SLT_BR_Festakt_H_60_25JahreSLT
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Gemeinschaft zu berufen oder das zu<br />
befördern. Ich glaube nicht an diese<br />
Vorstellung, dass man sozusagen einer<br />
politischen Gemeinschaft eine Identität<br />
geben muss, die sich dann eine politische<br />
Organisationsform gibt. Das ist die<br />
Fiktion einer Nationalstaatsgründung,<br />
dass politische Gemeinschaft und staatliche<br />
Organisation übereinstimmen.<br />
Insoweit glaube ich auch nicht an die<br />
Möglichkeit einer regionalen Identitätsbildung.<br />
Sie wird häufig im politischen<br />
Diskurs betont – und das wird in allen<br />
Bundesländern so gemacht. Da gibt<br />
es die schwäbische Identität, der ich ja<br />
dann eher zugehöre, oder auch den<br />
Brandenburger Weg. Deswegen weiß<br />
ich nicht genau, ob man wirklich eine<br />
plausible, gut fundierte Antwort auf die<br />
Frage geben kann, inwieweit der Landtag<br />
zur Identitätsbildung in Sachsen<br />
beigetragen hat oder nicht.<br />
Generell ist es schwierig, weil die Akteure<br />
im Landtag nicht gut an etwas appellieren<br />
können, das außerhalb der Rationalität<br />
liegt. Ich stimme Böckenförde in<br />
seiner Aussage zu, dass Demokratie<br />
auf Voraussetzungen beruht, die sie<br />
selbst gar nicht herstellen kann. Wir<br />
begreifen Politik vor allen Dingen als<br />
rationale Veranstaltung. Politisierung ist<br />
aber mehr als Rationalität. Sie bedeutet<br />
auch eine gefühlsmäßige Zuneigung zu<br />
etwas, was man gar nicht immer unbedingt<br />
ganz verstehen muss und auch<br />
nicht immer ganz verstehen kann.<br />
Alexandra Gerlach: Nun erleben wir im<br />
Moment eine Art Abwendung der Bürger<br />
von der Politik. Ich rede jetzt nicht<br />
nur von denen, die sich sehr extrem<br />
abwenden und das in Dresden zu Gehör<br />
bringen. Wir erleben in den letzten Jahren<br />
auch einen starken Rückgang der<br />
Wahlbeteiligung nicht nur im Osten.<br />
Das muss für jemanden, der lange im<br />
Parlament gesessen hat und für die<br />
eigenen Überzeugungen, für Themen<br />
und für Projekte gekämpft hat, sehr<br />
schwer zu ertragen sein, oder, Frau<br />
Hermenau?<br />
Antje Hermenau: Ja, das ist schwer zu<br />
ertragen, wenn die Politik – es betrifft<br />
da nicht nur die Landesebene, sondern<br />
auch die Bundesebene, wenn ich das<br />
richtig beobachte – den Vertrauenskredit<br />
bei den Leuten in der Bevölkerung<br />
verliert, gerade wenn man auch diese<br />
Anfangserinnerungen hat, die wir eben<br />
im Video gesehen haben.<br />
Meiner Beobachtung nach gibt es<br />
im Moment ein sinkendes Vertrauen<br />
in die Handelnden und die Fragen,<br />
ob diese das alles im Griff haben und<br />
wissen, was sie tun. Dieses sinkende<br />
Vertrauen haben die Leute schon seit<br />
der Finanzkrise 2009. Da gab es in<br />
der Bevölkerung die erste große Ver -<br />
unsicherung.<br />
Dann haben die Osteuropäer beobachten<br />
dürfen, dass es im Rahmen dessen,<br />
wen man wie finanziell rettet, doch eine<br />
erste und eine zweite Klasse gibt. Das<br />
ist den Osteuropäern sauer aufgestoßen<br />
und hat viel Unbill gebracht.<br />
Podiumsdiskussion | 59 |