30.05.2016 Aufrufe

Leseprobe AiB 6_2016

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Arbeitsrecht<br />

im Betrieb<br />

<strong>AiB</strong> | FACHZEITSCHRIFT FÜR DEN BETRIEBSRAT<br />

aib-web.de<br />

37. JAHRGANG<br />

ISSN 01741225<br />

D 3591<br />

6 | <strong>2016</strong><br />

ENTGELT<br />

Wie Bezahlung<br />

gerechter wird<br />

aktuelles <strong>AiB</strong> wurde als Fachzeitschrift des Jahres prämiert<br />

grundlagen Kommunikation macht Betriebsratsarbeit transparent<br />

betriebliche praxis Die Anforderungen an Betriebsräte steigen


titelthema<br />

entgelt<br />

<strong>AiB</strong> 6 | <strong>2016</strong><br />

Entgeltgleichheit:<br />

Ein brisantes Thema<br />

entgelt Die korrekte Umsetzung von Tarifverträgen ist oft eine komplizierte<br />

Angelegenheit für den Betriebsrat. Frauen und Männer, Alt und Jung,<br />

Angestellte und gewerblich Beschäftigte, Voll- und Teilzeitkräfte – sie alle<br />

sollen zu ihrem gerechten Lohn kommen. Beispiele aus der Praxis.<br />

VON HELGA BALLAUF<br />

10


<strong>AiB</strong> 6 | <strong>2016</strong><br />

entgelt<br />

titelthema<br />

Anfang März werden so viele Artikel<br />

zur Lohn(un)gleichheit zwischen<br />

Mann und Frau veröfentlicht,<br />

wie sonst das ganze Jahr<br />

nicht. Die Phase beginnt um den 8. März, den<br />

internationalen Frauentag. Dieses Jahr endete<br />

sie am 19. März, dem »Equal Pay Day«. Bis zu<br />

diesem Tag im Jahr <strong>2016</strong> mussten Frauen im<br />

Schnitt arbeiten, um auf den für Männer üblichen<br />

Jahresverdienst 2015 zu kommen. Eklatante<br />

Unterschiede, die neuerdings Schlagzeilen<br />

machen. Und jene motivieren, die Abhilfe<br />

schafen wollen.<br />

Übers Geld reden?<br />

So haben Andrea Jochmann-Döll und Karin<br />

Tondorf im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung<br />

den Entgeltgleichheits-Check (EG-Check) entwickelt,<br />

um Lohndiskriminierung nachweisen<br />

zu können (s. Link). »Ein brisantes Thema«,<br />

sagt Jochmann-Döll, weil’s ums Geld geht, weil<br />

im Betrieb über den Verdienst zu reden oft noch<br />

als Tabu gilt, weil festgefügte Vorstellungen ins<br />

Wanken kommen, wenn Arbeit (neu) bewertet<br />

wird. Wenn etwa die Bäckereifachverkäuferin<br />

ebenso viele Bewertungspunkte zur Festlegung<br />

des Lohns wie der Bäcker erhält; wenn die<br />

(männliche) Werksleitung und die (weibliche)<br />

Kantinenleitung plötzlich als Jobs mit gleichwertigen<br />

Tätigkeiten gelten. Prüinstrumente<br />

des EG-Checks sind Statistiken, Regelungen<br />

in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen<br />

sowie Paarvergleiche.<br />

Was hat welchen Wert?<br />

Der entscheidende Faktor ist die Gleichwertigkeit.<br />

Auf der Grundlage europäischen<br />

Rechts haben die Arbeitswissenschaftlerinnen<br />

Jochmann-Döll und Tondorf 19 Kriterien<br />

entwickelt, anhand derer die Art der Tätigkeit,<br />

die Qualiikationsanforderungen und<br />

die Arbeitsbedingungen verglichen werden<br />

können. Neben körperlichen und intellektuellen<br />

Anforderungen spielen die psychosozialen<br />

eine wichtige Rolle sowie Art und Umfang<br />

von Verantwortung. »Die psychosozialen Aspekte<br />

machen oft den entscheidenden Unterschied«,<br />

sagt Jochmann-Döll. Brisant ist das<br />

Thema auch, weil Beschäftigte manchmal<br />

Angst haben, dass sie zu kurz kommen, falls<br />

andere dank des Vergleichs besser bezahlt<br />

werden. Auch die Tarifparteien sind oft wenig<br />

begeistert, wenn nachgewiesen wird, dass ihr<br />

darum geht es<br />

1. Gleiche oder gleichwertige<br />

Bezahlung von<br />

Männern und Frauen<br />

stellt nach wie vor ein<br />

Problem dar.<br />

2. Meist läuft die Diskriminierung<br />

mittelbar,<br />

das heißt, nicht ofensichtlich<br />

ab.<br />

3. Betriebsräte können<br />

hier zum Beispiel einen<br />

Entgelt-Check anregen,<br />

um prüfen zu lassen, ob<br />

diskriminiert wird.<br />

linktipps<br />

Grundlegende Infos zur<br />

Kontrolle der Entgeltgleichheit<br />

im Betrieb<br />

bei gleichen und gleichwertigen<br />

Tätigkeiten:<br />

Prüinstrumente, Erfahrungen,<br />

Links.<br />

www.eg-check.de<br />

»Lohngleichheit im<br />

Betrieb Deutschland«<br />

ermöglicht eine betriebsinterne<br />

Analyse der<br />

Vergütungsstruktur und<br />

stammt vom Bundesfamilienministerium.<br />

www.logib-d.de<br />

11


titelthema<br />

entgelt<br />

<strong>AiB</strong> 6 | <strong>2016</strong><br />

Wer wird<br />

wie bezahlt?<br />

lohngerechtigkeit Arbeitsleistung ist zu vergüten, so viel<br />

ist klar. Arbeitgeber haben bei der Vergütung der Mitarbeiter<br />

eine Reihe von Vorgaben zu beachten, um die Lohngerechtigkeit<br />

zu wahren. Aber wie kann der Betriebsrat sicherstellen, dass<br />

der Arbeit geber sich an die Vorgaben hält?<br />

VON MARC-OLIVER SCHULZE UND EVA RATZESBERGER<br />

darum geht es<br />

1. Der Arbeitgeber<br />

ist verplichtet, die Beschäftigten<br />

gerecht<br />

zu bezahlen.<br />

2. Der Betriebsrat kann<br />

überwachen, ob sich der<br />

Arbeitgeber daran hält.<br />

3. Wird ein Mitarbeiter<br />

nicht angemessen bezahlt,<br />

kann der Betriebsrat ihn<br />

hierüber informieren.<br />

Die Höhe des Arbeitsentgelts wird<br />

zumeist vor Beginn der Beschäftigung<br />

geregelt. Hinter der vereinbarten<br />

Vergütung steht allerdings<br />

nicht nur Verhandlungsgeschick. Der<br />

Arbeitgeber ist hier an Recht und Gesetz gebunden<br />

und der Betriebsrat hat die Plicht,<br />

ihn zu kontrollieren.<br />

Woher kommt der<br />

Vergütungsanspruch?<br />

Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf sein<br />

Entgelt wird dem Grunde nach in § 611<br />

Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelt.<br />

Danach sind der Arbeitnehmer zur<br />

Erbringung der vereinbarten Arbeitsleistung<br />

und der Arbeitgeber zur Gewährung der vereinbarten<br />

Vergütung verplichtet. Die Höhe<br />

des Arbeitsentgelts wird in aller Regel zwischen<br />

den Vertragsparteien im Arbeitsvertrag<br />

ausdrücklich vereinbart. Fehlt es an einer<br />

solchen Regelung, ist nach § 612 Abs. 2 BGB<br />

auf die übliche Vergütungshöhe abzustellen.<br />

Grundsätzlich ist unter diesem Begrif eine<br />

Vergütung zu verstehen, die im gleichen Gewerbe<br />

oder Beruf an dem betrefenden Ort<br />

für eine entsprechende Arbeit gezahlt wird.<br />

Dabei sind die persönlichen Verhältnisse des<br />

Arbeitnehmers wie Alter, Berufserfahrung,<br />

Familienstand und Anzahl der Kinder zu berücksichtigen.<br />

In der Praxis stellt sich die Frage<br />

nach der üblichen Vergütung nach § 612<br />

Abs. 2 BGB allerdings nur selten, da zumeist<br />

vertragliche Regelungen über die Entgelthöhe<br />

existieren. Vielmehr muss der Mitarbeiter<br />

hinterfragen, ob seine individuell vereinbarte,<br />

monatlich zahlbare Vergütung der Höhe<br />

nach angemessen ist und insbesondere, ob<br />

ihm anderweitige Regelungen einen höheren<br />

Anspruch gewähren könnten.<br />

Tarifvertragliche Regelungen<br />

Ist der Arbeitgeber tarifgebunden oder fällt er<br />

unter den Anwendungsbereich eines für allgemeinverbindlich<br />

erklärten Entgelttarifvertrags,<br />

ist die mit dem Arbeitnehmer einzelvertraglich<br />

vereinbarte Vergütung am Maßstab<br />

der tarilichen Regelungen zu messen. Da<br />

der Arbeitgeber nach § 8 Tarifvertragsgesetz<br />

(TVG) verplichtet ist, die in seinem Betrieb<br />

anwendbaren Tarifverträge so bekannt zu machen,<br />

dass sie die Mitarbeiter problemlos einpraxistipp<br />

Sollte der Arbeitgeber die anwendbaren<br />

Tarifverträge nicht zugänglich machen,<br />

empiehlt es sich für den Mitarbeiter, sich<br />

an den Betriebsrat zu wenden und die<br />

erforderlichen Auskünfte dort einzu holen.<br />

Der Betriebsrat sollte die Mit arbeiter darauf<br />

hinweisen.<br />

14


<strong>AiB</strong> 6 | <strong>2016</strong><br />

entgelt<br />

titelthema<br />

sehen können, sind diese grundsätzlich in der<br />

Lage, die Einhaltung tarilicher Vorschriften<br />

durch den Arbeitgeber zu überprüfen.<br />

Betriebliche Regelungen<br />

Vergütungsrelevante Themen können zudem<br />

Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein.<br />

Häuig sind dies Vereinbarungen über ein<br />

leistungsabhängiges variables Vergütungssystem,<br />

das den Mitarbeitern bei Erreichen im<br />

Vorfeld festgelegter bestimmter Ziele neben<br />

dem Grundgehalt einen weitergehenden Vergütungsanspruch<br />

gewährt.<br />

gut zu wissen<br />

Dem Betriebsrat steht nach § 87 Abs. 1<br />

Nr. 10 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)<br />

ein Mitbestimmungsrecht betrefend der<br />

betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere<br />

bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen<br />

sowie der Einführung und Anwendung<br />

von neuen Entlohnungsmethoden zu.<br />

Hierunter fällt beispielsweise die Einführung<br />

eines variablen Vergütungssystems.<br />

(Dazu mehr im Beitrag von Christopher Koll<br />

auf Seite 18).<br />

Nach § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG hat der Arbeitgeber<br />

Betriebsvereinbarungen an geeigneter<br />

Stelle im Betrieb auszulegen. Auch dies hat<br />

den Hintergrund, dass die Mitarbeiter über die<br />

Inhalte der Betriebsvereinbarungen informiert<br />

werden sollen. Der einzelne Mitarbeiter hat<br />

somit die Möglichkeit, sich über im Betrieb<br />

geltende tariliche oder betriebliche Vergütungsregelungen<br />

in Kenntnis zu setzen und zu<br />

überprüfen, ob die dort aufgestellten Grundsätze<br />

mit seinen individualrechtlich vereinbarten<br />

und abgerechneten Entgelten übereinstimmen.<br />

Da dem Mitarbeiter diese Bewertung<br />

mitunter schwerfallen wird, kann es ratsam<br />

sein, den Betriebsrat hinzuzuziehen.<br />

Neben der Möglichkeit, dass sich die Beschäftigten<br />

direkt an den Betriebsrat wenden<br />

und diesen um Prüfung ihres Vergütungsstatus<br />

bitten können, kann sich der Betriebsrat<br />

auch im Rahmen seiner allgemeinen Überwachungsaufgabe<br />

nach § 80 Abs. 1 Nr. 1<br />

BetrVG einschalten.<br />

Überwachung im Rahmen des<br />

§ 80 Abs. 1 BetrVG<br />

Der Betriebsrat hat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1<br />

BetrVG darüber zu wachen, dass sämtliche zugunsten<br />

der Mitarbeiter geltenden Vorschriften<br />

(das heißt Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen)<br />

ordnungsgemäß umgesetzt<br />

werden.<br />

gut zu wissen<br />

Die Überwachungsaufgaben nach § 80<br />

Abs. 1 Nr. 1 BetrVG fallen grundsätzlich in<br />

die originäre Zuständigkeit der lokalen Betriebsräte.<br />

Dies gilt regelmäßig auch dann,<br />

wenn es um die Einhaltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung<br />

geht.<br />

Neben den tarilichen oder betrieblichen Regelungen<br />

hat der Arbeitgeber in diesem Zusammenhang<br />

insbesondere die gesetzlich vorgegebenen<br />

Lohnuntergrenzen einzuhalten.<br />

Mindestlohn und Verbot des Lohnwuchers<br />

In den Branchen des Niedriglohnsektors<br />

(beispielsweise Frisörhandwerk, Reinigungsgewerbe)<br />

sind die jeweils geltenden Mindestlöhne<br />

zu zahlen. Hierbei ist nicht nur der<br />

derzeit bei 8,50 Euro pro Zeitstunde liegende<br />

lächen deckende Mindestlohn nach § 1<br />

Abs. 2 Satz 1 Mindestlohngesetz (MiLoG)<br />

relevant. Vielmehr müssen die Arbeitgeber in<br />

speziellen Branchen die Branchenmindestlöhne<br />

bezahlen. So gelten beispielsweise im<br />

Baugewerbe, im Gebäudereinigungsgewerbe<br />

sowie in der Plegebranche als Mindestentgelt<br />

zu zahlende Löhne, die über 8,50 Euro<br />

pro Zeitstunde liegen. 1<br />

Daneben gilt es für den Arbeitgeber, das<br />

von der Rechtsprechung entwickelte Verbot<br />

des Lohnwuchers zu beachten. Dieses Verbot<br />

lässt sämtliche Vergütungsvereinbarungen sittenwidrig<br />

nach § 138 Abs. 1 BGB und damit<br />

unwirksam werden, die einschlägige Tarilöhne<br />

um mehr als 1/3 unterschreiten.<br />

All dies sind Aspekte, die der Betriebsrat<br />

im Rahmen seiner Überwachungsaufgabe<br />

nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG im Blick haben<br />

sollte. Während es dem einzelnen Mitarbeiter<br />

branchenmindestlohn<br />

Neben dem gesetzlichen<br />

Mindestlohn gibt es<br />

etliche Branchenmindestlöhne.<br />

Diese werden<br />

als unterste Lohn- und<br />

Gehaltsgruppe von<br />

Gewerkschaften und<br />

Arbeitgebern in einem<br />

Tarifvertrag ausgehandelt<br />

und liegen vielfach über<br />

8,50 Euro. Auf Antrag der<br />

Tarifpartner hat das Bundesarbeitsministerium<br />

diese Branchenmindestlöhne<br />

für allgemeinverbindlich<br />

zu erklären. Das<br />

heißt: Jeder Arbeitgeber<br />

der Branche muss diesen<br />

Mindestlohn zahlen –<br />

auch dann, wenn er nicht<br />

Mitglied des Arbeitgeberverbandes<br />

ist, der den<br />

Tarifvertrag abgeschlossen<br />

hat.<br />

aib-web.de<br />

} } Mehr zum Arbeitsentgelt<br />

inden Sie in unserem<br />

Online-Lexikon unter:<br />

aib-web.de > <strong>AiB</strong>:Assist ><br />

Betriebsratslexikon<br />

1 Übersicht abrufbar unter https://www.bmas.de/SharedDocs/<br />

Downloads/DE/pr-mindestloehne-aentg-uebersicht.pdf?__blob=publicationFile.<br />

15


grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Wahrheit um jeden Preis<br />

<strong>AiB</strong> 6 | <strong>2016</strong><br />

Wahrheit um<br />

jeden Preis<br />

beweisverwertungsverbot Manchmal greifen Arbeitgeber zu<br />

unlauteren Mitteln, um Sachverhalte aufzuklären. Um das<br />

Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten zu schützen, ist es<br />

sinnvoll in Betriebsvereinbarungen ein Beweisverwertungs -<br />

verbot zu normieren.<br />

VON SIMONE ROHS<br />

darum geht es<br />

1. Beweisverwertungsverbote<br />

sind ausdrücklich<br />

nur in der Strafprozessordnung<br />

geregelt.<br />

2. Aber auch für die<br />

Arbeits- und Zivil gerichte<br />

dürfen unzulässig<br />

erlangte Beweise nur in<br />

seltenen Fällen berücksichtigt<br />

werden.<br />

3. Es ist daher sinnvoll in<br />

eine Betriebs vereinbarung<br />

im Rahmen des Mitbestimmungsrechts<br />

bei<br />

technischen Anlagen<br />

nach § 87 Abs. 1 Nr. 6<br />

BetrVG ein formuliertes<br />

Beweisverwertungsverbot<br />

aufzunehmen.<br />

Beweisverwertungsverbote sind nur<br />

in wenigen Fällen ausdrücklich im<br />

Gesetz geregelt, die meisten inden<br />

sich in der Strafprozessordnung.<br />

Der wohl bekannteste Fall ist § 136a StPO,<br />

der regelt, dass ein Beweis, der unter Verletzung<br />

des Verbots des Ausschlusses der freien<br />

Willensbildung, beispielsweise durch Quälerei<br />

oder Täuschung, nicht verwertet werden darf.<br />

Im Zivilrecht sind solche absoluten Beweisverwertungsverbote<br />

hingegen nicht geregelt.<br />

Nichtsdestotrotz dürfen auch im Zivilrecht<br />

Beweise nicht um jeden Preis erhoben und verwertet<br />

werden, seien sie der Wahrheit noch so<br />

dienlich. Gleichzeitig verbietet das Zivilrecht<br />

aber auch nicht, dass alle unrechtmäßig erlangten<br />

Beweise verwertet werden dürfen.<br />

In welchen Fällen kann ein Beweisverwertungsverbot<br />

angenommen werden?<br />

Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus,<br />

dass eine Abwägung stattinden muss zwischen<br />

dem Eingrif (beispielsweise durch heimliche<br />

Videoüberwachung) in das grundgesetzlich<br />

geschützte Persönlichkeitsrecht und dem Interesse<br />

an einer funktionierenden Rechtsplege.<br />

In der arbeitsrechtlichen Praxis stellt man sich<br />

daher regelmäßig die Frage: Was wiegt höher,<br />

der Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers<br />

oder die Belange des Arbeitsgebers?<br />

Ist eine heimliche Videoüberwachung,<br />

Taschenkontrolle oder Durchsuchung gerechtfertigt<br />

und welche Konsequenzen hat eine (unterbliebene)<br />

Zustimmung des Betriebsrats auf<br />

diese Frage. Für die Frage der Rechtmäßigkeit<br />

des Eingrifs in die Persönlichkeitsrechte von<br />

Arbeitnehmern nehmen die Gerichte eine Prüfung<br />

vor, die der Verhältnismäßigkeitsprüfung<br />

des § 32 Abs. 1 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz<br />

ähnelt.<br />

Heimliche Videoüberwachung nur<br />

in engen Grenzen zulässig<br />

So entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG)<br />

in einem Urteil aus dem Jahre 2012 1 , dass eine<br />

heimliche Videoüberwachung nur zulässig<br />

sein kann, wenn es um den konkreten Verdacht<br />

einer Straftat oder schweren Verfehlung<br />

zu Lasten des Arbeitgebers gehe und sich der<br />

Verdacht gegen einen räumlich und funktional<br />

abgrenzbaren Arbeitnehmerkreis richte.<br />

Des Weiteren darf ein milderes Mittel zur<br />

Aufdeckung der Straftat nicht gegeben sein,<br />

die Videoüberwachung muss sich damit als<br />

das einzig sinnvolle Mittel darstellen und im<br />

Übrigen auch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände<br />

verhältnismäßig sein. In einem<br />

weiteren Fall aus dem Jahre 2013 2 bestätigte<br />

das BAG seine Ansicht. Der Betreiber eines<br />

Supermarktes hatte bei der Inventur erhebliche<br />

Fehlbeträge (rund 7.000 €) in der Leergutkasse<br />

festgestellt. Nachdem Lagerbestände<br />

und Warenausgang noch einmal ergebnislos<br />

überprüft wurden, installierte der Arbeitgeber<br />

im Bereich der Leergutkasse eine verdeckte Videoüberwachung,<br />

die eine Mitarbeiterin dabei<br />

1 BAG 21.6.2012 – 2 AZR 153/11.<br />

2 BAG 21.11.2013 – 2 AZR 797/11.<br />

46


<strong>AiB</strong> 6 | <strong>2016</strong> Wahrheit um jeden Preis grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Vor Gericht spielen Beweise<br />

eine wichtige Rolle.<br />

»Ein Beweisverwertungsverbot<br />

in einer Betriebsvereinbarung<br />

ist<br />

unerlässlich.«<br />

SIMONE ROHS<br />

zeigte, wie sie mehrmals Geld in ihre Taschen<br />

steckte. Der Arbeitgeber kündigte ihr fristlos,<br />

hilfsweise fristgerecht. Die gegen die Kündigung<br />

von der Mitarbeiterin eingelegte Kündigungsschutzklage<br />

hatte vor dem BAG Erfolg.<br />

Das Gericht entschied, dass der allgemeine<br />

Verdacht des Diebstahls, der sich nicht gegen<br />

eine konkrete Person oder Personengruppe<br />

richtete, keinen konkreten Straftatverdacht<br />

begründe. Der Arbeitgeber hätte zunächst alle<br />

anderen Möglichkeiten ausschöpfen müssen,<br />

um den Sachverhalt aufzuklären, beispielsweise<br />

durch stichprobenartige Überprüfung der<br />

Kassen. Die Videoaufnahmen durften damit<br />

als Beweismittel vor Gericht nicht verwertet<br />

werden. Auch eine heimliche Spindkontrolle<br />

in Abwesenheit des den Spind nutzenden Arbeitnehmers<br />

bei einem Diebstahlverdacht ist<br />

nicht ohne weiteres zulässig, urteilte das BAG<br />

im Jahre 2013. 3 Der Eingrif in das Persönlichkeitsrecht<br />

des Arbeitnehmers war in dem<br />

konkreten Fall nicht gerechtfertigt und würde<br />

durch die Verwertung der so erlangten Beweise<br />

fortgesetzt werden. Aus diesem Grund hielt das<br />

BAG auch in diesem Fall die Verwertung der<br />

durch die heimliche Spindkontrolle erlangten<br />

Beweise für unzulässig. Der Arbeitnehmer hätte<br />

darauf vertrauen können, dass der ihm zugewiesene<br />

Spind nicht ohne seine Anwesenheit<br />

geöfnet werde. Nach Ansicht des BAG wäre<br />

in diesem Fall eine Durchsuchung des Spindes<br />

in Anwesenheit des Arbeitnehmers das mildere<br />

Mittel gewesen.<br />

Auch wenn die Rechtsprechung einen Eingrif<br />

in die Persönlichkeitsrechte von Arbeit nehmern<br />

nur unter engen Voraussetzungen erlaubt – insbesondere<br />

bei heimlicher Überwachung – verbietet<br />

sich eine allgemeine Betrachtungs weise.<br />

Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob<br />

der Eingrif in das Persönlichkeitsrecht geeignet,<br />

erforderlich und angemessen war.<br />

Kein Kollektives Beweisverbot<br />

Im Gegensatz zu einem Beweisverwertungsverbot<br />

aufgrund des Eingrifs in das durch<br />

Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte<br />

allgemeine Persönlichkeitsrecht jedes einzelnen<br />

Arbeitnehmers, gibt es kein »kollektiv-<br />

beweisverwertungsverbot<br />

Unrechtmäßig erlangte<br />

Beweise dürfen in einem<br />

Prozess nicht berücksichtigt<br />

werden.<br />

3 BAG 20.6.2013 – 2 AZR 546/12.<br />

47


Genau das, was Sie brauchen.<br />

Arbeitsrecht<br />

im Betrieb<br />

<strong>AiB</strong> | FACHZEITSCHRIFT FÜR DEN BETRIEBSRAT<br />

aib-web.de<br />

37. JAHRGANG<br />

ISSN 01741225<br />

D 3591<br />

6 | <strong>2016</strong><br />

Arbeitsrecht im Betrieb<br />

FACHZEITSCHRIFT<br />

FÜR DEN BETRIEBSRAT<br />

Mit Online-Archiv<br />

Neuauflage!<br />

Mit Online-Datenbank <strong>AiB</strong>:Assist<br />

ENTGELT<br />

Wie Bezahlung<br />

gerechter wird<br />

aktuelles <strong>AiB</strong> wurde als Fachzeitschrift des Jahres prämiert<br />

grundlagen Kommunikation macht Betriebsratsarbeit transparent<br />

betriebliche praxis<br />

Die Anforderungen an Betriebsräte steigen<br />

Mit Rechtsprechungs-Newsletter<br />

Machen Sie jetzt<br />

den Gratis-Test!<br />

§<br />

Ihr gutes Recht:<br />

§<br />

Laut BAG vom 19. März 2014 ist die Zeitschrift »<strong>AiB</strong>«<br />

trotz Internetzugang für die Betriebsratsarbeit erforderlich.<br />

(AZ:7 ABN 91/13)<br />

Ganz nah dran.<br />

Ihr Partner im Arbeits- und Sozialrecht.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!