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Der Komponist Franz Rechsteiner im Gespräch:<br />
«<strong>Das</strong> <strong>Ohr</strong> <strong>kommt</strong> <strong>theologisch</strong> <strong>vor</strong> <strong>dem</strong> <strong>Auge</strong>»<br />
Franz Rechsteiner feiert am<br />
30. April seinen 75. Geburtstag. Im<br />
Vorfeld der Wiederaufführung seines<br />
« Mose-Requiems» und der Uraufführung<br />
seines neuesten Werkes<br />
mit <strong>dem</strong> Titel «Sibyllen» äusserte<br />
sich der Schweizer Komponist<br />
zu Aspekten seines kompositorischen<br />
Schaffens und zum aktuellen<br />
Verhältnis zwischen Kirche und<br />
zeitgenös sischer Musik (ca).<br />
Mit Franz Rechsteiner sprach<br />
Johanna Jud<br />
Johanna Jud: Der Geburtstag ist<br />
jeweils eine Gelegenheit, um auf das<br />
eigene Leben zurückzublicken. Ist<br />
dein Leben so verlaufen, wie du dir<br />
das im Alter von 20 Jahren <strong>vor</strong>gestellt<br />
hattest?<br />
Franz Rechsteiner: Nicht unbedingt.<br />
Nach der Schulzeit trat ich in den Kapuzinerorden<br />
ein und habe Theologie<br />
studiert. Es brauchte damals Musiklehrer<br />
an unseren eigenen Ordensschulen.<br />
So kam es, dass ich noch ein Musikstudium<br />
mit den Hauptfächern Geige und<br />
Theorie anhängte. Nach <strong>dem</strong> Ende des<br />
Studiums folgte bald der Ruf an die Aka<strong>dem</strong>ie<br />
für Schul- und Kirchenmusik in<br />
Luzern. Da ich dort meine Frau kennenlernte,<br />
bin ich aus <strong>dem</strong> Orden ausgetreten.<br />
<strong>Das</strong> war ein sehr schwieriger Entscheid<br />
und ein Einschnitt in meinem Leben, den<br />
ich so sicher nicht erwartet hatte. Aber<br />
eben, das Leben ist voller Überraschungen.<br />
Ich möchte die Zeit im Orden<br />
keinesfalls missen, die Theologie ist<br />
bis heute sehr wichtig geblieben für<br />
mich.<br />
Wie beeinflusst «der Theologe in<br />
dir» dein musikalisches Schaffen?<br />
Ich kann nicht sagen, dass mich das in<br />
meinem kompositorischen Schaffen konkret<br />
beeinflusst. Vielleicht einfach in <strong>dem</strong><br />
Sinne, dass ich eine gewisse Affinität zu<br />
geistlichen Texten und ein Interesse an<br />
geistlicher Chormusik habe, die im Gottesdienst<br />
aufgeführt werden kann.<br />
Wann hast du mit <strong>dem</strong> Komponieren<br />
angefangen?<br />
Ich habe bereits während des Theologiestudiums<br />
vereinzelt für den Fratres-Chor<br />
geschrieben. So richtig ins Komponieren<br />
bin ich aber erst durch das Theoriestudium<br />
bei Rudolf Kelterborn und Peter<br />
Wettstein gekommen. Beide waren für<br />
mich Komponisten mit Vorbildcharakter,<br />
in<strong>dem</strong> sie mir <strong>vor</strong>lebten, zu komponieren<br />
und mich ermutigten, es auch<br />
zu tun. Danach konnte ich nicht mehr<br />
davon lassen.<br />
Franz Rechsteiner im Gespräch<br />
In welcher Art würdest du deinen<br />
derzeitigen Kompositionsstil<br />
charakterisieren?<br />
<strong>Das</strong> ist schwierig. Ich suche harmonische<br />
Klänge, die nachvollziehbar sind<br />
und eine gewisse Konsequenz haben. Da<br />
spielt beispielsweise auch das Prinzip der<br />
Wiederholung eine wichtige Rolle. Die<br />
Harmonik kann durchaus noch auf Dreiklängen<br />
basieren, die dann um Dissonanzen<br />
erweitert werden. Es steht immer ein<br />
System dahinter. <strong>Das</strong> heisst, ich entwickle<br />
verschiedene Akkordreihen, von denen<br />
ich das Gefühl habe, dass deren Abfolge<br />
eine gewisse Logik aufweist.<br />
Wie hat sich dein Kompositionsstil<br />
über die Jahre hinweg verändert?<br />
Angefangen hat es im Prinzip im Studium<br />
mit Zwölftonübungen. Von dort aus habe<br />
ich dann meinen eigenen Stil gesucht.<br />
Ich bin wohl zusehends vom linearen<br />
Denken, das durchaus auch jetzt noch<br />
Foto Beat Habermacher
2 16<br />
7<br />
Franz Rechsteiner<br />
(*1941) in Appenzell. Nach Abschluss des Theologiestudiums<br />
(1961–1967) folgte das Studium an der Musikhochschule<br />
Zürich in den Hauptfächern Violine (Heiner Reitz),<br />
Musiktheorie (Rudolf Kelterborn, Peter Wettstein) und<br />
Komposition (Rudolf Kelterborn). Musikwissenschaftliche<br />
Studien an der Universität Zürich. 1970 Diplomabschluss<br />
Violine mit Auszeichnung. 1972 Diplomabschluss Lehrer<br />
für musiktheoretische Fächer. 1973–1975 Musiklehrer<br />
am Gymnasium Stans NW. 1974–2002 Dozent an der<br />
damaligen Aka<strong>dem</strong>ie für Schul- und Kirchenmusik Luzern<br />
ASK (heute Hochschule Luzern – Musik). 1976–1979<br />
Leiter der Kirchenmusikabteilung der ASK. Bis 1986 Konzerttätigkeit<br />
als Violinist in der Schweiz, Deutschland,<br />
Dänemark, Holland, Italien und Japan. Tätigkeit als Komponist.<br />
Aufführungen seiner Werke in verschiedenen Ländern<br />
Europas. Komponistenporträts in Luzern und am<br />
Radio DRS. Etliche Werke wurden von Radio DRS, <strong>dem</strong><br />
Rundfunk Dänemark und Holland aufgezeichnet. 1992<br />
Werkbeitrag von Kanton und Stadt Luzern.<br />
fr<br />
Foto Beat Habermacher<br />
Handschriftliche Partitur: Ausschnitt aus den «Sibyllen»<br />
<strong>vor</strong>handen ist, vermehrt auf harmonische<br />
Zusammenhänge gestossen. Ich war nie<br />
extrem, habe mich zum Beispiel nur<br />
höchst selten in der Mikrotonalität bewegt.<br />
Im Grunde bin ich mit meinem Stil<br />
irgendwo zwischen Tisch und Bank geraten:<br />
Die progressivste Avantgarde schaut<br />
diesen als überholt an und für die konservativen<br />
Vertreter ist meine Musik zu<br />
modern. Populär ist meine Musik sicher<br />
nicht. Aber ich meine, welche Musik<br />
spricht schon alle an?<br />
Wie läuft der Prozess des Komponierens<br />
bei dir ab?<br />
Viele meiner Stücke sind aus einer Art<br />
Ablaufbeschreibung entstanden, denn<br />
ich schreibe meist zuerst auf, was ich für<br />
eine Stimmung erzeugen möchte. Danach<br />
sitze ich am Klavier, improvisiere darüber<br />
und plötzlich stosse ich auf einen Klang<br />
oder eine Klangfolge, die ich festhalten<br />
will. Dabei handelt es sich aber nur um<br />
einen Einfall, das stellt also noch keine<br />
Komposition dar. Es geht dann darum,<br />
diesen Einfall in einen Zusammenhang<br />
mit weiteren Ideen zu bringen, ihn weiterzuentwickeln<br />
und fortzuspinnen. <strong>Das</strong><br />
fügt sich manchmal wie von selbst, muss<br />
teilweise aber auch sehr bewusst gesetzt<br />
werden.<br />
Die Zusammenarbeit mit deinem<br />
Bruder Justin Rechsteiner, der<br />
Theologe und Germanist ist, zieht<br />
sich wie ein roter Faden durch<br />
dein kompositorisches Schaffen.<br />
Wie erlebst du diese?<br />
Unsere Zusammenarbeit funktioniert<br />
sehr gut, wenn es auch für mich nicht<br />
immer einfach ist, seine Texte zu vertonen,<br />
da sie in ihrer <strong>theologisch</strong>en Aussage<br />
oft sehr direkt sind. Da <strong>kommt</strong> es<br />
schon mal <strong>vor</strong>, dass ich auf ihn zugehe<br />
und mit ihm darüber spreche, ob man<br />
zum Beispiel eine bestimmte Aussage<br />
nicht auch anders ausdrücken könnte.<br />
Er hat oft geistliche Texte aktualisiert<br />
und für die heutige Zeit ausgelegt. Für<br />
meine neueste Komposition «Sibyllen»<br />
habe ich ihn angefragt, ob er ausgehend<br />
von den Texten, die den Motetten von<br />
Orlando di Lasso zugrunde liegen, neue<br />
Texte verfassen könnte.<br />
Du hast im Auftrag der Basler<br />
Madrigalisten eine Ergänzung zu<br />
den Motetten «Prophetiae Sibyllarum»<br />
von Orlando di Lasso (1532–<br />
1594) komponiert, die Ende Februar<br />
uraufgeführt wurde. Klingt nach<br />
einer spannenden Aufgabe. Wie kam<br />
es dazu?<br />
Raphael Immoos, der Leiter des Vokalensembles,<br />
fragte mich an, ob ich Lust<br />
hätte, für eine konzertante Aufführung<br />
ein unfertiges Werk von Mendelssohn<br />
auf meine Art zu ergänzen. Ich konnte<br />
mir das aber nicht so wirklich <strong>vor</strong>stel-
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len. Dabei kam dann der Gedanke auf,<br />
dass ich vielleicht etwas zu den zwölf<br />
Sibyllen-Motetten von di Lasso schreiben<br />
könnte, die man sehr selten hört. Raphael<br />
hatte die Idee, im Konzert nicht einfach<br />
zuerst das eine und dann das andere<br />
Werk aufzuführen, sondern das Werk<br />
von di Lasso mit seiner anspruchsvollen<br />
Harmonik jeweils nach zwei, drei Motetten<br />
mit einer Reaktion musikalischer<br />
und textlicher Art unterbrechen zu lassen.<br />
<strong>Das</strong> fand ich eine reizvolle Aufgabe,<br />
denn mich interessiert die äusserst<br />
kühne harmonische Tonsprache aus der<br />
Renaissancezeit mit den chromatischen<br />
Terzverwandtschaften.<br />
Gedankensplitter – in drei Zeiten<br />
Zeit 1. Die Chorpartitur des «Mose-Requiems» von Franz Rechsteiner liegt noch<br />
unverblättert <strong>vor</strong> mir. Ein zeitgenössisches Werk entdecken zu dürfen, von <strong>dem</strong> noch<br />
keine Aufnahme im Handel existiert, ist doppelt spannend!<br />
Keine fulminante Eröffnungsmusik, nein, ein schlichtes, melancholisches Posaunensolo,<br />
welches mit seinem Motiv zugleich einen grossen Bogen spannt zum<br />
Schluss-Chor, der das Motiv als Zitat in verkleinerter Form wieder aufnimmt,<br />
A-cappella.<br />
Im Notenbild der Begleitung fallen Cluster auf, Quartenparallelen in den Trompeten,<br />
grosse Septimen, verminderte Akkorde, enorm viele Vorzeichen und enharmonische<br />
Verwechslungen, Triolen, Quintolen, Septolen, Flatterzungen, Tremoli... Die<br />
Chorstellen sind meist in motettischer Schreibweise zu finden. Textlich liegt ihnen<br />
grösstenteils der Psalm 90 zugrunde, der Mose-Psalm. Auch gibt es Sprechgesang,<br />
A-cappella-Chöre.<br />
<strong>Das</strong> Werk erscheint – die Einleitung nicht mitgezählt – in sieben Bildern, sieben<br />
Perspektiven? Darin findet sich auch Mirjams (Tanz-)Lied: Im 5 ⁄ 8-Takt notiert, als Sopranarie<br />
(2. Mose 15, 21) «Hoch erhaben...» bis zum hohen H. Die Rolle des Erzählers<br />
fällt <strong>dem</strong> Tenor zu; die Ich-Erzählungen des Mose <strong>dem</strong> Bariton.<br />
Zeit 2. Nun gilt es, in die Musik einzutauchen – sie wird mir im Lauf der Probenarbeit<br />
vertrauter und nahe. Die Zusammenklänge führen in eine neue-alte Welt, lassen<br />
erahnen, wie Mose immer wieder rang.<br />
<strong>Das</strong> ganze Werk erscheint mir wie ein grosses Rezitativ auskomponiert. Sehr<br />
eindrücklich die Orchestrierung beispielsweise in der Einleitung, was aus <strong>dem</strong><br />
Posaunensolo herauswächst: Sind da gar Schöpfungsklänge zu vernehmen? Dann<br />
die schweren Schritte, überlagert von leichtem Trippeln, wie wenn eine grosse<br />
Menschenmenge <strong>vor</strong>überziehen würde. Dann verhallen die Schritte. Oder später<br />
die Spaltung des Wassers, welches sich mächtig wogend aufbäumt – und wieder<br />
schliesst. Oder die Ankündigungen durch die Harfe, wenn es heisst «Und Gott<br />
sprach…». Oder die klare Präsenz Gottes, instrumentiert durch Klangsäulen der<br />
Posaunen. Oder – soweit ich durchhören konnte – die einzige Unisono-Stelle von<br />
Mose und <strong>dem</strong> Horn, wenn es heisst «Lass mich doch deine Herrlichkeit schauen.»<br />
Oder die nur noch sehr spärliche Instrumentierung nach Moses Tod – bis hin zum<br />
ganz leisen zweifachen gregorianischen Kyrieruf, der dieses grosse Werk beschliesst.<br />
Zeit 3. Nun ist sie verklungen, diese eindrückliche Musik. Ausschnitte wie «Dürfte<br />
ich doch […] hinübergehen…» oder «Kehre doch wieder, o Gott. Ach wie lange…»<br />
und «Ross und Reiter…» im 5 ⁄ 8-Takt klingen nach.<br />
Die neuen Perspektiven auf das Leben von Mose bleiben in lebendiger, klingender<br />
Erinnerung.<br />
Es war ein grosses Erlebnis, dieses Werk quasi von innen kennenlernen zu dürfen.<br />
Silvia Matile-Eggenberger sang bei der aktuellen Aufführung von Franz Rechsteiners<br />
Mose-Requiem im Chor der ZHdK mit.<br />
Orlando di Lasso und Franz Rechsteiner<br />
kompositorisch ineinander<br />
verschachtelt – wie muss ich mir das<br />
<strong>vor</strong>stellen?<br />
Manchmal ist es eine Art Weiterführung<br />
von Orlando di Lasso, manchmal kontrastiere<br />
ich ihn aber auch. Zum Prolog<br />
von di Lasso habe ich beispielsweise eine<br />
A-cappella-Motette geschrieben, die nur<br />
auf Vokale, also ohne Text, gesungen<br />
wird, um zu zeigen, welchen Weg man<br />
kontrapunktisch gehen könnte. An anderen<br />
Stellen habe ich teilweise Motive<br />
von di Lasso abgeleitet und diese dann zu<br />
einer Zwölftonreihe oder anderen Tonfolgen<br />
ausgeweitet. So steht beispielsweise<br />
am Beginn einer meiner Motetten die<br />
gleiche melodische Abfolge wie bei der<br />
<strong>vor</strong>angehenden Motette von di Lasso,<br />
diese wird dann aber kompositorisch<br />
anders weiterverarbeitet.<br />
Wie ist das für dich, wenn ein Werk<br />
von dir uraufgeführt wird?<br />
Natürlich freut es mich, wenn ein neues<br />
Werk zur Aufführung gelangt. Umgekehrt<br />
denke ich jeweils auch «um Himmels willen,<br />
in was habe ich mich da nur hinein<br />
begeben?».<br />
Wie meinst du das? Hast du Angst,<br />
dass dein Werk bei den Zuhörenden<br />
nicht an<strong>kommt</strong>?<br />
Ich bin oft etwas verlegen, weil ich daran<br />
denke, was ich den Zuhörenden und<br />
Ausführenden da wieder zumute. Aber<br />
vielleicht muss man ja auch ein bisschen<br />
zumuten. Ich kann mich nicht beklagen,<br />
meistens wurden meine Werke durchaus
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9<br />
Die 15 neuesten Kompositionen<br />
(alphabetische Anordnung)<br />
aenigma<br />
Annäherungen an B-A-C-H<br />
Capriccio<br />
Concertino<br />
… et adhuc …<br />
ex nihilo-quo<br />
fluctus<br />
in transversum<br />
Meditation über Veni Creator<br />
Spiritus<br />
Symphonia vocalis<br />
Schichtungen<br />
SIBYLLEN. Kontrapunkte zu<br />
Orlando di Lassos Prophetia<br />
Sibyllarum<br />
VER-FÜGUNGEN<br />
Zwei Meditationen über die<br />
Antiphonae maiores (Advent)<br />
Zwei Psalmen<br />
fr<br />
gut aufgenommen. Aber es ist leider so,<br />
dass die Uraufführung öfters zugleich die<br />
erste und letzte Aufführung ist.<br />
<strong>Das</strong> «Mose-Requiem», ein umfangreiches<br />
Oratorium, kam ja<br />
jetzt anlässlich deines 75. Geburtstages<br />
nach 18 Jahren erfreulicherweise<br />
ein zweites Mal zur<br />
Aufführung. Hast du das Werk<br />
noch präsent?<br />
Ich vergesse schnell wieder, was ich gemacht<br />
habe. So ist meine Komposition<br />
bei Beat Schäfer, der das Werk erneut<br />
einstudiert, derzeit sicher präsenter als<br />
bei mir. Aber im Vorfeld der Wiederaufführung<br />
habe ich die Partitur und<br />
den CD-Mitschnitt der Erstaufführung<br />
wieder her<strong>vor</strong>genommen, um sie zu<br />
studieren. Ich bin ja auch an einigen<br />
Proben dabei.<br />
Dein Schaffen umfasst auch liturgische<br />
Werke. Mit den «Liturgischen<br />
Solokantaten zum Kirchenjahr»<br />
(2004) bist du auf die Bedingungen<br />
eines Gemeindegottesdienstes<br />
eingegangen. Konnten diese Kompositionen,<br />
die auch die Gemeinde<br />
einbinden, im christlichen Gottesdienst<br />
Fuss fassen?<br />
Sie wurden schon gelegentlich wieder<br />
aufgeführt. Aber obwohl ich damals<br />
viele positive Rückmeldungen erhalten<br />
habe, führen die Kirchenmusiker und<br />
-musikerinnen heute möglicherweise halt<br />
doch lieber eine Mozartmesse auf. Es gab<br />
auch einige kritische Stimmen, welche<br />
die Kantaten für den katholischen Gottesdienst<br />
für nicht geeignet hielten, aber<br />
da bin ich anderer Ansicht. Ich wollte<br />
jedenfalls mit diesen Kantaten auch der<br />
neuen Musik einen Raum in der heutigen<br />
Liturgie geben – was längst nicht heisst,<br />
dass die Musik allen gefallen muss. Da<br />
bin ich in meinem Stil sicher auch etwas<br />
kompromisslos, wie es jeweils heisst,<br />
aber alles andere ergibt für mich keinen<br />
Sinn.<br />
Wie steht es denn deiner Meinung<br />
nach derzeit um das Verhältnis von<br />
Kirche und zeitgenössischer Musik?<br />
Neue Musik in meiner Tonsprache hat<br />
zurzeit nicht wirklich einen Platz in der<br />
Liturgie. <strong>Das</strong> liegt möglicherweise auch<br />
daran, dass die Kirche meines Erachtens<br />
zu einer Art Wohlfühlkirche geworden ist.<br />
Ich bin nicht dagegen, dass die Liturgie<br />
einem einen Ruheplatz bietet, wo man<br />
auch mal anders atmen kann. Umgekehrt<br />
bin ich der Ansicht, dass sie auch fordern<br />
müsste.<br />
Inwiefern fordern?<br />
Ich denke, dass nicht ohne Konsequenz<br />
bleiben darf, was da für biblische Texte<br />
verkündet werden. Die biblischen Texte<br />
Trio für Altblockflöte, Cembalo und Barockcello<br />
Violine solo<br />
Flöte, Violine, konzertierendes Cembalo und<br />
Streichorchester<br />
Violine, Orgelpositiv, Streichorchester und Pauken<br />
Skizze für Orgel<br />
Sextett für zwei Violinen, zwei Bratschen und<br />
zwei Celli<br />
Trio für Violine, Horn (F) und Klavier<br />
Musik für Klavier solo<br />
für Orgel<br />
für Chor a cappella<br />
für Sinfonieorchester<br />
für Vokalstimmen und Saxophonquartett<br />
Musik für Klavier solo<br />
für Orgel<br />
für Mezzosopran und Orgel<br />
sind anspruchsvoll, überfordern uns auch<br />
immer wieder. Dies müsste in der Kirche<br />
zur Sprache kommen.<br />
Sind die Kirchgängerinnen und<br />
-gänger von heute nicht mehr bereit,<br />
sich aufrütteln zu lassen,<br />
sich von Texten, aber auch von der<br />
Musik fordern oder zuweilen überfordern<br />
zu lassen?<br />
<strong>Das</strong> Gehör ist eben viel empfindlicher<br />
als das <strong>Auge</strong>. <strong>Das</strong> <strong>Auge</strong> akzeptiert die<br />
moderne Malerei überall praktisch ohne<br />
Weiteres. Bei den <strong>Ohr</strong>en muss man<br />
eher aufpassen, was man macht. Was mit<br />
diesem sensiblen Organ wahrgenommen<br />
wird, geht viel tiefer hinein als der visuelle<br />
Eindruck. <strong>Das</strong> <strong>Ohr</strong> <strong>kommt</strong> auch<br />
<strong>theologisch</strong> gesehen <strong>vor</strong> <strong>dem</strong> <strong>Auge</strong>, es<br />
heisst ja beispielsweise schon bei Paulus<br />
«Der Glaube <strong>kommt</strong> vom Hören». Aber<br />
wir leben jetzt in einer Zeit, in welcher
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es genau umgekehrt läuft. Ich denke, dass<br />
die Kirchenmusik Gefahr läuft, museal<br />
zu werden, wenn nicht auch ab und zu<br />
einmal die neue E-Musik ihren Platz in<br />
der Liturgie findet.<br />
Du gehörst einer Generation an,<br />
welcher der Ausdruck des christlichen<br />
Glaubens ein Anliegen ist.<br />
Die Zahl der Gottesdienstbesucher<br />
und -besucherinnen ist in den<br />
letzten zwanzig Jahren aber stark<br />
ge sunken. Wer komponiert die liturgische<br />
Musik von morgen?<br />
Ich weiss nicht, das hängt sicher sehr von<br />
der Entwicklung der christlichen Kirche<br />
ab. Da wage ich keine Prognose, wie das<br />
in 50 Jahren aussieht.<br />
Was sind deine nächsten Kompositionsprojekte?<br />
Ich arbeite aktuell an einem Violinkonzert.<br />
<strong>Das</strong> ist für einmal keine Auftragskomposition,<br />
sondern etwas, das ich einfach<br />
unbedingt machen möchte. Ich hatte<br />
<strong>vor</strong> <strong>dem</strong> Auftrag der Sibyllen-Motetten<br />
damit begonnen und nehme nun die<br />
Arbeit daran wieder auf.<br />
Herzlichen Dank für das interessante Gespräch<br />
und viel Erfolg für dein weiteres<br />
Schaffen.<br />
Johanna Jud<br />
(*1983) hat an der Musikhochschule Luzern<br />
Orgel, Chorleitung und Kirchenmusik<br />
studiert und ist derzeit in verschiedenen<br />
Kirchgemeinden des Kantons Zürich<br />
als Organistin im Einsatz. Seit 2008 ist<br />
sie Co-Regionalschulleiterin der Diözesanen<br />
Kirchenmusikschule St. Gallen dkms,<br />
Region Linth, wo sie auch Orgel unterrichtet.<br />
Zu<strong>dem</strong> studiert sie an der Universität<br />
Zürich im Masterstudiengang Germanistik<br />
und Religionswissenschaft.<br />
X. Sommerkurs für A-cappella-Ensembles 27. – 31. Juli 2016<br />
Stift Urach, Bad Urach (D)<br />
• Konzerte,Stimmbildung&Interpretation<br />
<strong>Das</strong>Peñalosa-Ensemble<br />
• ZwölfJahrhunderteMusikerlebenin<br />
bestehendenoderAd-hoc-Ensembles<br />
• GregorianischeGesänge:UnsereQuele<br />
Prof.DavidEben,Prag<br />
• Gregorianikmehrstimmigimprovisieren<br />
Prof.PiereFunck,Trosingen<br />
• Anmelden bis 31. Mai • Details & Unterlagen: www.Penalosa.ch<br />
Konzerte, Rezitals und Musik-Events ...<br />
... müssen ihrem Zielpublikum bekannt gemacht<br />
werden.<br />
Bei uns liegen Sie mit einer Konzertanzeige richtig.<br />
Weil diese von 3500 <strong>Auge</strong>n gesehen wird.<br />
Bis am 5. Mai 2016 sollten wir im Besitz<br />
Ihrer Text<strong>vor</strong>lage sein. Ende Mai erscheint<br />
die nächste Aus gabe von «Musik und Liturgie»!