Leseprobe AiB 6_2016
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Arbeitsrecht<br />
im Betrieb<br />
<strong>AiB</strong> | FACHZEITSCHRIFT FÜR DEN BETRIEBSRAT<br />
aib-web.de<br />
37. JAHRGANG<br />
ISSN 01741225<br />
D 3591<br />
6 | <strong>2016</strong><br />
ENTGELT<br />
Wie Bezahlung<br />
gerechter wird<br />
aktuelles <strong>AiB</strong> wurde als Fachzeitschrift des Jahres prämiert<br />
grundlagen Kommunikation macht Betriebsratsarbeit transparent<br />
betriebliche praxis Die Anforderungen an Betriebsräte steigen
titelthema<br />
entgelt<br />
<strong>AiB</strong> 6 | <strong>2016</strong><br />
Entgeltgleichheit:<br />
Ein brisantes Thema<br />
entgelt Die korrekte Umsetzung von Tarifverträgen ist oft eine komplizierte<br />
Angelegenheit für den Betriebsrat. Frauen und Männer, Alt und Jung,<br />
Angestellte und gewerblich Beschäftigte, Voll- und Teilzeitkräfte – sie alle<br />
sollen zu ihrem gerechten Lohn kommen. Beispiele aus der Praxis.<br />
VON HELGA BALLAUF<br />
10
<strong>AiB</strong> 6 | <strong>2016</strong><br />
entgelt<br />
titelthema<br />
Anfang März werden so viele Artikel<br />
zur Lohn(un)gleichheit zwischen<br />
Mann und Frau veröfentlicht,<br />
wie sonst das ganze Jahr<br />
nicht. Die Phase beginnt um den 8. März, den<br />
internationalen Frauentag. Dieses Jahr endete<br />
sie am 19. März, dem »Equal Pay Day«. Bis zu<br />
diesem Tag im Jahr <strong>2016</strong> mussten Frauen im<br />
Schnitt arbeiten, um auf den für Männer üblichen<br />
Jahresverdienst 2015 zu kommen. Eklatante<br />
Unterschiede, die neuerdings Schlagzeilen<br />
machen. Und jene motivieren, die Abhilfe<br />
schafen wollen.<br />
Übers Geld reden?<br />
So haben Andrea Jochmann-Döll und Karin<br />
Tondorf im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung<br />
den Entgeltgleichheits-Check (EG-Check) entwickelt,<br />
um Lohndiskriminierung nachweisen<br />
zu können (s. Link). »Ein brisantes Thema«,<br />
sagt Jochmann-Döll, weil’s ums Geld geht, weil<br />
im Betrieb über den Verdienst zu reden oft noch<br />
als Tabu gilt, weil festgefügte Vorstellungen ins<br />
Wanken kommen, wenn Arbeit (neu) bewertet<br />
wird. Wenn etwa die Bäckereifachverkäuferin<br />
ebenso viele Bewertungspunkte zur Festlegung<br />
des Lohns wie der Bäcker erhält; wenn die<br />
(männliche) Werksleitung und die (weibliche)<br />
Kantinenleitung plötzlich als Jobs mit gleichwertigen<br />
Tätigkeiten gelten. Prüinstrumente<br />
des EG-Checks sind Statistiken, Regelungen<br />
in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen<br />
sowie Paarvergleiche.<br />
Was hat welchen Wert?<br />
Der entscheidende Faktor ist die Gleichwertigkeit.<br />
Auf der Grundlage europäischen<br />
Rechts haben die Arbeitswissenschaftlerinnen<br />
Jochmann-Döll und Tondorf 19 Kriterien<br />
entwickelt, anhand derer die Art der Tätigkeit,<br />
die Qualiikationsanforderungen und<br />
die Arbeitsbedingungen verglichen werden<br />
können. Neben körperlichen und intellektuellen<br />
Anforderungen spielen die psychosozialen<br />
eine wichtige Rolle sowie Art und Umfang<br />
von Verantwortung. »Die psychosozialen Aspekte<br />
machen oft den entscheidenden Unterschied«,<br />
sagt Jochmann-Döll. Brisant ist das<br />
Thema auch, weil Beschäftigte manchmal<br />
Angst haben, dass sie zu kurz kommen, falls<br />
andere dank des Vergleichs besser bezahlt<br />
werden. Auch die Tarifparteien sind oft wenig<br />
begeistert, wenn nachgewiesen wird, dass ihr<br />
darum geht es<br />
1. Gleiche oder gleichwertige<br />
Bezahlung von<br />
Männern und Frauen<br />
stellt nach wie vor ein<br />
Problem dar.<br />
2. Meist läuft die Diskriminierung<br />
mittelbar,<br />
das heißt, nicht ofensichtlich<br />
ab.<br />
3. Betriebsräte können<br />
hier zum Beispiel einen<br />
Entgelt-Check anregen,<br />
um prüfen zu lassen, ob<br />
diskriminiert wird.<br />
linktipps<br />
Grundlegende Infos zur<br />
Kontrolle der Entgeltgleichheit<br />
im Betrieb<br />
bei gleichen und gleichwertigen<br />
Tätigkeiten:<br />
Prüinstrumente, Erfahrungen,<br />
Links.<br />
www.eg-check.de<br />
»Lohngleichheit im<br />
Betrieb Deutschland«<br />
ermöglicht eine betriebsinterne<br />
Analyse der<br />
Vergütungsstruktur und<br />
stammt vom Bundesfamilienministerium.<br />
www.logib-d.de<br />
11
titelthema<br />
entgelt<br />
<strong>AiB</strong> 6 | <strong>2016</strong><br />
Wer wird<br />
wie bezahlt?<br />
lohngerechtigkeit Arbeitsleistung ist zu vergüten, so viel<br />
ist klar. Arbeitgeber haben bei der Vergütung der Mitarbeiter<br />
eine Reihe von Vorgaben zu beachten, um die Lohngerechtigkeit<br />
zu wahren. Aber wie kann der Betriebsrat sicherstellen, dass<br />
der Arbeit geber sich an die Vorgaben hält?<br />
VON MARC-OLIVER SCHULZE UND EVA RATZESBERGER<br />
darum geht es<br />
1. Der Arbeitgeber<br />
ist verplichtet, die Beschäftigten<br />
gerecht<br />
zu bezahlen.<br />
2. Der Betriebsrat kann<br />
überwachen, ob sich der<br />
Arbeitgeber daran hält.<br />
3. Wird ein Mitarbeiter<br />
nicht angemessen bezahlt,<br />
kann der Betriebsrat ihn<br />
hierüber informieren.<br />
Die Höhe des Arbeitsentgelts wird<br />
zumeist vor Beginn der Beschäftigung<br />
geregelt. Hinter der vereinbarten<br />
Vergütung steht allerdings<br />
nicht nur Verhandlungsgeschick. Der<br />
Arbeitgeber ist hier an Recht und Gesetz gebunden<br />
und der Betriebsrat hat die Plicht,<br />
ihn zu kontrollieren.<br />
Woher kommt der<br />
Vergütungsanspruch?<br />
Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf sein<br />
Entgelt wird dem Grunde nach in § 611<br />
Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelt.<br />
Danach sind der Arbeitnehmer zur<br />
Erbringung der vereinbarten Arbeitsleistung<br />
und der Arbeitgeber zur Gewährung der vereinbarten<br />
Vergütung verplichtet. Die Höhe<br />
des Arbeitsentgelts wird in aller Regel zwischen<br />
den Vertragsparteien im Arbeitsvertrag<br />
ausdrücklich vereinbart. Fehlt es an einer<br />
solchen Regelung, ist nach § 612 Abs. 2 BGB<br />
auf die übliche Vergütungshöhe abzustellen.<br />
Grundsätzlich ist unter diesem Begrif eine<br />
Vergütung zu verstehen, die im gleichen Gewerbe<br />
oder Beruf an dem betrefenden Ort<br />
für eine entsprechende Arbeit gezahlt wird.<br />
Dabei sind die persönlichen Verhältnisse des<br />
Arbeitnehmers wie Alter, Berufserfahrung,<br />
Familienstand und Anzahl der Kinder zu berücksichtigen.<br />
In der Praxis stellt sich die Frage<br />
nach der üblichen Vergütung nach § 612<br />
Abs. 2 BGB allerdings nur selten, da zumeist<br />
vertragliche Regelungen über die Entgelthöhe<br />
existieren. Vielmehr muss der Mitarbeiter<br />
hinterfragen, ob seine individuell vereinbarte,<br />
monatlich zahlbare Vergütung der Höhe<br />
nach angemessen ist und insbesondere, ob<br />
ihm anderweitige Regelungen einen höheren<br />
Anspruch gewähren könnten.<br />
Tarifvertragliche Regelungen<br />
Ist der Arbeitgeber tarifgebunden oder fällt er<br />
unter den Anwendungsbereich eines für allgemeinverbindlich<br />
erklärten Entgelttarifvertrags,<br />
ist die mit dem Arbeitnehmer einzelvertraglich<br />
vereinbarte Vergütung am Maßstab<br />
der tarilichen Regelungen zu messen. Da<br />
der Arbeitgeber nach § 8 Tarifvertragsgesetz<br />
(TVG) verplichtet ist, die in seinem Betrieb<br />
anwendbaren Tarifverträge so bekannt zu machen,<br />
dass sie die Mitarbeiter problemlos einpraxistipp<br />
Sollte der Arbeitgeber die anwendbaren<br />
Tarifverträge nicht zugänglich machen,<br />
empiehlt es sich für den Mitarbeiter, sich<br />
an den Betriebsrat zu wenden und die<br />
erforderlichen Auskünfte dort einzu holen.<br />
Der Betriebsrat sollte die Mit arbeiter darauf<br />
hinweisen.<br />
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<strong>AiB</strong> 6 | <strong>2016</strong><br />
entgelt<br />
titelthema<br />
sehen können, sind diese grundsätzlich in der<br />
Lage, die Einhaltung tarilicher Vorschriften<br />
durch den Arbeitgeber zu überprüfen.<br />
Betriebliche Regelungen<br />
Vergütungsrelevante Themen können zudem<br />
Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein.<br />
Häuig sind dies Vereinbarungen über ein<br />
leistungsabhängiges variables Vergütungssystem,<br />
das den Mitarbeitern bei Erreichen im<br />
Vorfeld festgelegter bestimmter Ziele neben<br />
dem Grundgehalt einen weitergehenden Vergütungsanspruch<br />
gewährt.<br />
gut zu wissen<br />
Dem Betriebsrat steht nach § 87 Abs. 1<br />
Nr. 10 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)<br />
ein Mitbestimmungsrecht betrefend der<br />
betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere<br />
bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen<br />
sowie der Einführung und Anwendung<br />
von neuen Entlohnungsmethoden zu.<br />
Hierunter fällt beispielsweise die Einführung<br />
eines variablen Vergütungssystems.<br />
(Dazu mehr im Beitrag von Christopher Koll<br />
auf Seite 18).<br />
Nach § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG hat der Arbeitgeber<br />
Betriebsvereinbarungen an geeigneter<br />
Stelle im Betrieb auszulegen. Auch dies hat<br />
den Hintergrund, dass die Mitarbeiter über die<br />
Inhalte der Betriebsvereinbarungen informiert<br />
werden sollen. Der einzelne Mitarbeiter hat<br />
somit die Möglichkeit, sich über im Betrieb<br />
geltende tariliche oder betriebliche Vergütungsregelungen<br />
in Kenntnis zu setzen und zu<br />
überprüfen, ob die dort aufgestellten Grundsätze<br />
mit seinen individualrechtlich vereinbarten<br />
und abgerechneten Entgelten übereinstimmen.<br />
Da dem Mitarbeiter diese Bewertung<br />
mitunter schwerfallen wird, kann es ratsam<br />
sein, den Betriebsrat hinzuzuziehen.<br />
Neben der Möglichkeit, dass sich die Beschäftigten<br />
direkt an den Betriebsrat wenden<br />
und diesen um Prüfung ihres Vergütungsstatus<br />
bitten können, kann sich der Betriebsrat<br />
auch im Rahmen seiner allgemeinen Überwachungsaufgabe<br />
nach § 80 Abs. 1 Nr. 1<br />
BetrVG einschalten.<br />
Überwachung im Rahmen des<br />
§ 80 Abs. 1 BetrVG<br />
Der Betriebsrat hat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1<br />
BetrVG darüber zu wachen, dass sämtliche zugunsten<br />
der Mitarbeiter geltenden Vorschriften<br />
(das heißt Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen)<br />
ordnungsgemäß umgesetzt<br />
werden.<br />
gut zu wissen<br />
Die Überwachungsaufgaben nach § 80<br />
Abs. 1 Nr. 1 BetrVG fallen grundsätzlich in<br />
die originäre Zuständigkeit der lokalen Betriebsräte.<br />
Dies gilt regelmäßig auch dann,<br />
wenn es um die Einhaltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung<br />
geht.<br />
Neben den tarilichen oder betrieblichen Regelungen<br />
hat der Arbeitgeber in diesem Zusammenhang<br />
insbesondere die gesetzlich vorgegebenen<br />
Lohnuntergrenzen einzuhalten.<br />
Mindestlohn und Verbot des Lohnwuchers<br />
In den Branchen des Niedriglohnsektors<br />
(beispielsweise Frisörhandwerk, Reinigungsgewerbe)<br />
sind die jeweils geltenden Mindestlöhne<br />
zu zahlen. Hierbei ist nicht nur der<br />
derzeit bei 8,50 Euro pro Zeitstunde liegende<br />
lächen deckende Mindestlohn nach § 1<br />
Abs. 2 Satz 1 Mindestlohngesetz (MiLoG)<br />
relevant. Vielmehr müssen die Arbeitgeber in<br />
speziellen Branchen die Branchenmindestlöhne<br />
bezahlen. So gelten beispielsweise im<br />
Baugewerbe, im Gebäudereinigungsgewerbe<br />
sowie in der Plegebranche als Mindestentgelt<br />
zu zahlende Löhne, die über 8,50 Euro<br />
pro Zeitstunde liegen. 1<br />
Daneben gilt es für den Arbeitgeber, das<br />
von der Rechtsprechung entwickelte Verbot<br />
des Lohnwuchers zu beachten. Dieses Verbot<br />
lässt sämtliche Vergütungsvereinbarungen sittenwidrig<br />
nach § 138 Abs. 1 BGB und damit<br />
unwirksam werden, die einschlägige Tarilöhne<br />
um mehr als 1/3 unterschreiten.<br />
All dies sind Aspekte, die der Betriebsrat<br />
im Rahmen seiner Überwachungsaufgabe<br />
nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG im Blick haben<br />
sollte. Während es dem einzelnen Mitarbeiter<br />
branchenmindestlohn<br />
Neben dem gesetzlichen<br />
Mindestlohn gibt es<br />
etliche Branchenmindestlöhne.<br />
Diese werden<br />
als unterste Lohn- und<br />
Gehaltsgruppe von<br />
Gewerkschaften und<br />
Arbeitgebern in einem<br />
Tarifvertrag ausgehandelt<br />
und liegen vielfach über<br />
8,50 Euro. Auf Antrag der<br />
Tarifpartner hat das Bundesarbeitsministerium<br />
diese Branchenmindestlöhne<br />
für allgemeinverbindlich<br />
zu erklären. Das<br />
heißt: Jeder Arbeitgeber<br />
der Branche muss diesen<br />
Mindestlohn zahlen –<br />
auch dann, wenn er nicht<br />
Mitglied des Arbeitgeberverbandes<br />
ist, der den<br />
Tarifvertrag abgeschlossen<br />
hat.<br />
aib-web.de<br />
} } Mehr zum Arbeitsentgelt<br />
inden Sie in unserem<br />
Online-Lexikon unter:<br />
aib-web.de > <strong>AiB</strong>:Assist ><br />
Betriebsratslexikon<br />
1 Übersicht abrufbar unter https://www.bmas.de/SharedDocs/<br />
Downloads/DE/pr-mindestloehne-aentg-uebersicht.pdf?__blob=publicationFile.<br />
15
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Wahrheit um jeden Preis<br />
<strong>AiB</strong> 6 | <strong>2016</strong><br />
Wahrheit um<br />
jeden Preis<br />
beweisverwertungsverbot Manchmal greifen Arbeitgeber zu<br />
unlauteren Mitteln, um Sachverhalte aufzuklären. Um das<br />
Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten zu schützen, ist es<br />
sinnvoll in Betriebsvereinbarungen ein Beweisverwertungs -<br />
verbot zu normieren.<br />
VON SIMONE ROHS<br />
darum geht es<br />
1. Beweisverwertungsverbote<br />
sind ausdrücklich<br />
nur in der Strafprozessordnung<br />
geregelt.<br />
2. Aber auch für die<br />
Arbeits- und Zivil gerichte<br />
dürfen unzulässig<br />
erlangte Beweise nur in<br />
seltenen Fällen berücksichtigt<br />
werden.<br />
3. Es ist daher sinnvoll in<br />
eine Betriebs vereinbarung<br />
im Rahmen des Mitbestimmungsrechts<br />
bei<br />
technischen Anlagen<br />
nach § 87 Abs. 1 Nr. 6<br />
BetrVG ein formuliertes<br />
Beweisverwertungsverbot<br />
aufzunehmen.<br />
Beweisverwertungsverbote sind nur<br />
in wenigen Fällen ausdrücklich im<br />
Gesetz geregelt, die meisten inden<br />
sich in der Strafprozessordnung.<br />
Der wohl bekannteste Fall ist § 136a StPO,<br />
der regelt, dass ein Beweis, der unter Verletzung<br />
des Verbots des Ausschlusses der freien<br />
Willensbildung, beispielsweise durch Quälerei<br />
oder Täuschung, nicht verwertet werden darf.<br />
Im Zivilrecht sind solche absoluten Beweisverwertungsverbote<br />
hingegen nicht geregelt.<br />
Nichtsdestotrotz dürfen auch im Zivilrecht<br />
Beweise nicht um jeden Preis erhoben und verwertet<br />
werden, seien sie der Wahrheit noch so<br />
dienlich. Gleichzeitig verbietet das Zivilrecht<br />
aber auch nicht, dass alle unrechtmäßig erlangten<br />
Beweise verwertet werden dürfen.<br />
In welchen Fällen kann ein Beweisverwertungsverbot<br />
angenommen werden?<br />
Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus,<br />
dass eine Abwägung stattinden muss zwischen<br />
dem Eingrif (beispielsweise durch heimliche<br />
Videoüberwachung) in das grundgesetzlich<br />
geschützte Persönlichkeitsrecht und dem Interesse<br />
an einer funktionierenden Rechtsplege.<br />
In der arbeitsrechtlichen Praxis stellt man sich<br />
daher regelmäßig die Frage: Was wiegt höher,<br />
der Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers<br />
oder die Belange des Arbeitsgebers?<br />
Ist eine heimliche Videoüberwachung,<br />
Taschenkontrolle oder Durchsuchung gerechtfertigt<br />
und welche Konsequenzen hat eine (unterbliebene)<br />
Zustimmung des Betriebsrats auf<br />
diese Frage. Für die Frage der Rechtmäßigkeit<br />
des Eingrifs in die Persönlichkeitsrechte von<br />
Arbeitnehmern nehmen die Gerichte eine Prüfung<br />
vor, die der Verhältnismäßigkeitsprüfung<br />
des § 32 Abs. 1 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz<br />
ähnelt.<br />
Heimliche Videoüberwachung nur<br />
in engen Grenzen zulässig<br />
So entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG)<br />
in einem Urteil aus dem Jahre 2012 1 , dass eine<br />
heimliche Videoüberwachung nur zulässig<br />
sein kann, wenn es um den konkreten Verdacht<br />
einer Straftat oder schweren Verfehlung<br />
zu Lasten des Arbeitgebers gehe und sich der<br />
Verdacht gegen einen räumlich und funktional<br />
abgrenzbaren Arbeitnehmerkreis richte.<br />
Des Weiteren darf ein milderes Mittel zur<br />
Aufdeckung der Straftat nicht gegeben sein,<br />
die Videoüberwachung muss sich damit als<br />
das einzig sinnvolle Mittel darstellen und im<br />
Übrigen auch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände<br />
verhältnismäßig sein. In einem<br />
weiteren Fall aus dem Jahre 2013 2 bestätigte<br />
das BAG seine Ansicht. Der Betreiber eines<br />
Supermarktes hatte bei der Inventur erhebliche<br />
Fehlbeträge (rund 7.000 €) in der Leergutkasse<br />
festgestellt. Nachdem Lagerbestände<br />
und Warenausgang noch einmal ergebnislos<br />
überprüft wurden, installierte der Arbeitgeber<br />
im Bereich der Leergutkasse eine verdeckte Videoüberwachung,<br />
die eine Mitarbeiterin dabei<br />
1 BAG 21.6.2012 – 2 AZR 153/11.<br />
2 BAG 21.11.2013 – 2 AZR 797/11.<br />
46
<strong>AiB</strong> 6 | <strong>2016</strong> Wahrheit um jeden Preis grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Vor Gericht spielen Beweise<br />
eine wichtige Rolle.<br />
»Ein Beweisverwertungsverbot<br />
in einer Betriebsvereinbarung<br />
ist<br />
unerlässlich.«<br />
SIMONE ROHS<br />
zeigte, wie sie mehrmals Geld in ihre Taschen<br />
steckte. Der Arbeitgeber kündigte ihr fristlos,<br />
hilfsweise fristgerecht. Die gegen die Kündigung<br />
von der Mitarbeiterin eingelegte Kündigungsschutzklage<br />
hatte vor dem BAG Erfolg.<br />
Das Gericht entschied, dass der allgemeine<br />
Verdacht des Diebstahls, der sich nicht gegen<br />
eine konkrete Person oder Personengruppe<br />
richtete, keinen konkreten Straftatverdacht<br />
begründe. Der Arbeitgeber hätte zunächst alle<br />
anderen Möglichkeiten ausschöpfen müssen,<br />
um den Sachverhalt aufzuklären, beispielsweise<br />
durch stichprobenartige Überprüfung der<br />
Kassen. Die Videoaufnahmen durften damit<br />
als Beweismittel vor Gericht nicht verwertet<br />
werden. Auch eine heimliche Spindkontrolle<br />
in Abwesenheit des den Spind nutzenden Arbeitnehmers<br />
bei einem Diebstahlverdacht ist<br />
nicht ohne weiteres zulässig, urteilte das BAG<br />
im Jahre 2013. 3 Der Eingrif in das Persönlichkeitsrecht<br />
des Arbeitnehmers war in dem<br />
konkreten Fall nicht gerechtfertigt und würde<br />
durch die Verwertung der so erlangten Beweise<br />
fortgesetzt werden. Aus diesem Grund hielt das<br />
BAG auch in diesem Fall die Verwertung der<br />
durch die heimliche Spindkontrolle erlangten<br />
Beweise für unzulässig. Der Arbeitnehmer hätte<br />
darauf vertrauen können, dass der ihm zugewiesene<br />
Spind nicht ohne seine Anwesenheit<br />
geöfnet werde. Nach Ansicht des BAG wäre<br />
in diesem Fall eine Durchsuchung des Spindes<br />
in Anwesenheit des Arbeitnehmers das mildere<br />
Mittel gewesen.<br />
Auch wenn die Rechtsprechung einen Eingrif<br />
in die Persönlichkeitsrechte von Arbeit nehmern<br />
nur unter engen Voraussetzungen erlaubt – insbesondere<br />
bei heimlicher Überwachung – verbietet<br />
sich eine allgemeine Betrachtungs weise.<br />
Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob<br />
der Eingrif in das Persönlichkeitsrecht geeignet,<br />
erforderlich und angemessen war.<br />
Kein Kollektives Beweisverbot<br />
Im Gegensatz zu einem Beweisverwertungsverbot<br />
aufgrund des Eingrifs in das durch<br />
Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte<br />
allgemeine Persönlichkeitsrecht jedes einzelnen<br />
Arbeitnehmers, gibt es kein »kollektiv-<br />
beweisverwertungsverbot<br />
Unrechtmäßig erlangte<br />
Beweise dürfen in einem<br />
Prozess nicht berücksichtigt<br />
werden.<br />
3 BAG 20.6.2013 – 2 AZR 546/12.<br />
47
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<strong>AiB</strong> | FACHZEITSCHRIFT FÜR DEN BETRIEBSRAT<br />
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Laut BAG vom 19. März 2014 ist die Zeitschrift »<strong>AiB</strong>«<br />
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