst,<br />

dass dein Werk bei den Zuhörenden<br />

nicht an<strong>kommt</strong>?<br />

Ich bin oft etwas verlegen, weil ich daran<br />

denke, was ich den Zuhörenden und<br />

Ausführenden da wieder zumute. Aber<br />

vielleicht muss man ja auch ein bisschen<br />

zumuten. Ich kann mich nicht beklagen,<br />

meistens wurden meine Werke durchaus


2 16<br />

9<br />

Die 15 neuesten Kompositionen<br />

(alphabetische Anordnung)<br />

aenigma<br />

Annäherungen an B-A-C-H<br />

Capriccio<br />

Concertino<br />

… et adhuc …<br />

ex nihilo-quo<br />

fluctus<br />

in transversum<br />

Meditation über Veni Creator<br />

Spiritus<br />

Symphonia vocalis<br />

Schichtungen<br />

SIBYLLEN. Kontrapunkte zu<br />

Orlando di Lassos Prophetia<br />

Sibyllarum<br />

VER-FÜGUNGEN<br />

Zwei Meditationen über die<br />

Antiphonae maiores (Advent)<br />

Zwei Psalmen<br />

fr<br />

gut aufgenommen. Aber es ist leider so,<br />

dass die Uraufführung öfters zugleich die<br />

erste und letzte Aufführung ist.<br />

<strong>Das</strong> «Mose-Requiem», ein umfangreiches<br />

Oratorium, kam ja<br />

jetzt anlässlich deines 75. Geburtstages<br />

nach 18 Jahren erfreulicherweise<br />

ein zweites Mal zur<br />

Aufführung. Hast du das Werk<br />

noch präsent?<br />

Ich vergesse schnell wieder, was ich gemacht<br />

habe. So ist meine Komposition<br />

bei Beat Schäfer, der das Werk erneut<br />

einstudiert, derzeit sicher präsenter als<br />

bei mir. Aber im Vorfeld der Wiederaufführung<br />

habe ich die Partitur und<br />

den CD-Mitschnitt der Erstaufführung<br />

wieder her<strong>vor</strong>genommen, um sie zu<br />

studieren. Ich bin ja auch an einigen<br />

Proben dabei.<br />

Dein Schaffen umfasst auch liturgische<br />

Werke. Mit den «Liturgischen<br />

Solokantaten zum Kirchenjahr»<br />

(2004) bist du auf die Bedingungen<br />

eines Gemeindegottesdienstes<br />

eingegangen. Konnten diese Kompositionen,<br />

die auch die Gemeinde<br />

einbinden, im christlichen Gottesdienst<br />

Fuss fassen?<br />

Sie wurden schon gelegentlich wieder<br />

aufgeführt. Aber obwohl ich damals<br />

viele positive Rückmeldungen erhalten<br />

habe, führen die Kirchenmusiker und<br />

-musikerinnen heute möglicherweise halt<br />

doch lieber eine Mozartmesse auf. Es gab<br />

auch einige kritische Stimmen, welche<br />

die Kantaten für den katholischen Gottesdienst<br />

für nicht geeignet hielten, aber<br />

da bin ich anderer Ansicht. Ich wollte<br />

jedenfalls mit diesen Kantaten auch der<br />

neuen Musik einen Raum in der heutigen<br />

Liturgie geben – was längst nicht heisst,<br />

dass die Musik allen gefallen muss. Da<br />

bin ich in meinem Stil sicher auch etwas<br />

kompromisslos, wie es jeweils heisst,<br />

aber alles andere ergibt für mich keinen<br />

Sinn.<br />

Wie steht es denn deiner Meinung<br />

nach derzeit um das Verhältnis von<br />

Kirche und zeitgenössischer Musik?<br />

Neue Musik in meiner Tonsprache hat<br />

zurzeit nicht wirklich einen Platz in der<br />

Liturgie. <strong>Das</strong> liegt möglicherweise auch<br />

daran, dass die Kirche meines Erachtens<br />

zu einer Art Wohlfühlkirche geworden ist.<br />

Ich bin nicht dagegen, dass die Liturgie<br />

einem einen Ruheplatz bietet, wo man<br />

auch mal anders atmen kann. Umgekehrt<br />

bin ich der Ansicht, dass sie auch fordern<br />

müsste.<br />

Inwiefern fordern?<br />

Ich denke, dass nicht ohne Konsequenz<br />

bleiben darf, was da für biblische Texte<br />

verkündet werden. Die biblischen Texte<br />

Trio für Altblockflöte, Cembalo und Barockcello<br />

Violine solo<br />

Flöte, Violine, konzertierendes Cembalo und<br />

Streichorchester<br />

Violine, Orgelpositiv, Streichorchester und Pauken<br />

Skizze für Orgel<br />

Sextett für zwei Violinen, zwei Bratschen und<br />

zwei Celli<br />

Trio für Violine, Horn (F) und Klavier<br />

Musik für Klavier solo<br />

für Orgel<br />

für Chor a cappella<br />

für Sinfonieorchester<br />

für Vokalstimmen und Saxophonquartett<br />

Musik für Klavier solo<br />

für Orgel<br />

für Mezzosopran und Orgel<br />

sind anspruchsvoll, überfordern uns auch<br />

immer wieder. Dies müsste in der Kirche<br />

zur Sprache kommen.<br />

Sind die Kirchgängerinnen und<br />

-gänger von heute nicht mehr bereit,<br />

sich aufrütteln zu lassen,<br />

sich von Texten, aber auch von der<br />

Musik fordern oder zuweilen überfordern<br />

zu lassen?<br />

<strong>Das</strong> Gehör ist eben viel empfindlicher<br />

als das <strong>Auge</strong>. <strong>Das</strong> <strong>Auge</strong> akzeptiert die<br />

moderne Malerei überall praktisch ohne<br />

Weiteres. Bei den <strong>Ohr</strong>en muss man<br />

eher aufpassen, was man macht. Was mit<br />

diesem sensiblen Organ wahrgenommen<br />

wird, geht viel tiefer hinein als der visuelle<br />

Eindruck. <strong>Das</strong> <strong>Ohr</strong> <strong>kommt</strong> auch<br />

<strong>theologisch</strong> gesehen <strong>vor</strong> <strong>dem</strong> <strong>Auge</strong>, es<br />

heisst ja beispielsweise schon bei Paulus<br />

«Der Glaube <strong>kommt</strong> vom Hören». Aber<br />

wir leben jetzt in einer Zeit, in welcher


10 2 16<br />

es genau umgekehrt läuft. Ich denke, dass<br />

die Kirchenmusik Gefahr läuft, museal<br />

zu werden, wenn nicht auch ab und zu<br />

einmal die neue E-Musik ihren Platz in<br />

der Liturgie findet.<br />

Du gehörst einer Generation an,<br />

welcher der Ausdruck des christlichen<br />

Glaubens ein Anliegen ist.<br />

Die Zahl der Gottesdienstbesucher<br />

und -besucherinnen ist in den<br />

letzten zwanzig Jahren aber stark<br />

ge sunken. Wer komponiert die liturgische<br />

Musik von morgen?<br />

Ich weiss nicht, das hängt sicher sehr von<br />

der Entwicklung der christlichen Kirche<br />

ab. Da wage ich keine Prognose, wie das<br />

in 50 Jahren aussieht.<br />

Was sind deine nächsten Kompositionsprojekte?<br />

Ich arbeite aktuell an einem Violinkonzert.<br />

<strong>Das</strong> ist für einmal keine Auftragskomposition,<br />

sondern etwas, das ich einfach<br />

unbedingt machen möchte. Ich hatte<br />

<strong>vor</strong> <strong>dem</strong> Auftrag der Sibyllen-Motetten<br />

damit begonnen und nehme nun die<br />

Arbeit daran wieder auf.<br />

Herzlichen Dank für das interessante Gespräch<br />

und viel Erfolg für dein weiteres<br />

Schaffen.<br />

Johanna Jud<br />

(*1983) hat an der Musikhochschule Luzern<br />

Orgel, Chorleitung und Kirchenmusik<br />

studiert und ist derzeit in verschiedenen<br />

Kirchgemeinden des Kantons Zürich<br />

als Organistin im Einsatz. Seit 2008 ist<br />

sie Co-Regionalschulleiterin der Diözesanen<br />

Kirchenmusikschule St. Gallen dkms,<br />

Region Linth, wo sie auch Orgel unterrichtet.<br />

Zu<strong>dem</strong> studiert sie an der Universität<br />

Zürich im Masterstudiengang Germanistik<br />

und Religionswissenschaft.<br />

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