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Arbeitsrecht<br />
im Betrieb<br />
AiB | FACHZEITSCHRIFT FÜR DEN BETRIEBSRAT<br />
aib-web.de<br />
37. JAHRGANG<br />
ISSN 01741225<br />
D 3591<br />
9 | 2016<br />
ÄNDERUNGSKÜNDIGUNG<br />
Arbeiten zu schlechteren<br />
Bedingungen?<br />
aktuelles Mehr Gesundheit mit dem neuen Präventionsgesetz<br />
grundlagen Wie die Betriebsversammlung zum Renner wird<br />
rechtsprechung Wann Freigestellte sich abmelden müssen
125 Jahre Bildung in der IG Metall<br />
WAS<br />
WOLLEN<br />
DIE?<br />
GLEICHE ARBEIT –<br />
GLEICHES GELD!<br />
Im Jahr 2008 fordert die IG Metall gleiches Geld für gleiche<br />
Arbeit – und macht mit einer Guerilla-Lichtaktion am Kanzleramt<br />
prekäre Arbeitsbedingungen in der Leiharbeit öffentlich.<br />
Mit unserer Kampagne setzen wir 2012 Branchenzuschläge<br />
in der Leiharbeit durch und machen Druck auf die Politik.<br />
Unser Ziel: „Arbeit: sicher und fair“.<br />
In unseren Seminaren der Fachakademie<br />
für Arbeitsrecht lernen Betriebsräte, die Arbeitsbedingungen<br />
in der Leiharbeit und bei Werkverträgen<br />
zu verbessern.<br />
Wir kämpfen für Gerechtigkeit – seit 125 Jahren.<br />
Alle Infos zum Bildungsprogramm<br />
unter www.igmetall.de/bildung<br />
WIR SCHREIBEN GESCHICHTE.<br />
AUCH IN ZUKUNFT.
AiB 9 | 2016<br />
editorial<br />
Rettungsanker<br />
im Sturm<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
Eva-Maria Stoppkotte (l.) und Claudia Stiel (r.)<br />
Redaktion Arbeitsrecht im Betrieb<br />
eine Kündigung kann ein Schock sein für<br />
Betroffene. Nicht minder problematisch ist<br />
es oft, wenn der Arbeitgeber zur Änderungskündigung<br />
greift und das Arbeitsverhältnis<br />
nur zu anderen – für den Betroffenen<br />
schlechteren – Konditionen weiterführen<br />
will. Anlaufstelle ist auch hier der Betriebsrat.<br />
Im Titelthema geht es um Rechtsfragen<br />
zur Änderungskündigung, um Mitbestimmungsrechte<br />
und um Handlungsmöglichkeiten<br />
der Interessenvertreter. Und es geht<br />
darum, was hilft, wenn der Betriebsrat selber<br />
betroffen ist – etwa weil der Arbeitgeber<br />
missliebige Kollegen loswerden will.<br />
Ähnlich unangenehm wird’s oft, wenn beim<br />
Ausscheiden aus dem Job um das Zeugnis<br />
verhandelt wird. Noch geht es nicht ohne,<br />
doch die Diskussion über Sinn und Unsinn<br />
der üblichen Beurteilungen ist im Gange.<br />
Wir stellen eine interessante Studie vor, die<br />
zeigt, dass es auch andere Möglichkeiten<br />
gibt als das klassische Zeugnis.<br />
Arbeit kann Psyche und Körper krank<br />
machen. Gutes betriebliches Gesundheitsmanagement<br />
kann dem vorbeugen. Das neue<br />
Präventionsgesetz soll dafür mehr Geld in<br />
die Kassen der Betriebe spülen. Fachfrau<br />
Bettina Flüs zeigt, wie die Interessen vertretungen<br />
sich das zunutze machen – zum<br />
Wohl von Beschäftigten und Unternehmen.<br />
<strong>Eine</strong>n guten Start in den Herbst wünscht<br />
Ihnen<br />
Ihre AiB-Redaktion<br />
3
inhaltsverzeichnis<br />
AiB 9 | 2016<br />
10<br />
TITELTHEMA<br />
ÄNDERUNGSKÜNDIGUNG<br />
Arbeiten für<br />
weniger Geld ?<br />
Oft wollen Arbeitgeber in schwierigen wirtschaftlichen Situationen<br />
Arbeitsbedingungen verschlechtern. Doch das geht nicht einfach so.<br />
10 Sie können bleiben – für weniger Geld<br />
Angespannte wirtschaftliche Situation,<br />
schlechter Vertragsabschluss aus Sicht des<br />
Arbeitgebers: Dies kann Folgen für Beschäftigte<br />
haben. Wir gehen der Frage nach,<br />
unter welchen Bedingungen der Arbeitgeber<br />
Arbeitsverträge ändern kann.<br />
von regina steiner<br />
20 Sich nicht unter Druck setzen lassen Für<br />
Betriebsratsmitglieder gilt ein besonderer<br />
Kündigungsschutz. Was aber tun, wenn<br />
der Arbeitgeber Änderungskündigungen<br />
ausspricht? Fragen an den Experten<br />
Marc-Oliver Schulze.<br />
fragen der redaktion<br />
4<br />
16 Bei Veränderungen mitbestimmen Kündigungen<br />
können auch die bloße Änderung<br />
von Arbeitsbedingungen bezwecken. Wie<br />
können Betriebsräte hier die Beschäftigten<br />
unterstützen?<br />
von christopher koll
AiB 9 | 2016<br />
inhaltsverzeichnis<br />
22<br />
AKTUELLES<br />
54<br />
RECHTSPRECHUNG<br />
RUBRIKEN<br />
22 Nutze die Möglichkeit Das neue Präventionsgesetz<br />
macht es möglich, einen Teil des<br />
Aufwandes für betriebliche Gesundheitsförderung<br />
von anderen tragen zu lassen.<br />
von bettina flüs<br />
27 Geburtstag der Mitbestimmung Drei<br />
Gesetze regeln die unterschiedlichen Mitbestimmungsrechte<br />
in Aufsichtsräten.<br />
Zwei davon feiern 2016 Geburtstag.<br />
von gudrun giese<br />
30 Am Geld scheitert es nicht Die Arbeitsagentur<br />
fördert gering qualifizierte und<br />
ältere Beschäftigte, für die betriebliche<br />
Weiterbildung besonders wichtig ist.<br />
von helga ballauf<br />
33 Sinnlose Zeugnisse Experten suchen<br />
neue Wege bei Zeugnissen. Sie halten herkömmliche<br />
Beurteilungen für überflüssig.<br />
38<br />
von klaus heimann<br />
GRUNDLAGEN DER BETRIEBSRATSARBEIT<br />
38 Betriebsversammlung leicht gemacht<br />
Die Betriebsversammlung ist das zentrale<br />
betriebspolitische Mittel des Gremiums.<br />
Wichtig ist die attraktive Gestaltung.<br />
von martin wolmerath<br />
43 Lernen durch Misserfolg Was tun, wenn<br />
etwas so richtig schiefläuft? Fragen an den<br />
Experten Heinrich Wottawa.<br />
fragen der redaktion<br />
45 Schmerzhafte Trennung Bei Spin-offs<br />
werden Unternehmensteile ausgegliedert,<br />
oft wackeln Jobs. Welche Handlungsmöglichkeiten<br />
hat der Betriebsrat?<br />
von christof balkenhol und henrik steinhaus<br />
49 Müssen wir auch sonntags arbeiten?<br />
Mobile Kommunikationsmittel machen<br />
es möglich: Arbeiten auch an Sonn- und<br />
Feiertagen. Aber ist das erlaubt?<br />
von Jürgen ulber<br />
54 Expertenrat<br />
Kann der Antrag auf Elternzeit per Telefax<br />
oder per E-Mail gestellt werden?<br />
BAG 10.5.2016 – 9 AZR 145/15<br />
Ist Umkleidezeit vergütungspflichtige<br />
Arbeitszeit?<br />
LAG Hamm 23.11.2015 – 16 Sa 494/15<br />
von silvia mittlÄnder<br />
55 Arbeitgeber muss Kosten für Reinigung<br />
der Arbeitskleidung übernehmen<br />
BAG 14.6.2016 – 9 AZR 181/15<br />
von bettina krÄmer<br />
56 Auflösung bleibt Ausnahme<br />
LAG Berlin-Brandenburg<br />
4.2.2016 – 10 TaBV 2078/15<br />
von Jens pfanne<br />
57 Abmeldepflicht für freigestellte<br />
Betriebsräte<br />
BAG 24.2.2016 – 7 ABR 20/14<br />
von margit körlings<br />
59 Betriebsratswahl im Hauptbetrieb<br />
und im Betriebsteil<br />
LAG Düsseldorf 13.1.2016 – 12 TaBV 67/14<br />
von ingrid heinlein<br />
60 Anrechnung der Sonderzahlungen<br />
auf Mindestlohn<br />
BAG 25.5.2016 – 5 AZR 135/16<br />
von matthias beckmann<br />
62 Auskunftsanspruch des Betriebsrats<br />
besteht immer<br />
LAG Hessen 4.5.2015 – 16 TaBV 175/14<br />
von matthias beckmann<br />
63 Zustimmung ganz oder gar nicht<br />
ArbG Dessau-Roßlau 9.3.2016 – 10 BV 11/15<br />
von matthias beckmann<br />
64 Lohnanspruch nach Übernahme<br />
BAG 19.8.2015 – 5 AZR 1000/13<br />
von Jens pfanne<br />
3 Editorial<br />
6 Magazin<br />
13 AiB-Seminartipps<br />
65 Impressum<br />
66 Die Letzte Seite<br />
66 Vorschau<br />
AiB <strong>online</strong><br />
aib-web.de<br />
Unter aib-web.de finden<br />
Sie alle <strong>Ausgabe</strong>n der<br />
AiB seit 2006. Dazu die<br />
Datenbank AiB:Assist<br />
mit BetrVG- Kommentar,<br />
Lexikon, Arbeitshilfen und<br />
Top-100-Urteilen für die<br />
Betriebsratsarbeit.<br />
} } Alles exklusiv unter<br />
aib-web.de<br />
Bitte registrieren<br />
Sie sich unter:<br />
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registrierung<br />
5
magazin<br />
AiB 9 | 2016<br />
termine<br />
} } Allein im Betriebsrat –<br />
so geht’s!<br />
4. – 6.10., Walsrode.<br />
Das ver.di b+b-Seminar<br />
gibt einen Überblick<br />
über die rechtlichen<br />
Grundlagen und über<br />
die Besonderheiten für<br />
Betriebsräte aus Kleinstbetrieben.<br />
Teilnehmer<br />
erlernen Strategien für<br />
eine erfolgreiche Interessenvertretungsarbeit<br />
als<br />
Ein-Personen-Betriebsrat<br />
und wie sie Kollegen in<br />
die Betriebsratsarbeit<br />
einbeziehen können.<br />
https://bildungsportal.<br />
verdi.de/ > Seminar-Nr. :<br />
WA0116100407<br />
} } Welche Anforderungen<br />
stellt Industrie 4.0?<br />
12. – 13.10., Hannover.<br />
Die vierte industrielle<br />
Revolution verändert<br />
Arbeits verhältnisse und<br />
Berufsbilder. Und sie<br />
stellt Betriebsräte vor<br />
neue Herausforderungen.<br />
Wie müssen sich die<br />
Gremien darauf vorbereiten?<br />
Was können<br />
sie heute schon tun?<br />
Konkrete Antworten und<br />
vorbildliche Beispiele<br />
dazu liefert die 9. Jahrestagung<br />
der IG BCE.<br />
www.igbce-bws.de/ice/<br />
incoming/www.igbcebws.de/extarticle/pre<br />
view_asset_1/BWS-Fol<br />
der_9-BR-Jahrestagung_<br />
web.pdf<br />
Hilfe bei Umstrukturierung<br />
neuer comic-band erschienen<br />
Irrwitzige Geschichten<br />
aus dem Betriebsrats-Alltag<br />
Mitbestimmung muss nicht langweilig und trocken sein.<br />
Der Bund-Verlag hat einen neuen Comic-Band veröffentlicht<br />
– eine Sonderauflage gibt es für IG BAU-Mitglieder.<br />
Der Comic titelt »Die Würfel sind gefallen« und vermittelt<br />
beinharte juristische Fakten und Rechtstipps für Betriebs -<br />
räte – locker und mit einem Augenzwinkern serviert.<br />
arbeitshilfe<br />
Sei es der Kampf gegen unfaire Eingruppierung,<br />
andauernde Überlastung oder bissige<br />
Chefs – mit bunten Bildern, markanten<br />
Charakteren und witzigen Sprechblasen<br />
nimmt Zeichner Reinhard Alff den Alltag der<br />
Betriebsratsarbeit aufs Korn. Vier Comic-Geschichten<br />
liefern solides Grundwissen und<br />
geben praktische Tipps, die Betriebsräten das<br />
Leben leichter machen. Ja, es geht immer um<br />
den unermüdlichen Einsatz für die Arbeitnehmerseite<br />
und darum, gute Lösungen für<br />
die Beschäftigten zu finden. Die vier Episoden<br />
spielen in den IG Bau-Hauptbranchen<br />
Bauhauptgewerbe, Baustoffindustrie, Gebäudereiniger-Handwerk<br />
und Agrarwirtschaft.<br />
Wer sich fragt, ob so viel Irrwitz nur ein Comic<br />
verzapfen kann, dem sei gesagt: Das Ganze ist<br />
keine Science-Fiction. Die Geschichten sind<br />
echt – passiert im Alltag des IG-BAU-Organisationsbereichs.<br />
Bestellung unter:<br />
} } www.bund-verlag.de > Buchshop ><br />
Suchwort: Comic (»Die Würfel sind gefallen<br />
– Mit der IG BAU Faire Arbeit jetzt!« 2016,<br />
1. Auflage, 14,90 Euro).<br />
Faktoren für die Betriebsratsgründung<br />
studie Akute Krisen oder langjährige Missstände<br />
sind die Gründe, warum Mitarbeiter einen<br />
Betriebsrat gründen. Soziologen der Universität<br />
Erlangen-Nürnberg haben in einer von<br />
der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie<br />
untersucht, wie und warum, in welchen Betrieben,<br />
unter welchen Bedingungen und mit welchen<br />
Erfolgschancen neue Arbeitnehmervertretungen<br />
entstehen. Dafür haben sie 54 Betriebsratsgründungen<br />
in unterschiedlichen Branchen analysiert.<br />
Sie haben herausgefunden, dass Betriebsratsgründungen<br />
in mehrere Phasen unterteilt werden können.<br />
Für eine erfolgreiche Gründung seien nicht<br />
nur tatkräftige und durchsetzungsfähige Sprecher<br />
nötig, sondern im Regelfall auch Hilfe von außen,<br />
etwa von Gewerkschaften oder Gesamtbetriebsräten,<br />
heißt es in einer Mitteilung. Die gesamte<br />
Studie finden Sie hier<br />
} } http://media.boeckler.de/Sites/A/Online-<br />
Archiv/18565<br />
Was geschieht mit den Arbeitsverhältnissen und welchen Schutz bietet<br />
§ 613a BGB bei Spaltungen und Outsourcing? Welche Aus wirkungen<br />
auf die Interessenvertretung gibt es und wie können Betriebsräte und<br />
Gewerkschaft – über den gesetzlichen Schutz hinaus – die Nachteile für<br />
die Arbeitnehmer verhindern oder zumindest einschränken? Antworten<br />
gibt eine praxis orientierte Arbeitshilfe von verdi b+b, die die verschiedenen<br />
Formen der Spaltung und des Outsourcings unter Berücksichtigung<br />
des Um wandlungsgesetzes erläutert. Zu bestellen unter:<br />
} } shop.verdi-bub.de/?id=5001707<br />
6
AiB 9 | 2016<br />
magazin<br />
Förderung für Elektroautos<br />
elektromobilität Mit dem im Frühjahr beschlossenen<br />
Förderprogramm erhält die E-Mobilität<br />
in Deutschland Rückenwind. Für E-Autos und<br />
Hybridfahrzeuge können Käufer seit Juli Zuschüsse<br />
beantragen. Aus Sicht der IG Metall eine richtige<br />
Entscheidung zur Sicherung zukunftsfähiger<br />
Arbeitsplätze. Unter www.igmetall.de (> Suche:<br />
Elektroauto) und www.bmwi.de (> Themen ><br />
Industrie > Elektromobilität) finden sich Stimmen<br />
und Argumente von Betriebsräten aus der Autoindustrie<br />
sowie Details zum Förderpaket.<br />
Ist der Brexit<br />
auch EBR-Exit?<br />
brexit Im Juni hat die britische Bevölkerung per<br />
Referendum entschieden, dass Großbritannien<br />
aus der Europäischen Union austreten soll.<br />
Welche Auswirkungen hat das für Europäische<br />
Betriebsräte? EU-Recht, sagen Experten, gilt<br />
im Vereinigten Königreich noch so lange, bis<br />
die Mitgliedschaft endet, das ist frühestens<br />
am 1. Januar 2019. Bis zu diesem Termin gibt<br />
es für Europäische Betriebsräte, SE-Betriebsräte<br />
und Besondere Verhandlungsgremien<br />
keine juristischen Veränderungen. Für die Zeit<br />
danach sind verschiedene Wege denkbar. Bei<br />
der »Norwegen-Option« würde das Vereinigte<br />
Königreich dem Europäischen Wirtschaftsraum<br />
beitreten. Das britische EBR-Gesetz bliebe in<br />
Kraft. Details zu weiteren Szenarien und deren<br />
Konsequenzen unter:<br />
}}<br />
www.ewc-academy.eu/de/consulting/brexit.<br />
html<br />
Bewerben für den Spiros Simitis Award<br />
preis Gibt es positive Beispiele für gelungenen<br />
Arbeitnehmerdatenschutz in Ihrem Betrieb?<br />
Dann bewerben Sie sich für den »Spiros Simitis<br />
Award« 2016! Zusammen mit dem DGB, dem<br />
Bund-Verlag und dem Verein Digitalcourage<br />
lobt die Datenschutz- und Technologieberatung<br />
Kassel (dtb) zum zweiten Mal diesen Preis aus.<br />
Bitte senden Sie eine kurze Projektbeschreibung<br />
bis zum 30. September 2016 per Post oder E-Mail<br />
an die dtb Kassel (Theaterstraße 1, 34117 Kassel,<br />
info@dtb-kassel.de). Die Preisverleihung findet<br />
während des Technologieforums am 9. November<br />
2016 in Berlin statt (mehr zum Termin in der<br />
Randspalte rechts unten).<br />
E-Autos liegen im Trend.<br />
Erreichbarkeit<br />
besser planen<br />
umfrage Wenn Beschäftigte das Gefühl haben,<br />
jederzeit – selbst im Urlaub – erreichbar sein<br />
zu müssen, sorgt das für Stress und macht im<br />
schlimmsten Fall krank. <strong>Eine</strong> Onlinebefragung<br />
des Projekts MASTER (»Management ständiger<br />
Erreichbarkeit«) unter 260 Beschäftigten der<br />
IT-Branche 2016 hat ergeben, dass nur ein Fünftel<br />
der Unternehmen eindeutige Regelungen zur<br />
Erreichbarkeit getroffen hat. Jeder dritte Beschäftigte<br />
war sich teilweise unsicher, ob Kollegen oder<br />
Vorgesetzte erwarten, dass er in der Freizeit auf<br />
Kontaktversuche reagiert. Diplom-Psychologin<br />
Nina Pauls vom Projekt MASTER rät zu klaren Absprachen,<br />
um die Erholung im Urlaub zu sichern:<br />
»Beschäftigte sollten ihre Vorgesetzten ganz<br />
direkt fragen, wie viel Erreichbarkeit von ihnen<br />
erwartet wird.«<br />
Mehr Informationen zum Projekt gibt’s hier:<br />
}}<br />
www.erreichbarkeit.eu<br />
Den Preis gibt es für guten Datenschutz im Betrieb.<br />
termine<br />
}}<br />
Behinderung des<br />
Betriebsrats<br />
27. – 28.10., Landshut.<br />
Bei dem DGB-Seminar<br />
geht es darum, wie<br />
Rechte der Interessenvertretung<br />
durchsetzbar<br />
sind und was möglich ist,<br />
wenn der Arbeitgeber<br />
die Betriebsratsarbeit<br />
behindert. Was regeln<br />
die Gesetze? Wann kann<br />
von einem gestörten<br />
Vertrauen gesprochen<br />
werden und was kann der<br />
Betriebsrat tun?<br />
www.bildungswerkbayern.de/seminare/<br />
010-207-2016-2td<br />
}}<br />
Kontrolle ohne<br />
Grenzen?<br />
8. – 10.11., Berlin. Ab<br />
2018 gelten neue Regelungen,<br />
die das Datenschutzrecht<br />
in Europa<br />
vereinheitlichen. Die im<br />
April 2016 verabschiedete<br />
Verordnung EU-DSGVO<br />
soll die Rechte der<br />
Nutzer stärken. Was sie<br />
für den Beschäftigtendatenschutz<br />
bedeutet,<br />
ist Thema des Forums<br />
»Arbeitnehmer im<br />
Visier – Kontrolle ohne<br />
Grenzen?«, das die<br />
Datenschutz- und Technologieberatung<br />
(dtb)<br />
ausrichtet. In Vorträgen<br />
namhafter Experten und<br />
Fachforen werden Handlungs-<br />
und Gestaltungsmöglichkeiten<br />
aufgezeigt<br />
und erarbeitet.<br />
www.dtb-kassel.de;<br />
Flyer: www.dtb-kassel.<br />
de/upload/technologie<br />
forum_2016/Technologie<br />
forum_November_2016_<br />
TEC.2016.pdf<br />
7
magazin<br />
AiB 9 | 2016<br />
surftipps<br />
wandkalender<br />
+ ++ Hier wirkt der<br />
Mindestlohn Seit Einführung<br />
des Mindestlohns<br />
Anfang 2015 nimmt die<br />
sozialversicherungspflichtige<br />
Beschäftigung<br />
in Niedriglohnsektoren<br />
zu – und zwar in allen<br />
Bundes ländern. Die große<br />
Daten karte des DGB für<br />
alle Bundesländer zeigt,<br />
wie sich Löhne, Gehälter<br />
und Beschäftigtenzahlen<br />
in einzelnen Branchen<br />
entwickelt haben.<br />
www.dgb.de > Suche:<br />
Mindestlohn Datenkarte<br />
+ ++ JAV-Wahlen im<br />
Herbst Oktober und<br />
November ist die Zeit für<br />
die Wahl der Jugend- und<br />
Auszubildendenvertretungen<br />
(JAV). Die Seite<br />
www.jav-portal.de sammelt<br />
alle Informationen<br />
rund um die Wahl und<br />
bietet Links zu den Gewerkschaften<br />
mit jeweils<br />
eigenen Portalen und<br />
weiteren Materialien.<br />
Arbeitsrecht<br />
im Betrieb 2017<br />
Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa<br />
Januar<br />
1 2 KW 1 3 4 5 6 7 8 9 KW 2 10 11 12 13 14<br />
Februar 1 2 3 4 5 6 KW 6 7 8 9 10 11 12 13 KW 7 14 15 16 17 18<br />
März<br />
1<br />
Aschermittwoch<br />
2 3 4 5 6 KW 10 7 8 9 10 11 12 13 KW 11 14 15 16 17 18<br />
April 1 2 3 KW 14 4 5 6 7 8 9 10 KW 15 11 12 13 14 15<br />
Mai 1 KW 18 2 3 4 5 6 7 8 KW 19 9 10 11 12 13 14 15 KW 20 16 17 18 19 20<br />
Tag der Arbeit<br />
Juni 1 2 3 4 5 KW 23 6 7 8 9 10 11 12 KW 24 13 14 15 16 17<br />
Kalender aus dem Bund-Verlag<br />
hilft bei der Kommunikation<br />
Aschermittwoch<br />
Spätestens<br />
Wahlunterlagen<br />
für<br />
BRWahl<br />
2018 bestellen!<br />
Juli 1 2 3 KW 27 4 5 6 7 8 9 10 KW 28 11 12 13 14 15<br />
August 1 2 3 4 5 6 7 KW 32 8 9 10 11 12 13 14 KW 33 15 16 17 18 19<br />
Bald geht die Suche nach passenden Kalendern für das neue Jahr los. Freuen Sie<br />
sich im November auf Ihre Arbeitsrecht im Betrieb. Denn mit dieser <strong>Ausgabe</strong> er -<br />
halten Sie kostenlos einen großformatigen Wandkalender für 2017. Perfekt für<br />
Ihr Betriebsratsbüro. Er ist mit Karikaturen vom beliebten Zeichner Reinhard Alff<br />
garniert. Wir haben Betriebsräten den Kalender vorab gezeigt.<br />
September 1 2 3 4 KW 36 5 6 7 8 9 10 11 KW 37 12 13 14 15 16<br />
Oktober 1<br />
Erntedank<br />
Neujahr<br />
Pfingstsonntag<br />
Pfingstmontag<br />
2 KW 40 3 4 5 6 7 8 9 KW 41 10 11 12 13 14<br />
Tag der dt. Einheit<br />
Bernd Fuhrmann (er ist stellvertretender um etwa Betriebsversammlungen effektiv<br />
Betriebs ratsvorsitzender bei UPS in Troisdorf)<br />
und Holger Schmidt (er hat sich viele teamorientierte Arbeitsweise im Betriebsrat<br />
Deutscher zu planen. BetriebsräteTagDass gute Kommunikation eine<br />
7. bis 9. November im Plenarsaal Bonn<br />
» www.betriebsraetetag.de<br />
Jahre als Betriebsratsvorsitzender bei DER fördert, hat Holger Schmidt in seiner Zeit als<br />
Touristik in Frankfurt engagiert) sind erfahrene<br />
Interessen vertreter.<br />
Und auch wenn Vieles heute digital verwaltet<br />
Interessenvertreter immer wieder erfahren.<br />
Für sie ist der Kalender ein gefragter Begleiter<br />
durch den Alltag. Bernd Fuhrmann sagt: Schmidt den Kalender für eine prima Idee.<br />
wird, halten Bernd Fuhrmann und Holger<br />
Anzeige<br />
»Die Gestaltung ist sehr gelungen und übersichtlicher<br />
als bei vielen anderen Kalendern, Outlook-Kalender, der natürlich auch noch<br />
»Er bietet eine viel bessere Übersicht als ein<br />
die man bekommt. Es ist alles enthalten, genutzt wird«, sagt Bernd Fuhrmann. Und für<br />
um ihn gut nutzen zu können.« Und Holger Holger Schmidt ist auch im digitalen Zeitalter<br />
klar: »Ein Wandkalender ist durch nichts<br />
Schmidt meint: »Ich finde es besonders<br />
gut, dass die Cartoon-Figuren aufgegriffen zu ersetzen.«<br />
wurden – das ist ja ein Markenzeichen des<br />
Bund- Verlags.«<br />
Die Interessenvertreter wissen auch schon,<br />
wo der Helfer aus Papier hin soll: Beide wollen<br />
den Kalender im Betriebsratsbüro aufhängen,<br />
um die Kommunikation mit den anderen<br />
Mitgliedern des Gremiums zu erleichtern.<br />
Alle wichtigen Termine, wie zum Beispiel<br />
auch der Ramadan, werden ein getragen,<br />
November 1 2 3 4 5 6 KW 45 7 8 9 10 11 12 13 KW 46 14 15 16 17 18<br />
Allerheiligen<br />
Dezember 1 2 3 4 KW 49 5 6 7 8 9 10 11 KW 50 12 13 14 15 16<br />
1. Advent<br />
Sankt Nikolaus<br />
Bernd Fuhrmann<br />
Hl. Drei Könige<br />
Muttertag<br />
2. Advent<br />
Holger Schmidt<br />
Mariä Himmelfahrt<br />
Der neue<br />
»Kittner«<br />
erscheint!<br />
Gründonnerstag<br />
Fronleichnam<br />
Karfreitag<br />
8
www.betriebsratswissen-<strong>online</strong>.de<br />
Machen Sie den<br />
28-Tage-Gratis-Test!<br />
Betriebsratswissen <strong>online</strong><br />
Die Datenbank speziell für Betriebsräte<br />
Die Inhalte im Überblick<br />
Kittner<br />
Arbeits- und Sozialordnung<br />
Gesetze und Normen mit Einleitungen und Übersichten<br />
Däubler / Kittner / Klebe / Wedde (Hrsg.)<br />
BetrVG Kommentar für die Praxis<br />
Der Standard-Kommentar mit Wahlordnung<br />
und EBR-Gesetz<br />
Däubler / Kittner / Klebe / Wedde (Hrsg.)<br />
Arbeitshilfen für den Betriebsrat<br />
Alle Vorlagen für die rechtssichere Umsetzung des<br />
BetrVG – mit Wahlunterlagen und EBR-Gesetz<br />
Schoof<br />
Betriebsratspraxis von A bis Z<br />
Das Lexikon für die betriebliche Interessenver tretung<br />
Große Rechtsprechungsdatenbank<br />
Alle wichtigen Landes- und Bundesarbeitsgerichts -<br />
entscheidungen<br />
Ganz nah dran.<br />
Ihr Partner im Arbeits- und Sozialrecht.
titelthema<br />
änderungskündigung<br />
AiB 9 | 2016<br />
Sie können bleiben –<br />
für weniger Geld<br />
arbeitsvertrag Angespannte wirtschaftliche Situation, schlechter Vertrags abschluss<br />
aus Sicht des Arbeitgebers: Dies kann Folgen für Beschäftigte haben. Wir gehen der<br />
Frage nach, unter welchen Bedingungen der Arbeit geber Arbeits verträge ändern kann.<br />
VON REGINA STEINER<br />
10
AiB 9 | 2016<br />
<strong>Eine</strong> Teilkündigung einzelner Vertragsklauseln<br />
ist nicht zulässig, denn das würde den Kündigungsschutz<br />
der Beschäftigten unterlaufen.<br />
Verträge können jederzeit im gegenseitigen<br />
Einvernehmen geändert werden, aber keine<br />
Vertragsseite muss sich auf ein entsprechendes<br />
Angebot einlassen. Vertragsänderungen sind<br />
stets freiwillig. Lässt sich der Beschäftigte darauf<br />
ein und unterzeichnet er die neuen Bedingungen,<br />
gibt es grundsätzlich kein Zurück. Die<br />
Motive, die zur Unterschrift bewogen haben,<br />
spielen keine Rolle. Die Angst um den Arbeitsplatz<br />
oder der Druck der Verhandlungssituation,<br />
dem nicht standgehalten wurde, beänderungskündigung<br />
titelthema<br />
Wer kennt nicht folgende Situation<br />
aus eigener Anschauung<br />
oder hat zumindest schon<br />
davon gehört? Vor vielen<br />
Jahren wurde ein Arbeitsvertrag geschlossen.<br />
Hier wurde zum Beispiel vereinbart, dass das<br />
Entgelt nach einem bestimmten Tarifvertrag<br />
bezahlt wird und die wöchentliche Arbeitszeit<br />
35 Stunden bei einer Vollzeitbeschäftigung beträgt.<br />
Nun bedauert der Arbeitgeber den Vertragsabschluss<br />
– nicht etwa, weil er mit dem<br />
Mitarbeiter nicht zufrieden ist, er hätte die Arbeitsleistung<br />
nur gerne billiger eingekauft. Von<br />
Tarifverträgen will er nichts mehr wissen und<br />
Arbeitszeiten von 42 Stunden wecken bei ihm<br />
Begehrlichkeiten. Möglicherweise zwingt ihn<br />
auch tatsächlich die wirtschaftliche Situation,<br />
Sparmaßnahme zu ergreifen, um den Betrieb<br />
gewinnbringend fortzuführen.<br />
Änderung des Arbeitsvertrags<br />
Grundsätzlich gilt, dass der Arbeitgeber an<br />
den einmal abgeschlossenen Arbeitsvertrag gebunden<br />
ist. Mag sein, dass der Arbeitsmarkt es<br />
ihm heute ermöglicht, die gleiche Arbeitsleistung<br />
günstiger zu erhalten, dennoch ist er an<br />
die Konditionen der bereits abgeschlossenen<br />
Verträge gebunden. Soweit der Arbeitsvertrag<br />
nichts Abschließendes regelt, kann der Arbeitgeber<br />
einseitig Inhalt, Ort und Zeitpunkt der<br />
Arbeitsleistung (§ 106 Gewerbeordnung) bestimmen.<br />
Stößt er jedoch an die Grenzen des<br />
Direktionsrechts, hat er die Wahl, den Arbeitnehmer<br />
von der Notwendigkeit der Vertragsänderung<br />
zu überzeugen oder zur Änderungskündigung<br />
zu greifen.<br />
darum geht es<br />
1. Verträge sind zu<br />
halten. Das gilt auch<br />
für Arbeitsverträge.<br />
Vertrags änderungen sind<br />
nur im gegenseitigen<br />
Einvernehmen möglich.<br />
2. Möchte der Arbeitgeber<br />
eine Vertragsänderung<br />
gegen den<br />
Willen des Beschäftigten<br />
durchsetzen, kann er zur<br />
Änderungskündigung<br />
greifen.<br />
3. Die Änderungskündigung<br />
ist aber nur<br />
in engen Grenzen zulässig<br />
und Beschäftigte<br />
haben die Möglichkeit,<br />
diese gerichtlich prüfen<br />
zu lassen.<br />
Teilkündigung nicht zulässig<br />
11
titelthema<br />
änderungskündigung<br />
AiB 9 | 2016<br />
zwei teile<br />
einer änderungskündigung<br />
übersicht<br />
Aktuelle Rechtsprechung zur Änderungskündigung<br />
Das bisherige Arbeitsverhältnis<br />
wird gekündigt<br />
und gleichzeitig erhält<br />
der Beschäftigte ein<br />
Angebot, unter welchen<br />
Bedingungen das Arbeitsverhältnis<br />
fortgesetzt<br />
werden soll.<br />
Die Grundsätze zur Änderungskündigung<br />
<strong>Eine</strong> ordentliche Beendigungskündigung ist<br />
nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />
ausgeschlossen, wenn die Möglichkeit besteht,<br />
den Arbeitnehmer auf einem anderen freien<br />
Arbeitsplatz auch zu geänderten Arbeitsbedingungen<br />
weiterzubeschäftigen.<br />
<strong>Eine</strong> solche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit<br />
hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer anzubieten.<br />
Das Angebot kann lediglich in Extremfällen<br />
(beispielsweise offensichtlich völlig<br />
unterwertige Beschäftigung) unterbleiben. Der<br />
Arbeitgeber kann Angebot und Kündigung miteinander<br />
verbinden, indem er ohne vorherige<br />
Verhandlungen mit dem Arbeitnehmer sofort<br />
eine Änderungskündigung ausspricht.<br />
Macht der Arbeitgeber vor Ausspruch einer<br />
Kündigung dem Arbeitnehmer das Angebot,<br />
den Vertrag der noch bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit<br />
anzupassen und<br />
lehnt der Arbeitnehmer dieses Angebot ab,<br />
ist der Arbeitgeber regelmäßig nach dem<br />
Verhältnis mäßigkeitsgrundsatz verpflichtet,<br />
trotzdem eine Änderungskündigung auszusprechen.<br />
<strong>Eine</strong> Beendigungskündigung ist nur<br />
dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer unmissverständlich<br />
zum Ausdruck gebracht hat, er<br />
werde die geänderten Arbeitsbedingungen im<br />
Fall des Ausspruchs einer Änderungskündigung<br />
nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer<br />
sozialen Rechtfertigung, annehmen.<br />
Spricht der Arbeitgeber ohne vorheriges<br />
oder gleichzeitiges Angebot der geänderten<br />
Arbeitsbedingungen sofort eine Beendigungskündigung<br />
aus, ist diese Kündigung regelmäßig<br />
sozialwidrig. Es unterliegt Bedenken, in derartigen<br />
Fällen fiktiv zu prüfen, ob der Arbeitnehmer<br />
die geänderten Arbeitsbedingungen<br />
bei einem entsprechenden Angebot vor oder<br />
mit Ausspruch der Kündigung zumindest unter<br />
Vorbehalt angenommen hätte. 1<br />
Zur Bestimmtheit des Änderungsangebots<br />
Das Änderungsangebot ist nicht hinreichend<br />
bestimmt, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />
zu den in einem näher bezeichneten<br />
Tarifvertrag geregelten Bedingungen<br />
erfolgen soll, der jedoch im Zeitpunkt des<br />
Zugangs der Änderungskündigung noch nicht<br />
unter Wahrung des Schriftformerfordernisses<br />
des § 1 Abs. 2 Tarifvertragsgesetzes zustande<br />
gekommen ist. 2<br />
Sozialauswahl auch bei<br />
Änderungskündigung<br />
Bei einer Änderungskündigung ist die Sozialauswahl<br />
nicht allein daran auszurichten,<br />
welcher von mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern<br />
durch den Verlust des Arbeitsplatzes<br />
am wenigsten hart getroffen würde. Es ist<br />
zu prüfen (unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer<br />
die Änderungskündigung unter<br />
Vorbehalt angenommen hat oder nicht), ob der<br />
Arbeit geber, diese Änderung einem vergleichbaren<br />
Arbeitnehmer hätte anbieten können,<br />
dem sie eher zumutbar gewesen wäre, statt die<br />
Arbeitsbedingungen des gekündigten Arbeitnehmers<br />
zu ändern. Auch hierfür sind allein die<br />
Kriterien Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten,<br />
Lebensalter und Schwerbehinderung<br />
maßgebend. 3<br />
Änderungskündigung und<br />
Gehaltsabsenkung<br />
Die Gleichbehandlung mit anderen Arbeitnehmern<br />
stellt kein dringendes betriebliches<br />
Erfordernis dar, das die Verschlechterung einer<br />
arbeitsvertraglichen Vergütungsregelung im<br />
Wege der Änderungskündigung bedingen<br />
kann. Zur Verschlechterung arbeitsvertraglicher<br />
Vergütungsregelungen mittels ordentlicher<br />
Änderungskündigung aus betrieblichen<br />
Gründen hat das BAG entschieden, dass die<br />
Änderung sozial gerechtfertigt sein kann,<br />
wenn die Unrentabilität des Betriebes einer<br />
Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen<br />
entgegensteht. Dies ist der Fall, wenn<br />
durch die Senkung der Personalkosten die<br />
Stilllegung des Betriebs oder die Reduzierung<br />
der Belegschaft verhindert werden kann und<br />
die Kosten durch andere Maßnahmen nicht zu<br />
senken sind. 4<br />
1 BAG 21.4.2005 – 2 AZR 132/04, ArbuR 2005, 469 – 470. 2 BAG 17.2.2016 – 2 AZR 613/14, brwo.<br />
3 BAG 29.1.2015 – 2 AZR 164/14, ArbuR 2015, 153 – 154<br />
(red. Leitsatz).<br />
4 BAG 20.1.2000 – 2 ABR 40/99, AiB 2000, 578 – 579<br />
(red. Leitsatz 1 – 2 und Gründe).<br />
12
AiB 9 | 2016 änderungskündigung titelthema aib-seminartipps<br />
Änderungskündigung und Krankheit<br />
<strong>Eine</strong> Änderung der Arbeitsbedingungen nach<br />
§ 2 KSchG kann auch durch eine krankheitsbedingte<br />
Leistungsminderung bedingt sein. <strong>Eine</strong><br />
ordentliche Änderungskündigung kann sozial<br />
gerechtfertigt sein, wenn die bisherigen und<br />
nach der Prognose zu erwartenden Auswirkungen<br />
der eingeschränkten Leistungsfähigkeit<br />
des Arbeitnehmers zu einer erheblichen<br />
Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen.<br />
Liegen diese im wirtschaftlichen Bereich,<br />
kommt es darauf an, ob die Arbeitsleistung<br />
des Arbeitnehmers die berechtigten Erwartungen<br />
des Arbeitgebers von der Gleichwertigkeit<br />
der beiderseitigen Leistungen in einem<br />
Maße unterschreitet, dass ihm das Festhalten<br />
am bisherigen Arbeitsvertrag unzumutbar<br />
wird; eine lediglich geringfügige – qualitative<br />
oder quantitative – Minderleistung reicht<br />
dafür nicht aus. 5<br />
Änderungskündigung von Betriebsräten<br />
Der Arbeitgeber muss dem Mandatsträger<br />
eine möglichst gleichwertige Stellung anbieten.<br />
Die angebotene Beschäftigung muss<br />
nach der Rechtsprechung des BAG entweder<br />
im Rahmen des Direktionsrechts liegen oder<br />
einvernehmlich vorgenommen werden. Ist die<br />
Ausübung des Direktionsrechts zur Übernahme<br />
auf einen anderen Arbeitsplatz nicht<br />
ausreichend und ist es auch nicht zu einer<br />
einvernehmlichen Regelung gekommen, muss<br />
der Arbeitgeber mögliche Weiterbeschäftigung<br />
in einer anderen Betriebsabteilung im<br />
Rahmen einer Änderungskündigung anbieten.<br />
Der gleichwertige Arbeitsplatz in einer anderen<br />
Abteilung muss – anders als im Fall des § 1<br />
Abs. 2 Satz 2 KSchG – nicht frei sein. Ist ein<br />
gleichwertiger Arbeitsplatz in einer anderen<br />
Abteilung vorhanden und mit einem nicht<br />
durch § 15 KSchG geschützten Arbeitnehmer<br />
besetzt, muss der Arbeitgeber versuchen, den<br />
Arbeitsplatz durch Umverteilung der Arbeit,<br />
durch Ausübung seines Direktionsrechts oder<br />
auch durch den Ausspruch einer Kündigung<br />
für den Mandatsträger freizumachen. 6<br />
rechtigen nicht zur Anfechtung des Vertrags.<br />
Dies ist nur unter ganz engen Voraussetzungen<br />
möglich. Die Rechtsprechung verlangt,<br />
dass Arbeitnehmer einer Drucksituation oder<br />
Überrumpelung widerstehen und die Unterschrift<br />
verweigern. 7 Erst wenn die Drucksituation<br />
die Grenze zur Nötigung überschritten<br />
hat, besteht eine Chance, den abgeschlossenen<br />
Änderungsvertrag wieder ungeschehen zu machen.<br />
8 Dabei muss bedacht werden, dass der<br />
Beschäftigte die Nötigung beweisen muss. Dies<br />
kann er in aller Regel nicht, weil entsprechende<br />
Zeugen fehlen. Werden Beschäftigte zum<br />
Gespräch ins Personalbüro gebeten, sollten<br />
sie erst mal nichts unterschreiben und auch<br />
keine Zusagen machen. Oft ist es hilfreich, ein<br />
Betriebsratsmitglied zum Gespräch hinzuzuziehen.<br />
<strong>Eine</strong> Vertragsänderung ist niemals so<br />
eilig, dass sie sofort geschehen muss. Es sollte<br />
eine Selbstverständlichkeit sein, dass der Beschäftigte<br />
den Vertragstext mitnehmen kann<br />
und ausreichend Zeit zur Prüfung und zum<br />
Nachdenken erhält.<br />
Keine Angst vor Änderungskündigung<br />
Besteht die Unsicherheit, ob die neuen Vertragsbedingungen<br />
gerechtfertigt sind, sollte<br />
von einer freiwilligen Vertragsänderung immer<br />
Abstand genommen werden. Der Arbeitgeber<br />
ist nicht berechtigt, deswegen das<br />
Arbeitsverhältnis zu beenden. 9 Er muss stets<br />
das mildere Mittel wählen, um sein Ziel zu<br />
erreichen. Das ist in diesem Fall die Änderungskündigung.<br />
Sie besteht aus zwei Teilen:<br />
Das bisherige Arbeitsverhältnis wird gekündigt<br />
und gleichzeitig erhält der Beschäftigte<br />
ein Angebot, unter welchen Bedingungen das<br />
Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden soll. Dabei<br />
müssen die neuen Vertragsbedingungen<br />
so angeboten werden, dass der Arbeitnehmer,<br />
wenn er denn möchte, sie mit einem schlichten<br />
»einverstanden« annehmen kann. 10 Dem<br />
Beschäftigten muss klar sein, welche Vertragsbedingungen<br />
künftig gelten sollen.<br />
Kündigungsgrund muss vorliegen<br />
Der Arbeitgeber kann eine wirksame Änderungskündigung<br />
nur aussprechen, wenn<br />
er einen Kündigungsgrund dafür hat. Diese<br />
Gründe finden sich im Kündigungsschutzgesetsetz<br />
(KSchG). 11 <strong>Eine</strong> Änderungskündigung<br />
ist danach nur möglich, wenn verhaltens-, per-<br />
Zum Schwerpunkt der AiB<br />
09/2016 empfiehlt Ihnen die<br />
AiB-Redaktion diese Seminare<br />
im Jahr 2016 / 2017:<br />
2016:<br />
ver.di b+b<br />
Mensch geht vor!<br />
Betriebsverfassung: Personelle<br />
Angelegenheiten (BR 2)<br />
17.10. – 21.10. Sundern<br />
14.11. – 18.11. Brannenburg<br />
21.11. – 25.11. Berlin (in Englisch)<br />
5.12. – 9.12. Kirkel<br />
} } verdi-bub.de/br2<br />
2016:<br />
IG Metall<br />
Personelle Maßnahmen<br />
und Betriebsratshandeln<br />
(Grundlagen seminar<br />
für Betriebs räte)<br />
In den IG Metall-Bildungszentren<br />
25.9. – 30.9. Beverungen<br />
9.10. – 14.10. Lohr<br />
9.10. – 14.10. Beverungen<br />
13.11. – 18.11. Lohr<br />
} } www.igmetall.de/bildung<br />
2016 / 2017:<br />
DGB Bildungswerk Bund<br />
Einstellungen, Versetzungen<br />
und Kündigungen<br />
Was kann der Betriebsrat tun?<br />
19.10. – 21.10.2016 Hamburg<br />
16.1. – 20.1.2017 Hamburg<br />
26.6. – 30.6.2017 Berlin<br />
} } www.betriebsratsqualifi<br />
zierung.de/seminar/217511565<br />
2016:<br />
IG BCE BWS GmbH<br />
Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />
– Arbeitsrecht 2<br />
6.11. – 11.11. Haltern am See<br />
13.11. – 18.11. Kagel-Möllenhorst<br />
4.12. – 9.12. Bad Münder<br />
} } www.igbce-bws.de/<br />
Seminarthemen/Arbeitsrecht<br />
5 BAG 22.10.2015 – 2 AZR 550/14, ArbuR 2016, 212 (red. Leitsatz).<br />
6 BAG 12.3.2009 – 2 AZR 47/08, AiB 2010, 273 – 275.<br />
7 LAG Rheinland-Pfalz 28.1.2016 – 5 Sa 398/15, juris.<br />
8 BAG 27.11.2003 – 2 AZR 135/03, AiB Newsletter 2004, 32 (Leitsatz 1).<br />
9 BAG 21.4.2005 – 2 AZR 132/04, ArbuR 2005, 463 – 464 (Leitsatz 1).<br />
10 BAG 17.2.2016 – 2 AZR 613/14.<br />
11 Dieses Gesetz findet nur Anwendung in Betrieben mit in der<br />
Regel mehr als 10 Arbeitnehmern und wenn der Arbeitsvertrag<br />
bereits länger als 6 Monate besteht, siehe dazu § 23 KSchG.<br />
13
titelthema<br />
änderungskündigung<br />
AiB 9 | 2016<br />
Oft werden Umstrukturierungsmaßnahmen<br />
genutzt, um Beschäftigte<br />
zu weniger Geld weiterzubeschäftigen.<br />
sonen- und betriebs bedingte Gründe vorliegen<br />
(§ 1 Abs. 2 KSchG). <strong>Eine</strong> verhaltensbedingte<br />
Änderungskündigung wird in der Praxis sehr<br />
selten vorkommen. Darunter versteht man<br />
Kündigungsgründe, die sich aus dem (schlechten)<br />
Verhalten des Arbeitnehmers ergeben.<br />
Denkbar wäre der Fall, dass zwei Arbeitskollegen<br />
nicht miteinander klarkommen und es immer<br />
wieder Streit gibt. Durch die Änderungskündigung<br />
und das Angebot eines anderen<br />
Arbeitsplatzes kommt es dazu, dass sie künftig<br />
nicht mehr zusammenarbeiten müssen. Damit<br />
können die Streitigkeiten in der Zukunft vermieden<br />
werden. Zuvor wird der Arbeitgeber<br />
aber regelmäßig erst einmal eine Abmahnung<br />
aussprechen müssen.<br />
Die personenbedingte Änderungskündigung<br />
hat dagegen schon mehr Praxisrelevanz.<br />
Darunter versteht man alle Gründe, die aus<br />
der Persönlichkeit des Arbeitnehmers heraus<br />
resultieren und grundsätzlich nicht durch den<br />
Willen gesteuert werden können. Der bekannteste<br />
Fall ist die Krankheit. <strong>Eine</strong> Änderungskündigung<br />
ist beispielsweise dann notwendig,<br />
wenn der Beschäftigte aus gesundheitlichen<br />
Gründen seine bisherige Arbeit nicht mehr<br />
verrichten kann und er auf einen leidensgerechten<br />
Arbeitsplatz umgesetzt werden muss. 12<br />
Auch der Kraftfahrer, der seinen Führerschein<br />
wegen einer Privatfahrt verloren hat und deshalb<br />
kein Auto mehr steuern darf, kann im<br />
Wege der Änderungskündigung auf einen anderen<br />
Arbeitsplatz versetzt werden.<br />
Der Hauptanwendungsbereich der Änderungskündigung<br />
liegt aber bei betriebsbedingten<br />
Gründen. Es muss ein dringender<br />
betriebsbedingter Grund vorliegen, der die<br />
Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen<br />
unmöglich macht. Das kann der Fall<br />
sein, wenn wegen betrieblicher Umstrukturierungsmaßnahmen<br />
bestimmte Arbeiten fremdvergeben<br />
werden, dafür aber andere neue<br />
Arbeitsplätze entstehen. <strong>Eine</strong> Änderungskündigung<br />
ist auch dann notwendig, wenn der Betrieb<br />
oder Betriebsabteilungen ihren Standort<br />
verlagern. Dies gilt nicht, wenn im Arbeitsvertrag<br />
eine Versetzungsklausel enthalten ist, die<br />
die räumliche Versetzung im Wege des Direktionsrechts<br />
gestattet. Gehaltsabsenkungen als<br />
Sparmaßnahme sind in der Regel kein dringender<br />
betrieblicher Kündigungsgrund. 13<br />
Was tun bei Änderungskündigung?<br />
Nach Erhalt der Änderungskündigung hat<br />
der Beschäftigte nun drei Möglichkeiten zu<br />
reagieren:<br />
··<br />
Nimmt der Beschäftigte das Angebot an,<br />
das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedin-<br />
12 BAG 22.10.2015 – 2 AZR 550/14, ArbuR 2016, 212 (red. Leitsatz). 13 BAG 20.10.2000 – 2 ABR 40/99, AiB 2000, 578 – 579<br />
(red. Leitsatz 1 – 2 und Gründe).<br />
14
AiB 9 | 2016<br />
änderungskündigung<br />
titelthema<br />
gungen fortzuführen, besteht das Arbeitsverhältnis<br />
zu diesen Bedingungen fort. Streitig<br />
ist, innerhalb welcher Frist das Angebot angenommen<br />
werden muss. Nach Ablauf der<br />
Kündigungsfrist kann es nicht mehr angenommen<br />
werden. Dem Arbeitnehmer muss<br />
auch eine lange Bedenkzeit eingeräumt werden.<br />
Der Arbeitgeber kann dafür eine Frist<br />
setzen, diese darf aber keinesfalls kürzer als<br />
drei Wochen sein. 14<br />
··<br />
Lehnt der Beschäftigte das Angebot ab oder<br />
schweigt er, endet das Arbeitsverhältnis mit<br />
Ablauf der Kündigungsfrist. Er kann nun<br />
innerhalb von drei Wochen nach Zugang<br />
des Kündigungsschreibens Klage vor dem<br />
Arbeits gericht einlegen und überprüfen lassen,<br />
ob die Beendigungskündigung gerechtfertigt<br />
ist.<br />
··<br />
Der Beschäftigte kann auch innerhalb von<br />
drei Wochen die Kündigung unter Vorbehalt<br />
annehmen und innerhalb dieser Frist Kündigungsschutzklage<br />
erheben (§ 2 KSchG).<br />
Das Arbeitsverhältnis wird dann nach Ablauf<br />
der Kündigungsfrist unter den geänderten<br />
Bedingungen fortgesetzt, bis das Arbeitsgericht<br />
über die soziale Rechtfertigung der<br />
geänderten Arbeitsbedingungen entschieden<br />
hat. Ist die Klage erfolgreich, wird das<br />
Arbeitsverhältnis zu den ursprünglichen Bedingungen<br />
fortgesetzt, ansonsten verbleibt<br />
es bei den geänderten Bedingungen.<br />
Betriebsrat und Änderungskündigung<br />
Betriebsratsmitglieder genießen einen besonderen<br />
Kündigungsschutz. Sie sind deshalb<br />
grundsätzlich nur außerordentlich kündbar.<br />
<strong>Eine</strong> Ausnahme gilt, wenn sie wegen der<br />
Schließung des Betriebs oder einer Betriebsabteilung<br />
gekündigt werden. Dann ist eine ordentliche<br />
Kündigung möglich (§ 15 KSchG),<br />
im letzteren Fall aber nur, wenn keine andere<br />
Beschäftigungsmöglichkeit besteht. Diese Vorschriften<br />
decken nicht alle Fälle ab, die in der<br />
betrieblichen Realität vorkommen.<br />
Hier hilft die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts<br />
(BAG). Der Arbeitgeber<br />
kann nun eine außerordentliche Änderungskündigung<br />
mit sozialer Auslauffrist aussprechen.<br />
Diese Kündigung benötigt zunächst<br />
die Zustimmung des Betriebsrats nach § 103<br />
BetrVG. Erteilt der Betriebsrat die Zustimmung<br />
zur außerordentlichen Änderungskündigung<br />
nicht, kann der Arbeitgeber versuchen,<br />
diese im Wege eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens<br />
ersetzen zu lassen. Solange<br />
dieser Prozess nicht rechtskräftig entschieden<br />
ist, kann die Änderungskündigung nicht ausgesprochen<br />
werden.<br />
beispiel<br />
Der Arbeitgeber möchte seine Führungsstruktur<br />
verschlanken und setzt künftig<br />
keine Gruppenleiter mehr ein. Die<br />
Führungs aufgaben sollen die Regionalleiter<br />
mit übernehmen. Die Betriebsratsvorsitzende<br />
ist Gruppenleiterin. Nach dem strengen<br />
Wortlaut des Gesetzes wäre eine Kündigung<br />
nicht möglich. Es liegt weder eine Betriebsschließung<br />
noch eine Betriebsteil schließung<br />
vor. Der Arbeitgeber müsste nun das<br />
Betriebsratsmitglied als Gruppenleiterin<br />
weiterbeschäftigen, obwohl es keine Aufgaben<br />
mehr hat.<br />
Es ist nachvollziehbar, dass das BAG zu dem<br />
Schluss kommt, dass es einem Arbeitgeber<br />
nicht zuzumuten ist, ein Betriebsratsmitglied<br />
weiterzuzahlen, obwohl keine Beschäftigung<br />
gemäß dem geltenden Arbeitsvertrag mehr zur<br />
Verfügung steht. Problematisch ist aber, dass<br />
Arbeitgeber in der Praxis diese Öffnung des<br />
Kündigungsschutzes dafür ausnutzen, Betriebsratsmitglieder<br />
»sauerzufahren«. Umstrukturierungsmaßnahmen<br />
werden genutzt – manchmal<br />
auch initiiert –, um Betriebsratsmitgliedern Arbeitsplätze<br />
im Wege der Änderungskündigung<br />
anzubieten, die beispielsweise drei bis fünf Entgeltgruppen<br />
niedriger bezahlt werden. <strong>Eine</strong>r<br />
Diplompädagogin in leitender Stellung wird<br />
ein Platz als Erzieherin angeboten, einem Facharbeiter<br />
ein Platz als Maschinenbediener, weil<br />
seine Aufgaben fremdvergeben wurden.<br />
Hier heißt es, Nerven behalten und nicht<br />
klein beigeben. In seiner ständigen Rechtsprechung<br />
betont das BAG, dass der Mandatsträger<br />
Anspruch auf einen möglichst gleichwertigen<br />
Arbeitsplatz hat. 15 Notfalls muss ein solcher Arbeitsplatz<br />
sogar freigekündigt werden. v<br />
Regina Steiner,<br />
Anwältin und Fachanwältin<br />
für Arbeitsrecht, Frankfurt.<br />
www.steiner-mittlaender.de<br />
14 BAG 6.2.2003 – 2 AZR 674/01, AiB Newsletter 2003, 26<br />
(Leitsatz 1).<br />
15 BAG 2.3.2006 – 2 AZR 83/05, ArbuR 2006, 331 (Leitsatz),<br />
BAG 21.6.2012 – 2 AZR 343/11, ArbuR 2013, 50 (red. Leitsatz).<br />
15
titelthema<br />
änderungskündigung<br />
AiB 9 | 2016<br />
Bei Veränderungen<br />
mitbestimmen<br />
betriebsverfassung Kündigungen müssen im Arbeitsrecht nicht<br />
zwangsläufig zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen, sie<br />
können auch die bloße Änderung von Arbeitsbedingungen bezwecken.<br />
Wie können Betriebsräte hier die Beschäftigten unterstützen?<br />
VON CHRISTOPHER KOLL<br />
darum geht es<br />
1. Bei Änderungskündigungen<br />
müssen Betriebsräte<br />
vom Arbeitgeber<br />
angehört werden.<br />
2. Sie haben die Möglichkeit<br />
– wie bei der<br />
Beendi gungs kündigung –<br />
Wider spruch und Bedenken<br />
zu äußern.<br />
3. Auch andere Mitbestimmungsrechte<br />
– wie<br />
die Zustimmung zu einer<br />
Versetzung oder Umgruppierung<br />
– können<br />
betroffen sein.<br />
Arbeitgeber greifen zur Änderungskündigung,<br />
wenn sich die Änderung<br />
des Arbeitsvertrages nicht<br />
einvernehmlich herbeiführen lässt,<br />
weil der betroffene Arbeitnehmer mit der Änderung<br />
nicht einverstanden ist. Die hier bestehenden<br />
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats<br />
stärken die Rechtsposition des Einzelnen.<br />
Inhaltliche und rechtliche Einordnung<br />
Die Änderungskündigung findet eine gesetzliche<br />
Regelung in § 2 Kündigungsschutzgesetz<br />
(KSchG). Danach besteht die Änderungskündigung<br />
aus zwei miteinander verbundenen Erklärungen<br />
des Arbeitgebers. Zum einen wird<br />
das Arbeitsverhältnis gekündigt, zum anderen<br />
wird dem Arbeitnehmer aber gleichzeitig auch<br />
das Angebot gemacht, das Arbeitsverhältnis zu<br />
geänderten Konditionen fortzuführen. Diese<br />
Änderung kann sich auf sämtliche Vertragsbedingungen<br />
beziehen, die dem Arbeitsverhältnis<br />
zugrunde liegen. Dabei muss es sich nicht zwingend<br />
um Inhalte des schriftlichen Arbeitsvertrages<br />
handeln, auch mündliche Absprachen oder<br />
eine betriebliche Übung können Vertragsgegenstand<br />
geworden sein und daher zum Gegenstand<br />
einer Änderungskündigung werden. Soweit<br />
der Arbeitsvertrag bereits die Möglichkeit<br />
einer späteren Änderung von Vertragsbedingungen<br />
einräumt, kann eine solche bereits im Wege<br />
des Direktionsrechts vom Arbeitgeber einseitig<br />
vorgenommen werden, sofern die Grenzen des<br />
Direktionsrechts eingehalten werden. <strong>Eine</strong>r<br />
Änderungskündigung bedarf es dann grundsätzlich<br />
nicht mehr. Derartige Vertragsklauseln<br />
finden sich häufig im Hinblick auf spätere Änderungen<br />
des Arbeitsortes und der Arbeitstätigkeit<br />
und werden dann in der Regel als allgemeine<br />
Versetzungsklauseln bezeichnet. Neben dem<br />
Arbeitsort und der Arbeitstätigkeit unterliegt<br />
die Arbeitszeit häufig Änderungsversuchen des<br />
Arbeitgebers. Dabei können sämtliche Aspekte<br />
der Arbeitszeit wie beispielsweise die Länge<br />
der Wochenarbeitszeit, aber auch die Lage der<br />
täglichen Arbeitszeit oder sogar die Lage von<br />
Pausenzeiten betroffen sein, wenn diese arbeitsvertraglich<br />
festgelegt sind. In der Praxis dürfte<br />
allerdings häufiger der Fall auftreten, dass nur<br />
die Wochenarbeitszeit im Arbeitsvertrag geregelt<br />
ist und der Arbeitgeber sich dann für die<br />
Lage der konkreten Arbeitszeiten die Ausübung<br />
seines Direktionsrechts vorbehalten hat. <strong>Eine</strong><br />
Änderung der Arbeitstätigkeit kommt dagegen<br />
auch bei Vorliegen einer Versetzungsklausel nur<br />
auf der Ebene der bisher ausgeübten Tätigkeit in<br />
Betracht. <strong>Eine</strong> Degradierung oder Beförderung<br />
kann daher gegen den Willen des Betroffenen<br />
nicht einseitig im Direktionsrecht angeordnet<br />
werden, sondern bedarf immer des Ausspruchs<br />
der Änderungskündigung.<br />
Mitbestimmung nach § 102 BetrVG<br />
Da auch die Änderungskündigung zur Beendigung<br />
des Arbeitsverhältnisses führen kann<br />
(wenn nämlich der Arbeitnehmer das Änderungsangebot<br />
ausschlägt und sich die Kündigung<br />
als wirksam erweist), unterliegt sie vor allem<br />
der Mitbestimmung des Betriebsrats nach<br />
16
AiB 9 | 2016<br />
änderungskündigung<br />
titelthema<br />
§ 102 BetrVG. Er ist also vor Ausspruch einer<br />
Änderungskündigung zwingend nach § 102<br />
Abs. 1 BetrVG anzuhören, anderenfalls wäre<br />
die Kündigung unheilbar unwirksam. Der Betriebsrat<br />
kann im Rahmen seiner Anhörung<br />
dann entsprechend auf seine Rechte aus § 102<br />
Abs. 2 BetrVG und § 102 Abs. 3 BetrVG zurückgreifen.<br />
Er kann also Bedenken gegen die<br />
Kündigung äußern.<br />
Bedenken äußern<br />
Hierunter fallen alle Gesichtspunkte, die seiner<br />
Ansicht nach gegen die Rechtmäßigkeit<br />
der Kündigung sprechen. Dies umfasst formale<br />
Aspekte, wie die zwingende Schriftform der<br />
Kündigung nach § 623 Bürgerliches Gesetzbuch<br />
(BGB), als auch sämtliche inhaltlichen<br />
Bedenken, wie das Fehlen eines Kündigungsgrundes<br />
nach § 1 Abs. 2, 3 KSchG. Auch die<br />
Nichteinhaltung der Kündigungsfrist kann<br />
gerügt werden, denn auch bei der Änderungskündigung<br />
muss der Arbeitgeber die gleiche<br />
Kündigungsfrist einhalten, die bei Ausspruch<br />
einer ordentlichen Beendigungskündigung<br />
einschlägig wäre. Entsprechend kann die beabsichtigte<br />
Änderung dann auch erst frühestens<br />
nach Ablauf der Frist umgesetzt werden.<br />
Widerspruch äußern<br />
Unabhängig von bestehenden Bedenken kann<br />
der Betriebsrat der Änderungskündigung aber<br />
auch nach § 102 Abs. 3 BetrVG widersprechen.<br />
Voraussetzung für die formale Wirksamkeit<br />
des Widerspruchs ist die Inbezugnahme<br />
eines der Widerspruchsgründe, die in § 102<br />
Abs. 3 BetrVG ausdrücklich genannt sind (siehe<br />
dazu Überblick auf Seite 18 im Kasten).<br />
So kann der Betriebsrat bemängeln, dass die<br />
Sozialauswahl nicht korrekt vorgenommen<br />
wurde, dass eine Auswahlrichtlinie nicht eingehalten<br />
wurde, dass eine Weiterbeschäftigung<br />
auf einem freien Arbeitsplatz im Betrieb oder<br />
Unternehmen möglich wäre oder dass eine<br />
Umschulung dergleichen ermöglichen könnte.<br />
Dagegen kommt der Widerspruchsgrund wegen<br />
einer Weiterbeschäftigung unter geänderten<br />
Vertragsbedingungen wohl nur in Betracht,<br />
wenn es sich um eine von der Änderungskündigung<br />
abweichende Änderung handelt, zu der<br />
sich der Arbeitnehmer im Vorfeld einverstanden<br />
erklärt hat, die der Arbeitgeber dann aber<br />
gerade nicht umsetzen will. Der Widerspruch<br />
des Betriebsrats löst dann den Weiterbeschäftigungsanspruch<br />
des betroffenen Arbeitnehmers<br />
nach § 102 Abs. 5 BetrVG aus. Das bedeutet,<br />
dass der Arbeitgeber den Beschäftigten bis zum<br />
rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens<br />
weiterbeschäftigen muss.<br />
Allerdings können sich bei der Änderungskündigung<br />
abweichende Rechtsfolgen ergeben,<br />
die von der Reaktion des Arbeitnehmers<br />
auf das Änderungsangebot abhängen. Wenn<br />
nämlich das Änderungsangebot nach Ausspruch<br />
der Änderungskündigung vorbehaltlos<br />
angenommen wurde, erfolgt einvernehmlich<br />
eine Beschäftigung zu den neuen Bedingungen<br />
und der Weiterbeschäftigungsanspruch (zu<br />
den alten Bedingungen) geht ins Leere. Nach<br />
der Rechtsprechung des Bundesarbeitgerichts<br />
(BAG) gilt das Gleiche aber auch für den Fall,<br />
dass die Änderung unter Vorbehalt angenommen<br />
und dann geklagt wurde. 1<br />
Achtung: Frist<br />
Sofern der Betriebsrat Bedenken äußern oder<br />
der Kündigung widersprechen will, muss dies<br />
nach § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG schriftlich<br />
innerhalb einer Woche ab der Anhörung erfolgen<br />
und bedarf eines ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses.<br />
Wenn die Frist versäumt<br />
wird, gilt seine Zustimmung nach § 102 Abs. 2<br />
Satz 2 BetrVG als erteilt.<br />
anhörung des betriebsrats<br />
<strong>Eine</strong> korrekte Anhörung des Betriebsrats<br />
setzt folgende Eckdaten voraus:<br />
··<br />
Namen, Vornamen, Geburtsdatum<br />
und Geschlecht des betroffenen Arbeitnehmers<br />
··<br />
Funktion, d.h. Arbeitsplatz im Betrieb<br />
oder Stelle<br />
··<br />
Dauer der Beschäftigung oder<br />
Einstellungs datum<br />
··<br />
Etwaige arbeitsvertragliche oder<br />
tarif vertragliche Unkündbarkeit<br />
··<br />
Etwaige Behinderung<br />
··<br />
Art der geplanten Kündigung<br />
(ordentlich oder außerordentlich?)<br />
··<br />
Grund für die geplante Kündigung<br />
(= Motiv des Arbeitgebers:<br />
Warum soll gekündigt werden?)<br />
Neuerscheinung!<br />
Für gute<br />
Gremiumsarbeit<br />
Klaus Eberhard / Thomas Haedge<br />
Thomas Nitzsche<br />
Beschlussfassung im Betriebsrat<br />
Rechtliche Grundlagen und Mustertexte,<br />
mit Online-Verlängerung<br />
2016. 223 Seiten, gebunden<br />
€ 39,90<br />
ISBN: 978-3-7663-6584-2<br />
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1 BAG 28.3.1985 – 2 AZR 548/83.<br />
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Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20
titelthema<br />
änderungskündigung<br />
AiB 9 | 2016<br />
aib-web.de<br />
} } Mehr zum Thema<br />
Änderungskündigung im<br />
Betriebsrats-Lexikon auf:<br />
www.aib-web.de ><br />
Betriebsrats-Lexikon><br />
Änderungskündgung<br />
Betriebsratsmitglied betroffen<br />
Sofern die geplante Änderungskündigung ein<br />
Betriebsratsmitglied betrifft, gilt für die Beteiligung<br />
des Betriebsrats § 103 BetrVG mit der<br />
Folge, dass der Ausspruch nur nach ausdrücklicher<br />
Zustimmung des Betriebsrats oder nach<br />
Ersetzung derselben durch das zuständige<br />
Arbeits gericht erfolgen kann.<br />
Mitbestimmung nach § 99 BetrVG<br />
Da sich die beabsichtigte Änderung der Arbeitsbedingungen<br />
auf verschiedenste Bereiche<br />
des Arbeitsverhältnisses beziehen kann,<br />
muss der Betriebsrat im konkreten Einzelfall<br />
immer prüfen, ob über § 102 BetrVG hinaus<br />
nicht auch andere Mitbestimmungsrechte berührt<br />
sein könnten. So führt eine Änderung<br />
des Arbeitsortes oder der Arbeitstätigkeit im<br />
Regelfall auch eine Versetzung herbei, die<br />
dann nach § 99 BetrVG ebenfalls die Mitbestimmung<br />
des Betriebsrats auslöst. Der Arbeitgeber<br />
muss dann den Betriebsrat sowohl nach<br />
§ 102 BetrVG als auch nach § 99 BetrVG<br />
anhören. Für den Betriebsrat ist letzteres das<br />
stärkere Recht, denn bei § 99 BetrVG benötigt<br />
der Arbeitgeber für die Umsetzung der Maßnahme<br />
seine ausdrückliche Zustimmung. Unterbleibt<br />
die Beteiligung nach § 99 BetrVG, ist<br />
die Maßnahme allein schon aus diesem Grund<br />
unwirksam. 2 Sofern der Betriebsrat die der Änderungskündigung<br />
innewohnende Versetzung<br />
für unwirksam hält, kann er die Zustimmung<br />
nach § 99 Abs. 2 BetrVG verweigern.<br />
Achtung: Frist<br />
Ähnlich wie bei § 102 Abs. 3 BetrVG ist die<br />
Verweigerung formal aber nur wirksam, wenn<br />
sie dem Arbeitgeber nach § 99 Abs. 3 BetrVG<br />
schriftlich innerhalb einer Woche ab der Anhörung<br />
zugeht und auf einem wirksamen Betriebsratsbeschluss<br />
beruht. In der schriftlichen<br />
Verweigerung muss sich der Betriebsrat zudem<br />
auf einen der Verweigerungsgründe des § 99<br />
Abs. 2 BetrVG berufen, und zwar unter Bezugnahme<br />
auf den konkreten Fall. Dabei wird<br />
bei Versetzungen häufig auf § 99 Abs. 2 Nr. 4<br />
BetrVG zurückzugreifen sein, wenn man davon<br />
ausgehen muss, dass die geplante Versetzung<br />
den betroffenen Arbeitnehmer ungerechtfertigt<br />
benachteiligt. Dies kann beispielsweise<br />
bei geplanter Degradierung des Arbeitnehmers<br />
der Fall sein, solange der bisherige Arbeitsplatz<br />
gar nicht weggefallen ist. Es ist aber natürlich<br />
auch denkbar, dass die Versetzung gegen jeden<br />
anderen der sechs Verweigerungsgründe des<br />
§ 99 Abs. 2 BetrVG verstößt.<br />
Änderung der Arbeitszeit kann<br />
Einstellung sein<br />
Bei geplanten Änderungen der Arbeitszeit liegt<br />
nach der Rechtsprechung des BAG regelmäßig<br />
keine Versetzung vor, da nicht der Arbeitsbereich<br />
nach § 95 Abs. 3 BetrVG betroffen ist. 3<br />
Dies gilt unabhängig davon, ob die Dauer der<br />
Arbeitszeit oder ihre Lage betroffen ist. Allerdings<br />
kann bei Änderungen der Wochenarbeitszeit<br />
eine Einstellung nach § 99 Abs. 1<br />
BetrVG vorliegen, wenn es um eine Erhöhung<br />
des Arbeitszeitvolumens von mindestens 10<br />
Stunden geht, die länger als einen Monat andauert.<br />
4 Dagegen unterliegt die Reduzierung<br />
der Wochenarbeitszeit nicht der Mitbestimmung<br />
des Betriebsrats. Dies gilt selbst dann,<br />
wenn im Einzelfall eine vollständige Reduzierung<br />
auf null im Rahmen einer vollständigen<br />
Freistellung von der Arbeitsleitung vorliegt.<br />
Gegen eine solche Suspendierung muss der<br />
widerspruchsgründe im überblick<br />
Die vom Gesetz in § 102 Abs. 3 BetrVG<br />
aufgelisteten Widerspruchsgründe<br />
sind folgende:<br />
1. Der Arbeitgeber hat bei der Auswahl des<br />
zu kündigenden Arbeitnehmers soziale<br />
Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend<br />
berücksichtigt.<br />
2. Die Kündigung verstößt gegen eine Auswahlrichtlinie<br />
im Sinne des § 95 BetrVG.<br />
3. Der zu kündigende Arbeitnehmer kann<br />
an einem anderen (freien) Arbeitsplatz<br />
im selben Betrieb oder in einem anderen<br />
Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt<br />
werden.<br />
4. Die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers<br />
ist nach zumutbaren Umschulungsoder<br />
Fortbildungsmaßnahmen möglich.<br />
5. <strong>Eine</strong> Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers<br />
ist unter geänderten Vertragsbedingungen<br />
möglich und der Arbeitnehmer<br />
hat sein Einverständnis hiermit erklärt.<br />
2 BAG 5.4.2001 – 2 AZR 580/99. 3 BAG 23.11.1993 – 1 ABR 38/93.<br />
4 BAG 25.1.2005 – 1 ABR 59/03.<br />
18
AiB 9 | 2016<br />
änderungskündigung<br />
titelthema<br />
betroffene Arbeitnehmer dann gegebenenfalls<br />
individualrechtlich vorgehen.<br />
Änderung hat Auswirkungen aufs Gehalt<br />
Sofern die geplante Änderung einer Arbeitstätigkeit<br />
Auswirkungen auf das Gehalt des Betroffenen<br />
hat, kann eine Umgruppierung nach<br />
§ 99 Abs. 1 BetrVG im Raum stehen. Voraussetzung<br />
dafür ist das Vorliegen einer kollektiv<br />
im Betrieb geltenden Vergütungsordnung, in<br />
die der betroffene Arbeitnehmer eingruppiert<br />
ist. Ändert sich durch die Änderungen in der<br />
Arbeitstätigkeit jetzt automatisch auch die<br />
Eingruppierung, ist der Betriebsrat nach § 99<br />
BetrVG zu beteiligen. Allerdings beschränkt<br />
sich seine Einwirkungsmöglichkeit dann auf<br />
eine reine Rechtskontrolle, denn er kann nur<br />
überprüfen, ob nach der Änderung der Tätigkeit<br />
die richtige Entgeltgruppe zur Anwendung<br />
kommt. Soll die Änderung selbst unterbunden<br />
werden, muss dies über die Anhörung zur Versetzung<br />
selbst erfolgen.<br />
Weitere Mitbestimmungsrechte<br />
Änderungen der Arbeitszeit bei einem Arbeitnehmer<br />
lösen automatisch auch immer die<br />
Frage aus, ob das Mitbestimmungsrecht des<br />
Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG<br />
betroffen ist. Da die Länge der Wochenarbeitszeit<br />
nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats<br />
unterliegt, ist hier nur in Ausnahmefällen<br />
mit Konflikten zu rechnen. Sollte<br />
die Wochenarbeitszeit im Betrieb allerdings<br />
durch eine (freiwillige) Betriebsvereinbarung<br />
geregelt sein, müssen deren Vorgaben auch<br />
vor Ausspruch einer Änderungskündigung<br />
beachtet werden. Dies gilt im Übrigen für alle<br />
Änderungen von Arbeitsbedingungen, die<br />
im Betrieb durch eine Betriebsvereinbarung<br />
geregelt werden. Verstöße berechtigen den<br />
Betriebsrat immer zum Widerspruch, sei es<br />
nach § 102 Abs. 2 BetrVG, § 99 Abs. 2 Nr. 1<br />
BetrVG oder allein nur aufgrund der Nichteinhaltung<br />
einer geltenden Betriebsvereinbarung.<br />
Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn sich die<br />
geplante Änderung auf die Lage der Arbeitszeiten<br />
beziehen soll. Dies ist beispielsweise<br />
gegeben, wenn ein einzelner Arbeitnehmer<br />
aus betrieblichen Gründen in Zukunft auch<br />
an Samstagen eingesetzt werden soll, die bisher<br />
arbeitsfrei waren. Häufig gehen Arbeitgeber<br />
auch hier von einer mitbestimmungsfreien<br />
Maßnahme aus, weil bei einer einzelnen Änderung<br />
kein kollektiver Tatbestand vorliegt.<br />
Nach der einschlägigen Rechtsprechung des<br />
BAG liegt allerdings nur dann ein echter Einzelfall<br />
vor, wenn die Maßnahme allein auf die<br />
persönlichen Bedürfnisse des Arbeitnehmers<br />
zugeschnitten wurde. Wird dagegen die Lage<br />
der Arbeitszeit aus betrieblichen Gründen geändert<br />
und bei einer Änderungskündigung zudem<br />
noch gegen den Willen des Betroffenen,<br />
greift die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1<br />
Nr. 2 BetrVG voll durch. 5 Das Gleiche gilt für<br />
§ 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG, wenn die<br />
geplante Änderung beispielsweise auf Gehaltsbestandteile<br />
abzielt. 6<br />
Mitbestimmung durchsetzen<br />
Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats<br />
bei Änderungskündigungen sichern den arbeitsrechtlichen<br />
Schutz der im Betrieb beschäftigten<br />
Arbeitnehmer und sollten daher<br />
auch sehr nachdrücklich verfolgt werden. Gegen<br />
unterbliebene Beteiligungen nach § 102<br />
und § 99 BetrVG kann der Betriebsrat insbesondere<br />
Unterlassungsanträge beim Arbeitsgericht<br />
stellen, je nach Fall auch nach § 23 Abs. 3<br />
BetrVG, wenn ein grober Verstoß vorliegt. Dasselbe<br />
gilt für Verletzungen der Mitbestimmung<br />
nach § 87 BetrVG. v<br />
Christopher Koll, Fachanwalt für<br />
Arbeits recht und Partner in der<br />
Kanzlei Bell & Windirsch,<br />
Düsseldorf.<br />
Der Betriebsrat kann<br />
Beschäftigte mithilfe<br />
unterschiedlicher<br />
Mit bestimmungsrechte<br />
bei einer Änderungskündigung<br />
unterstützen.<br />
5 BAG 24.4.2007 – 1 ABR 47/06.<br />
6 Dazu mehr in AiB 6/2016, S. 18 – 21 – Koll, Mitbestimmung beim<br />
Entgelt.<br />
19
titelthema<br />
änderungskündigung<br />
AiB 9 | 2016<br />
Sich nicht unter<br />
Druck setzen lassen<br />
besonderer kündigungsschutz Für Betriebsratsmitglieder gilt<br />
ein besonderer Kündigungsschutz. Sie sollen bei der Betriebsrats arbeit<br />
nicht gestört werden. Was aber, wenn der Arbeitgeber Änderungskündigungen<br />
ausspricht? Fragen an den Experten.<br />
FRAGEN DER REDAKTION<br />
In welchen Situationen können Änderungskündigungen<br />
ausgesprochen werden? <strong>Eine</strong><br />
Änderungskündigung kommt in Betracht,<br />
wenn Umstrukturierungsmaßnahmen vorgenommen<br />
werden und dadurch der Arbeitsplatz<br />
eines Betriebsratsmitglieds tatsächlich<br />
entfällt. Kann der Arbeitgeber das betroffene<br />
Mitglied nicht im Rahmen seines Direktionsrechts<br />
in eine andere Abteilung oder in einen<br />
anderen Betriebsteil versetzen, ist eine Änderungskündigung<br />
möglich. Wenn ansonsten<br />
eine Beendigungskündigung erfolgen würde,<br />
müsste sogar – als milderes Mittel – eine soldarum<br />
geht es<br />
1. Betriebsratsmitglieder<br />
können nur außerordentlich,<br />
das heißt aus wichtigem<br />
Grund, gekündigt<br />
werden.<br />
2. Auch außerordentliche<br />
Änderungskündigungen<br />
sind möglich – etwa wenn<br />
bei Umstrukturierungen<br />
Hierarchieebenen wegfallen.<br />
3. Trotzdem gibt es gute<br />
Chancen, sich zu wehren.<br />
Betroffene Kollegen sollten<br />
sich gewerkschaftlich<br />
oder anwaltlich beraten<br />
lassen.<br />
Unliebsame Interessenvertreter per<br />
Änderungskündigung loszuwerden,<br />
mag eine interessante Option<br />
für manchen Arbeitgeber sein.<br />
Doch so einfach geht das nicht.<br />
Kommt es oft vor, dass Betriebsratsmitglieder<br />
von Änderungskündigungen betroffen sind?<br />
Änderungs kündigungen von Betriebsratsmitgliedern<br />
sind für den Arbeitgeber schwer<br />
durchzusetzen, da auch hier der besondere<br />
Kündigungsschutz des § 15 Kündigungsschutzgesetz<br />
(KSchG) greift. Grundsätzlich können<br />
Betriebsratsmitglieder nur außerordentlich,<br />
das heißt aus wichtigem Grund, gekündigt<br />
werden. Wenn der Betriebsrat einer Kündigung<br />
nicht zustimmt, muss der Arbeitgeber sich die<br />
Zustimmung vor dem Arbeitsgericht ersetzen<br />
lassen. Das kann einige Zeit in Anspruch nehmen,<br />
weshalb viele Arbeitgeber – zu Recht – davor<br />
zurückschrecken. Es wird deshalb häufig<br />
zunächst nur damit gedroht und die Ankündigung<br />
einer Änderungskündigung als Druckmittel<br />
eingesetzt. Davon sollte sich aber kein<br />
Betriebsrat beeindrucken lassen!<br />
Gilt der Schutz auch für Versetzungen? Ja,<br />
auch hier muss das Gremium im Vorfeld zustimmen,<br />
soweit das betroffene Mitglied mit<br />
der Versetzung nicht einverstanden ist. Damit<br />
soll verhindert werden, dass der Arbeitgeber<br />
mit der Folge eines Amtsverlustes unliebsame<br />
Betriebsräte in eine andere Stadt oder in einen<br />
weit entfernten Betrieb versetzen kann.<br />
Betriebsrats mitglieder<br />
sollten sich von<br />
Änderungs kündigungen<br />
nicht beeindrucken<br />
lassen.<br />
20
AiB 9 | 2016<br />
änderungskündigung<br />
titelthema<br />
che ausgesprochen werden. Da der Arbeitgeber<br />
aufgrund des bestehenden Sonderkündigungsschutzes<br />
nur außerordentlich kündigen<br />
darf, wird in bestimmten Sonderkonstellationen<br />
auch eine außerordentliche Änderungskündigung<br />
anerkannt. Entfällt etwa aufgrund<br />
einer unternehmerischen Entscheidung zur<br />
Umstrukturierung eine komplette Hierarchieebene,<br />
kann dies ein wichtiger Grund für eine<br />
außerordentliche Änderungskündigung eines<br />
bisher in dieser Führungsebene beschäftigten<br />
Betriebsratsmitglieds sein.<br />
Wichtig zu wissen: Der Kündigungsschutz<br />
wird eingeschränkt bei Abteilungs- beziehungsweise<br />
Betriebsstilllegungen. In diesen<br />
Fällen lässt das Gesetz auch eine ordentliche<br />
Änderungskündigung des betroffenen Betriebsratsmitglieds<br />
zu.<br />
In welcher Form muss der Betriebsrat bei<br />
Änderungskündigungen beteiligt werden?<br />
Gerade bei dem Wegfall von Hierarchieebenen<br />
wird der Arbeitgeber eine außerordentliche<br />
Änderungskündigung aussprechen müssen,<br />
so dass die vorherige Zustimmung des<br />
Betriebsrats zwingend erforderlich ist. Bei einer<br />
ordentlichen Änderungskündigung ist der<br />
»Die Hürden<br />
für den Arbeitgeber<br />
sind hoch,<br />
Betriebs ratsmitglieder<br />
können<br />
sich deshalb regelmäßig<br />
erfolgreich<br />
wehren.«<br />
MARC-OLIVER SCHULZE<br />
Betriebsrat dagegen »nur« nach § 102 BetrVG<br />
anzuhören. Dabei wird oft übersehen, dass der<br />
Betriebsrat zusätzlich auch nach § 99 BetrVG<br />
angehört werden muss, da mit einer Änderungskündigung<br />
regelmäßig eine Versetzung<br />
und/oder Änderung der Eingruppierung im<br />
Sinne des § 99 BetrVG verbunden sein wird.<br />
Was kann dem betroffenen Mitglied geraten<br />
werden? Die Hürden für den Arbeitgeber<br />
sind hoch, Betriebsratsmitglieder können<br />
sich deshalb regelmäßig erfolgreich wehren.<br />
Der betroffenen Kollegin/dem betroffenen<br />
Kollegen ist zu empfehlen, sich gewerkschaftlich<br />
oder anwaltlich beraten zu lassen. Sofern<br />
bereits eine Änderungskündigung ausgesprochen<br />
wurde, müssen die kurzen Fristen des<br />
Kündigungs schutzgesetzes beachtet werden.<br />
<strong>Eine</strong> (Änderungs-)Kündigungsschutzklage<br />
kann wie bei der normalen Beendigungskündigung<br />
nur innerhalb von drei Wochen nach<br />
Zugang der Kündigung erhoben werden. Zuvor<br />
muss geklärt werden, ob die Änderung der<br />
Arbeitsbedingungen (unter Vorbehalt) angenommen<br />
wird.<br />
Hier ist wichtig: Die Weichen werden bereits<br />
im Zustimmungsersetzungsverfahren<br />
nach § 103 Abs. 2 BetrVG gestellt. In diesem<br />
Verfahren ist auch das betroffene Betriebsratsmitglied<br />
beteiligt.<br />
Wie sollte das Betriebsratsgremium vorgehen,<br />
um das betroffene Mitglied zu schützen?<br />
Im Regelfall sollte das Gremium die<br />
Zustimmung zur außerordentlichen Änderungskündigung<br />
verweigern. Der Arbeitgeber<br />
muss die Zustimmung dann gerichtlich<br />
ersetzen lassen. Das kostet Zeit und kann<br />
ein taktisches Mittel sein, um die Vergleichsbereitschaft<br />
des Arbeitgebers zu fördern. Ist<br />
eine ordentliche Änderungskündigung möglich,<br />
ist der Betriebsrat lediglich nach § 102<br />
BetrVG anzuhören. Hier sollte er dann –<br />
wenn die Gründe des § 102 Abs. 3 BetrVG gegeben<br />
sind – der Kündigung widersprechen.<br />
Und immer sollte geprüft werden, ob die behaupteten<br />
Gründe vorliegen oder ob sie nicht<br />
nur vorgeschoben sind, um ein Betriebsratmitglied<br />
auf das Abstellgleis zu bringen. Dann<br />
kann auch eine Behinderung der Betriebsratsarbeit<br />
vorliegen, gegen die der Betriebsrat<br />
vorgehen muss.<br />
Kann der Betriebsrat als Gremium von vornherein<br />
verhindern, dass der Arbeitgeber Änderungskündigungen<br />
ausspricht? <strong>Eine</strong> Patentlösung<br />
als Schutz vor Änderungskündigungen<br />
gibt es nicht. Solange aber der Betriebsrat dem<br />
Ansinnen des Arbeitgebers entgegentritt und<br />
beabsichtigten Änderungskündigungen regelmäßig<br />
widerspricht, wird der Arbeitgeber sehr<br />
schnell die Lust an diesem Gestaltungsmittel<br />
verlieren. v<br />
Marc-Oliver Schulze ist<br />
Fachanwalt für Arbeitsrecht<br />
bei den AfA Rechtsanwälten<br />
in Nürnberg.<br />
www.afa-anwalt.de<br />
rechtsgrundlage<br />
§ 103 BetrVG<br />
(1) Die außerordentliche<br />
Kündigung von Mitgliedern<br />
des Betriebsrats (...)<br />
bedarf der Zustimmung<br />
des Betriebsrats.<br />
(2) Verweigert der<br />
Betriebsrat seine Zustimmung,<br />
so kann das<br />
Arbeitsgericht sie auf<br />
Antrag des Arbeitgebers<br />
ersetzen, wenn die außerordentliche<br />
Kündigung<br />
unter Berücksichtigung<br />
aller Umstände gerechtfertigt<br />
ist. In dem Verfahren<br />
vor dem Arbeitsgericht<br />
ist der betroffene<br />
Arbeitnehmer Beteiligter.<br />
(...)<br />
21
aktuelles<br />
Nutze die Möglichkeit<br />
AiB 9 | 2016<br />
Nutze die Möglichkeit<br />
gesundheitsförderung Die Möglich keiten, einen Teil des Aufwandes<br />
für betriebliche Gesund heits förderung durch andere tragen zu lassen,<br />
waren nie besser. Das Präventionsgesetz macht's möglich.<br />
VON BETTINA FLÜS<br />
darum geht es<br />
1. Es gibt ein breites<br />
Spektrum an Möglichkeiten<br />
zur betrieblichen<br />
Gesundheitsförderung,<br />
die der Betriebsrat anstoßen<br />
sollte.<br />
2. Durch das neue<br />
Präventionsgesetz sind<br />
jetzt die Krankenkassen<br />
verpflichtet, mehr für die<br />
betriebliche Gesundheitsförderung<br />
zu tun.<br />
3. Das macht betrieblichen<br />
Gesundheitsschutz<br />
auch für kleine und<br />
mittlere Unternehmen<br />
attraktiv.<br />
Betriebsräte haben mit dem am<br />
1.1.2016 in Kraft getretenen Präventionsgesetz<br />
noch bessere Argumente,<br />
im Bereich der betrieblichen<br />
Gesundheitsförderung aktiv zu werden und im<br />
Interesse der Beschäftigten viele Gründe, dies<br />
auch zu tun. Das Gesetz verpflichtet die Krankenversicherungen<br />
dazu, für die Gesundheitsförderung<br />
der betrieblichen und nichtbetrieblichen<br />
Lebenswelten 1 mindestens 300 Mio. €,<br />
und damit doppelt so viel, wie in den vergangenen<br />
Jahren zur Verfügung zu stellen. Das<br />
macht betrieblichen Gesundheitsschutz auch<br />
für kleine und mittlere Unternehmen attraktiv.<br />
gut zu wissen<br />
Betriebliche Gesundheitsförderung ist<br />
nach einer Umfrage des WSI zur Arbeit der<br />
Betriebsräte im Jahr 2015 das am meisten<br />
genannte Thema. 2<br />
Verbesserte Unterstützung<br />
Ziel des Präventionsgesetzes ist es, den Betrieben<br />
verbesserte Unterstützung durch die Krankenkassen<br />
und andere Sozialversicherungsträger<br />
einzuräumen.<br />
übernahme von kosten<br />
Vorteile für Arbeitgeber, Arbeitnehmer<br />
und Betriebsrat: Übernahme von Kosten<br />
und Aufwand durch die Krankenkasse<br />
Durch das Präventionsgesetz gibt es verbesserte<br />
Möglichkeiten, einen Teil des finanziellen<br />
und personellen Aufwandes durch die Sozialversicherung<br />
tragen zu lassen. Sinn der verbesserten<br />
Leistungen ist zwar nicht die Entlastung<br />
des Arbeitgebers von Kosten, die dieser zwingend<br />
zur Vermeidung von Arbeitsunfällen und<br />
Berufskrankheiten aufwenden muss. 3 Allerdings<br />
profitiert der Arbeitgeber von einer Verbesserung<br />
der Gesundheit seiner Beschäftigten<br />
in mehrfacher Weise, sodass hier ein Plus für<br />
alle Beteiligten zu verzeichnen ist. Ein Argument<br />
für den Betriebsrat, weitere Aktivitäten<br />
anzustoßen und gemeinsam mit dem Arbeitgeber<br />
und der Krankenkasse umzusetzen.<br />
Zweigleisig fahren<br />
Die beste und umfassendste Unterstützung<br />
wird erreicht, wenn sowohl Unterstützungsleistungen<br />
der Krankenkasse nach dem Präventionsgesetz<br />
als auch Steuer- und Sozialabgabenfreiheit<br />
genutzt werden.<br />
Leistungen der Krankenkasse<br />
Die Krankenkasse kann sich durch Übernahme<br />
von Aufgaben oder durch finanzielle<br />
Förderung an den Maßnahmen beteiligen.<br />
Auch eine Bonuszahlung an den Arbeitgeber<br />
ist möglich. Voraussetzung dafür ist, dass die<br />
im Betrieb durchgeführte Gefährdungsbeurteilung<br />
keine Gesundheitsgefahren ermittelt<br />
hat. 4 Die verschiedenen Krankenkassen haben<br />
jeweils eigene Angebote und Schwerpunkte<br />
als Teil ihrer Förderung. Der Arbeitgeber kann<br />
mit allen Krankenkassen, die Mitglieder im<br />
Betrieb haben, verhandeln. Dabei ist es sinnvoll,<br />
mehrere Krankenkassen in die Auswahl<br />
22<br />
1 Kita, Schule, Kommunen, Betrieben und Pflegeeinrichtungen.<br />
2 Ergebnis aus der Befragung des WSI 2015 ergab Arbeitsschutz/<br />
Gesundheitsförderung als das meistgenannte Thema der<br />
Betriebsratsarbeit (Wandel der Arbeit und Restrukturierung von<br />
Organisationen – brauchen sozialpartnerschaftliche Lösungen<br />
neue Rahmenbedingungen? Dr. Elke Ahlers Wirtschafts- und<br />
sozialwissenschaftliches Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung,<br />
Düsseldorf Fachveranstaltung Veränderungsprozesse und<br />
Anpassungserfordernisse in der Arbeitswelt am 1. und 2.10.2015<br />
in Dortmund).<br />
3 Für den Arbeitsschutz hat der Arbeitgeber alleine aufzukommen,<br />
eine teilweise Finanzierung z. B. durch die auch durch<br />
Arbeitnehmerbeiträge finanzierten Krankenkassen kommt daher<br />
nicht in Frage.<br />
4 Falls Gesundheitsgefahren ermittelt wurden, ist zunächst Abhilfe<br />
zu leisten. Der Arbeitgeber ist hierzu gesetzlich verpflichtet.<br />
Kosten hierfür sind von ihm allein zu tragen, eine Bezuschussung<br />
kommt nicht in Frage. (Bundesrahmenplanempfehlung der NPK<br />
verabschiedet am 19.2.2016).
AiB 9 | 2016 Nutze die Möglichkeit aktuelles<br />
einzubeziehen, um ein passendes Angebot für<br />
die Beschäftigten auszusuchen oder gemeinsam<br />
zu entwickeln.<br />
gut zu wissen<br />
Die Suche und Auswahl von Krankenkassen<br />
wird voraussichtlich ab 2017 durch<br />
ein Internetportal 5 der Krankenkassen<br />
unterstützt. In diesem sollen länderspezifische<br />
Ziele, Regelungen und Angebote<br />
berücksichtigt werden. Auch bereits<br />
bestehende, wie zum Beispiel die der<br />
Industrie- und Handelskammern, oder<br />
in Gründung befindliche Netzwerke und<br />
Koordinierungsstellen unterstützen die<br />
Suche geeigneter Kooperationspartner<br />
und sollen hier eingestellt werden.<br />
Der Arbeitgeber kann mit verschiedenen Krankenkassen<br />
deren Unterstützungsangebote klären<br />
und sich dann für eine Krankenkasse als<br />
Kooperationspartnerin entscheiden. Die möglichen<br />
durchzuführenden Maßnahmen werden<br />
miteinander besprochen und Bedingungen<br />
verhandelt. Am Ende schließt der Arbeitgeber<br />
mit der Krankenkasse, deren Angebot überzeugt,<br />
eine Vereinbarung zur Gesundheitsförderung<br />
im Betrieb entsprechend § 20 Abs. 4<br />
Nr. 3, § 20 b Abs. 1, Leitfaden Prävention 6 und<br />
§ 20 c Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)<br />
ab. Die Leistungen kommen allen Beschäftigten<br />
– unabhängig von ihrer Mitgliedschaft in<br />
der kooperierenden Krankenkasse – zugute.<br />
Was fördert die Krankenkasse?<br />
Nach § 20 Abs. 1 SGB V werden Maßnahmen<br />
gefördert, die den Beschäftigten zur Verhinderung<br />
und Verminderung von Krankheitsrisiken<br />
zugute kommen und im Rahmen der<br />
Primärprävention 7 , das heißt, Förderung aller<br />
Maßnahmen und Verhaltensweisen, die geeignet<br />
sind, eine Krankheit zu verhindern:<br />
··<br />
Kurse zur Verminderung von Stress<br />
··<br />
gesundheitsorientierte Bewegungsmaßnahmen<br />
··<br />
Ernährungsberatung (beispielsweise zur Reduzierung<br />
von Fehlernährung oder Übergewicht)<br />
··<br />
Kurse zur Stressbewältigung und Entspannung<br />
··<br />
Seminare zur Einschränkung des Suchtmittel<br />
konsums (beispielsweise Rauchen<br />
und Alkohol am Arbeitsplatz)<br />
Primärprävention bedeutet auch Änderung<br />
der betrieblichen Verhältnisse:<br />
··<br />
Gesundheitsgerechte Führung<br />
linktipp<br />
Gewerkschaften im DGB<br />
und der DGB selber<br />
bieten im Rahmen der<br />
Initiative Gute Arbeit<br />
vielfältige Anregungen<br />
und Materialien. Seit dem<br />
DGB-Bundeskongress<br />
2006 ist es ein umfassendes<br />
Thema gewerkschaftlicher<br />
Arbeitspolitik. Dort<br />
wurde auch die Entwicklung<br />
des DGB- Indexes<br />
»Gute Arbeit« eingeleitet,<br />
einer guten Quelle für<br />
Ideen und Anregungen.<br />
Mehr dazu unter:<br />
www.index-gute-arbeit.<br />
dgb.de<br />
Auf dem Sitzball verändert<br />
man seine Sitzhaltung<br />
leichter und öfter<br />
als auf einem Stuhl. Oft<br />
sind die Oberschenkel<br />
und der Bauchraum weiter<br />
geöffnet. Das führt<br />
zu einer besseren Durchblutung,<br />
einem größeren<br />
Atemvolumen, größerer<br />
Aktivierung und zu einer<br />
besseren Versorgung<br />
des Gehirns.<br />
5 Stichwort »BGF Koordinierungsstellen« eventuell mit einem<br />
Länderzusatz.<br />
6 Ziffer 6.4 ,S. 77.<br />
7 Siehe hierzu auch Leitfaden Prävention https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/presse/publikationen/Leitfaden_Praevention-2014_barrierefrei.pdf<br />
23
aktuelles<br />
Nutze die Möglichkeit<br />
AiB 9 | 2016<br />
weitere mitbestimmungsrechte<br />
Je nach Gesundheitsthema<br />
sind noch andere<br />
Mitbestimmungsrechte<br />
anwendbar:<br />
··<br />
Rauchverbote oder<br />
ähnliche Regelungen<br />
berühren Fragen der<br />
Ordnung im Betrieb und<br />
sind nach § 87 Abs. 1<br />
Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig.<br />
··<br />
Maßnahmen, die drohenden<br />
berufsspezifisch<br />
bedingten gesundheitlichen<br />
Beeinträchtigungen<br />
entgegenwirken,<br />
unterliegen der Mitbestimmung<br />
nach § 87<br />
Abs. 1 Nr. 7 BetrVG.<br />
··<br />
Mitbestimmung bei<br />
der Einrichtung von<br />
Sozialeinrichtungen besteht<br />
beispielsweise bei<br />
der Ausgestaltung der<br />
Kantine nach § 87 Abs. 1<br />
Nr. 8 BetrVG.<br />
Geldwerte Leistungen<br />
als freiwillige Leistungen,<br />
die dem einzelnen<br />
Beschäftigten mit<br />
Entlohnungscharakter<br />
zugute kommen, sind<br />
nach § 87 Abs. 1 Nr. 10<br />
BetrVG Entgelt und<br />
somit mitbestimmungspflichtig.<br />
··<br />
Bewegungsförderliche Arbeitsbedingungen,<br />
beispielsweise Einrichtung eines Fitnessraumes<br />
8 , »Bewegte Pause« 9<br />
··<br />
Verhältnisbezogene Suchtprävention im Betrieb<br />
10<br />
··<br />
Informationsveranstaltungen zu Ergonomie<br />
am Arbeitsplatz<br />
··<br />
Vermeidung und Reduzierung arbeitsbedingter,<br />
körperlicher Belastungen (richtiges<br />
Heben, Transportieren u.a. von Lasten)<br />
Und auch betriebliche Rahmenbedingungen<br />
können gesundheitsförderlich gestaltet werden<br />
durch:<br />
··<br />
gesundheitsgerechte Ausrichtung der Kantinenverpflegung<br />
11<br />
··<br />
Einrichtung von Ruheräumen 12 oder andere<br />
Einrichtungen zum Entspannen 13<br />
··<br />
Führungskräftetraining zur Konfliktbewältigung<br />
Auch andere Maßnahmen, die dem Sinn und<br />
Zweck der Vorschriften §§ 20 ff SGB V entsprechen,<br />
können gewählt und durchgeführt<br />
werden.<br />
Bonuszahlungen durch die Krankenkasse<br />
Die Krankenkasse kann auch einen Bonus<br />
nach § 65a Abs. 2 SGB V an den Arbeitgeber<br />
zahlen. Der Bonus ist begrenzt durch die Aufwendungen<br />
des Arbeitgebers. Insoweit kann<br />
auch vereinbart werden, dass der Bonus wiederum<br />
in gesundheitsfördernde Maßnahmen<br />
investiert werden muss. Die Ausgestaltung liegt<br />
bei den einzelnen Kassen. Zum Beispiel bietet<br />
die AOK Niedersachsen niedersächsischen Betrieben,<br />
die in Zusammenarbeit mit der AOK<br />
ein betriebliches Gesundheitsmanagement<br />
einführen, einen Bonus als Satzungsleistung 14<br />
an. Dieser Bonus ist abhängig von der Qualität<br />
des betrieblichen Gesundheitsmanagements.<br />
Dazu wird jährlich eine Bewertung vorgenommen.<br />
Bereits auf Grundlage des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes<br />
– ab 1.1.2004 – war<br />
ein Bonus von bis zu 20.000 Euro für die AOK<br />
Versicherten möglich. 15<br />
Bedarf der Beschäftigten ermitteln<br />
Die Belastung der Beschäftigten ist in jedem<br />
Betrieb anders und unterscheidet sich selbst<br />
innerhalb des Betriebes je nach Arbeitsplatz.<br />
Es lohnt sich, die konkreten Belastungen, die<br />
zeitlichen und räumlichen Möglichkeiten und<br />
den subjektiven Bedarf der Beschäftigten zu<br />
ergründen, um mit dem Angebot tatsächlich<br />
die Belegschaft zu erreichen. Ein zusätzlicher<br />
Zuschuss zu ohnehin durch Krankenkassen<br />
geförderten Rückenkursen kann sinnvoll sein,<br />
wenn der Besuch dieser Kurse ansonsten aus<br />
finanziellen Gründen scheitert. Diese Variante<br />
hat jedoch für Schichtarbeitende, Außendienstler<br />
oder andere Beschäftigte mit unregelmäßiger<br />
Arbeitszeit keinen Sinn, da sie<br />
die erforderliche Anwesenheitsquote von 80<br />
Prozent im festgelegten Kurszeitraum für die<br />
Bezuschussung durch die Krankenkasse meist<br />
nicht erfüllen können.<br />
Steuerliche Förderung<br />
gut zu wissen<br />
Die Krankenkassenzusammenarbeit kann<br />
nach einiger Zeit beendet werden, um die<br />
Maßnahmen alleine fortzuführen, oder eine<br />
Kooperation kann mit einer anderen Krankenkasse<br />
weitergeführt werden.<br />
Verstellbare Arbeits tische:<br />
Gut für den Rücken.<br />
Leistungen, die dem einzelnen Arbeitnehmer<br />
bei der Gesundheitsförderung zugute kommen,<br />
sind ohne Prüfung, ob ein ganz überwiegendes<br />
eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers<br />
vorliegt, bis zu 500 € pro Mitarbeiter und Jahr<br />
steuerfrei nach. § 3 Nr. 34 Einkommenssteuergesetz<br />
(EStG) und frei von Sozialabgaben<br />
nach § 1 Abs. 1 Sozialversicherungsentgeltverordnung<br />
(SvEV). Bis zu diesem Betrag werden<br />
die Leistungen bei der Außenprüfung durch<br />
24<br />
8 Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG Form, Ausgestaltung<br />
und Verwaltung von Sozialeinrichtungen.<br />
9 Solche Angebote gibt es schon in Form von arbeitsplatznahen<br />
Bewegungsangeboten, bei denen Beschäftigte unter Fortzahlung<br />
der Vergütung teilnehmen können z. B. bei der deutschen<br />
Renten versicherung Bund oder der Humboldtuniversität Berlin.<br />
10 Rauchverbot BAG 19.1.1999 -1 AZR 499/98 , § 87 Abs. 1 Nr. 1<br />
BetrVG.<br />
11 § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG.<br />
12 BASF, Opel, Lufthansa, Vaillant, Berliner Staatsballet, Unilever AG.<br />
13 Sofa, Hängematte, Badewanne voll Schaumstoffbälle bei google<br />
14 § 7 a Satzung AOK Niedersachsen.Bereits vor Inkrafttreten der<br />
aktuellen Regelungen<br />
15 http://www.aok-business.de/niedersachsen/gesundheit/betriebliches-gesundheitsmanagement/gesundheit-im-unternehmen/<br />
betrieblicher-beitragsbonus/
AiB 9 | 2016 Nutze die Möglichkeit aktuelles<br />
die Finanzbehörde oder die Sozialversicherung<br />
nur pauschal geprüft. Ein Nachweis des<br />
überwiegend unternehmerischen Interesses ist<br />
nicht erforderlich. 16<br />
Auch Leistungen über 500 € möglich<br />
Auch Leistungen über 500 € pro Beschäftigtem<br />
können gewährt werden. Allerdings entfällt<br />
dann die Möglichkeit einer nur pauschalen<br />
Prüfung. Das Finanzamt überprüft dann,<br />
ob die Gesundheitsförderungsmaßnahmen im<br />
ganz überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse<br />
erfolgen oder es sich um einen sogenannten<br />
geldwerten Vorteil (das ist eine Form der<br />
Vergütung, die über den reinen Lohn hinausgeht<br />
und nicht in Geld ausgezahlt wird) für<br />
übersicht<br />
den Beschäftigten handelt, für den Einkommenssteuer<br />
und Sozialversicherungsbeiträge<br />
zu zahlen sind. Entscheidend ist, ob der Komfortaspekt<br />
im Vordergrund steht, oder die Leistung<br />
beispielsweise von Fachkräften mit einer<br />
Qualifikation im Bereich Gesundheit und Prävention<br />
erbracht wird.<br />
Überwiegend unter nehmer isches Interesse<br />
<strong>Eine</strong> Leistung ist im überwiegenden unternehmerischen<br />
Interesse, wenn sie geeignet ist,<br />
drohenden berufsspezifisch bedingten gesundheitlichen<br />
Beeinträchtigungen entgegenzuwirken.<br />
20 Bei Leistungen, die über 500 € liegen,<br />
muss daher im Einzelfall darauf geachtet werden,<br />
diese Kriterien zu erfüllen.<br />
Wichtige Entscheidungen des Bundesfinanzhofes<br />
Es gibt zu dem überwiegend unternehmerischen<br />
Interesse eine Reihe von Einzelentscheidungen<br />
des obersten deutschen<br />
Gerichts in Steuerstreitigkeiten, dem<br />
Bundesfinanz hofes (BFH):<br />
1. Massagen wurden vom BFH im Fall spezifisch<br />
berufsbedingten Beeinträchtigung<br />
der Gesundheit des Arbeitnehmers am<br />
Arbeitsplatz zur Vorbeugung von Nackenund<br />
Rückenschmerzen von an Computer-<br />
Arbeitsplätzen tätigen Arbeitnehmern als<br />
möglicherweise im ganz überwiegenden<br />
unternehmerischen Interesse liegend<br />
anerkannt. 17<br />
2. Wirbelsäulentherapie in Form einer<br />
integrierten funktionellen Rückenschmerztherapie<br />
zur Vorbeugung von Arbeitsausfällen<br />
hat das Finanzgericht Köln anerkannt. 18<br />
3. Rückentrainingsprogramme zur Vorbeugung<br />
und Behandlung von Berufskrankheiten<br />
hat der BFH ebenfalls als im<br />
eigenbetrieblichen Interesse eingestuft,<br />
wenn spezifische berufsbedingte Krankheiten<br />
damit vermieden werden sollen. 19<br />
4. Auch ein vom Arbeitgeber eingerichtetes<br />
Fitnessstudio im Betrieb führt nicht zu<br />
einem geldwerten Vorteil und damit zu<br />
steuer- und sozialabgabenpflicht für Beschäftigte.<br />
Das ist der Fall, wenn das<br />
Fitnessstudio allen ohne Auswirkung auf<br />
das ansonsten gezahlte Entgelt zur Verfügung<br />
gestellt wird, da es hier an einem<br />
Leistungsaustausch fehlt. 21<br />
5. Abgelehnt wurde das überwiegend eigenbetriebliche<br />
Interesse dagegen bei einer<br />
aus dem Arbeitsverhältnis verpflichtenden<br />
Regenerierungskur zur Verbesserung<br />
des allgemeinen Gesundheitszustandes<br />
mit Fitnesstraining und Massagen und<br />
bei voller Kostenübernahme durch den<br />
Arbeitgeber. Auch bei Mitinteresse des<br />
Arbeitgebers an gesunden und leistungsfähigen<br />
Mitarbeitern sah der BFH die<br />
Kosten in voller Höhe als Arbeitslohn an. 22<br />
Denn bei einer einheitlich zu beurteilenden<br />
Sach zuwendung an Arbeitnehmer<br />
scheidet eine Aufteilung in Arbeitslohn<br />
und Zu wendung im betrieblichen Eigeninteresse<br />
aus.<br />
Es reicht daher nicht, das eigenbetriebliche<br />
Interesse nur formal durch eine Verpflichtung<br />
zur Teilnahme zu begründen. Die<br />
Maßnahme muss vielmehr spezifische<br />
Risiken an den konkreten Arbeitsplätzen<br />
entgegenwirken, um vom Finanzamt und<br />
der Sozialversicherung als ohne Entlohnungscharakter<br />
und damit abgabenfrei<br />
eingestuft zu werden.<br />
steuerfreie<br />
massnahmen<br />
Nach der Gesetzesbegründung*<br />
zum<br />
Präventionsgesetz fallen<br />
unter die Steuerbefreiung<br />
»insbesondere<br />
die Leistungen, die im<br />
Leitfaden Prävention …<br />
aufgeführt sind.« Die<br />
Verwendung des Wortes<br />
»insbesondere« zeigt,<br />
dass der Gesetz geber<br />
den »Leit faden Prävention«<br />
nicht als abschließenden<br />
Katalog der<br />
steuerfreien Maßnahmen<br />
ansah, sondern die auch<br />
dort nicht auf gezählten<br />
Maßnahmen steuerfrei<br />
sein können. So sind Mitgliedsbeiträge<br />
an Sportvereine<br />
und Fitnessstudios<br />
nicht steuer befreit,<br />
während Zuschüsse an<br />
diese Institutionen befreit<br />
sind bei von diesen<br />
durch geführten Maßnahmen,<br />
die den fachlichen<br />
Anforderungen des<br />
Leit fadens Prävention<br />
gerecht werden.<br />
* Bundesrats-Drucksache 545/08<br />
zum Jahressteuergesetz 2008,<br />
S. 68 und Bundestags-Drucksache<br />
16/10189, S. 47.<br />
16 FG Bremen 11.2.2016 Az. 1 K 80/15 (5)<br />
17 BFH 30.5.2001, VI R 177/99, BStBl II 2001, 671<br />
18 FG Köln 24.9.2003, 12 K 428/03<br />
19 BFH 4.7.2007, VI B 78/06, BFH/NV 2007, 1874,<br />
20 BFH 07.5. 2014, VI R 28/13<br />
21 FG Münster 1.10.2015, 5K1994/13 U, BFH 9.12.2010, VR17/10<br />
22 BFH 11.3.2010, VI R 7/08, BStBl II 2010, 763<br />
25
aktuelles<br />
Nutze die Möglichkeit<br />
AiB 9 | 2016<br />
ausblick<br />
In der nächsten AiB-<br />
<strong>Ausgabe</strong> erfahren Sie wie<br />
Arbeits- und<br />
Gesundheitsschutz<br />
innovativ durchgeführt<br />
werden kann am Beispiel<br />
Schmitz Cargobull.<br />
Wir haben dazu den<br />
Betriebsratsvorsitzenden<br />
von Schmitz Cargobull in<br />
Vreden interviewt.<br />
aib-web.de<br />
} } Wie der Betriebsrat die<br />
Einigungsstelle im Arbeits-<br />
und Gesundheitsschutz<br />
effektiv nutzen<br />
kann, erfahren Sie in dem<br />
Beitrag »Die Einigungsstelle<br />
im Arbeits- und<br />
Gesundheitsschutz« von<br />
Max Oberberg und<br />
Christian Schoof;<br />
AiB 9/2012, S. 533 – 537.<br />
Online zu <strong>lesen</strong> auf<br />
www.aib-web.de<br />
Weitere Wege der Steuerfreiheit<br />
Manche Maßnahme der Gesundheitsförderung<br />
lässt sich allerdings auch mit wenig<br />
Einsatz und ohne Beanstandung bei der Außenprüfung<br />
durch die Steuerbehörde durchführen.<br />
Die monatliche Sachbezugsfreigrenze<br />
nach § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG für lohnsteuerpflichtige<br />
Bezüge beträgt 44 Euro. Wird dieser<br />
Grenzwert nicht überschritten, kann der Beschäftigte<br />
Sachbezüge steuer- und sozialabgabenfrei<br />
durch den Arbeitgeber erhalten. Das<br />
kann dann auch der Beitrag für das Fitnessstudio<br />
sein, der nicht unter § 20 SGB V fällt<br />
und daher abgabenpflichtig wäre. Übersteigt<br />
der Betrag also die 44 Euro Grenze nicht, so<br />
ist auch hier gesundheitsförderndes Verhalten<br />
durch Zahlung des Beitrages vom Arbeitgeber,<br />
beispielsweise auf Grundlage eines Rahmenvertrages<br />
unmittelbar an das Fitnessstudio<br />
steuerfrei als Sachbezug möglich. 23<br />
An apple a day …<br />
Zuletzt soll noch auf die Leistungen hingewiesen<br />
werden, die mit sehr geringem Aufwand<br />
steuer- und sozialabgabenfrei geleistet<br />
werden können: »An apple a day keeps the<br />
doctor away« ist ein englisches Sprichwort.<br />
Übersetzt in etwa: »Ein Apfel am Tag hält den<br />
Arzt fern.« Obst zum Verzehr im Betrieb ist<br />
eine Aufmerksamkeit, die nicht zu einer steuer-<br />
und sozialabgabenpflichtigen Bereicherung<br />
des Beschäftigten führt. Diese Leistung<br />
ist also vor vorneherein nicht steuerpflichtig<br />
und kann mit Leichtigkeit in jedem Betrieb<br />
umgesetzt werden.<br />
Mitbestimmen und Mitgestalten<br />
Der Betriebsrat hat vielfältige Möglichkeiten,<br />
Maßnahmen des Betriebes zur Förderung der<br />
Gesundheit der Mitarbeiter und Ausschöpfung<br />
der dargestellten Unterstützungsleistungen anzuregen<br />
und mitzugestalten (siehe zu weiteren<br />
Rechten auch Randspalte auf Seite 24).<br />
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG haben Betriebsräte<br />
umfassende Beteiligungsrechte im<br />
Arbeits- und Gesundheitsschutz. Insoweit benötigt<br />
der Arbeitgeber bei allen Maßnahmen die<br />
Zustimmung des Betriebsrats. Der Betriebsrat<br />
hat aber auch ein Initiativrecht im Arbeits- und<br />
Gesundheitsschutz und kann so beispielsweise<br />
eine Gefährdungsbeurteilung durchsetzen. 24<br />
tipp<br />
Der Betriebsrat hat bei allen Maßnahmen,<br />
die der Arbeitgeber im Rahmen der betrieblichen<br />
Gesundheitsförderung ergreift,<br />
in unterschiedlicher Ausprägung mitzubestimmen.<br />
Dazu gehören auch die durch die<br />
Krankenkasse geförderten und steuerlich<br />
begünstigten Maßnahmen. Der Betriebsrat<br />
kann frühzeitig darauf hinwirken, dass<br />
unter Beteiligung von Beschäftigten und<br />
der Verantwortlichen für den Betrieb, die<br />
gesundheitliche Situation einschließlich<br />
ihrer Risiken und Potentiale erhoben und<br />
Vorschläge zur Verbesserung der gesundheitlichen<br />
Situation, zur Stärkung der<br />
gesundheitlichen Ressourcen und Fähigkeiten<br />
entwickelt werden.<br />
Der Betriebsrat kann jedoch im Rahmen des<br />
§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht alles, was der<br />
Gesundheitsförderung dient, erzwingen. Viele<br />
Leistungen in der betrieblichen Gesundheitsförderung<br />
fallen hinsichtlich des »ob« als freiwillige<br />
soziale Leistung nicht unter die erzwingbare<br />
Mitbestimmung. Hier ist Überzeugungsarbeit<br />
gefragt. Die Unterstützung und finanzielle Förderung<br />
durch die Krankenkasse sind dabei gute<br />
Argumente. Gerade in kleinen und mittleren<br />
Betrieben sind die Möglichkeiten häufig nicht<br />
bekannt. Der Betriebsrat kann eine Win-win<br />
Situation für alle Beteiligten herstellen. Hierbei<br />
hilft das am 1.1.2016 in Kraft getretenen Präventionsgesetz.<br />
25<br />
Ist der Arbeitgeber erst einmal bereit und<br />
überzeugt, sollte der Betriebsrat versuchen,<br />
auch an der Sichtung und Auswahl der kooperierenden<br />
Krankenkasse beteiligt zu sein.<br />
In dieser Phase finden wichtige Weichenstellungen<br />
statt. So hat der Betriebsrat die Möglichkeit,<br />
bereits in dieser Phase bekannte Probleme<br />
der Beschäftigten einzubringen oder<br />
auf besondere Schwierigkeiten hinzuweisen.<br />
Angebote »von der Stange« sind eben nicht<br />
maßgeschneidert. Der Betriebsrat weist auf<br />
vordringliche Bereiche hin und beeinflusst die<br />
Maßnahmen im Sinne der Beschäftigten. v<br />
Bettina Flüs, Juristin,<br />
Geschäftsführerin des<br />
ver.di-Gesamtbetriebsrats,<br />
Berlin.<br />
23 BFH 11.11.2010 – VI R 27/09, aus juris.<br />
24 Oberberg, Max., Schoof, Christian.; Die Einigungsstelle im<br />
Arbeits- und Gesundheitsschutz. So kann der Betriebsrat sie<br />
effektiv nutzen! AiB 9/2012, S. 533 – 537.<br />
25 http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=<br />
Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl115s1368.pdf#__bgbl__<br />
%2F%2F*[%40attr_id%3D%27bgbl115s1368.pdf%27]__<br />
1463662347381<br />
26
AiB 9 | 2016 Geburtstag der Mitbestimmung aktuelles<br />
Geburtstag der<br />
Mitbestimmung<br />
mitbestimmung Aufsichtsräte kontrollieren die Vorstandspolitik<br />
in großen Unternehmen. In Deutschland übernehmen<br />
das Vertreter der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite.<br />
Drei Gesetze regeln ihre unterschiedlichen Mitbestimmungsrechte.<br />
Zwei davon feiern 2016 Geburtstag.<br />
VON GUDRUN GIESE<br />
Am 10. April 1951 verabschiedete<br />
der Deutsche Bundestag das Gesetz<br />
über die Montanmitbestimmung.<br />
Juristisch korrekt heißt es:<br />
»Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer<br />
in den Aufsichtsräten und Vorständen<br />
der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen<br />
und Stahl erzeugenden Industrie«, abgekürzt<br />
MontanMitbestG« oder Montan-Mitbestimmungsgesetz.<br />
Bis heute gilt dieses Gesetz für<br />
alle Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie<br />
sowie im Bergbau mit mehr als 1.000<br />
Beschäftigten, wenn sie in der Rechtsform einer<br />
Aktiengesellschaft, einer Gesellschaft mit<br />
beschränkter Haftung oder einer sogenannten<br />
Einheitsgesellschaft (besondere Form der<br />
GmbH & Co KG) organisiert sind. Hier gilt<br />
die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat,<br />
das heißt, dass er sich je zur Hälfte aus<br />
Vertretern der Anteilseigner auf der einen, der<br />
Arbeitnehmer beziehungsweise der Gewerkschaften<br />
auf der anderen Seite zusammensetzt.<br />
Beide Parteien verständigen sich auf ein<br />
neutrales Aufsichtsratsmitglied, dessen Votum<br />
bei Stimmengleichheit den Ausschlag gibt.<br />
Besonderen Einfluss haben die Arbeitnehmervertreter<br />
im Aufsichtsrat bei der Wahl des<br />
Arbeitsdirektors: Er wird zwar vom gesamten<br />
Aufsichtsrat gewählt, benötigt aber in jedem<br />
Fall die Mehrheit der Arbeitnehmer-Stimmen.<br />
In Kapitalgesellschaften mit mehr als<br />
2.000 Mitarbeitern, die nicht zur Montanindustrie<br />
gehören, gilt seit 1976 ein eigenes<br />
Mitbestimmungsgesetz (MitbestG): Auch hier<br />
werden die Aufsichtsratssitze je zur Hälfte mit<br />
Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzt.<br />
Die Beschäftigten wählen dazu neben<br />
Betriebsangehörigen zwei bis drei von den<br />
Gewerkschaften vorgeschlagene Kandidaten.<br />
Im Unterschied zur Montanmitbestimmung<br />
erhält bei dieser Variante jedoch der<br />
Aufsichtsratsvorsitzende – der in der Regel<br />
von der Kapitalseite gestellt wird – doppeltes<br />
Stimmrecht, so dass bei Stimmengleichheit<br />
die Arbeitgeberseite letztlich entscheidet. Aus<br />
diesem Grund gilt die 1976er Mitbestimmung<br />
als »quasi-paritätisch«.<br />
Deutlich weniger weit reichen die Mitbestimmungsrechte<br />
der Arbeitnehmer in Kapitalgesellschaften<br />
mit einer Beschäftigtenzahl<br />
darum geht es<br />
1. In der Montanmitbestimmung<br />
gilt die paritätische<br />
Mitbestimmung in<br />
Aufsichtsräten.<br />
2. Weniger weit reicht<br />
die Mitbestimmung im<br />
Mitbestimmungs- und im<br />
Drittelbeteiligungsgesetz.<br />
3. Gegen politische<br />
Widerstände wurde nach<br />
dem 2. Weltkrieg die<br />
Montanmitbestimmung<br />
gesetzlich verankert.<br />
Das Montan-Mitbestimmungsgesetz<br />
gilt für alle<br />
Unternehmen der Eisenund<br />
Stahlindustrie sowie<br />
im Bergbau.<br />
27
aktuelles<br />
Geburtstag der Mitbestimmung<br />
AiB 9 | 2016<br />
zum weiter<strong>lesen</strong><br />
Informationen vom DGB<br />
zur Geschichte der Mitbestimmung<br />
mit Erklärung<br />
wichtiger Begriffe unter:<br />
www.dgb.de/uber-uns/<br />
bewegte-zeiten/60-<br />
jahre-dgb/1949-1958/<br />
kampf-um-die-mitbe<br />
stimmung<br />
zwischen 500 und 2.000: Hier gilt das Drittelbeteiligungsgesetz<br />
(DrittelbG) vom 18. Mai<br />
2004, das die zuvor im Betriebsverfassungsgesetz<br />
von 1952 geregelten Bestimmungen für<br />
diese Unternehmen ablöste. Wie der Name bereits<br />
sagt, entsendet die Arbeitnehmerseite ein<br />
Drittel der Aufsichtsräte, wobei Vertreter der<br />
Gewerkschaften nicht obligatorisch sind.<br />
Geschichte der Mitbestimmung in der<br />
Bundesrepublik Deutschland<br />
2016 jähren sich das Gesetz zur Montanmitbestimmung<br />
zum 65. und das zur 1976er Mitbestimmung<br />
zum 40. Mal. Grund genug einen<br />
Blick zurückzuwerfen.<br />
Gewerkschaften gab es in Deutschland<br />
zwar bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
(Buchdruckerverband), doch mitzubestimmen<br />
hatten sie nichts. Erst nach Ende des 1. Weltkriegs<br />
und mit der Gründung der Weimarer<br />
Republik wurden Gewerkschaften zu einer –<br />
auch von den Arbeitgebern – anerkannten<br />
gesellschaftlichen Kraft. Auch die Angst vor<br />
Revolution und Sozialisierung des Kapitals<br />
bewog die Arbeitgeberseite zu etlichen Zugeständnissen<br />
an die Arbeitnehmervertreter. Mit<br />
der Machtübernahme der Nationalsozialisten<br />
in Deutschland 1933 waren alle diese Errungenschaften<br />
hinfällig; die bestehenden Gewerkschaften<br />
wurden verboten.<br />
Auch nach Ende des 2. Weltkriegs existierten<br />
in der wieder entstehenden Gewerkschaftsbewegung<br />
in den drei Westzonen Stimmen, die<br />
sich für eine Vergesellschaftung des Großkapitals<br />
stark machten; sie waren allerdings nicht<br />
mehrheitsfähig. Das Thema Mitbestimmung<br />
der Beschäftigten wurde hingegen in dieser<br />
Zeit zentral. So hatte die britische Militärregierung<br />
in ihrer Besatzungszone bereits im<br />
statement<br />
Mitbestimmungspolitischer Stillstand<br />
bedeutet Rückschritt<br />
Dieses Jahr feiert das Mitbestimmungsgesetz<br />
seinen 40. Geburtstag – und der wird gefeiert.<br />
Nicht nur der runde Geburtstag, sondern<br />
auch die ständige Anpassung an gesetzliche<br />
wie wirtschaftliche Entwicklungen verdienen<br />
diese Würdigung. Das heißt aber auch für die<br />
Zukunft: Die Schlupflöcher in der Unternehmensmitbestimmung<br />
müssen gestopft werden,<br />
wenn das Erfolgsmodell Mitbestimmung<br />
bewahrt werden soll.<br />
Das Beispiel Montanmitbestimmung, die auf<br />
die Branchen Stahl/Bergbau begrenzt ist,<br />
zeigt, warum diese Anpassung und Verbesserung<br />
notwendig ist. Die Montanmitbestimmung<br />
ist zwar weiterhin eine Blaupause für<br />
die anderen Mitbestimmungsgesetze. Ihre<br />
volkswirtschaftliche Bedeutung ist jedoch<br />
erheblich geschrumpft, weil die montanmitbestimmten<br />
Unternehmen und die bei ihnen<br />
beschäftigten Arbeitnehmer/innen weniger<br />
wurden: In den 60ern arbeiteten noch<br />
417.000 Menschen in diesen Branchen, 2015<br />
waren es nur noch 85.000 Beschäftigte in der<br />
Stahlbranche. Die Mitbestimmung muss mithalten<br />
mit der Globalisierung der Betriebe.<br />
Derzeit wird sie gerade – insbesondere durch<br />
junge, wachsende Unternehmen – über<br />
Schlupflöcher und Lücken umgangen, indem<br />
ausländische Rechtsformen herangezogen<br />
werden. Mitbestimmung für alle heißt auch:<br />
Gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle.<br />
Die Unternehmen versagen bei der freiwilligen<br />
Einführung der Mitbestimmung. Wir<br />
brauchen für alle gleich verbindliche Regelungen<br />
für Unternehmensmitbestimmung<br />
durch den Gesetzgeber. Deswegen fordert<br />
der DGB, dass das Drittelbeteiligungsgesetz<br />
auch angewendet wird und es sanktioniert<br />
wird, wenn Firmen sich davor drücken. Und<br />
die Mitbestimmung muss auch für sogenannte<br />
Scheinauslandsgesellschaften gelten,<br />
deren Zahl laut Hans-Böckler-Stiftung immer<br />
mehr zunimmt.<br />
Reiner Hoffmann, Vorsitzender des DGB und des<br />
Stiftungsvorstands der Hans-Böckler-Stiftung.<br />
Vorliegendes Statement ist ein Auszug seiner<br />
Rede zu den Perspektiven der Mitbestimmung,<br />
die er am 26.1.2016 beim Neujahrsempfang der<br />
Hans-Böckler-Stiftung gehalten hat.<br />
28
AiB 9 | 2016 Geburtstag der Mitbestimmung aktuelles<br />
statement<br />
Mitbestimmung ist Zukunftsthema<br />
Mit der Zukunft der Arbeit ist es so eine Sache.<br />
Dass sie kommt, ist sicher, wie sie kommt,<br />
hängt aber von Entscheidungen in Politik,<br />
Wirtschaft und Unternehmen ab. Digitalisierung<br />
und Globalisierung schaffen neue Möglichkeiten.<br />
Die Wünsche der Menschen nach<br />
selbstverantworteter Gestaltung ihres Lebens<br />
und ihrer Arbeit verlangen eine gemeinsame<br />
Suche nach guten Antworten. <strong>Eine</strong> Suche auf<br />
Augenhöhe, eine Suche ohne Machthierarchien.<br />
Mitbestimmung steht daher auf der<br />
politischen Agenda.<br />
Aber Fakt ist: Mitbestimmung droht auszubluten.<br />
Viele Unternehmen nutzen gesetzliche<br />
Schlupflöcher in deutschen Mitbestimmungsgesetzen<br />
sowie im europäischen Gesellschaftsrecht<br />
aus, um vor der Mitbestimmung<br />
zu fliehen. Das nimmt hunderttausenden von<br />
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ihre<br />
Mitbestimmungsrechte.<br />
Mitbestimmung muss deshalb in Deutschland<br />
gesichert und ausgebaut werden. Es muss<br />
gelten: Alle Unternehmen mit mehr als 500<br />
Beschäftigten unterliegen der Mitbestimmung,<br />
und zwar unabhängig von ihrer gesellschaftsrechtlichen<br />
Verfassung und Führung.<br />
Insbesondere im Drittelbeteiligungsgesetz<br />
müssen mehrere formal rechtlich selbstständige<br />
Unternehmen einem Konzern zugeordnet<br />
werden können. Heute bleiben selbst<br />
große Unternehmen mit mehreren zehntausend<br />
Beschäftigten mitbestimmungsfrei.<br />
Dem Umgehen und Einfrieren von Mitbestimmungsrechten<br />
durch Umwandlung in eine<br />
Europäische Aktiengesellschaft gehört ein<br />
gesetzlicher Riegel vorgeschoben. Im europäischen<br />
Gesellschaftsrecht müssen Mindeststandards<br />
für Unterrichtung, An hörung und<br />
Mitbestimmung eingeführt werden. Das<br />
stärkt das Europäische Sozialmodell durch<br />
Beteiligung. Mitbestimmung ist Treiber für<br />
eine bessere Unternehmensführung, die<br />
Nachhaltigkeit schafft, für Beschäftigung,<br />
Standorte, lebenswerte Umwelt und wirtschaftlichen<br />
Erfolg. Mitbestimmung ist das<br />
demokratische Gestaltungs prinzip der sozialen<br />
Marktwirtschaft. Mit der DGB-Offensive<br />
Mitbestimmung wollen die Gewerkschaften<br />
diesen Vorteil sichern und ausbauen. Wer<br />
jetzt nicht aktiv wird, der verliert den Vorteil<br />
Mitbestimmung.<br />
Dr. Norbert Kluge leitet die Abteilung Mitbestimmungsförderung<br />
bei der Hans-Böckler-Stiftung.<br />
Neuauflage!<br />
März 1947 die paritätische Mitbestimmung in<br />
der Eisen- und Stahlindustrie eingeführt. Die<br />
Gewerkschaften wollten dieses Modell auf alle<br />
Großunternehmen in der entstehenden Bundesrepublik<br />
übertragen.<br />
Allerdings gab es auch eine Gegenbewegung<br />
in Wirtschaft und Politik. Bundeswirtschaftsminister<br />
Ludwig Erhard (CDU) legte<br />
jedenfalls im November 1950 einen Entwurf<br />
für ein Betriebsverfassungsgesetz vor, in dem<br />
die paritätische Mitbestimmung gar nicht<br />
vorgesehen war. Diese als Rückschritt bewertete<br />
Entwicklung löste erhebliche Gewerkschaftsproteste<br />
aus. Zur Jahreswende 1950/51<br />
initiierten die Industriegewerkschaften Metall<br />
und Bergbau Urabstimmungen über einen<br />
Streik zur Sicherung und Ausweitung der paritätischen<br />
Mitbestimmung. Die Zustimmung<br />
der Beschäftigten war riesengroß.<br />
Daraufhin wurden neue Verhandlungen über<br />
die Mitbestimmung unter Beteiligung von<br />
Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) anberaumt.<br />
Am Ende stand ein Kompromiss,<br />
wonach die paritätische Mitbestimmung in der<br />
Montanindustrie gesetzlich verankert werden<br />
sollte, die Gewerkschaften jedoch gleichzeitig<br />
auf die Ausdehnung dieser Regelung auf andere<br />
Branchen verzichteten. Am 10. April 1951<br />
verabschiedete der Deutsche Bundestag das<br />
Gesetz über die Montanmitbestimmung. v<br />
Gudrun Giese, Dipl.-Politologin,<br />
freie Journalistin für<br />
gewerk schaft liche Themen, Berlin.<br />
www.gudrun-giese.de<br />
Sie ist Co-Autorin des »Schwarz-Buch« Lidl<br />
und Verfasserin zahlreicher Broschüren.<br />
Präzise Antworten auf<br />
123 wichtige Fragen<br />
Ewald Helml<br />
Arbeitnehmer fragen -<br />
Betriebsräte antworten<br />
Die 123 wichtigsten Fragen an den<br />
Betriebsrat<br />
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aktuelles<br />
Am Geld scheitert es nicht<br />
AiB 9 | 2016<br />
Am Geld<br />
scheitert es nicht<br />
weiterbildung Gering qualifizierte und ältere Beschäftigte<br />
profitieren besonders von betrieblicher Weiterbildung. Die<br />
Arbeitsagentur unterstützt das Engagement finanziell. Und<br />
sie wirbt bei Betriebsräten um tatkräftige Unterstützung.<br />
VON HELGA BALLAUF<br />
darum geht es<br />
1. Die Bundesagentur für<br />
Arbeit (BA) fördert mit<br />
einem Sonderprogramm<br />
Geringqualifizierte und<br />
ältere Arbeitnehmer.<br />
2. Finanziert werden<br />
Weiterbildungen im<br />
Rahmen des Arbeitsverhältnisses.<br />
Das Gehalt<br />
wird weitergezahlt.<br />
3. Betriebsräte sollten<br />
sich für das Programm<br />
Unterstützung bei<br />
Bildungs dienstleistern<br />
und der BA holen.<br />
Seit zehn Jahren existiert das Sonderprogramm<br />
der Bundesagentur (BA)<br />
»Weiterbildung Geringqualifizierter<br />
und beschäftigter älterer Arbeitnehmer<br />
in Unternehmen«, kurz WeGebAU. Ein<br />
Hit war es nie. Auch 2015 wurden nicht alle<br />
Zuschussmittel abgerufen: Im Jahresschnitt beteiligten<br />
sich bundesweit rund 25.000 Beschäftigte<br />
an den Lehrgängen; nach BA-Angaben<br />
hätte es Geld für etwa 5.000 weitere Interessierte<br />
gegeben. Inzwischen geht die Arbeitsagentur<br />
mit einem sechsseitigen Flyer »Beschäftigung<br />
und Qualifizierung. Weiterbildung<br />
von Beschäftigten – Programm WeGebAU«<br />
direkt auf die Betriebsräte zu: »Sprechen Sie<br />
mit der Unternehmensführung und den Arbeitnehmerinnen<br />
und Arbeitnehmern.« Und<br />
weiter: »Es geht um Weiterbildungen, die im<br />
Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses<br />
unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes durchgeführt<br />
werden. Die Weiterbildungen müssen<br />
für den allgemeinen Arbeitsmarkt verwertbare<br />
Kenntnisse vermitteln und für die Weiterbildungsförderung<br />
zugelassen sein.«<br />
Kurz und gut<br />
Bei Best of Steel (BOS) im Münsterland hat<br />
der Betriebsrat bereits vor acht Jahren die<br />
Initiative ergriffen. Das Unternehmen stellt<br />
Stahlzargen für die Bauindustrie her. Ziel<br />
war, angelernten Schweißern zu einem anerkannten<br />
Zertifikat zu verhelfen. Betriebsratsvorsitzender<br />
Werner Abelmann warb bei den<br />
Kollegen für den achtwöchigen Kurs mit dem<br />
Argument: »So macht ihr euren Arbeitsplatz<br />
sicherer!« Und stieß bei den Betroffenen auf<br />
offene Ohren. Inzwischen gibt es bei BOS keine<br />
Ungelernten mehr. »Das Programm hat seinen<br />
Zweck erfüllt«, sagt Abelmann.<br />
Ängste und Hürden<br />
So einfach könnte es laufen. Doch es gibt eine<br />
Reihe von Faktoren, die bewirken, dass betriebliche<br />
Weiterbildungsförderung wie etwa<br />
WeGebAU nur zögerlich von Unternehmen<br />
angenommen wird. Viele fürchten Vorschriften<br />
und bürokratischen Aufwand, wenn sie<br />
öffentliche Zuschüsse in Anspruch nehmen.<br />
»Der Betriebsrat<br />
kann die Bereitschaft<br />
des Arbeitgebers<br />
fördern,<br />
Nachqualifizierungen<br />
anzubieten.«<br />
KLAUS-JÜRGEN RUPP<br />
Oft ist das Personal im Betrieb so knapp bemessen,<br />
dass Beschäftigte sich den Ausstieg<br />
auf Zeit fürs Lernen nicht gönnen, weil das bedeuten<br />
würde, die Kolleg/innen ungebührlich<br />
mit Mehrarbeit zu belasten. Außerdem haben<br />
30
AiB 9 | 2016 Am Geld scheitert es nicht aktuelles<br />
gerade ältere und wenig qualifizierte Arbeitnehmer/innen<br />
häufig mit großen Lernängsten<br />
zu kämpfen. Und schließlich gehört das Thema<br />
betriebliche Weiterbildung selten zu den<br />
Steckenpferden von Betriebsräten. Das alles<br />
sind ernst zu nehmende Hürden fürs Engagement<br />
– aber keine unüberwindbaren.<br />
Nachahmer erwünscht<br />
Die Prolit Verlagsauslieferung GmbH bei Göttingen<br />
beschäftigt schon immer viele Quereinsteiger,<br />
»vom Hilfsarbeiter bis zum Akademiker«,<br />
so beschreibt es Betriebsrat Marc<br />
Wagner. Er selbst hat während des Studiums<br />
im Unternehmen gejobbt und blieb hängen.<br />
Der Betriebsrat wurde aktiv, als er vom Programm<br />
WeGebAU erfuhr: Berufsbegleitend<br />
den Facharbeiterbrief in Lagerlogistik zu erwerben<br />
– das wäre die Chance für viele Kolleg/<br />
innen, erkannte Wagner. »Der Buchmarkt ist<br />
im Umbruch«, sagt er. »Mit Abschluss steigen<br />
die beruflichen Zukunftsaussichten.« Die Geschäftsführung<br />
unterstützte das Projekt, auch<br />
wenn der Leiter des Lagers zunächst Sorge wegen<br />
des zu erwartenden Arbeitsausfalls hatte.<br />
Bei WeGebAU finden ein Teil der Nachqualifizierung<br />
in der bezahlten Arbeitszeit und ein<br />
Teil in der Freizeit der Lernenden statt. Doch<br />
die Arbeitsagentur bezahlte zusätzliches Personal<br />
als Ausgleich. Elf Kolleg/innen unterzogen<br />
sich mit Wagner einem straffen Lehrgang von<br />
430 Unterrichtsstunden und der Prüfung. Der<br />
Betriebsrat ist überzeugt: »Wer sich im Alter<br />
zwischen 40 und 50 neu auf dem Arbeitsmarkt<br />
bewerben muss und nachweisen kann, willens<br />
und fähig zum Dazulernen zu sein, hat ein großes<br />
Plus!« Schade findet er, dass das Beispiel<br />
(bisher) nicht Schule gemacht hat im Betrieb<br />
und sich (noch) keine weiteren Kolleg/innen<br />
zur Nachqualifizierung entschließen konnten.<br />
Spezielle Finanzierung<br />
eine fachfremde Ausbildung. Jetzt aber spüren<br />
sie die Veränderungen, die in der Logistik auf<br />
sie zukommen und merken, dass sie etwas tun<br />
müssen.« Das Besondere an dem Fall ist: Bei<br />
der Einführung des Entgeltrahmenabkommens<br />
(ERA) in der Metallindustrie entstanden<br />
bei Schunk Überschüsse, die nun, vertraglich<br />
geregelt, von der Arbeitnehmervertretung<br />
für die Mitarbeiterqualifizierung ausgegeben<br />
werden können. Man kommt ohne öffentliche<br />
Zuschüsse aus und kann so manche Regelung<br />
– etwa zur Freizeit, die Beschäftigte<br />
zum Lernen einbringen müssen – großzügiger<br />
gestalten. Für Betriebsrat Coladelangelo steht<br />
fest: »Ohne ERA-Fonds wären wir nicht so<br />
weit. Es gäbe Blockaden, obwohl doch auch<br />
der Arbeitgeber von den neuen Qualifikationen<br />
der Leute profitiert.«<br />
Bevorzugte Berufe<br />
Die Bundesagentur für Arbeit führt keine<br />
Statistik darüber, aus welchen Branchen die<br />
WeGebAU-Geförderten kommen und wofür<br />
sie sich hauptsächlich weiterbilden. Wer sich<br />
umhört, erfährt, dass Abschlüsse als Schweißer<br />
und als Maschinen- und Anlagenbauer<br />
gefragt sind. Immer stärker gewinnt eine<br />
Nachqualifizierung in der Sparte Lagerlogistik<br />
an Bedeutung. Hier gefährdet einerseits<br />
die Automatisierung viele Jobs; zugleich aber<br />
entstehen neue Arbeitsplätze mit höheren<br />
Anforderungen angesichts der individuellen<br />
Just-in-time-Zustellungen.<br />
mehr<br />
informationen<br />
Details zum Programm,<br />
Beratungsangebote und<br />
einen Flyer bietet die BA<br />
an unter:<br />
www.arbeitsagentur.de<br />
> Suche mit: WeGebAU<br />
Weiterbildung zahlt<br />
sich auch bei älteren<br />
Beschäftigten aus.<br />
Bei der Schunk-Group läuft manches anders.<br />
Am Standort Heuchelheim des Technologiekonzerns<br />
bildeten sich zunächst 30 Beschäftigte<br />
zum Maschinen- und Anlagenführer weiter.<br />
Jetzt wollen einige von ihnen den Abschluss<br />
Industriemechaniker in Produktionstechnik<br />
draufsatteln, berichtet Betriebsrat Pietro Coladelangelo.<br />
Außerdem lotet die Arbeitnehmervertretung<br />
gerade aus, ob sich auch eine Nachqualifizierung<br />
in Lagerlogistik starten lässt.<br />
»Die meisten Kollegen in dem Bereich haben<br />
31
aktuelles<br />
Am Geld scheitert es nicht<br />
AiB 9 | 2016<br />
qualifizierte und hochmotivierte Fachkräfte.<br />
Auf eines achten die AWO-Betriebsräte sehr<br />
genau, ergänzt GBR-Vorsitzender Feicht:<br />
»Der Personalschlüssel muss stimmen. Damit<br />
die Weiterbildung Einzelner nicht auf Kosten<br />
der Kollegen geht.«<br />
Gesetzlicher Rahmen<br />
Die zunehmende Automatisierung<br />
kostet Jobs<br />
wie beispielsweise in<br />
der Lagerlogistik. Hier<br />
macht eine Nachqualifizierung<br />
Sinn.<br />
Doppelter Gewinn<br />
Große Chancen eröffnet das berufsbegleitende<br />
Lernen für Beschäftigte in der Altenpflege.<br />
Angesichts des Fachkräftemangels in der Branche<br />
darf die Arbeitsagentur bislang sogar längere<br />
Lernzeiten als üblich finanzieren. In den<br />
Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt (AWO)<br />
im fränkischen Kreisverband Roth-Schwabach<br />
hat man mit dem Modell schon mehrfach<br />
gute Erfahrungen gemacht, berichten<br />
Gesamtbetriebsratsvorsitzender Jürgen Feicht<br />
und sein Betriebsratskollege Robert Scheuerer,<br />
der als Wohnbereichsleiter in der beschützenden<br />
Abteilung des AWO-Pflegeheims Wendelstein<br />
arbeitet. Im Herbst läuft dort wieder<br />
eine WeGebAU-Maßnahme an, berichtet<br />
Scheuerer. <strong>Eine</strong> bewährte Pflegehelferin, über<br />
40 und mit Familie, beginnt im September mit<br />
der berufsbegleitenden Ausbildung zur Altenpflegerin.<br />
Drei Jahre lang wird sie die Praxisphasen<br />
im Haus Wendelstein ableisten und<br />
die Theorie im Blockunterricht an der Berufsfachschule<br />
erlernen. »Ihre Abwesenheit wird<br />
auf den Stellenschlüssel angerechnet und wir<br />
können nachbesetzen, finanziert über We-<br />
GebAU«, berichtet der Wohnbereichsleiter.<br />
»Problemlos und mit guten Erfolgen« seien<br />
die bisherigen Nachqualifizierungen gelaufen,<br />
sagt Scheuerer: Die Beschäftigten kommen<br />
so – ohne Verdienstausfall – zu einer anerkannten<br />
Ausbildung. Und das Heim gewinnt<br />
Neue Chancen und Risiken für die Gestaltung<br />
der berufsbegleitenden Nachqualifizierung<br />
enthält das jüngst beschlossene Gesetz mit<br />
dem umständlichen Namen »Arbeitslosenversicherungsschutz-<br />
und Weiterbildungsstärkungsgesetz«<br />
(AWStG). Positiv ist, dass künftig<br />
auch umschulungsbegleitende Hilfen für<br />
diejenigen von der Arbeitsagentur finanziert<br />
werden dürfen, die Schwierigkeiten mit dem<br />
Lernen haben. Und endlich können Beschäftigte,<br />
denen Lesen, Schreiben oder der Dreisatz<br />
Probleme bereiten, zunächst die Lücken<br />
in der Grundbildung füllen, bevor sie für einen<br />
beruflichen Abschluss pauken. Mit Weiterbildungsprämien<br />
soll künftig das Durchhalten<br />
gefördert werden. Aufpassen müssen Betriebsräte<br />
aber, dass Schulungen nach den neuen<br />
Regelungen nicht komplett in die Freizeit der<br />
Beschäftigten fallen.<br />
Qualifzierte Beratung<br />
Am Geld für arbeitsintegrierte Nachqualifizierungen<br />
wird es auch künftig nicht fehlen.<br />
Für das »Kleingedruckte« empfiehlt sich die<br />
Kooperation mit externen Experten. »Ein<br />
guter Bildungsdienstleister ist das A und O«,<br />
sagt Prolit-Betriebsrat Marc Wagner. »Ohne<br />
kompetente Unterstützung findet sich kein<br />
Betriebsrat, aber auch keine Personalabteilung<br />
bei all den Regelungen zurecht.« Und<br />
dies gilt durchaus nicht nur für Klein- und<br />
Mittelunternehmen. Die zentrale Rolle der<br />
Arbeitnehmervertretung beschreibt umgekehrt<br />
Klaus-Jürgen Rupp, Projektmitarbeiter<br />
beim Bildungsträger Zaug gGmbh in Gießen:<br />
»Der Betriebsrat kann die Bereitschaft des<br />
Arbeitgebers fördern, Nachqualifizierungen<br />
anzubieten.« Und für die Kolleg/innen, so<br />
Rupp, ist er wichtig als »Motivator und Lernunterstützer«.<br />
v<br />
Helga Ballauf,<br />
freie Fachjournalistin in München,<br />
schreibt über Arbeit, Beruf und Bildung.<br />
hballauf@yahoo.de<br />
32
AiB 9 | 2016 Sinnlose Zeugnisse aktuelles<br />
Sinnlose Zeugnisse<br />
studie 10 Millionen Arbeitszeugnisse müssen jedes Jahr geschrieben<br />
werden. Ziemlich überflüssig sagen Experten. Ist das so? Wie viel<br />
sagt ein Arbeitszeugnis über den Beurteilten aus? <strong>Eine</strong> aktuelle<br />
Studie aus Jena nimmt den Wert von Zeugnissen unter die Lupe –<br />
und kommt zu radikalen Forderungen.<br />
VON KLAUS HEIMANN<br />
In einer Studie der Jenaer Ernst-Abbe-<br />
Hochschule kommen Steffi Grau und<br />
Prof. Klaus Watzka zu dem ernüchternden<br />
Ergebnis, dass die meisten Arbeitszeugnisse<br />
wertlos sind. Für ihre Forschungsarbeit<br />
werteten die Autoren Daten von rund<br />
200 Betrieben aus. Das Zeugnis fresse viel Zeit<br />
und verursache erhebliche Kosten, schreiben<br />
die Autoren. Und: Entscheidungen bei der Personalauswahl<br />
verbessern sich durch Arbeitszeugnisse<br />
nicht.<br />
Qualitative Zeugnisse abschaffen<br />
zeugnisinhalte<br />
Die Jenaer Wissenschaftler treten deshalb<br />
für eine radikale Lösung ein: Qualitative Arbeitszeugnisse<br />
gehören abgeschafft. Allerdings<br />
müsse sichergestellt sein, dass ein ausscheidender<br />
Arbeitnehmer eine Bestätigung über die<br />
ausgeübten Tätigkeiten und wahrgenommenen<br />
Funktionen erhält. Dazu am besten geeignet<br />
sei ein relativ schlichtes, einfaches Zeugnis,<br />
das vorrangig auf die geleisteten Tätigkeiten<br />
abstellt. Daniela Cavallo, Betriebsrätin bei<br />
Volkswagen im Werk Wolfsburg, sieht das<br />
ähnlich. »Wir halten Arbeitszeugnisse für ein<br />
gutes Instrument, um den hohen Ausbildungsgrad<br />
der Kolleginnen und Kollegen zu zeigen.«<br />
Jens Pfanne, Jurist bei der DGB Rechtsschutz<br />
GmbH in Frankfurt betont im Interview (auf<br />
Seite 34.) dass Zeugnisse zwar notwendig sind,<br />
um eine lückenlose Berufsbiografie zu dokudarum<br />
geht es<br />
1. Der Frage nach dem<br />
Wert qualifizierter<br />
Arbeitszeugnisse ist die<br />
Jenaer Ernst-Abbe-Hochschule<br />
in einer Studie<br />
nachgegangen.<br />
2. Zentrales Ergebnis<br />
dieser Studie: Qualifizierte<br />
Arbeitszeugnisse sind<br />
nicht aussagekräftig.<br />
3. Auch für Personalabteilungen<br />
sind<br />
Arbeitszeugnisse nicht<br />
ausschlaggebend.<br />
Was gehört nicht ins Arbeitszeugnis?<br />
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das Zeugnis<br />
wohlwollend zu formulieren. Es muss wahrheitsgemäß<br />
sein. Folgende Punkte dürfen nicht<br />
erwähnt werden:<br />
··<br />
Gründe, die den Arbeitgeber veranlasst<br />
haben, die Kündigung auszusprechen. Auch<br />
eine gerechtfertigte fristlose Kündigung darf<br />
der Arbeitgeber lediglich durch die Angabe<br />
des Beendigungszeitraums zum Ausdruck<br />
bringen<br />
··<br />
Der Verdienst des Arbeitnehmers oder Nebentätigkeiten<br />
··<br />
Behinderungen und Krankheiten; abgesehen<br />
von dem Fall, dass der Beruf durch die Krankheit<br />
nicht mehr ausgeübt werden kann<br />
··<br />
Schwangerschaft und Mutterschutz<br />
··<br />
Krankheitsbedingte Fehlzeiten<br />
··<br />
<strong>Eine</strong> Gewerkschafts- oder Parteizugehörigkeit.<br />
Auch die Tätigkeit als Betriebsrat darf<br />
grundsätzlich nicht erwähnt werden. Ausnahme:<br />
Wenn der Betroffene dies verlangt<br />
··<br />
Der Verdacht einer strafbaren Handlung darf<br />
nicht genannt werden. Straftaten, die nicht<br />
das Arbeitsverhältnis berühren<br />
··<br />
Elternzeit: Die Elternzeit darf ausnahmsweise<br />
erwähnt werden, wenn sie einen so<br />
großen Bestandteil des Arbeitsverhältnisses<br />
ausmacht, dass ohne deren Erwähnung bei<br />
einem potenziellen neuen Arbeitgeber ein<br />
völlig falscher Eindruck entstehen würde<br />
Tipp: Enthält das Zeugnis auch nur einen der<br />
hier aufgezählten Punkte, ist eine Berichtigung<br />
zu verlangen.<br />
33
aktuelles<br />
Sinnlose Zeugnisse<br />
AiB 9 | 2016<br />
rechtsgrundlage<br />
§ 109 Gewerbeordnung<br />
(1) Der Arbeitnehmer<br />
hat bei Beendigung<br />
eines Arbeitsverhältnisses<br />
Anspruch auf ein<br />
schriftliches Zeugnis. Das<br />
Zeugnis muss mindestens<br />
Angaben zu Art<br />
und Dauer der Tätigkeit<br />
(einfaches Zeugnis) enthalten.<br />
Der Arbeitnehmer<br />
kann verlangen, dass<br />
sich die Angaben darüber<br />
hinaus auf Leistung und<br />
Verhalten im Arbeitsverhältnis<br />
(qualifiziertes<br />
Zeugnis) erstrecken.<br />
(2) Das Zeugnis muss klar<br />
und verständlich formuliert<br />
sein. Es darf keine<br />
Merkmale oder Formulierungen<br />
enthalten, die<br />
den Zweck haben, eine<br />
andere als aus der äußeren<br />
Form oder aus dem<br />
Wortlaut ersichtliche<br />
Aussage über den Arbeitnehmer<br />
zu treffen.<br />
(3) Die Erteilung des<br />
Zeugnisses in elektronischer<br />
Form ist ausgeschlossen.<br />
mentieren. Aber auch Jurist Pfanne will die<br />
bisherige Praxis so nicht beibehalten. »Die Beschränkung<br />
auf die erledigten Arbeitsaufgaben<br />
ist völlig ausreichend.«<br />
<strong>Eine</strong> Ursache für den Niedergang des Dokuments<br />
Arbeitszeugnis ist nach Auffassung<br />
der Jenaer Experten in der Rechtsprechung zu<br />
Nach § 109 Gewerbeordnung hat der Arbeitnehmer<br />
bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses<br />
einen Anspruch auf ein schriftliches<br />
Zeugnis. Soll ein Arbeitnehmer das<br />
verlangen? Die neue Personalabteilung prüft<br />
bei der Bewerbung, ob die Unterlagen vollständig<br />
sind. Fehlt ein Arbeitszeugnis, dann<br />
wird sofort nachgefasst: War die Trennung<br />
mit dem alten Arbeitgeber gar so konflikreich,<br />
dass kein Zeugnis ausgestellt wurde? Wer diesen<br />
Eindruck nicht aufkommen lassen will, der<br />
sollte seine Arbeitszeugnisse sammeln.<br />
Betriebsräte können zwar bei Beurteilungsgrundsätzen<br />
mitbestimmen, bei der Formulierung<br />
des Arbeitszeugnisses aber nicht.<br />
So sind die Regeln. Bei Massenentlassungen<br />
kann es sinnvoll sein, mit dem Betriebsrat<br />
Standards für Arbeitszeugnisse zu vereinbaren.<br />
In einer Betriebsvereinbarung zum Thema<br />
»Be urteilen und Bewerten« können auch<br />
Regeln für Zeugnisse stehen. Ein Initiativrecht<br />
hat der Betriebsrat allerdings nicht.<br />
Aber im Kern ist es ein Individualrecht?<br />
Ja, der Arbeitnehmer muss seinen Anspruch<br />
geltend machen und darauf achten, welche<br />
Inhalte aufgeschrieben sind.<br />
Was kann der Betriebsrat tun, wenn der Mitarbeiter<br />
mit dem Text nicht einverstanden<br />
ist? Im Rahmen seiner Vertretung der Interessen<br />
der Beschäftigten, kann der Betriebsrat<br />
Geheime Zeugnis-Codes<br />
sind rechtswidrig<br />
suchen. Die verlange zwar ehrliche, aber eben<br />
auch wohlwollende Formulierungen. »Ich behaupte:<br />
Wahrheit und Wohlwollen, das kann<br />
gar nicht zusammengehen«; so Watzka. Dieses<br />
Dilemma lösen die Betriebe dann so, dass sie<br />
beim qualifizierten Zeugnis zu beschönigen Formulierungen<br />
greifen. »Dieses Paradox hat dazu<br />
interview<br />
personalarbeit Arbeitszeugnisse haben ihren eigentlichen<br />
Wert in der Tätigkeitsbeschreibung. Leistungsbeurteilungen<br />
sind dagegen weniger aufschlussreich. Das findet<br />
Jens Pfanne, Jurist bei der DGB Rechtsschutz GmbH.<br />
bitte kürzen<br />
bitte kürzen<br />
versuchen, darauf hinzuwirken, einvernehmlich<br />
einen Zeugnistext zu erstellen. Viele<br />
Beschäftigte scheuen die Auseinandersetzung<br />
mit dem Arbeitgeber. Deshalb ist die Achse<br />
Arbeitnehmer-Betriebsrat-Personalabteilung<br />
oft eine gute Lösung.<br />
Forscher in Jena haben herausgefunden,<br />
dass nur wenige Zeugnisse individuell<br />
angefertigt sind. Stattdessen verwenden<br />
die Unternehmen Zeugnisgeneratoren. Ist<br />
diese schablonenhafte Erstellung überhaupt<br />
zulässig? Der Arbeitgeber ist verantwortlich<br />
für den Text und die Inhalte. Die Tätigkeitsbeschreibung<br />
ist eigentlich immer individuell.<br />
Für die Beurteilung der Leistung gibt es<br />
Vorgaben. Personalabteilungen können mit<br />
Standards arbeiten. Wichtig ist die richtige<br />
und individuelle Beschreibung der ausgeübten<br />
Arbeitsaufgaben. An diesem Punkt sollte<br />
sich kein Arbeitnehmer mit Allgemeinplätzen<br />
abspeisen lassen.<br />
Sind die meisten Arbeitszeugnisse wertlos?<br />
Nein, sie sind notwendig, um eine lückenlose<br />
Berufsbiografie zu dokumentieren. Die Tätigkeitsbeschreibungen<br />
halte ich sogar für sehr<br />
sinnvoll. Sie sind auch für den neuen Arbeitgeber<br />
von Interesse. Gerade dann, wenn Weiterbildung<br />
zur Berufsausbildung hinzugekommen<br />
ist. Bei der Gesamtnote bin ich skeptisch, ob<br />
sie wirklich aussagekräftig ist. Das ist in vielen<br />
Fällen auch ein Streitpunkt.<br />
34
AiB 9 | 2016 Sinnlose Zeugnisse aktuelles<br />
geführt, dass die Bewertungen in Zeugnissen oft<br />
nur Sprechblasen sind, von denen man nie weiß,<br />
ob sie wahr oder frisiert sind.« Hinzu kommt<br />
noch die Angst vor juristischen Auseinandersetzungen.<br />
Besonders clevere Betriebe umschiffen<br />
die Klippen, in dem sie den Zeugnisentwurf direkt<br />
vom Mitarbeiter anfertigen lassen.<br />
Zeugnis als Rache? Die Art der Trennung<br />
ist ganz wichtig: Wird das Arbeitsverhältnis<br />
gütlich beendet, dann gibt es auch beim Zeugnistext<br />
keinen Streit. Im anderen Fall wird das<br />
Zeugnis auch gerne zum Nachtreten genutzt.<br />
Dann sind Konflikte programmiert.<br />
Aber sind Probezeiten nicht wichtiger als<br />
Zeugnisse? Das Bewerbungsgespräch und<br />
die Probezeit sind eindeutig bedeutsamer als<br />
Arbeitszeugnisse. Aber das Zeugnis ist vielfach<br />
der Türöffner, um überhaupt in die engere<br />
Auswahl zu kommen.<br />
Sind Zeugnis-Codes rechtmäßig? Es dürfen<br />
keine versteckten Aussagen in einem Arbeitszeugnis<br />
enthalten sein. Das würde ja bedeuten,<br />
dass eine wohlwollende Formulierung sich<br />
in ihr Gegenteil verkehrt. Wenn das absichtlich<br />
erfolgt, dann ist dies unzulässig und solche<br />
Codes sind zu streichen. Manchmal ist den<br />
Arbeitgebern allerdings dies auch nicht klar,<br />
dann sind Änderungen immer problemlos.<br />
Landen Streitigkeiten um Arbeitszeugnisse<br />
vor dem Arbeitsgericht? Im Anschluss an den<br />
Kündigungsprozess, geht es oft um das Arbeitszeugnis.<br />
Wenn der Vergleich dem Arbeitgeber<br />
nicht gefällt, dann wird gefault. Entschieden<br />
wird dieser Punkt natürlich nicht. Der Richter<br />
schlägt dann im Abfindungsvergleich Formulierungen<br />
oder Noten vor, mit denen, wenn auch<br />
zähneknirschend, alle leben müssen.<br />
Sollen Arbeitszeugnisses, in der jetzigen<br />
Form, verschwinden? Für den Arbeitnehmer<br />
ist es schon wichtig, dass er für das berufliche<br />
Fortkommen und die Entwicklung eine Dokumentation<br />
seiner Tätigkeiten hat. Hingegen ist<br />
eine Leistungsbeurteilung sehr subjektiv und<br />
letztlich nicht zielführend. Deshalb ist eine<br />
Beschränkung auf die erledigten Arbeitsaufgaben<br />
völlig ausreichend.<br />
Bewerberauswahl erleichtert?<br />
Hilft das Arbeitszeugnis wenigstens bei der<br />
Auswahl von Bewerbern? So richtig auch<br />
nicht. Bei Analyse einer Bewerbungsmappe<br />
sind Arbeitszeugnisse nicht ausschlaggebend.<br />
Wichtiger sind der Lebenslauf und das Anschreiben.<br />
Zeugnisse dagegen werden nur<br />
überflogen. Den größten Nutzen hat die Tätigkeitsbeschreibung,<br />
vermittelt sie doch einen<br />
Eindruck über das Arbeitsgebiet, in dem der<br />
Bewerber bislang tätig war.<br />
Generierte Zeugnisse<br />
Experten schätzen, dass pro Jahr rund 10 Millionen<br />
Arbeitszeugnisse anzufertigen sind. Dahinter<br />
steckt ein immenser Arbeitsaufwand. Es<br />
verwundert deshalb nicht, dass die Personalabteilungen<br />
sich zu helfen wissen. Inzwischen sind<br />
Zeugnisgeneratoren am Werk. Schon ab 199<br />
Euro gibt es die technische Hilfe. Die Werbung<br />
verspricht viel: Schnell, rechtlich einwandfreie,<br />
individuelle und professionell sind sie erstellt.<br />
Die Analyse des fertigen Zeugnisses bewahrt<br />
vor formalen Fehlern, Fallstricken und Widersprüchen.<br />
Die Textbausteine des Zeugnis-Generators<br />
sind von Volljuristen und Fachanwälten<br />
für Arbeitsrecht erstellt und werden regelmäßig<br />
überprüft und an aktuelle Entwicklungen anbetriebsrat<br />
und arbeitszeugnisse<br />
Der Betriebsrat hat bei der Zeugniserteilung<br />
keine Mitbestimmungsrechte. Das Thema<br />
Arbeitszeugnisse kann aber im Rahmen<br />
von Beurteilungsgrundsätzen nach § 94<br />
Abs. 2 BetrVG erfolgen. Entschließt sich der<br />
Arbeitgeber zur Einführung von Beurteilungsgrundsätzen,<br />
so ist diese Maßnahme<br />
mitbestimmungspflichtig.<br />
Der Arbeitnehmer kann auch nach § 84<br />
Abs. 1 BetrVG von seinem Beschwerderecht<br />
Gebrauch machen und den Betriebsrat um<br />
Unterstützung ersuchen. Dies setzt allerdings<br />
voraus, dass der Arbeitnehmer noch<br />
im Betrieb beschäftigt ist. Der Betriebsrat<br />
kann, falls er die Beschwerde für berechtigt<br />
erachtet, beim Arbeitgeber die Behandlung<br />
und Erledigung der Beschwerde beantragen.<br />
Nach § 85 Abs. 2 BetrVG kann nötigenfalls<br />
die Einigungsstelle durch den Betriebsrat<br />
angerufen werden.<br />
Die Arbeitnehmerseite<br />
der Wirtschaft.<br />
Mitbestimmung. Das Magazin<br />
der Hans-Böckler-Stiftung.<br />
Alle zwei Wochen digital,<br />
alle zwei Monate gedruckt.<br />
Ab 1. September kostenlos<br />
als App und unter<br />
www.magazin-mitbestimmung.de<br />
35
aktuelles<br />
Sinnlose Zeugnisse<br />
AiB 9 | 2016<br />
rechtsprechung<br />
»Befriedigend« ist<br />
durchaus akzeptabel<br />
Ist die Arbeitsleistung eines<br />
Beschäftigten durchschnittlich,<br />
dann kann der<br />
Arbeitgeber sie auch mit<br />
der Note »befriedigend«<br />
im Arbeitszeugnis bewerten.<br />
Das hat das Bundesarbeitsgericht<br />
in seinem<br />
Urteil (18.11.2014 – 9 AZR<br />
584/13) entschieden.<br />
Zuvor hatte ein Urteil des<br />
Arbeitsgerichts Berlin (28<br />
Ca 18230/11) für Unsicherheit<br />
gesorgt. Sie gab einer<br />
Empfangsdame Recht, die<br />
gegen ihr Arbeitszeugnis<br />
geklagt hatte, in dem<br />
sie nur mit befriedigend<br />
bewertet wurde. Die<br />
Richter stellten sich auf<br />
den Standpunkt, dass im<br />
Arbeitszeugnis mindestens<br />
ein »gut« stehen<br />
müsse, weil eine Zwei der<br />
gängigen Bewertungspraxis<br />
der Arbeitgeber<br />
entspräche. Es gäbe<br />
statistisch gesehen so<br />
wenige Arbeitszeugnisse<br />
mit »befriedigend« oder<br />
schlechter, dass eine Drei<br />
einem negativen Urteil<br />
gleichkäme.<br />
Die Entscheidung des<br />
Arbeitsgerichts Berlin<br />
hob das BAG nun<br />
auf. Die Arbeitsrichter<br />
stellten klar, dass die<br />
Note »befriedigend« für<br />
eine durchschnittliche<br />
Leistung angemessen<br />
sei – egal, wie häufig sie<br />
vergeben wird.<br />
zeugnisvarianten<br />
Es wird zwischen einem einfachen und<br />
einem qualifizierten Zeugnis unterschieden.<br />
Ein einfaches Zeugnis muss mindestens<br />
Angaben zur Art und Dauer der Tätigkeit<br />
enthalten. Ein einfaches Zeugnis erhalten<br />
in der Regel Arbeitnehmer, die nur kurz im<br />
Betrieb beschäftigt waren. Es besteht ein<br />
Rechtsanspruch auf ein Arbeitszeugnis.<br />
Sobald ein Arbeitnehmer mehrere Monate<br />
bei seinem Arbeitgeber tätig war, kann er<br />
ein qualifiziertes Zeugnis verlangen. Inhalt<br />
sind zudem Angaben über die Leistung und<br />
das Verhalten während des Arbeitsverhältnisses.<br />
Die Ausstellung eines qualifizierten<br />
Zeugnisses ist der Regelfall.<br />
Unterschieden wird außerdem zwischen<br />
einem Zeugnis bei Beschäftigungsende und<br />
einem Zwischenzeugnis.<br />
Wer an einem qualifizierten Zeugnis<br />
interessiert ist, muss dies auch verlangen.<br />
Der Arbeitgeber muss erst auf den ausdrücklichen<br />
Wunsch hin tätig werden. In<br />
großen Unternehmen gibt es überwiegend<br />
qualifizierte Arbeitszeugnisse; in kleinen<br />
Unternehmen ist dagegen der Anteil einfacher<br />
Arbeitszeugnisse höher.<br />
gepasst. Es verwundert bei dieser Praxis allerdings<br />
nicht die Feststellung von Watzka: »Die<br />
Anfertigung von Arbeitszeugnissen ist über weite<br />
Strecken zu einem relativ sinnfreien Ritual<br />
mutiert.« Nur noch jedes zehnte Zeugnis ist ein<br />
Unikat, allenthalben fehlt es an Individualität.<br />
Arbeitszeugnisse haben lange Tradition<br />
Der Rückgriff auf vorgefertigte Versatzstücke<br />
ist auch deshalb so beliebt, weil den Verfassern<br />
der Zeugnisse eigene Expertise fehlt. Mehr als<br />
die Hälfte der Zeugnisersteller haben keine<br />
Schulung für ihre Aufgabe erhalten, in kleinen<br />
Unternehmen sind es sogar 90 Prozent.<br />
»Offensichtlich glauben die Betriebe, Arbeitszeugnisse<br />
schreiben kann jeder«, kommentiert<br />
Watzka. Auch die Rekonstruktion des Werdegangs<br />
des Mitarbeiters im Betrieb macht Probleme:<br />
Knapp 30 Prozent haben Personalakten,<br />
die unvollständig sind.<br />
Arbeitszeugnisse haben eine lange Tradition<br />
in Deutschland. 1.530 wurden Atteste für ordnungsgemäßes<br />
Ausscheiden eingeführt. Ein<br />
Dienstherr durfte einen Knecht nur in sein<br />
Haus nehmen, wenn er ein Zeugnis vorweisen<br />
konnte. Darin musste stehen, dass er auf ehrliche<br />
Weise und mit Zustimmung des letzten<br />
Dienstherrn gegangen ist. Herrschaften, die<br />
Dienstboten ohne Zeugnis beschäftigten oder<br />
ein solches verweigerten, drohten Geldstrafen.<br />
Als Tugenden galten: Fleiß, Treue, Gehorsam,<br />
sittliches Betragen und Ehrlichkeit.<br />
Fehlende Aussagekraft<br />
Damals wie heute haben Arbeitszeugnisse einen<br />
groben Mangel: Ihnen fehlt es an Aussagekraft.<br />
Lediglich die Hälfte der Unternehmen,<br />
so die Studie aus Jena, schätzt die Aussagekraft<br />
der von ihnen selbst erstellten Zeugnisse als<br />
»hoch« oder »sehr hoch« ein. Es gibt auch keine<br />
einheitliche Zeugnissprache und auch keine<br />
einheitliche Notenskala für die Gesamtbewertung<br />
eines Mitarbeiters. Selbst der Umfang ist<br />
ganz unterschiedlich: In kurzen Zeugnissen<br />
sind nur zwei Bewertungskriterien zu finden, in<br />
der ausführlichen Variante sind es 17.<br />
»Nur noch jedes<br />
zehnte Zeugnis<br />
ist ein Unikat.«<br />
KLAUS WATZKA<br />
Muss die Personalabteilung bei der <strong>Ausgabe</strong><br />
von Arbeitszeugnissen mit Konflikten rechnen?<br />
Betriebsrätin Cavallo berichtet, dass bei<br />
Unstimmigkeiten mit dem Vorgesetzen der Betriebsrat<br />
im gemeinsamen Gespräch mit allen<br />
Beteiligten nach einer einvernehmlichen Lösung<br />
sucht. »Solche Fälle kommen bei Volkswagen<br />
allerdings selten vor.«<br />
Ein Drittel mit Zeugnis nicht einverstanden<br />
Immerhin rund ein Drittel der Arbeitnehmer<br />
sind mit den Formulierungen im Arbeitszeugnis<br />
nicht einverstanden. Proteste haben durchaus<br />
Chancen auf Erfolg. In fast allen Betrieben<br />
gibt es dann eine Überprüfung, die durchaus<br />
zu Veränderungen führen kann. Den Streit um<br />
das Zeugnis will allerdings kaum jemand auf<br />
die Spitze treiben. Knapp 90 Prozent der Be-<br />
36
AiB 9 | 2016 Sinnlose Zeugnisse aktuelles<br />
Es gibt keine einheitliche<br />
Zeugnissprache<br />
und Notenskala für die<br />
Gesamtbewertung eines<br />
Beschäftigten.<br />
triebe hatte in den letzten fünf Jahren keinen<br />
Arbeitsgerichtsprozess wegen Zeugnissen. Es<br />
gibt auch Tarifverträge, die Regeln setzen.<br />
Das Zeugnis-Thema ist bei Volkswagen in § 4<br />
Manteltarifvertrag beschrieben. »Das ist eine<br />
Art Handlungsanweisung für Personalreferenten«,<br />
berichtet Betriebsrätin Cavallo. Darin<br />
ist auch festgeschrieben: Nur auf Wunsch<br />
des Mitarbeiters gibt es Aussagen zur Führung<br />
und Leistung. Die Forscher aus Jena fassen<br />
ihre Erkenntnisse zum Arbeitszeugnis so zusammen:<br />
»Oftmals von ungeschultem Personal<br />
lieblos zusammengeschustert – auf der<br />
anderen Seite oft nur oberflächlich zur Kenntnis<br />
genommen. Es existiert eher babylonische<br />
formalien<br />
Die folgenden formalen Kriterien muss<br />
der Arbeitgeber bei der Erstellung von<br />
Zeugnissen beachten: In jedem Zeugnis<br />
sind Angaben zum Aussteller, zum Ausstellungsort<br />
und Ausstellungszeitpunkt zu machen.<br />
Das Zeugnis braucht eine Einleitung<br />
mit den persönlichen Daten, Aufgabenbeschreibung<br />
und Dauer oder Datum des<br />
Endes der Tätigkeit. Im Anschluss daran<br />
folgen im qualifizierten Zeugnis die Leistungsbeurteilung,<br />
Verhaltensbeurteilung<br />
sowie eine Schlussformulierung.<br />
Tipp: Der Anspruch auf ein Zeugnis kann<br />
auslaufen. Äußert sich ein Arbeitnehmer<br />
etwa ein Jahr nicht, ist es ausgesprochen<br />
schwer noch ein Zeugnis zu erhalten.<br />
Sprachverwirrung als eine einheitliche, eindeutige<br />
Zeugnissprache – sie gehört ins Reich<br />
der gut gepflegten Mythen und Legenden.«.<br />
Den Zeugnis-Lesern wurden fünf typische Formulierungen<br />
vorgelegt und gefragt: Welcher<br />
Note entspricht das? »Ein einziger von etwa<br />
90 Befragten hat alle Noten korrekt zugeordnet«,<br />
berichtet der Jenaer Forscher.<br />
Das sinnentleerte Spiel geht weiter<br />
Der dürftige Aussagewert von Arbeitszeugnissen<br />
ist allenthalben bekannt. Trotzdem geht<br />
das sinnentleerte Spiel weiter. Wie könnte eine<br />
andere Praxis aussehen? Das Autoren-Team<br />
schlägt vor, die gesetzliche Zeugnispflicht auf<br />
eine aussagekräftige Darstellung der ausgeübten<br />
Tätigkeiten zu beschränken. Aus ihr soll<br />
hervorgehen, wie lange und mit welchem relativen<br />
Zeitanteil an der Gesamtbeschäftigung die<br />
Tätigkeit wahrgenommen wurde. Es entsteht<br />
dann ein Dokument, das einer Stellenbeschreibung<br />
ähnelt. »Informationen über ausgeübte<br />
Tätigkeiten sind laut unserer Studienergebnisse<br />
für einstellende Unternehmen auch die eindeutig<br />
wichtigste Information. Dies würde einen<br />
kompletten Verzicht auf wertende Aussagen,<br />
also auf das qualifizierte Zeugnis bedeuten.« v<br />
Dr. Klaus Heimann,<br />
freier Journalist und Berater, Berlin.<br />
kl-heimann@t-<strong>online</strong>.de<br />
Der Autor war viele Jahre Ressortleiter Bildung<br />
beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt am Main.<br />
einschätzung<br />
Personalexperten<br />
schätzen, dass heute bei<br />
nur noch 15 Prozent aller<br />
Arbeitszeugnisse eine<br />
schlechtere Note als gut<br />
vergeben wird.<br />
37
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Betriebsversammlung leicht gemacht<br />
AiB 9 | 2016<br />
Betriebsversammlung<br />
leicht gemacht<br />
kommunikation Für die einen ist es eine lästige Pflicht, für die<br />
anderen ist es das Beste schlechthin: Die Betriebsversammlung.<br />
Sie ist das zentrale betriebspolitische Mittel des Betriebsrats.<br />
Und wie sie gut und informativ gelingt, erfahren Sie hier.<br />
VON MARTIN WOLMERATH<br />
darum geht es<br />
1. Betriebsversammlungen<br />
sind vom Gesetzgeber<br />
vorgeschrieben<br />
und sie sind ein gutes<br />
Mittel des Betriebsrats,<br />
Öffentlichkeitsarbeit zu<br />
machen.<br />
2. Oft sind es Kleinigkeiten,<br />
die der Betriebsversammlung<br />
zum Erfolg<br />
verhelfen.<br />
3. Das kann beispielsweise<br />
die Themenauswahl<br />
sein: Stress, Umgang<br />
mit Konflikten, Arbeitsverdichtung,<br />
Arbeitszeit<br />
und Vorgesetzte mit<br />
Führungs defiziten sind<br />
nur einige für Beschäftigte<br />
interessante Themen.<br />
Nicht selten spiegeln sich in der<br />
Betriebsversammlung der Betriebsrat,<br />
seine Mitglieder mit ihren<br />
betriebspolitischen Sichtweisen<br />
sowie Standpunkten und die Akzeptanz<br />
der Interessenvertretung in der Belegschaft –<br />
aber auch deren Unzufriedenheit und ein<br />
mehr oder weniger großes Stück Hilflosigkeit<br />
auf Seiten des Betriebsrats – wider. Letzterem<br />
soll mit diesem Beitrag begegnet werden.<br />
Schließlich ist die Betriebsversammlung das<br />
zentrale betriebspolitische Mittel des Betriebsrats.<br />
Sie dient vor allem der Kommunikation<br />
mit den Beschäftigten und geht damit<br />
weit über das bloße Erstatten von Tätigkeitsberichten<br />
hinaus.<br />
Ausgangspunkt:<br />
Die letzte Betriebs versammlung<br />
Um sich die eigene Situation oder Befindlichkeit<br />
bewusst zu machen, ist jedem Betriebsratsmitglied<br />
zu empfehlen, die letzte Versammlung<br />
mit der erforderlichen Ruhe und Zeit<br />
gedanklich Revue passieren zu lassen. Hierzu<br />
bietet sich die Beantwortung von sogenannten<br />
W-Fragen an. Diese können beispielsweise wie<br />
folgt lauten: Was war gut? Was war weniger<br />
gut (oder vielleicht sogar äußerst schlecht)?<br />
Was hat sich bewährt? Was sollte das nächste<br />
Mal anders gemacht werden? Wie ist die<br />
Betriebsversammlung bei den Beschäftigten<br />
angekommen? Wo gab es Lob? Wo gab es<br />
Kritik? Wie wurden die einzelnen Redebeiträge<br />
aufgenommen? Wie haben die Zuhörer<br />
auf die jeweiligen Reden reagiert? Wie viele<br />
Arbeitnehmer waren anwesend? Wie hat sich<br />
die Arbeitgeberseite verhalten? Wie hat die Arbeitgeberseite<br />
auf Fragen reagiert?<br />
Die Beantwortung der Fragen führt zu einer<br />
aktuellen Bestandaufnahme rund um das<br />
Thema Betriebsversammlung. Allein schon<br />
aus diesem Grund ist es sinnvoll, wenn sie im<br />
Betriebsrat erfolgt. Hierzu eignet sich im gleichen<br />
Maße eine Betriebsratssitzung wie auch<br />
eine Klausurtagung des Betriebsrats. Positive<br />
Antworten können auf einer grünen, negative<br />
auf einer roten Moderationskarte festgehalten<br />
werden. <strong>Eine</strong> gelbe Karte kann für solche Ergebnisse<br />
verwendet werden, die sich als eine<br />
neutrale Antwort darstellen oder eine eindeutige<br />
Zuordnung nicht zulassen. Sonstige Aspekte<br />
können auf einer weißen Karte geschrieben<br />
werden. Die Verwendung von verschieden farbigen<br />
Moderationskarten erleichtert die Erstellung<br />
eines Clusters. Zu diesem Zweck bietet<br />
sich vor allem die Verwendung einer Moderationstafel<br />
(Metaplantafel, Pinnwand) an. Einige<br />
Antworten oder Karten dürften mehrfach<br />
tipp für die betriebsratsarbeit<br />
Metaplantafel, Flipchart und Moderationsmaterial<br />
sollten zur Ausstattung eines jeden<br />
Betriebsrats gehören. Zumindest bei größeren<br />
Gremien wird es sich anbieten, diese<br />
zur alleinigen Benutzung vom Arbeitgeber<br />
zur Verfügung gestellt zu bekommen. Die<br />
dadurch anfallenden Kosten hat der Arbeitgeber<br />
nach § 40 Abs. 2 BetrVG zu tragen.<br />
38
AiB 9 | 2016 Betriebsversammlung leicht gemacht grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
vorkommen. Dies kann auf einen besonders<br />
dringlichen Handlungsbedarf hinweisen – zumindest<br />
jedoch auf den Umstand, dass es bei<br />
dem betreffenden Aspekt einen allgemeinen<br />
Diskussionsbedarf gibt. Für Letzteres sollte<br />
sich der Betriebsrat ausreichend Zeit nehmen.<br />
Dabei gilt es, die einzelnen Diskussionsergebnisse<br />
schriftlich festzuhalten, wozu sich<br />
ein ausreichend großer Bogen Papier eignet –<br />
sollten Flipchart oder Whiteboard nicht zur<br />
Verfügung stehen.<br />
Offen sein für Veränderungen<br />
Die Diskussion im Betriebsrat dürfte nur höchst<br />
selten in der Feststellung münden, dass es keinen<br />
Veränderungsbedarf gibt. Vielmehr stellt<br />
sich die Frage, ob das Gremium – gleiches gilt<br />
natürlich auch für seine Mitglieder – zu Veränderungen<br />
auch bereit ist. Es beim Bisherigen zu<br />
belassen ist wesentlich einfacher als sich neuen<br />
Herausforderungen zu stellen. Etwas Neues<br />
anzustoßen benötigt Zeit, Energie und Arbeit,<br />
wobei der Erfolg nicht immer gewiss ist. Gleichwohl<br />
gilt trotz aller möglichen Bedenken: Nur<br />
wer bereit ist, sich von seinen alten und kaputten<br />
Latschen zu trennen, der wird den bisweilen<br />
recht steinigen Weg der betrieblichen Interessenvertretung<br />
erfolgreich meistern und Kraft<br />
für weitere Amtszeiten haben.<br />
Nicht gemeint ist damit ein blinder Aktionismus,<br />
der oftmals mehr schadet, als dass er<br />
hilft. Jede Veränderung sollte wohl überlegt sein<br />
und sowohl strategisch als auch gut vorbereitet<br />
in die Tat umgesetzt werden.<br />
Das zentrale Grundproblem<br />
der Betriebsversammlung<br />
Das zentrale Grundproblem vieler Betriebsversammlungen<br />
ist die Teilnehmerzahl. Nur<br />
ein Teil der angesprochenen Adressaten macht<br />
von ihnen Gebrauch, wobei die Quote nicht<br />
selten bei 50 Prozent und weniger liegt. Das<br />
Dilemma dabei ist immer wieder: Die Beschäftigten<br />
bringen ihren Unmut und ihre Unzufriedenheit<br />
dadurch zum Ausdruck, dass sie der<br />
Versammlung fernbleiben, wobei die Abwesenheit<br />
der Arbeitskolleginnen und -kollegen<br />
von der Interessenvertretung als Desinteresse<br />
und Ignoranz gewertet wird. Die Beschäftigten<br />
sind mit ihrem Betriebsrat unzufrieden,<br />
während dieser wiederum von der Belegschaft<br />
enttäuscht ist. Dieses Dilemma gilt es aufzubrechen.<br />
Dazu ist es erforderlich, sich mit<br />
den Ursachen der geringen Teilnehmerzahl zu<br />
beschäftigen. Einige Gründe wird die bereits<br />
angesprochene Bestandsaufnahme zu Tage<br />
gefördert haben. Weitere werden sich im Verlaufe<br />
von Gesprächen mit einzelnen Beschäftigten<br />
– sowohl Teilnehmer als auch Nicht-Teilnehmer<br />
– ergeben, die genau zu diesem Zweck<br />
erfolgen sollten. Denkbare Antworten und<br />
Gründe dürften unter anderem sein:<br />
··<br />
In meiner Arbeitszeit habe ich etwas Besseres<br />
zu tun<br />
··<br />
Arbeitsmäßig haben wir so viel zu tun, dass<br />
ich für eine Teilnahme einfach keine Zeit<br />
habe<br />
··<br />
Mein Vorgesetzter wünscht, dass ich den Betriebsversammlungen<br />
fern bleibe<br />
··<br />
Schon seit vielen Jahren gibt es auf der Betriebsversammlung<br />
immer das Gleiche zu<br />
hören<br />
··<br />
Die Themen interessieren mich einfach<br />
nicht<br />
··<br />
Die Betriebsversammlungen sind äußerst<br />
langweilig und dauern viel zu lang<br />
··<br />
Auf die Selbstdarstellung des Betriebsrats(-<br />
vorsitzenden) kann ich gut verzichten<br />
··<br />
Der Geschäftsführer merkt sich die Leute,<br />
die auf der Betriebsversammlung etwas sagen<br />
··<br />
Ich wusste gar nicht, dass es jüngst eine Betriebsversammlung<br />
gegeben hat.<br />
Frischer Wind tut gut<br />
Die von den Betriebsratsmitgliedern in Erfahrung<br />
gebrachten Motive und Gründe können<br />
Anlass sein, frischen Wind in die Betriebsversammlung<br />
zu bringen. Hierzu ist es sinnvoll,<br />
Die Betriebsversammlung<br />
ist erfolgreich, wenn dort<br />
Themen besprochen werden,<br />
die die Beschäftigten<br />
interessieren.<br />
39
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Betriebsversammlung leicht gemacht<br />
AiB 9 | 2016<br />
Superhelden der<br />
Betriebsratsarbeit<br />
www.meine-superhelden.de<br />
Im Einsatz für die Guten<br />
bei der Bewältigung von Defiziten zwischen<br />
solchen Maßnahmen zu unterscheiden, auf die<br />
der Betriebsrat einen wesentlichen Einfluss hat<br />
und solchen, auf die er nicht oder nur schwer<br />
einwirken kann. Weitere Unterscheidungsmerkmale<br />
können sein:<br />
··<br />
Das lässt sich schnell realisieren oder dafür<br />
brauchen wir eine gewisse Zeit<br />
··<br />
Das können wir selbst oder dafür benötigen<br />
wir fremde Hilfe<br />
··<br />
So etwas kostet Geld oder das gibt es gratis.<br />
Die vorgenannten Kriterien können dem Betriebsrat<br />
bei seinen Entscheidungen helfen, in<br />
welcher Reihenfolge welche Aspekte einer Änderung<br />
zugeführt werden sollen. Am leichtesten<br />
lässt sich das bewerkstelligen, auf das ich<br />
einen wesentlichen Einfluss habe und in kürzester<br />
Zeit kostenfrei ohne fremde Hilfe tun<br />
kann. Dies gilt vor allem für die Einladung zur<br />
Betriebsversammlung.<br />
Einladung zur Betriebsversammlung<br />
Die Einladung zur Betriebsversammlung kann<br />
ihren Zweck nur dann erfüllen, wenn sie als<br />
solche wahrgenommen wird und nicht in Vergessenheit<br />
geraten kann. Hierfür genügt der<br />
einmalige Hinweis etwa mittels Handzettel,<br />
Aushang am schwarzen Brett, Hinweis im<br />
Betriebsrats-Infoblatt oder E-Mail nicht. Gleiches<br />
gilt für eine mündlich ausgesprochene<br />
Einladung. Vielmehr bedarf es ihrer Ergänzung<br />
durch Plakate, Aufsteller, Ausrufe, SMS<br />
… Insoweit ist Phantasie gefragt, da sich nicht<br />
jedes Werkzeug in jedem Betrieb in der gleichen<br />
Weise eignet. So kann beispielsweise<br />
eine Einladung, die mittels eines Aushangs<br />
am schwarzen Brett erfolgt ist, durch entsprechend<br />
große, farbig gestaltete und an zentralen<br />
Stellen auffallend angebrachte Plakate in Erinnerung<br />
gerufen werden. Gleiches gilt für eine<br />
E-Mail oder SMS, die rechtzeitig am Tag der<br />
Veranstaltung versendet wird sowie für Aufsteller,<br />
die mit einem Plakat versehen, an dafür<br />
geeigneten Plätzen positioniert werden. Wer<br />
auf diese Weise zu einer Betriebsversammlung<br />
eingeladen wird, der kann später kaum sagen,<br />
er hätte von der Veranstaltung nichts gewusst.<br />
Themen der Betriebsversammlung<br />
Ursache für die Unzufriedenheit der Beschäftigten<br />
sind oftmals die auf der Betriebsversammlung<br />
behandelten Themen. Wer sich den<br />
§ 43 BetrVG anschaut, der kann schnell der<br />
Ansicht verfallen, dass sie lediglich die Erstattung<br />
des Tätigkeitsberichts des Betriebsrats<br />
und den Bericht des Arbeitgebers umfasst –<br />
eventuell ergänzt um einen Redebeitrag des<br />
zuständigen Gewerkschaftssekretärs. Die<br />
wirkliche Bandbreite möglicher Themen wird<br />
daher schnell übersehen. § 45 BetrVG spricht<br />
diesbezüglich umfassend formuliert von Angelegenheiten,<br />
die den Betrieb oder seine Arbeitnehmer<br />
unmittelbar betreffen.<br />
»Nur wer bereit<br />
ist, sich von<br />
seinen alten und<br />
kaputten Latschen<br />
zu trennen, der<br />
wird den bisweilen<br />
recht steinigen<br />
Weg der betrieblichen<br />
Interessenvertretung<br />
erfolgreich<br />
meistern.«<br />
MARTIN WOLMERATH<br />
Und genau das sollte auf einer Betriebsversammlung<br />
erfolgen: Die Behandlung von Themen,<br />
die die Belegschaft wirklich interessieren.<br />
Stress, Umgang mit Konflikten, Arbeitsverdichtung,<br />
Arbeitszeit, betriebliche Altersvorsorge<br />
sowie Vorgesetzte mit Führungsdefiziten sind<br />
nur einige Aspekte, welche die Berichte des<br />
Betriebsrats sowie des Arbeitgebers schnell in<br />
den Hintergrund geraten lassen. Daher sollte<br />
die Devise lauten: Das eine tun und das andere<br />
nicht lassen.<br />
Verwirklichen lässt sich dieser Ansatz mit<br />
einer etwas anderen Gewichtung der zur Verfügung<br />
stehenden Zeit. Gibt es keinen wirklichen<br />
Anlass für umfangreiche Berichterstattungen,<br />
dann sollten diese auf das Wesentliche<br />
beschränkt werden. Auf diese Weise kommt<br />
40
AiB 9 | 2016 Betriebsversammlung leicht gemacht grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
der Betriebsrat schnell zum eigentlichen, wesentlichen<br />
Thema der Zusammenkunft. Zudem<br />
wird damit einer vorzeitigen Ermüdung<br />
der Zuhörer vorgebeugt.<br />
Dauer der Betriebsversammlung<br />
Betriebsversammlungen müssen nicht immer<br />
gleich lange dauern. Gibt es nicht viel zu berichten<br />
und zu diskutieren, dann darf die Zusammenkunft<br />
auch kürzer ausfallen. Vielleicht<br />
genügt in solch einem Fall ein Zeitraum von<br />
einer bis eineinhalb Stunden. Dafür muss<br />
man sich auf der anderen Seite die Zeit nehmen,<br />
die erforderlich ist, um ein kompliziertes<br />
Thema sachgerecht behandeln zu können.<br />
In solch einem Fall kann es bisweilen sogar<br />
angebracht sein, sich zu vertagen, um die Betriebsversammlung<br />
etwa am nächsten Morgen<br />
ausgeruht fortsetzen zu können.<br />
Ablauf der Betriebsversammlung<br />
So manche Betriebsversammlung hat stets den<br />
gleichen Ablauf mit derselben Tagesordnung.<br />
beispiel<br />
Ablauf einer Betriebsversammlung<br />
9:00 – 9:15 Uhr Begrüßung<br />
9:15 – 10:15 Uhr Bericht des Betriebsrats<br />
10:15 – 10:45 Uhr Aussprache<br />
10:45 – 11:45 Uhr Bericht des Arbeitgebers<br />
11:45 – 12:15 Uhr Aussprache<br />
12:15 – 13:15 Uhr Referat des Gewerkschaftssekretärs<br />
13:15 – 13:30 Uhr Aussprache<br />
13:30 – 13:45 Uhr Verschiedenes<br />
13:45 Uhr Verabschiedung<br />
Die Nachteile einer solchen Handhabung liegen<br />
auf der Hand: Immer dasselbe Procedere<br />
und keine Schwerpunktsetzungen. Dabei<br />
sollte sich der Ablauf der Veranstaltung an<br />
den einzelnen Themen und deren Bedeutung<br />
orientieren. Unwichtiges kann weichen zu<br />
Gunsten wichtiger, aktueller Punkte und Probleme.<br />
Vergleichbares gilt für den zeitlichen<br />
Rahmen einzelner Tagesordnungspunkte. Der<br />
Tätigkeitsbericht des Betriebsrats muss nicht<br />
zwingend zu Beginn der Zusammenkunft erstattet<br />
werden; dem Arbeitgeber muss nicht<br />
dieselbe Redezeit eingeräumt werden; es muss<br />
nicht zu allen Punkten eine Aussprache erfolgen,<br />
zumal wenn es – aus welchen Gründen<br />
auch immer – keine Wortmeldungen gibt; der<br />
Gewerkschaftssekretär erzielt im Zweifel eine<br />
höhere Wirkung, wenn er strategisch passend<br />
zu bestimmten Themen sein Wort ergreift.<br />
Wichtige Themen sollten zu Beginn der Versammlung<br />
behandelt werden. Abhängig von<br />
dem Arbeitsbeginn, der Tageszeit und der zeitlichen<br />
Lage der Veranstaltung sind die Zuhörerinnen<br />
und Zuhörer anfangs eher ausgeruht<br />
und aufnahmefähig, während sie am Ende der<br />
Veranstaltung müde(r) und erschöpft(er) sind.<br />
Insofern kann es sich bisweilen anbieten, die<br />
Betriebsversammlung mit einem kurzen Bericht<br />
des Arbeitgebers oder des Betriebsrats zu<br />
schließen.<br />
Einsatz technischer Hilfsmittel<br />
Technische Hilfsmittel sind nur so gut, wie sie<br />
auch funktionieren. Ihr Einsatz sollte daher<br />
geprobt werden. Das gilt vor allem für die Verwendung<br />
von Mikrofonen und Lautsprechern.<br />
Beide müssen nicht nur funktionieren; entscheidend<br />
sind die richtige Lautstärke und die<br />
Vermeidung von Störgeräuschen.<br />
Vergleichbares gilt für den Einsatz eines<br />
Beamers. Hier kommt es auf geeignete räumliche<br />
Lichtverhältnisse und auf eine ausreichende<br />
Lichtstärke des Projektors an. Werden Folien<br />
präsentiert, dann muss deren Beschriftung<br />
überall im Raum lesbar sein. Der Einsatz von<br />
Bildern, Grafiken und Filmsequenzen macht<br />
ebenfalls nur Sinn, wenn sie in der erforderlichen<br />
Größe gezeigt werden können. Zudem<br />
muss bedacht werden, dass Beamer und PC,<br />
Laptop oder Tablet aufeinander eingestellt<br />
sind. Jeder Vortrag leidet in seiner Qualität,<br />
wenn das technische Hilfsmittel nicht frei von<br />
Störungen eingesetzt werden kann.<br />
Ort der Betriebsversammlung<br />
Die Örtlichkeit, an der die Betriebsversammlung<br />
stattfindet, ist eher selten Anlass für die<br />
Unmutsäußerungen. Grundsätzlich hat sie<br />
auf dem Betriebsgelände stattzufinden. Die<br />
Räumlichkeit muss dabei so gewählt werden,<br />
dass sie eine störungsfreie Versammlung, mithin<br />
eine ungestörte Teilnahme ermöglicht. Die<br />
Überlassung eines dafür geeigneten Raumes<br />
obliegt dem Arbeitgeber. Sofern der Betrieb<br />
aufgabe des<br />
arbeitgebers<br />
§ 43 Abs. 2 Satz 3 BetrVG<br />
regelt, dass der Arbeitgeber<br />
mindestens einmal<br />
im Kalenderjahr über die<br />
im Gesetz aufgelisteten<br />
Themen, wie beispielsweise<br />
Personal- und<br />
Sozial wesen, Gleichstellung<br />
von Mann und<br />
Frau und Integration<br />
ausländischer ArbeitnehmerInnen<br />
sowie die<br />
wirtschaftliche Lage im<br />
Betrieb berichten muss.<br />
Dieser Bericht folgt in<br />
der Regel nach dem<br />
Tätigkeits bericht des<br />
Betriebsrats.<br />
41
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Betriebsversammlung leicht gemacht<br />
AiB 9 | 2016<br />
gut zu wissen<br />
Die Betriebsversammlung<br />
findet während der betriebsüblichen<br />
Arbeitszeit<br />
statt. Der Betriebsrat<br />
bestimmt Datum und<br />
Uhrzeit. Günstigste Zeit<br />
ist der Vormittag, da die<br />
Beschäftigten dann in<br />
der Regel noch aufnahmefähig<br />
und fit sind. Bei<br />
gleiten der Arbeitszeit<br />
drängt sich die Festlegung<br />
während der<br />
Kernzeit auf, in Schichtbetrieben<br />
zum Schichtwechsel.<br />
Nur wenn die<br />
Eigenart des Betriebes<br />
zwingend ein Abhalten<br />
außerhalb der betriebsüblichen<br />
Arbeitszeit erfordert,<br />
darf von diesem<br />
Grundsatz abgewichen<br />
werden.<br />
lesetipp<br />
Mehr zur Betriebsversammlung<br />
in der<br />
AiB 6/2014, S. 59 –61<br />
in dem Beitrag »Tue<br />
Gutes und rede darüber«<br />
von Regine Windirsch.<br />
Auch Online zu <strong>lesen</strong><br />
auf www.aib-web.de ><br />
Arbeitsrecht im Betrieb<br />
über keine passende Räumlichkeit verfügt,<br />
muss die Versammlung gegebenenfalls außerhalb<br />
des Betriebes stattfinden, was durchaus<br />
die Anmietung eines Saales oder gar Messehalle<br />
sowie die Organisation eines Bustransfers<br />
umfassen kann.<br />
Zeitpunkt der Betriebsversammlung<br />
Die Betriebsversammlung hat grundsätzlich<br />
während der Arbeitszeit zu erfolgen. Ihre<br />
zeitliche Lage ist nicht immer leicht zu fixieren.<br />
Davon können Betriebsräte in Schichtbetrieben<br />
immer wieder ein Lied singen. Ziel<br />
muss es sein, möglichst allen Beschäftigten<br />
eine Teilnahme zu ermöglichen. Dies kann<br />
es bisweilen erforderlich machen, mehrere<br />
Versammlungen durchzuführen, die zu verschiedenen<br />
Zeiten stattfinden. Fahrtkosten,<br />
Wegezeiten und die Zeit der Teilnahme an der<br />
Betriebsversammlung sind dabei unter Beachtung<br />
der in § 44 Abs. 1 BetrVG aufgeführten<br />
Regeln zu entgelten.<br />
Aussprache unter gleichen<br />
In etlichen Betrieben gibt es keine offene<br />
Diskussionskultur. Vielmehr herrscht ein absolutes<br />
Schweigen, wenn der Geschäftsführer<br />
an der Betriebsversammlung teilnimmt.<br />
Die Angst vor Maßregelungen und sonstigen<br />
Nachteilen führt immer wieder dazu, dass die<br />
Versammlungsteilnehmer verstummen, sobald<br />
es zu dem Tagesordnungspunkt »Aussprache«<br />
kommt und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
um Diskussionsbeiträge oder Fragen gebeten<br />
werden.<br />
In so einem Fall sollte der Betriebsrat überlegen,<br />
auf eine »Aussprache« zu verzichten.<br />
Alternativ dazu können die Betriebsratsmitglieder<br />
Fragen stellen. Zu diesem Zweck – aber<br />
auch losgelöst davon – kann der Betriebsrat<br />
die Beschäftigten im Vorfeld der Betriebsversammlung<br />
bitten, ihm Fragen zukommen zu<br />
lassen, die von dem Arbeitgeber beantwortet<br />
werden sollen. <strong>Eine</strong> solche Verfahrensweise<br />
sichert die Anonymität und führt dem Arbeitgeber<br />
nicht selten vor Augen, welches Ansehen<br />
er in der Belegschaft hat.<br />
Bisweilen kann es sich anbieten, den Arbeitgeber<br />
vor der Behandlung sensibler Themen<br />
zu bitten, die Versammlung zu verlassen.<br />
<strong>Eine</strong> dahingehende Bitte kann auch im Vorfeld<br />
der Veranstaltung geäußert werden, sofern dies<br />
angebracht ist.<br />
Platzierung des Arbeitgebers<br />
Losgelöst von der Qualität der Diskussionskultur<br />
kann das Schweigen der Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer allein schon in dem Umstand<br />
begründet sein, dass der Arbeitgeber mit auf<br />
dem Podium sitzt und den Beschäftigten von<br />
einer erhöhten Position aus in die Augen<br />
schaut. Zur Lösung eines solchen Problems<br />
bietet es sich an, den Arbeitgeber in die erste<br />
Reihe so zu platzieren, dass er mit dem Rücken<br />
zur Belegschaft sitzt.<br />
Behinderung der Betriebsratsarbeit<br />
Um eine Behinderung der Betriebsratsarbeit –<br />
mithin um eine Straftat nach § 119 Abs. 1<br />
Nr. 2 BetrVG – kann es sich handeln, wenn es<br />
einem Beschäftigten untersagt wird, an einer<br />
Betriebsversammlung teilzunehmen. Weiter<br />
kann in einem derartigen Verhalten eine den<br />
Betriebsfrieden störende Handlung im Sinne<br />
des § 104 BetrVG zu sehen sein.<br />
Losgelöst von der rechtlichen Bewertung<br />
sollte der Betriebsrat überlegen, ein ausgesprochenes<br />
Teilnahmeverbot auf der Betriebsversammlung<br />
zu thematisieren. Schließlich<br />
ist nicht auszuschließen, dass es sich hierbei<br />
nicht um einen Einzelfall handelt.<br />
Gleiches gilt, wenn Beschäftigten ein bestimmter<br />
Geldbetrag oder geldwerter Vorteil<br />
für den Fall zugesagt wird, dass auf eine Versammlungsteilnahme<br />
verzichtet wird. Weiter<br />
gehört hierzu der Fall, dass Beschäftigten die<br />
Weisung erteilt wird, die Arbeit zu einer bestimmten<br />
Zeit wieder aufzunehmen, obwohl<br />
die Betriebsversammlung noch nicht ihr Ende<br />
gefunden hat.<br />
Zu guter Letzt: Geduld ist gefragt<br />
Niemand darf erwarten, dass sich die Teilnehmerzahlen<br />
rapide erhöhen, sobald der Betriebsrat<br />
an den Inhalten und/oder der Gestaltung<br />
der Betriebsversammlung gearbeitet hat.<br />
Es benötigt eine gewisse Zeit, bis sich in der<br />
Belegschaft herumgesprochen hat, dass diejenigen<br />
so einiges verpassen, die nicht an der<br />
Betriebsversammlung teilnehmen. Insoweit ist<br />
Geduld gefragt, die sich allerdings positiv auszahlen<br />
wird. v<br />
Dr. Martin Wolmerath,<br />
Rechtsanwalt in Hamm.<br />
www.wolmerath.de<br />
42
AiB 9 | 2016 Lernen durch Misserfolg grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Lernen durch<br />
Misserfolg<br />
scheitern Es beeindruckt, wenn sich Menschen nach Misserfolgen<br />
wieder nach oben arbeiten. Geht das auch im Betriebsrats-Alltag,<br />
wenn ein Projekt gescheitert ist? Antworten gibt Heinrich Wottawa.<br />
FRAGEN DER REDAKTION<br />
Aus Fehlern lernt man – sagt der<br />
Volksmund. Doch das ist nicht<br />
immer leicht. Wir fragten den Experten<br />
Prof. Wottawa.<br />
Welche Rolle spielen Fehler und Misserfolge<br />
beim Lernen? Lernen an Misserfolgen und Erfolgen<br />
ist wahrscheinlich die wichtigste Lernmöglichkeit<br />
überhaupt. So haben wir gehen<br />
und sprechen gelernt, und auch sehr viel zu<br />
unserem beruflichen Verhalten. Dabei macht<br />
am Erfolg lernen Spaß, am Misserfolg oft weniger.<br />
Genauer müsste es daher heißen »Man<br />
kann (oder könnte) aus Fehlern lernen«. Leider<br />
machen das viele nicht.<br />
Warum ist das so schwer? <strong>Eine</strong>r der Gründe<br />
dafür ist die sogenannte Hedonistische Verzerrung.<br />
Wenn ein Erfolg auftritt, sieht man sich<br />
selbst als Ursache dafür, wenn etwas daneben<br />
geht, liegt die Schuld bei anderen (oder am Zufall,<br />
man hatte »Pech«). Diesen Mechanismus<br />
brauchen auch alle, die Verantwortung tragen.<br />
Das ist auch der Grund, warum er mit steigendem<br />
Alter und zunehmender Verantwortung<br />
eher zunimmt. Manches Mal sind wohl auch<br />
ganze Gremien davon betroffen und werden<br />
lernunfähig. Man sollte sich schon bemühen,<br />
den eigenen Beitrag zu Misserfolgen zu erkennen,<br />
auch wenn es schwerfällt. Man kann aber<br />
auch aus Erfolgen das Falsche lernen.<br />
Wie kann das sein? Dazu gibt es ein klassisches<br />
Experiment: Wenn man einem Huhn<br />
Futter zeigt, läuft es dahin. Stellt man eine<br />
Glasscheibe zwischen Huhn und Futter, stößt<br />
es sich daran und lernt aus diesem »Misserfolg«,<br />
einen Umweg zu machen. Entfernt<br />
man später die Glasscheibe, bleibt das Huhn<br />
bei dem »erfolgreichen« Umweg. Auch Men-<br />
darum geht es<br />
1. Aus Fehlern zu lernen,<br />
ist oft mühsam. Es bringt<br />
aber weiter. Zu wenige<br />
Menschen tun es.<br />
2. Erfolge schreiben<br />
Menschen sich gern selber<br />
zu – Misserfolge den<br />
anderen oder den Umständen.<br />
Das erschwert<br />
es, aus Fehlern zu lernen.<br />
3. Nach einer Trauerphase<br />
über den Misserfolg<br />
sollten die Ursachen dafür<br />
und der eigene Anteil daran<br />
analysiert werden.<br />
Aus Fehlern lernen heißt,<br />
im Gremium Aufgaben<br />
gezielt neu zu verteilen<br />
und Maß nahmen gegen<br />
Schwachstellen einzuleiten.<br />
43
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Lernen durch Misserfolg<br />
AiB 9 | 2016<br />
Prof. Dr. Heinrich<br />
Wottawa ist emeritierter<br />
Psychologie-Professor<br />
an der Ruhr-Universität<br />
Bochum.<br />
schen bleiben oft lange bei einem bewährten<br />
Lösungsweg, auch wenn sich inzwischen die<br />
Welt geändert hat. Da kann ein Personalwechsel<br />
schon sehr hilfreich sein. Die Neuen wissen<br />
ja nicht, dass auf dem besten Weg zum Erfolg<br />
früher einmal eine »Glasscheibe« stand.<br />
Dieses Lernen findet ja üblicherweise an<br />
»normalen« Fehlern statt. Aber was tun,<br />
wenn es richtig kracht? Was ist eine angemessene<br />
Reaktion auf einen großen Misserfolg?<br />
Im Regelfall ist es sinnvoll, sich ausreichend<br />
Zeit zum emotionalen Verarbeiten<br />
dieses Schocks zu lassen und sich zumindest<br />
selbst die Verzweiflung, Wut oder Trauer zuzugeben.<br />
In dieser Aufregungsphase sollte man<br />
mit Aktionen sehr vorsichtig sein. Also nicht<br />
sofort »irgendwie« agieren, da vergrößert man<br />
oft nur den Schaden. Das sieht man ja leider<br />
oft bei Politikern, die sich angegriffen fühlen.<br />
Wenn man sich beruhigt hat, sollte man in<br />
Ruhe überlegen, welcher Schaden denn wirklich<br />
passiert ist. Lebensgefahr besteht selten,<br />
also wird es weitergehen. Die Frage ist nur,<br />
wie. Erst wenn man emotional so weit ist,<br />
kann man über den eigenen Beitrag zur »Katastrophe«<br />
nachdenken. War ich vielleicht<br />
doch auch irgendwie selbst ein wenig Schuld?<br />
Und woran lag es genau? Von der (ehrlichen)<br />
Antwort auf diese Frage hängt es ab, ob man<br />
im nächsten Schritt an seiner eigenen Kompetenzsteigerung<br />
arbeitet.<br />
In vielen Fällen ist aber ein Wechsel des<br />
Aufgabenbereichs viel erfolgsbringender und<br />
gesünder, als weiter eine Arbeit zu machen, die<br />
einem nicht wirklich liegt, vor allem bei fehlender<br />
emotionaler Passung. Denken Sie etwa an<br />
einen Innendienst-Mitarbeiter, der »freiwillig«<br />
in den Vertrieb gewechselt ist, aber überhaupt<br />
nicht zur Kundenakquisition passt. Man sollte<br />
unbedingt vermeiden, sich selbst den Optionsraum<br />
unnötig zu beschneiden. Subjektive<br />
Glaubenssätze wie »Ein anderes Unternehmen<br />
kommt für mich absolut nicht in Frage« oder<br />
»Ich kann doch von meiner Position nicht zurücktreten«<br />
sind schädliche Blockaden auf dem<br />
Weg zum Erfolg. Sehr viele Menschen sind bald<br />
nach einem Wechsel viel zufriedener.<br />
Unterscheiden sich bei der Reaktion auf Misserfolge<br />
Männer von Frauen? Ja, zumindest im<br />
Durchschnitt. Frauen zeigen die Hedonistische<br />
Verzerrung weniger stark. Das erhöht die Chance<br />
auf Lernen am Misserfolg, macht es aber<br />
emotional schwerer, mit Fehlern umzugehen.<br />
Können sich auch Betriebsratsgremien diese<br />
Erkenntnisse zunutze machen? Im Prinzip ja.<br />
Die psychologischen Mechanismen in Gremien<br />
sind aber oft viel komplexer als bei einer<br />
einzelnen Person. So kann etwa ein Misserfolg<br />
für einige Mitglieder durchaus erfreulich sein,<br />
etwa wenn der von ihnen ungeliebte Vorsitzenden<br />
daran schuld ist.<br />
Und wie können diese zum Beispiel mit gescheiterten<br />
Verhandlungen umgehen – was<br />
wären die ersten drei Schritte? Zuerst einmal<br />
den Frust und Ärger offen formulieren und gemeinsam<br />
»trauern«, also nicht gleich sagen, eigentlich<br />
sei ja gar nichts Ernstes passiert. Leider<br />
fällt das offene Zugeben von Misserfolgen vielen<br />
Leithammeln schwer. Dann bleiben die negativen<br />
Emotionen unter der Oberfläche, und<br />
»Erst wenn man<br />
emotional so<br />
weit ist, kann<br />
man über den<br />
eigenen Beitrag<br />
zur ›Katastrophe‹<br />
nachdenken.«<br />
HEINRICH WOTTAWA<br />
das tut einem Gremium auf Dauer nicht gut.<br />
Wenn die Emotionen abgeebbt sind, sollte man<br />
vernünftig die Ursachen analysieren. Auch das<br />
fällt oft sehr schwer, vor allem wenn es gremiumsinterne<br />
Tabus gibt. Rein fiktiv: »Klar, Herr<br />
X hat seine beste Zeit schon hinter sich – aber<br />
das kann man einem so verdienten Kollegen<br />
doch nicht sagen« oder »Y hat seine Durchsetzungskraft<br />
völlig überschätzt, aber das sage<br />
ich besser nicht, er wird ja wohl noch lange der<br />
starke Mann im Betriebsrat sein«. Wenn man<br />
eine den Fakten entsprechende Meinung über<br />
die Ursachen entwickelt hat, kann sich natürlich<br />
der Betriebsrat kein besser passendes Unternehmen<br />
oder andere Aufgaben suchen. Aber<br />
man kann etwa die Aufgaben im Gremium neu<br />
verteilen, und gezielt Maßnahmen gegen die<br />
Schwachstellen einleiten. v<br />
44
AiB 9 | 2016 Schmerzhafte Trennung grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Schmerzhafte<br />
Trennung<br />
spin-off Bei Spin-offs werden Unternehmensteile ausgegliedert. Oft<br />
wackeln Jobs. Ein Schreckgespenst für Beschäftigte. Was passiert mit<br />
ihnen und welche Handlungsmöglichkeiten haben Interessenvertreter?<br />
VON CHRISTOF BALKENHOL UND HENRIK STEINHAUS<br />
Im ersten Teil unseres Beitrages zu Spinoffs<br />
ging es darum, dass aus Managementwie<br />
auch aus Eigentümersicht durchaus<br />
gute Gründe für die Verselbständigung<br />
eines Unternehmensteils sprechen können. 1<br />
Was aber sind mögliche Konsequenzen eines<br />
Spin-Offs für die Beschäftigten? Auf jeden Fall<br />
sind die Auswirkungen langfristig spürbar, weil<br />
sich mit der Abspaltung vielfach die Rahmenbedingungen<br />
der betrieblichen Entwicklung<br />
grundlegend und nachhaltig verändern. Dabei<br />
entsteht oft eine große Verunsicherung bei Mitarbeitern<br />
und Betriebsräten. Die im Nachgang<br />
zur Abspaltung zu erwartende neue Eigentümerstruktur<br />
ist mit Blick auf ihre Stabilität<br />
und Verlässlichkeit nur schwer einzuschätzen.<br />
Betriebsräte reagieren daher oft sehr skeptisch,<br />
wenn sie mit Spin-Off-Konzepten konfrontiert<br />
werden. Sie haben die Sorge, dass mit der Abspaltung<br />
zwar vieles anders, aber wenig besser<br />
wird. Manches schlechte Beispiel aus der Praxis<br />
bestärkt Betriebsräte in dieser Haltung. <strong>Eine</strong><br />
pauschale Ablehnung durch den Betriebsrat<br />
hilft jedoch kaum weiter. <strong>Eine</strong>rseits kann er die<br />
Abspaltung durch seine Mitbestimmungsrechte<br />
zwar verzögern, jedoch nicht grundsätzlich<br />
verhindern. Zum anderen sollte der Betriebsrat<br />
auch den Blick auf die Chancen werfen, die mit<br />
Spin-Off aus Sicht der Arbeitnehmer durchaus<br />
verbunden sein können.<br />
Neue Perspektiven sichern Beschäftigung<br />
Wenn das Management eines Unternehmens<br />
die strategischen Entwicklungsmöglichkeiten<br />
eines Unternehmensbereiches nicht mehr<br />
erkennt beziehungsweise nicht in der Lage<br />
ist, diese zu nutzen, hat das in aller Regel<br />
unmittelbare praktische Konsequenzen: Investitionen<br />
werden zurückgefahren. Gerade<br />
in Konzernen lässt sich diese Entwicklung<br />
immer wieder beobachten. Unternehmensteile,<br />
die nicht zum strategischen Kern gehören,<br />
werden vernachlässigt. Das bedeutet: Wenig<br />
finanzielle Mittel und geringe Aufmerksamkeit<br />
des Managements. Damit droht aber auf<br />
mittlere Sicht ein systematisches Herunterwirtschaften<br />
mit den bekannten Folgen für<br />
die Beschäftigten. In einer solchen Situation<br />
kann die Abspaltung eines Unternehmensbereiches<br />
in der Tat eine neue Perspektive für<br />
die Mitarbeiter schaffen: Wenn neue Eigentümer<br />
tatsächlich ein Interesse an einer strategischen<br />
Weiterentwicklung des abgetrennten<br />
Unternehmensteils haben und dazu bereit<br />
sind, Investitionsmittel zur Verfügung zu stellen.<br />
In diesem Fall erschließen sich durch die<br />
Abspaltung neue Möglichkeiten zum Wachstum<br />
und damit auch zur Sicherung und zum<br />
Ausbau der Beschäftigung.<br />
Schlankere Entscheidungsstrukturen<br />
Mit der geplanten Herauslösung eines Unternehmensteils,<br />
ergibt sich die Notwendigkeit,<br />
klare Vorstellungen zur Weiterentwicklung<br />
dieses Unternehmensteils zu entwerfen und<br />
gegenüber (alten und neuen) Eigentümern<br />
und Mitarbeitern zu kommunizieren. Das betrifft<br />
auch zukünftige Aufbauorganisation und<br />
Steuerungsprozesse und führt bestenfalls auch<br />
zu einer Veränderung der Entscheidungs-<br />
darum geht es<br />
1. Betriebsräte sollten<br />
trotz Skepsis auch die<br />
Chancen sehen, die mit<br />
Spin-Offs verbunden<br />
sein können.<br />
2. Die Mitbestimmungsrechte<br />
bei Spin-Offs<br />
hängen davon ab, wie<br />
die Abspaltung abgewickelt<br />
wird.<br />
3. Interessenvertreter<br />
sollten sich Klarheit über<br />
die unternehmerischen<br />
Konzepte und die strategischen<br />
Perspektiven<br />
verschaffen.<br />
1 »Scheiden tut weh«, AiB 3/2016, S. 47.<br />
45
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Schmerzhafte Trennung<br />
AiB 9 | 2016<br />
definition<br />
Spin-Off bezeichnet in<br />
der Betriebswirtschaftslehre<br />
eine Abspaltung<br />
einer Geschäftseinheit<br />
aus einem Unternehmen<br />
und Unternehmensgründung<br />
mit diesem<br />
Teil zu einer eigenständigen<br />
Unternehmung.<br />
Beim Spin-Off ist es wichtig,<br />
klare Vorstellungen<br />
zur Weiterentwicklung<br />
des Unternehmensteils<br />
zu entwerfen und auch zu<br />
kommunizieren.<br />
strukturen und Arbeitsprozesse, die von den<br />
Mitarbeitern positiv wahrgenommen werden.<br />
So ist etwa zu beobachten, dass abgetrennte<br />
Unternehmensbereiche aus Großkonzernen<br />
nach einem Spin-Off neu gewonnene Freiheiten<br />
mit dezentralen Entscheidungsstrukturen<br />
begrüßen und nutzen. Mitarbeiter empfinden<br />
es unter diesen Umständen zum Beispiel als<br />
echten Fortschritt, wenn eine überbordende<br />
Kontrollneigung eines Konzerns abgelöst<br />
wird durch eine ergebnisorientierte und entscheidungsfreudige<br />
Unternehmenskultur in<br />
einer eher mittelständischen Struktur.<br />
Für viele Betriebsräte stehen im Umgang<br />
mit Abspaltungen allerdings weniger die<br />
Chancen, sondern in erster Linie die praktischen<br />
Problemfelder und die erkennbaren Risiken<br />
im Vordergrund.<br />
Komplexität (über-)fordert<br />
Ein Problemfeld liegt in der rechtlichen und<br />
wirtschaftlichen Komplexität des Abspaltungsvorganges.<br />
In aller Regel verknüpft das<br />
Management die Abspaltung unmittelbar mit<br />
einer Veränderung der Eigentümerstruktur.<br />
Vielfach wird dabei ein Börsengang für den abgetrennten<br />
Unternehmensbereich bevorzugt.<br />
Dieser Börsengang wiederum birgt eigene Risiken<br />
und Problemfelder, seine Planung und<br />
Vorbereitung bindet sehr viel Managementkapazität.<br />
Als besondere praktische Schwierigkeit<br />
erweist sich dabei die zeitliche Steuerung<br />
des Abspaltungsvorganges. Für Alt-Eigentümer<br />
ist ein gelungenes Börsendebüt von besonderer<br />
Bedeutung. Das Gelingen einer Börseneinführung<br />
hängt aber wesentlich vom aktuellen<br />
Klima an den Finanzmärkten ab. Dieses Klima<br />
kann mitunter sehr kurzfristig umschlagen.<br />
Bei einer Verschlechterung des Börsenklimas<br />
sehen sich Unternehmen dann oft veranlasst,<br />
eine bereits angekündigte Abspaltung mit Börsengang<br />
zu verschieben. Diese Unwägbarkeiten<br />
im Zeitplan sind auch für die betroffenen<br />
Mitarbeiter eine erhebliche Belastung, weil die<br />
Phase der Unsicherheit verlängert wird und<br />
keine verlässlichen Zeitpläne aufgestellt werden<br />
können.<br />
46
AiB 9 | 2016 Schmerzhafte Trennung grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Großbaustelle Aufteilung<br />
Gerade bei großen Spin-Off-Vorhaben sind in<br />
der Vorbereitung massive Umorganisationen<br />
erforderlich, um ein eigenständiges, voll funktionsfähiges<br />
Unternehmen zu gestalten. Immer<br />
wieder ist dabei die Frage des Aufteilens<br />
zu beantworten: Welche Mitarbeiter, welche<br />
Ressourcen, welche Standorte, welche Teile<br />
des Anlagevermögens, welche Teile der IT-Infrastruktur<br />
werden dem Spin-Off zugeordnet,<br />
welche Teile verbleiben in der Altorganisation?<br />
Diese Fragen sind sehr aufwändig und kompliziert.<br />
Dabei sind weitreichende gesellschaftsrechtliche,<br />
steuerrechtliche und nicht zuletzt<br />
auch arbeitsrechtliche Anforderungen und<br />
Rahmenbedingungen zu beachten. Gleichzeitig<br />
sollte in einer solchen Phase der Trennungsvorbereitung<br />
der Eindruck vermieden werden,<br />
dass der abzutrennende Geschäftsbereich<br />
nicht mit den für seine Weiterentwicklung notwendigen<br />
Ressourcen ausgestatten wird oder<br />
gar zur Entsorgungsstelle für Risiken und Altlasten<br />
verkümmert.<br />
Verunsicherung der Belegschaft<br />
Die Nachricht über eine mögliche Abspaltung<br />
eines Unternehmensbereiches löst bei<br />
den betroffenen Mitarbeitern regelmäßig große<br />
Verunsicherung aus. Vielfach macht sich<br />
Enttäuschung darüber breit, dass die jetzigen<br />
Eigentümer offensichtlich das Interesse am<br />
eigenen Geschäftsbereich verloren haben.<br />
Das empfinden gerade langjährige Mitarbeiter<br />
fast schon als Verrat. Daneben bleibt die<br />
Unsicherheit, wie denn im Nachgang zur Abspaltung<br />
die neue Eigentümerstruktur aussehen<br />
wird und was diese Eigentümer mit dem<br />
Unternehmen vorhaben. Diese in anderem<br />
Zusammenhang auch als »Mergersyndrom«<br />
bezeichnete Verunsicherung kann das Betriebsklima<br />
erheblich belasten.<br />
Nach der Trennung<br />
Die Praxis zeigt, dass im Nachgang zur Abspaltung<br />
mitunter massive Restrukturierungsprogramme<br />
in Verbindung mit erheblichem<br />
Personalabbau gestartet werden. So macht<br />
zum Beispiel die Osram AG, die 2014 aus<br />
dem Siemenskonzern als Spin-Off herausgelöste<br />
Lichtsparte, vor allem Schlagzeilen mit<br />
Restrukturierungs- und Personalabbauprogrammen.<br />
An solchen Stellen wird teilweise<br />
ein bestehender Rückstau zur Strukturanpassung<br />
vollzogen, den die Alteigentümer zwar<br />
erkannt haben, aber nicht mehr unter eigener<br />
Verantwortung umsetzen wollten. Zum anderen<br />
legt die Verselbständigung eines Geschäftsbereiches<br />
aber auch mögliche Strukturschwächen<br />
und Wettbewerbsnachteile<br />
schonungslos offen. In diesem Fall lassen sich<br />
solche Defizite nicht in komplexen Konzernverflechtungen<br />
verstecken. Deshalb fordern<br />
dann insbesondere im Fall börsennotierter<br />
Gesellschaften die Aktionäre entsprechende<br />
Anpassung und Sanierungsmaßnahmen und<br />
üben entsprechenden Druck auf das verantwortliche<br />
Management aus.<br />
Wo bleibt die Mitbestimmung?<br />
Bei der Beschreibung ist deutlich geworden,<br />
dass es sich bei der Abspaltung eines Unternehmensbereiches<br />
in erster Linie um eine<br />
Entscheidung der Eigentümer (Aktionäre, Gesellschafter)<br />
handelt, an der das Management<br />
mitwirkt. Aus diesem Blickwinkel findet die<br />
Grundsatzentscheidung, ob ein Unternehmensteil<br />
abgespalten wird, häufig nicht auf der betrieblichen<br />
Ebene statt und entzieht sich damit<br />
auch weitgehend den Mitbestimmungsrechten<br />
des Betriebsrates. Die konkreten Mitbestimmungsrechte<br />
bei der Umsetzung dieser Entscheidung<br />
hängen wesentlich davon ab, wie<br />
die Abspaltung strukturell und gesellschaftsrechtlich<br />
abgewickelt wird. Dabei sind grundsätzlich<br />
zwei Fälle zu unterscheiden.<br />
Fall 1: Der zur Abtrennung vorgesehene Geschäftsbereich<br />
ist bereits eine gesellschaftsrechtlich<br />
und organisatorisch eigenständige<br />
Unternehmenseinheit, deren Gesellschaftsanteile<br />
von einer Muttergesellschaft im Konzern<br />
gehalten wird.<br />
Fall 2: Der zur Abspaltung vorgesehene Geschäftsbereich<br />
ist weder gesellschaftsrechtlich<br />
eigenständig gefasst noch organisatorisch eigenständig,<br />
das heißt, es gibt Verflechtungen<br />
mit anderen Unternehmensbereichen zum<br />
Beispiel mit Blick auf Administrationsprozesse,<br />
HR-Funktionen, Finanzen und Rechnungswesen<br />
oder Einkauf.<br />
Im ersten Fall wird durch den Spin-Off ein Eigentümerwechsel<br />
vollzogen. Der Eigentümer<br />
recht<br />
Kündigungsschutz-<br />
verständlich<br />
Bertram Zwanziger / Silke Altmann<br />
Heike Schneppendahl<br />
Kündigungsschutzgesetz<br />
Basiskommentar zu KSchG, §§ 622, 623<br />
und 626 BGB, §§ 102, 103 BetrVG<br />
4., überarbeitete Auflage<br />
2015. 415 Seiten, kartoniert<br />
€ 34,90 | ISBN 978-3-7663-6347-3<br />
www.bund-verlag.de/6347<br />
kontakt@bund-verlag.de 47<br />
Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Schmerzhafte Trennung<br />
AiB 9 | 2016<br />
ist zukünftig nicht mehr die Muttergesellschaft<br />
im Konzern. Hier ist der Spin-Off-Prozess als<br />
Verkauf einer Gesellschaft aus einem Unternehmensverbund<br />
zu betrachten und wird in<br />
der Managementsprache als Mergers&Acquisitions<br />
(M&A)-Aktivität eingeordnet (Kauf<br />
und Verkauf von Unternehmen). Die formalen<br />
Rechte des Betriebsrats beschränken sich im<br />
Wesentlichen auf Informations- und Unterrichtungsansprüche.<br />
Der zweite Fall beschreibt dagegen ein klassisches<br />
Spin-Off. Dabei ist zuerst ein rechtlich<br />
und organisatorisch eigenständiges Unternehmen<br />
zu schaffen. Dazu ist in aller Regel eine<br />
Spaltung von Betrieben erforderlich. <strong>Eine</strong><br />
Spaltung von Betrieben zählt nach § 111<br />
BetrVG zu den betriebsändernden Maßnahmen.<br />
Damit kann der Betriebsrat die aus dem<br />
§ 111 und 112 BetrVG resultierenden Mitbestimmungsrechte<br />
einfordern.<br />
Informations- und Beratungsrechte<br />
Zunächst hat der Betriebsrat einen allgemeinen<br />
Informationsanspruch nach § 80 Abs. 2<br />
BetrVG. Der allgemeine Informationsanspruch<br />
besteht bei allen Maßnahmen, bei denen die<br />
Interessen der Beschäftigten tangiert werden.<br />
Es ist selbstverständlich nahe liegend, dass ein<br />
Spin-Off die Interessen der Beschäftigten in<br />
vielfacher Weise berührt. Das gilt sowohl für<br />
den Teil der Belegschaft, der in der Altorganisation<br />
verbleibt, als auch für den Teil der Belegschaft,<br />
der in die auszugliedernde Einheit<br />
übergehen soll.<br />
Darüber hinaus sei auch ausdrücklich auf<br />
die Arbeit des Wirtschaftsausschuss verwiesen,<br />
der nach § 106 BetrVG in Unternehmen<br />
mit mehr als 100 Beschäftigten zu bilden<br />
ist. Der Arbeitgeber hat den Wirtschaftsausschuss<br />
über wirtschaftliche Angelegenheit<br />
des Unternehmens zu unterrichten. Hierzu<br />
zählen auch Informationen über die geplante<br />
Ausgliederung oder Abspaltung eines Unternehmensbereiches.<br />
Bei Verschmelzungen oder Spaltungen<br />
sieht auch das Umwandlungsgesetz (UmwG)<br />
Rechte des Betriebsrats vor. So ist dem Betriebsrat<br />
der Verschmelzungsvertrag beziehungsweise<br />
der Spaltungsvertrag rechtzeitig<br />
zuzuleiten. Die Folgen für die Arbeitnehmer<br />
und die Arbeitnehmervertretungen sind in den<br />
Verträgen zu beschreiben. Das für das Handelsregister<br />
zuständige Gericht prüft, ob das<br />
Unternehmen den Betriebsrat ordnungsgemäß<br />
unterrichtet hat und die Informationen im<br />
Verschmelzungsvertrag oder Spaltungsvertrag<br />
hinsichtlich der Folgen für Arbeitnehmer und<br />
Arbeitnehmervertretungen ausreichend beschrieben<br />
sind.<br />
Spin-Off mitgestalten – Ansatzpunkte<br />
jenseits des BetrVG<br />
Die Praxisfälle aus der Beratung von Betriebsräten<br />
bei solchen Vorhaben weisen drauf hin,<br />
dass die Interessenvertreter durchaus gute<br />
Chancen habe, deutlich mehr Einfluss auf einen<br />
solchen Prozess auszuüben als im BetrVG<br />
beschrieben. Grundsätzlich haben sowohl<br />
das Management wie auch die Eigentümer<br />
ein starkes Interesse an einem möglichst reibungslosen<br />
Ablauf der Ausgliederung eines<br />
Unternehmensteils. Man möchte in jedem Fall<br />
zusätzliche Verunsicherungen bei den Beschäftigten<br />
und auch bei möglichen neuen Eigentümern<br />
vermeiden und unbedingt zeitliche<br />
Verzögerung in dem ohnehin sehr komplexen<br />
Prozessablauf eines Spin-Off vermeiden. Wenn<br />
sich in diesem Zusammenhang die Einsicht<br />
durchsetzt, dass der Betriebsrat darauf einen<br />
erheblichen Einfluss hat, wächst auch die Bereitschaft,<br />
die Interessenvertreter stärker als<br />
gesetzlich vorgeschrieben in einen solchen<br />
Prozess einzubinden.<br />
Die Interessenvertreter sollten ihre Möglichkeiten<br />
vor allem nutzen, um sich ausreichende<br />
Klarheit über die unternehmerischen<br />
Konzepte und die strategischen Perspektiven<br />
für die Ausgliederung zu verschaffen. Auf<br />
dieser Grundlage kann es dann auch gelingen,<br />
im Zuge der Ausgliederung verbindliche<br />
Vereinbarungen abzuschließen, die die Interessen<br />
der betroffenen Beschäftigten sichern<br />
(zum Beispiel Ausschluss von betriebsbedingten<br />
Kündigungen. Standortgarantien, Investitionszusagen).<br />
v<br />
Dr. Christof Balkenhol,<br />
Betriebswirt, Geschäftsführer<br />
Matrix GmbH, München.<br />
C.Balkenhol@matrix-partners.de<br />
Dr. Henrik Steinhaus,<br />
MatrixPartner Beratungs GmbH,<br />
München.<br />
h.steinhaus@matrixpartners.de<br />
48
AiB 9 | 2016 Müssen wir auch sonntags arbeiten? grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Müssen wir auch<br />
sonntags arbeiten?<br />
sonn- und feiertagsarbeit Mobile Kommunikationsmittel<br />
machen es möglich: Arbeiten auch an Sonn- und Feiertagen.<br />
Aber ist das erlaubt und was kann der Betriebsrat tun?<br />
VON JÜRGEN ULBER<br />
Unter dem Motto »Samstag gehört<br />
Vati mir« führte die IG Metall<br />
den Kampf um den arbeitsfreien<br />
Samstag. Der Sonn- und Feiertag<br />
spielte dabei keine Rolle, weil damals<br />
für jeden selbstverständlich war, dass diese<br />
Tage arbeitsfrei waren. Ein Blick in die statistischen<br />
Daten zeigt, dass sich die realen<br />
Verhältnisse seither erheblich verändert haben:<br />
30,4 Prozent der Beschäftigten arbeiten<br />
gelegentlich samstags, 13,8 Prozent auch<br />
sonntags. 1<br />
Ausnahmen von der Sonn- und<br />
Feiertagsruhe<br />
<strong>Eine</strong> Ursache dafür ist, dass im Arbeitszeitgesetz<br />
entgegen dem verfassungsrechtlichen<br />
Gebot der Sonn- und Feiertagsruhe 2 eine<br />
Fülle von Ausnahmebestimmungen geschaffen<br />
wurde. 3 Diese bieten Möglichkeiten an<br />
Sonn- und Feiertagen zu arbeiten. Daneben<br />
gehen die Aufsichtsbehörden (das sind die<br />
für die Überwachung des Arbeitszeitgesetzes<br />
nach Landesrecht zuständigen Behörden)<br />
großzügig mit Anträgen um, die auf den Erlass<br />
von Ausnahmebescheiden zur Sonn- und<br />
Feiertagsruhe gerichtet sind. Neue Gefahren<br />
drohen dem arbeitsfreien Wochenende jetzt<br />
durch die Möglichkeiten des mobilen Arbeitens<br />
und der damit verbundenen ständigen<br />
Erreichbarkeit auch am Wochenende. Ein<br />
Schutz der Beschäftigten kann nur erreicht<br />
werden, wenn im Betrieb geregelt wird, wann<br />
Wochenendarbeit zulässig ist und wie sie aussehen<br />
soll.<br />
Beschäftigungsverbot an Sonn- und<br />
Feiertagen<br />
Entsprechend der verfassungsrechtlichen Garantie<br />
der Sonn- und Feiertagsruhe (Art. 140<br />
Grundgesetz) dürfen Arbeitnehmer nach § 9<br />
Abs. 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) an Sonnund<br />
Feiertagen nicht beschäftigt werden. Für<br />
Selbständige ergibt sich aus dem Gebot der Arbeitsruhe<br />
bei öffentlich bemerkbaren gewerblichen<br />
Tätigkeiten 4 (beispielsweise der Betrieb<br />
von Autowaschanlagen, Werbeveranstaltungen<br />
gewerblicher Unternehmer) ein Verbot der Gewerbeausübung<br />
an Sonn- und Feiertagen. 5<br />
Damit ist jede Arbeit, die im Interesse des<br />
Betriebs geleistet wird, untersagt. Unerheblich<br />
ist hierbei, ob die Arbeit in den Räumen oder<br />
außerhalb des Betriebs geleistet werden soll.<br />
Heimarbeit oder Arbeiten im Versandhandel 6<br />
oder im Home-Office sind daher ebenso untersagt,<br />
wie die Nutzung jeglicher Kommunikationsmittel<br />
(beispielsweise Smartphones) im<br />
betrieblichen Interesse. Es kommt auch nicht<br />
darauf an, ob die Arbeiten im Rahmen der regelmäßigen<br />
Arbeitszeit oder als Mehrarbeit,<br />
Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst geleistet<br />
werden sollen.<br />
Das Beschäftigungsverbot gilt nach § 9<br />
Abs. 1 ArbZG in der Zeit von 0 bis 24 Uhr.<br />
Der Zeitrahmen ist dabei strikt einzuhalten.<br />
Soweit Arbeiten am Samstag bis 24 Uhr nicht<br />
vollständig erledigt werden können, dürfen<br />
Abschlussarbeiten (zum Beispiel Aufräumarbeiten<br />
7 ) nicht in den Sonntag hinein erledigt<br />
werden. Sie müssen am Samstag um 24 Uhr<br />
beendet und auf den Montag verschoben wer-<br />
darum geht es<br />
1. Sonn- und Feiertagsarbeit<br />
sind eigentlich<br />
gesetzlich verboten.<br />
2. Das Arbeitszeitgesetz<br />
macht aber zahlreiche<br />
Ausnahmen hiervon.<br />
3. Betriebsräte haben<br />
Mitbestimmungsrechte<br />
bei Sonn- und Feiertagsarbeit<br />
und sollten diese<br />
nutzen.<br />
1 Franz/Lehndorff, 2012, 32 ff.<br />
2 Buschmann/Ulber, ArbZG, 8. Aufl., § 9 Rdnr. 3.<br />
3 Vgl.. §§ 10, 13 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 bis 5, 14 Abs. 1 ArbZG.<br />
4 OVG Münster 9.5.1984, NJW 1985, 4<br />
5 Buschmann/Ulber, ArbZG, 8. Aufl., § 9 Rdnr. 11.<br />
6 BVerwG 26.11.2014 – 6 CN 1.13, AiB 10/2015, 63.<br />
7 BVerwG 4.12.2014 – 8B 66.14.<br />
49
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Müssen wir auch sonntags arbeiten?<br />
AiB 9 | 2016<br />
definitionen<br />
Arbeitsbereitschaft<br />
Arbeitsbereitschaft<br />
liegt vor, wenn sich der<br />
Arbeitnehmer an seinem<br />
Arbeitsplatz aufhalten<br />
und je nach Bedarf von<br />
sich aus jederzeit die<br />
Arbeit aufnehmen muss,<br />
falls das erforderlich ist.<br />
Bereitschaftsdienst<br />
Bereitschaftsdienst ist die<br />
Zeitspanne, während der<br />
der Arbeitnehmer, ohne<br />
dass er unmittelbar am<br />
Arbeitsplatz anwesend<br />
sein müsste, sich für Zwecke<br />
des Betriebes oder der<br />
Dienststelle an einer vom<br />
Arbeitgeber bestimmten<br />
Stelle innerhalb oder<br />
außerhalb des Betriebes<br />
aufzuhalten hat, damit<br />
er seine volle Arbeitstätigkeit<br />
sofort oder bald<br />
aufnehmen kann.<br />
Rufbereitschaft<br />
Die Rufbereitschaft ist<br />
eine besondere Form des<br />
Bereitschaftsdienstes.<br />
Dabei muss der Arbeitnehmer,<br />
ohne persönlich<br />
am Arbeitsplatz anwesend<br />
sein zu müssen,<br />
ständig für den Arbeitgeber<br />
erreichbar sein,<br />
um auf Abruf die Arbeit<br />
aufnehmen zu können.<br />
den. Gleiches gilt für Vorarbeiten, die die Aufnahme<br />
der Arbeiten am Montag betreffen. 8<br />
Verstöße gegen das Beschäftigungsverbot<br />
Das Beschäftigungsverbot muss sowohl vom<br />
Arbeitgeber als auch vom Betriebsrat und<br />
vom Beschäftigten selbst eingehalten werden.<br />
<strong>Eine</strong> hiergegen verstoßende Betriebsvereinbarung<br />
oder Weisung des Arbeitgebers ist nach<br />
§ 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam.<br />
Ordnet der Arbeitgeber an, dass der<br />
Arbeitnehmer an Sonn- oder Feiertagen über<br />
mobile Arbeits- und Kommunikationsmittel<br />
erreichbar sein soll, ist diese Weisung unzulässig.<br />
Dem Arbeitgeber ist es auch verboten,<br />
Sonn- und Feiertagsarbeit des Arbeitnehmers<br />
stillschweigend zu dulden oder den Arbeitnehmer<br />
auf freiwilliger Basis sonn- oder feiertags<br />
arbeiten zu lassen. 9 Er hat alle Vorkehrungen<br />
zu treffen, Sonn- und Feiertagsarbeit<br />
zu unterbinden. Bei Verstößen hat der Betriebsrat<br />
einen Unterlassungsanspruch. 10<br />
Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und<br />
Feiertagsarbeit<br />
Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit<br />
sind nur zulässig 11 , wenn dies im Gesetz<br />
gestattet ist. In den Fällen, in denen eine<br />
Bewilligung der Aufsichtsbehörde erforderlich<br />
ist, 12 muss die Genehmigung vorliegen, bevor<br />
mit der Sonntagsarbeit begonnen wird. Auch<br />
bei zulässiger Sonntagsarbeit ist das Gebot zur<br />
Minimierung von Sonntagsarbeit zu beachten.<br />
Danach ist erforderlich, dass die Arbeiten<br />
nicht an Werktagen vorgenommen werden<br />
können. Dies gilt nicht nur nach § 10 ArbZG,<br />
der in bestimmten Bereichen (Gaststätten,<br />
Verkehrsbetriebe, Rundfunk) Ausnahmen<br />
vorsieht, sondern auch für alle sonstigen Ausnahmetatbestände,<br />
wenn die Arbeitsleistungen<br />
(zum Beispiel durch Vorarbeiten) auch an einem<br />
Werktag erbracht werden können. 13 Auch<br />
mobile Kommunikationsmittel dürfen nur genutzt<br />
werden, wenn Sonntagsarbeit erlaubt ist<br />
und sie unaufschiebbar ist.<br />
Höchstarbeitszeiten beachten<br />
Nach § 3 ArbZG darf die acht Stunden betragende<br />
tägliche Arbeitszeit auf höchstens 10<br />
Stunden verlängert werden, wenn innerhalb<br />
von sechs Kalendermonaten im Durchschnitt<br />
»30,4 Prozent<br />
der Beschäftigten<br />
arbeiten samstags;<br />
14,8 Prozent<br />
auch sonntags.«<br />
acht Stunden werktäglich nicht überschritten<br />
werden. Sonn- und Feiertagsarbeit ist hierbei<br />
nach § 11 Abs. 2 ArbZG zu berücksichtigen.<br />
Zur Arbeitszeit zählen auch Stunden der Arbeitsbereitschaft<br />
(Arbeitnehmer muss sich an<br />
seinem Arbeitsplatz aufhalten und je nach<br />
Bedarf von sich aus jederzeit die Arbeit aufnehmen,<br />
falls das erforderlich ist) und des Bereitschaftsdienstes<br />
(Beschäftigter muss sich in<br />
unmittelbarer Nähe des Betriebs aufhalten, um<br />
bei Bedarf möglichst rasch die Arbeit aufnehmen<br />
zu können) sowie Zeiten der abgerufenen<br />
Arbeit bei Rufbereitschaft. Muss der Arbeitnehmer<br />
mobil erreichbar sein, ohne in irgendeiner<br />
Form zum Einsatz zu kommen, liegt Rufbereitschaft<br />
vor, die keine Arbeitszeit ist und<br />
keine Auswirkungen auf die Höchstarbeitszeit<br />
oder die elfstündige Ruhezeit hat. 14<br />
Rufbereitschaft liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer<br />
seinen Aufenthaltsort frei wählen<br />
kann. Dies ist nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer<br />
vom häuslichen Arbeitsplatz aus<br />
bei Bedarf Dienstleistungen zu erbringen hat.<br />
Daneben muss der Arbeitnehmer während der<br />
Rufbereitschaft über die arbeitsfreie Zeit frei<br />
verfügen können. Dies ist nicht gegeben, wenn<br />
die Arbeiten auch sonntags regelmäßig anfallen<br />
und eine ständige Erreichbarkeit erfordern<br />
(bei Wahrnehmung von call-center- Funktionen<br />
15 ). Erfüllt die Arbeit nicht die Voraussetzungen<br />
der Rufbereitschaft, ist sie vollständig<br />
als Arbeitszeit nach dem ArbZG zu behandeln.<br />
Ruhepausen und …<br />
FRANZ/LEHNDORFF<br />
Soweit an Sonn- und Feiertagen gearbeitet<br />
wird, müssen dem Arbeitnehmer, die in § 4<br />
ArbZG vorgeschriebenen Ruhepausen ge-<br />
50<br />
8 Zu Ausnahmen vgl. § 10 Nr. 14 ArbZG.<br />
9 BAG 24.2.2005 – 2 AZR 211/04.<br />
10 LAG Hamm 8.9.2015 – 7 TaBVGa 5/15.<br />
11 Vgl. hierzu die Kommentierung bei Buschmann/Ulber, ArbZG,<br />
§§ 9 ff.<br />
12 Z.B. §§ 13 Abs. 3 bis 5, 15 Abs. 1 und 2 ArbZG.<br />
13 Vgl. BVerwG 26.11.2014 – 6 CN 1.13 – AiB 10/15, 63.<br />
14 BAG 11.7.2006 – 9 AZR 519/05, AuA 4/07, S. 246.<br />
15 Zur eingeschränkten Zulässigkeit von Sonntagsarbeit in callcentern<br />
vgl. BVerwG 26.11.2014 – 6 CN 1/13, BVerwGE 150,<br />
327 – 346.
AiB 9 | 2016 Müssen wir auch sonntags arbeiten? grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Für eine ganze Reihe<br />
von Branchen gibt es<br />
Ausnahmevorschriften<br />
von dem Verbot der<br />
Sonntagsarbeit. Geregelt<br />
sind diese in § 10<br />
ArbZG. Betroffen sind<br />
zum Beispiel Rettungsdienste,<br />
Arbeitnehmer in<br />
Gaststätten, auf Messen,<br />
in Verkehrsbetrieben und<br />
im Bewachungsgewerbe.<br />
währt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob<br />
die Arbeit innerhalb oder außerhalb des Betriebs<br />
erbracht wird. Wird Sonntagsarbeit unter<br />
Nutzung von Smartphones außerhalb des<br />
Betriebs erbracht, sind die Pausen ebenfalls<br />
einzuhalten, wobei vor Beginn der Arbeit feststehen<br />
muss, wann die Pause genommen wird.<br />
... Ruhezeiten<br />
Arbeitet der Arbeitnehmer an einem Wochentag,<br />
ist ihm nach § 5 Abs. 1 ArbZG unabhängig<br />
von der Dauer der geleisteten Arbeit eine<br />
ununterbrochene Ruhezeit von 11 Stunden zu<br />
gewähren. Leistet der Arbeitnehmer an einem<br />
Sonn- oder Feiertag Arbeit, verlängert sich die<br />
Ruhezeit nach § 11 Abs. 4 ArbZG auf 35 zusammenhängende<br />
Stunden, in denen keine<br />
Arbeit (auch nicht im Rahmen von Rufbereitschaft)<br />
geleistet werden darf. Auf den Umfang<br />
der geleisteten Arbeit kommt es hierbei nicht<br />
an. Der Ersatzruhetag ist dem Arbeitnehmer<br />
nach § 11 Abs. 3 und 4 ArbZG in der Zeit<br />
von Montag bis Samstag zu gewähren Nach<br />
Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG)<br />
kann der Ersatzruhetag (mit Ausnahme einer<br />
6-Tage-Woche) auch auf einen ohnehin arbeitsfreien<br />
Werktag der Woche gelegt werden.<br />
Bei Sonntagsarbeit ist der Ausgleich innerhalb<br />
von zwei Wochen, bei Feiertagsarbeit innerhalb<br />
von acht Wochen zu gewähren (§ 11<br />
Abs. 3 ArbZG).<br />
Vertragliche Grundlagen der Sonnund<br />
Feiertagsarbeit<br />
§ 9 ArbZG verbietet die Sonn- und Feiertagsarbeit.<br />
Das schließt sowohl entgegenstehende<br />
arbeitsvertragliche und kollektive Regelungen<br />
als auch Weisungen des Arbeitgebers im Einzelfall<br />
aus. Bei Verstößen darf der Arbeitnehmer<br />
die Arbeitsleistung verweigern.<br />
Für Fälle, in denen die Sonn- oder Feiertagsarbeit<br />
ausnahmsweise zulässig ist, kann<br />
sowohl arbeits- als auch tarifvertraglich eine<br />
Pflicht zur Sonn- und Feiertagsarbeit vereinbart<br />
werden. Umstritten ist, ob der Arbeitgeber<br />
auch ohne vertragliche Grundlage Sonn- und<br />
Feiertagsarbeit anordnen darf. Dies ist nach<br />
Auffassung des BAG entgegen den Schutzzwecken<br />
von Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV<br />
der Fall. 16 Auch hier hat der Arbeitgeber die<br />
Interessen des Arbeitnehmers angemessen<br />
zu berücksichtigen und die Arbeiten auf das<br />
erforderliche Mindestmaß zu beschränken.<br />
Insbesondere muss die Teilnahme an Gottesdiensten<br />
ermöglicht werden, andernfalls kann<br />
die Arbeitsleistung verweigert werden. 17<br />
Mitbestimmung des Betriebsrats bei<br />
Sonn- und Feiertagsarbeit<br />
Soll sonn- oder feiertags gearbeitet werden,<br />
betrifft dies immer Beginn, Ende und Lage<br />
der Arbeitszeit, so dass der Betriebsrat nach<br />
gut zu wissen<br />
Nach Art.139 der<br />
Wei ma rer Reichs verfas<br />
sung (WRV) sind die<br />
Sonn ta ge »als Ta ge der<br />
Ar beits ru he und der seeli<br />
schen Er he bung<br />
ge setz lich geschützt«.<br />
Da die ser Ar ti kel der<br />
WRV von Art. 140<br />
Grund ge setz (GG) zum<br />
Be stand teil des GG<br />
ge macht wird, ist der<br />
Schutz der Sonn tags ru he<br />
ver fas sungs recht lich<br />
fest ge schrie ben.<br />
16 BAG 15.9.2009 – 9 AZR 757/08, DB 2009, 2551; a.A. Buschmann/<br />
Ulber, ArbZG, § 9 Rdnr.. 20.<br />
17 LAG Hamm 8.11.2007, AuA 2008, 304.<br />
51
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Müssen wir auch sonntags arbeiten?<br />
AiB 9 | 2016<br />
Auch Straßenbauarbeiten<br />
am Sonntag bedürfen in<br />
den meisten Fällen einer<br />
Genehmigung.<br />
§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitbestimmen kann.<br />
Bestimmt der Betriebsrat nicht mit, darf der<br />
Arbeitgeber keine Sonn- oder Feiertagsarbeit<br />
anordnen oder dulden. Das Mitbestimmungsrecht<br />
des Betriebsrats besteht auch, wenn Beschäftigte<br />
an Sonn- oder Feiertagen mobil erreichbar<br />
sein müssen, da hier Rufbereitschaft<br />
vorliegt, 18 deren Einführung ebenfalls mitbestimmungspflichtig<br />
ist.<br />
Mitbestimmen bei Beginn, Ende und Lage<br />
der Arbeitszeit<br />
Solange das Mitbestimmungsverfahren nicht<br />
abgeschlossen ist, steht dem Betriebsrat ein Anspruch<br />
gegen den Arbeitgeber auf Unterlassung<br />
zu. Das kann er auch im Schnellverfahren – im<br />
Wege der einstweiligen Verfügung – geltend<br />
machen. 19 Dies gilt unabhängig davon, ob die<br />
Sonn- oder Feiertagsarbeit nach §§ 9 ff. ArbZG<br />
zulässig oder unzulässig ist. Der Anspruch<br />
besteht auch, wenn der Arbeitnehmer eigenmächtig<br />
sonntags arbeitet. Der Arbeitgeber ist<br />
in diesem Fall verpflichtet, alles zu tun, um das<br />
rechtswidrige Verhalten zu unterbinden. Verbote<br />
zum Betreten des Betriebsgeländes sind hier<br />
ebenso geeignet wie die Sperrung der elektronischen<br />
Kommunikationsmöglichkeit oder die<br />
Anordnung des Verbleibs der Kommunikationsmittel<br />
im Betrieb an Sonn- und Feiertagen.<br />
Bei der Ausübung des Mitbestimmungsrechts<br />
muss der Betriebsrat sorgfältig prüfen,<br />
ob die Voraussetzungen eines gesetzlichen<br />
Ausnahmetatbestands erfüllt sind. In den Fällen,<br />
in denen eine behördliche Ausnahmegenehmigung<br />
erforderlich ist, darf der Betriebsrat<br />
nur zustimmen, wenn ihm der Bescheid<br />
der Aufsichtsbehörde vorgelegt werden kann.<br />
Will der Betriebsrat dem Antrag des Arbeitgebers<br />
zustimmen, ist es wichtig, dass die Sonnund<br />
Feiertagsarbeit auf das geringst mögliche<br />
Maß reduziert bleibt. Der Arbeitgeber ist verpflichtet,<br />
alle technischen und arbeitsorganisatorischen<br />
Gestaltungsalternativen zu nutzen,<br />
um Sonntagsarbeit auszuschließen oder<br />
zu minimieren. 20<br />
Bei der Lage der Arbeitszeit sind insbesondere<br />
die Pausen- und Ruhezeiten nach §§ 4f.<br />
ArbZG zu beachten. Pausenzeiten müssen<br />
feststehen, bevor die Arbeit aufgenommen<br />
wird. Daneben muss dem Arbeitnehmer eine<br />
Mindestruhezeit von elf Stunden gewährt worden<br />
sein, bevor er die Arbeit an Sonn- und<br />
Feiertagen aufnimmt. Auch ist ihm nach Beendigung<br />
der Arbeit (bei Rufbereitschaft nach<br />
dem letzten Einsatz) ebenfalls eine Ruhezeit<br />
von mindestens elf Stunden zu gewähren, bevor<br />
die Arbeit am darauffolgenden Wochentag<br />
wieder aufgenommen wird. Soweit sich hierdurch<br />
der Beginn der regelmäßigen Arbeitszeit<br />
nach hinten verschiebt, sollte der Betriebsrat<br />
die Zustimmung zur Sonntagsarbeit nur erteilen,<br />
wenn der Arbeitgeber das entstehende<br />
Zeitsoll vergütet, ohne dass der Arbeitnehmer<br />
zur Vor- oder Nachleistung verpflichtet ist. Andernfalls<br />
verliert der Arbeitnehmer für die ausgefallene<br />
Arbeitszeit den Vergütungsanspruch.<br />
Mitbestimmen bei der Lage<br />
des Ersatzruhetags<br />
Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 2<br />
BetrVG auch über die zeitliche Lage des Ersatzruhetags<br />
von 35 zusammenhängenden<br />
Stunden mitzubestimmen. Dabei sollte im<br />
Rahmen der Schichtplangestaltung darauf geachtet<br />
werden, dass der Ersatzruhetag nicht auf<br />
einen ohnehin arbeitsfreien Tag (insbesondere<br />
den Samstag) fällt, was vom BAG für zulässig<br />
erachtet wird. 21 Wird der Ersatzruhetag von 35<br />
Stunden auf den Samstag gelegt, ist es wichtig,<br />
dass zusätzlich zu diesen 35 Stunden im Zusammenhang<br />
mit den anschließenden Sonntag<br />
eine weitere Ruhezeit zu gewähren ist.<br />
In jedem Fall Arbeit erfassen<br />
Nach § 16 Abs. 2 ArbZG muss der Arbeitgeber<br />
die an Sonn- und Feiertagen geleistete<br />
Arbeitszeit aufzeichnen und die Zeitnachweise<br />
mindestens zwei Jahre aufbewahren. 22<br />
Die Nachweise müssen genaue Angaben über<br />
Zeitpunkt und Dauer der Tätigkeit enthal-<br />
18 BAG 11.7.2006 – 9 AZR 519/05, AuA 2007, S. 246.<br />
19 LAG Hamm 8.9.2015 – 7 TaBVGa 5/15.<br />
20 BVerwG 19.9.2000, AuR 2000, 468 m. Anm. Ulber.<br />
21 BAG 12.12.2001, AuR 2002, 307.<br />
22 BAG 6.5.2003 – 1 ABR 13/02, AiB 2003, 749.<br />
52
AiB 9 | 2016 Müssen wir auch sonntags arbeiten? grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
ten. Der Betriebsrat hat hier einen uneingeschränkten<br />
Informationsanspruch auf die an<br />
Sonn- und Feiertagen geleisteten Arbeitszeiten.<br />
Hierbei sind ihm alle von § 16 Abs. 2<br />
ArbZG geforderten Unterlagen zur Verfügung<br />
zu stellen. Ergibt sich bei der Prüfung<br />
ein Verstoß gegen eine Betriebsvereinbarung<br />
zur Arbeitszeit, steht dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch<br />
zu.<br />
§ 16 ArbZG gilt auch, wenn Arbeitnehmer<br />
außerhalb des Betriebs arbeiten oder<br />
ihre Arbeitsleistung über mobile Kommunikationsmittel<br />
erbringen. Soweit hier die Arbeitszeit<br />
des Arbeitnehmers nur im Wege der<br />
Selbstaufzeichnung dokumentiert werden<br />
kann 23 , ist der Arbeitgeber zur Nacherfassung<br />
verpflichtet. Ebenso wie bei der Vertrauensarbeitszeit<br />
ist mit der Selbstaufzeichnung die<br />
»Das Motto muss<br />
hier lauten:<br />
Wird der Laptop<br />
angestellt,<br />
tickt die Zeit uhr<br />
im System!«<br />
JÜRGEN ULBER<br />
Gefahr einer gesteigerten Selbstausbeutung<br />
verbunden. Von daher sollte der Betriebsrat<br />
darauf hinwirken, dass auch an Sonn- und<br />
Feiertagen geleistete Arbeitszeiten elektronisch<br />
erfasst werden. Die heutigen Kommunikationsmittel<br />
lassen eine derartige Erfassung<br />
weitgehend zu. Dies gilt nicht nur für die Benutzungspflicht<br />
digitaler Kontrollgeräte im<br />
Straßenverkehr (wie Fahrtenschreiber). 24 Die<br />
Software zur Zeiterfassung kann so gestaltet<br />
werden, dass alle unter Nutzung mobiler<br />
Kommunikationsmittel geleisteten Arbeitszeiten<br />
weitgehend erfasst werden. Das Motto<br />
muss hier lauten: Wird der Laptop angestellt,<br />
tickt die Zeituhr im System!<br />
Besteht im Betrieb ein System der Zeiterfassung,<br />
kann der Betriebsrat im Rahmen<br />
der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6<br />
BetrVG fordern, dass auch an Sonn- und<br />
Feiertagen sowie außerhalb des Betriebs geleistete<br />
Arbeitszeiten erfasst werden. Dies gilt<br />
auch bei der Nutzung mobiler Kommunikationsmittel,<br />
insbesondere bei Telearbeit im<br />
<strong>online</strong>-Betrieb. 25 Entgegen den Schutzzwecken<br />
von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG besteht<br />
nach Ansicht des BAG 26 bei technischen<br />
Zeiterfassungssystemen kein Initiativrecht<br />
des Betriebsrats bei deren Einführung. Diese<br />
Auffassung wird den Schutzzwecken der<br />
Zeiterfassung (insbesondere bei Arbeitszeitkonten)<br />
nicht mehr gerecht. Nach richtiger<br />
Auffassung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg<br />
steht dem Betriebsrat daher<br />
heute auch ein Initiativrecht bei der Einführung<br />
und Abschaffung von Zeiterfassungssystemen<br />
zu. 27 Der Betriebsrat kann im Rahmen<br />
des Mitbestimmungsrechts bei Sonntagsarbeit<br />
nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG seine<br />
Zustimmung davon abhängig machen, ob die<br />
Arbeitszeiten an Sonn- und Feiertagen elektronisch<br />
erfasst werden.<br />
Zusammenarbeit mit der Aufsichtsbehörde<br />
Für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen<br />
zur Sonn- und Feiertagsarbeit sind<br />
nach § 17 ArbZG die Aufsichtsbehörden zuständig.<br />
Hat der Betriebsrat Zweifel, ob Sonnoder<br />
Feiertagsarbeit nach § 10 ArbZG zulässig<br />
ist, kann er sich nach § 13 Abs. 3 Nr. 1 ArbZG<br />
neben dem betroffenen Arbeitnehmer an die<br />
zuständige Aufsichtsbehörde wenden und behördlich<br />
feststellen lassen, ob die Voraussetzungen<br />
der Ausnahmevorschrift tatsächlich<br />
erfüllt sind. Stellt die Behörde fest, dass Sonntagsarbeit<br />
zulässig ist, kann der Betriebsrat<br />
oder ein von der Sonntagsarbeit betroffener<br />
Arbeitnehmer dagegen mit dem Widerspruch<br />
und einer Anfechtungsklage vorgehen. 28 Dasselbe<br />
gilt, wenn die Aufsichtsbehörde nach<br />
§ 13 Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4 und 5 ArbZG eine<br />
Ausnahmebewilligung erteilt hat. Auch die<br />
im Betrieb vertretenen Gewerkschaften sind<br />
klagebefugt. 29 Widerspruch und Anfechtungsklage<br />
haben nach § 80 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung<br />
aufschiebende Wirkung, das<br />
bedeutet, dass der Arbeitgeber bis zum rechtskräftigen<br />
Abschluss des Verfahrens auf die<br />
Sonntagsarbeit verzichten muss. v<br />
Jürgen Ulber ist Jurist bei der IG Metall-<br />
Vorstands verwaltung in Frankfurt am Main und<br />
Experte zu den Themen AÜG, AEntG und ArbZG.<br />
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23 Zur eingeschränkten Wirksamkeit von entsprechenden Regelungen<br />
vgl. Buschmann/Ulber, ArbZG, § 16 Rdnr. 14 ff.<br />
24 Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a) der VO (EWG) Nr. 3821/85, VO (EWG)<br />
Nr. 2134/98 und VO (EG) 1360/2002 Anhang 1b.<br />
25 Fitting, BetrVG, § 87 Rdnr. 246.<br />
26 BAG 28.11.1989, AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Einführung; a.A.<br />
DKKW- Klebe, § 87 Rdnr. 166; Fitting, § 87 Rdnr. 251.<br />
27 LAG BB 22.1.2015 – 10 TaBV 1812/14, AiB 10/2015, 59.<br />
28 BVerwG 19.9.2000, AuR 2000, 468 m. Anm. Ulber.; Buschmann/<br />
Ulber, ArbZG, § 13 Rn. 36<br />
29 VGH Hessen 22.3.2013 – B 836/13; BayVGH v. 18.12.2015 – 22<br />
CS. 15.2716.<br />
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echtsprechung<br />
AiB 9 | 2016<br />
expertenrat<br />
Antworten auf<br />
Ihre Fragen<br />
Kann der Antrag auf<br />
Elternzeit per Telefax oder<br />
per E-Mail gestellt werden?<br />
Ist Umkleidezeit<br />
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Silvia Mittländer ist Fachanwältin<br />
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antwort Nein, so hat es das Bundesarbeitsgericht<br />
(BAG) entschieden. 1 <strong>Eine</strong> Rechtsanwaltsfachangestellte<br />
hat kurz nach der Entbindung<br />
ihres Kindes im Juni 2013 ihrem Arbeitgeber<br />
per Telefax mitgeteilt, dass sie gleich nach dem<br />
Mutterschutz für zwei Jahre Elternzeit in Anspruch<br />
nehmen wird. Unmittelbar nach Ablauf<br />
der Mutterschutzfrist wurde ihr Arbeitsverhältnis<br />
gekündigt. Die Mutter wehrte sich und<br />
berief sich auf den Sonderkündigungsschutz<br />
nach § 18 Abs. 1 S. 1 Bundeselterngeld- und<br />
Elternzeitgesetz (BEEG). Das BAG hat die<br />
Klage jedoch abgwiesen, weil kein wirksamer<br />
Antrag auf Elternzeit vorliegt. Das Schreiben<br />
vom Juni 2013 wurde nur als Telefax versandt.<br />
Damit ist die zwingende Schriftform<br />
des § 16 Abs. 1 BEEG jedoch nicht eingehalten.<br />
Nach dieser Regelung muss die Elternzeit<br />
spätestens sieben Wochen vor dem geplanten<br />
Beginn schriftlich beantragt werden. Nach<br />
§ 126 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)<br />
bedeutet dies, dass die Mutter (oder der Vater)<br />
den Antrag eigenhändig mit Namen oder<br />
mittels notariell beglaubigten Handzeichens<br />
unterschreiben muss. Dies war nicht geschehen,<br />
denn das Telefax stellt nur eine Kopie der<br />
Unterschrift dar und enthält gerade nicht den<br />
Originalnamenszug. Da die Mutter somit die<br />
Schriftform nicht wahrte, befand sie sich zum<br />
Zeitpunkt der Kündigung nicht in Elternzeit,<br />
so dass sie den besonderen Kündigungsschutz<br />
nicht beanspruchen konnte. Das BAG hat ausdrücklich<br />
darauf hingewiesen, dass auch eine<br />
E-Mail nicht die Schriftform wahrt. Dies sollten<br />
alle Beschäftigten beachten, die Elternzeit<br />
beanspruchen wollen.<br />
antwort Ja, jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber<br />
das Tragen von Dienstkleidung anordnet.<br />
So hat es das Landesarbeitsgericht (LAG)<br />
Hamm entschieden. 2 Ein Arbeitgeber verlangt<br />
von seinen Beschäftigten das Tragen von<br />
Dienstkleidung. Die Kleidung muss zudem im<br />
Betrieb bleiben, so dass Beschäftigte sich im<br />
Betrieb in einem hierfür vorgesehenen Raum<br />
umziehen müssen. Ferner verlangt der Arbeitgeber,<br />
dass das An- und Abmelden zur Arbeit<br />
erst nach An- und vor Ablegen der Dienstkleidung<br />
erfolgt. Dies führt dazu, dass die Umkleidezeit<br />
nicht vergütet wird. Ein Beschäftigter<br />
hat sich dagegen gewehrt und den Arbeitgeber<br />
auf Zahlung dieser Zeiten verklagt. Der Klage<br />
hat das LAG stattgegeben. Es begründet dies<br />
damit, dass die Vergütungspflicht des § 611<br />
Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht<br />
nur die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung<br />
umfasst, sondern darüber hinaus alle Tätigkeiten<br />
und Maßnahmen, die der Arbeitgeber verlangt<br />
und die unmittelbar mit der geschuldeten<br />
Leistung zusammenhängen. Vergütungspflichtig<br />
ist also jede Tätigkeit, die ausschließlich das<br />
Bedürfnis des Arbeitgebers erfüllt. Damit ist<br />
auch das Umkleiden von der Vergütungspflicht<br />
erfasst, denn der Arbeitgeber verlangt von den<br />
Beschäftigten das Tragen von Dienstkleidung.<br />
Die Erbringung der vertraglich geschuldeten<br />
Tätigkeit ist ohne Dienstkleidung untersagt.<br />
Damit existiert auch ein unmittelbarer Zusammenhang<br />
zu der geschuldeten Tätigkeit. Der<br />
Arbeitgeber gibt auch den Ort des Umkleidens<br />
vor, so dass dies auf sein Verlangen geschieht<br />
und seinen Bedürfnissen dient. Daher muss er<br />
für Umkleidezeit zahlen.<br />
1 BAG 10.5.2016 – 9 AZR 145/15. 2 LAG Hamm 23.11.2015 – 16 Sa 494/15.<br />
54
AiB 9 | 2016<br />
rechtsprechung<br />
arbeitskleidung<br />
Arbeitgeber muss Kosten für Reinigung<br />
der Arbeitskleidung übernehmen<br />
BAG 14.6.2016 – 9 AZR 181/15<br />
In Lebensmittel verarbeitenden Betrieben muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass<br />
die Beschäftigten saubere und geeignete Hygienekleidung tragen. Zu seinen Pflichten<br />
gehört auch das Reinigen dieser Kleidung auf eigene Kosten.<br />
Schlachthof-Betreiber zieht<br />
Reinigungskosten ab<br />
Der Arbeitgeber betreibt einen Schachthof.<br />
Er stellt den Arbeitnehmern, die das Fleisch<br />
verarbeiten, weiße Hygienekleidung zur Verfügung<br />
und lässt diese auch reinigen. Die Reinigungskosten<br />
wollte der Arbeitgeber auf die Belegschaft<br />
abwälzen und zog den Beschäftigten<br />
monatlich rund zehn Euro vom Nettolohn ab.<br />
Es bestand keine arbeitsvertragliche oder betriebliche<br />
Vereinbarung, nach der die Arbeitnehmer<br />
die Reinigungskosten zu tragen haben.<br />
Die monatlichen Abzüge wollte ein Arbeitnehmer<br />
nicht hinnehmen und klagte auf Nachzahlung<br />
des Betrags für die vergangenen Monate.<br />
Der Arbeitnehmer gewann und erhielt rückwirkend<br />
knapp 400 Euro an abgezogenen Reinigungskosten.<br />
Arbeitgeber ist selbst zur Reinigung<br />
verpflichtet<br />
Die Richter entschieden, dass der Arbeit geber<br />
die Kosten für das Reinigen der Hygienekleidung<br />
zu bezahlen hat. Die Kosten sind<br />
von demjenigen zu tragen, in dessen Interesse<br />
diese vorgenommen wurden. Der Arbeit geber<br />
hatte die Reinigungskosten nicht im Interesse<br />
der Arbeitnehmer, sondern im Eigeninteresse<br />
aufgewendet, um eine eigene Rechtspflicht zu<br />
erfüllen.<br />
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) verwies<br />
auf eine EU-Verordnung (Verordnung (EG)<br />
Nr. 852/2004 vom 29. April 2004 über Lebensmittelhygiene).<br />
Nach der Verordnung müssen<br />
Personen, die in einem Bereich arbeiten, in<br />
dem mit Lebensmitteln umgegangen wird, geeignete<br />
und saubere Arbeitskleidung tragen.<br />
Der Arbeitgeber hatte daher für geeignete und<br />
saubere Kleidung zu sorgen.<br />
Die Vorschrift gilt zwar nur für den Sonderfall<br />
der Hygienekleidung in der Lebensmittelproduktion.<br />
Die EU-Verordnung ist aber nicht die<br />
einzige einschlägige Rechtsgrundlage. Schon<br />
§ 618 BGB stellt klar, dass Schutzkleidung, die<br />
aus hygienischen Gründen getragen werden<br />
muss vom Arbeitgeber gestellt und gereinigt<br />
werden muss. 1<br />
} Praxistipp:<br />
Kann der Arbeitgeber Reinigungskosten<br />
auf den Arbeitnehmer umlegen?<br />
Im hier entschiedenen Fall enthielten die<br />
Arbeitsverträge keine Klausel zur Frage<br />
der Reinigungskosten. Dazu bestand auch<br />
keine Betriebsvereinbarung. Daher mussten<br />
die Richter nicht entscheiden, ob der<br />
Arbeitgeber seine Kosten wirksam auf den<br />
Arbeitnehmer abwälzen konnte.<br />
Verwendet der Arbeitgeber standardmäßig<br />
eine Klausel im Arbeitsvertrag, mit der die<br />
Reinigungskosten dem Arbeitnehmer auferlegt<br />
werden, unterliegt diese den Vorschriften<br />
für Allgemeine Geschäftsbedingungen<br />
(AGB). <strong>Eine</strong> Vorschrift, mit der die Kostentragungspflicht<br />
auf die Arbeitnehmer umgelegt<br />
wird, wäre bei Hygienekleidung nach<br />
§ 307 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam.<br />
Denn die Schutzkleidung müssen<br />
die Arbeitnehmer tragen, weil der Arbeitgelesetipp<br />
Arbeitskleidung: »Kein<br />
Zankapfel mehr« von<br />
Achim Thannheiser in<br />
} } AiB 4/2014, S. 58 – 61.<br />
aib-web.de<br />
} } Aktuelle Rechtsprechung<br />
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AiB-Recht sprechungs-<br />
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1 So schon: Landesarbeitsgericht (LAG) Nieder sachsen 11.6.2002 –<br />
3 Sa 350/02; LAG Düsseldorf 26.4.2001 – 13 Sa 1804/00.<br />
55
echtsprechung<br />
AiB 9 | 2016<br />
ber dazu öffentlich-rechtlich verpflichtet ist,<br />
um seinen Betrieb führen zu können. <strong>Eine</strong><br />
Abwälzung wäre daher eine unbillige Belastung<br />
der Arbeitnehmer.<br />
Kein Lohnabzug ohne Rechtsgrundlage<br />
Das BAG hätte möglicherweise anders entschieden,<br />
wenn die Arbeitskleidung nicht<br />
der Erfüllung hygienischer Vorschriften<br />
gedient hätte. Dennoch könnten Arbeitnehmer<br />
sich dagegen wehren, wenn der<br />
Arbeitgeber Reinigungskosten ohne rechtliche<br />
Grundlage vom Lohn abzieht. Auch<br />
}<br />
wenn der Arbeitgeber eine Reinigungspauschale<br />
aufgrund einer arbeitsvertraglichen<br />
Regelung abzieht, kann diese unzulässig<br />
sein. Hier sollte man sich rechtlichen Rat<br />
besorgen. Ist die Schutzkleidung aus Gründen<br />
des Arbeitsschutzes notwendig, kann<br />
ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1<br />
Nr. 7 BetrVG bestehen und der Betriebsrat<br />
könnte sich für die Arbeitnehmer stark machen,<br />
indem er über eine Betriebsvereinbarung<br />
verhandelt.<br />
}<br />
Bettina Krämer LL.M., DGB Rechtsschutz GmbH.<br />
betriebsrat<br />
Auflösung bleibt Ausnahme<br />
LAG Berlin-Brandenburg 4.2.2016 – 10 TaBV 2078/15 (nicht rechtskräftig)<br />
Verletzt der Betriebsrat seine Pflichten in besonders schwerwiegender Weise,<br />
kann das Arbeitsgericht das Gremium auflösen. Ein Fehlverhalten von<br />
einzelnen Mitgliedern reicht jedoch nicht aus, ebenso wenig das Verhalten<br />
des Vertreters vor Gericht.<br />
In dem Beschlussverfahren konnte nicht festgestellt<br />
werden, dass die erhobenen Vorwürfe<br />
den Betriebsrat als Organ betreffen. Selbst<br />
wenn verschiedene Beschlüsse erst zu einem<br />
späteren Zeitpunkt gefasst und anschließend<br />
rückdatiert wurden, könne daraus nicht geschlossen<br />
werden, dass damit das gesamte<br />
Gremium befasst war. Die Mitteilungen an<br />
den Arbeitgeber sind per E-Mail jeweils durch<br />
einzelne Betriebsrats-Mitglieder erfolgt. Auch<br />
konnte das Gericht nicht erkennen, dass der<br />
Betriebsrat deren gesetzwidriges Verhalten gelesetipp<br />
Wenn der Arbeitgeber<br />
Betriebsratsmitglieder<br />
angreift: »Sich gegen<br />
Angriffe wehren« von<br />
Manfred Wulff in<br />
}}<br />
AiB 3/2015, S. 18 – 21.<br />
Der in 2013 erstmals gewählte Betriebsrat hat<br />
im Rahmen einer Sitzung die Teilnahme seiner<br />
Mitglieder an verschiedenen Schulungen<br />
beschlossen. Überwiegend handelte es sich<br />
dabei um Veranstaltungen zur Vermittlung<br />
von Grundkenntnissen. Der Arbeitgeber wurde<br />
über den Beschluss informiert. Auch teilte<br />
der Vorsitzende des Betriebsrats die genauen<br />
Daten sowie die vorgesehenen Betriebsratsmitglieder<br />
namentlich mit.<br />
Arbeitgeber behauptet Täuschung<br />
bei Beschlüssen<br />
In einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht<br />
wollte der Betriebsrat feststellen lassen, dass<br />
die Teilnahme an den Schulungen erforderlich<br />
und die Mitglieder von ihrer Arbeitspflicht freizustellen<br />
sind. In diesem Zusammenhang warf<br />
der Arbeitgeber dem Betriebsrat vor, dass die<br />
Beschlüsse mit denen die Betriebsratsmitglieder<br />
zu den Schulungen entsandt werden sollten,<br />
erst später getroffen und dann rückdatiert<br />
worden seien. Dies stelle eine grobe Pflichtverletzung<br />
dar. Der Arbeitgeber hat beantragt den<br />
Betriebsrat aufzulösen.<br />
Fehlverhalten Einzelner nicht<br />
übertragbar<br />
56
AiB 9 | 2016<br />
rechtsprechung<br />
billigt oder unterstützt hätte. Außerdem führen<br />
Äußerungen des Prozessbevollmächtigten des<br />
Betriebsrats vor Gericht nicht dazu, dass der<br />
Arbeitnehmervertretung eine grobe Verletzung<br />
betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten angelastet<br />
werden kann.<br />
}}<br />
Praxistipp: Auflösung und Ausschluss<br />
Nach § 23 Abs. 1 BetrVG kann der Arbeitgeber<br />
beim Arbeitsgericht die Auflösung des<br />
Betriebsrats wegen grober Verletzung der<br />
gesetzlichen Pflichten beantragen. Bei der<br />
Entscheidung sind die besonders einschneidenden<br />
Folgen für die Arbeitnehmervertreter<br />
zu berücksichtigen.<br />
Betriebsrat soll seine Pflichten<br />
wahrnehmen<br />
Die Vorschrift dient dem Zweck, dass der<br />
Betriebsrat seine Pflichten aus dem BetrVG<br />
ernst nimmt und nicht in grober Weise verletzt.<br />
Allerdings geht es nicht darum, dass<br />
er für ein Fehlverhalten aus der Vergangenheit<br />
bestraft wird. Entscheidend ist, ob<br />
die weitere Amtsausübung für die Zukunft<br />
nicht mehr zumutbar ist. Dies kann bei wiederholten<br />
Verstößen gegen das Gebot der<br />
vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem<br />
Arbeitgeber vorliegen. Dazu gehört grundsätzlich<br />
auch das nachträgliche Anfertigen<br />
falscher Beschlüsse durch den gesamten<br />
Betriebsrat.<br />
Einzelne Mitglieder ausschließen<br />
Liegt keine Pflichtverletzung des Betriebsrats<br />
als Organ vor, sondern haben einzelne<br />
Mitglieder sich grob falsch verhalten, können<br />
diese auf Antrag durch das Arbeitsgericht<br />
ausgeschlossen werden (§ 23 Abs. 1,<br />
1. Alternative BetrVG). Dazu gehören Beleidigungen<br />
anderer Betriebsratsmitglieder,<br />
Verletzungen der Schweigepflicht oder auch<br />
das Annehmen von Geschenken um die<br />
Amtsführung zu beeinflussen. Das Gesetz<br />
fordert eine grobe Pflichtverletzung: Die<br />
Funktionsfähigkeit des Betriebsrats muss<br />
bedroht oder lahmgelegt sein. Wenn lediglich<br />
das Vertrauensverhältnis erschüttert ist,<br />
reicht das aber nicht aus.<br />
Jens Pfanne, DGB Rechtsschutz GmbH.<br />
freistellung<br />
Abmeldepflicht für freigestellte<br />
Betriebsräte<br />
BAG 24.2.2016 – 7 ABR 20/14<br />
Ein Arbeitnehmer muss sich abmelden, wenn er den Betrieb verlässt, um Aufgaben<br />
oder privaten Belangen nachzugehen. Das gilt auch für freigestellte Betriebsrats -<br />
mitglieder. Allerdings müssen sie dem Arbeitgeber nicht mitteilen, wohin sie gehen.<br />
Es genügt die Angabe, dass es sich um eine Betriebsratstätigkeit handelt.<br />
Mehrere freigestellte Betriebsratsmitglieder<br />
wollen einen Anwalt aufsuchen, um sich rechtlich<br />
beraten zu lassen. Ihr Arbeitgeber hat eine<br />
Dienstanweisung zu Dienstreisen ausgegeben.<br />
Diese legt fest, wie die Dienstreisen beantragt,<br />
durchgeführt und abgerechnet werden. Der<br />
Arbeitgeber will im Dienstreiseantrag wissen,<br />
von wann bis wann die Abwesenheit im Betrieb<br />
dauern soll, wohin die Reise geht, welchen<br />
Zweck sie hat und mit wem der Antrag-<br />
57
echtsprechung<br />
AiB 9 | 2016<br />
lesetipp<br />
»Vergütung – Wieviel<br />
verdienen freigestellte<br />
Betriebsräte?« von<br />
Marc-Oliver Schulze und<br />
Eva Ratzesberger aus<br />
}}<br />
AiB 6/2016, S. 22 – 24.<br />
steller sich treffen will. Diese Angaben verlangt<br />
der Arbeitgeber auch von den Betriebsratsmitgliedern.<br />
Der Hinweis auf Betriebsratsarbeit<br />
genügt seiner Meinung nach nicht. Die Betriebsratsmitglieder<br />
sind der Auffassung, dass<br />
sie weder über die Dauer, noch den Ort und<br />
auch nicht den Inhalt zur Auskunft verpflichtet<br />
sind.<br />
Freistellung und Abmeldepflicht<br />
Der Grundsatz der Freistellung ist in § 37<br />
Abs. 2 BetrVG festgeschrieben. Betriebsratsmitglieder<br />
sind ohne Minderung des Entgelts<br />
von der Arbeit freizustellen, soweit dies für<br />
eine ordnungsgemäße Betriebsratstätigkeit erforderlich<br />
ist.<br />
Ein nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied<br />
muss sich bei Verlassen des Arbeitsplatzes<br />
beim Arbeitgeber abmelden, die voraussichtliche<br />
Dauer der Abwesenheit mitteilen und sich<br />
zurückmelden. 1<br />
Hintergrund ist zum einen das Gebot der vertrauensvollen<br />
Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1<br />
BetrVG). Zum anderen ist die Abmeldung am<br />
Arbeitsplatz auch eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht<br />
im Sinne von § 241 Absatz 2 des<br />
Bürgerliches Gesetzbuchs (BGB). Bei nicht<br />
freigestellten Betriebsratsmitgliedern ist diese<br />
Rechtsprechung leicht nachvollziehbar. Der<br />
Arbeitgeber muss im Stande sein, die Arbeitsabläufe<br />
umzuorganisieren, damit Störungen<br />
im Betriebsablauf vermieden werden können.<br />
Was gilt für dauernd freigestellte<br />
Betriebsräte?<br />
Freigestellte Betriebsratsmitglieder erbringen<br />
keine Arbeitsleistung. Sie sind aber nur<br />
von der Arbeitsleistung, nicht aber von der<br />
Anwesenheitspflicht befreit. Freigestellte Betriebsratsmitglieder<br />
müssen sich während der<br />
Arbeitszeit am Sitz des Betriebsrats, also im<br />
Betrieb aufhalten, um anfallende Betriebsratstätigkeiten<br />
zu erledigen. Daher müssen<br />
sich auch freigestellte Betriebsratsmitglieder<br />
bei Verlassen des Betriebes abmelden und<br />
wieder zurückmelden. Der Arbeitgeber hat<br />
ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren,<br />
ob ihm ein freigestelltes Betriebsratsmitglied<br />
im Betrieb als Ansprechpartner zur Verfügung<br />
steht oder ob er sich an ein anderes Mitglied<br />
wenden muss. Der Verweis auf die Erreichbarkeit<br />
über ein Mobiltelefon genügt nicht. Denn<br />
das Betriebsratsmitglied muss vor Ort verfügbar<br />
sein, falls beispielsweise Unterlagen eingesehen<br />
oder übergeben werden müssen.<br />
Was gilt in Großbetrieben?<br />
Die Frage, ob diese Regelung auch in größeren<br />
Betrieben mit entsprechenden Entfernungen<br />
gilt, hat das Gericht offen gelassen. In den Urteilen<br />
wird immer vom Verlassen des Betriebes<br />
ausgegangen. Daher ist eine Abmeldung<br />
für Wege des Betriebsratsmitglieds innerhalb<br />
des Betriebsgeländes nicht erforderlich, auch<br />
wenn das Gelände weitläufig sein sollte.<br />
Die Anweisung des Arbeitgebers zu Dienstreise<br />
ist daher nicht einschlägig. Freigestellte<br />
Betriebsratsmitglieder treten keine Dienstreise<br />
an, wenn sie im Rahmen ihres Mandats Termine<br />
außerhalb des Betriebs wahrnehmen. Sie<br />
nehmen betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben<br />
im Rahmen ihrer Funktion als Betriebsratsmitglied<br />
wahr.<br />
}}<br />
Praxistipp:<br />
Was muss der Arbeitsgeber erfahren?<br />
Das Betriebsratsmitglied muss dem Arbeitgeber<br />
seine Abwesenheit im Betrieb einschließlich<br />
der voraussichtlichen Dauer<br />
mitteilen. Dies gilt für sowohl für freigestellte<br />
als auch für nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder.<br />
Darüber hinaus bleibt die<br />
Neugier des Arbeitgebers unbefriedigt. Den<br />
Inhalt der geplanten Betriebsratstätigkeit<br />
muss das freigestellte Betriebsratsmitglied<br />
nicht mitteilen.<br />
Genauere Angaben können nötig werden,<br />
wenn der Betriebsrat will, dass der Arbeitgeber<br />
im Rahmen seiner Kostentragungspflicht<br />
nach § 40 Abs. 1 BetrVG Reisekosten<br />
übernimmt. Hier gilt grundsätzlich, dass<br />
der Betriebsrat die Interessen des Arbeitgebers<br />
und das Interesse der Belegschaft<br />
an der Betriebsratstätigkeit abwägen muss,<br />
bevor er Kosten verursacht. Das heißt maßvolle,<br />
aber nicht übertriebene <strong>Ausgabe</strong>n.<br />
<strong>Eine</strong> Flugreise zu einem Anwalt wird in der<br />
Regel nicht erforderlich sein, denn Anwälte<br />
gibt es auch vor Ort.<br />
Margit Körlings, DGB Rechtsschutz GmbH.<br />
1 ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG),<br />
vgl. BAG 29.6.2011 – 7 ABR 135/09 Rn. 20.<br />
58
AiB 9 | 2016<br />
rechtsprechung<br />
betriebsratswahl<br />
Betriebsratswahl im Hauptbetrieb<br />
und im Betriebsteil<br />
LAG Düsseldorf 13.1.2016 – 12 TaBV 67/14 (rechtskräftig)<br />
Stimmen Beschäftigte in einem Betriebsteil für die Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb,<br />
kann die Betriebsratswahl nicht angefochten werden, wenn eine dort beschäftigte Aushilfs kraft<br />
als Einzige nicht über die Abstimmung in Kenntnis gesetzt wurde. Es genügt auch, dass<br />
die Abstimmung nur von einem wahlberechtigten Arbeitnehmer veranlasst wurde, wenn die<br />
anderen Arbeitnehmer am Abstimmungsprozess teilnehmen.<br />
Arbeitnehmer wollen sich an Betriebsratswahl<br />
im Hauptbetrieb beteiligen<br />
Die Arbeitgeberin, eine Partnerschaftsgesellschaft<br />
von Architekten, hat ihre Geschäftsleitung<br />
in E. Sie bietet ihre Dienstleistungen an<br />
verschiedenen Standorten an. Am Standort in<br />
T. beschlossen die Beschäftigten auf Initiative<br />
einer Mitarbeiterin einstimmig, sich an der bevorstehenden<br />
Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb<br />
zu beteiligen. Dies geschah allerdings<br />
in Abwesenheit einer nicht informierten Aushilfskraft.<br />
Die Arbeitgeberin hat die Wahl angefochten<br />
und geltend gemacht, sie betreibe in T.<br />
und M. selbständige Betriebe. Die Wahl sei aber<br />
auch wegen einer fehlerhaften Abstimmung<br />
über die Teilnahme an der Wahl unwirksam.<br />
Wahlanfechtung der Arbeitgeberin hatte<br />
auch vor LAG keinen Erfolg<br />
Nach Beweisaufnahme ist das Landesarbeitsgericht<br />
(LAG) zu dem Ergebnis gelangt, dass die<br />
Entscheidungen in personellen und sozialen<br />
Angelegenheiten an den Standorten in vielen<br />
Fällen in Abstimmung mit der Geschäftsführung<br />
in E. erfolgen. Die Arbeitgeberin hat in E.<br />
keinen eigenen Betrieb und der Standort in T.<br />
ist Betriebsteil nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.<br />
Beschäftigte von Betriebsteilen<br />
haben die Wahl<br />
Betriebsteile sind selbständige Betriebe, wenn<br />
sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1<br />
BetrVG (mindestens 5 ständige wahlberechtigte<br />
Arbeitnehmer, von denen 3 wählbar sind)<br />
erfüllen und 1. räumlich weit vom Hauptbetrieb<br />
entfernt oder 2. durch Aufgabengebiet<br />
und Organisation eigenständig sind. Das heißt,<br />
sie sind zwar keine Betriebe, werden aber als<br />
solche behandelt. Die Beschäftigten dieser Betriebsteile<br />
haben die Möglichkeit, entweder einen<br />
eigenen Betriebsrat zu wählen oder aber<br />
nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zu beschließen,<br />
an der Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb<br />
teilzunehmen.<br />
Formlose Abstimmung reicht aus<br />
Das Gesetz sieht vor, dass die Beteiligung mit<br />
Stimmenmehrheit beschlossen werden muss<br />
und lässt eine formlose Abstimmung genügen.<br />
Nicht geregelt ist, welche Rechtsfolgen<br />
es hat, wenn nicht alle Beschäftigten über die<br />
Abstimmung informiert werden und deshalb<br />
nicht alle an ihr teilnehmen. Das LAG hält es<br />
zwar für erforderlich, dass alle Wahlberechtigten<br />
vor der Abstimmung informiert werden. Es<br />
verneint aber, dass der Arbeitgeber die Wahl<br />
anfechten konnte, weil die Aushilfskraft nicht<br />
informiert wurde. Denn die Mehrheit für die<br />
Beteiligung an der Wahl im Hauptbetrieb war<br />
auch ohne Mitwirkung der Aushilfskraft erreicht.<br />
Auch nicht geregelt sind die Rechtsfolgen,<br />
wenn die Initiative zur Abstimmung von<br />
weniger als 3 Mitarbeitern ausgeht. Nach § 4<br />
Abs. 1 BetrVG gilt § 3 Abs. 3 Satz 2 entsprechend,<br />
der bestimmt, dass mindestens drei<br />
wahlberechtigte Arbeitnehmer die Abstimmung<br />
veranlassen müssen. Nach Meinung des<br />
LAG ist es ausreichend, dass nur eine Mitar-<br />
59
echtsprechung<br />
AiB 9 | 2016<br />
beiterin die Abstimmung veranlasst hat, da<br />
sich die übrigen Beschäftigten die Initiative<br />
durch ihre Beteiligung an der Abstimmung zu<br />
Eigen gemacht hätten.<br />
}}<br />
Praxistipp:<br />
Die Teilnahme an der Betriebsratswahl im<br />
Hauptbetrieb kann vor allem für die Beschäftigten<br />
in kleineren, betriebsratsfähigen<br />
Betriebsteilen eine gute Alternative zur<br />
Wahl eines eigenen Betriebsrats sein. Die<br />
Frage, welche Anforderungen an die Beschlussfassung<br />
zu stellen sind und welche<br />
Fehler die Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb<br />
anfechtbar machen, ist mit vielen<br />
Unsicherheiten verbunden und durch die<br />
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts<br />
(BAG) noch nicht geklärt.<br />
Achtung: Betriebsbegriff muss klar sein<br />
<strong>Eine</strong> Betriebsratswahl ist nach § 19 BetrVG<br />
anfechtbar, wenn der Betriebsbegriff falsch<br />
verstanden wird. Wenn etwa die Beschäftigten<br />
in einem Betriebsteil ohne Abstimmung<br />
an der Betriebsratswahl im Hauptbetrieb<br />
teilnehmen, kann die Wahl im Hauptbetrieb<br />
mit Erfolg angefochten werden. Schwierig<br />
zu bestimmen sind jedoch die Rechtsfolgen,<br />
wenn es zu einzelnen Fehlern bei der Vorbereitung<br />
oder Durchführung der Abstimmung<br />
kommt. Zuzustimmen ist dem LAG<br />
darin, dass kein Anfechtungsgrund besteht,<br />
wenn weniger als drei wahlberechtigte Arbeitnehmer<br />
die Abstimmung initiieren, weil<br />
dieser Mangel durch einen ordnungsgemäßen<br />
Abstimmungsprozess geheilt wird.<br />
Allen Abstimmungsberechtigten sollte<br />
Einflussnahme möglich sein<br />
Dagegen ist sehr fraglich, ob auch dann<br />
kein Anfechtungsgrund besteht, wenn nicht<br />
alle im Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmer<br />
über Zeit und Ort der Abstimmung<br />
informiert wurden. Denn es muss allen<br />
Abstimmungsberechtigten die Möglichkeit<br />
gegeben werden, auf die Meinungs- und<br />
Willensbildung Einfluss zu nehmen. <strong>Eine</strong><br />
ähnliche Interessenlage besteht bei Abstimmungen<br />
im Betriebsrat. Dort ist anerkannt,<br />
dass in einer Sitzung gefasste Beschlüsse<br />
unwirksam sind, wenn nicht alle Betriebsratsmitglieder<br />
ordnungsgemäß zu der Sitzung<br />
geladen wurden.<br />
Ingrid Heinlein, Vors. Richterin am Landesarbeitsgericht<br />
a.D., Rechtsanwältin,<br />
Anwaltsbüro Bell & Windirsch, Düsseldorf.<br />
mindestlohn<br />
Anrechnung der Sonderzahlungen<br />
auf Mindestlohn<br />
BAG 25.5.2016 – 5 AZR 135/16<br />
Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Arbeitgeber Sonderzahlungen wie<br />
Urlaubs- und Weihnachtsgeld verrechnen, wenn er den Mindestlohn einführt.<br />
Es kommt auf die konkrete Ausgestaltung der Zahlung an.<br />
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich erstmals<br />
mit der Anrechnung von Urlaubs- und<br />
Weihnachtsgeld auf den gesetzlichen Mindestlohn<br />
auseinandergesetzt. Das Ergebnis ist für<br />
Arbeitnehmer ernüchternd. Das BAG hat die<br />
vorangegangene Entscheidung des Landes-<br />
60
AiB 9 | 2016<br />
rechtsprechung<br />
arbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg<br />
bestätigt. 1 In einigen Fällen dürfte die Anrechnung<br />
rechtmäßig sein.<br />
Die Klägerin des Falls erhielt weniger als<br />
8,50 Euro je Arbeitsstunde und damit einen<br />
nach dem Mindestlohngesetz an sich unzulässig<br />
niedrigen Lohn. Daneben zahlte der Arbeitgeber<br />
jedoch Urlaubs- und Weihnachtsgeld,<br />
welches sie monatlich zu jeweils 1/12 erhielt.<br />
Insgesamt wurde der Betrag von 8,50 Euro damit<br />
erreicht.<br />
Monatliche Zahlung und Gegenleistung<br />
für Arbeitsleistung<br />
Das BAG sah dies als zulässig an, den Vorgaben<br />
des Mindestlohngesetzes würde der Arbeitgeber<br />
so gerecht. Entscheidend war zum<br />
einen, dass die Sonderzahlungen monatlich<br />
gezahlt wurden und damit zu dem für den<br />
Mindestlohn maßgeblichen Fälligkeitstermin.<br />
Alle Beschäftigten sollten<br />
informiert werden<br />
Zum anderen war entscheidend, dass die<br />
Sonderzahlungen als Gegenleistung für die<br />
Arbeitsleistung angesehen werden könnten.<br />
Das sei dann der Fall, wenn ihre Auszahlung<br />
lediglich an den Bestand des Arbeitsverhältnisses<br />
geknüpft sei. Wenn mit der Sonderzahlung<br />
hingegen die Betriebstreue oder ähnliches belohnt<br />
werden sollte, sei eine Anrechnung nicht<br />
möglich. Auch eine Urlaubsgeldzahlung, die<br />
an die tatsächliche Inanspruchnahme von Urlaub<br />
geknüpft ist, und damit die höheren Aufwendungen<br />
dafür abdecken soll, wäre wohl<br />
nicht anrechenbar.<br />
}}<br />
Praxistipp: Vorsicht beim Abschluss<br />
von Betriebsvereinbarungen<br />
Im entschiedenen Fall war die monatliche<br />
Auszahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld<br />
in einer Betriebsvereinbarung geregelt<br />
worden. In allen zukünftigen Fällen, in denen<br />
der Arbeitgeber im Niedriglohnbereich<br />
eine solche Regelung anstrebt, ist klar, worauf<br />
er im Zweifel hinauswill: auf eine Anrechenbarkeit<br />
der Sonderzahlungen auf den<br />
Mindestlohn. Betriebsräte sollten sich daher<br />
vor Abschluss einer solchen Regelung<br />
im Klaren sein, ob dies zu Nachteilen von<br />
unteren Lohngruppen führen kann. Bei einer<br />
jährlichen Auszahlung kommt eine Anrechnung<br />
nach den Vorgaben des Mindestlohngesetzes<br />
nur auf den aktuellen und<br />
den vorangegangenen Monat in Betracht.<br />
Betriebsvereinbarung ändert<br />
Arbeitsvertrag<br />
Durchaus umstritten ist, ob Regelungen<br />
im Arbeitsvertrag – etwa wie hier zur Fälligkeit<br />
– durch eine Betriebsvereinbarung<br />
abgeändert werden können. Dies hat das<br />
BAG erstmals in dem Fall als zulässig angesehen,<br />
dass die arbeitsvertraglichen Regelungen<br />
Allgemeine Geschäftsbedingungen<br />
(AGB) darstellen, also für alle Arbeitnehmer<br />
gelten und einen kollektivrechtlichen<br />
Bezug haben. 2<br />
Solche Regelungen seien »betriebsvereinbarungsoffen«.<br />
Wie man hier sieht, kann<br />
sich das auch zum Nachteil einzelner Beschäftigter<br />
auswirken, wenn eine Betriebsvereinbarung<br />
entsprechend unglücklich<br />
formuliert ist.<br />
Richtige Ausgestaltung der<br />
Sonder zahlung entscheidet<br />
Urlaubsgeld kann an die tatsächlich genommenen<br />
Urlaubstage geknüpft werden,<br />
dies spräche gegen eine Anrechenbarkeit.<br />
Wenn das Weihnachtsgeld abhängig vom<br />
Bestand des Arbeitsverhältnisses über einen<br />
bestimmten Stichtag ist, spricht dies für eine<br />
Belohnung der Betriebstreue – und gleichfalls<br />
gegen eine Anrechenbarkeit.<br />
Weihnachts- und Urlaubsgeld, die angerechnet<br />
werden, so dass gerade soeben der<br />
Mindestlohn erreicht wird, verdienen den<br />
Namen nicht. Hier wird lediglich suggeriert,<br />
dass sich der Arbeitnehmer über Sonderzahlungen<br />
freuen kann. Der Arbeitgeber<br />
leistet gerade mal das, wozu er gesetzlich<br />
ohnehin verpflichtet ist.<br />
Matthias Beckmann, DGB Rechtsschutz GmbH.<br />
lesetipp<br />
»Mindestlohn und<br />
Betriebsrat« von<br />
Huber/Helm in<br />
}}<br />
AiB 3/2016, S. 43 – 46.<br />
1 12.1.2016 – 19 Sa 1851/15. 2 BAG 5.3.2013 – 1 AZR 417/12.<br />
61
echtsprechung<br />
AiB 9 | 2016<br />
informationsrecht<br />
Auskunftsanspruch des Betriebsrats<br />
besteht immer<br />
LAG Hessen 4.5.2015 – 16 TaBV 175/14 (rechtskräftig)<br />
Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber jederzeit die notwendigen Informationen<br />
verlangen, um seine Aufgaben wahrnehmen zu können. <strong>Eine</strong>s konkreten Anlasses<br />
für den allgemeinen Unterrichtungsanspruch bedarf es nicht.<br />
lesetipp<br />
Zum Auskunftsrecht des<br />
Betriebsrats: »Rechtzeitig<br />
und umfassend« von<br />
Simone Rohs in<br />
}}<br />
AiB 5/2015, S. 36 – 39.<br />
§ 80 BetrVG enthält eine Aufzählung allgemeiner<br />
Aufgaben und Pflichten des Betriebsrates.<br />
Die Norm vermittelt kein unmittelbares Mitbestimmungsrecht.<br />
Sie legt aber in allgemeiner<br />
Form fest, für welche Fragen der Betriebsrat<br />
zuständig ist. In Absatz 2 der Vorschrift ist geregelt,<br />
dass der Arbeitgeber den Betriebsrat in<br />
diesen Fragen unterrichten und sich mit ihm<br />
besprechen muss. Dieser Unterrichtungsanspruch<br />
ist, wie der Fall des Hessischen Landesarbeitsgerichts<br />
(LAG) zeigt, auch gerichtlich<br />
durchsetzbar. Der Betriebsrat eines Krankenhausbetreibers<br />
wollte wissen, welchen Arbeitnehmern<br />
in welcher Höhe und nach welchen<br />
Kriterien Zulagen gezahlt werden. Der Arbeitgeber<br />
verweigerte die Auskunft. Das Arbeitsgericht<br />
war der Auffassung, dass die daraufhin<br />
erhobene Klage des Betriebsrates unbegründet<br />
sei. Der Betriebsrat hätte Tatsachen oder wenigstens<br />
Indizien vortragen müssen, dass der<br />
Arbeitgeber außertarifliche Zuschläge bezahle.<br />
Betriebsrat hat Überwachungsaufgaben<br />
Diese Entscheidung hat das LAG kassiert. Für<br />
den allgemeinen Auskunftsanspruch bedürfe<br />
es weder eines konkreten Anlasses noch eines<br />
greifbaren Anhaltspunktes, so das LAG.<br />
Die Überwachungsaufgaben nach § 80 Abs. 1<br />
BetrVG bestünden grundsätzlich und nicht erst<br />
bei Vorliegen von Verdachtsmomenten für Verstöße<br />
des Arbeitgebers. Der Betriebsrat müsse<br />
daher auch keinen konkreten Anlass vortragen.<br />
Der Betriebsrat müsse die zur Erfüllung seiner<br />
Aufgaben notwendigen Informationen jederzeit<br />
zur Verfügung haben. Auf einen besonderen<br />
Anlass käme es nicht an. Der Entscheidung<br />
des LAG ist zuzustimmen. Im Bereich der Vergütung<br />
der Beschäftigten kommt § 87 Abs. 1<br />
Nr. 10 BetrVG als Mitbestimmungsrecht in<br />
Betracht. Der Betriebsrat hat auch auf die Einhaltung<br />
des Gleichbehandlungsgrundsatzes<br />
zu achten. Da die Frage der Zulagen somit im<br />
Zuständigkeitsbereich des Betriebsrates liegt,<br />
kann er sich auf seine Informationsrechte berufen.<br />
Dabei ist wichtig, dass er nicht – wie das<br />
Arbeitsgericht noch meinte – zunächst in der<br />
Pflicht sein soll Anhaltspunkte für Verstöße des<br />
Arbeitgebers zu benennen. Die Informationsrechte<br />
des Betriebsrates sind gerade auch dazu<br />
da, um dem Betriebsrat Informationen aus Bereichen<br />
zu ermöglichen, die seiner unmittelbaren<br />
eigenen Wahrnehmung entzogen sind.<br />
}}<br />
Praxistipp:<br />
Auskunftsanspruch durchsetzen!<br />
Es ist fraglos mühsam, wenn nicht erst die<br />
konkrete Mitbestimmung zu einer gerichtlichen<br />
Auseinandersetzung führt, sondern<br />
schon Informations- und Auskunftsansprüche<br />
gerichtlich erstritten werden müssen.<br />
Das Verfahren zeigt aber, dass es sich lohnt,<br />
solche Ansprüche im Notfall auch gerichtlich<br />
durchzusetzen. Hier wollte der Arbeitgeber<br />
gerne für sich behalten, welchem<br />
Beschäftigten er welche Zulagen zahlt. Bei<br />
einem intransparenten Vergütungssystem<br />
ist dem Missbrauch freilich Tür und Tor geöffnet.<br />
Im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz<br />
und der trotzdem immer<br />
noch bestehenden ungerechten Entlohnung<br />
62
AiB 9 | 2016<br />
rechtsprechung<br />
(beispielsweise Stichwort: gender pay gap) ist<br />
es wichtig, dass der Betriebsrat die notwendigen<br />
Einblicke erhält. Die Auskunft ist vom<br />
Arbeitgeber übrigens in der Regel schriftlich<br />
zu erteilen. Dies gilt nach der Rechtsprechung<br />
des Bundesarbeitsgerichts (BAG) immer<br />
dann, wenn es sich um umfangreiche<br />
und komplexe Angaben handelt. Der Betriebsrat<br />
muss sich auch nicht mit anonymisierten<br />
Informationen zufrieden geben. Die<br />
Interessenvertretungen von Beschäftigten<br />
sind im Bundesdatenschutzgesetz ausdrücklich<br />
benannt. <strong>Eine</strong> Weitergabe von Daten an<br />
sie zur Aufgabenwahrnehmung ist eine zulässige<br />
Form der Datennutzung.<br />
Matthias Beckmann, DGB Rechtsschutz GmbH.<br />
eingruppierung<br />
Zustimmung ganz oder gar nicht<br />
ArbG Dessau-Roßlau 9.3.2016 – 10 BV 11/15<br />
Wird der Betriebsrat zu einer Eingruppierung angehört, muss er die Anfrage eindeutig<br />
beantworten. <strong>Eine</strong> Zustimmung unter Vorbehalt ist unwirksam. Dass der Arbeitgeber<br />
Zugesagtes auch einhält, muss der Betriebsrat anderweitig sicherstellen.<br />
Der Arbeitgeber hatte zwei Rettungsassistenten<br />
eingestellt und verlangte nun vom Betriebsrat<br />
die Zustimmung zur Eingruppierung.<br />
Der Betriebsrat stimmte dieser zu, wie sie vom<br />
Arbeitgeber geplant war. Die Zustimmung erklärte<br />
er allerdings nur unter der Bedingung,<br />
dass die durchschnittliche monatliche Arbeitszeit<br />
auf Basis von 450 Euro ohne Arbeitsbereitschaft<br />
42,8 Stunden betrage. Der Arbeitgeber<br />
war mit der Zustimmungserklärung in dieser<br />
Form nicht einverstanden und leitete ein Beschlussverfahren<br />
ein. Darin beantragte er, die<br />
Zustimmung des Betriebsrates zu ersetzen.<br />
Das Arbeitsgericht (ArbG) Dessau-Roßlau gab<br />
dem Arbeitgeber Recht.<br />
Betriebsrat muss eindeutige<br />
Erklärungen abgeben<br />
Der Betriebsrat habe mit der Einschränkung<br />
bei seiner Zustimmung seine Kompetenzen<br />
überschritten. Wenn der Betriebsrat der Auffassung<br />
ist, dass die Eingruppierung richtig ist und<br />
keine anderen Gründe nach § 99 BetrVG greifen,<br />
muss er seine Zustimmung unzweideutig<br />
erteilen. Das gebiete der Grundsatz der vertrauensvollen<br />
Zusammenarbeit. Tatsächlich ist es<br />
wohl so, dass der Betriebsrat hier den falschen<br />
Weg gewählt hat, um seinem im Grunde ja berechtigten<br />
Anliegen Geltung zu verschaffen. In<br />
welchen Fällen der Betriebsrat bei Einstellungen<br />
oder Eingruppierungen die Zustimmung<br />
verweigern darf, ist gesetzlich vorgegeben. Die<br />
Erklärung einer eingeschränkten Zustimmung<br />
ist nicht zulässig, die Erklärung ist im Juristendeutsch<br />
»bedingungsfeindlich«. Auch sind die<br />
einzelnen Ausgestaltungen des Arbeitsvertrages<br />
nicht Gegenstand des Zustimmungsverfahrens.<br />
Diese sind von den Parteien selbst zu regeln.<br />
}}<br />
Praxistipp:<br />
Natürlich ist es wichtig, dass der Betriebsrat<br />
darauf achtet, dass Beschäftigte nur in dem<br />
Umfang eingesetzt werden, wie es vereinbart<br />
worden ist. Die Einhaltung von Arbeitsund<br />
Ruhezeiten ist ein wichtiges Anliegen.<br />
Es gehört zu den Pflichten des Betriebsrates<br />
darauf zu achten, dass entsprechende Regelungen<br />
zugunsten der Arbeitnehmer in<br />
Gesetzen, Tarifverträgen oder Betriebsver-<br />
lesetipp<br />
Mehr zum Thema <strong>lesen</strong><br />
Sie in unserem Online-<br />
Betriebsratslexikon<br />
unter dem Stichwort<br />
»Eingruppierung«.<br />
63
echtsprechung<br />
AiB 9 | 2016<br />
einbarungen beachtet werden. Dies ist aber<br />
nur etwas, was dann im laufenden Arbeitsverhältnis<br />
überwacht, kontrolliert und gegebenenfalls<br />
gegenüber dem Arbeitgeber geltend<br />
gemacht werden kann. Im Vorhinein<br />
kann eine solche Vorgabe mit der Zustimmungserklärung<br />
jedenfalls nicht verknüpft<br />
werden. Der Betriebsrat kann aber stets<br />
verlangen, dass ihm der Arbeitgeber die Unterlagen<br />
in dem erforderlichen Umfang zur<br />
Verfügung stellt, die er benötigt, um seine<br />
Aufgaben zu erfüllen. Wenn es um kollektive<br />
Arbeitszeitregelungen geht, kann der<br />
Betriebsrat auch von seinem Initiativrecht<br />
Gebrauch machen.<br />
Matthias Beckmann, DGB Rechtsschutz GmbH.<br />
Jugend- und auszubildendenvertretung (Jav)<br />
Lohnanspruch nach Übernahme<br />
BAG 19.8.2015 – 5 AZR 1000/13<br />
Mitglieder der JAV haben ein Recht auf Übernahme, nachdem sie ihre Ausbildung<br />
erfolgreich abgeschlossen haben. Verweigert der Ausbildungs betrieb die Weiterbeschäftigung,<br />
haben die jungen Arbeitnehmer einen Lohnanspruch aus Annahmeverzug.<br />
lesetipp<br />
»Aktuelles zur Übernahme<br />
von JAV- und<br />
Betriebsratsmitgliedern –<br />
Möglichkeiten nach § 78a<br />
BetrVG« von Anette<br />
Malottke in<br />
} } AiB 4/2009,<br />
S. 202 – 206.<br />
Anzeige<br />
In einem staatlichen Forstbetrieb trat der Kläger<br />
eine Ausbildung zum Forstwirt an. Während seiner<br />
Lehrzeit wurde er in die Jugend- und Auszubildendenvertretung<br />
(JAV) gewählt. Nach einer<br />
vereinbarten Verkürzung der Ausbildungszeit<br />
hat er die Berufsausbildung erfolgreich beendet.<br />
Kurz vor seiner Abschlussprüfung hat der<br />
Kläger von seinem Ausbildungsbetrieb schriftlich<br />
verlangt, in dem erlernten Beruf unbefristet<br />
weiterbeschäftigt zu werden. Jedoch wollte<br />
der Betrieb ihn trotz erfolgreichen Bestehens<br />
der Prüfung nicht übernehmen. Nun verlangt<br />
der Kläger für die Zeit ab dem Ende seiner bestandenen<br />
Ausbildung Arbeitslohn, da ein Arbeitsverhältnis<br />
zustande gekommen sei und der<br />
Arbeitgeber sich im Annahmeverzug seiner angebotenen<br />
Arbeitsleistung befunden habe. Im<br />
anwendbaren Tarifvertrag war eine zweistufige<br />
Ausschlussfrist vereinbart.<br />
Arbeitsverhältnis per Gesetz<br />
Das Gericht spricht dem Kläger die von ihm<br />
geltend gemachten Lohnansprüche zu. Der<br />
Kläger stand nach Ausbildungsende in einem<br />
unbefristeten Arbeitsverhältnis. Durch das<br />
rechtzeitige schriftliche Verlangen auf Weiterbeschäftigung<br />
von ihm als Mitglied der JAV an<br />
den Ausbildungsbetrieb wurde dieses Arbeitsverhältnis<br />
per Gesetz begründet.<br />
64
AiB 9 | 2016<br />
impressum | ansprechpartner<br />
Die im Tarifvertrag geregelte Ausschlussfrist<br />
hindert den Kläger nicht daran, seine Ansprüche<br />
durchzusetzen. Zwar müssen Arbeitnehmer<br />
grundsätzlich ihre Forderungen rechtzeitig<br />
gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen.<br />
Jedoch reicht es in diesem Fall aus, dass das<br />
Mitglied einer JAV die Weiterbeschäftigung verlangt.<br />
Damit muss dem Arbeitgeber klar sein,<br />
dass mit dem schriftlichen Verlangen des Mitglieds<br />
auf Weiterbeschäftigung das Geldverdienen<br />
im Vordergrund steht, um sich eine Existenzgrundlage<br />
aufzubauen.<br />
}}<br />
Praxistipp: Ansprüche nach § 78a BetrVG<br />
Anspruch auf Übernahme<br />
In der Regel endet das Berufsausbildungsverhältnis<br />
mit der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses.<br />
Allerdings haben die gewählten<br />
Mitglieder einer JAV das Recht,<br />
durch ihr Verlangen auf Weiterbeschäftigung<br />
ein Arbeitsverhältnis zu begründen (§ 78a<br />
BetrVG). Dies gilt auch für Auszubildende<br />
im öffentlichen Dienst (§ 9 BPersVG). Der<br />
Auszubildende muss also auf einem Arbeitsplatz<br />
beschäftigt werden, der seiner Ausbildung<br />
entspricht. Auch muss der Arbeitgeber<br />
ihn so entlohnen, wie bei einem vergleichbaren<br />
Beschäftigten, der auf dem Posten eingesetzt<br />
wird. Damit soll sichergestellt werden,<br />
dass sie ihr Amt bis zum regulären Ablauf<br />
der Amtszeit ausüben können. Gleichzeitig<br />
soll dies auf einer wirtschaftlich gesicherten<br />
Grundlage erfolgen. Durch die gesetzlichen<br />
Regelungen sind die JAV-Mitglieder also besonders<br />
geschützt.<br />
Anspruch auf Arbeitslohn<br />
Wollen JAV-Mitglieder im Anschluss an ihre<br />
Berufsausbildung als Arbeitnehmer übernommen<br />
werden, müssen sie in den letzten<br />
drei Monaten vor Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses<br />
den Arbeitgeber darüber<br />
schriftlich informieren. Damit machen<br />
sei gleichzeitig etwaige Ansprüche auf Vergütung<br />
aus Annahmeverzug geltend. Dies gilt<br />
insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber die<br />
Weiterbeschäftigung verweigert.<br />
Jens Pfanne, DGB Rechtsschutz GmbH.<br />
Arbeitsrecht im Betrieb 9 | 2016<br />
37. Jahrgang<br />
ISSN 0174-1225<br />
Zitiervorschlag<br />
AiB 9/2016, 23<br />
Redaktion<br />
Eva-Maria Stoppkotte (verantwortlich),<br />
Claudia Stiel, Christian Köhler<br />
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20, 23, 24, 39, 43, 46, 51, 52: ©iStock.com,<br />
Adamo Di Loreto, sturti, Xavier Arnau,<br />
shironosov, Squaredpixels, endopack,<br />
kasto80, PeopleImages, Johnny Greig,<br />
VILevi, IPGGutenbergUKLtd | S.27:<br />
Wikimedia Commons: Bundesarchiv,<br />
Bild 183-17031-0009 / cc-by-sa 3.0 | S.31, 32,<br />
37: ©iStock.com, monkeybusinessimages<br />
Druck<br />
alpha print medien AG, Darmstadt<br />
Mit Namen gezeichnete Beiträge sowie<br />
Beilagen und Anzeigen geben nicht<br />
unbedingt die Meinung der Redaktion<br />
oder des Verlages wieder.<br />
Redaktionsschluss dieser <strong>Ausgabe</strong><br />
17.6.2016<br />
65
die letzte seite<br />
AiB 9 | 2016<br />
von BURKH<br />
vorschau 10 | 2016<br />
Das erwartet Sie in der nächsten <strong>Ausgabe</strong><br />
}}<br />
Titelthema<br />
Die gesetzliche Rentenversicherung |<br />
Sozialrechtliche Fragen bei Beendigung<br />
von Arbeitsverhältnissen | Wichtiges zur<br />
Zahlung von Krankengeld<br />
}}<br />
Aktuelles<br />
Rufbereitschaft: Zwitter im Arbeitsrecht |<br />
Finanzielle Hilfen beim Wohngeld nutzen<br />
| Banking 4.0 und der Betriebsrat | Der<br />
Betrieb ist kein Überwachungsstaat<br />
}}<br />
Grundlagen der BR-Arbeit<br />
Regelungen zum Rauchen am Arbeitsplatz<br />
| Tipps zur Büroorganisation |<br />
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold: Die<br />
Crux mit der Verschwiegenheitspflicht<br />
die ausgabe 10 | 2016 ist voraussichtlich am 30.9.2016 beim abonnenten und ab 28.9.2016 <strong>online</strong> zu <strong>lesen</strong>.<br />
66
Betriebsrat PLUS<br />
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