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Arbeitsrecht<br />

im Betrieb<br />

AiB | FACHZEITSCHRIFT FÜR DEN BETRIEBSRAT<br />

aib-web.de<br />

37. JAHRGANG<br />

ISSN 01741225<br />

D 3591<br />

9 | 2016<br />

ÄNDERUNGSKÜNDIGUNG<br />

Arbeiten zu schlechteren<br />

Bedingungen?<br />

aktuelles Mehr Gesundheit mit dem neuen Präventionsgesetz<br />

grundlagen Wie die Betriebsversammlung zum Renner wird<br />

rechtsprechung Wann Freigestellte sich abmelden müssen


125 Jahre Bildung in der IG Metall<br />

WAS<br />

WOLLEN<br />

DIE?<br />

GLEICHE ARBEIT –<br />

GLEICHES GELD!<br />

Im Jahr 2008 fordert die IG Metall gleiches Geld für gleiche<br />

Arbeit – und macht mit einer Guerilla-Lichtaktion am Kanzleramt<br />

prekäre Arbeitsbedingungen in der Leiharbeit öffentlich.<br />

Mit unserer Kampagne setzen wir 2012 Branchenzuschläge<br />

in der Leiharbeit durch und machen Druck auf die Politik.<br />

Unser Ziel: „Arbeit: sicher und fair“.<br />

In unseren Seminaren der Fachakademie<br />

für Arbeitsrecht lernen Betriebsräte, die Arbeitsbedingungen<br />

in der Leiharbeit und bei Werkverträgen<br />

zu verbessern.<br />

Wir kämpfen für Gerechtigkeit – seit 125 Jahren.<br />

Alle Infos zum Bildungsprogramm<br />

unter www.igmetall.de/bildung<br />

WIR SCHREIBEN GESCHICHTE.<br />

AUCH IN ZUKUNFT.


AiB 9 | 2016<br />

editorial<br />

Rettungsanker<br />

im Sturm<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

Eva-Maria Stoppkotte (l.) und Claudia Stiel (r.)<br />

Redaktion Arbeitsrecht im Betrieb<br />

eine Kündigung kann ein Schock sein für<br />

Betroffene. Nicht minder problematisch ist<br />

es oft, wenn der Arbeitgeber zur Änderungskündigung<br />

greift und das Arbeitsverhältnis<br />

nur zu anderen – für den Betroffenen<br />

schlechteren – Konditionen weiterführen<br />

will. Anlaufstelle ist auch hier der Betriebsrat.<br />

Im Titelthema geht es um Rechtsfragen<br />

zur Änderungskündigung, um Mitbestimmungsrechte<br />

und um Handlungsmöglichkeiten<br />

der Interessenvertreter. Und es geht<br />

darum, was hilft, wenn der Betriebsrat selber<br />

betroffen ist – etwa weil der Arbeitgeber<br />

missliebige Kollegen loswerden will.<br />

Ähnlich unangenehm wird’s oft, wenn beim<br />

Ausscheiden aus dem Job um das Zeugnis<br />

verhandelt wird. Noch geht es nicht ohne,<br />

doch die Diskussion über Sinn und Unsinn<br />

der üblichen Beurteilungen ist im Gange.<br />

Wir stellen eine interessante Studie vor, die<br />

zeigt, dass es auch andere Möglichkeiten<br />

gibt als das klassische Zeugnis.<br />

Arbeit kann Psyche und Körper krank<br />

machen. Gutes betriebliches Gesundheitsmanagement<br />

kann dem vorbeugen. Das neue<br />

Präventionsgesetz soll dafür mehr Geld in<br />

die Kassen der Betriebe spülen. Fachfrau<br />

Bettina Flüs zeigt, wie die Interessen vertretungen<br />

sich das zunutze machen – zum<br />

Wohl von Beschäftigten und Unternehmen.<br />

<strong>Eine</strong>n guten Start in den Herbst wünscht<br />

Ihnen<br />

Ihre AiB-Redaktion<br />

3


inhaltsverzeichnis<br />

AiB 9 | 2016<br />

10<br />

TITELTHEMA<br />

ÄNDERUNGSKÜNDIGUNG<br />

Arbeiten für<br />

weniger Geld ?<br />

Oft wollen Arbeitgeber in schwierigen wirtschaftlichen Situationen<br />

Arbeitsbedingungen verschlechtern. Doch das geht nicht einfach so.<br />

10 Sie können bleiben – für weniger Geld<br />

Angespannte wirtschaftliche Situation,<br />

schlechter Vertragsabschluss aus Sicht des<br />

Arbeitgebers: Dies kann Folgen für Beschäftigte<br />

haben. Wir gehen der Frage nach,<br />

unter welchen Bedingungen der Arbeitgeber<br />

Arbeitsverträge ändern kann.<br />

von regina steiner<br />

20 Sich nicht unter Druck setzen lassen Für<br />

Betriebsratsmitglieder gilt ein besonderer<br />

Kündigungsschutz. Was aber tun, wenn<br />

der Arbeitgeber Änderungskündigungen<br />

ausspricht? Fragen an den Experten<br />

Marc-Oliver Schulze.<br />

fragen der redaktion<br />

4<br />

16 Bei Veränderungen mitbestimmen Kündigungen<br />

können auch die bloße Änderung<br />

von Arbeitsbedingungen bezwecken. Wie<br />

können Betriebsräte hier die Beschäftigten<br />

unterstützen?<br />

von christopher koll


AiB 9 | 2016<br />

inhaltsverzeichnis<br />

22<br />

AKTUELLES<br />

54<br />

RECHTSPRECHUNG<br />

RUBRIKEN<br />

22 Nutze die Möglichkeit Das neue Präventionsgesetz<br />

macht es möglich, einen Teil des<br />

Aufwandes für betriebliche Gesundheitsförderung<br />

von anderen tragen zu lassen.<br />

von bettina flüs<br />

27 Geburtstag der Mitbestimmung Drei<br />

Gesetze regeln die unterschiedlichen Mitbestimmungsrechte<br />

in Aufsichtsräten.<br />

Zwei davon feiern 2016 Geburtstag.<br />

von gudrun giese<br />

30 Am Geld scheitert es nicht Die Arbeitsagentur<br />

fördert gering qualifizierte und<br />

ältere Beschäftigte, für die betriebliche<br />

Weiterbildung besonders wichtig ist.<br />

von helga ballauf<br />

33 Sinnlose Zeugnisse Experten suchen<br />

neue Wege bei Zeugnissen. Sie halten herkömmliche<br />

Beurteilungen für überflüssig.<br />

38<br />

von klaus heimann<br />

GRUNDLAGEN DER BETRIEBSRATSARBEIT<br />

38 Betriebsversammlung leicht gemacht<br />

Die Betriebsversammlung ist das zentrale<br />

betriebspolitische Mittel des Gremiums.<br />

Wichtig ist die attraktive Gestaltung.<br />

von martin wolmerath<br />

43 Lernen durch Misserfolg Was tun, wenn<br />

etwas so richtig schiefläuft? Fragen an den<br />

Experten Heinrich Wottawa.<br />

fragen der redaktion<br />

45 Schmerzhafte Trennung Bei Spin-offs<br />

werden Unternehmensteile ausgegliedert,<br />

oft wackeln Jobs. Welche Handlungsmöglichkeiten<br />

hat der Betriebsrat?<br />

von christof balkenhol und henrik steinhaus<br />

49 Müssen wir auch sonntags arbeiten?<br />

Mobile Kommunikationsmittel machen<br />

es möglich: Arbeiten auch an Sonn- und<br />

Feiertagen. Aber ist das erlaubt?<br />

von Jürgen ulber<br />

54 Expertenrat<br />

Kann der Antrag auf Elternzeit per Telefax<br />

oder per E-Mail gestellt werden?<br />

BAG 10.5.2016 – 9 AZR 145/15<br />

Ist Umkleidezeit vergütungspflichtige<br />

Arbeitszeit?<br />

LAG Hamm 23.11.2015 – 16 Sa 494/15<br />

von silvia mittlÄnder<br />

55 Arbeitgeber muss Kosten für Reinigung<br />

der Arbeitskleidung übernehmen<br />

BAG 14.6.2016 – 9 AZR 181/15<br />

von bettina krÄmer<br />

56 Auflösung bleibt Ausnahme<br />

LAG Berlin-Brandenburg<br />

4.2.2016 – 10 TaBV 2078/15<br />

von Jens pfanne<br />

57 Abmeldepflicht für freigestellte<br />

Betriebsräte<br />

BAG 24.2.2016 – 7 ABR 20/14<br />

von margit körlings<br />

59 Betriebsratswahl im Hauptbetrieb<br />

und im Betriebsteil<br />

LAG Düsseldorf 13.1.2016 – 12 TaBV 67/14<br />

von ingrid heinlein<br />

60 Anrechnung der Sonderzahlungen<br />

auf Mindestlohn<br />

BAG 25.5.2016 – 5 AZR 135/16<br />

von matthias beckmann<br />

62 Auskunftsanspruch des Betriebsrats<br />

besteht immer<br />

LAG Hessen 4.5.2015 – 16 TaBV 175/14<br />

von matthias beckmann<br />

63 Zustimmung ganz oder gar nicht<br />

ArbG Dessau-Roßlau 9.3.2016 – 10 BV 11/15<br />

von matthias beckmann<br />

64 Lohnanspruch nach Übernahme<br />

BAG 19.8.2015 – 5 AZR 1000/13<br />

von Jens pfanne<br />

3 Editorial<br />

6 Magazin<br />

13 AiB-Seminartipps<br />

65 Impressum<br />

66 Die Letzte Seite<br />

66 Vorschau<br />

AiB <strong>online</strong><br />

aib-web.de<br />

Unter aib-web.de finden<br />

Sie alle <strong>Ausgabe</strong>n der<br />

AiB seit 2006. Dazu die<br />

Datenbank AiB:Assist<br />

mit BetrVG- Kommentar,<br />

Lexikon, Arbeitshilfen und<br />

Top-100-Urteilen für die<br />

Betriebsratsarbeit.<br />

} } Alles exklusiv unter<br />

aib-web.de<br />

Bitte registrieren<br />

Sie sich unter:<br />

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registrierung<br />

5


magazin<br />

AiB 9 | 2016<br />

termine<br />

} } Allein im Betriebsrat –<br />

so geht’s!<br />

4. – 6.10., Walsrode.<br />

Das ver.di b+b-Seminar<br />

gibt einen Überblick<br />

über die rechtlichen<br />

Grundlagen und über<br />

die Besonderheiten für<br />

Betriebsräte aus Kleinstbetrieben.<br />

Teilnehmer<br />

erlernen Strategien für<br />

eine erfolgreiche Interessenvertretungsarbeit<br />

als<br />

Ein-Personen-Betriebsrat<br />

und wie sie Kollegen in<br />

die Betriebsratsarbeit<br />

einbeziehen können.<br />

https://bildungsportal.<br />

verdi.de/ > Seminar-Nr. :<br />

WA0116100407<br />

} } Welche Anforderungen<br />

stellt Industrie 4.0?<br />

12. – 13.10., Hannover.<br />

Die vierte industrielle<br />

Revolution verändert<br />

Arbeits verhältnisse und<br />

Berufsbilder. Und sie<br />

stellt Betriebsräte vor<br />

neue Herausforderungen.<br />

Wie müssen sich die<br />

Gremien darauf vorbereiten?<br />

Was können<br />

sie heute schon tun?<br />

Konkrete Antworten und<br />

vorbildliche Beispiele<br />

dazu liefert die 9. Jahrestagung<br />

der IG BCE.<br />

www.igbce-bws.de/ice/<br />

incoming/www.igbcebws.de/extarticle/pre<br />

view_asset_1/BWS-Fol<br />

der_9-BR-Jahrestagung_<br />

web.pdf<br />

Hilfe bei Umstrukturierung<br />

neuer comic-band erschienen<br />

Irrwitzige Geschichten<br />

aus dem Betriebsrats-Alltag<br />

Mitbestimmung muss nicht langweilig und trocken sein.<br />

Der Bund-Verlag hat einen neuen Comic-Band veröffentlicht<br />

– eine Sonderauflage gibt es für IG BAU-Mitglieder.<br />

Der Comic titelt »Die Würfel sind gefallen« und vermittelt<br />

beinharte juristische Fakten und Rechtstipps für Betriebs -<br />

räte – locker und mit einem Augenzwinkern serviert.<br />

arbeitshilfe<br />

Sei es der Kampf gegen unfaire Eingruppierung,<br />

andauernde Überlastung oder bissige<br />

Chefs – mit bunten Bildern, markanten<br />

Charakteren und witzigen Sprechblasen<br />

nimmt Zeichner Reinhard Alff den Alltag der<br />

Betriebsratsarbeit aufs Korn. Vier Comic-Geschichten<br />

liefern solides Grundwissen und<br />

geben praktische Tipps, die Betriebsräten das<br />

Leben leichter machen. Ja, es geht immer um<br />

den unermüdlichen Einsatz für die Arbeitnehmerseite<br />

und darum, gute Lösungen für<br />

die Beschäftigten zu finden. Die vier Episoden<br />

spielen in den IG Bau-Hauptbranchen<br />

Bauhauptgewerbe, Baustoffindustrie, Gebäudereiniger-Handwerk<br />

und Agrarwirtschaft.<br />

Wer sich fragt, ob so viel Irrwitz nur ein Comic<br />

verzapfen kann, dem sei gesagt: Das Ganze ist<br />

keine Science-Fiction. Die Geschichten sind<br />

echt – passiert im Alltag des IG-BAU-Organisationsbereichs.<br />

Bestellung unter:<br />

} } www.bund-verlag.de > Buchshop ><br />

Suchwort: Comic (»Die Würfel sind gefallen<br />

– Mit der IG BAU Faire Arbeit jetzt!« 2016,<br />

1. Auflage, 14,90 Euro).<br />

Faktoren für die Betriebsratsgründung<br />

studie Akute Krisen oder langjährige Missstände<br />

sind die Gründe, warum Mitarbeiter einen<br />

Betriebsrat gründen. Soziologen der Universität<br />

Erlangen-Nürnberg haben in einer von<br />

der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie<br />

untersucht, wie und warum, in welchen Betrieben,<br />

unter welchen Bedingungen und mit welchen<br />

Erfolgschancen neue Arbeitnehmervertretungen<br />

entstehen. Dafür haben sie 54 Betriebsratsgründungen<br />

in unterschiedlichen Branchen analysiert.<br />

Sie haben herausgefunden, dass Betriebsratsgründungen<br />

in mehrere Phasen unterteilt werden können.<br />

Für eine erfolgreiche Gründung seien nicht<br />

nur tatkräftige und durchsetzungsfähige Sprecher<br />

nötig, sondern im Regelfall auch Hilfe von außen,<br />

etwa von Gewerkschaften oder Gesamtbetriebsräten,<br />

heißt es in einer Mitteilung. Die gesamte<br />

Studie finden Sie hier<br />

} } http://media.boeckler.de/Sites/A/Online-<br />

Archiv/18565<br />

Was geschieht mit den Arbeitsverhältnissen und welchen Schutz bietet<br />

§ 613a BGB bei Spaltungen und Outsourcing? Welche Aus wirkungen<br />

auf die Interessenvertretung gibt es und wie können Betriebsräte und<br />

Gewerkschaft – über den gesetzlichen Schutz hinaus – die Nachteile für<br />

die Arbeitnehmer verhindern oder zumindest einschränken? Antworten<br />

gibt eine praxis orientierte Arbeitshilfe von verdi b+b, die die verschiedenen<br />

Formen der Spaltung und des Outsourcings unter Berücksichtigung<br />

des Um wandlungsgesetzes erläutert. Zu bestellen unter:<br />

} } shop.verdi-bub.de/?id=5001707<br />

6


AiB 9 | 2016<br />

magazin<br />

Förderung für Elektroautos<br />

elektromobilität Mit dem im Frühjahr beschlossenen<br />

Förderprogramm erhält die E-Mobilität<br />

in Deutschland Rückenwind. Für E-Autos und<br />

Hybridfahrzeuge können Käufer seit Juli Zuschüsse<br />

beantragen. Aus Sicht der IG Metall eine richtige<br />

Entscheidung zur Sicherung zukunftsfähiger<br />

Arbeitsplätze. Unter www.igmetall.de (> Suche:<br />

Elektroauto) und www.bmwi.de (> Themen ><br />

Industrie > Elektromobilität) finden sich Stimmen<br />

und Argumente von Betriebsräten aus der Autoindustrie<br />

sowie Details zum Förderpaket.<br />

Ist der Brexit<br />

auch EBR-Exit?<br />

brexit Im Juni hat die britische Bevölkerung per<br />

Referendum entschieden, dass Großbritannien<br />

aus der Europäischen Union austreten soll.<br />

Welche Auswirkungen hat das für Europäische<br />

Betriebsräte? EU-Recht, sagen Experten, gilt<br />

im Vereinigten Königreich noch so lange, bis<br />

die Mitgliedschaft endet, das ist frühestens<br />

am 1. Januar 2019. Bis zu diesem Termin gibt<br />

es für Europäische Betriebsräte, SE-Betriebsräte<br />

und Besondere Verhandlungsgremien<br />

keine juristischen Veränderungen. Für die Zeit<br />

danach sind verschiedene Wege denkbar. Bei<br />

der »Norwegen-Option« würde das Vereinigte<br />

Königreich dem Europäischen Wirtschaftsraum<br />

beitreten. Das britische EBR-Gesetz bliebe in<br />

Kraft. Details zu weiteren Szenarien und deren<br />

Konsequenzen unter:<br />

}}<br />

www.ewc-academy.eu/de/consulting/brexit.<br />

html<br />

Bewerben für den Spiros Simitis Award<br />

preis Gibt es positive Beispiele für gelungenen<br />

Arbeitnehmerdatenschutz in Ihrem Betrieb?<br />

Dann bewerben Sie sich für den »Spiros Simitis<br />

Award« 2016! Zusammen mit dem DGB, dem<br />

Bund-Verlag und dem Verein Digitalcourage<br />

lobt die Datenschutz- und Technologieberatung<br />

Kassel (dtb) zum zweiten Mal diesen Preis aus.<br />

Bitte senden Sie eine kurze Projektbeschreibung<br />

bis zum 30. September 2016 per Post oder E-Mail<br />

an die dtb Kassel (Theaterstraße 1, 34117 Kassel,<br />

info@dtb-kassel.de). Die Preisverleihung findet<br />

während des Technologieforums am 9. November<br />

2016 in Berlin statt (mehr zum Termin in der<br />

Randspalte rechts unten).<br />

E-Autos liegen im Trend.<br />

Erreichbarkeit<br />

besser planen<br />

umfrage Wenn Beschäftigte das Gefühl haben,<br />

jederzeit – selbst im Urlaub – erreichbar sein<br />

zu müssen, sorgt das für Stress und macht im<br />

schlimmsten Fall krank. <strong>Eine</strong> Onlinebefragung<br />

des Projekts MASTER (»Management ständiger<br />

Erreichbarkeit«) unter 260 Beschäftigten der<br />

IT-Branche 2016 hat ergeben, dass nur ein Fünftel<br />

der Unternehmen eindeutige Regelungen zur<br />

Erreichbarkeit getroffen hat. Jeder dritte Beschäftigte<br />

war sich teilweise unsicher, ob Kollegen oder<br />

Vorgesetzte erwarten, dass er in der Freizeit auf<br />

Kontaktversuche reagiert. Diplom-Psychologin<br />

Nina Pauls vom Projekt MASTER rät zu klaren Absprachen,<br />

um die Erholung im Urlaub zu sichern:<br />

»Beschäftigte sollten ihre Vorgesetzten ganz<br />

direkt fragen, wie viel Erreichbarkeit von ihnen<br />

erwartet wird.«<br />

Mehr Informationen zum Projekt gibt’s hier:<br />

}}<br />

www.erreichbarkeit.eu<br />

Den Preis gibt es für guten Datenschutz im Betrieb.<br />

termine<br />

}}<br />

Behinderung des<br />

Betriebsrats<br />

27. – 28.10., Landshut.<br />

Bei dem DGB-Seminar<br />

geht es darum, wie<br />

Rechte der Interessenvertretung<br />

durchsetzbar<br />

sind und was möglich ist,<br />

wenn der Arbeitgeber<br />

die Betriebsratsarbeit<br />

behindert. Was regeln<br />

die Gesetze? Wann kann<br />

von einem gestörten<br />

Vertrauen gesprochen<br />

werden und was kann der<br />

Betriebsrat tun?<br />

www.bildungswerkbayern.de/seminare/<br />

010-207-2016-2td<br />

}}<br />

Kontrolle ohne<br />

Grenzen?<br />

8. – 10.11., Berlin. Ab<br />

2018 gelten neue Regelungen,<br />

die das Datenschutzrecht<br />

in Europa<br />

vereinheitlichen. Die im<br />

April 2016 verabschiedete<br />

Verordnung EU-DSGVO<br />

soll die Rechte der<br />

Nutzer stärken. Was sie<br />

für den Beschäftigtendatenschutz<br />

bedeutet,<br />

ist Thema des Forums<br />

»Arbeitnehmer im<br />

Visier – Kontrolle ohne<br />

Grenzen?«, das die<br />

Datenschutz- und Technologieberatung<br />

(dtb)<br />

ausrichtet. In Vorträgen<br />

namhafter Experten und<br />

Fachforen werden Handlungs-<br />

und Gestaltungsmöglichkeiten<br />

aufgezeigt<br />

und erarbeitet.<br />

www.dtb-kassel.de;<br />

Flyer: www.dtb-kassel.<br />

de/upload/technologie<br />

forum_2016/Technologie<br />

forum_November_2016_<br />

TEC.2016.pdf<br />

7


magazin<br />

AiB 9 | 2016<br />

surftipps<br />

wandkalender<br />

+ ++ Hier wirkt der<br />

Mindestlohn Seit Einführung<br />

des Mindestlohns<br />

Anfang 2015 nimmt die<br />

sozialversicherungspflichtige<br />

Beschäftigung<br />

in Niedriglohnsektoren<br />

zu – und zwar in allen<br />

Bundes ländern. Die große<br />

Daten karte des DGB für<br />

alle Bundesländer zeigt,<br />

wie sich Löhne, Gehälter<br />

und Beschäftigtenzahlen<br />

in einzelnen Branchen<br />

entwickelt haben.<br />

www.dgb.de > Suche:<br />

Mindestlohn Datenkarte<br />

+ ++ JAV-Wahlen im<br />

Herbst Oktober und<br />

November ist die Zeit für<br />

die Wahl der Jugend- und<br />

Auszubildendenvertretungen<br />

(JAV). Die Seite<br />

www.jav-portal.de sammelt<br />

alle Informationen<br />

rund um die Wahl und<br />

bietet Links zu den Gewerkschaften<br />

mit jeweils<br />

eigenen Portalen und<br />

weiteren Materialien.<br />

Arbeitsrecht<br />

im Betrieb 2017<br />

Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa<br />

Januar<br />

1 2 KW 1 3 4 5 6 7 8 9 KW 2 10 11 12 13 14<br />

Februar 1 2 3 4 5 6 KW 6 7 8 9 10 11 12 13 KW 7 14 15 16 17 18<br />

März<br />

1<br />

Aschermittwoch<br />

2 3 4 5 6 KW 10 7 8 9 10 11 12 13 KW 11 14 15 16 17 18<br />

April 1 2 3 KW 14 4 5 6 7 8 9 10 KW 15 11 12 13 14 15<br />

Mai 1 KW 18 2 3 4 5 6 7 8 KW 19 9 10 11 12 13 14 15 KW 20 16 17 18 19 20<br />

Tag der Arbeit<br />

Juni 1 2 3 4 5 KW 23 6 7 8 9 10 11 12 KW 24 13 14 15 16 17<br />

Kalender aus dem Bund-Verlag<br />

hilft bei der Kommunikation<br />

Aschermittwoch<br />

Spätestens<br />

Wahlunterlagen<br />

für<br />

BR­Wahl<br />

2018 bestellen!<br />

Juli 1 2 3 KW 27 4 5 6 7 8 9 10 KW 28 11 12 13 14 15<br />

August 1 2 3 4 5 6 7 KW 32 8 9 10 11 12 13 14 KW 33 15 16 17 18 19<br />

Bald geht die Suche nach passenden Kalendern für das neue Jahr los. Freuen Sie<br />

sich im November auf Ihre Arbeitsrecht im Betrieb. Denn mit dieser <strong>Ausgabe</strong> er -<br />

halten Sie kostenlos einen großformatigen Wandkalender für 2017. Perfekt für<br />

Ihr Betriebsratsbüro. Er ist mit Karikaturen vom beliebten Zeichner Reinhard Alff<br />

garniert. Wir haben Betriebsräten den Kalender vorab gezeigt.<br />

September 1 2 3 4 KW 36 5 6 7 8 9 10 11 KW 37 12 13 14 15 16<br />

Oktober 1<br />

Erntedank<br />

Neujahr<br />

Pfingstsonntag<br />

Pfingstmontag<br />

2 KW 40 3 4 5 6 7 8 9 KW 41 10 11 12 13 14<br />

Tag der dt. Einheit<br />

Bernd Fuhrmann (er ist stellvertretender um etwa Betriebsversammlungen effektiv<br />

Betriebs ratsvorsitzender bei UPS in Troisdorf)<br />

und Holger Schmidt (er hat sich viele teamorientierte Arbeitsweise im Betriebsrat<br />

Deutscher zu planen. BetriebsräteTagDass gute Kommunikation eine<br />

7. bis 9. November im Plenarsaal Bonn<br />

» www.betriebsraetetag.de<br />

Jahre als Betriebsratsvorsitzender bei DER fördert, hat Holger Schmidt in seiner Zeit als<br />

Touristik in Frankfurt engagiert) sind erfahrene<br />

Interessen vertreter.<br />

Und auch wenn Vieles heute digital verwaltet<br />

Interessenvertreter immer wieder erfahren.<br />

Für sie ist der Kalender ein gefragter Begleiter<br />

durch den Alltag. Bernd Fuhrmann sagt: Schmidt den Kalender für eine prima Idee.<br />

wird, halten Bernd Fuhrmann und Holger<br />

Anzeige<br />

»Die Gestaltung ist sehr gelungen und übersichtlicher<br />

als bei vielen anderen Kalendern, Outlook-Kalender, der natürlich auch noch<br />

»Er bietet eine viel bessere Übersicht als ein<br />

die man bekommt. Es ist alles enthalten, genutzt wird«, sagt Bernd Fuhrmann. Und für<br />

um ihn gut nutzen zu können.« Und Holger Holger Schmidt ist auch im digitalen Zeitalter<br />

klar: »Ein Wandkalender ist durch nichts<br />

Schmidt meint: »Ich finde es besonders<br />

gut, dass die Cartoon-Figuren aufgegriffen zu ersetzen.«<br />

wurden – das ist ja ein Markenzeichen des<br />

Bund- Verlags.«<br />

Die Interessenvertreter wissen auch schon,<br />

wo der Helfer aus Papier hin soll: Beide wollen<br />

den Kalender im Betriebsratsbüro aufhängen,<br />

um die Kommunikation mit den anderen<br />

Mitgliedern des Gremiums zu erleichtern.<br />

Alle wichtigen Termine, wie zum Beispiel<br />

auch der Ramadan, werden ein getragen,<br />

November 1 2 3 4 5 6 KW 45 7 8 9 10 11 12 13 KW 46 14 15 16 17 18<br />

Allerheiligen<br />

Dezember 1 2 3 4 KW 49 5 6 7 8 9 10 11 KW 50 12 13 14 15 16<br />

1. Advent<br />

Sankt Nikolaus<br />

Bernd Fuhrmann<br />

Hl. Drei Könige<br />

Muttertag<br />

2. Advent<br />

Holger Schmidt<br />

Mariä Himmelfahrt<br />

Der neue<br />

»Kittner«<br />

erscheint!<br />

Gründonnerstag<br />

Fronleichnam<br />

Karfreitag<br />

8


www.betriebsratswissen-<strong>online</strong>.de<br />

Machen Sie den<br />

28-Tage-Gratis-Test!<br />

Betriebsratswissen <strong>online</strong><br />

Die Datenbank speziell für Betriebsräte<br />

Die Inhalte im Überblick<br />

Kittner<br />

Arbeits- und Sozialordnung<br />

Gesetze und Normen mit Einleitungen und Übersichten<br />

Däubler / Kittner / Klebe / Wedde (Hrsg.)<br />

BetrVG Kommentar für die Praxis<br />

Der Standard-Kommentar mit Wahlordnung<br />

und EBR-Gesetz<br />

Däubler / Kittner / Klebe / Wedde (Hrsg.)<br />

Arbeitshilfen für den Betriebsrat<br />

Alle Vorlagen für die rechtssichere Umsetzung des<br />

BetrVG – mit Wahlunterlagen und EBR-Gesetz<br />

Schoof<br />

Betriebsratspraxis von A bis Z<br />

Das Lexikon für die betriebliche Interessenver tretung<br />

Große Rechtsprechungsdatenbank<br />

Alle wichtigen Landes- und Bundesarbeitsgerichts -<br />

entscheidungen<br />

Ganz nah dran.<br />

Ihr Partner im Arbeits- und Sozialrecht.


titelthema<br />

änderungskündigung<br />

AiB 9 | 2016<br />

Sie können bleiben –<br />

für weniger Geld<br />

arbeitsvertrag Angespannte wirtschaftliche Situation, schlechter Vertrags abschluss<br />

aus Sicht des Arbeitgebers: Dies kann Folgen für Beschäftigte haben. Wir gehen der<br />

Frage nach, unter welchen Bedingungen der Arbeit geber Arbeits verträge ändern kann.<br />

VON REGINA STEINER<br />

10


AiB 9 | 2016<br />

<strong>Eine</strong> Teilkündigung einzelner Vertragsklauseln<br />

ist nicht zulässig, denn das würde den Kündigungsschutz<br />

der Beschäftigten unterlaufen.<br />

Verträge können jederzeit im gegenseitigen<br />

Einvernehmen geändert werden, aber keine<br />

Vertragsseite muss sich auf ein entsprechendes<br />

Angebot einlassen. Vertragsänderungen sind<br />

stets freiwillig. Lässt sich der Beschäftigte darauf<br />

ein und unterzeichnet er die neuen Bedingungen,<br />

gibt es grundsätzlich kein Zurück. Die<br />

Motive, die zur Unterschrift bewogen haben,<br />

spielen keine Rolle. Die Angst um den Arbeitsplatz<br />

oder der Druck der Verhandlungssituation,<br />

dem nicht standgehalten wurde, beänderungskündigung<br />

titelthema<br />

Wer kennt nicht folgende Situation<br />

aus eigener Anschauung<br />

oder hat zumindest schon<br />

davon gehört? Vor vielen<br />

Jahren wurde ein Arbeitsvertrag geschlossen.<br />

Hier wurde zum Beispiel vereinbart, dass das<br />

Entgelt nach einem bestimmten Tarifvertrag<br />

bezahlt wird und die wöchentliche Arbeitszeit<br />

35 Stunden bei einer Vollzeitbeschäftigung beträgt.<br />

Nun bedauert der Arbeitgeber den Vertragsabschluss<br />

– nicht etwa, weil er mit dem<br />

Mitarbeiter nicht zufrieden ist, er hätte die Arbeitsleistung<br />

nur gerne billiger eingekauft. Von<br />

Tarifverträgen will er nichts mehr wissen und<br />

Arbeitszeiten von 42 Stunden wecken bei ihm<br />

Begehrlichkeiten. Möglicherweise zwingt ihn<br />

auch tatsächlich die wirtschaftliche Situation,<br />

Sparmaßnahme zu ergreifen, um den Betrieb<br />

gewinnbringend fortzuführen.<br />

Änderung des Arbeitsvertrags<br />

Grundsätzlich gilt, dass der Arbeitgeber an<br />

den einmal abgeschlossenen Arbeitsvertrag gebunden<br />

ist. Mag sein, dass der Arbeitsmarkt es<br />

ihm heute ermöglicht, die gleiche Arbeitsleistung<br />

günstiger zu erhalten, dennoch ist er an<br />

die Konditionen der bereits abgeschlossenen<br />

Verträge gebunden. Soweit der Arbeitsvertrag<br />

nichts Abschließendes regelt, kann der Arbeitgeber<br />

einseitig Inhalt, Ort und Zeitpunkt der<br />

Arbeitsleistung (§ 106 Gewerbeordnung) bestimmen.<br />

Stößt er jedoch an die Grenzen des<br />

Direktionsrechts, hat er die Wahl, den Arbeitnehmer<br />

von der Notwendigkeit der Vertragsänderung<br />

zu überzeugen oder zur Änderungskündigung<br />

zu greifen.<br />

darum geht es<br />

1. Verträge sind zu<br />

halten. Das gilt auch<br />

für Arbeitsverträge.<br />

Vertrags änderungen sind<br />

nur im gegenseitigen<br />

Einvernehmen möglich.<br />

2. Möchte der Arbeitgeber<br />

eine Vertragsänderung<br />

gegen den<br />

Willen des Beschäftigten<br />

durchsetzen, kann er zur<br />

Änderungskündigung<br />

greifen.<br />

3. Die Änderungskündigung<br />

ist aber nur<br />

in engen Grenzen zulässig<br />

und Beschäftigte<br />

haben die Möglichkeit,<br />

diese gerichtlich prüfen<br />

zu lassen.<br />

Teilkündigung nicht zulässig<br />

11


titelthema<br />

änderungskündigung<br />

AiB 9 | 2016<br />

zwei teile<br />

einer änderungskündigung<br />

übersicht<br />

Aktuelle Rechtsprechung zur Änderungskündigung<br />

Das bisherige Arbeitsverhältnis<br />

wird gekündigt<br />

und gleichzeitig erhält<br />

der Beschäftigte ein<br />

Angebot, unter welchen<br />

Bedingungen das Arbeitsverhältnis<br />

fortgesetzt<br />

werden soll.<br />

Die Grundsätze zur Änderungskündigung<br />

<strong>Eine</strong> ordentliche Beendigungskündigung ist<br />

nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />

ausgeschlossen, wenn die Möglichkeit besteht,<br />

den Arbeitnehmer auf einem anderen freien<br />

Arbeitsplatz auch zu geänderten Arbeitsbedingungen<br />

weiterzubeschäftigen.<br />

<strong>Eine</strong> solche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit<br />

hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer anzubieten.<br />

Das Angebot kann lediglich in Extremfällen<br />

(beispielsweise offensichtlich völlig<br />

unterwertige Beschäftigung) unterbleiben. Der<br />

Arbeitgeber kann Angebot und Kündigung miteinander<br />

verbinden, indem er ohne vorherige<br />

Verhandlungen mit dem Arbeitnehmer sofort<br />

eine Änderungskündigung ausspricht.<br />

Macht der Arbeitgeber vor Ausspruch einer<br />

Kündigung dem Arbeitnehmer das Angebot,<br />

den Vertrag der noch bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit<br />

anzupassen und<br />

lehnt der Arbeitnehmer dieses Angebot ab,<br />

ist der Arbeitgeber regelmäßig nach dem<br />

Verhältnis mäßigkeitsgrundsatz verpflichtet,<br />

trotzdem eine Änderungskündigung auszusprechen.<br />

<strong>Eine</strong> Beendigungskündigung ist nur<br />

dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer unmissverständlich<br />

zum Ausdruck gebracht hat, er<br />

werde die geänderten Arbeitsbedingungen im<br />

Fall des Ausspruchs einer Änderungskündigung<br />

nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer<br />

sozialen Rechtfertigung, annehmen.<br />

Spricht der Arbeitgeber ohne vorheriges<br />

oder gleichzeitiges Angebot der geänderten<br />

Arbeitsbedingungen sofort eine Beendigungskündigung<br />

aus, ist diese Kündigung regelmäßig<br />

sozialwidrig. Es unterliegt Bedenken, in derartigen<br />

Fällen fiktiv zu prüfen, ob der Arbeitnehmer<br />

die geänderten Arbeitsbedingungen<br />

bei einem entsprechenden Angebot vor oder<br />

mit Ausspruch der Kündigung zumindest unter<br />

Vorbehalt angenommen hätte. 1<br />

Zur Bestimmtheit des Änderungsangebots<br />

Das Änderungsangebot ist nicht hinreichend<br />

bestimmt, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />

zu den in einem näher bezeichneten<br />

Tarifvertrag geregelten Bedingungen<br />

erfolgen soll, der jedoch im Zeitpunkt des<br />

Zugangs der Änderungskündigung noch nicht<br />

unter Wahrung des Schriftformerfordernisses<br />

des § 1 Abs. 2 Tarifvertragsgesetzes zustande<br />

gekommen ist. 2<br />

Sozialauswahl auch bei<br />

Änderungskündigung<br />

Bei einer Änderungskündigung ist die Sozialauswahl<br />

nicht allein daran auszurichten,<br />

welcher von mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern<br />

durch den Verlust des Arbeitsplatzes<br />

am wenigsten hart getroffen würde. Es ist<br />

zu prüfen (unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer<br />

die Änderungskündigung unter<br />

Vorbehalt angenommen hat oder nicht), ob der<br />

Arbeit geber, diese Änderung einem vergleichbaren<br />

Arbeitnehmer hätte anbieten können,<br />

dem sie eher zumutbar gewesen wäre, statt die<br />

Arbeitsbedingungen des gekündigten Arbeitnehmers<br />

zu ändern. Auch hierfür sind allein die<br />

Kriterien Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten,<br />

Lebensalter und Schwerbehinderung<br />

maßgebend. 3<br />

Änderungskündigung und<br />

Gehaltsabsenkung<br />

Die Gleichbehandlung mit anderen Arbeitnehmern<br />

stellt kein dringendes betriebliches<br />

Erfordernis dar, das die Verschlechterung einer<br />

arbeitsvertraglichen Vergütungsregelung im<br />

Wege der Änderungskündigung bedingen<br />

kann. Zur Verschlechterung arbeitsvertraglicher<br />

Vergütungsregelungen mittels ordentlicher<br />

Änderungskündigung aus betrieblichen<br />

Gründen hat das BAG entschieden, dass die<br />

Änderung sozial gerechtfertigt sein kann,<br />

wenn die Unrentabilität des Betriebes einer<br />

Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen<br />

entgegensteht. Dies ist der Fall, wenn<br />

durch die Senkung der Personalkosten die<br />

Stilllegung des Betriebs oder die Reduzierung<br />

der Belegschaft verhindert werden kann und<br />

die Kosten durch andere Maßnahmen nicht zu<br />

senken sind. 4<br />

1 BAG 21.4.2005 – 2 AZR 132/04, ArbuR 2005, 469 – 470. 2 BAG 17.2.2016 – 2 AZR 613/14, brwo.<br />

3 BAG 29.1.2015 – 2 AZR 164/14, ArbuR 2015, 153 – 154<br />

(red. Leitsatz).<br />

4 BAG 20.1.2000 – 2 ABR 40/99, AiB 2000, 578 – 579<br />

(red. Leitsatz 1 – 2 und Gründe).<br />

12


AiB 9 | 2016 änderungskündigung titelthema aib-seminartipps<br />

Änderungskündigung und Krankheit<br />

<strong>Eine</strong> Änderung der Arbeitsbedingungen nach<br />

§ 2 KSchG kann auch durch eine krankheitsbedingte<br />

Leistungsminderung bedingt sein. <strong>Eine</strong><br />

ordentliche Änderungskündigung kann sozial<br />

gerechtfertigt sein, wenn die bisherigen und<br />

nach der Prognose zu erwartenden Auswirkungen<br />

der eingeschränkten Leistungsfähigkeit<br />

des Arbeitnehmers zu einer erheblichen<br />

Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen.<br />

Liegen diese im wirtschaftlichen Bereich,<br />

kommt es darauf an, ob die Arbeitsleistung<br />

des Arbeitnehmers die berechtigten Erwartungen<br />

des Arbeitgebers von der Gleichwertigkeit<br />

der beiderseitigen Leistungen in einem<br />

Maße unterschreitet, dass ihm das Festhalten<br />

am bisherigen Arbeitsvertrag unzumutbar<br />

wird; eine lediglich geringfügige – qualitative<br />

oder quantitative – Minderleistung reicht<br />

dafür nicht aus. 5<br />

Änderungskündigung von Betriebsräten<br />

Der Arbeitgeber muss dem Mandatsträger<br />

eine möglichst gleichwertige Stellung anbieten.<br />

Die angebotene Beschäftigung muss<br />

nach der Rechtsprechung des BAG entweder<br />

im Rahmen des Direktionsrechts liegen oder<br />

einvernehmlich vorgenommen werden. Ist die<br />

Ausübung des Direktionsrechts zur Übernahme<br />

auf einen anderen Arbeitsplatz nicht<br />

ausreichend und ist es auch nicht zu einer<br />

einvernehmlichen Regelung gekommen, muss<br />

der Arbeitgeber mögliche Weiterbeschäftigung<br />

in einer anderen Betriebsabteilung im<br />

Rahmen einer Änderungskündigung anbieten.<br />

Der gleichwertige Arbeitsplatz in einer anderen<br />

Abteilung muss – anders als im Fall des § 1<br />

Abs. 2 Satz 2 KSchG – nicht frei sein. Ist ein<br />

gleichwertiger Arbeitsplatz in einer anderen<br />

Abteilung vorhanden und mit einem nicht<br />

durch § 15 KSchG geschützten Arbeitnehmer<br />

besetzt, muss der Arbeitgeber versuchen, den<br />

Arbeitsplatz durch Umverteilung der Arbeit,<br />

durch Ausübung seines Direktionsrechts oder<br />

auch durch den Ausspruch einer Kündigung<br />

für den Mandatsträger freizumachen. 6<br />

rechtigen nicht zur Anfechtung des Vertrags.<br />

Dies ist nur unter ganz engen Voraussetzungen<br />

möglich. Die Rechtsprechung verlangt,<br />

dass Arbeitnehmer einer Drucksituation oder<br />

Überrumpelung widerstehen und die Unterschrift<br />

verweigern. 7 Erst wenn die Drucksituation<br />

die Grenze zur Nötigung überschritten<br />

hat, besteht eine Chance, den abgeschlossenen<br />

Änderungsvertrag wieder ungeschehen zu machen.<br />

8 Dabei muss bedacht werden, dass der<br />

Beschäftigte die Nötigung beweisen muss. Dies<br />

kann er in aller Regel nicht, weil entsprechende<br />

Zeugen fehlen. Werden Beschäftigte zum<br />

Gespräch ins Personalbüro gebeten, sollten<br />

sie erst mal nichts unterschreiben und auch<br />

keine Zusagen machen. Oft ist es hilfreich, ein<br />

Betriebsratsmitglied zum Gespräch hinzuzuziehen.<br />

<strong>Eine</strong> Vertragsänderung ist niemals so<br />

eilig, dass sie sofort geschehen muss. Es sollte<br />

eine Selbstverständlichkeit sein, dass der Beschäftigte<br />

den Vertragstext mitnehmen kann<br />

und ausreichend Zeit zur Prüfung und zum<br />

Nachdenken erhält.<br />

Keine Angst vor Änderungskündigung<br />

Besteht die Unsicherheit, ob die neuen Vertragsbedingungen<br />

gerechtfertigt sind, sollte<br />

von einer freiwilligen Vertragsänderung immer<br />

Abstand genommen werden. Der Arbeitgeber<br />

ist nicht berechtigt, deswegen das<br />

Arbeitsverhältnis zu beenden. 9 Er muss stets<br />

das mildere Mittel wählen, um sein Ziel zu<br />

erreichen. Das ist in diesem Fall die Änderungskündigung.<br />

Sie besteht aus zwei Teilen:<br />

Das bisherige Arbeitsverhältnis wird gekündigt<br />

und gleichzeitig erhält der Beschäftigte<br />

ein Angebot, unter welchen Bedingungen das<br />

Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden soll. Dabei<br />

müssen die neuen Vertragsbedingungen<br />

so angeboten werden, dass der Arbeitnehmer,<br />

wenn er denn möchte, sie mit einem schlichten<br />

»einverstanden« annehmen kann. 10 Dem<br />

Beschäftigten muss klar sein, welche Vertragsbedingungen<br />

künftig gelten sollen.<br />

Kündigungsgrund muss vorliegen<br />

Der Arbeitgeber kann eine wirksame Änderungskündigung<br />

nur aussprechen, wenn<br />

er einen Kündigungsgrund dafür hat. Diese<br />

Gründe finden sich im Kündigungsschutzgesetsetz<br />

(KSchG). 11 <strong>Eine</strong> Änderungskündigung<br />

ist danach nur möglich, wenn verhaltens-, per-<br />

Zum Schwerpunkt der AiB<br />

09/2016 empfiehlt Ihnen die<br />

AiB-Redaktion diese Seminare<br />

im Jahr 2016 / 2017:<br />

2016:<br />

ver.di b+b<br />

Mensch geht vor!<br />

Betriebsverfassung: Personelle<br />

Angelegenheiten (BR 2)<br />

17.10. – 21.10. Sundern<br />

14.11. – 18.11. Brannenburg<br />

21.11. – 25.11. Berlin (in Englisch)<br />

5.12. – 9.12. Kirkel<br />

} } verdi-bub.de/br2<br />

2016:<br />

IG Metall<br />

Personelle Maßnahmen<br />

und Betriebsratshandeln<br />

(Grundlagen seminar<br />

für Betriebs räte)<br />

In den IG Metall-Bildungszentren<br />

25.9. – 30.9. Beverungen<br />

9.10. – 14.10. Lohr<br />

9.10. – 14.10. Beverungen<br />

13.11. – 18.11. Lohr<br />

} } www.igmetall.de/bildung<br />

2016 / 2017:<br />

DGB Bildungswerk Bund<br />

Einstellungen, Versetzungen<br />

und Kündigungen<br />

Was kann der Betriebsrat tun?<br />

19.10. – 21.10.2016 Hamburg<br />

16.1. – 20.1.2017 Hamburg<br />

26.6. – 30.6.2017 Berlin<br />

} } www.betriebsratsqualifi<br />

zierung.de/seminar/217511565<br />

2016:<br />

IG BCE BWS GmbH<br />

Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

– Arbeitsrecht 2<br />

6.11. – 11.11. Haltern am See<br />

13.11. – 18.11. Kagel-Möllenhorst<br />

4.12. – 9.12. Bad Münder<br />

} } www.igbce-bws.de/<br />

Seminarthemen/Arbeitsrecht<br />

5 BAG 22.10.2015 – 2 AZR 550/14, ArbuR 2016, 212 (red. Leitsatz).<br />

6 BAG 12.3.2009 – 2 AZR 47/08, AiB 2010, 273 – 275.<br />

7 LAG Rheinland-Pfalz 28.1.2016 – 5 Sa 398/15, juris.<br />

8 BAG 27.11.2003 – 2 AZR 135/03, AiB Newsletter 2004, 32 (Leitsatz 1).<br />

9 BAG 21.4.2005 – 2 AZR 132/04, ArbuR 2005, 463 – 464 (Leitsatz 1).<br />

10 BAG 17.2.2016 – 2 AZR 613/14.<br />

11 Dieses Gesetz findet nur Anwendung in Betrieben mit in der<br />

Regel mehr als 10 Arbeitnehmern und wenn der Arbeitsvertrag<br />

bereits länger als 6 Monate besteht, siehe dazu § 23 KSchG.<br />

13


titelthema<br />

änderungskündigung<br />

AiB 9 | 2016<br />

Oft werden Umstrukturierungsmaßnahmen<br />

genutzt, um Beschäftigte<br />

zu weniger Geld weiterzubeschäftigen.<br />

sonen- und betriebs bedingte Gründe vorliegen<br />

(§ 1 Abs. 2 KSchG). <strong>Eine</strong> verhaltensbedingte<br />

Änderungskündigung wird in der Praxis sehr<br />

selten vorkommen. Darunter versteht man<br />

Kündigungsgründe, die sich aus dem (schlechten)<br />

Verhalten des Arbeitnehmers ergeben.<br />

Denkbar wäre der Fall, dass zwei Arbeitskollegen<br />

nicht miteinander klarkommen und es immer<br />

wieder Streit gibt. Durch die Änderungskündigung<br />

und das Angebot eines anderen<br />

Arbeitsplatzes kommt es dazu, dass sie künftig<br />

nicht mehr zusammenarbeiten müssen. Damit<br />

können die Streitigkeiten in der Zukunft vermieden<br />

werden. Zuvor wird der Arbeitgeber<br />

aber regelmäßig erst einmal eine Abmahnung<br />

aussprechen müssen.<br />

Die personenbedingte Änderungskündigung<br />

hat dagegen schon mehr Praxisrelevanz.<br />

Darunter versteht man alle Gründe, die aus<br />

der Persönlichkeit des Arbeitnehmers heraus<br />

resultieren und grundsätzlich nicht durch den<br />

Willen gesteuert werden können. Der bekannteste<br />

Fall ist die Krankheit. <strong>Eine</strong> Änderungskündigung<br />

ist beispielsweise dann notwendig,<br />

wenn der Beschäftigte aus gesundheitlichen<br />

Gründen seine bisherige Arbeit nicht mehr<br />

verrichten kann und er auf einen leidensgerechten<br />

Arbeitsplatz umgesetzt werden muss. 12<br />

Auch der Kraftfahrer, der seinen Führerschein<br />

wegen einer Privatfahrt verloren hat und deshalb<br />

kein Auto mehr steuern darf, kann im<br />

Wege der Änderungskündigung auf einen anderen<br />

Arbeitsplatz versetzt werden.<br />

Der Hauptanwendungsbereich der Änderungskündigung<br />

liegt aber bei betriebsbedingten<br />

Gründen. Es muss ein dringender<br />

betriebsbedingter Grund vorliegen, der die<br />

Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen<br />

unmöglich macht. Das kann der Fall<br />

sein, wenn wegen betrieblicher Umstrukturierungsmaßnahmen<br />

bestimmte Arbeiten fremdvergeben<br />

werden, dafür aber andere neue<br />

Arbeitsplätze entstehen. <strong>Eine</strong> Änderungskündigung<br />

ist auch dann notwendig, wenn der Betrieb<br />

oder Betriebsabteilungen ihren Standort<br />

verlagern. Dies gilt nicht, wenn im Arbeitsvertrag<br />

eine Versetzungsklausel enthalten ist, die<br />

die räumliche Versetzung im Wege des Direktionsrechts<br />

gestattet. Gehaltsabsenkungen als<br />

Sparmaßnahme sind in der Regel kein dringender<br />

betrieblicher Kündigungsgrund. 13<br />

Was tun bei Änderungskündigung?<br />

Nach Erhalt der Änderungskündigung hat<br />

der Beschäftigte nun drei Möglichkeiten zu<br />

reagieren:<br />

··<br />

Nimmt der Beschäftigte das Angebot an,<br />

das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedin-<br />

12 BAG 22.10.2015 – 2 AZR 550/14, ArbuR 2016, 212 (red. Leitsatz). 13 BAG 20.10.2000 – 2 ABR 40/99, AiB 2000, 578 – 579<br />

(red. Leitsatz 1 – 2 und Gründe).<br />

14


AiB 9 | 2016<br />

änderungskündigung<br />

titelthema<br />

gungen fortzuführen, besteht das Arbeitsverhältnis<br />

zu diesen Bedingungen fort. Streitig<br />

ist, innerhalb welcher Frist das Angebot angenommen<br />

werden muss. Nach Ablauf der<br />

Kündigungsfrist kann es nicht mehr angenommen<br />

werden. Dem Arbeitnehmer muss<br />

auch eine lange Bedenkzeit eingeräumt werden.<br />

Der Arbeitgeber kann dafür eine Frist<br />

setzen, diese darf aber keinesfalls kürzer als<br />

drei Wochen sein. 14<br />

··<br />

Lehnt der Beschäftigte das Angebot ab oder<br />

schweigt er, endet das Arbeitsverhältnis mit<br />

Ablauf der Kündigungsfrist. Er kann nun<br />

innerhalb von drei Wochen nach Zugang<br />

des Kündigungsschreibens Klage vor dem<br />

Arbeits gericht einlegen und überprüfen lassen,<br />

ob die Beendigungskündigung gerechtfertigt<br />

ist.<br />

··<br />

Der Beschäftigte kann auch innerhalb von<br />

drei Wochen die Kündigung unter Vorbehalt<br />

annehmen und innerhalb dieser Frist Kündigungsschutzklage<br />

erheben (§ 2 KSchG).<br />

Das Arbeitsverhältnis wird dann nach Ablauf<br />

der Kündigungsfrist unter den geänderten<br />

Bedingungen fortgesetzt, bis das Arbeitsgericht<br />

über die soziale Rechtfertigung der<br />

geänderten Arbeitsbedingungen entschieden<br />

hat. Ist die Klage erfolgreich, wird das<br />

Arbeitsverhältnis zu den ursprünglichen Bedingungen<br />

fortgesetzt, ansonsten verbleibt<br />

es bei den geänderten Bedingungen.<br />

Betriebsrat und Änderungskündigung<br />

Betriebsratsmitglieder genießen einen besonderen<br />

Kündigungsschutz. Sie sind deshalb<br />

grundsätzlich nur außerordentlich kündbar.<br />

<strong>Eine</strong> Ausnahme gilt, wenn sie wegen der<br />

Schließung des Betriebs oder einer Betriebsabteilung<br />

gekündigt werden. Dann ist eine ordentliche<br />

Kündigung möglich (§ 15 KSchG),<br />

im letzteren Fall aber nur, wenn keine andere<br />

Beschäftigungsmöglichkeit besteht. Diese Vorschriften<br />

decken nicht alle Fälle ab, die in der<br />

betrieblichen Realität vorkommen.<br />

Hier hilft die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts<br />

(BAG). Der Arbeitgeber<br />

kann nun eine außerordentliche Änderungskündigung<br />

mit sozialer Auslauffrist aussprechen.<br />

Diese Kündigung benötigt zunächst<br />

die Zustimmung des Betriebsrats nach § 103<br />

BetrVG. Erteilt der Betriebsrat die Zustimmung<br />

zur außerordentlichen Änderungskündigung<br />

nicht, kann der Arbeitgeber versuchen,<br />

diese im Wege eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens<br />

ersetzen zu lassen. Solange<br />

dieser Prozess nicht rechtskräftig entschieden<br />

ist, kann die Änderungskündigung nicht ausgesprochen<br />

werden.<br />

beispiel<br />

Der Arbeitgeber möchte seine Führungsstruktur<br />

verschlanken und setzt künftig<br />

keine Gruppenleiter mehr ein. Die<br />

Führungs aufgaben sollen die Regionalleiter<br />

mit übernehmen. Die Betriebsratsvorsitzende<br />

ist Gruppenleiterin. Nach dem strengen<br />

Wortlaut des Gesetzes wäre eine Kündigung<br />

nicht möglich. Es liegt weder eine Betriebsschließung<br />

noch eine Betriebsteil schließung<br />

vor. Der Arbeitgeber müsste nun das<br />

Betriebsratsmitglied als Gruppenleiterin<br />

weiterbeschäftigen, obwohl es keine Aufgaben<br />

mehr hat.<br />

Es ist nachvollziehbar, dass das BAG zu dem<br />

Schluss kommt, dass es einem Arbeitgeber<br />

nicht zuzumuten ist, ein Betriebsratsmitglied<br />

weiterzuzahlen, obwohl keine Beschäftigung<br />

gemäß dem geltenden Arbeitsvertrag mehr zur<br />

Verfügung steht. Problematisch ist aber, dass<br />

Arbeitgeber in der Praxis diese Öffnung des<br />

Kündigungsschutzes dafür ausnutzen, Betriebsratsmitglieder<br />

»sauerzufahren«. Umstrukturierungsmaßnahmen<br />

werden genutzt – manchmal<br />

auch initiiert –, um Betriebsratsmitgliedern Arbeitsplätze<br />

im Wege der Änderungskündigung<br />

anzubieten, die beispielsweise drei bis fünf Entgeltgruppen<br />

niedriger bezahlt werden. <strong>Eine</strong>r<br />

Diplompädagogin in leitender Stellung wird<br />

ein Platz als Erzieherin angeboten, einem Facharbeiter<br />

ein Platz als Maschinenbediener, weil<br />

seine Aufgaben fremdvergeben wurden.<br />

Hier heißt es, Nerven behalten und nicht<br />

klein beigeben. In seiner ständigen Rechtsprechung<br />

betont das BAG, dass der Mandatsträger<br />

Anspruch auf einen möglichst gleichwertigen<br />

Arbeitsplatz hat. 15 Notfalls muss ein solcher Arbeitsplatz<br />

sogar freigekündigt werden. v<br />

Regina Steiner,<br />

Anwältin und Fachanwältin<br />

für Arbeitsrecht, Frankfurt.<br />

www.steiner-mittlaender.de<br />

14 BAG 6.2.2003 – 2 AZR 674/01, AiB Newsletter 2003, 26<br />

(Leitsatz 1).<br />

15 BAG 2.3.2006 – 2 AZR 83/05, ArbuR 2006, 331 (Leitsatz),<br />

BAG 21.6.2012 – 2 AZR 343/11, ArbuR 2013, 50 (red. Leitsatz).<br />

15


titelthema<br />

änderungskündigung<br />

AiB 9 | 2016<br />

Bei Veränderungen<br />

mitbestimmen<br />

betriebsverfassung Kündigungen müssen im Arbeitsrecht nicht<br />

zwangsläufig zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen, sie<br />

können auch die bloße Änderung von Arbeitsbedingungen bezwecken.<br />

Wie können Betriebsräte hier die Beschäftigten unterstützen?<br />

VON CHRISTOPHER KOLL<br />

darum geht es<br />

1. Bei Änderungskündigungen<br />

müssen Betriebsräte<br />

vom Arbeitgeber<br />

angehört werden.<br />

2. Sie haben die Möglichkeit<br />

– wie bei der<br />

Beendi gungs kündigung –<br />

Wider spruch und Bedenken<br />

zu äußern.<br />

3. Auch andere Mitbestimmungsrechte<br />

– wie<br />

die Zustimmung zu einer<br />

Versetzung oder Umgruppierung<br />

– können<br />

betroffen sein.<br />

Arbeitgeber greifen zur Änderungskündigung,<br />

wenn sich die Änderung<br />

des Arbeitsvertrages nicht<br />

einvernehmlich herbeiführen lässt,<br />

weil der betroffene Arbeitnehmer mit der Änderung<br />

nicht einverstanden ist. Die hier bestehenden<br />

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats<br />

stärken die Rechtsposition des Einzelnen.<br />

Inhaltliche und rechtliche Einordnung<br />

Die Änderungskündigung findet eine gesetzliche<br />

Regelung in § 2 Kündigungsschutzgesetz<br />

(KSchG). Danach besteht die Änderungskündigung<br />

aus zwei miteinander verbundenen Erklärungen<br />

des Arbeitgebers. Zum einen wird<br />

das Arbeitsverhältnis gekündigt, zum anderen<br />

wird dem Arbeitnehmer aber gleichzeitig auch<br />

das Angebot gemacht, das Arbeitsverhältnis zu<br />

geänderten Konditionen fortzuführen. Diese<br />

Änderung kann sich auf sämtliche Vertragsbedingungen<br />

beziehen, die dem Arbeitsverhältnis<br />

zugrunde liegen. Dabei muss es sich nicht zwingend<br />

um Inhalte des schriftlichen Arbeitsvertrages<br />

handeln, auch mündliche Absprachen oder<br />

eine betriebliche Übung können Vertragsgegenstand<br />

geworden sein und daher zum Gegenstand<br />

einer Änderungskündigung werden. Soweit<br />

der Arbeitsvertrag bereits die Möglichkeit<br />

einer späteren Änderung von Vertragsbedingungen<br />

einräumt, kann eine solche bereits im Wege<br />

des Direktionsrechts vom Arbeitgeber einseitig<br />

vorgenommen werden, sofern die Grenzen des<br />

Direktionsrechts eingehalten werden. <strong>Eine</strong>r<br />

Änderungskündigung bedarf es dann grundsätzlich<br />

nicht mehr. Derartige Vertragsklauseln<br />

finden sich häufig im Hinblick auf spätere Änderungen<br />

des Arbeitsortes und der Arbeitstätigkeit<br />

und werden dann in der Regel als allgemeine<br />

Versetzungsklauseln bezeichnet. Neben dem<br />

Arbeitsort und der Arbeitstätigkeit unterliegt<br />

die Arbeitszeit häufig Änderungsversuchen des<br />

Arbeitgebers. Dabei können sämtliche Aspekte<br />

der Arbeitszeit wie beispielsweise die Länge<br />

der Wochenarbeitszeit, aber auch die Lage der<br />

täglichen Arbeitszeit oder sogar die Lage von<br />

Pausenzeiten betroffen sein, wenn diese arbeitsvertraglich<br />

festgelegt sind. In der Praxis dürfte<br />

allerdings häufiger der Fall auftreten, dass nur<br />

die Wochenarbeitszeit im Arbeitsvertrag geregelt<br />

ist und der Arbeitgeber sich dann für die<br />

Lage der konkreten Arbeitszeiten die Ausübung<br />

seines Direktionsrechts vorbehalten hat. <strong>Eine</strong><br />

Änderung der Arbeitstätigkeit kommt dagegen<br />

auch bei Vorliegen einer Versetzungsklausel nur<br />

auf der Ebene der bisher ausgeübten Tätigkeit in<br />

Betracht. <strong>Eine</strong> Degradierung oder Beförderung<br />

kann daher gegen den Willen des Betroffenen<br />

nicht einseitig im Direktionsrecht angeordnet<br />

werden, sondern bedarf immer des Ausspruchs<br />

der Änderungskündigung.<br />

Mitbestimmung nach § 102 BetrVG<br />

Da auch die Änderungskündigung zur Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses führen kann<br />

(wenn nämlich der Arbeitnehmer das Änderungsangebot<br />

ausschlägt und sich die Kündigung<br />

als wirksam erweist), unterliegt sie vor allem<br />

der Mitbestimmung des Betriebsrats nach<br />

16


AiB 9 | 2016<br />

änderungskündigung<br />

titelthema<br />

§ 102 BetrVG. Er ist also vor Ausspruch einer<br />

Änderungskündigung zwingend nach § 102<br />

Abs. 1 BetrVG anzuhören, anderenfalls wäre<br />

die Kündigung unheilbar unwirksam. Der Betriebsrat<br />

kann im Rahmen seiner Anhörung<br />

dann entsprechend auf seine Rechte aus § 102<br />

Abs. 2 BetrVG und § 102 Abs. 3 BetrVG zurückgreifen.<br />

Er kann also Bedenken gegen die<br />

Kündigung äußern.<br />

Bedenken äußern<br />

Hierunter fallen alle Gesichtspunkte, die seiner<br />

Ansicht nach gegen die Rechtmäßigkeit<br />

der Kündigung sprechen. Dies umfasst formale<br />

Aspekte, wie die zwingende Schriftform der<br />

Kündigung nach § 623 Bürgerliches Gesetzbuch<br />

(BGB), als auch sämtliche inhaltlichen<br />

Bedenken, wie das Fehlen eines Kündigungsgrundes<br />

nach § 1 Abs. 2, 3 KSchG. Auch die<br />

Nichteinhaltung der Kündigungsfrist kann<br />

gerügt werden, denn auch bei der Änderungskündigung<br />

muss der Arbeitgeber die gleiche<br />

Kündigungsfrist einhalten, die bei Ausspruch<br />

einer ordentlichen Beendigungskündigung<br />

einschlägig wäre. Entsprechend kann die beabsichtigte<br />

Änderung dann auch erst frühestens<br />

nach Ablauf der Frist umgesetzt werden.<br />

Widerspruch äußern<br />

Unabhängig von bestehenden Bedenken kann<br />

der Betriebsrat der Änderungskündigung aber<br />

auch nach § 102 Abs. 3 BetrVG widersprechen.<br />

Voraussetzung für die formale Wirksamkeit<br />

des Widerspruchs ist die Inbezugnahme<br />

eines der Widerspruchsgründe, die in § 102<br />

Abs. 3 BetrVG ausdrücklich genannt sind (siehe<br />

dazu Überblick auf Seite 18 im Kasten).<br />

So kann der Betriebsrat bemängeln, dass die<br />

Sozialauswahl nicht korrekt vorgenommen<br />

wurde, dass eine Auswahlrichtlinie nicht eingehalten<br />

wurde, dass eine Weiterbeschäftigung<br />

auf einem freien Arbeitsplatz im Betrieb oder<br />

Unternehmen möglich wäre oder dass eine<br />

Umschulung dergleichen ermöglichen könnte.<br />

Dagegen kommt der Widerspruchsgrund wegen<br />

einer Weiterbeschäftigung unter geänderten<br />

Vertragsbedingungen wohl nur in Betracht,<br />

wenn es sich um eine von der Änderungskündigung<br />

abweichende Änderung handelt, zu der<br />

sich der Arbeitnehmer im Vorfeld einverstanden<br />

erklärt hat, die der Arbeitgeber dann aber<br />

gerade nicht umsetzen will. Der Widerspruch<br />

des Betriebsrats löst dann den Weiterbeschäftigungsanspruch<br />

des betroffenen Arbeitnehmers<br />

nach § 102 Abs. 5 BetrVG aus. Das bedeutet,<br />

dass der Arbeitgeber den Beschäftigten bis zum<br />

rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens<br />

weiterbeschäftigen muss.<br />

Allerdings können sich bei der Änderungskündigung<br />

abweichende Rechtsfolgen ergeben,<br />

die von der Reaktion des Arbeitnehmers<br />

auf das Änderungsangebot abhängen. Wenn<br />

nämlich das Änderungsangebot nach Ausspruch<br />

der Änderungskündigung vorbehaltlos<br />

angenommen wurde, erfolgt einvernehmlich<br />

eine Beschäftigung zu den neuen Bedingungen<br />

und der Weiterbeschäftigungsanspruch (zu<br />

den alten Bedingungen) geht ins Leere. Nach<br />

der Rechtsprechung des Bundesarbeitgerichts<br />

(BAG) gilt das Gleiche aber auch für den Fall,<br />

dass die Änderung unter Vorbehalt angenommen<br />

und dann geklagt wurde. 1<br />

Achtung: Frist<br />

Sofern der Betriebsrat Bedenken äußern oder<br />

der Kündigung widersprechen will, muss dies<br />

nach § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG schriftlich<br />

innerhalb einer Woche ab der Anhörung erfolgen<br />

und bedarf eines ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses.<br />

Wenn die Frist versäumt<br />

wird, gilt seine Zustimmung nach § 102 Abs. 2<br />

Satz 2 BetrVG als erteilt.<br />

anhörung des betriebsrats<br />

<strong>Eine</strong> korrekte Anhörung des Betriebsrats<br />

setzt folgende Eckdaten voraus:<br />

··<br />

Namen, Vornamen, Geburtsdatum<br />

und Geschlecht des betroffenen Arbeitnehmers<br />

··<br />

Funktion, d.h. Arbeitsplatz im Betrieb<br />

oder Stelle<br />

··<br />

Dauer der Beschäftigung oder<br />

Einstellungs datum<br />

··<br />

Etwaige arbeitsvertragliche oder<br />

tarif vertragliche Unkündbarkeit<br />

··<br />

Etwaige Behinderung<br />

··<br />

Art der geplanten Kündigung<br />

(ordentlich oder außerordentlich?)<br />

··<br />

Grund für die geplante Kündigung<br />

(= Motiv des Arbeitgebers:<br />

Warum soll gekündigt werden?)<br />

Neuerscheinung!<br />

Für gute<br />

Gremiumsarbeit<br />

Klaus Eberhard / Thomas Haedge<br />

Thomas Nitzsche<br />

Beschlussfassung im Betriebsrat<br />

Rechtliche Grundlagen und Mustertexte,<br />

mit Online-Verlängerung<br />

2016. 223 Seiten, gebunden<br />

€ 39,90<br />

ISBN: 978-3-7663-6584-2<br />

www.bund-verlag.de/6584<br />

1 BAG 28.3.1985 – 2 AZR 548/83.<br />

kontakt@bund-verlag.de 17<br />

Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20


titelthema<br />

änderungskündigung<br />

AiB 9 | 2016<br />

aib-web.de<br />

} } Mehr zum Thema<br />

Änderungskündigung im<br />

Betriebsrats-Lexikon auf:<br />

www.aib-web.de ><br />

Betriebsrats-Lexikon><br />

Änderungskündgung<br />

Betriebsratsmitglied betroffen<br />

Sofern die geplante Änderungskündigung ein<br />

Betriebsratsmitglied betrifft, gilt für die Beteiligung<br />

des Betriebsrats § 103 BetrVG mit der<br />

Folge, dass der Ausspruch nur nach ausdrücklicher<br />

Zustimmung des Betriebsrats oder nach<br />

Ersetzung derselben durch das zuständige<br />

Arbeits gericht erfolgen kann.<br />

Mitbestimmung nach § 99 BetrVG<br />

Da sich die beabsichtigte Änderung der Arbeitsbedingungen<br />

auf verschiedenste Bereiche<br />

des Arbeitsverhältnisses beziehen kann,<br />

muss der Betriebsrat im konkreten Einzelfall<br />

immer prüfen, ob über § 102 BetrVG hinaus<br />

nicht auch andere Mitbestimmungsrechte berührt<br />

sein könnten. So führt eine Änderung<br />

des Arbeitsortes oder der Arbeitstätigkeit im<br />

Regelfall auch eine Versetzung herbei, die<br />

dann nach § 99 BetrVG ebenfalls die Mitbestimmung<br />

des Betriebsrats auslöst. Der Arbeitgeber<br />

muss dann den Betriebsrat sowohl nach<br />

§ 102 BetrVG als auch nach § 99 BetrVG<br />

anhören. Für den Betriebsrat ist letzteres das<br />

stärkere Recht, denn bei § 99 BetrVG benötigt<br />

der Arbeitgeber für die Umsetzung der Maßnahme<br />

seine ausdrückliche Zustimmung. Unterbleibt<br />

die Beteiligung nach § 99 BetrVG, ist<br />

die Maßnahme allein schon aus diesem Grund<br />

unwirksam. 2 Sofern der Betriebsrat die der Änderungskündigung<br />

innewohnende Versetzung<br />

für unwirksam hält, kann er die Zustimmung<br />

nach § 99 Abs. 2 BetrVG verweigern.<br />

Achtung: Frist<br />

Ähnlich wie bei § 102 Abs. 3 BetrVG ist die<br />

Verweigerung formal aber nur wirksam, wenn<br />

sie dem Arbeitgeber nach § 99 Abs. 3 BetrVG<br />

schriftlich innerhalb einer Woche ab der Anhörung<br />

zugeht und auf einem wirksamen Betriebsratsbeschluss<br />

beruht. In der schriftlichen<br />

Verweigerung muss sich der Betriebsrat zudem<br />

auf einen der Verweigerungsgründe des § 99<br />

Abs. 2 BetrVG berufen, und zwar unter Bezugnahme<br />

auf den konkreten Fall. Dabei wird<br />

bei Versetzungen häufig auf § 99 Abs. 2 Nr. 4<br />

BetrVG zurückzugreifen sein, wenn man davon<br />

ausgehen muss, dass die geplante Versetzung<br />

den betroffenen Arbeitnehmer ungerechtfertigt<br />

benachteiligt. Dies kann beispielsweise<br />

bei geplanter Degradierung des Arbeitnehmers<br />

der Fall sein, solange der bisherige Arbeitsplatz<br />

gar nicht weggefallen ist. Es ist aber natürlich<br />

auch denkbar, dass die Versetzung gegen jeden<br />

anderen der sechs Verweigerungsgründe des<br />

§ 99 Abs. 2 BetrVG verstößt.<br />

Änderung der Arbeitszeit kann<br />

Einstellung sein<br />

Bei geplanten Änderungen der Arbeitszeit liegt<br />

nach der Rechtsprechung des BAG regelmäßig<br />

keine Versetzung vor, da nicht der Arbeitsbereich<br />

nach § 95 Abs. 3 BetrVG betroffen ist. 3<br />

Dies gilt unabhängig davon, ob die Dauer der<br />

Arbeitszeit oder ihre Lage betroffen ist. Allerdings<br />

kann bei Änderungen der Wochenarbeitszeit<br />

eine Einstellung nach § 99 Abs. 1<br />

BetrVG vorliegen, wenn es um eine Erhöhung<br />

des Arbeitszeitvolumens von mindestens 10<br />

Stunden geht, die länger als einen Monat andauert.<br />

4 Dagegen unterliegt die Reduzierung<br />

der Wochenarbeitszeit nicht der Mitbestimmung<br />

des Betriebsrats. Dies gilt selbst dann,<br />

wenn im Einzelfall eine vollständige Reduzierung<br />

auf null im Rahmen einer vollständigen<br />

Freistellung von der Arbeitsleitung vorliegt.<br />

Gegen eine solche Suspendierung muss der<br />

widerspruchsgründe im überblick<br />

Die vom Gesetz in § 102 Abs. 3 BetrVG<br />

aufgelisteten Widerspruchsgründe<br />

sind folgende:<br />

1. Der Arbeitgeber hat bei der Auswahl des<br />

zu kündigenden Arbeitnehmers soziale<br />

Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend<br />

berücksichtigt.<br />

2. Die Kündigung verstößt gegen eine Auswahlrichtlinie<br />

im Sinne des § 95 BetrVG.<br />

3. Der zu kündigende Arbeitnehmer kann<br />

an einem anderen (freien) Arbeitsplatz<br />

im selben Betrieb oder in einem anderen<br />

Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt<br />

werden.<br />

4. Die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers<br />

ist nach zumutbaren Umschulungsoder<br />

Fortbildungsmaßnahmen möglich.<br />

5. <strong>Eine</strong> Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers<br />

ist unter geänderten Vertragsbedingungen<br />

möglich und der Arbeitnehmer<br />

hat sein Einverständnis hiermit erklärt.<br />

2 BAG 5.4.2001 – 2 AZR 580/99. 3 BAG 23.11.1993 – 1 ABR 38/93.<br />

4 BAG 25.1.2005 – 1 ABR 59/03.<br />

18


AiB 9 | 2016<br />

änderungskündigung<br />

titelthema<br />

betroffene Arbeitnehmer dann gegebenenfalls<br />

individualrechtlich vorgehen.<br />

Änderung hat Auswirkungen aufs Gehalt<br />

Sofern die geplante Änderung einer Arbeitstätigkeit<br />

Auswirkungen auf das Gehalt des Betroffenen<br />

hat, kann eine Umgruppierung nach<br />

§ 99 Abs. 1 BetrVG im Raum stehen. Voraussetzung<br />

dafür ist das Vorliegen einer kollektiv<br />

im Betrieb geltenden Vergütungsordnung, in<br />

die der betroffene Arbeitnehmer eingruppiert<br />

ist. Ändert sich durch die Änderungen in der<br />

Arbeitstätigkeit jetzt automatisch auch die<br />

Eingruppierung, ist der Betriebsrat nach § 99<br />

BetrVG zu beteiligen. Allerdings beschränkt<br />

sich seine Einwirkungsmöglichkeit dann auf<br />

eine reine Rechtskontrolle, denn er kann nur<br />

überprüfen, ob nach der Änderung der Tätigkeit<br />

die richtige Entgeltgruppe zur Anwendung<br />

kommt. Soll die Änderung selbst unterbunden<br />

werden, muss dies über die Anhörung zur Versetzung<br />

selbst erfolgen.<br />

Weitere Mitbestimmungsrechte<br />

Änderungen der Arbeitszeit bei einem Arbeitnehmer<br />

lösen automatisch auch immer die<br />

Frage aus, ob das Mitbestimmungsrecht des<br />

Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG<br />

betroffen ist. Da die Länge der Wochenarbeitszeit<br />

nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats<br />

unterliegt, ist hier nur in Ausnahmefällen<br />

mit Konflikten zu rechnen. Sollte<br />

die Wochenarbeitszeit im Betrieb allerdings<br />

durch eine (freiwillige) Betriebsvereinbarung<br />

geregelt sein, müssen deren Vorgaben auch<br />

vor Ausspruch einer Änderungskündigung<br />

beachtet werden. Dies gilt im Übrigen für alle<br />

Änderungen von Arbeitsbedingungen, die<br />

im Betrieb durch eine Betriebsvereinbarung<br />

geregelt werden. Verstöße berechtigen den<br />

Betriebsrat immer zum Widerspruch, sei es<br />

nach § 102 Abs. 2 BetrVG, § 99 Abs. 2 Nr. 1<br />

BetrVG oder allein nur aufgrund der Nichteinhaltung<br />

einer geltenden Betriebsvereinbarung.<br />

Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn sich die<br />

geplante Änderung auf die Lage der Arbeitszeiten<br />

beziehen soll. Dies ist beispielsweise<br />

gegeben, wenn ein einzelner Arbeitnehmer<br />

aus betrieblichen Gründen in Zukunft auch<br />

an Samstagen eingesetzt werden soll, die bisher<br />

arbeitsfrei waren. Häufig gehen Arbeitgeber<br />

auch hier von einer mitbestimmungsfreien<br />

Maßnahme aus, weil bei einer einzelnen Änderung<br />

kein kollektiver Tatbestand vorliegt.<br />

Nach der einschlägigen Rechtsprechung des<br />

BAG liegt allerdings nur dann ein echter Einzelfall<br />

vor, wenn die Maßnahme allein auf die<br />

persönlichen Bedürfnisse des Arbeitnehmers<br />

zugeschnitten wurde. Wird dagegen die Lage<br />

der Arbeitszeit aus betrieblichen Gründen geändert<br />

und bei einer Änderungskündigung zudem<br />

noch gegen den Willen des Betroffenen,<br />

greift die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1<br />

Nr. 2 BetrVG voll durch. 5 Das Gleiche gilt für<br />

§ 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG, wenn die<br />

geplante Änderung beispielsweise auf Gehaltsbestandteile<br />

abzielt. 6<br />

Mitbestimmung durchsetzen<br />

Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats<br />

bei Änderungskündigungen sichern den arbeitsrechtlichen<br />

Schutz der im Betrieb beschäftigten<br />

Arbeitnehmer und sollten daher<br />

auch sehr nachdrücklich verfolgt werden. Gegen<br />

unterbliebene Beteiligungen nach § 102<br />

und § 99 BetrVG kann der Betriebsrat insbesondere<br />

Unterlassungsanträge beim Arbeitsgericht<br />

stellen, je nach Fall auch nach § 23 Abs. 3<br />

BetrVG, wenn ein grober Verstoß vorliegt. Dasselbe<br />

gilt für Verletzungen der Mitbestimmung<br />

nach § 87 BetrVG. v<br />

Christopher Koll, Fachanwalt für<br />

Arbeits recht und Partner in der<br />

Kanzlei Bell & Windirsch,<br />

Düsseldorf.<br />

Der Betriebsrat kann<br />

Beschäftigte mithilfe<br />

unterschiedlicher<br />

Mit bestimmungsrechte<br />

bei einer Änderungskündigung<br />

unterstützen.<br />

5 BAG 24.4.2007 – 1 ABR 47/06.<br />

6 Dazu mehr in AiB 6/2016, S. 18 – 21 – Koll, Mitbestimmung beim<br />

Entgelt.<br />

19


titelthema<br />

änderungskündigung<br />

AiB 9 | 2016<br />

Sich nicht unter<br />

Druck setzen lassen<br />

besonderer kündigungsschutz Für Betriebsratsmitglieder gilt<br />

ein besonderer Kündigungsschutz. Sie sollen bei der Betriebsrats arbeit<br />

nicht gestört werden. Was aber, wenn der Arbeitgeber Änderungskündigungen<br />

ausspricht? Fragen an den Experten.<br />

FRAGEN DER REDAKTION<br />

In welchen Situationen können Änderungskündigungen<br />

ausgesprochen werden? <strong>Eine</strong><br />

Änderungskündigung kommt in Betracht,<br />

wenn Umstrukturierungsmaßnahmen vorgenommen<br />

werden und dadurch der Arbeitsplatz<br />

eines Betriebsratsmitglieds tatsächlich<br />

entfällt. Kann der Arbeitgeber das betroffene<br />

Mitglied nicht im Rahmen seines Direktionsrechts<br />

in eine andere Abteilung oder in einen<br />

anderen Betriebsteil versetzen, ist eine Änderungskündigung<br />

möglich. Wenn ansonsten<br />

eine Beendigungskündigung erfolgen würde,<br />

müsste sogar – als milderes Mittel – eine soldarum<br />

geht es<br />

1. Betriebsratsmitglieder<br />

können nur außerordentlich,<br />

das heißt aus wichtigem<br />

Grund, gekündigt<br />

werden.<br />

2. Auch außerordentliche<br />

Änderungskündigungen<br />

sind möglich – etwa wenn<br />

bei Umstrukturierungen<br />

Hierarchieebenen wegfallen.<br />

3. Trotzdem gibt es gute<br />

Chancen, sich zu wehren.<br />

Betroffene Kollegen sollten<br />

sich gewerkschaftlich<br />

oder anwaltlich beraten<br />

lassen.<br />

Unliebsame Interessenvertreter per<br />

Änderungskündigung loszuwerden,<br />

mag eine interessante Option<br />

für manchen Arbeitgeber sein.<br />

Doch so einfach geht das nicht.<br />

Kommt es oft vor, dass Betriebsratsmitglieder<br />

von Änderungskündigungen betroffen sind?<br />

Änderungs kündigungen von Betriebsratsmitgliedern<br />

sind für den Arbeitgeber schwer<br />

durchzusetzen, da auch hier der besondere<br />

Kündigungsschutz des § 15 Kündigungsschutzgesetz<br />

(KSchG) greift. Grundsätzlich können<br />

Betriebsratsmitglieder nur außerordentlich,<br />

das heißt aus wichtigem Grund, gekündigt<br />

werden. Wenn der Betriebsrat einer Kündigung<br />

nicht zustimmt, muss der Arbeitgeber sich die<br />

Zustimmung vor dem Arbeitsgericht ersetzen<br />

lassen. Das kann einige Zeit in Anspruch nehmen,<br />

weshalb viele Arbeitgeber – zu Recht – davor<br />

zurückschrecken. Es wird deshalb häufig<br />

zunächst nur damit gedroht und die Ankündigung<br />

einer Änderungskündigung als Druckmittel<br />

eingesetzt. Davon sollte sich aber kein<br />

Betriebsrat beeindrucken lassen!<br />

Gilt der Schutz auch für Versetzungen? Ja,<br />

auch hier muss das Gremium im Vorfeld zustimmen,<br />

soweit das betroffene Mitglied mit<br />

der Versetzung nicht einverstanden ist. Damit<br />

soll verhindert werden, dass der Arbeitgeber<br />

mit der Folge eines Amtsverlustes unliebsame<br />

Betriebsräte in eine andere Stadt oder in einen<br />

weit entfernten Betrieb versetzen kann.<br />

Betriebsrats mitglieder<br />

sollten sich von<br />

Änderungs kündigungen<br />

nicht beeindrucken<br />

lassen.<br />

20


AiB 9 | 2016<br />

änderungskündigung<br />

titelthema<br />

che ausgesprochen werden. Da der Arbeitgeber<br />

aufgrund des bestehenden Sonderkündigungsschutzes<br />

nur außerordentlich kündigen<br />

darf, wird in bestimmten Sonderkonstellationen<br />

auch eine außerordentliche Änderungskündigung<br />

anerkannt. Entfällt etwa aufgrund<br />

einer unternehmerischen Entscheidung zur<br />

Umstrukturierung eine komplette Hierarchieebene,<br />

kann dies ein wichtiger Grund für eine<br />

außerordentliche Änderungskündigung eines<br />

bisher in dieser Führungsebene beschäftigten<br />

Betriebsratsmitglieds sein.<br />

Wichtig zu wissen: Der Kündigungsschutz<br />

wird eingeschränkt bei Abteilungs- beziehungsweise<br />

Betriebsstilllegungen. In diesen<br />

Fällen lässt das Gesetz auch eine ordentliche<br />

Änderungskündigung des betroffenen Betriebsratsmitglieds<br />

zu.<br />

In welcher Form muss der Betriebsrat bei<br />

Änderungskündigungen beteiligt werden?<br />

Gerade bei dem Wegfall von Hierarchieebenen<br />

wird der Arbeitgeber eine außerordentliche<br />

Änderungskündigung aussprechen müssen,<br />

so dass die vorherige Zustimmung des<br />

Betriebsrats zwingend erforderlich ist. Bei einer<br />

ordentlichen Änderungskündigung ist der<br />

»Die Hürden<br />

für den Arbeitgeber<br />

sind hoch,<br />

Betriebs ratsmitglieder<br />

können<br />

sich deshalb regelmäßig<br />

erfolgreich<br />

wehren.«<br />

MARC-OLIVER SCHULZE<br />

Betriebsrat dagegen »nur« nach § 102 BetrVG<br />

anzuhören. Dabei wird oft übersehen, dass der<br />

Betriebsrat zusätzlich auch nach § 99 BetrVG<br />

angehört werden muss, da mit einer Änderungskündigung<br />

regelmäßig eine Versetzung<br />

und/oder Änderung der Eingruppierung im<br />

Sinne des § 99 BetrVG verbunden sein wird.<br />

Was kann dem betroffenen Mitglied geraten<br />

werden? Die Hürden für den Arbeitgeber<br />

sind hoch, Betriebsratsmitglieder können<br />

sich deshalb regelmäßig erfolgreich wehren.<br />

Der betroffenen Kollegin/dem betroffenen<br />

Kollegen ist zu empfehlen, sich gewerkschaftlich<br />

oder anwaltlich beraten zu lassen. Sofern<br />

bereits eine Änderungskündigung ausgesprochen<br />

wurde, müssen die kurzen Fristen des<br />

Kündigungs schutzgesetzes beachtet werden.<br />

<strong>Eine</strong> (Änderungs-)Kündigungsschutzklage<br />

kann wie bei der normalen Beendigungskündigung<br />

nur innerhalb von drei Wochen nach<br />

Zugang der Kündigung erhoben werden. Zuvor<br />

muss geklärt werden, ob die Änderung der<br />

Arbeitsbedingungen (unter Vorbehalt) angenommen<br />

wird.<br />

Hier ist wichtig: Die Weichen werden bereits<br />

im Zustimmungsersetzungsverfahren<br />

nach § 103 Abs. 2 BetrVG gestellt. In diesem<br />

Verfahren ist auch das betroffene Betriebsratsmitglied<br />

beteiligt.<br />

Wie sollte das Betriebsratsgremium vorgehen,<br />

um das betroffene Mitglied zu schützen?<br />

Im Regelfall sollte das Gremium die<br />

Zustimmung zur außerordentlichen Änderungskündigung<br />

verweigern. Der Arbeitgeber<br />

muss die Zustimmung dann gerichtlich<br />

ersetzen lassen. Das kostet Zeit und kann<br />

ein taktisches Mittel sein, um die Vergleichsbereitschaft<br />

des Arbeitgebers zu fördern. Ist<br />

eine ordentliche Änderungskündigung möglich,<br />

ist der Betriebsrat lediglich nach § 102<br />

BetrVG anzuhören. Hier sollte er dann –<br />

wenn die Gründe des § 102 Abs. 3 BetrVG gegeben<br />

sind – der Kündigung widersprechen.<br />

Und immer sollte geprüft werden, ob die behaupteten<br />

Gründe vorliegen oder ob sie nicht<br />

nur vorgeschoben sind, um ein Betriebsratmitglied<br />

auf das Abstellgleis zu bringen. Dann<br />

kann auch eine Behinderung der Betriebsratsarbeit<br />

vorliegen, gegen die der Betriebsrat<br />

vorgehen muss.<br />

Kann der Betriebsrat als Gremium von vornherein<br />

verhindern, dass der Arbeitgeber Änderungskündigungen<br />

ausspricht? <strong>Eine</strong> Patentlösung<br />

als Schutz vor Änderungskündigungen<br />

gibt es nicht. Solange aber der Betriebsrat dem<br />

Ansinnen des Arbeitgebers entgegentritt und<br />

beabsichtigten Änderungskündigungen regelmäßig<br />

widerspricht, wird der Arbeitgeber sehr<br />

schnell die Lust an diesem Gestaltungsmittel<br />

verlieren. v<br />

Marc-Oliver Schulze ist<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht<br />

bei den AfA Rechtsanwälten<br />

in Nürnberg.<br />

www.afa-anwalt.de<br />

rechtsgrundlage<br />

§ 103 BetrVG<br />

(1) Die außerordentliche<br />

Kündigung von Mitgliedern<br />

des Betriebsrats (...)<br />

bedarf der Zustimmung<br />

des Betriebsrats.<br />

(2) Verweigert der<br />

Betriebsrat seine Zustimmung,<br />

so kann das<br />

Arbeitsgericht sie auf<br />

Antrag des Arbeitgebers<br />

ersetzen, wenn die außerordentliche<br />

Kündigung<br />

unter Berücksichtigung<br />

aller Umstände gerechtfertigt<br />

ist. In dem Verfahren<br />

vor dem Arbeitsgericht<br />

ist der betroffene<br />

Arbeitnehmer Beteiligter.<br />

(...)<br />

21


aktuelles<br />

Nutze die Möglichkeit<br />

AiB 9 | 2016<br />

Nutze die Möglichkeit<br />

gesundheitsförderung Die Möglich keiten, einen Teil des Aufwandes<br />

für betriebliche Gesund heits förderung durch andere tragen zu lassen,<br />

waren nie besser. Das Präventionsgesetz macht's möglich.<br />

VON BETTINA FLÜS<br />

darum geht es<br />

1. Es gibt ein breites<br />

Spektrum an Möglichkeiten<br />

zur betrieblichen<br />

Gesundheitsförderung,<br />

die der Betriebsrat anstoßen<br />

sollte.<br />

2. Durch das neue<br />

Präventionsgesetz sind<br />

jetzt die Krankenkassen<br />

verpflichtet, mehr für die<br />

betriebliche Gesundheitsförderung<br />

zu tun.<br />

3. Das macht betrieblichen<br />

Gesundheitsschutz<br />

auch für kleine und<br />

mittlere Unternehmen<br />

attraktiv.<br />

Betriebsräte haben mit dem am<br />

1.1.2016 in Kraft getretenen Präventionsgesetz<br />

noch bessere Argumente,<br />

im Bereich der betrieblichen<br />

Gesundheitsförderung aktiv zu werden und im<br />

Interesse der Beschäftigten viele Gründe, dies<br />

auch zu tun. Das Gesetz verpflichtet die Krankenversicherungen<br />

dazu, für die Gesundheitsförderung<br />

der betrieblichen und nichtbetrieblichen<br />

Lebenswelten 1 mindestens 300 Mio. €,<br />

und damit doppelt so viel, wie in den vergangenen<br />

Jahren zur Verfügung zu stellen. Das<br />

macht betrieblichen Gesundheitsschutz auch<br />

für kleine und mittlere Unternehmen attraktiv.<br />

gut zu wissen<br />

Betriebliche Gesundheitsförderung ist<br />

nach einer Umfrage des WSI zur Arbeit der<br />

Betriebsräte im Jahr 2015 das am meisten<br />

genannte Thema. 2<br />

Verbesserte Unterstützung<br />

Ziel des Präventionsgesetzes ist es, den Betrieben<br />

verbesserte Unterstützung durch die Krankenkassen<br />

und andere Sozialversicherungsträger<br />

einzuräumen.<br />

übernahme von kosten<br />

Vorteile für Arbeitgeber, Arbeitnehmer<br />

und Betriebsrat: Übernahme von Kosten<br />

und Aufwand durch die Krankenkasse<br />

Durch das Präventionsgesetz gibt es verbesserte<br />

Möglichkeiten, einen Teil des finanziellen<br />

und personellen Aufwandes durch die Sozialversicherung<br />

tragen zu lassen. Sinn der verbesserten<br />

Leistungen ist zwar nicht die Entlastung<br />

des Arbeitgebers von Kosten, die dieser zwingend<br />

zur Vermeidung von Arbeitsunfällen und<br />

Berufskrankheiten aufwenden muss. 3 Allerdings<br />

profitiert der Arbeitgeber von einer Verbesserung<br />

der Gesundheit seiner Beschäftigten<br />

in mehrfacher Weise, sodass hier ein Plus für<br />

alle Beteiligten zu verzeichnen ist. Ein Argument<br />

für den Betriebsrat, weitere Aktivitäten<br />

anzustoßen und gemeinsam mit dem Arbeitgeber<br />

und der Krankenkasse umzusetzen.<br />

Zweigleisig fahren<br />

Die beste und umfassendste Unterstützung<br />

wird erreicht, wenn sowohl Unterstützungsleistungen<br />

der Krankenkasse nach dem Präventionsgesetz<br />

als auch Steuer- und Sozialabgabenfreiheit<br />

genutzt werden.<br />

Leistungen der Krankenkasse<br />

Die Krankenkasse kann sich durch Übernahme<br />

von Aufgaben oder durch finanzielle<br />

Förderung an den Maßnahmen beteiligen.<br />

Auch eine Bonuszahlung an den Arbeitgeber<br />

ist möglich. Voraussetzung dafür ist, dass die<br />

im Betrieb durchgeführte Gefährdungsbeurteilung<br />

keine Gesundheitsgefahren ermittelt<br />

hat. 4 Die verschiedenen Krankenkassen haben<br />

jeweils eigene Angebote und Schwerpunkte<br />

als Teil ihrer Förderung. Der Arbeitgeber kann<br />

mit allen Krankenkassen, die Mitglieder im<br />

Betrieb haben, verhandeln. Dabei ist es sinnvoll,<br />

mehrere Krankenkassen in die Auswahl<br />

22<br />

1 Kita, Schule, Kommunen, Betrieben und Pflegeeinrichtungen.<br />

2 Ergebnis aus der Befragung des WSI 2015 ergab Arbeitsschutz/<br />

Gesundheitsförderung als das meistgenannte Thema der<br />

Betriebsratsarbeit (Wandel der Arbeit und Restrukturierung von<br />

Organisationen – brauchen sozialpartnerschaftliche Lösungen<br />

neue Rahmenbedingungen? Dr. Elke Ahlers Wirtschafts- und<br />

sozialwissenschaftliches Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung,<br />

Düsseldorf Fachveranstaltung Veränderungsprozesse und<br />

Anpassungserfordernisse in der Arbeitswelt am 1. und 2.10.2015<br />

in Dortmund).<br />

3 Für den Arbeitsschutz hat der Arbeitgeber alleine aufzukommen,<br />

eine teilweise Finanzierung z. B. durch die auch durch<br />

Arbeitnehmerbeiträge finanzierten Krankenkassen kommt daher<br />

nicht in Frage.<br />

4 Falls Gesundheitsgefahren ermittelt wurden, ist zunächst Abhilfe<br />

zu leisten. Der Arbeitgeber ist hierzu gesetzlich verpflichtet.<br />

Kosten hierfür sind von ihm allein zu tragen, eine Bezuschussung<br />

kommt nicht in Frage. (Bundesrahmenplanempfehlung der NPK<br />

verabschiedet am 19.2.2016).


AiB 9 | 2016 Nutze die Möglichkeit aktuelles<br />

einzubeziehen, um ein passendes Angebot für<br />

die Beschäftigten auszusuchen oder gemeinsam<br />

zu entwickeln.<br />

gut zu wissen<br />

Die Suche und Auswahl von Krankenkassen<br />

wird voraussichtlich ab 2017 durch<br />

ein Internetportal 5 der Krankenkassen<br />

unterstützt. In diesem sollen länderspezifische<br />

Ziele, Regelungen und Angebote<br />

berücksichtigt werden. Auch bereits<br />

bestehende, wie zum Beispiel die der<br />

Industrie- und Handelskammern, oder<br />

in Gründung befindliche Netzwerke und<br />

Koordinierungsstellen unterstützen die<br />

Suche geeigneter Kooperationspartner<br />

und sollen hier eingestellt werden.<br />

Der Arbeitgeber kann mit verschiedenen Krankenkassen<br />

deren Unterstützungsangebote klären<br />

und sich dann für eine Krankenkasse als<br />

Kooperationspartnerin entscheiden. Die möglichen<br />

durchzuführenden Maßnahmen werden<br />

miteinander besprochen und Bedingungen<br />

verhandelt. Am Ende schließt der Arbeitgeber<br />

mit der Krankenkasse, deren Angebot überzeugt,<br />

eine Vereinbarung zur Gesundheitsförderung<br />

im Betrieb entsprechend § 20 Abs. 4<br />

Nr. 3, § 20 b Abs. 1, Leitfaden Prävention 6 und<br />

§ 20 c Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)<br />

ab. Die Leistungen kommen allen Beschäftigten<br />

– unabhängig von ihrer Mitgliedschaft in<br />

der kooperierenden Krankenkasse – zugute.<br />

Was fördert die Krankenkasse?<br />

Nach § 20 Abs. 1 SGB V werden Maßnahmen<br />

gefördert, die den Beschäftigten zur Verhinderung<br />

und Verminderung von Krankheitsrisiken<br />

zugute kommen und im Rahmen der<br />

Primärprävention 7 , das heißt, Förderung aller<br />

Maßnahmen und Verhaltensweisen, die geeignet<br />

sind, eine Krankheit zu verhindern:<br />

··<br />

Kurse zur Verminderung von Stress<br />

··<br />

gesundheitsorientierte Bewegungsmaßnahmen<br />

··<br />

Ernährungsberatung (beispielsweise zur Reduzierung<br />

von Fehlernährung oder Übergewicht)<br />

··<br />

Kurse zur Stressbewältigung und Entspannung<br />

··<br />

Seminare zur Einschränkung des Suchtmittel<br />

konsums (beispielsweise Rauchen<br />

und Alkohol am Arbeitsplatz)<br />

Primärprävention bedeutet auch Änderung<br />

der betrieblichen Verhältnisse:<br />

··<br />

Gesundheitsgerechte Führung<br />

linktipp<br />

Gewerkschaften im DGB<br />

und der DGB selber<br />

bieten im Rahmen der<br />

Initiative Gute Arbeit<br />

vielfältige Anregungen<br />

und Materialien. Seit dem<br />

DGB-Bundeskongress<br />

2006 ist es ein umfassendes<br />

Thema gewerkschaftlicher<br />

Arbeitspolitik. Dort<br />

wurde auch die Entwicklung<br />

des DGB- Indexes<br />

»Gute Arbeit« eingeleitet,<br />

einer guten Quelle für<br />

Ideen und Anregungen.<br />

Mehr dazu unter:<br />

www.index-gute-arbeit.<br />

dgb.de<br />

Auf dem Sitzball verändert<br />

man seine Sitzhaltung<br />

leichter und öfter<br />

als auf einem Stuhl. Oft<br />

sind die Oberschenkel<br />

und der Bauchraum weiter<br />

geöffnet. Das führt<br />

zu einer besseren Durchblutung,<br />

einem größeren<br />

Atemvolumen, größerer<br />

Aktivierung und zu einer<br />

besseren Versorgung<br />

des Gehirns.<br />

5 Stichwort »BGF Koordinierungsstellen« eventuell mit einem<br />

Länderzusatz.<br />

6 Ziffer 6.4 ,S. 77.<br />

7 Siehe hierzu auch Leitfaden Prävention https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/presse/publikationen/Leitfaden_Praevention-2014_barrierefrei.pdf<br />

23


aktuelles<br />

Nutze die Möglichkeit<br />

AiB 9 | 2016<br />

weitere mitbestimmungsrechte<br />

Je nach Gesundheitsthema<br />

sind noch andere<br />

Mitbestimmungsrechte<br />

anwendbar:<br />

··<br />

Rauchverbote oder<br />

ähnliche Regelungen<br />

berühren Fragen der<br />

Ordnung im Betrieb und<br />

sind nach § 87 Abs. 1<br />

Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig.<br />

··<br />

Maßnahmen, die drohenden<br />

berufsspezifisch<br />

bedingten gesundheitlichen<br />

Beeinträchtigungen<br />

entgegenwirken,<br />

unterliegen der Mitbestimmung<br />

nach § 87<br />

Abs. 1 Nr. 7 BetrVG.<br />

··<br />

Mitbestimmung bei<br />

der Einrichtung von<br />

Sozialeinrichtungen besteht<br />

beispielsweise bei<br />

der Ausgestaltung der<br />

Kantine nach § 87 Abs. 1<br />

Nr. 8 BetrVG.<br />

Geldwerte Leistungen<br />

als freiwillige Leistungen,<br />

die dem einzelnen<br />

Beschäftigten mit<br />

Entlohnungscharakter<br />

zugute kommen, sind<br />

nach § 87 Abs. 1 Nr. 10<br />

BetrVG Entgelt und<br />

somit mitbestimmungspflichtig.<br />

··<br />

Bewegungsförderliche Arbeitsbedingungen,<br />

beispielsweise Einrichtung eines Fitnessraumes<br />

8 , »Bewegte Pause« 9<br />

··<br />

Verhältnisbezogene Suchtprävention im Betrieb<br />

10<br />

··<br />

Informationsveranstaltungen zu Ergonomie<br />

am Arbeitsplatz<br />

··<br />

Vermeidung und Reduzierung arbeitsbedingter,<br />

körperlicher Belastungen (richtiges<br />

Heben, Transportieren u.a. von Lasten)<br />

Und auch betriebliche Rahmenbedingungen<br />

können gesundheitsförderlich gestaltet werden<br />

durch:<br />

··<br />

gesundheitsgerechte Ausrichtung der Kantinenverpflegung<br />

11<br />

··<br />

Einrichtung von Ruheräumen 12 oder andere<br />

Einrichtungen zum Entspannen 13<br />

··<br />

Führungskräftetraining zur Konfliktbewältigung<br />

Auch andere Maßnahmen, die dem Sinn und<br />

Zweck der Vorschriften §§ 20 ff SGB V entsprechen,<br />

können gewählt und durchgeführt<br />

werden.<br />

Bonuszahlungen durch die Krankenkasse<br />

Die Krankenkasse kann auch einen Bonus<br />

nach § 65a Abs. 2 SGB V an den Arbeitgeber<br />

zahlen. Der Bonus ist begrenzt durch die Aufwendungen<br />

des Arbeitgebers. Insoweit kann<br />

auch vereinbart werden, dass der Bonus wiederum<br />

in gesundheitsfördernde Maßnahmen<br />

investiert werden muss. Die Ausgestaltung liegt<br />

bei den einzelnen Kassen. Zum Beispiel bietet<br />

die AOK Niedersachsen niedersächsischen Betrieben,<br />

die in Zusammenarbeit mit der AOK<br />

ein betriebliches Gesundheitsmanagement<br />

einführen, einen Bonus als Satzungsleistung 14<br />

an. Dieser Bonus ist abhängig von der Qualität<br />

des betrieblichen Gesundheitsmanagements.<br />

Dazu wird jährlich eine Bewertung vorgenommen.<br />

Bereits auf Grundlage des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes<br />

– ab 1.1.2004 – war<br />

ein Bonus von bis zu 20.000 Euro für die AOK<br />

Versicherten möglich. 15<br />

Bedarf der Beschäftigten ermitteln<br />

Die Belastung der Beschäftigten ist in jedem<br />

Betrieb anders und unterscheidet sich selbst<br />

innerhalb des Betriebes je nach Arbeitsplatz.<br />

Es lohnt sich, die konkreten Belastungen, die<br />

zeitlichen und räumlichen Möglichkeiten und<br />

den subjektiven Bedarf der Beschäftigten zu<br />

ergründen, um mit dem Angebot tatsächlich<br />

die Belegschaft zu erreichen. Ein zusätzlicher<br />

Zuschuss zu ohnehin durch Krankenkassen<br />

geförderten Rückenkursen kann sinnvoll sein,<br />

wenn der Besuch dieser Kurse ansonsten aus<br />

finanziellen Gründen scheitert. Diese Variante<br />

hat jedoch für Schichtarbeitende, Außendienstler<br />

oder andere Beschäftigte mit unregelmäßiger<br />

Arbeitszeit keinen Sinn, da sie<br />

die erforderliche Anwesenheitsquote von 80<br />

Prozent im festgelegten Kurszeitraum für die<br />

Bezuschussung durch die Krankenkasse meist<br />

nicht erfüllen können.<br />

Steuerliche Förderung<br />

gut zu wissen<br />

Die Krankenkassenzusammenarbeit kann<br />

nach einiger Zeit beendet werden, um die<br />

Maßnahmen alleine fortzuführen, oder eine<br />

Kooperation kann mit einer anderen Krankenkasse<br />

weitergeführt werden.<br />

Verstellbare Arbeits tische:<br />

Gut für den Rücken.<br />

Leistungen, die dem einzelnen Arbeitnehmer<br />

bei der Gesundheitsförderung zugute kommen,<br />

sind ohne Prüfung, ob ein ganz überwiegendes<br />

eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers<br />

vorliegt, bis zu 500 € pro Mitarbeiter und Jahr<br />

steuerfrei nach. § 3 Nr. 34 Einkommenssteuergesetz<br />

(EStG) und frei von Sozialabgaben<br />

nach § 1 Abs. 1 Sozialversicherungsentgeltverordnung<br />

(SvEV). Bis zu diesem Betrag werden<br />

die Leistungen bei der Außenprüfung durch<br />

24<br />

8 Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG Form, Ausgestaltung<br />

und Verwaltung von Sozialeinrichtungen.<br />

9 Solche Angebote gibt es schon in Form von arbeitsplatznahen<br />

Bewegungsangeboten, bei denen Beschäftigte unter Fortzahlung<br />

der Vergütung teilnehmen können z. B. bei der deutschen<br />

Renten versicherung Bund oder der Humboldtuniversität Berlin.<br />

10 Rauchverbot BAG 19.1.1999 -1 AZR 499/98 , § 87 Abs. 1 Nr. 1<br />

BetrVG.<br />

11 § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG.<br />

12 BASF, Opel, Lufthansa, Vaillant, Berliner Staatsballet, Unilever AG.<br />

13 Sofa, Hängematte, Badewanne voll Schaumstoffbälle bei google<br />

14 § 7 a Satzung AOK Niedersachsen.Bereits vor Inkrafttreten der<br />

aktuellen Regelungen<br />

15 http://www.aok-business.de/niedersachsen/gesundheit/betriebliches-gesundheitsmanagement/gesundheit-im-unternehmen/<br />

betrieblicher-beitragsbonus/


AiB 9 | 2016 Nutze die Möglichkeit aktuelles<br />

die Finanzbehörde oder die Sozialversicherung<br />

nur pauschal geprüft. Ein Nachweis des<br />

überwiegend unternehmerischen Interesses ist<br />

nicht erforderlich. 16<br />

Auch Leistungen über 500 € möglich<br />

Auch Leistungen über 500 € pro Beschäftigtem<br />

können gewährt werden. Allerdings entfällt<br />

dann die Möglichkeit einer nur pauschalen<br />

Prüfung. Das Finanzamt überprüft dann,<br />

ob die Gesundheitsförderungsmaßnahmen im<br />

ganz überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse<br />

erfolgen oder es sich um einen sogenannten<br />

geldwerten Vorteil (das ist eine Form der<br />

Vergütung, die über den reinen Lohn hinausgeht<br />

und nicht in Geld ausgezahlt wird) für<br />

übersicht<br />

den Beschäftigten handelt, für den Einkommenssteuer<br />

und Sozialversicherungsbeiträge<br />

zu zahlen sind. Entscheidend ist, ob der Komfortaspekt<br />

im Vordergrund steht, oder die Leistung<br />

beispielsweise von Fachkräften mit einer<br />

Qualifikation im Bereich Gesundheit und Prävention<br />

erbracht wird.<br />

Überwiegend unter nehmer isches Interesse<br />

<strong>Eine</strong> Leistung ist im überwiegenden unternehmerischen<br />

Interesse, wenn sie geeignet ist,<br />

drohenden berufsspezifisch bedingten gesundheitlichen<br />

Beeinträchtigungen entgegenzuwirken.<br />

20 Bei Leistungen, die über 500 € liegen,<br />

muss daher im Einzelfall darauf geachtet werden,<br />

diese Kriterien zu erfüllen.<br />

Wichtige Entscheidungen des Bundesfinanzhofes<br />

Es gibt zu dem überwiegend unternehmerischen<br />

Interesse eine Reihe von Einzelentscheidungen<br />

des obersten deutschen<br />

Gerichts in Steuerstreitigkeiten, dem<br />

Bundesfinanz hofes (BFH):<br />

1. Massagen wurden vom BFH im Fall spezifisch<br />

berufsbedingten Beeinträchtigung<br />

der Gesundheit des Arbeitnehmers am<br />

Arbeitsplatz zur Vorbeugung von Nackenund<br />

Rückenschmerzen von an Computer-<br />

Arbeitsplätzen tätigen Arbeitnehmern als<br />

möglicherweise im ganz überwiegenden<br />

unternehmerischen Interesse liegend<br />

anerkannt. 17<br />

2. Wirbelsäulentherapie in Form einer<br />

integrierten funktionellen Rückenschmerztherapie<br />

zur Vorbeugung von Arbeitsausfällen<br />

hat das Finanzgericht Köln anerkannt. 18<br />

3. Rückentrainingsprogramme zur Vorbeugung<br />

und Behandlung von Berufskrankheiten<br />

hat der BFH ebenfalls als im<br />

eigenbetrieblichen Interesse eingestuft,<br />

wenn spezifische berufsbedingte Krankheiten<br />

damit vermieden werden sollen. 19<br />

4. Auch ein vom Arbeitgeber eingerichtetes<br />

Fitnessstudio im Betrieb führt nicht zu<br />

einem geldwerten Vorteil und damit zu<br />

steuer- und sozialabgabenpflicht für Beschäftigte.<br />

Das ist der Fall, wenn das<br />

Fitnessstudio allen ohne Auswirkung auf<br />

das ansonsten gezahlte Entgelt zur Verfügung<br />

gestellt wird, da es hier an einem<br />

Leistungsaustausch fehlt. 21<br />

5. Abgelehnt wurde das überwiegend eigenbetriebliche<br />

Interesse dagegen bei einer<br />

aus dem Arbeitsverhältnis verpflichtenden<br />

Regenerierungskur zur Verbesserung<br />

des allgemeinen Gesundheitszustandes<br />

mit Fitnesstraining und Massagen und<br />

bei voller Kostenübernahme durch den<br />

Arbeitgeber. Auch bei Mitinteresse des<br />

Arbeitgebers an gesunden und leistungsfähigen<br />

Mitarbeitern sah der BFH die<br />

Kosten in voller Höhe als Arbeitslohn an. 22<br />

Denn bei einer einheitlich zu beurteilenden<br />

Sach zuwendung an Arbeitnehmer<br />

scheidet eine Aufteilung in Arbeitslohn<br />

und Zu wendung im betrieblichen Eigeninteresse<br />

aus.<br />

Es reicht daher nicht, das eigenbetriebliche<br />

Interesse nur formal durch eine Verpflichtung<br />

zur Teilnahme zu begründen. Die<br />

Maßnahme muss vielmehr spezifische<br />

Risiken an den konkreten Arbeitsplätzen<br />

entgegenwirken, um vom Finanzamt und<br />

der Sozialversicherung als ohne Entlohnungscharakter<br />

und damit abgabenfrei<br />

eingestuft zu werden.<br />

steuerfreie<br />

massnahmen<br />

Nach der Gesetzesbegründung*<br />

zum<br />

Präventionsgesetz fallen<br />

unter die Steuerbefreiung<br />

»insbesondere<br />

die Leistungen, die im<br />

Leitfaden Prävention …<br />

aufgeführt sind.« Die<br />

Verwendung des Wortes<br />

»insbesondere« zeigt,<br />

dass der Gesetz geber<br />

den »Leit faden Prävention«<br />

nicht als abschließenden<br />

Katalog der<br />

steuerfreien Maßnahmen<br />

ansah, sondern die auch<br />

dort nicht auf gezählten<br />

Maßnahmen steuerfrei<br />

sein können. So sind Mitgliedsbeiträge<br />

an Sportvereine<br />

und Fitnessstudios<br />

nicht steuer befreit,<br />

während Zuschüsse an<br />

diese Institutionen befreit<br />

sind bei von diesen<br />

durch geführten Maßnahmen,<br />

die den fachlichen<br />

Anforderungen des<br />

Leit fadens Prävention<br />

gerecht werden.<br />

* Bundesrats-Drucksache 545/08<br />

zum Jahressteuergesetz 2008,<br />

S. 68 und Bundestags-Drucksache<br />

16/10189, S. 47.<br />

16 FG Bremen 11.2.2016 Az. 1 K 80/15 (5)<br />

17 BFH 30.5.2001, VI R 177/99, BStBl II 2001, 671<br />

18 FG Köln 24.9.2003, 12 K 428/03<br />

19 BFH 4.7.2007, VI B 78/06, BFH/NV 2007, 1874,<br />

20 BFH 07.5. 2014, VI R 28/13<br />

21 FG Münster 1.10.2015, 5K1994/13 U, BFH 9.12.2010, VR17/10<br />

22 BFH 11.3.2010, VI R 7/08, BStBl II 2010, 763<br />

25


aktuelles<br />

Nutze die Möglichkeit<br />

AiB 9 | 2016<br />

ausblick<br />

In der nächsten AiB-<br />

<strong>Ausgabe</strong> erfahren Sie wie<br />

Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutz<br />

innovativ durchgeführt<br />

werden kann am Beispiel<br />

Schmitz Cargobull.<br />

Wir haben dazu den<br />

Betriebsratsvorsitzenden<br />

von Schmitz Cargobull in<br />

Vreden interviewt.<br />

aib-web.de<br />

} } Wie der Betriebsrat die<br />

Einigungsstelle im Arbeits-<br />

und Gesundheitsschutz<br />

effektiv nutzen<br />

kann, erfahren Sie in dem<br />

Beitrag »Die Einigungsstelle<br />

im Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutz« von<br />

Max Oberberg und<br />

Christian Schoof;<br />

AiB 9/2012, S. 533 – 537.<br />

Online zu <strong>lesen</strong> auf<br />

www.aib-web.de<br />

Weitere Wege der Steuerfreiheit<br />

Manche Maßnahme der Gesundheitsförderung<br />

lässt sich allerdings auch mit wenig<br />

Einsatz und ohne Beanstandung bei der Außenprüfung<br />

durch die Steuerbehörde durchführen.<br />

Die monatliche Sachbezugsfreigrenze<br />

nach § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG für lohnsteuerpflichtige<br />

Bezüge beträgt 44 Euro. Wird dieser<br />

Grenzwert nicht überschritten, kann der Beschäftigte<br />

Sachbezüge steuer- und sozialabgabenfrei<br />

durch den Arbeitgeber erhalten. Das<br />

kann dann auch der Beitrag für das Fitnessstudio<br />

sein, der nicht unter § 20 SGB V fällt<br />

und daher abgabenpflichtig wäre. Übersteigt<br />

der Betrag also die 44 Euro Grenze nicht, so<br />

ist auch hier gesundheitsförderndes Verhalten<br />

durch Zahlung des Beitrages vom Arbeitgeber,<br />

beispielsweise auf Grundlage eines Rahmenvertrages<br />

unmittelbar an das Fitnessstudio<br />

steuerfrei als Sachbezug möglich. 23<br />

An apple a day …<br />

Zuletzt soll noch auf die Leistungen hingewiesen<br />

werden, die mit sehr geringem Aufwand<br />

steuer- und sozialabgabenfrei geleistet<br />

werden können: »An apple a day keeps the<br />

doctor away« ist ein englisches Sprichwort.<br />

Übersetzt in etwa: »Ein Apfel am Tag hält den<br />

Arzt fern.« Obst zum Verzehr im Betrieb ist<br />

eine Aufmerksamkeit, die nicht zu einer steuer-<br />

und sozialabgabenpflichtigen Bereicherung<br />

des Beschäftigten führt. Diese Leistung<br />

ist also vor vorneherein nicht steuerpflichtig<br />

und kann mit Leichtigkeit in jedem Betrieb<br />

umgesetzt werden.<br />

Mitbestimmen und Mitgestalten<br />

Der Betriebsrat hat vielfältige Möglichkeiten,<br />

Maßnahmen des Betriebes zur Förderung der<br />

Gesundheit der Mitarbeiter und Ausschöpfung<br />

der dargestellten Unterstützungsleistungen anzuregen<br />

und mitzugestalten (siehe zu weiteren<br />

Rechten auch Randspalte auf Seite 24).<br />

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG haben Betriebsräte<br />

umfassende Beteiligungsrechte im<br />

Arbeits- und Gesundheitsschutz. Insoweit benötigt<br />

der Arbeitgeber bei allen Maßnahmen die<br />

Zustimmung des Betriebsrats. Der Betriebsrat<br />

hat aber auch ein Initiativrecht im Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutz und kann so beispielsweise<br />

eine Gefährdungsbeurteilung durchsetzen. 24<br />

tipp<br />

Der Betriebsrat hat bei allen Maßnahmen,<br />

die der Arbeitgeber im Rahmen der betrieblichen<br />

Gesundheitsförderung ergreift,<br />

in unterschiedlicher Ausprägung mitzubestimmen.<br />

Dazu gehören auch die durch die<br />

Krankenkasse geförderten und steuerlich<br />

begünstigten Maßnahmen. Der Betriebsrat<br />

kann frühzeitig darauf hinwirken, dass<br />

unter Beteiligung von Beschäftigten und<br />

der Verantwortlichen für den Betrieb, die<br />

gesundheitliche Situation einschließlich<br />

ihrer Risiken und Potentiale erhoben und<br />

Vorschläge zur Verbesserung der gesundheitlichen<br />

Situation, zur Stärkung der<br />

gesundheitlichen Ressourcen und Fähigkeiten<br />

entwickelt werden.<br />

Der Betriebsrat kann jedoch im Rahmen des<br />

§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht alles, was der<br />

Gesundheitsförderung dient, erzwingen. Viele<br />

Leistungen in der betrieblichen Gesundheitsförderung<br />

fallen hinsichtlich des »ob« als freiwillige<br />

soziale Leistung nicht unter die erzwingbare<br />

Mitbestimmung. Hier ist Überzeugungsarbeit<br />

gefragt. Die Unterstützung und finanzielle Förderung<br />

durch die Krankenkasse sind dabei gute<br />

Argumente. Gerade in kleinen und mittleren<br />

Betrieben sind die Möglichkeiten häufig nicht<br />

bekannt. Der Betriebsrat kann eine Win-win<br />

Situation für alle Beteiligten herstellen. Hierbei<br />

hilft das am 1.1.2016 in Kraft getretenen Präventionsgesetz.<br />

25<br />

Ist der Arbeitgeber erst einmal bereit und<br />

überzeugt, sollte der Betriebsrat versuchen,<br />

auch an der Sichtung und Auswahl der kooperierenden<br />

Krankenkasse beteiligt zu sein.<br />

In dieser Phase finden wichtige Weichenstellungen<br />

statt. So hat der Betriebsrat die Möglichkeit,<br />

bereits in dieser Phase bekannte Probleme<br />

der Beschäftigten einzubringen oder<br />

auf besondere Schwierigkeiten hinzuweisen.<br />

Angebote »von der Stange« sind eben nicht<br />

maßgeschneidert. Der Betriebsrat weist auf<br />

vordringliche Bereiche hin und beeinflusst die<br />

Maßnahmen im Sinne der Beschäftigten. v<br />

Bettina Flüs, Juristin,<br />

Geschäftsführerin des<br />

ver.di-Gesamtbetriebsrats,<br />

Berlin.<br />

23 BFH 11.11.2010 – VI R 27/09, aus juris.<br />

24 Oberberg, Max., Schoof, Christian.; Die Einigungsstelle im<br />

Arbeits- und Gesundheitsschutz. So kann der Betriebsrat sie<br />

effektiv nutzen! AiB 9/2012, S. 533 – 537.<br />

25 http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=<br />

Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl115s1368.pdf#__bgbl__<br />

%2F%2F*[%40attr_id%3D%27bgbl115s1368.pdf%27]__<br />

1463662347381<br />

26


AiB 9 | 2016 Geburtstag der Mitbestimmung aktuelles<br />

Geburtstag der<br />

Mitbestimmung<br />

mitbestimmung Aufsichtsräte kontrollieren die Vorstandspolitik<br />

in großen Unternehmen. In Deutschland übernehmen<br />

das Vertreter der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite.<br />

Drei Gesetze regeln ihre unterschiedlichen Mitbestimmungsrechte.<br />

Zwei davon feiern 2016 Geburtstag.<br />

VON GUDRUN GIESE<br />

Am 10. April 1951 verabschiedete<br />

der Deutsche Bundestag das Gesetz<br />

über die Montanmitbestimmung.<br />

Juristisch korrekt heißt es:<br />

»Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer<br />

in den Aufsichtsräten und Vorständen<br />

der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen<br />

und Stahl erzeugenden Industrie«, abgekürzt<br />

MontanMitbestG« oder Montan-Mitbestimmungsgesetz.<br />

Bis heute gilt dieses Gesetz für<br />

alle Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie<br />

sowie im Bergbau mit mehr als 1.000<br />

Beschäftigten, wenn sie in der Rechtsform einer<br />

Aktiengesellschaft, einer Gesellschaft mit<br />

beschränkter Haftung oder einer sogenannten<br />

Einheitsgesellschaft (besondere Form der<br />

GmbH & Co KG) organisiert sind. Hier gilt<br />

die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat,<br />

das heißt, dass er sich je zur Hälfte aus<br />

Vertretern der Anteilseigner auf der einen, der<br />

Arbeitnehmer beziehungsweise der Gewerkschaften<br />

auf der anderen Seite zusammensetzt.<br />

Beide Parteien verständigen sich auf ein<br />

neutrales Aufsichtsratsmitglied, dessen Votum<br />

bei Stimmengleichheit den Ausschlag gibt.<br />

Besonderen Einfluss haben die Arbeitnehmervertreter<br />

im Aufsichtsrat bei der Wahl des<br />

Arbeitsdirektors: Er wird zwar vom gesamten<br />

Aufsichtsrat gewählt, benötigt aber in jedem<br />

Fall die Mehrheit der Arbeitnehmer-Stimmen.<br />

In Kapitalgesellschaften mit mehr als<br />

2.000 Mitarbeitern, die nicht zur Montanindustrie<br />

gehören, gilt seit 1976 ein eigenes<br />

Mitbestimmungsgesetz (MitbestG): Auch hier<br />

werden die Aufsichtsratssitze je zur Hälfte mit<br />

Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzt.<br />

Die Beschäftigten wählen dazu neben<br />

Betriebsangehörigen zwei bis drei von den<br />

Gewerkschaften vorgeschlagene Kandidaten.<br />

Im Unterschied zur Montanmitbestimmung<br />

erhält bei dieser Variante jedoch der<br />

Aufsichtsratsvorsitzende – der in der Regel<br />

von der Kapitalseite gestellt wird – doppeltes<br />

Stimmrecht, so dass bei Stimmengleichheit<br />

die Arbeitgeberseite letztlich entscheidet. Aus<br />

diesem Grund gilt die 1976er Mitbestimmung<br />

als »quasi-paritätisch«.<br />

Deutlich weniger weit reichen die Mitbestimmungsrechte<br />

der Arbeitnehmer in Kapitalgesellschaften<br />

mit einer Beschäftigtenzahl<br />

darum geht es<br />

1. In der Montanmitbestimmung<br />

gilt die paritätische<br />

Mitbestimmung in<br />

Aufsichtsräten.<br />

2. Weniger weit reicht<br />

die Mitbestimmung im<br />

Mitbestimmungs- und im<br />

Drittelbeteiligungsgesetz.<br />

3. Gegen politische<br />

Widerstände wurde nach<br />

dem 2. Weltkrieg die<br />

Montanmitbestimmung<br />

gesetzlich verankert.<br />

Das Montan-Mitbestimmungsgesetz<br />

gilt für alle<br />

Unternehmen der Eisenund<br />

Stahlindustrie sowie<br />

im Bergbau.<br />

27


aktuelles<br />

Geburtstag der Mitbestimmung<br />

AiB 9 | 2016<br />

zum weiter<strong>lesen</strong><br />

Informationen vom DGB<br />

zur Geschichte der Mitbestimmung<br />

mit Erklärung<br />

wichtiger Begriffe unter:<br />

www.dgb.de/uber-uns/<br />

bewegte-zeiten/60-<br />

jahre-dgb/1949-1958/<br />

kampf-um-die-mitbe<br />

stimmung<br />

zwischen 500 und 2.000: Hier gilt das Drittelbeteiligungsgesetz<br />

(DrittelbG) vom 18. Mai<br />

2004, das die zuvor im Betriebsverfassungsgesetz<br />

von 1952 geregelten Bestimmungen für<br />

diese Unternehmen ablöste. Wie der Name bereits<br />

sagt, entsendet die Arbeitnehmerseite ein<br />

Drittel der Aufsichtsräte, wobei Vertreter der<br />

Gewerkschaften nicht obligatorisch sind.<br />

Geschichte der Mitbestimmung in der<br />

Bundesrepublik Deutschland<br />

2016 jähren sich das Gesetz zur Montanmitbestimmung<br />

zum 65. und das zur 1976er Mitbestimmung<br />

zum 40. Mal. Grund genug einen<br />

Blick zurückzuwerfen.<br />

Gewerkschaften gab es in Deutschland<br />

zwar bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

(Buchdruckerverband), doch mitzubestimmen<br />

hatten sie nichts. Erst nach Ende des 1. Weltkriegs<br />

und mit der Gründung der Weimarer<br />

Republik wurden Gewerkschaften zu einer –<br />

auch von den Arbeitgebern – anerkannten<br />

gesellschaftlichen Kraft. Auch die Angst vor<br />

Revolution und Sozialisierung des Kapitals<br />

bewog die Arbeitgeberseite zu etlichen Zugeständnissen<br />

an die Arbeitnehmervertreter. Mit<br />

der Machtübernahme der Nationalsozialisten<br />

in Deutschland 1933 waren alle diese Errungenschaften<br />

hinfällig; die bestehenden Gewerkschaften<br />

wurden verboten.<br />

Auch nach Ende des 2. Weltkriegs existierten<br />

in der wieder entstehenden Gewerkschaftsbewegung<br />

in den drei Westzonen Stimmen, die<br />

sich für eine Vergesellschaftung des Großkapitals<br />

stark machten; sie waren allerdings nicht<br />

mehrheitsfähig. Das Thema Mitbestimmung<br />

der Beschäftigten wurde hingegen in dieser<br />

Zeit zentral. So hatte die britische Militärregierung<br />

in ihrer Besatzungszone bereits im<br />

statement<br />

Mitbestimmungspolitischer Stillstand<br />

bedeutet Rückschritt<br />

Dieses Jahr feiert das Mitbestimmungsgesetz<br />

seinen 40. Geburtstag – und der wird gefeiert.<br />

Nicht nur der runde Geburtstag, sondern<br />

auch die ständige Anpassung an gesetzliche<br />

wie wirtschaftliche Entwicklungen verdienen<br />

diese Würdigung. Das heißt aber auch für die<br />

Zukunft: Die Schlupflöcher in der Unternehmensmitbestimmung<br />

müssen gestopft werden,<br />

wenn das Erfolgsmodell Mitbestimmung<br />

bewahrt werden soll.<br />

Das Beispiel Montanmitbestimmung, die auf<br />

die Branchen Stahl/Bergbau begrenzt ist,<br />

zeigt, warum diese Anpassung und Verbesserung<br />

notwendig ist. Die Montanmitbestimmung<br />

ist zwar weiterhin eine Blaupause für<br />

die anderen Mitbestimmungsgesetze. Ihre<br />

volkswirtschaftliche Bedeutung ist jedoch<br />

erheblich geschrumpft, weil die montanmitbestimmten<br />

Unternehmen und die bei ihnen<br />

beschäftigten Arbeitnehmer/innen weniger<br />

wurden: In den 60ern arbeiteten noch<br />

417.000 Menschen in diesen Branchen, 2015<br />

waren es nur noch 85.000 Beschäftigte in der<br />

Stahlbranche. Die Mitbestimmung muss mithalten<br />

mit der Globalisierung der Betriebe.<br />

Derzeit wird sie gerade – insbesondere durch<br />

junge, wachsende Unternehmen – über<br />

Schlupflöcher und Lücken umgangen, indem<br />

ausländische Rechtsformen herangezogen<br />

werden. Mitbestimmung für alle heißt auch:<br />

Gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle.<br />

Die Unternehmen versagen bei der freiwilligen<br />

Einführung der Mitbestimmung. Wir<br />

brauchen für alle gleich verbindliche Regelungen<br />

für Unternehmensmitbestimmung<br />

durch den Gesetzgeber. Deswegen fordert<br />

der DGB, dass das Drittelbeteiligungsgesetz<br />

auch angewendet wird und es sanktioniert<br />

wird, wenn Firmen sich davor drücken. Und<br />

die Mitbestimmung muss auch für sogenannte<br />

Scheinauslandsgesellschaften gelten,<br />

deren Zahl laut Hans-Böckler-Stiftung immer<br />

mehr zunimmt.<br />

Reiner Hoffmann, Vorsitzender des DGB und des<br />

Stiftungsvorstands der Hans-Böckler-Stiftung.<br />

Vorliegendes Statement ist ein Auszug seiner<br />

Rede zu den Perspektiven der Mitbestimmung,<br />

die er am 26.1.2016 beim Neujahrsempfang der<br />

Hans-Böckler-Stiftung gehalten hat.<br />

28


AiB 9 | 2016 Geburtstag der Mitbestimmung aktuelles<br />

statement<br />

Mitbestimmung ist Zukunftsthema<br />

Mit der Zukunft der Arbeit ist es so eine Sache.<br />

Dass sie kommt, ist sicher, wie sie kommt,<br />

hängt aber von Entscheidungen in Politik,<br />

Wirtschaft und Unternehmen ab. Digitalisierung<br />

und Globalisierung schaffen neue Möglichkeiten.<br />

Die Wünsche der Menschen nach<br />

selbstverantworteter Gestaltung ihres Lebens<br />

und ihrer Arbeit verlangen eine gemeinsame<br />

Suche nach guten Antworten. <strong>Eine</strong> Suche auf<br />

Augenhöhe, eine Suche ohne Machthierarchien.<br />

Mitbestimmung steht daher auf der<br />

politischen Agenda.<br />

Aber Fakt ist: Mitbestimmung droht auszubluten.<br />

Viele Unternehmen nutzen gesetzliche<br />

Schlupflöcher in deutschen Mitbestimmungsgesetzen<br />

sowie im europäischen Gesellschaftsrecht<br />

aus, um vor der Mitbestimmung<br />

zu fliehen. Das nimmt hunderttausenden von<br />

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ihre<br />

Mitbestimmungsrechte.<br />

Mitbestimmung muss deshalb in Deutschland<br />

gesichert und ausgebaut werden. Es muss<br />

gelten: Alle Unternehmen mit mehr als 500<br />

Beschäftigten unterliegen der Mitbestimmung,<br />

und zwar unabhängig von ihrer gesellschaftsrechtlichen<br />

Verfassung und Führung.<br />

Insbesondere im Drittelbeteiligungsgesetz<br />

müssen mehrere formal rechtlich selbstständige<br />

Unternehmen einem Konzern zugeordnet<br />

werden können. Heute bleiben selbst<br />

große Unternehmen mit mehreren zehntausend<br />

Beschäftigten mitbestimmungsfrei.<br />

Dem Umgehen und Einfrieren von Mitbestimmungsrechten<br />

durch Umwandlung in eine<br />

Europäische Aktiengesellschaft gehört ein<br />

gesetzlicher Riegel vorgeschoben. Im europäischen<br />

Gesellschaftsrecht müssen Mindeststandards<br />

für Unterrichtung, An hörung und<br />

Mitbestimmung eingeführt werden. Das<br />

stärkt das Europäische Sozialmodell durch<br />

Beteiligung. Mitbestimmung ist Treiber für<br />

eine bessere Unternehmensführung, die<br />

Nachhaltigkeit schafft, für Beschäftigung,<br />

Standorte, lebenswerte Umwelt und wirtschaftlichen<br />

Erfolg. Mitbestimmung ist das<br />

demokratische Gestaltungs prinzip der sozialen<br />

Marktwirtschaft. Mit der DGB-Offensive<br />

Mitbestimmung wollen die Gewerkschaften<br />

diesen Vorteil sichern und ausbauen. Wer<br />

jetzt nicht aktiv wird, der verliert den Vorteil<br />

Mitbestimmung.<br />

Dr. Norbert Kluge leitet die Abteilung Mitbestimmungsförderung<br />

bei der Hans-Böckler-Stiftung.<br />

Neuauflage!<br />

März 1947 die paritätische Mitbestimmung in<br />

der Eisen- und Stahlindustrie eingeführt. Die<br />

Gewerkschaften wollten dieses Modell auf alle<br />

Großunternehmen in der entstehenden Bundesrepublik<br />

übertragen.<br />

Allerdings gab es auch eine Gegenbewegung<br />

in Wirtschaft und Politik. Bundeswirtschaftsminister<br />

Ludwig Erhard (CDU) legte<br />

jedenfalls im November 1950 einen Entwurf<br />

für ein Betriebsverfassungsgesetz vor, in dem<br />

die paritätische Mitbestimmung gar nicht<br />

vorgesehen war. Diese als Rückschritt bewertete<br />

Entwicklung löste erhebliche Gewerkschaftsproteste<br />

aus. Zur Jahreswende 1950/51<br />

initiierten die Industriegewerkschaften Metall<br />

und Bergbau Urabstimmungen über einen<br />

Streik zur Sicherung und Ausweitung der paritätischen<br />

Mitbestimmung. Die Zustimmung<br />

der Beschäftigten war riesengroß.<br />

Daraufhin wurden neue Verhandlungen über<br />

die Mitbestimmung unter Beteiligung von<br />

Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) anberaumt.<br />

Am Ende stand ein Kompromiss,<br />

wonach die paritätische Mitbestimmung in der<br />

Montanindustrie gesetzlich verankert werden<br />

sollte, die Gewerkschaften jedoch gleichzeitig<br />

auf die Ausdehnung dieser Regelung auf andere<br />

Branchen verzichteten. Am 10. April 1951<br />

verabschiedete der Deutsche Bundestag das<br />

Gesetz über die Montanmitbestimmung. v<br />

Gudrun Giese, Dipl.-Politologin,<br />

freie Journalistin für<br />

gewerk schaft liche Themen, Berlin.<br />

www.gudrun-giese.de<br />

Sie ist Co-Autorin des »Schwarz-Buch« Lidl<br />

und Verfasserin zahlreicher Broschüren.<br />

Präzise Antworten auf<br />

123 wichtige Fragen<br />

Ewald Helml<br />

Arbeitnehmer fragen -<br />

Betriebsräte antworten<br />

Die 123 wichtigsten Fragen an den<br />

Betriebsrat<br />

5., überarbeitete Auflage<br />

2016. 488 Seiten, kartoniert<br />

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aktuelles<br />

Am Geld scheitert es nicht<br />

AiB 9 | 2016<br />

Am Geld<br />

scheitert es nicht<br />

weiterbildung Gering qualifizierte und ältere Beschäftigte<br />

profitieren besonders von betrieblicher Weiterbildung. Die<br />

Arbeitsagentur unterstützt das Engagement finanziell. Und<br />

sie wirbt bei Betriebsräten um tatkräftige Unterstützung.<br />

VON HELGA BALLAUF<br />

darum geht es<br />

1. Die Bundesagentur für<br />

Arbeit (BA) fördert mit<br />

einem Sonderprogramm<br />

Geringqualifizierte und<br />

ältere Arbeitnehmer.<br />

2. Finanziert werden<br />

Weiterbildungen im<br />

Rahmen des Arbeitsverhältnisses.<br />

Das Gehalt<br />

wird weitergezahlt.<br />

3. Betriebsräte sollten<br />

sich für das Programm<br />

Unterstützung bei<br />

Bildungs dienstleistern<br />

und der BA holen.<br />

Seit zehn Jahren existiert das Sonderprogramm<br />

der Bundesagentur (BA)<br />

»Weiterbildung Geringqualifizierter<br />

und beschäftigter älterer Arbeitnehmer<br />

in Unternehmen«, kurz WeGebAU. Ein<br />

Hit war es nie. Auch 2015 wurden nicht alle<br />

Zuschussmittel abgerufen: Im Jahresschnitt beteiligten<br />

sich bundesweit rund 25.000 Beschäftigte<br />

an den Lehrgängen; nach BA-Angaben<br />

hätte es Geld für etwa 5.000 weitere Interessierte<br />

gegeben. Inzwischen geht die Arbeitsagentur<br />

mit einem sechsseitigen Flyer »Beschäftigung<br />

und Qualifizierung. Weiterbildung<br />

von Beschäftigten – Programm WeGebAU«<br />

direkt auf die Betriebsräte zu: »Sprechen Sie<br />

mit der Unternehmensführung und den Arbeitnehmerinnen<br />

und Arbeitnehmern.« Und<br />

weiter: »Es geht um Weiterbildungen, die im<br />

Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses<br />

unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes durchgeführt<br />

werden. Die Weiterbildungen müssen<br />

für den allgemeinen Arbeitsmarkt verwertbare<br />

Kenntnisse vermitteln und für die Weiterbildungsförderung<br />

zugelassen sein.«<br />

Kurz und gut<br />

Bei Best of Steel (BOS) im Münsterland hat<br />

der Betriebsrat bereits vor acht Jahren die<br />

Initiative ergriffen. Das Unternehmen stellt<br />

Stahlzargen für die Bauindustrie her. Ziel<br />

war, angelernten Schweißern zu einem anerkannten<br />

Zertifikat zu verhelfen. Betriebsratsvorsitzender<br />

Werner Abelmann warb bei den<br />

Kollegen für den achtwöchigen Kurs mit dem<br />

Argument: »So macht ihr euren Arbeitsplatz<br />

sicherer!« Und stieß bei den Betroffenen auf<br />

offene Ohren. Inzwischen gibt es bei BOS keine<br />

Ungelernten mehr. »Das Programm hat seinen<br />

Zweck erfüllt«, sagt Abelmann.<br />

Ängste und Hürden<br />

So einfach könnte es laufen. Doch es gibt eine<br />

Reihe von Faktoren, die bewirken, dass betriebliche<br />

Weiterbildungsförderung wie etwa<br />

WeGebAU nur zögerlich von Unternehmen<br />

angenommen wird. Viele fürchten Vorschriften<br />

und bürokratischen Aufwand, wenn sie<br />

öffentliche Zuschüsse in Anspruch nehmen.<br />

»Der Betriebsrat<br />

kann die Bereitschaft<br />

des Arbeitgebers<br />

fördern,<br />

Nachqualifizierungen<br />

anzubieten.«<br />

KLAUS-JÜRGEN RUPP<br />

Oft ist das Personal im Betrieb so knapp bemessen,<br />

dass Beschäftigte sich den Ausstieg<br />

auf Zeit fürs Lernen nicht gönnen, weil das bedeuten<br />

würde, die Kolleg/innen ungebührlich<br />

mit Mehrarbeit zu belasten. Außerdem haben<br />

30


AiB 9 | 2016 Am Geld scheitert es nicht aktuelles<br />

gerade ältere und wenig qualifizierte Arbeitnehmer/innen<br />

häufig mit großen Lernängsten<br />

zu kämpfen. Und schließlich gehört das Thema<br />

betriebliche Weiterbildung selten zu den<br />

Steckenpferden von Betriebsräten. Das alles<br />

sind ernst zu nehmende Hürden fürs Engagement<br />

– aber keine unüberwindbaren.<br />

Nachahmer erwünscht<br />

Die Prolit Verlagsauslieferung GmbH bei Göttingen<br />

beschäftigt schon immer viele Quereinsteiger,<br />

»vom Hilfsarbeiter bis zum Akademiker«,<br />

so beschreibt es Betriebsrat Marc<br />

Wagner. Er selbst hat während des Studiums<br />

im Unternehmen gejobbt und blieb hängen.<br />

Der Betriebsrat wurde aktiv, als er vom Programm<br />

WeGebAU erfuhr: Berufsbegleitend<br />

den Facharbeiterbrief in Lagerlogistik zu erwerben<br />

– das wäre die Chance für viele Kolleg/<br />

innen, erkannte Wagner. »Der Buchmarkt ist<br />

im Umbruch«, sagt er. »Mit Abschluss steigen<br />

die beruflichen Zukunftsaussichten.« Die Geschäftsführung<br />

unterstützte das Projekt, auch<br />

wenn der Leiter des Lagers zunächst Sorge wegen<br />

des zu erwartenden Arbeitsausfalls hatte.<br />

Bei WeGebAU finden ein Teil der Nachqualifizierung<br />

in der bezahlten Arbeitszeit und ein<br />

Teil in der Freizeit der Lernenden statt. Doch<br />

die Arbeitsagentur bezahlte zusätzliches Personal<br />

als Ausgleich. Elf Kolleg/innen unterzogen<br />

sich mit Wagner einem straffen Lehrgang von<br />

430 Unterrichtsstunden und der Prüfung. Der<br />

Betriebsrat ist überzeugt: »Wer sich im Alter<br />

zwischen 40 und 50 neu auf dem Arbeitsmarkt<br />

bewerben muss und nachweisen kann, willens<br />

und fähig zum Dazulernen zu sein, hat ein großes<br />

Plus!« Schade findet er, dass das Beispiel<br />

(bisher) nicht Schule gemacht hat im Betrieb<br />

und sich (noch) keine weiteren Kolleg/innen<br />

zur Nachqualifizierung entschließen konnten.<br />

Spezielle Finanzierung<br />

eine fachfremde Ausbildung. Jetzt aber spüren<br />

sie die Veränderungen, die in der Logistik auf<br />

sie zukommen und merken, dass sie etwas tun<br />

müssen.« Das Besondere an dem Fall ist: Bei<br />

der Einführung des Entgeltrahmenabkommens<br />

(ERA) in der Metallindustrie entstanden<br />

bei Schunk Überschüsse, die nun, vertraglich<br />

geregelt, von der Arbeitnehmervertretung<br />

für die Mitarbeiterqualifizierung ausgegeben<br />

werden können. Man kommt ohne öffentliche<br />

Zuschüsse aus und kann so manche Regelung<br />

– etwa zur Freizeit, die Beschäftigte<br />

zum Lernen einbringen müssen – großzügiger<br />

gestalten. Für Betriebsrat Coladelangelo steht<br />

fest: »Ohne ERA-Fonds wären wir nicht so<br />

weit. Es gäbe Blockaden, obwohl doch auch<br />

der Arbeitgeber von den neuen Qualifikationen<br />

der Leute profitiert.«<br />

Bevorzugte Berufe<br />

Die Bundesagentur für Arbeit führt keine<br />

Statistik darüber, aus welchen Branchen die<br />

WeGebAU-Geförderten kommen und wofür<br />

sie sich hauptsächlich weiterbilden. Wer sich<br />

umhört, erfährt, dass Abschlüsse als Schweißer<br />

und als Maschinen- und Anlagenbauer<br />

gefragt sind. Immer stärker gewinnt eine<br />

Nachqualifizierung in der Sparte Lagerlogistik<br />

an Bedeutung. Hier gefährdet einerseits<br />

die Automatisierung viele Jobs; zugleich aber<br />

entstehen neue Arbeitsplätze mit höheren<br />

Anforderungen angesichts der individuellen<br />

Just-in-time-Zustellungen.<br />

mehr<br />

informationen<br />

Details zum Programm,<br />

Beratungsangebote und<br />

einen Flyer bietet die BA<br />

an unter:<br />

www.arbeitsagentur.de<br />

> Suche mit: WeGebAU<br />

Weiterbildung zahlt<br />

sich auch bei älteren<br />

Beschäftigten aus.<br />

Bei der Schunk-Group läuft manches anders.<br />

Am Standort Heuchelheim des Technologiekonzerns<br />

bildeten sich zunächst 30 Beschäftigte<br />

zum Maschinen- und Anlagenführer weiter.<br />

Jetzt wollen einige von ihnen den Abschluss<br />

Industriemechaniker in Produktionstechnik<br />

draufsatteln, berichtet Betriebsrat Pietro Coladelangelo.<br />

Außerdem lotet die Arbeitnehmervertretung<br />

gerade aus, ob sich auch eine Nachqualifizierung<br />

in Lagerlogistik starten lässt.<br />

»Die meisten Kollegen in dem Bereich haben<br />

31


aktuelles<br />

Am Geld scheitert es nicht<br />

AiB 9 | 2016<br />

qualifizierte und hochmotivierte Fachkräfte.<br />

Auf eines achten die AWO-Betriebsräte sehr<br />

genau, ergänzt GBR-Vorsitzender Feicht:<br />

»Der Personalschlüssel muss stimmen. Damit<br />

die Weiterbildung Einzelner nicht auf Kosten<br />

der Kollegen geht.«<br />

Gesetzlicher Rahmen<br />

Die zunehmende Automatisierung<br />

kostet Jobs<br />

wie beispielsweise in<br />

der Lagerlogistik. Hier<br />

macht eine Nachqualifizierung<br />

Sinn.<br />

Doppelter Gewinn<br />

Große Chancen eröffnet das berufsbegleitende<br />

Lernen für Beschäftigte in der Altenpflege.<br />

Angesichts des Fachkräftemangels in der Branche<br />

darf die Arbeitsagentur bislang sogar längere<br />

Lernzeiten als üblich finanzieren. In den<br />

Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt (AWO)<br />

im fränkischen Kreisverband Roth-Schwabach<br />

hat man mit dem Modell schon mehrfach<br />

gute Erfahrungen gemacht, berichten<br />

Gesamtbetriebsratsvorsitzender Jürgen Feicht<br />

und sein Betriebsratskollege Robert Scheuerer,<br />

der als Wohnbereichsleiter in der beschützenden<br />

Abteilung des AWO-Pflegeheims Wendelstein<br />

arbeitet. Im Herbst läuft dort wieder<br />

eine WeGebAU-Maßnahme an, berichtet<br />

Scheuerer. <strong>Eine</strong> bewährte Pflegehelferin, über<br />

40 und mit Familie, beginnt im September mit<br />

der berufsbegleitenden Ausbildung zur Altenpflegerin.<br />

Drei Jahre lang wird sie die Praxisphasen<br />

im Haus Wendelstein ableisten und<br />

die Theorie im Blockunterricht an der Berufsfachschule<br />

erlernen. »Ihre Abwesenheit wird<br />

auf den Stellenschlüssel angerechnet und wir<br />

können nachbesetzen, finanziert über We-<br />

GebAU«, berichtet der Wohnbereichsleiter.<br />

»Problemlos und mit guten Erfolgen« seien<br />

die bisherigen Nachqualifizierungen gelaufen,<br />

sagt Scheuerer: Die Beschäftigten kommen<br />

so – ohne Verdienstausfall – zu einer anerkannten<br />

Ausbildung. Und das Heim gewinnt<br />

Neue Chancen und Risiken für die Gestaltung<br />

der berufsbegleitenden Nachqualifizierung<br />

enthält das jüngst beschlossene Gesetz mit<br />

dem umständlichen Namen »Arbeitslosenversicherungsschutz-<br />

und Weiterbildungsstärkungsgesetz«<br />

(AWStG). Positiv ist, dass künftig<br />

auch umschulungsbegleitende Hilfen für<br />

diejenigen von der Arbeitsagentur finanziert<br />

werden dürfen, die Schwierigkeiten mit dem<br />

Lernen haben. Und endlich können Beschäftigte,<br />

denen Lesen, Schreiben oder der Dreisatz<br />

Probleme bereiten, zunächst die Lücken<br />

in der Grundbildung füllen, bevor sie für einen<br />

beruflichen Abschluss pauken. Mit Weiterbildungsprämien<br />

soll künftig das Durchhalten<br />

gefördert werden. Aufpassen müssen Betriebsräte<br />

aber, dass Schulungen nach den neuen<br />

Regelungen nicht komplett in die Freizeit der<br />

Beschäftigten fallen.<br />

Qualifzierte Beratung<br />

Am Geld für arbeitsintegrierte Nachqualifizierungen<br />

wird es auch künftig nicht fehlen.<br />

Für das »Kleingedruckte« empfiehlt sich die<br />

Kooperation mit externen Experten. »Ein<br />

guter Bildungsdienstleister ist das A und O«,<br />

sagt Prolit-Betriebsrat Marc Wagner. »Ohne<br />

kompetente Unterstützung findet sich kein<br />

Betriebsrat, aber auch keine Personalabteilung<br />

bei all den Regelungen zurecht.« Und<br />

dies gilt durchaus nicht nur für Klein- und<br />

Mittelunternehmen. Die zentrale Rolle der<br />

Arbeitnehmervertretung beschreibt umgekehrt<br />

Klaus-Jürgen Rupp, Projektmitarbeiter<br />

beim Bildungsträger Zaug gGmbh in Gießen:<br />

»Der Betriebsrat kann die Bereitschaft des<br />

Arbeitgebers fördern, Nachqualifizierungen<br />

anzubieten.« Und für die Kolleg/innen, so<br />

Rupp, ist er wichtig als »Motivator und Lernunterstützer«.<br />

v<br />

Helga Ballauf,<br />

freie Fachjournalistin in München,<br />

schreibt über Arbeit, Beruf und Bildung.<br />

hballauf@yahoo.de<br />

32


AiB 9 | 2016 Sinnlose Zeugnisse aktuelles<br />

Sinnlose Zeugnisse<br />

studie 10 Millionen Arbeitszeugnisse müssen jedes Jahr geschrieben<br />

werden. Ziemlich überflüssig sagen Experten. Ist das so? Wie viel<br />

sagt ein Arbeitszeugnis über den Beurteilten aus? <strong>Eine</strong> aktuelle<br />

Studie aus Jena nimmt den Wert von Zeugnissen unter die Lupe –<br />

und kommt zu radikalen Forderungen.<br />

VON KLAUS HEIMANN<br />

In einer Studie der Jenaer Ernst-Abbe-<br />

Hochschule kommen Steffi Grau und<br />

Prof. Klaus Watzka zu dem ernüchternden<br />

Ergebnis, dass die meisten Arbeitszeugnisse<br />

wertlos sind. Für ihre Forschungsarbeit<br />

werteten die Autoren Daten von rund<br />

200 Betrieben aus. Das Zeugnis fresse viel Zeit<br />

und verursache erhebliche Kosten, schreiben<br />

die Autoren. Und: Entscheidungen bei der Personalauswahl<br />

verbessern sich durch Arbeitszeugnisse<br />

nicht.<br />

Qualitative Zeugnisse abschaffen<br />

zeugnisinhalte<br />

Die Jenaer Wissenschaftler treten deshalb<br />

für eine radikale Lösung ein: Qualitative Arbeitszeugnisse<br />

gehören abgeschafft. Allerdings<br />

müsse sichergestellt sein, dass ein ausscheidender<br />

Arbeitnehmer eine Bestätigung über die<br />

ausgeübten Tätigkeiten und wahrgenommenen<br />

Funktionen erhält. Dazu am besten geeignet<br />

sei ein relativ schlichtes, einfaches Zeugnis,<br />

das vorrangig auf die geleisteten Tätigkeiten<br />

abstellt. Daniela Cavallo, Betriebsrätin bei<br />

Volkswagen im Werk Wolfsburg, sieht das<br />

ähnlich. »Wir halten Arbeitszeugnisse für ein<br />

gutes Instrument, um den hohen Ausbildungsgrad<br />

der Kolleginnen und Kollegen zu zeigen.«<br />

Jens Pfanne, Jurist bei der DGB Rechtsschutz<br />

GmbH in Frankfurt betont im Interview (auf<br />

Seite 34.) dass Zeugnisse zwar notwendig sind,<br />

um eine lückenlose Berufsbiografie zu dokudarum<br />

geht es<br />

1. Der Frage nach dem<br />

Wert qualifizierter<br />

Arbeitszeugnisse ist die<br />

Jenaer Ernst-Abbe-Hochschule<br />

in einer Studie<br />

nachgegangen.<br />

2. Zentrales Ergebnis<br />

dieser Studie: Qualifizierte<br />

Arbeitszeugnisse sind<br />

nicht aussagekräftig.<br />

3. Auch für Personalabteilungen<br />

sind<br />

Arbeitszeugnisse nicht<br />

ausschlaggebend.<br />

Was gehört nicht ins Arbeitszeugnis?<br />

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das Zeugnis<br />

wohlwollend zu formulieren. Es muss wahrheitsgemäß<br />

sein. Folgende Punkte dürfen nicht<br />

erwähnt werden:<br />

··<br />

Gründe, die den Arbeitgeber veranlasst<br />

haben, die Kündigung auszusprechen. Auch<br />

eine gerechtfertigte fristlose Kündigung darf<br />

der Arbeitgeber lediglich durch die Angabe<br />

des Beendigungszeitraums zum Ausdruck<br />

bringen<br />

··<br />

Der Verdienst des Arbeitnehmers oder Nebentätigkeiten<br />

··<br />

Behinderungen und Krankheiten; abgesehen<br />

von dem Fall, dass der Beruf durch die Krankheit<br />

nicht mehr ausgeübt werden kann<br />

··<br />

Schwangerschaft und Mutterschutz<br />

··<br />

Krankheitsbedingte Fehlzeiten<br />

··<br />

<strong>Eine</strong> Gewerkschafts- oder Parteizugehörigkeit.<br />

Auch die Tätigkeit als Betriebsrat darf<br />

grundsätzlich nicht erwähnt werden. Ausnahme:<br />

Wenn der Betroffene dies verlangt<br />

··<br />

Der Verdacht einer strafbaren Handlung darf<br />

nicht genannt werden. Straftaten, die nicht<br />

das Arbeitsverhältnis berühren<br />

··<br />

Elternzeit: Die Elternzeit darf ausnahmsweise<br />

erwähnt werden, wenn sie einen so<br />

großen Bestandteil des Arbeitsverhältnisses<br />

ausmacht, dass ohne deren Erwähnung bei<br />

einem potenziellen neuen Arbeitgeber ein<br />

völlig falscher Eindruck entstehen würde<br />

Tipp: Enthält das Zeugnis auch nur einen der<br />

hier aufgezählten Punkte, ist eine Berichtigung<br />

zu verlangen.<br />

33


aktuelles<br />

Sinnlose Zeugnisse<br />

AiB 9 | 2016<br />

rechtsgrundlage<br />

§ 109 Gewerbeordnung<br />

(1) Der Arbeitnehmer<br />

hat bei Beendigung<br />

eines Arbeitsverhältnisses<br />

Anspruch auf ein<br />

schriftliches Zeugnis. Das<br />

Zeugnis muss mindestens<br />

Angaben zu Art<br />

und Dauer der Tätigkeit<br />

(einfaches Zeugnis) enthalten.<br />

Der Arbeitnehmer<br />

kann verlangen, dass<br />

sich die Angaben darüber<br />

hinaus auf Leistung und<br />

Verhalten im Arbeitsverhältnis<br />

(qualifiziertes<br />

Zeugnis) erstrecken.<br />

(2) Das Zeugnis muss klar<br />

und verständlich formuliert<br />

sein. Es darf keine<br />

Merkmale oder Formulierungen<br />

enthalten, die<br />

den Zweck haben, eine<br />

andere als aus der äußeren<br />

Form oder aus dem<br />

Wortlaut ersichtliche<br />

Aussage über den Arbeitnehmer<br />

zu treffen.<br />

(3) Die Erteilung des<br />

Zeugnisses in elektronischer<br />

Form ist ausgeschlossen.<br />

mentieren. Aber auch Jurist Pfanne will die<br />

bisherige Praxis so nicht beibehalten. »Die Beschränkung<br />

auf die erledigten Arbeitsaufgaben<br />

ist völlig ausreichend.«<br />

<strong>Eine</strong> Ursache für den Niedergang des Dokuments<br />

Arbeitszeugnis ist nach Auffassung<br />

der Jenaer Experten in der Rechtsprechung zu<br />

Nach § 109 Gewerbeordnung hat der Arbeitnehmer<br />

bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses<br />

einen Anspruch auf ein schriftliches<br />

Zeugnis. Soll ein Arbeitnehmer das<br />

verlangen? Die neue Personalabteilung prüft<br />

bei der Bewerbung, ob die Unterlagen vollständig<br />

sind. Fehlt ein Arbeitszeugnis, dann<br />

wird sofort nachgefasst: War die Trennung<br />

mit dem alten Arbeitgeber gar so konflikreich,<br />

dass kein Zeugnis ausgestellt wurde? Wer diesen<br />

Eindruck nicht aufkommen lassen will, der<br />

sollte seine Arbeitszeugnisse sammeln.<br />

Betriebsräte können zwar bei Beurteilungsgrundsätzen<br />

mitbestimmen, bei der Formulierung<br />

des Arbeitszeugnisses aber nicht.<br />

So sind die Regeln. Bei Massenentlassungen<br />

kann es sinnvoll sein, mit dem Betriebsrat<br />

Standards für Arbeitszeugnisse zu vereinbaren.<br />

In einer Betriebsvereinbarung zum Thema<br />

»Be urteilen und Bewerten« können auch<br />

Regeln für Zeugnisse stehen. Ein Initiativrecht<br />

hat der Betriebsrat allerdings nicht.<br />

Aber im Kern ist es ein Individualrecht?<br />

Ja, der Arbeitnehmer muss seinen Anspruch<br />

geltend machen und darauf achten, welche<br />

Inhalte aufgeschrieben sind.<br />

Was kann der Betriebsrat tun, wenn der Mitarbeiter<br />

mit dem Text nicht einverstanden<br />

ist? Im Rahmen seiner Vertretung der Interessen<br />

der Beschäftigten, kann der Betriebsrat<br />

Geheime Zeugnis-Codes<br />

sind rechtswidrig<br />

suchen. Die verlange zwar ehrliche, aber eben<br />

auch wohlwollende Formulierungen. »Ich behaupte:<br />

Wahrheit und Wohlwollen, das kann<br />

gar nicht zusammengehen«; so Watzka. Dieses<br />

Dilemma lösen die Betriebe dann so, dass sie<br />

beim qualifizierten Zeugnis zu beschönigen Formulierungen<br />

greifen. »Dieses Paradox hat dazu<br />

interview<br />

personalarbeit Arbeitszeugnisse haben ihren eigentlichen<br />

Wert in der Tätigkeitsbeschreibung. Leistungsbeurteilungen<br />

sind dagegen weniger aufschlussreich. Das findet<br />

Jens Pfanne, Jurist bei der DGB Rechtsschutz GmbH.<br />

bitte kürzen<br />

bitte kürzen<br />

versuchen, darauf hinzuwirken, einvernehmlich<br />

einen Zeugnistext zu erstellen. Viele<br />

Beschäftigte scheuen die Auseinandersetzung<br />

mit dem Arbeitgeber. Deshalb ist die Achse<br />

Arbeitnehmer-Betriebsrat-Personalabteilung<br />

oft eine gute Lösung.<br />

Forscher in Jena haben herausgefunden,<br />

dass nur wenige Zeugnisse individuell<br />

angefertigt sind. Stattdessen verwenden<br />

die Unternehmen Zeugnisgeneratoren. Ist<br />

diese schablonenhafte Erstellung überhaupt<br />

zulässig? Der Arbeitgeber ist verantwortlich<br />

für den Text und die Inhalte. Die Tätigkeitsbeschreibung<br />

ist eigentlich immer individuell.<br />

Für die Beurteilung der Leistung gibt es<br />

Vorgaben. Personalabteilungen können mit<br />

Standards arbeiten. Wichtig ist die richtige<br />

und individuelle Beschreibung der ausgeübten<br />

Arbeitsaufgaben. An diesem Punkt sollte<br />

sich kein Arbeitnehmer mit Allgemeinplätzen<br />

abspeisen lassen.<br />

Sind die meisten Arbeitszeugnisse wertlos?<br />

Nein, sie sind notwendig, um eine lückenlose<br />

Berufsbiografie zu dokumentieren. Die Tätigkeitsbeschreibungen<br />

halte ich sogar für sehr<br />

sinnvoll. Sie sind auch für den neuen Arbeitgeber<br />

von Interesse. Gerade dann, wenn Weiterbildung<br />

zur Berufsausbildung hinzugekommen<br />

ist. Bei der Gesamtnote bin ich skeptisch, ob<br />

sie wirklich aussagekräftig ist. Das ist in vielen<br />

Fällen auch ein Streitpunkt.<br />

34


AiB 9 | 2016 Sinnlose Zeugnisse aktuelles<br />

geführt, dass die Bewertungen in Zeugnissen oft<br />

nur Sprechblasen sind, von denen man nie weiß,<br />

ob sie wahr oder frisiert sind.« Hinzu kommt<br />

noch die Angst vor juristischen Auseinandersetzungen.<br />

Besonders clevere Betriebe umschiffen<br />

die Klippen, in dem sie den Zeugnisentwurf direkt<br />

vom Mitarbeiter anfertigen lassen.<br />

Zeugnis als Rache? Die Art der Trennung<br />

ist ganz wichtig: Wird das Arbeitsverhältnis<br />

gütlich beendet, dann gibt es auch beim Zeugnistext<br />

keinen Streit. Im anderen Fall wird das<br />

Zeugnis auch gerne zum Nachtreten genutzt.<br />

Dann sind Konflikte programmiert.<br />

Aber sind Probezeiten nicht wichtiger als<br />

Zeugnisse? Das Bewerbungsgespräch und<br />

die Probezeit sind eindeutig bedeutsamer als<br />

Arbeitszeugnisse. Aber das Zeugnis ist vielfach<br />

der Türöffner, um überhaupt in die engere<br />

Auswahl zu kommen.<br />

Sind Zeugnis-Codes rechtmäßig? Es dürfen<br />

keine versteckten Aussagen in einem Arbeitszeugnis<br />

enthalten sein. Das würde ja bedeuten,<br />

dass eine wohlwollende Formulierung sich<br />

in ihr Gegenteil verkehrt. Wenn das absichtlich<br />

erfolgt, dann ist dies unzulässig und solche<br />

Codes sind zu streichen. Manchmal ist den<br />

Arbeitgebern allerdings dies auch nicht klar,<br />

dann sind Änderungen immer problemlos.<br />

Landen Streitigkeiten um Arbeitszeugnisse<br />

vor dem Arbeitsgericht? Im Anschluss an den<br />

Kündigungsprozess, geht es oft um das Arbeitszeugnis.<br />

Wenn der Vergleich dem Arbeitgeber<br />

nicht gefällt, dann wird gefault. Entschieden<br />

wird dieser Punkt natürlich nicht. Der Richter<br />

schlägt dann im Abfindungsvergleich Formulierungen<br />

oder Noten vor, mit denen, wenn auch<br />

zähneknirschend, alle leben müssen.<br />

Sollen Arbeitszeugnisses, in der jetzigen<br />

Form, verschwinden? Für den Arbeitnehmer<br />

ist es schon wichtig, dass er für das berufliche<br />

Fortkommen und die Entwicklung eine Dokumentation<br />

seiner Tätigkeiten hat. Hingegen ist<br />

eine Leistungsbeurteilung sehr subjektiv und<br />

letztlich nicht zielführend. Deshalb ist eine<br />

Beschränkung auf die erledigten Arbeitsaufgaben<br />

völlig ausreichend.<br />

Bewerberauswahl erleichtert?<br />

Hilft das Arbeitszeugnis wenigstens bei der<br />

Auswahl von Bewerbern? So richtig auch<br />

nicht. Bei Analyse einer Bewerbungsmappe<br />

sind Arbeitszeugnisse nicht ausschlaggebend.<br />

Wichtiger sind der Lebenslauf und das Anschreiben.<br />

Zeugnisse dagegen werden nur<br />

überflogen. Den größten Nutzen hat die Tätigkeitsbeschreibung,<br />

vermittelt sie doch einen<br />

Eindruck über das Arbeitsgebiet, in dem der<br />

Bewerber bislang tätig war.<br />

Generierte Zeugnisse<br />

Experten schätzen, dass pro Jahr rund 10 Millionen<br />

Arbeitszeugnisse anzufertigen sind. Dahinter<br />

steckt ein immenser Arbeitsaufwand. Es<br />

verwundert deshalb nicht, dass die Personalabteilungen<br />

sich zu helfen wissen. Inzwischen sind<br />

Zeugnisgeneratoren am Werk. Schon ab 199<br />

Euro gibt es die technische Hilfe. Die Werbung<br />

verspricht viel: Schnell, rechtlich einwandfreie,<br />

individuelle und professionell sind sie erstellt.<br />

Die Analyse des fertigen Zeugnisses bewahrt<br />

vor formalen Fehlern, Fallstricken und Widersprüchen.<br />

Die Textbausteine des Zeugnis-Generators<br />

sind von Volljuristen und Fachanwälten<br />

für Arbeitsrecht erstellt und werden regelmäßig<br />

überprüft und an aktuelle Entwicklungen anbetriebsrat<br />

und arbeitszeugnisse<br />

Der Betriebsrat hat bei der Zeugniserteilung<br />

keine Mitbestimmungsrechte. Das Thema<br />

Arbeitszeugnisse kann aber im Rahmen<br />

von Beurteilungsgrundsätzen nach § 94<br />

Abs. 2 BetrVG erfolgen. Entschließt sich der<br />

Arbeitgeber zur Einführung von Beurteilungsgrundsätzen,<br />

so ist diese Maßnahme<br />

mitbestimmungspflichtig.<br />

Der Arbeitnehmer kann auch nach § 84<br />

Abs. 1 BetrVG von seinem Beschwerderecht<br />

Gebrauch machen und den Betriebsrat um<br />

Unterstützung ersuchen. Dies setzt allerdings<br />

voraus, dass der Arbeitnehmer noch<br />

im Betrieb beschäftigt ist. Der Betriebsrat<br />

kann, falls er die Beschwerde für berechtigt<br />

erachtet, beim Arbeitgeber die Behandlung<br />

und Erledigung der Beschwerde beantragen.<br />

Nach § 85 Abs. 2 BetrVG kann nötigenfalls<br />

die Einigungsstelle durch den Betriebsrat<br />

angerufen werden.<br />

Die Arbeitnehmerseite<br />

der Wirtschaft.<br />

Mitbestimmung. Das Magazin<br />

der Hans-Böckler-Stiftung.<br />

Alle zwei Wochen digital,<br />

alle zwei Monate gedruckt.<br />

Ab 1. September kostenlos<br />

als App und unter<br />

www.magazin-mitbestimmung.de<br />

35


aktuelles<br />

Sinnlose Zeugnisse<br />

AiB 9 | 2016<br />

rechtsprechung<br />

»Befriedigend« ist<br />

durchaus akzeptabel<br />

Ist die Arbeitsleistung eines<br />

Beschäftigten durchschnittlich,<br />

dann kann der<br />

Arbeitgeber sie auch mit<br />

der Note »befriedigend«<br />

im Arbeitszeugnis bewerten.<br />

Das hat das Bundesarbeitsgericht<br />

in seinem<br />

Urteil (18.11.2014 – 9 AZR<br />

584/13) entschieden.<br />

Zuvor hatte ein Urteil des<br />

Arbeitsgerichts Berlin (28<br />

Ca 18230/11) für Unsicherheit<br />

gesorgt. Sie gab einer<br />

Empfangsdame Recht, die<br />

gegen ihr Arbeitszeugnis<br />

geklagt hatte, in dem<br />

sie nur mit befriedigend<br />

bewertet wurde. Die<br />

Richter stellten sich auf<br />

den Standpunkt, dass im<br />

Arbeitszeugnis mindestens<br />

ein »gut« stehen<br />

müsse, weil eine Zwei der<br />

gängigen Bewertungspraxis<br />

der Arbeitgeber<br />

entspräche. Es gäbe<br />

statistisch gesehen so<br />

wenige Arbeitszeugnisse<br />

mit »befriedigend« oder<br />

schlechter, dass eine Drei<br />

einem negativen Urteil<br />

gleichkäme.<br />

Die Entscheidung des<br />

Arbeitsgerichts Berlin<br />

hob das BAG nun<br />

auf. Die Arbeitsrichter<br />

stellten klar, dass die<br />

Note »befriedigend« für<br />

eine durchschnittliche<br />

Leistung angemessen<br />

sei – egal, wie häufig sie<br />

vergeben wird.<br />

zeugnisvarianten<br />

Es wird zwischen einem einfachen und<br />

einem qualifizierten Zeugnis unterschieden.<br />

Ein einfaches Zeugnis muss mindestens<br />

Angaben zur Art und Dauer der Tätigkeit<br />

enthalten. Ein einfaches Zeugnis erhalten<br />

in der Regel Arbeitnehmer, die nur kurz im<br />

Betrieb beschäftigt waren. Es besteht ein<br />

Rechtsanspruch auf ein Arbeitszeugnis.<br />

Sobald ein Arbeitnehmer mehrere Monate<br />

bei seinem Arbeitgeber tätig war, kann er<br />

ein qualifiziertes Zeugnis verlangen. Inhalt<br />

sind zudem Angaben über die Leistung und<br />

das Verhalten während des Arbeitsverhältnisses.<br />

Die Ausstellung eines qualifizierten<br />

Zeugnisses ist der Regelfall.<br />

Unterschieden wird außerdem zwischen<br />

einem Zeugnis bei Beschäftigungsende und<br />

einem Zwischenzeugnis.<br />

Wer an einem qualifizierten Zeugnis<br />

interessiert ist, muss dies auch verlangen.<br />

Der Arbeitgeber muss erst auf den ausdrücklichen<br />

Wunsch hin tätig werden. In<br />

großen Unternehmen gibt es überwiegend<br />

qualifizierte Arbeitszeugnisse; in kleinen<br />

Unternehmen ist dagegen der Anteil einfacher<br />

Arbeitszeugnisse höher.<br />

gepasst. Es verwundert bei dieser Praxis allerdings<br />

nicht die Feststellung von Watzka: »Die<br />

Anfertigung von Arbeitszeugnissen ist über weite<br />

Strecken zu einem relativ sinnfreien Ritual<br />

mutiert.« Nur noch jedes zehnte Zeugnis ist ein<br />

Unikat, allenthalben fehlt es an Individualität.<br />

Arbeitszeugnisse haben lange Tradition<br />

Der Rückgriff auf vorgefertigte Versatzstücke<br />

ist auch deshalb so beliebt, weil den Verfassern<br />

der Zeugnisse eigene Expertise fehlt. Mehr als<br />

die Hälfte der Zeugnisersteller haben keine<br />

Schulung für ihre Aufgabe erhalten, in kleinen<br />

Unternehmen sind es sogar 90 Prozent.<br />

»Offensichtlich glauben die Betriebe, Arbeitszeugnisse<br />

schreiben kann jeder«, kommentiert<br />

Watzka. Auch die Rekonstruktion des Werdegangs<br />

des Mitarbeiters im Betrieb macht Probleme:<br />

Knapp 30 Prozent haben Personalakten,<br />

die unvollständig sind.<br />

Arbeitszeugnisse haben eine lange Tradition<br />

in Deutschland. 1.530 wurden Atteste für ordnungsgemäßes<br />

Ausscheiden eingeführt. Ein<br />

Dienstherr durfte einen Knecht nur in sein<br />

Haus nehmen, wenn er ein Zeugnis vorweisen<br />

konnte. Darin musste stehen, dass er auf ehrliche<br />

Weise und mit Zustimmung des letzten<br />

Dienstherrn gegangen ist. Herrschaften, die<br />

Dienstboten ohne Zeugnis beschäftigten oder<br />

ein solches verweigerten, drohten Geldstrafen.<br />

Als Tugenden galten: Fleiß, Treue, Gehorsam,<br />

sittliches Betragen und Ehrlichkeit.<br />

Fehlende Aussagekraft<br />

Damals wie heute haben Arbeitszeugnisse einen<br />

groben Mangel: Ihnen fehlt es an Aussagekraft.<br />

Lediglich die Hälfte der Unternehmen,<br />

so die Studie aus Jena, schätzt die Aussagekraft<br />

der von ihnen selbst erstellten Zeugnisse als<br />

»hoch« oder »sehr hoch« ein. Es gibt auch keine<br />

einheitliche Zeugnissprache und auch keine<br />

einheitliche Notenskala für die Gesamtbewertung<br />

eines Mitarbeiters. Selbst der Umfang ist<br />

ganz unterschiedlich: In kurzen Zeugnissen<br />

sind nur zwei Bewertungskriterien zu finden, in<br />

der ausführlichen Variante sind es 17.<br />

»Nur noch jedes<br />

zehnte Zeugnis<br />

ist ein Unikat.«<br />

KLAUS WATZKA<br />

Muss die Personalabteilung bei der <strong>Ausgabe</strong><br />

von Arbeitszeugnissen mit Konflikten rechnen?<br />

Betriebsrätin Cavallo berichtet, dass bei<br />

Unstimmigkeiten mit dem Vorgesetzen der Betriebsrat<br />

im gemeinsamen Gespräch mit allen<br />

Beteiligten nach einer einvernehmlichen Lösung<br />

sucht. »Solche Fälle kommen bei Volkswagen<br />

allerdings selten vor.«<br />

Ein Drittel mit Zeugnis nicht einverstanden<br />

Immerhin rund ein Drittel der Arbeitnehmer<br />

sind mit den Formulierungen im Arbeitszeugnis<br />

nicht einverstanden. Proteste haben durchaus<br />

Chancen auf Erfolg. In fast allen Betrieben<br />

gibt es dann eine Überprüfung, die durchaus<br />

zu Veränderungen führen kann. Den Streit um<br />

das Zeugnis will allerdings kaum jemand auf<br />

die Spitze treiben. Knapp 90 Prozent der Be-<br />

36


AiB 9 | 2016 Sinnlose Zeugnisse aktuelles<br />

Es gibt keine einheitliche<br />

Zeugnissprache<br />

und Notenskala für die<br />

Gesamtbewertung eines<br />

Beschäftigten.<br />

triebe hatte in den letzten fünf Jahren keinen<br />

Arbeitsgerichtsprozess wegen Zeugnissen. Es<br />

gibt auch Tarifverträge, die Regeln setzen.<br />

Das Zeugnis-Thema ist bei Volkswagen in § 4<br />

Manteltarifvertrag beschrieben. »Das ist eine<br />

Art Handlungsanweisung für Personalreferenten«,<br />

berichtet Betriebsrätin Cavallo. Darin<br />

ist auch festgeschrieben: Nur auf Wunsch<br />

des Mitarbeiters gibt es Aussagen zur Führung<br />

und Leistung. Die Forscher aus Jena fassen<br />

ihre Erkenntnisse zum Arbeitszeugnis so zusammen:<br />

»Oftmals von ungeschultem Personal<br />

lieblos zusammengeschustert – auf der<br />

anderen Seite oft nur oberflächlich zur Kenntnis<br />

genommen. Es existiert eher babylonische<br />

formalien<br />

Die folgenden formalen Kriterien muss<br />

der Arbeitgeber bei der Erstellung von<br />

Zeugnissen beachten: In jedem Zeugnis<br />

sind Angaben zum Aussteller, zum Ausstellungsort<br />

und Ausstellungszeitpunkt zu machen.<br />

Das Zeugnis braucht eine Einleitung<br />

mit den persönlichen Daten, Aufgabenbeschreibung<br />

und Dauer oder Datum des<br />

Endes der Tätigkeit. Im Anschluss daran<br />

folgen im qualifizierten Zeugnis die Leistungsbeurteilung,<br />

Verhaltensbeurteilung<br />

sowie eine Schlussformulierung.<br />

Tipp: Der Anspruch auf ein Zeugnis kann<br />

auslaufen. Äußert sich ein Arbeitnehmer<br />

etwa ein Jahr nicht, ist es ausgesprochen<br />

schwer noch ein Zeugnis zu erhalten.<br />

Sprachverwirrung als eine einheitliche, eindeutige<br />

Zeugnissprache – sie gehört ins Reich<br />

der gut gepflegten Mythen und Legenden.«.<br />

Den Zeugnis-Lesern wurden fünf typische Formulierungen<br />

vorgelegt und gefragt: Welcher<br />

Note entspricht das? »Ein einziger von etwa<br />

90 Befragten hat alle Noten korrekt zugeordnet«,<br />

berichtet der Jenaer Forscher.<br />

Das sinnentleerte Spiel geht weiter<br />

Der dürftige Aussagewert von Arbeitszeugnissen<br />

ist allenthalben bekannt. Trotzdem geht<br />

das sinnentleerte Spiel weiter. Wie könnte eine<br />

andere Praxis aussehen? Das Autoren-Team<br />

schlägt vor, die gesetzliche Zeugnispflicht auf<br />

eine aussagekräftige Darstellung der ausgeübten<br />

Tätigkeiten zu beschränken. Aus ihr soll<br />

hervorgehen, wie lange und mit welchem relativen<br />

Zeitanteil an der Gesamtbeschäftigung die<br />

Tätigkeit wahrgenommen wurde. Es entsteht<br />

dann ein Dokument, das einer Stellenbeschreibung<br />

ähnelt. »Informationen über ausgeübte<br />

Tätigkeiten sind laut unserer Studienergebnisse<br />

für einstellende Unternehmen auch die eindeutig<br />

wichtigste Information. Dies würde einen<br />

kompletten Verzicht auf wertende Aussagen,<br />

also auf das qualifizierte Zeugnis bedeuten.« v<br />

Dr. Klaus Heimann,<br />

freier Journalist und Berater, Berlin.<br />

kl-heimann@t-<strong>online</strong>.de<br />

Der Autor war viele Jahre Ressortleiter Bildung<br />

beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt am Main.<br />

einschätzung<br />

Personalexperten<br />

schätzen, dass heute bei<br />

nur noch 15 Prozent aller<br />

Arbeitszeugnisse eine<br />

schlechtere Note als gut<br />

vergeben wird.<br />

37


grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Betriebsversammlung leicht gemacht<br />

AiB 9 | 2016<br />

Betriebsversammlung<br />

leicht gemacht<br />

kommunikation Für die einen ist es eine lästige Pflicht, für die<br />

anderen ist es das Beste schlechthin: Die Betriebsversammlung.<br />

Sie ist das zentrale betriebspolitische Mittel des Betriebsrats.<br />

Und wie sie gut und informativ gelingt, erfahren Sie hier.<br />

VON MARTIN WOLMERATH<br />

darum geht es<br />

1. Betriebsversammlungen<br />

sind vom Gesetzgeber<br />

vorgeschrieben<br />

und sie sind ein gutes<br />

Mittel des Betriebsrats,<br />

Öffentlichkeitsarbeit zu<br />

machen.<br />

2. Oft sind es Kleinigkeiten,<br />

die der Betriebsversammlung<br />

zum Erfolg<br />

verhelfen.<br />

3. Das kann beispielsweise<br />

die Themenauswahl<br />

sein: Stress, Umgang<br />

mit Konflikten, Arbeitsverdichtung,<br />

Arbeitszeit<br />

und Vorgesetzte mit<br />

Führungs defiziten sind<br />

nur einige für Beschäftigte<br />

interessante Themen.<br />

Nicht selten spiegeln sich in der<br />

Betriebsversammlung der Betriebsrat,<br />

seine Mitglieder mit ihren<br />

betriebspolitischen Sichtweisen<br />

sowie Standpunkten und die Akzeptanz<br />

der Interessenvertretung in der Belegschaft –<br />

aber auch deren Unzufriedenheit und ein<br />

mehr oder weniger großes Stück Hilflosigkeit<br />

auf Seiten des Betriebsrats – wider. Letzterem<br />

soll mit diesem Beitrag begegnet werden.<br />

Schließlich ist die Betriebsversammlung das<br />

zentrale betriebspolitische Mittel des Betriebsrats.<br />

Sie dient vor allem der Kommunikation<br />

mit den Beschäftigten und geht damit<br />

weit über das bloße Erstatten von Tätigkeitsberichten<br />

hinaus.<br />

Ausgangspunkt:<br />

Die letzte Betriebs versammlung<br />

Um sich die eigene Situation oder Befindlichkeit<br />

bewusst zu machen, ist jedem Betriebsratsmitglied<br />

zu empfehlen, die letzte Versammlung<br />

mit der erforderlichen Ruhe und Zeit<br />

gedanklich Revue passieren zu lassen. Hierzu<br />

bietet sich die Beantwortung von sogenannten<br />

W-Fragen an. Diese können beispielsweise wie<br />

folgt lauten: Was war gut? Was war weniger<br />

gut (oder vielleicht sogar äußerst schlecht)?<br />

Was hat sich bewährt? Was sollte das nächste<br />

Mal anders gemacht werden? Wie ist die<br />

Betriebsversammlung bei den Beschäftigten<br />

angekommen? Wo gab es Lob? Wo gab es<br />

Kritik? Wie wurden die einzelnen Redebeiträge<br />

aufgenommen? Wie haben die Zuhörer<br />

auf die jeweiligen Reden reagiert? Wie viele<br />

Arbeitnehmer waren anwesend? Wie hat sich<br />

die Arbeitgeberseite verhalten? Wie hat die Arbeitgeberseite<br />

auf Fragen reagiert?<br />

Die Beantwortung der Fragen führt zu einer<br />

aktuellen Bestandaufnahme rund um das<br />

Thema Betriebsversammlung. Allein schon<br />

aus diesem Grund ist es sinnvoll, wenn sie im<br />

Betriebsrat erfolgt. Hierzu eignet sich im gleichen<br />

Maße eine Betriebsratssitzung wie auch<br />

eine Klausurtagung des Betriebsrats. Positive<br />

Antworten können auf einer grünen, negative<br />

auf einer roten Moderationskarte festgehalten<br />

werden. <strong>Eine</strong> gelbe Karte kann für solche Ergebnisse<br />

verwendet werden, die sich als eine<br />

neutrale Antwort darstellen oder eine eindeutige<br />

Zuordnung nicht zulassen. Sonstige Aspekte<br />

können auf einer weißen Karte geschrieben<br />

werden. Die Verwendung von verschieden farbigen<br />

Moderationskarten erleichtert die Erstellung<br />

eines Clusters. Zu diesem Zweck bietet<br />

sich vor allem die Verwendung einer Moderationstafel<br />

(Metaplantafel, Pinnwand) an. Einige<br />

Antworten oder Karten dürften mehrfach<br />

tipp für die betriebsratsarbeit<br />

Metaplantafel, Flipchart und Moderationsmaterial<br />

sollten zur Ausstattung eines jeden<br />

Betriebsrats gehören. Zumindest bei größeren<br />

Gremien wird es sich anbieten, diese<br />

zur alleinigen Benutzung vom Arbeitgeber<br />

zur Verfügung gestellt zu bekommen. Die<br />

dadurch anfallenden Kosten hat der Arbeitgeber<br />

nach § 40 Abs. 2 BetrVG zu tragen.<br />

38


AiB 9 | 2016 Betriebsversammlung leicht gemacht grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

vorkommen. Dies kann auf einen besonders<br />

dringlichen Handlungsbedarf hinweisen – zumindest<br />

jedoch auf den Umstand, dass es bei<br />

dem betreffenden Aspekt einen allgemeinen<br />

Diskussionsbedarf gibt. Für Letzteres sollte<br />

sich der Betriebsrat ausreichend Zeit nehmen.<br />

Dabei gilt es, die einzelnen Diskussionsergebnisse<br />

schriftlich festzuhalten, wozu sich<br />

ein ausreichend großer Bogen Papier eignet –<br />

sollten Flipchart oder Whiteboard nicht zur<br />

Verfügung stehen.<br />

Offen sein für Veränderungen<br />

Die Diskussion im Betriebsrat dürfte nur höchst<br />

selten in der Feststellung münden, dass es keinen<br />

Veränderungsbedarf gibt. Vielmehr stellt<br />

sich die Frage, ob das Gremium – gleiches gilt<br />

natürlich auch für seine Mitglieder – zu Veränderungen<br />

auch bereit ist. Es beim Bisherigen zu<br />

belassen ist wesentlich einfacher als sich neuen<br />

Herausforderungen zu stellen. Etwas Neues<br />

anzustoßen benötigt Zeit, Energie und Arbeit,<br />

wobei der Erfolg nicht immer gewiss ist. Gleichwohl<br />

gilt trotz aller möglichen Bedenken: Nur<br />

wer bereit ist, sich von seinen alten und kaputten<br />

Latschen zu trennen, der wird den bisweilen<br />

recht steinigen Weg der betrieblichen Interessenvertretung<br />

erfolgreich meistern und Kraft<br />

für weitere Amtszeiten haben.<br />

Nicht gemeint ist damit ein blinder Aktionismus,<br />

der oftmals mehr schadet, als dass er<br />

hilft. Jede Veränderung sollte wohl überlegt sein<br />

und sowohl strategisch als auch gut vorbereitet<br />

in die Tat umgesetzt werden.<br />

Das zentrale Grundproblem<br />

der Betriebsversammlung<br />

Das zentrale Grundproblem vieler Betriebsversammlungen<br />

ist die Teilnehmerzahl. Nur<br />

ein Teil der angesprochenen Adressaten macht<br />

von ihnen Gebrauch, wobei die Quote nicht<br />

selten bei 50 Prozent und weniger liegt. Das<br />

Dilemma dabei ist immer wieder: Die Beschäftigten<br />

bringen ihren Unmut und ihre Unzufriedenheit<br />

dadurch zum Ausdruck, dass sie der<br />

Versammlung fernbleiben, wobei die Abwesenheit<br />

der Arbeitskolleginnen und -kollegen<br />

von der Interessenvertretung als Desinteresse<br />

und Ignoranz gewertet wird. Die Beschäftigten<br />

sind mit ihrem Betriebsrat unzufrieden,<br />

während dieser wiederum von der Belegschaft<br />

enttäuscht ist. Dieses Dilemma gilt es aufzubrechen.<br />

Dazu ist es erforderlich, sich mit<br />

den Ursachen der geringen Teilnehmerzahl zu<br />

beschäftigen. Einige Gründe wird die bereits<br />

angesprochene Bestandsaufnahme zu Tage<br />

gefördert haben. Weitere werden sich im Verlaufe<br />

von Gesprächen mit einzelnen Beschäftigten<br />

– sowohl Teilnehmer als auch Nicht-Teilnehmer<br />

– ergeben, die genau zu diesem Zweck<br />

erfolgen sollten. Denkbare Antworten und<br />

Gründe dürften unter anderem sein:<br />

··<br />

In meiner Arbeitszeit habe ich etwas Besseres<br />

zu tun<br />

··<br />

Arbeitsmäßig haben wir so viel zu tun, dass<br />

ich für eine Teilnahme einfach keine Zeit<br />

habe<br />

··<br />

Mein Vorgesetzter wünscht, dass ich den Betriebsversammlungen<br />

fern bleibe<br />

··<br />

Schon seit vielen Jahren gibt es auf der Betriebsversammlung<br />

immer das Gleiche zu<br />

hören<br />

··<br />

Die Themen interessieren mich einfach<br />

nicht<br />

··<br />

Die Betriebsversammlungen sind äußerst<br />

langweilig und dauern viel zu lang<br />

··<br />

Auf die Selbstdarstellung des Betriebsrats(-<br />

vorsitzenden) kann ich gut verzichten<br />

··<br />

Der Geschäftsführer merkt sich die Leute,<br />

die auf der Betriebsversammlung etwas sagen<br />

··<br />

Ich wusste gar nicht, dass es jüngst eine Betriebsversammlung<br />

gegeben hat.<br />

Frischer Wind tut gut<br />

Die von den Betriebsratsmitgliedern in Erfahrung<br />

gebrachten Motive und Gründe können<br />

Anlass sein, frischen Wind in die Betriebsversammlung<br />

zu bringen. Hierzu ist es sinnvoll,<br />

Die Betriebsversammlung<br />

ist erfolgreich, wenn dort<br />

Themen besprochen werden,<br />

die die Beschäftigten<br />

interessieren.<br />

39


grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Betriebsversammlung leicht gemacht<br />

AiB 9 | 2016<br />

Superhelden der<br />

Betriebsratsarbeit<br />

www.meine-superhelden.de<br />

Im Einsatz für die Guten<br />

bei der Bewältigung von Defiziten zwischen<br />

solchen Maßnahmen zu unterscheiden, auf die<br />

der Betriebsrat einen wesentlichen Einfluss hat<br />

und solchen, auf die er nicht oder nur schwer<br />

einwirken kann. Weitere Unterscheidungsmerkmale<br />

können sein:<br />

··<br />

Das lässt sich schnell realisieren oder dafür<br />

brauchen wir eine gewisse Zeit<br />

··<br />

Das können wir selbst oder dafür benötigen<br />

wir fremde Hilfe<br />

··<br />

So etwas kostet Geld oder das gibt es gratis.<br />

Die vorgenannten Kriterien können dem Betriebsrat<br />

bei seinen Entscheidungen helfen, in<br />

welcher Reihenfolge welche Aspekte einer Änderung<br />

zugeführt werden sollen. Am leichtesten<br />

lässt sich das bewerkstelligen, auf das ich<br />

einen wesentlichen Einfluss habe und in kürzester<br />

Zeit kostenfrei ohne fremde Hilfe tun<br />

kann. Dies gilt vor allem für die Einladung zur<br />

Betriebsversammlung.<br />

Einladung zur Betriebsversammlung<br />

Die Einladung zur Betriebsversammlung kann<br />

ihren Zweck nur dann erfüllen, wenn sie als<br />

solche wahrgenommen wird und nicht in Vergessenheit<br />

geraten kann. Hierfür genügt der<br />

einmalige Hinweis etwa mittels Handzettel,<br />

Aushang am schwarzen Brett, Hinweis im<br />

Betriebsrats-Infoblatt oder E-Mail nicht. Gleiches<br />

gilt für eine mündlich ausgesprochene<br />

Einladung. Vielmehr bedarf es ihrer Ergänzung<br />

durch Plakate, Aufsteller, Ausrufe, SMS<br />

… Insoweit ist Phantasie gefragt, da sich nicht<br />

jedes Werkzeug in jedem Betrieb in der gleichen<br />

Weise eignet. So kann beispielsweise<br />

eine Einladung, die mittels eines Aushangs<br />

am schwarzen Brett erfolgt ist, durch entsprechend<br />

große, farbig gestaltete und an zentralen<br />

Stellen auffallend angebrachte Plakate in Erinnerung<br />

gerufen werden. Gleiches gilt für eine<br />

E-Mail oder SMS, die rechtzeitig am Tag der<br />

Veranstaltung versendet wird sowie für Aufsteller,<br />

die mit einem Plakat versehen, an dafür<br />

geeigneten Plätzen positioniert werden. Wer<br />

auf diese Weise zu einer Betriebsversammlung<br />

eingeladen wird, der kann später kaum sagen,<br />

er hätte von der Veranstaltung nichts gewusst.<br />

Themen der Betriebsversammlung<br />

Ursache für die Unzufriedenheit der Beschäftigten<br />

sind oftmals die auf der Betriebsversammlung<br />

behandelten Themen. Wer sich den<br />

§ 43 BetrVG anschaut, der kann schnell der<br />

Ansicht verfallen, dass sie lediglich die Erstattung<br />

des Tätigkeitsberichts des Betriebsrats<br />

und den Bericht des Arbeitgebers umfasst –<br />

eventuell ergänzt um einen Redebeitrag des<br />

zuständigen Gewerkschaftssekretärs. Die<br />

wirkliche Bandbreite möglicher Themen wird<br />

daher schnell übersehen. § 45 BetrVG spricht<br />

diesbezüglich umfassend formuliert von Angelegenheiten,<br />

die den Betrieb oder seine Arbeitnehmer<br />

unmittelbar betreffen.<br />

»Nur wer bereit<br />

ist, sich von<br />

seinen alten und<br />

kaputten Latschen<br />

zu trennen, der<br />

wird den bisweilen<br />

recht steinigen<br />

Weg der betrieblichen<br />

Interessenvertretung<br />

erfolgreich<br />

meistern.«<br />

MARTIN WOLMERATH<br />

Und genau das sollte auf einer Betriebsversammlung<br />

erfolgen: Die Behandlung von Themen,<br />

die die Belegschaft wirklich interessieren.<br />

Stress, Umgang mit Konflikten, Arbeitsverdichtung,<br />

Arbeitszeit, betriebliche Altersvorsorge<br />

sowie Vorgesetzte mit Führungsdefiziten sind<br />

nur einige Aspekte, welche die Berichte des<br />

Betriebsrats sowie des Arbeitgebers schnell in<br />

den Hintergrund geraten lassen. Daher sollte<br />

die Devise lauten: Das eine tun und das andere<br />

nicht lassen.<br />

Verwirklichen lässt sich dieser Ansatz mit<br />

einer etwas anderen Gewichtung der zur Verfügung<br />

stehenden Zeit. Gibt es keinen wirklichen<br />

Anlass für umfangreiche Berichterstattungen,<br />

dann sollten diese auf das Wesentliche<br />

beschränkt werden. Auf diese Weise kommt<br />

40


AiB 9 | 2016 Betriebsversammlung leicht gemacht grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

der Betriebsrat schnell zum eigentlichen, wesentlichen<br />

Thema der Zusammenkunft. Zudem<br />

wird damit einer vorzeitigen Ermüdung<br />

der Zuhörer vorgebeugt.<br />

Dauer der Betriebsversammlung<br />

Betriebsversammlungen müssen nicht immer<br />

gleich lange dauern. Gibt es nicht viel zu berichten<br />

und zu diskutieren, dann darf die Zusammenkunft<br />

auch kürzer ausfallen. Vielleicht<br />

genügt in solch einem Fall ein Zeitraum von<br />

einer bis eineinhalb Stunden. Dafür muss<br />

man sich auf der anderen Seite die Zeit nehmen,<br />

die erforderlich ist, um ein kompliziertes<br />

Thema sachgerecht behandeln zu können.<br />

In solch einem Fall kann es bisweilen sogar<br />

angebracht sein, sich zu vertagen, um die Betriebsversammlung<br />

etwa am nächsten Morgen<br />

ausgeruht fortsetzen zu können.<br />

Ablauf der Betriebsversammlung<br />

So manche Betriebsversammlung hat stets den<br />

gleichen Ablauf mit derselben Tagesordnung.<br />

beispiel<br />

Ablauf einer Betriebsversammlung<br />

9:00 – 9:15 Uhr Begrüßung<br />

9:15 – 10:15 Uhr Bericht des Betriebsrats<br />

10:15 – 10:45 Uhr Aussprache<br />

10:45 – 11:45 Uhr Bericht des Arbeitgebers<br />

11:45 – 12:15 Uhr Aussprache<br />

12:15 – 13:15 Uhr Referat des Gewerkschaftssekretärs<br />

13:15 – 13:30 Uhr Aussprache<br />

13:30 – 13:45 Uhr Verschiedenes<br />

13:45 Uhr Verabschiedung<br />

Die Nachteile einer solchen Handhabung liegen<br />

auf der Hand: Immer dasselbe Procedere<br />

und keine Schwerpunktsetzungen. Dabei<br />

sollte sich der Ablauf der Veranstaltung an<br />

den einzelnen Themen und deren Bedeutung<br />

orientieren. Unwichtiges kann weichen zu<br />

Gunsten wichtiger, aktueller Punkte und Probleme.<br />

Vergleichbares gilt für den zeitlichen<br />

Rahmen einzelner Tagesordnungspunkte. Der<br />

Tätigkeitsbericht des Betriebsrats muss nicht<br />

zwingend zu Beginn der Zusammenkunft erstattet<br />

werden; dem Arbeitgeber muss nicht<br />

dieselbe Redezeit eingeräumt werden; es muss<br />

nicht zu allen Punkten eine Aussprache erfolgen,<br />

zumal wenn es – aus welchen Gründen<br />

auch immer – keine Wortmeldungen gibt; der<br />

Gewerkschaftssekretär erzielt im Zweifel eine<br />

höhere Wirkung, wenn er strategisch passend<br />

zu bestimmten Themen sein Wort ergreift.<br />

Wichtige Themen sollten zu Beginn der Versammlung<br />

behandelt werden. Abhängig von<br />

dem Arbeitsbeginn, der Tageszeit und der zeitlichen<br />

Lage der Veranstaltung sind die Zuhörerinnen<br />

und Zuhörer anfangs eher ausgeruht<br />

und aufnahmefähig, während sie am Ende der<br />

Veranstaltung müde(r) und erschöpft(er) sind.<br />

Insofern kann es sich bisweilen anbieten, die<br />

Betriebsversammlung mit einem kurzen Bericht<br />

des Arbeitgebers oder des Betriebsrats zu<br />

schließen.<br />

Einsatz technischer Hilfsmittel<br />

Technische Hilfsmittel sind nur so gut, wie sie<br />

auch funktionieren. Ihr Einsatz sollte daher<br />

geprobt werden. Das gilt vor allem für die Verwendung<br />

von Mikrofonen und Lautsprechern.<br />

Beide müssen nicht nur funktionieren; entscheidend<br />

sind die richtige Lautstärke und die<br />

Vermeidung von Störgeräuschen.<br />

Vergleichbares gilt für den Einsatz eines<br />

Beamers. Hier kommt es auf geeignete räumliche<br />

Lichtverhältnisse und auf eine ausreichende<br />

Lichtstärke des Projektors an. Werden Folien<br />

präsentiert, dann muss deren Beschriftung<br />

überall im Raum lesbar sein. Der Einsatz von<br />

Bildern, Grafiken und Filmsequenzen macht<br />

ebenfalls nur Sinn, wenn sie in der erforderlichen<br />

Größe gezeigt werden können. Zudem<br />

muss bedacht werden, dass Beamer und PC,<br />

Laptop oder Tablet aufeinander eingestellt<br />

sind. Jeder Vortrag leidet in seiner Qualität,<br />

wenn das technische Hilfsmittel nicht frei von<br />

Störungen eingesetzt werden kann.<br />

Ort der Betriebsversammlung<br />

Die Örtlichkeit, an der die Betriebsversammlung<br />

stattfindet, ist eher selten Anlass für die<br />

Unmutsäußerungen. Grundsätzlich hat sie<br />

auf dem Betriebsgelände stattzufinden. Die<br />

Räumlichkeit muss dabei so gewählt werden,<br />

dass sie eine störungsfreie Versammlung, mithin<br />

eine ungestörte Teilnahme ermöglicht. Die<br />

Überlassung eines dafür geeigneten Raumes<br />

obliegt dem Arbeitgeber. Sofern der Betrieb<br />

aufgabe des<br />

arbeitgebers<br />

§ 43 Abs. 2 Satz 3 BetrVG<br />

regelt, dass der Arbeitgeber<br />

mindestens einmal<br />

im Kalenderjahr über die<br />

im Gesetz aufgelisteten<br />

Themen, wie beispielsweise<br />

Personal- und<br />

Sozial wesen, Gleichstellung<br />

von Mann und<br />

Frau und Integration<br />

ausländischer ArbeitnehmerInnen<br />

sowie die<br />

wirtschaftliche Lage im<br />

Betrieb berichten muss.<br />

Dieser Bericht folgt in<br />

der Regel nach dem<br />

Tätigkeits bericht des<br />

Betriebsrats.<br />

41


grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Betriebsversammlung leicht gemacht<br />

AiB 9 | 2016<br />

gut zu wissen<br />

Die Betriebsversammlung<br />

findet während der betriebsüblichen<br />

Arbeitszeit<br />

statt. Der Betriebsrat<br />

bestimmt Datum und<br />

Uhrzeit. Günstigste Zeit<br />

ist der Vormittag, da die<br />

Beschäftigten dann in<br />

der Regel noch aufnahmefähig<br />

und fit sind. Bei<br />

gleiten der Arbeitszeit<br />

drängt sich die Festlegung<br />

während der<br />

Kernzeit auf, in Schichtbetrieben<br />

zum Schichtwechsel.<br />

Nur wenn die<br />

Eigenart des Betriebes<br />

zwingend ein Abhalten<br />

außerhalb der betriebsüblichen<br />

Arbeitszeit erfordert,<br />

darf von diesem<br />

Grundsatz abgewichen<br />

werden.<br />

lesetipp<br />

Mehr zur Betriebsversammlung<br />

in der<br />

AiB 6/2014, S. 59 –61<br />

in dem Beitrag »Tue<br />

Gutes und rede darüber«<br />

von Regine Windirsch.<br />

Auch Online zu <strong>lesen</strong><br />

auf www.aib-web.de ><br />

Arbeitsrecht im Betrieb<br />

über keine passende Räumlichkeit verfügt,<br />

muss die Versammlung gegebenenfalls außerhalb<br />

des Betriebes stattfinden, was durchaus<br />

die Anmietung eines Saales oder gar Messehalle<br />

sowie die Organisation eines Bustransfers<br />

umfassen kann.<br />

Zeitpunkt der Betriebsversammlung<br />

Die Betriebsversammlung hat grundsätzlich<br />

während der Arbeitszeit zu erfolgen. Ihre<br />

zeitliche Lage ist nicht immer leicht zu fixieren.<br />

Davon können Betriebsräte in Schichtbetrieben<br />

immer wieder ein Lied singen. Ziel<br />

muss es sein, möglichst allen Beschäftigten<br />

eine Teilnahme zu ermöglichen. Dies kann<br />

es bisweilen erforderlich machen, mehrere<br />

Versammlungen durchzuführen, die zu verschiedenen<br />

Zeiten stattfinden. Fahrtkosten,<br />

Wegezeiten und die Zeit der Teilnahme an der<br />

Betriebsversammlung sind dabei unter Beachtung<br />

der in § 44 Abs. 1 BetrVG aufgeführten<br />

Regeln zu entgelten.<br />

Aussprache unter gleichen<br />

In etlichen Betrieben gibt es keine offene<br />

Diskussionskultur. Vielmehr herrscht ein absolutes<br />

Schweigen, wenn der Geschäftsführer<br />

an der Betriebsversammlung teilnimmt.<br />

Die Angst vor Maßregelungen und sonstigen<br />

Nachteilen führt immer wieder dazu, dass die<br />

Versammlungsteilnehmer verstummen, sobald<br />

es zu dem Tagesordnungspunkt »Aussprache«<br />

kommt und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

um Diskussionsbeiträge oder Fragen gebeten<br />

werden.<br />

In so einem Fall sollte der Betriebsrat überlegen,<br />

auf eine »Aussprache« zu verzichten.<br />

Alternativ dazu können die Betriebsratsmitglieder<br />

Fragen stellen. Zu diesem Zweck – aber<br />

auch losgelöst davon – kann der Betriebsrat<br />

die Beschäftigten im Vorfeld der Betriebsversammlung<br />

bitten, ihm Fragen zukommen zu<br />

lassen, die von dem Arbeitgeber beantwortet<br />

werden sollen. <strong>Eine</strong> solche Verfahrensweise<br />

sichert die Anonymität und führt dem Arbeitgeber<br />

nicht selten vor Augen, welches Ansehen<br />

er in der Belegschaft hat.<br />

Bisweilen kann es sich anbieten, den Arbeitgeber<br />

vor der Behandlung sensibler Themen<br />

zu bitten, die Versammlung zu verlassen.<br />

<strong>Eine</strong> dahingehende Bitte kann auch im Vorfeld<br />

der Veranstaltung geäußert werden, sofern dies<br />

angebracht ist.<br />

Platzierung des Arbeitgebers<br />

Losgelöst von der Qualität der Diskussionskultur<br />

kann das Schweigen der Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer allein schon in dem Umstand<br />

begründet sein, dass der Arbeitgeber mit auf<br />

dem Podium sitzt und den Beschäftigten von<br />

einer erhöhten Position aus in die Augen<br />

schaut. Zur Lösung eines solchen Problems<br />

bietet es sich an, den Arbeitgeber in die erste<br />

Reihe so zu platzieren, dass er mit dem Rücken<br />

zur Belegschaft sitzt.<br />

Behinderung der Betriebsratsarbeit<br />

Um eine Behinderung der Betriebsratsarbeit –<br />

mithin um eine Straftat nach § 119 Abs. 1<br />

Nr. 2 BetrVG – kann es sich handeln, wenn es<br />

einem Beschäftigten untersagt wird, an einer<br />

Betriebsversammlung teilzunehmen. Weiter<br />

kann in einem derartigen Verhalten eine den<br />

Betriebsfrieden störende Handlung im Sinne<br />

des § 104 BetrVG zu sehen sein.<br />

Losgelöst von der rechtlichen Bewertung<br />

sollte der Betriebsrat überlegen, ein ausgesprochenes<br />

Teilnahmeverbot auf der Betriebsversammlung<br />

zu thematisieren. Schließlich<br />

ist nicht auszuschließen, dass es sich hierbei<br />

nicht um einen Einzelfall handelt.<br />

Gleiches gilt, wenn Beschäftigten ein bestimmter<br />

Geldbetrag oder geldwerter Vorteil<br />

für den Fall zugesagt wird, dass auf eine Versammlungsteilnahme<br />

verzichtet wird. Weiter<br />

gehört hierzu der Fall, dass Beschäftigten die<br />

Weisung erteilt wird, die Arbeit zu einer bestimmten<br />

Zeit wieder aufzunehmen, obwohl<br />

die Betriebsversammlung noch nicht ihr Ende<br />

gefunden hat.<br />

Zu guter Letzt: Geduld ist gefragt<br />

Niemand darf erwarten, dass sich die Teilnehmerzahlen<br />

rapide erhöhen, sobald der Betriebsrat<br />

an den Inhalten und/oder der Gestaltung<br />

der Betriebsversammlung gearbeitet hat.<br />

Es benötigt eine gewisse Zeit, bis sich in der<br />

Belegschaft herumgesprochen hat, dass diejenigen<br />

so einiges verpassen, die nicht an der<br />

Betriebsversammlung teilnehmen. Insoweit ist<br />

Geduld gefragt, die sich allerdings positiv auszahlen<br />

wird. v<br />

Dr. Martin Wolmerath,<br />

Rechtsanwalt in Hamm.<br />

www.wolmerath.de<br />

42


AiB 9 | 2016 Lernen durch Misserfolg grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Lernen durch<br />

Misserfolg<br />

scheitern Es beeindruckt, wenn sich Menschen nach Misserfolgen<br />

wieder nach oben arbeiten. Geht das auch im Betriebsrats-Alltag,<br />

wenn ein Projekt gescheitert ist? Antworten gibt Heinrich Wottawa.<br />

FRAGEN DER REDAKTION<br />

Aus Fehlern lernt man – sagt der<br />

Volksmund. Doch das ist nicht<br />

immer leicht. Wir fragten den Experten<br />

Prof. Wottawa.<br />

Welche Rolle spielen Fehler und Misserfolge<br />

beim Lernen? Lernen an Misserfolgen und Erfolgen<br />

ist wahrscheinlich die wichtigste Lernmöglichkeit<br />

überhaupt. So haben wir gehen<br />

und sprechen gelernt, und auch sehr viel zu<br />

unserem beruflichen Verhalten. Dabei macht<br />

am Erfolg lernen Spaß, am Misserfolg oft weniger.<br />

Genauer müsste es daher heißen »Man<br />

kann (oder könnte) aus Fehlern lernen«. Leider<br />

machen das viele nicht.<br />

Warum ist das so schwer? <strong>Eine</strong>r der Gründe<br />

dafür ist die sogenannte Hedonistische Verzerrung.<br />

Wenn ein Erfolg auftritt, sieht man sich<br />

selbst als Ursache dafür, wenn etwas daneben<br />

geht, liegt die Schuld bei anderen (oder am Zufall,<br />

man hatte »Pech«). Diesen Mechanismus<br />

brauchen auch alle, die Verantwortung tragen.<br />

Das ist auch der Grund, warum er mit steigendem<br />

Alter und zunehmender Verantwortung<br />

eher zunimmt. Manches Mal sind wohl auch<br />

ganze Gremien davon betroffen und werden<br />

lernunfähig. Man sollte sich schon bemühen,<br />

den eigenen Beitrag zu Misserfolgen zu erkennen,<br />

auch wenn es schwerfällt. Man kann aber<br />

auch aus Erfolgen das Falsche lernen.<br />

Wie kann das sein? Dazu gibt es ein klassisches<br />

Experiment: Wenn man einem Huhn<br />

Futter zeigt, läuft es dahin. Stellt man eine<br />

Glasscheibe zwischen Huhn und Futter, stößt<br />

es sich daran und lernt aus diesem »Misserfolg«,<br />

einen Umweg zu machen. Entfernt<br />

man später die Glasscheibe, bleibt das Huhn<br />

bei dem »erfolgreichen« Umweg. Auch Men-<br />

darum geht es<br />

1. Aus Fehlern zu lernen,<br />

ist oft mühsam. Es bringt<br />

aber weiter. Zu wenige<br />

Menschen tun es.<br />

2. Erfolge schreiben<br />

Menschen sich gern selber<br />

zu – Misserfolge den<br />

anderen oder den Umständen.<br />

Das erschwert<br />

es, aus Fehlern zu lernen.<br />

3. Nach einer Trauerphase<br />

über den Misserfolg<br />

sollten die Ursachen dafür<br />

und der eigene Anteil daran<br />

analysiert werden.<br />

Aus Fehlern lernen heißt,<br />

im Gremium Aufgaben<br />

gezielt neu zu verteilen<br />

und Maß nahmen gegen<br />

Schwachstellen einzuleiten.<br />

43


grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Lernen durch Misserfolg<br />

AiB 9 | 2016<br />

Prof. Dr. Heinrich<br />

Wottawa ist emeritierter<br />

Psychologie-Professor<br />

an der Ruhr-Universität<br />

Bochum.<br />

schen bleiben oft lange bei einem bewährten<br />

Lösungsweg, auch wenn sich inzwischen die<br />

Welt geändert hat. Da kann ein Personalwechsel<br />

schon sehr hilfreich sein. Die Neuen wissen<br />

ja nicht, dass auf dem besten Weg zum Erfolg<br />

früher einmal eine »Glasscheibe« stand.<br />

Dieses Lernen findet ja üblicherweise an<br />

»normalen« Fehlern statt. Aber was tun,<br />

wenn es richtig kracht? Was ist eine angemessene<br />

Reaktion auf einen großen Misserfolg?<br />

Im Regelfall ist es sinnvoll, sich ausreichend<br />

Zeit zum emotionalen Verarbeiten<br />

dieses Schocks zu lassen und sich zumindest<br />

selbst die Verzweiflung, Wut oder Trauer zuzugeben.<br />

In dieser Aufregungsphase sollte man<br />

mit Aktionen sehr vorsichtig sein. Also nicht<br />

sofort »irgendwie« agieren, da vergrößert man<br />

oft nur den Schaden. Das sieht man ja leider<br />

oft bei Politikern, die sich angegriffen fühlen.<br />

Wenn man sich beruhigt hat, sollte man in<br />

Ruhe überlegen, welcher Schaden denn wirklich<br />

passiert ist. Lebensgefahr besteht selten,<br />

also wird es weitergehen. Die Frage ist nur,<br />

wie. Erst wenn man emotional so weit ist,<br />

kann man über den eigenen Beitrag zur »Katastrophe«<br />

nachdenken. War ich vielleicht<br />

doch auch irgendwie selbst ein wenig Schuld?<br />

Und woran lag es genau? Von der (ehrlichen)<br />

Antwort auf diese Frage hängt es ab, ob man<br />

im nächsten Schritt an seiner eigenen Kompetenzsteigerung<br />

arbeitet.<br />

In vielen Fällen ist aber ein Wechsel des<br />

Aufgabenbereichs viel erfolgsbringender und<br />

gesünder, als weiter eine Arbeit zu machen, die<br />

einem nicht wirklich liegt, vor allem bei fehlender<br />

emotionaler Passung. Denken Sie etwa an<br />

einen Innendienst-Mitarbeiter, der »freiwillig«<br />

in den Vertrieb gewechselt ist, aber überhaupt<br />

nicht zur Kundenakquisition passt. Man sollte<br />

unbedingt vermeiden, sich selbst den Optionsraum<br />

unnötig zu beschneiden. Subjektive<br />

Glaubenssätze wie »Ein anderes Unternehmen<br />

kommt für mich absolut nicht in Frage« oder<br />

»Ich kann doch von meiner Position nicht zurücktreten«<br />

sind schädliche Blockaden auf dem<br />

Weg zum Erfolg. Sehr viele Menschen sind bald<br />

nach einem Wechsel viel zufriedener.<br />

Unterscheiden sich bei der Reaktion auf Misserfolge<br />

Männer von Frauen? Ja, zumindest im<br />

Durchschnitt. Frauen zeigen die Hedonistische<br />

Verzerrung weniger stark. Das erhöht die Chance<br />

auf Lernen am Misserfolg, macht es aber<br />

emotional schwerer, mit Fehlern umzugehen.<br />

Können sich auch Betriebsratsgremien diese<br />

Erkenntnisse zunutze machen? Im Prinzip ja.<br />

Die psychologischen Mechanismen in Gremien<br />

sind aber oft viel komplexer als bei einer<br />

einzelnen Person. So kann etwa ein Misserfolg<br />

für einige Mitglieder durchaus erfreulich sein,<br />

etwa wenn der von ihnen ungeliebte Vorsitzenden<br />

daran schuld ist.<br />

Und wie können diese zum Beispiel mit gescheiterten<br />

Verhandlungen umgehen – was<br />

wären die ersten drei Schritte? Zuerst einmal<br />

den Frust und Ärger offen formulieren und gemeinsam<br />

»trauern«, also nicht gleich sagen, eigentlich<br />

sei ja gar nichts Ernstes passiert. Leider<br />

fällt das offene Zugeben von Misserfolgen vielen<br />

Leithammeln schwer. Dann bleiben die negativen<br />

Emotionen unter der Oberfläche, und<br />

»Erst wenn man<br />

emotional so<br />

weit ist, kann<br />

man über den<br />

eigenen Beitrag<br />

zur ›Katastrophe‹<br />

nachdenken.«<br />

HEINRICH WOTTAWA<br />

das tut einem Gremium auf Dauer nicht gut.<br />

Wenn die Emotionen abgeebbt sind, sollte man<br />

vernünftig die Ursachen analysieren. Auch das<br />

fällt oft sehr schwer, vor allem wenn es gremiumsinterne<br />

Tabus gibt. Rein fiktiv: »Klar, Herr<br />

X hat seine beste Zeit schon hinter sich – aber<br />

das kann man einem so verdienten Kollegen<br />

doch nicht sagen« oder »Y hat seine Durchsetzungskraft<br />

völlig überschätzt, aber das sage<br />

ich besser nicht, er wird ja wohl noch lange der<br />

starke Mann im Betriebsrat sein«. Wenn man<br />

eine den Fakten entsprechende Meinung über<br />

die Ursachen entwickelt hat, kann sich natürlich<br />

der Betriebsrat kein besser passendes Unternehmen<br />

oder andere Aufgaben suchen. Aber<br />

man kann etwa die Aufgaben im Gremium neu<br />

verteilen, und gezielt Maßnahmen gegen die<br />

Schwachstellen einleiten. v<br />

44


AiB 9 | 2016 Schmerzhafte Trennung grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Schmerzhafte<br />

Trennung<br />

spin-off Bei Spin-offs werden Unternehmensteile ausgegliedert. Oft<br />

wackeln Jobs. Ein Schreckgespenst für Beschäftigte. Was passiert mit<br />

ihnen und welche Handlungsmöglichkeiten haben Interessenvertreter?<br />

VON CHRISTOF BALKENHOL UND HENRIK STEINHAUS<br />

Im ersten Teil unseres Beitrages zu Spinoffs<br />

ging es darum, dass aus Managementwie<br />

auch aus Eigentümersicht durchaus<br />

gute Gründe für die Verselbständigung<br />

eines Unternehmensteils sprechen können. 1<br />

Was aber sind mögliche Konsequenzen eines<br />

Spin-Offs für die Beschäftigten? Auf jeden Fall<br />

sind die Auswirkungen langfristig spürbar, weil<br />

sich mit der Abspaltung vielfach die Rahmenbedingungen<br />

der betrieblichen Entwicklung<br />

grundlegend und nachhaltig verändern. Dabei<br />

entsteht oft eine große Verunsicherung bei Mitarbeitern<br />

und Betriebsräten. Die im Nachgang<br />

zur Abspaltung zu erwartende neue Eigentümerstruktur<br />

ist mit Blick auf ihre Stabilität<br />

und Verlässlichkeit nur schwer einzuschätzen.<br />

Betriebsräte reagieren daher oft sehr skeptisch,<br />

wenn sie mit Spin-Off-Konzepten konfrontiert<br />

werden. Sie haben die Sorge, dass mit der Abspaltung<br />

zwar vieles anders, aber wenig besser<br />

wird. Manches schlechte Beispiel aus der Praxis<br />

bestärkt Betriebsräte in dieser Haltung. <strong>Eine</strong><br />

pauschale Ablehnung durch den Betriebsrat<br />

hilft jedoch kaum weiter. <strong>Eine</strong>rseits kann er die<br />

Abspaltung durch seine Mitbestimmungsrechte<br />

zwar verzögern, jedoch nicht grundsätzlich<br />

verhindern. Zum anderen sollte der Betriebsrat<br />

auch den Blick auf die Chancen werfen, die mit<br />

Spin-Off aus Sicht der Arbeitnehmer durchaus<br />

verbunden sein können.<br />

Neue Perspektiven sichern Beschäftigung<br />

Wenn das Management eines Unternehmens<br />

die strategischen Entwicklungsmöglichkeiten<br />

eines Unternehmensbereiches nicht mehr<br />

erkennt beziehungsweise nicht in der Lage<br />

ist, diese zu nutzen, hat das in aller Regel<br />

unmittelbare praktische Konsequenzen: Investitionen<br />

werden zurückgefahren. Gerade<br />

in Konzernen lässt sich diese Entwicklung<br />

immer wieder beobachten. Unternehmensteile,<br />

die nicht zum strategischen Kern gehören,<br />

werden vernachlässigt. Das bedeutet: Wenig<br />

finanzielle Mittel und geringe Aufmerksamkeit<br />

des Managements. Damit droht aber auf<br />

mittlere Sicht ein systematisches Herunterwirtschaften<br />

mit den bekannten Folgen für<br />

die Beschäftigten. In einer solchen Situation<br />

kann die Abspaltung eines Unternehmensbereiches<br />

in der Tat eine neue Perspektive für<br />

die Mitarbeiter schaffen: Wenn neue Eigentümer<br />

tatsächlich ein Interesse an einer strategischen<br />

Weiterentwicklung des abgetrennten<br />

Unternehmensteils haben und dazu bereit<br />

sind, Investitionsmittel zur Verfügung zu stellen.<br />

In diesem Fall erschließen sich durch die<br />

Abspaltung neue Möglichkeiten zum Wachstum<br />

und damit auch zur Sicherung und zum<br />

Ausbau der Beschäftigung.<br />

Schlankere Entscheidungsstrukturen<br />

Mit der geplanten Herauslösung eines Unternehmensteils,<br />

ergibt sich die Notwendigkeit,<br />

klare Vorstellungen zur Weiterentwicklung<br />

dieses Unternehmensteils zu entwerfen und<br />

gegenüber (alten und neuen) Eigentümern<br />

und Mitarbeitern zu kommunizieren. Das betrifft<br />

auch zukünftige Aufbauorganisation und<br />

Steuerungsprozesse und führt bestenfalls auch<br />

zu einer Veränderung der Entscheidungs-<br />

darum geht es<br />

1. Betriebsräte sollten<br />

trotz Skepsis auch die<br />

Chancen sehen, die mit<br />

Spin-Offs verbunden<br />

sein können.<br />

2. Die Mitbestimmungsrechte<br />

bei Spin-Offs<br />

hängen davon ab, wie<br />

die Abspaltung abgewickelt<br />

wird.<br />

3. Interessenvertreter<br />

sollten sich Klarheit über<br />

die unternehmerischen<br />

Konzepte und die strategischen<br />

Perspektiven<br />

verschaffen.<br />

1 »Scheiden tut weh«, AiB 3/2016, S. 47.<br />

45


grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Schmerzhafte Trennung<br />

AiB 9 | 2016<br />

definition<br />

Spin-Off bezeichnet in<br />

der Betriebswirtschaftslehre<br />

eine Abspaltung<br />

einer Geschäftseinheit<br />

aus einem Unternehmen<br />

und Unternehmensgründung<br />

mit diesem<br />

Teil zu einer eigenständigen<br />

Unternehmung.<br />

Beim Spin-Off ist es wichtig,<br />

klare Vorstellungen<br />

zur Weiterentwicklung<br />

des Unternehmensteils<br />

zu entwerfen und auch zu<br />

kommunizieren.<br />

strukturen und Arbeitsprozesse, die von den<br />

Mitarbeitern positiv wahrgenommen werden.<br />

So ist etwa zu beobachten, dass abgetrennte<br />

Unternehmensbereiche aus Großkonzernen<br />

nach einem Spin-Off neu gewonnene Freiheiten<br />

mit dezentralen Entscheidungsstrukturen<br />

begrüßen und nutzen. Mitarbeiter empfinden<br />

es unter diesen Umständen zum Beispiel als<br />

echten Fortschritt, wenn eine überbordende<br />

Kontrollneigung eines Konzerns abgelöst<br />

wird durch eine ergebnisorientierte und entscheidungsfreudige<br />

Unternehmenskultur in<br />

einer eher mittelständischen Struktur.<br />

Für viele Betriebsräte stehen im Umgang<br />

mit Abspaltungen allerdings weniger die<br />

Chancen, sondern in erster Linie die praktischen<br />

Problemfelder und die erkennbaren Risiken<br />

im Vordergrund.<br />

Komplexität (über-)fordert<br />

Ein Problemfeld liegt in der rechtlichen und<br />

wirtschaftlichen Komplexität des Abspaltungsvorganges.<br />

In aller Regel verknüpft das<br />

Management die Abspaltung unmittelbar mit<br />

einer Veränderung der Eigentümerstruktur.<br />

Vielfach wird dabei ein Börsengang für den abgetrennten<br />

Unternehmensbereich bevorzugt.<br />

Dieser Börsengang wiederum birgt eigene Risiken<br />

und Problemfelder, seine Planung und<br />

Vorbereitung bindet sehr viel Managementkapazität.<br />

Als besondere praktische Schwierigkeit<br />

erweist sich dabei die zeitliche Steuerung<br />

des Abspaltungsvorganges. Für Alt-Eigentümer<br />

ist ein gelungenes Börsendebüt von besonderer<br />

Bedeutung. Das Gelingen einer Börseneinführung<br />

hängt aber wesentlich vom aktuellen<br />

Klima an den Finanzmärkten ab. Dieses Klima<br />

kann mitunter sehr kurzfristig umschlagen.<br />

Bei einer Verschlechterung des Börsenklimas<br />

sehen sich Unternehmen dann oft veranlasst,<br />

eine bereits angekündigte Abspaltung mit Börsengang<br />

zu verschieben. Diese Unwägbarkeiten<br />

im Zeitplan sind auch für die betroffenen<br />

Mitarbeiter eine erhebliche Belastung, weil die<br />

Phase der Unsicherheit verlängert wird und<br />

keine verlässlichen Zeitpläne aufgestellt werden<br />

können.<br />

46


AiB 9 | 2016 Schmerzhafte Trennung grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Großbaustelle Aufteilung<br />

Gerade bei großen Spin-Off-Vorhaben sind in<br />

der Vorbereitung massive Umorganisationen<br />

erforderlich, um ein eigenständiges, voll funktionsfähiges<br />

Unternehmen zu gestalten. Immer<br />

wieder ist dabei die Frage des Aufteilens<br />

zu beantworten: Welche Mitarbeiter, welche<br />

Ressourcen, welche Standorte, welche Teile<br />

des Anlagevermögens, welche Teile der IT-Infrastruktur<br />

werden dem Spin-Off zugeordnet,<br />

welche Teile verbleiben in der Altorganisation?<br />

Diese Fragen sind sehr aufwändig und kompliziert.<br />

Dabei sind weitreichende gesellschaftsrechtliche,<br />

steuerrechtliche und nicht zuletzt<br />

auch arbeitsrechtliche Anforderungen und<br />

Rahmenbedingungen zu beachten. Gleichzeitig<br />

sollte in einer solchen Phase der Trennungsvorbereitung<br />

der Eindruck vermieden werden,<br />

dass der abzutrennende Geschäftsbereich<br />

nicht mit den für seine Weiterentwicklung notwendigen<br />

Ressourcen ausgestatten wird oder<br />

gar zur Entsorgungsstelle für Risiken und Altlasten<br />

verkümmert.<br />

Verunsicherung der Belegschaft<br />

Die Nachricht über eine mögliche Abspaltung<br />

eines Unternehmensbereiches löst bei<br />

den betroffenen Mitarbeitern regelmäßig große<br />

Verunsicherung aus. Vielfach macht sich<br />

Enttäuschung darüber breit, dass die jetzigen<br />

Eigentümer offensichtlich das Interesse am<br />

eigenen Geschäftsbereich verloren haben.<br />

Das empfinden gerade langjährige Mitarbeiter<br />

fast schon als Verrat. Daneben bleibt die<br />

Unsicherheit, wie denn im Nachgang zur Abspaltung<br />

die neue Eigentümerstruktur aussehen<br />

wird und was diese Eigentümer mit dem<br />

Unternehmen vorhaben. Diese in anderem<br />

Zusammenhang auch als »Mergersyndrom«<br />

bezeichnete Verunsicherung kann das Betriebsklima<br />

erheblich belasten.<br />

Nach der Trennung<br />

Die Praxis zeigt, dass im Nachgang zur Abspaltung<br />

mitunter massive Restrukturierungsprogramme<br />

in Verbindung mit erheblichem<br />

Personalabbau gestartet werden. So macht<br />

zum Beispiel die Osram AG, die 2014 aus<br />

dem Siemenskonzern als Spin-Off herausgelöste<br />

Lichtsparte, vor allem Schlagzeilen mit<br />

Restrukturierungs- und Personalabbauprogrammen.<br />

An solchen Stellen wird teilweise<br />

ein bestehender Rückstau zur Strukturanpassung<br />

vollzogen, den die Alteigentümer zwar<br />

erkannt haben, aber nicht mehr unter eigener<br />

Verantwortung umsetzen wollten. Zum anderen<br />

legt die Verselbständigung eines Geschäftsbereiches<br />

aber auch mögliche Strukturschwächen<br />

und Wettbewerbsnachteile<br />

schonungslos offen. In diesem Fall lassen sich<br />

solche Defizite nicht in komplexen Konzernverflechtungen<br />

verstecken. Deshalb fordern<br />

dann insbesondere im Fall börsennotierter<br />

Gesellschaften die Aktionäre entsprechende<br />

Anpassung und Sanierungsmaßnahmen und<br />

üben entsprechenden Druck auf das verantwortliche<br />

Management aus.<br />

Wo bleibt die Mitbestimmung?<br />

Bei der Beschreibung ist deutlich geworden,<br />

dass es sich bei der Abspaltung eines Unternehmensbereiches<br />

in erster Linie um eine<br />

Entscheidung der Eigentümer (Aktionäre, Gesellschafter)<br />

handelt, an der das Management<br />

mitwirkt. Aus diesem Blickwinkel findet die<br />

Grundsatzentscheidung, ob ein Unternehmensteil<br />

abgespalten wird, häufig nicht auf der betrieblichen<br />

Ebene statt und entzieht sich damit<br />

auch weitgehend den Mitbestimmungsrechten<br />

des Betriebsrates. Die konkreten Mitbestimmungsrechte<br />

bei der Umsetzung dieser Entscheidung<br />

hängen wesentlich davon ab, wie<br />

die Abspaltung strukturell und gesellschaftsrechtlich<br />

abgewickelt wird. Dabei sind grundsätzlich<br />

zwei Fälle zu unterscheiden.<br />

Fall 1: Der zur Abtrennung vorgesehene Geschäftsbereich<br />

ist bereits eine gesellschaftsrechtlich<br />

und organisatorisch eigenständige<br />

Unternehmenseinheit, deren Gesellschaftsanteile<br />

von einer Muttergesellschaft im Konzern<br />

gehalten wird.<br />

Fall 2: Der zur Abspaltung vorgesehene Geschäftsbereich<br />

ist weder gesellschaftsrechtlich<br />

eigenständig gefasst noch organisatorisch eigenständig,<br />

das heißt, es gibt Verflechtungen<br />

mit anderen Unternehmensbereichen zum<br />

Beispiel mit Blick auf Administrationsprozesse,<br />

HR-Funktionen, Finanzen und Rechnungswesen<br />

oder Einkauf.<br />

Im ersten Fall wird durch den Spin-Off ein Eigentümerwechsel<br />

vollzogen. Der Eigentümer<br />

recht<br />

Kündigungsschutz-<br />

verständlich<br />

Bertram Zwanziger / Silke Altmann<br />

Heike Schneppendahl<br />

Kündigungsschutzgesetz<br />

Basiskommentar zu KSchG, §§ 622, 623<br />

und 626 BGB, §§ 102, 103 BetrVG<br />

4., überarbeitete Auflage<br />

2015. 415 Seiten, kartoniert<br />

€ 34,90 | ISBN 978-3-7663-6347-3<br />

www.bund-verlag.de/6347<br />

kontakt@bund-verlag.de 47<br />

Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20


grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Schmerzhafte Trennung<br />

AiB 9 | 2016<br />

ist zukünftig nicht mehr die Muttergesellschaft<br />

im Konzern. Hier ist der Spin-Off-Prozess als<br />

Verkauf einer Gesellschaft aus einem Unternehmensverbund<br />

zu betrachten und wird in<br />

der Managementsprache als Mergers&Acquisitions<br />

(M&A)-Aktivität eingeordnet (Kauf<br />

und Verkauf von Unternehmen). Die formalen<br />

Rechte des Betriebsrats beschränken sich im<br />

Wesentlichen auf Informations- und Unterrichtungsansprüche.<br />

Der zweite Fall beschreibt dagegen ein klassisches<br />

Spin-Off. Dabei ist zuerst ein rechtlich<br />

und organisatorisch eigenständiges Unternehmen<br />

zu schaffen. Dazu ist in aller Regel eine<br />

Spaltung von Betrieben erforderlich. <strong>Eine</strong><br />

Spaltung von Betrieben zählt nach § 111<br />

BetrVG zu den betriebsändernden Maßnahmen.<br />

Damit kann der Betriebsrat die aus dem<br />

§ 111 und 112 BetrVG resultierenden Mitbestimmungsrechte<br />

einfordern.<br />

Informations- und Beratungsrechte<br />

Zunächst hat der Betriebsrat einen allgemeinen<br />

Informationsanspruch nach § 80 Abs. 2<br />

BetrVG. Der allgemeine Informationsanspruch<br />

besteht bei allen Maßnahmen, bei denen die<br />

Interessen der Beschäftigten tangiert werden.<br />

Es ist selbstverständlich nahe liegend, dass ein<br />

Spin-Off die Interessen der Beschäftigten in<br />

vielfacher Weise berührt. Das gilt sowohl für<br />

den Teil der Belegschaft, der in der Altorganisation<br />

verbleibt, als auch für den Teil der Belegschaft,<br />

der in die auszugliedernde Einheit<br />

übergehen soll.<br />

Darüber hinaus sei auch ausdrücklich auf<br />

die Arbeit des Wirtschaftsausschuss verwiesen,<br />

der nach § 106 BetrVG in Unternehmen<br />

mit mehr als 100 Beschäftigten zu bilden<br />

ist. Der Arbeitgeber hat den Wirtschaftsausschuss<br />

über wirtschaftliche Angelegenheit<br />

des Unternehmens zu unterrichten. Hierzu<br />

zählen auch Informationen über die geplante<br />

Ausgliederung oder Abspaltung eines Unternehmensbereiches.<br />

Bei Verschmelzungen oder Spaltungen<br />

sieht auch das Umwandlungsgesetz (UmwG)<br />

Rechte des Betriebsrats vor. So ist dem Betriebsrat<br />

der Verschmelzungsvertrag beziehungsweise<br />

der Spaltungsvertrag rechtzeitig<br />

zuzuleiten. Die Folgen für die Arbeitnehmer<br />

und die Arbeitnehmervertretungen sind in den<br />

Verträgen zu beschreiben. Das für das Handelsregister<br />

zuständige Gericht prüft, ob das<br />

Unternehmen den Betriebsrat ordnungsgemäß<br />

unterrichtet hat und die Informationen im<br />

Verschmelzungsvertrag oder Spaltungsvertrag<br />

hinsichtlich der Folgen für Arbeitnehmer und<br />

Arbeitnehmervertretungen ausreichend beschrieben<br />

sind.<br />

Spin-Off mitgestalten – Ansatzpunkte<br />

jenseits des BetrVG<br />

Die Praxisfälle aus der Beratung von Betriebsräten<br />

bei solchen Vorhaben weisen drauf hin,<br />

dass die Interessenvertreter durchaus gute<br />

Chancen habe, deutlich mehr Einfluss auf einen<br />

solchen Prozess auszuüben als im BetrVG<br />

beschrieben. Grundsätzlich haben sowohl<br />

das Management wie auch die Eigentümer<br />

ein starkes Interesse an einem möglichst reibungslosen<br />

Ablauf der Ausgliederung eines<br />

Unternehmensteils. Man möchte in jedem Fall<br />

zusätzliche Verunsicherungen bei den Beschäftigten<br />

und auch bei möglichen neuen Eigentümern<br />

vermeiden und unbedingt zeitliche<br />

Verzögerung in dem ohnehin sehr komplexen<br />

Prozessablauf eines Spin-Off vermeiden. Wenn<br />

sich in diesem Zusammenhang die Einsicht<br />

durchsetzt, dass der Betriebsrat darauf einen<br />

erheblichen Einfluss hat, wächst auch die Bereitschaft,<br />

die Interessenvertreter stärker als<br />

gesetzlich vorgeschrieben in einen solchen<br />

Prozess einzubinden.<br />

Die Interessenvertreter sollten ihre Möglichkeiten<br />

vor allem nutzen, um sich ausreichende<br />

Klarheit über die unternehmerischen<br />

Konzepte und die strategischen Perspektiven<br />

für die Ausgliederung zu verschaffen. Auf<br />

dieser Grundlage kann es dann auch gelingen,<br />

im Zuge der Ausgliederung verbindliche<br />

Vereinbarungen abzuschließen, die die Interessen<br />

der betroffenen Beschäftigten sichern<br />

(zum Beispiel Ausschluss von betriebsbedingten<br />

Kündigungen. Standortgarantien, Investitionszusagen).<br />

v<br />

Dr. Christof Balkenhol,<br />

Betriebswirt, Geschäftsführer<br />

Matrix GmbH, München.<br />

C.Balkenhol@matrix-partners.de<br />

Dr. Henrik Steinhaus,<br />

MatrixPartner Beratungs GmbH,<br />

München.<br />

h.steinhaus@matrixpartners.de<br />

48


AiB 9 | 2016 Müssen wir auch sonntags arbeiten? grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Müssen wir auch<br />

sonntags arbeiten?<br />

sonn- und feiertagsarbeit Mobile Kommunikationsmittel<br />

machen es möglich: Arbeiten auch an Sonn- und Feiertagen.<br />

Aber ist das erlaubt und was kann der Betriebsrat tun?<br />

VON JÜRGEN ULBER<br />

Unter dem Motto »Samstag gehört<br />

Vati mir« führte die IG Metall<br />

den Kampf um den arbeitsfreien<br />

Samstag. Der Sonn- und Feiertag<br />

spielte dabei keine Rolle, weil damals<br />

für jeden selbstverständlich war, dass diese<br />

Tage arbeitsfrei waren. Ein Blick in die statistischen<br />

Daten zeigt, dass sich die realen<br />

Verhältnisse seither erheblich verändert haben:<br />

30,4 Prozent der Beschäftigten arbeiten<br />

gelegentlich samstags, 13,8 Prozent auch<br />

sonntags. 1<br />

Ausnahmen von der Sonn- und<br />

Feiertagsruhe<br />

<strong>Eine</strong> Ursache dafür ist, dass im Arbeitszeitgesetz<br />

entgegen dem verfassungsrechtlichen<br />

Gebot der Sonn- und Feiertagsruhe 2 eine<br />

Fülle von Ausnahmebestimmungen geschaffen<br />

wurde. 3 Diese bieten Möglichkeiten an<br />

Sonn- und Feiertagen zu arbeiten. Daneben<br />

gehen die Aufsichtsbehörden (das sind die<br />

für die Überwachung des Arbeitszeitgesetzes<br />

nach Landesrecht zuständigen Behörden)<br />

großzügig mit Anträgen um, die auf den Erlass<br />

von Ausnahmebescheiden zur Sonn- und<br />

Feiertagsruhe gerichtet sind. Neue Gefahren<br />

drohen dem arbeitsfreien Wochenende jetzt<br />

durch die Möglichkeiten des mobilen Arbeitens<br />

und der damit verbundenen ständigen<br />

Erreichbarkeit auch am Wochenende. Ein<br />

Schutz der Beschäftigten kann nur erreicht<br />

werden, wenn im Betrieb geregelt wird, wann<br />

Wochenendarbeit zulässig ist und wie sie aussehen<br />

soll.<br />

Beschäftigungsverbot an Sonn- und<br />

Feiertagen<br />

Entsprechend der verfassungsrechtlichen Garantie<br />

der Sonn- und Feiertagsruhe (Art. 140<br />

Grundgesetz) dürfen Arbeitnehmer nach § 9<br />

Abs. 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) an Sonnund<br />

Feiertagen nicht beschäftigt werden. Für<br />

Selbständige ergibt sich aus dem Gebot der Arbeitsruhe<br />

bei öffentlich bemerkbaren gewerblichen<br />

Tätigkeiten 4 (beispielsweise der Betrieb<br />

von Autowaschanlagen, Werbeveranstaltungen<br />

gewerblicher Unternehmer) ein Verbot der Gewerbeausübung<br />

an Sonn- und Feiertagen. 5<br />

Damit ist jede Arbeit, die im Interesse des<br />

Betriebs geleistet wird, untersagt. Unerheblich<br />

ist hierbei, ob die Arbeit in den Räumen oder<br />

außerhalb des Betriebs geleistet werden soll.<br />

Heimarbeit oder Arbeiten im Versandhandel 6<br />

oder im Home-Office sind daher ebenso untersagt,<br />

wie die Nutzung jeglicher Kommunikationsmittel<br />

(beispielsweise Smartphones) im<br />

betrieblichen Interesse. Es kommt auch nicht<br />

darauf an, ob die Arbeiten im Rahmen der regelmäßigen<br />

Arbeitszeit oder als Mehrarbeit,<br />

Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst geleistet<br />

werden sollen.<br />

Das Beschäftigungsverbot gilt nach § 9<br />

Abs. 1 ArbZG in der Zeit von 0 bis 24 Uhr.<br />

Der Zeitrahmen ist dabei strikt einzuhalten.<br />

Soweit Arbeiten am Samstag bis 24 Uhr nicht<br />

vollständig erledigt werden können, dürfen<br />

Abschlussarbeiten (zum Beispiel Aufräumarbeiten<br />

7 ) nicht in den Sonntag hinein erledigt<br />

werden. Sie müssen am Samstag um 24 Uhr<br />

beendet und auf den Montag verschoben wer-<br />

darum geht es<br />

1. Sonn- und Feiertagsarbeit<br />

sind eigentlich<br />

gesetzlich verboten.<br />

2. Das Arbeitszeitgesetz<br />

macht aber zahlreiche<br />

Ausnahmen hiervon.<br />

3. Betriebsräte haben<br />

Mitbestimmungsrechte<br />

bei Sonn- und Feiertagsarbeit<br />

und sollten diese<br />

nutzen.<br />

1 Franz/Lehndorff, 2012, 32 ff.<br />

2 Buschmann/Ulber, ArbZG, 8. Aufl., § 9 Rdnr. 3.<br />

3 Vgl.. §§ 10, 13 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 bis 5, 14 Abs. 1 ArbZG.<br />

4 OVG Münster 9.5.1984, NJW 1985, 4<br />

5 Buschmann/Ulber, ArbZG, 8. Aufl., § 9 Rdnr. 11.<br />

6 BVerwG 26.11.2014 – 6 CN 1.13, AiB 10/2015, 63.<br />

7 BVerwG 4.12.2014 – 8B 66.14.<br />

49


grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Müssen wir auch sonntags arbeiten?<br />

AiB 9 | 2016<br />

definitionen<br />

Arbeitsbereitschaft<br />

Arbeitsbereitschaft<br />

liegt vor, wenn sich der<br />

Arbeitnehmer an seinem<br />

Arbeitsplatz aufhalten<br />

und je nach Bedarf von<br />

sich aus jederzeit die<br />

Arbeit aufnehmen muss,<br />

falls das erforderlich ist.<br />

Bereitschaftsdienst<br />

Bereitschaftsdienst ist die<br />

Zeitspanne, während der<br />

der Arbeitnehmer, ohne<br />

dass er unmittelbar am<br />

Arbeitsplatz anwesend<br />

sein müsste, sich für Zwecke<br />

des Betriebes oder der<br />

Dienststelle an einer vom<br />

Arbeitgeber bestimmten<br />

Stelle innerhalb oder<br />

außerhalb des Betriebes<br />

aufzuhalten hat, damit<br />

er seine volle Arbeitstätigkeit<br />

sofort oder bald<br />

aufnehmen kann.<br />

Rufbereitschaft<br />

Die Rufbereitschaft ist<br />

eine besondere Form des<br />

Bereitschaftsdienstes.<br />

Dabei muss der Arbeitnehmer,<br />

ohne persönlich<br />

am Arbeitsplatz anwesend<br />

sein zu müssen,<br />

ständig für den Arbeitgeber<br />

erreichbar sein,<br />

um auf Abruf die Arbeit<br />

aufnehmen zu können.<br />

den. Gleiches gilt für Vorarbeiten, die die Aufnahme<br />

der Arbeiten am Montag betreffen. 8<br />

Verstöße gegen das Beschäftigungsverbot<br />

Das Beschäftigungsverbot muss sowohl vom<br />

Arbeitgeber als auch vom Betriebsrat und<br />

vom Beschäftigten selbst eingehalten werden.<br />

<strong>Eine</strong> hiergegen verstoßende Betriebsvereinbarung<br />

oder Weisung des Arbeitgebers ist nach<br />

§ 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam.<br />

Ordnet der Arbeitgeber an, dass der<br />

Arbeitnehmer an Sonn- oder Feiertagen über<br />

mobile Arbeits- und Kommunikationsmittel<br />

erreichbar sein soll, ist diese Weisung unzulässig.<br />

Dem Arbeitgeber ist es auch verboten,<br />

Sonn- und Feiertagsarbeit des Arbeitnehmers<br />

stillschweigend zu dulden oder den Arbeitnehmer<br />

auf freiwilliger Basis sonn- oder feiertags<br />

arbeiten zu lassen. 9 Er hat alle Vorkehrungen<br />

zu treffen, Sonn- und Feiertagsarbeit<br />

zu unterbinden. Bei Verstößen hat der Betriebsrat<br />

einen Unterlassungsanspruch. 10<br />

Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und<br />

Feiertagsarbeit<br />

Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit<br />

sind nur zulässig 11 , wenn dies im Gesetz<br />

gestattet ist. In den Fällen, in denen eine<br />

Bewilligung der Aufsichtsbehörde erforderlich<br />

ist, 12 muss die Genehmigung vorliegen, bevor<br />

mit der Sonntagsarbeit begonnen wird. Auch<br />

bei zulässiger Sonntagsarbeit ist das Gebot zur<br />

Minimierung von Sonntagsarbeit zu beachten.<br />

Danach ist erforderlich, dass die Arbeiten<br />

nicht an Werktagen vorgenommen werden<br />

können. Dies gilt nicht nur nach § 10 ArbZG,<br />

der in bestimmten Bereichen (Gaststätten,<br />

Verkehrsbetriebe, Rundfunk) Ausnahmen<br />

vorsieht, sondern auch für alle sonstigen Ausnahmetatbestände,<br />

wenn die Arbeitsleistungen<br />

(zum Beispiel durch Vorarbeiten) auch an einem<br />

Werktag erbracht werden können. 13 Auch<br />

mobile Kommunikationsmittel dürfen nur genutzt<br />

werden, wenn Sonntagsarbeit erlaubt ist<br />

und sie unaufschiebbar ist.<br />

Höchstarbeitszeiten beachten<br />

Nach § 3 ArbZG darf die acht Stunden betragende<br />

tägliche Arbeitszeit auf höchstens 10<br />

Stunden verlängert werden, wenn innerhalb<br />

von sechs Kalendermonaten im Durchschnitt<br />

»30,4 Prozent<br />

der Beschäftigten<br />

arbeiten samstags;<br />

14,8 Prozent<br />

auch sonntags.«<br />

acht Stunden werktäglich nicht überschritten<br />

werden. Sonn- und Feiertagsarbeit ist hierbei<br />

nach § 11 Abs. 2 ArbZG zu berücksichtigen.<br />

Zur Arbeitszeit zählen auch Stunden der Arbeitsbereitschaft<br />

(Arbeitnehmer muss sich an<br />

seinem Arbeitsplatz aufhalten und je nach<br />

Bedarf von sich aus jederzeit die Arbeit aufnehmen,<br />

falls das erforderlich ist) und des Bereitschaftsdienstes<br />

(Beschäftigter muss sich in<br />

unmittelbarer Nähe des Betriebs aufhalten, um<br />

bei Bedarf möglichst rasch die Arbeit aufnehmen<br />

zu können) sowie Zeiten der abgerufenen<br />

Arbeit bei Rufbereitschaft. Muss der Arbeitnehmer<br />

mobil erreichbar sein, ohne in irgendeiner<br />

Form zum Einsatz zu kommen, liegt Rufbereitschaft<br />

vor, die keine Arbeitszeit ist und<br />

keine Auswirkungen auf die Höchstarbeitszeit<br />

oder die elfstündige Ruhezeit hat. 14<br />

Rufbereitschaft liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer<br />

seinen Aufenthaltsort frei wählen<br />

kann. Dies ist nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer<br />

vom häuslichen Arbeitsplatz aus<br />

bei Bedarf Dienstleistungen zu erbringen hat.<br />

Daneben muss der Arbeitnehmer während der<br />

Rufbereitschaft über die arbeitsfreie Zeit frei<br />

verfügen können. Dies ist nicht gegeben, wenn<br />

die Arbeiten auch sonntags regelmäßig anfallen<br />

und eine ständige Erreichbarkeit erfordern<br />

(bei Wahrnehmung von call-center- Funktionen<br />

15 ). Erfüllt die Arbeit nicht die Voraussetzungen<br />

der Rufbereitschaft, ist sie vollständig<br />

als Arbeitszeit nach dem ArbZG zu behandeln.<br />

Ruhepausen und …<br />

FRANZ/LEHNDORFF<br />

Soweit an Sonn- und Feiertagen gearbeitet<br />

wird, müssen dem Arbeitnehmer, die in § 4<br />

ArbZG vorgeschriebenen Ruhepausen ge-<br />

50<br />

8 Zu Ausnahmen vgl. § 10 Nr. 14 ArbZG.<br />

9 BAG 24.2.2005 – 2 AZR 211/04.<br />

10 LAG Hamm 8.9.2015 – 7 TaBVGa 5/15.<br />

11 Vgl. hierzu die Kommentierung bei Buschmann/Ulber, ArbZG,<br />

§§ 9 ff.<br />

12 Z.B. §§ 13 Abs. 3 bis 5, 15 Abs. 1 und 2 ArbZG.<br />

13 Vgl. BVerwG 26.11.2014 – 6 CN 1.13 – AiB 10/15, 63.<br />

14 BAG 11.7.2006 – 9 AZR 519/05, AuA 4/07, S. 246.<br />

15 Zur eingeschränkten Zulässigkeit von Sonntagsarbeit in callcentern<br />

vgl. BVerwG 26.11.2014 – 6 CN 1/13, BVerwGE 150,<br />

327 – 346.


AiB 9 | 2016 Müssen wir auch sonntags arbeiten? grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Für eine ganze Reihe<br />

von Branchen gibt es<br />

Ausnahmevorschriften<br />

von dem Verbot der<br />

Sonntagsarbeit. Geregelt<br />

sind diese in § 10<br />

ArbZG. Betroffen sind<br />

zum Beispiel Rettungsdienste,<br />

Arbeitnehmer in<br />

Gaststätten, auf Messen,<br />

in Verkehrsbetrieben und<br />

im Bewachungsgewerbe.<br />

währt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob<br />

die Arbeit innerhalb oder außerhalb des Betriebs<br />

erbracht wird. Wird Sonntagsarbeit unter<br />

Nutzung von Smartphones außerhalb des<br />

Betriebs erbracht, sind die Pausen ebenfalls<br />

einzuhalten, wobei vor Beginn der Arbeit feststehen<br />

muss, wann die Pause genommen wird.<br />

... Ruhezeiten<br />

Arbeitet der Arbeitnehmer an einem Wochentag,<br />

ist ihm nach § 5 Abs. 1 ArbZG unabhängig<br />

von der Dauer der geleisteten Arbeit eine<br />

ununterbrochene Ruhezeit von 11 Stunden zu<br />

gewähren. Leistet der Arbeitnehmer an einem<br />

Sonn- oder Feiertag Arbeit, verlängert sich die<br />

Ruhezeit nach § 11 Abs. 4 ArbZG auf 35 zusammenhängende<br />

Stunden, in denen keine<br />

Arbeit (auch nicht im Rahmen von Rufbereitschaft)<br />

geleistet werden darf. Auf den Umfang<br />

der geleisteten Arbeit kommt es hierbei nicht<br />

an. Der Ersatzruhetag ist dem Arbeitnehmer<br />

nach § 11 Abs. 3 und 4 ArbZG in der Zeit<br />

von Montag bis Samstag zu gewähren Nach<br />

Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG)<br />

kann der Ersatzruhetag (mit Ausnahme einer<br />

6-Tage-Woche) auch auf einen ohnehin arbeitsfreien<br />

Werktag der Woche gelegt werden.<br />

Bei Sonntagsarbeit ist der Ausgleich innerhalb<br />

von zwei Wochen, bei Feiertagsarbeit innerhalb<br />

von acht Wochen zu gewähren (§ 11<br />

Abs. 3 ArbZG).<br />

Vertragliche Grundlagen der Sonnund<br />

Feiertagsarbeit<br />

§ 9 ArbZG verbietet die Sonn- und Feiertagsarbeit.<br />

Das schließt sowohl entgegenstehende<br />

arbeitsvertragliche und kollektive Regelungen<br />

als auch Weisungen des Arbeitgebers im Einzelfall<br />

aus. Bei Verstößen darf der Arbeitnehmer<br />

die Arbeitsleistung verweigern.<br />

Für Fälle, in denen die Sonn- oder Feiertagsarbeit<br />

ausnahmsweise zulässig ist, kann<br />

sowohl arbeits- als auch tarifvertraglich eine<br />

Pflicht zur Sonn- und Feiertagsarbeit vereinbart<br />

werden. Umstritten ist, ob der Arbeitgeber<br />

auch ohne vertragliche Grundlage Sonn- und<br />

Feiertagsarbeit anordnen darf. Dies ist nach<br />

Auffassung des BAG entgegen den Schutzzwecken<br />

von Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV<br />

der Fall. 16 Auch hier hat der Arbeitgeber die<br />

Interessen des Arbeitnehmers angemessen<br />

zu berücksichtigen und die Arbeiten auf das<br />

erforderliche Mindestmaß zu beschränken.<br />

Insbesondere muss die Teilnahme an Gottesdiensten<br />

ermöglicht werden, andernfalls kann<br />

die Arbeitsleistung verweigert werden. 17<br />

Mitbestimmung des Betriebsrats bei<br />

Sonn- und Feiertagsarbeit<br />

Soll sonn- oder feiertags gearbeitet werden,<br />

betrifft dies immer Beginn, Ende und Lage<br />

der Arbeitszeit, so dass der Betriebsrat nach<br />

gut zu wissen<br />

Nach Art.139 der<br />

Wei ma rer Reichs verfas<br />

sung (WRV) sind die<br />

Sonn ta ge »als Ta ge der<br />

Ar beits ru he und der seeli<br />

schen Er he bung<br />

ge setz lich geschützt«.<br />

Da die ser Ar ti kel der<br />

WRV von Art. 140<br />

Grund ge setz (GG) zum<br />

Be stand teil des GG<br />

ge macht wird, ist der<br />

Schutz der Sonn tags ru he<br />

ver fas sungs recht lich<br />

fest ge schrie ben.<br />

16 BAG 15.9.2009 – 9 AZR 757/08, DB 2009, 2551; a.A. Buschmann/<br />

Ulber, ArbZG, § 9 Rdnr.. 20.<br />

17 LAG Hamm 8.11.2007, AuA 2008, 304.<br />

51


grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Müssen wir auch sonntags arbeiten?<br />

AiB 9 | 2016<br />

Auch Straßenbauarbeiten<br />

am Sonntag bedürfen in<br />

den meisten Fällen einer<br />

Genehmigung.<br />

§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitbestimmen kann.<br />

Bestimmt der Betriebsrat nicht mit, darf der<br />

Arbeitgeber keine Sonn- oder Feiertagsarbeit<br />

anordnen oder dulden. Das Mitbestimmungsrecht<br />

des Betriebsrats besteht auch, wenn Beschäftigte<br />

an Sonn- oder Feiertagen mobil erreichbar<br />

sein müssen, da hier Rufbereitschaft<br />

vorliegt, 18 deren Einführung ebenfalls mitbestimmungspflichtig<br />

ist.<br />

Mitbestimmen bei Beginn, Ende und Lage<br />

der Arbeitszeit<br />

Solange das Mitbestimmungsverfahren nicht<br />

abgeschlossen ist, steht dem Betriebsrat ein Anspruch<br />

gegen den Arbeitgeber auf Unterlassung<br />

zu. Das kann er auch im Schnellverfahren – im<br />

Wege der einstweiligen Verfügung – geltend<br />

machen. 19 Dies gilt unabhängig davon, ob die<br />

Sonn- oder Feiertagsarbeit nach §§ 9 ff. ArbZG<br />

zulässig oder unzulässig ist. Der Anspruch<br />

besteht auch, wenn der Arbeitnehmer eigenmächtig<br />

sonntags arbeitet. Der Arbeitgeber ist<br />

in diesem Fall verpflichtet, alles zu tun, um das<br />

rechtswidrige Verhalten zu unterbinden. Verbote<br />

zum Betreten des Betriebsgeländes sind hier<br />

ebenso geeignet wie die Sperrung der elektronischen<br />

Kommunikationsmöglichkeit oder die<br />

Anordnung des Verbleibs der Kommunikationsmittel<br />

im Betrieb an Sonn- und Feiertagen.<br />

Bei der Ausübung des Mitbestimmungsrechts<br />

muss der Betriebsrat sorgfältig prüfen,<br />

ob die Voraussetzungen eines gesetzlichen<br />

Ausnahmetatbestands erfüllt sind. In den Fällen,<br />

in denen eine behördliche Ausnahmegenehmigung<br />

erforderlich ist, darf der Betriebsrat<br />

nur zustimmen, wenn ihm der Bescheid<br />

der Aufsichtsbehörde vorgelegt werden kann.<br />

Will der Betriebsrat dem Antrag des Arbeitgebers<br />

zustimmen, ist es wichtig, dass die Sonnund<br />

Feiertagsarbeit auf das geringst mögliche<br />

Maß reduziert bleibt. Der Arbeitgeber ist verpflichtet,<br />

alle technischen und arbeitsorganisatorischen<br />

Gestaltungsalternativen zu nutzen,<br />

um Sonntagsarbeit auszuschließen oder<br />

zu minimieren. 20<br />

Bei der Lage der Arbeitszeit sind insbesondere<br />

die Pausen- und Ruhezeiten nach §§ 4f.<br />

ArbZG zu beachten. Pausenzeiten müssen<br />

feststehen, bevor die Arbeit aufgenommen<br />

wird. Daneben muss dem Arbeitnehmer eine<br />

Mindestruhezeit von elf Stunden gewährt worden<br />

sein, bevor er die Arbeit an Sonn- und<br />

Feiertagen aufnimmt. Auch ist ihm nach Beendigung<br />

der Arbeit (bei Rufbereitschaft nach<br />

dem letzten Einsatz) ebenfalls eine Ruhezeit<br />

von mindestens elf Stunden zu gewähren, bevor<br />

die Arbeit am darauffolgenden Wochentag<br />

wieder aufgenommen wird. Soweit sich hierdurch<br />

der Beginn der regelmäßigen Arbeitszeit<br />

nach hinten verschiebt, sollte der Betriebsrat<br />

die Zustimmung zur Sonntagsarbeit nur erteilen,<br />

wenn der Arbeitgeber das entstehende<br />

Zeitsoll vergütet, ohne dass der Arbeitnehmer<br />

zur Vor- oder Nachleistung verpflichtet ist. Andernfalls<br />

verliert der Arbeitnehmer für die ausgefallene<br />

Arbeitszeit den Vergütungsanspruch.<br />

Mitbestimmen bei der Lage<br />

des Ersatzruhetags<br />

Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 2<br />

BetrVG auch über die zeitliche Lage des Ersatzruhetags<br />

von 35 zusammenhängenden<br />

Stunden mitzubestimmen. Dabei sollte im<br />

Rahmen der Schichtplangestaltung darauf geachtet<br />

werden, dass der Ersatzruhetag nicht auf<br />

einen ohnehin arbeitsfreien Tag (insbesondere<br />

den Samstag) fällt, was vom BAG für zulässig<br />

erachtet wird. 21 Wird der Ersatzruhetag von 35<br />

Stunden auf den Samstag gelegt, ist es wichtig,<br />

dass zusätzlich zu diesen 35 Stunden im Zusammenhang<br />

mit den anschließenden Sonntag<br />

eine weitere Ruhezeit zu gewähren ist.<br />

In jedem Fall Arbeit erfassen<br />

Nach § 16 Abs. 2 ArbZG muss der Arbeitgeber<br />

die an Sonn- und Feiertagen geleistete<br />

Arbeitszeit aufzeichnen und die Zeitnachweise<br />

mindestens zwei Jahre aufbewahren. 22<br />

Die Nachweise müssen genaue Angaben über<br />

Zeitpunkt und Dauer der Tätigkeit enthal-<br />

18 BAG 11.7.2006 – 9 AZR 519/05, AuA 2007, S. 246.<br />

19 LAG Hamm 8.9.2015 – 7 TaBVGa 5/15.<br />

20 BVerwG 19.9.2000, AuR 2000, 468 m. Anm. Ulber.<br />

21 BAG 12.12.2001, AuR 2002, 307.<br />

22 BAG 6.5.2003 – 1 ABR 13/02, AiB 2003, 749.<br />

52


AiB 9 | 2016 Müssen wir auch sonntags arbeiten? grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

ten. Der Betriebsrat hat hier einen uneingeschränkten<br />

Informationsanspruch auf die an<br />

Sonn- und Feiertagen geleisteten Arbeitszeiten.<br />

Hierbei sind ihm alle von § 16 Abs. 2<br />

ArbZG geforderten Unterlagen zur Verfügung<br />

zu stellen. Ergibt sich bei der Prüfung<br />

ein Verstoß gegen eine Betriebsvereinbarung<br />

zur Arbeitszeit, steht dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch<br />

zu.<br />

§ 16 ArbZG gilt auch, wenn Arbeitnehmer<br />

außerhalb des Betriebs arbeiten oder<br />

ihre Arbeitsleistung über mobile Kommunikationsmittel<br />

erbringen. Soweit hier die Arbeitszeit<br />

des Arbeitnehmers nur im Wege der<br />

Selbstaufzeichnung dokumentiert werden<br />

kann 23 , ist der Arbeitgeber zur Nacherfassung<br />

verpflichtet. Ebenso wie bei der Vertrauensarbeitszeit<br />

ist mit der Selbstaufzeichnung die<br />

»Das Motto muss<br />

hier lauten:<br />

Wird der Laptop<br />

angestellt,<br />

tickt die Zeit uhr<br />

im System!«<br />

JÜRGEN ULBER<br />

Gefahr einer gesteigerten Selbstausbeutung<br />

verbunden. Von daher sollte der Betriebsrat<br />

darauf hinwirken, dass auch an Sonn- und<br />

Feiertagen geleistete Arbeitszeiten elektronisch<br />

erfasst werden. Die heutigen Kommunikationsmittel<br />

lassen eine derartige Erfassung<br />

weitgehend zu. Dies gilt nicht nur für die Benutzungspflicht<br />

digitaler Kontrollgeräte im<br />

Straßenverkehr (wie Fahrtenschreiber). 24 Die<br />

Software zur Zeiterfassung kann so gestaltet<br />

werden, dass alle unter Nutzung mobiler<br />

Kommunikationsmittel geleisteten Arbeitszeiten<br />

weitgehend erfasst werden. Das Motto<br />

muss hier lauten: Wird der Laptop angestellt,<br />

tickt die Zeituhr im System!<br />

Besteht im Betrieb ein System der Zeiterfassung,<br />

kann der Betriebsrat im Rahmen<br />

der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6<br />

BetrVG fordern, dass auch an Sonn- und<br />

Feiertagen sowie außerhalb des Betriebs geleistete<br />

Arbeitszeiten erfasst werden. Dies gilt<br />

auch bei der Nutzung mobiler Kommunikationsmittel,<br />

insbesondere bei Telearbeit im<br />

<strong>online</strong>-Betrieb. 25 Entgegen den Schutzzwecken<br />

von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG besteht<br />

nach Ansicht des BAG 26 bei technischen<br />

Zeiterfassungssystemen kein Initiativrecht<br />

des Betriebsrats bei deren Einführung. Diese<br />

Auffassung wird den Schutzzwecken der<br />

Zeiterfassung (insbesondere bei Arbeitszeitkonten)<br />

nicht mehr gerecht. Nach richtiger<br />

Auffassung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg<br />

steht dem Betriebsrat daher<br />

heute auch ein Initiativrecht bei der Einführung<br />

und Abschaffung von Zeiterfassungssystemen<br />

zu. 27 Der Betriebsrat kann im Rahmen<br />

des Mitbestimmungsrechts bei Sonntagsarbeit<br />

nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG seine<br />

Zustimmung davon abhängig machen, ob die<br />

Arbeitszeiten an Sonn- und Feiertagen elektronisch<br />

erfasst werden.<br />

Zusammenarbeit mit der Aufsichtsbehörde<br />

Für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen<br />

zur Sonn- und Feiertagsarbeit sind<br />

nach § 17 ArbZG die Aufsichtsbehörden zuständig.<br />

Hat der Betriebsrat Zweifel, ob Sonnoder<br />

Feiertagsarbeit nach § 10 ArbZG zulässig<br />

ist, kann er sich nach § 13 Abs. 3 Nr. 1 ArbZG<br />

neben dem betroffenen Arbeitnehmer an die<br />

zuständige Aufsichtsbehörde wenden und behördlich<br />

feststellen lassen, ob die Voraussetzungen<br />

der Ausnahmevorschrift tatsächlich<br />

erfüllt sind. Stellt die Behörde fest, dass Sonntagsarbeit<br />

zulässig ist, kann der Betriebsrat<br />

oder ein von der Sonntagsarbeit betroffener<br />

Arbeitnehmer dagegen mit dem Widerspruch<br />

und einer Anfechtungsklage vorgehen. 28 Dasselbe<br />

gilt, wenn die Aufsichtsbehörde nach<br />

§ 13 Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4 und 5 ArbZG eine<br />

Ausnahmebewilligung erteilt hat. Auch die<br />

im Betrieb vertretenen Gewerkschaften sind<br />

klagebefugt. 29 Widerspruch und Anfechtungsklage<br />

haben nach § 80 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung<br />

aufschiebende Wirkung, das<br />

bedeutet, dass der Arbeitgeber bis zum rechtskräftigen<br />

Abschluss des Verfahrens auf die<br />

Sonntagsarbeit verzichten muss. v<br />

Jürgen Ulber ist Jurist bei der IG Metall-<br />

Vorstands verwaltung in Frankfurt am Main und<br />

Experte zu den Themen AÜG, AEntG und ArbZG.<br />

Neuauflage!<br />

Jede Stunde zählt<br />

Hartmut Meine, Hilde Wagner<br />

Handbuch Arbeitszeit<br />

Manteltarifverträge im Betrieb<br />

2., aktualisierte u. überarb. Auflage<br />

2016. 408 Seiten, gebunden<br />

€ 39,90<br />

ISBN: 978-3-7663-6499-9<br />

www.bund-verlag.de/6499<br />

23 Zur eingeschränkten Wirksamkeit von entsprechenden Regelungen<br />

vgl. Buschmann/Ulber, ArbZG, § 16 Rdnr. 14 ff.<br />

24 Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a) der VO (EWG) Nr. 3821/85, VO (EWG)<br />

Nr. 2134/98 und VO (EG) 1360/2002 Anhang 1b.<br />

25 Fitting, BetrVG, § 87 Rdnr. 246.<br />

26 BAG 28.11.1989, AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Einführung; a.A.<br />

DKKW- Klebe, § 87 Rdnr. 166; Fitting, § 87 Rdnr. 251.<br />

27 LAG BB 22.1.2015 – 10 TaBV 1812/14, AiB 10/2015, 59.<br />

28 BVerwG 19.9.2000, AuR 2000, 468 m. Anm. Ulber.; Buschmann/<br />

Ulber, ArbZG, § 13 Rn. 36<br />

29 VGH Hessen 22.3.2013 – B 836/13; BayVGH v. 18.12.2015 – 22<br />

CS. 15.2716.<br />

kontakt@bund-verlag.de 53<br />

Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20


echtsprechung<br />

AiB 9 | 2016<br />

expertenrat<br />

Antworten auf<br />

Ihre Fragen<br />

Kann der Antrag auf<br />

Elternzeit per Telefax oder<br />

per E-Mail gestellt werden?<br />

Ist Umkleidezeit<br />

vergütungs pflichtige<br />

Arbeits zeit?<br />

Silvia Mittländer ist Fachanwältin<br />

für Arbeitsrecht<br />

in Frankfurt am Main.<br />

www.steiner-mittlaender.de<br />

Sie beantwortet aus ge -<br />

wählte Fragen an dieser<br />

Stelle. Wenn Sie auch Fragen<br />

an unsere Expertin haben,<br />

schreiben Sie uns unter<br />

redaktion@aib-web.de<br />

antwort Nein, so hat es das Bundesarbeitsgericht<br />

(BAG) entschieden. 1 <strong>Eine</strong> Rechtsanwaltsfachangestellte<br />

hat kurz nach der Entbindung<br />

ihres Kindes im Juni 2013 ihrem Arbeitgeber<br />

per Telefax mitgeteilt, dass sie gleich nach dem<br />

Mutterschutz für zwei Jahre Elternzeit in Anspruch<br />

nehmen wird. Unmittelbar nach Ablauf<br />

der Mutterschutzfrist wurde ihr Arbeitsverhältnis<br />

gekündigt. Die Mutter wehrte sich und<br />

berief sich auf den Sonderkündigungsschutz<br />

nach § 18 Abs. 1 S. 1 Bundeselterngeld- und<br />

Elternzeitgesetz (BEEG). Das BAG hat die<br />

Klage jedoch abgwiesen, weil kein wirksamer<br />

Antrag auf Elternzeit vorliegt. Das Schreiben<br />

vom Juni 2013 wurde nur als Telefax versandt.<br />

Damit ist die zwingende Schriftform<br />

des § 16 Abs. 1 BEEG jedoch nicht eingehalten.<br />

Nach dieser Regelung muss die Elternzeit<br />

spätestens sieben Wochen vor dem geplanten<br />

Beginn schriftlich beantragt werden. Nach<br />

§ 126 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)<br />

bedeutet dies, dass die Mutter (oder der Vater)<br />

den Antrag eigenhändig mit Namen oder<br />

mittels notariell beglaubigten Handzeichens<br />

unterschreiben muss. Dies war nicht geschehen,<br />

denn das Telefax stellt nur eine Kopie der<br />

Unterschrift dar und enthält gerade nicht den<br />

Originalnamenszug. Da die Mutter somit die<br />

Schriftform nicht wahrte, befand sie sich zum<br />

Zeitpunkt der Kündigung nicht in Elternzeit,<br />

so dass sie den besonderen Kündigungsschutz<br />

nicht beanspruchen konnte. Das BAG hat ausdrücklich<br />

darauf hingewiesen, dass auch eine<br />

E-Mail nicht die Schriftform wahrt. Dies sollten<br />

alle Beschäftigten beachten, die Elternzeit<br />

beanspruchen wollen.<br />

antwort Ja, jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber<br />

das Tragen von Dienstkleidung anordnet.<br />

So hat es das Landesarbeitsgericht (LAG)<br />

Hamm entschieden. 2 Ein Arbeitgeber verlangt<br />

von seinen Beschäftigten das Tragen von<br />

Dienstkleidung. Die Kleidung muss zudem im<br />

Betrieb bleiben, so dass Beschäftigte sich im<br />

Betrieb in einem hierfür vorgesehenen Raum<br />

umziehen müssen. Ferner verlangt der Arbeitgeber,<br />

dass das An- und Abmelden zur Arbeit<br />

erst nach An- und vor Ablegen der Dienstkleidung<br />

erfolgt. Dies führt dazu, dass die Umkleidezeit<br />

nicht vergütet wird. Ein Beschäftigter<br />

hat sich dagegen gewehrt und den Arbeitgeber<br />

auf Zahlung dieser Zeiten verklagt. Der Klage<br />

hat das LAG stattgegeben. Es begründet dies<br />

damit, dass die Vergütungspflicht des § 611<br />

Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht<br />

nur die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung<br />

umfasst, sondern darüber hinaus alle Tätigkeiten<br />

und Maßnahmen, die der Arbeitgeber verlangt<br />

und die unmittelbar mit der geschuldeten<br />

Leistung zusammenhängen. Vergütungspflichtig<br />

ist also jede Tätigkeit, die ausschließlich das<br />

Bedürfnis des Arbeitgebers erfüllt. Damit ist<br />

auch das Umkleiden von der Vergütungspflicht<br />

erfasst, denn der Arbeitgeber verlangt von den<br />

Beschäftigten das Tragen von Dienstkleidung.<br />

Die Erbringung der vertraglich geschuldeten<br />

Tätigkeit ist ohne Dienstkleidung untersagt.<br />

Damit existiert auch ein unmittelbarer Zusammenhang<br />

zu der geschuldeten Tätigkeit. Der<br />

Arbeitgeber gibt auch den Ort des Umkleidens<br />

vor, so dass dies auf sein Verlangen geschieht<br />

und seinen Bedürfnissen dient. Daher muss er<br />

für Umkleidezeit zahlen.<br />

1 BAG 10.5.2016 – 9 AZR 145/15. 2 LAG Hamm 23.11.2015 – 16 Sa 494/15.<br />

54


AiB 9 | 2016<br />

rechtsprechung<br />

arbeitskleidung<br />

Arbeitgeber muss Kosten für Reinigung<br />

der Arbeitskleidung übernehmen<br />

BAG 14.6.2016 – 9 AZR 181/15<br />

In Lebensmittel verarbeitenden Betrieben muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass<br />

die Beschäftigten saubere und geeignete Hygienekleidung tragen. Zu seinen Pflichten<br />

gehört auch das Reinigen dieser Kleidung auf eigene Kosten.<br />

Schlachthof-Betreiber zieht<br />

Reinigungskosten ab<br />

Der Arbeitgeber betreibt einen Schachthof.<br />

Er stellt den Arbeitnehmern, die das Fleisch<br />

verarbeiten, weiße Hygienekleidung zur Verfügung<br />

und lässt diese auch reinigen. Die Reinigungskosten<br />

wollte der Arbeitgeber auf die Belegschaft<br />

abwälzen und zog den Beschäftigten<br />

monatlich rund zehn Euro vom Nettolohn ab.<br />

Es bestand keine arbeitsvertragliche oder betriebliche<br />

Vereinbarung, nach der die Arbeitnehmer<br />

die Reinigungskosten zu tragen haben.<br />

Die monatlichen Abzüge wollte ein Arbeitnehmer<br />

nicht hinnehmen und klagte auf Nachzahlung<br />

des Betrags für die vergangenen Monate.<br />

Der Arbeitnehmer gewann und erhielt rückwirkend<br />

knapp 400 Euro an abgezogenen Reinigungskosten.<br />

Arbeitgeber ist selbst zur Reinigung<br />

verpflichtet<br />

Die Richter entschieden, dass der Arbeit geber<br />

die Kosten für das Reinigen der Hygienekleidung<br />

zu bezahlen hat. Die Kosten sind<br />

von demjenigen zu tragen, in dessen Interesse<br />

diese vorgenommen wurden. Der Arbeit geber<br />

hatte die Reinigungskosten nicht im Interesse<br />

der Arbeitnehmer, sondern im Eigeninteresse<br />

aufgewendet, um eine eigene Rechtspflicht zu<br />

erfüllen.<br />

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) verwies<br />

auf eine EU-Verordnung (Verordnung (EG)<br />

Nr. 852/2004 vom 29. April 2004 über Lebensmittelhygiene).<br />

Nach der Verordnung müssen<br />

Personen, die in einem Bereich arbeiten, in<br />

dem mit Lebensmitteln umgegangen wird, geeignete<br />

und saubere Arbeitskleidung tragen.<br />

Der Arbeitgeber hatte daher für geeignete und<br />

saubere Kleidung zu sorgen.<br />

Die Vorschrift gilt zwar nur für den Sonderfall<br />

der Hygienekleidung in der Lebensmittelproduktion.<br />

Die EU-Verordnung ist aber nicht die<br />

einzige einschlägige Rechtsgrundlage. Schon<br />

§ 618 BGB stellt klar, dass Schutzkleidung, die<br />

aus hygienischen Gründen getragen werden<br />

muss vom Arbeitgeber gestellt und gereinigt<br />

werden muss. 1<br />

} Praxistipp:<br />

Kann der Arbeitgeber Reinigungskosten<br />

auf den Arbeitnehmer umlegen?<br />

Im hier entschiedenen Fall enthielten die<br />

Arbeitsverträge keine Klausel zur Frage<br />

der Reinigungskosten. Dazu bestand auch<br />

keine Betriebsvereinbarung. Daher mussten<br />

die Richter nicht entscheiden, ob der<br />

Arbeitgeber seine Kosten wirksam auf den<br />

Arbeitnehmer abwälzen konnte.<br />

Verwendet der Arbeitgeber standardmäßig<br />

eine Klausel im Arbeitsvertrag, mit der die<br />

Reinigungskosten dem Arbeitnehmer auferlegt<br />

werden, unterliegt diese den Vorschriften<br />

für Allgemeine Geschäftsbedingungen<br />

(AGB). <strong>Eine</strong> Vorschrift, mit der die Kostentragungspflicht<br />

auf die Arbeitnehmer umgelegt<br />

wird, wäre bei Hygienekleidung nach<br />

§ 307 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam.<br />

Denn die Schutzkleidung müssen<br />

die Arbeitnehmer tragen, weil der Arbeitgelesetipp<br />

Arbeitskleidung: »Kein<br />

Zankapfel mehr« von<br />

Achim Thannheiser in<br />

} } AiB 4/2014, S. 58 – 61.<br />

aib-web.de<br />

} } Aktuelle Rechtsprechung<br />

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AiB-Recht sprechungs-<br />

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1 So schon: Landesarbeitsgericht (LAG) Nieder sachsen 11.6.2002 –<br />

3 Sa 350/02; LAG Düsseldorf 26.4.2001 – 13 Sa 1804/00.<br />

55


echtsprechung<br />

AiB 9 | 2016<br />

ber dazu öffentlich-rechtlich verpflichtet ist,<br />

um seinen Betrieb führen zu können. <strong>Eine</strong><br />

Abwälzung wäre daher eine unbillige Belastung<br />

der Arbeitnehmer.<br />

Kein Lohnabzug ohne Rechtsgrundlage<br />

Das BAG hätte möglicherweise anders entschieden,<br />

wenn die Arbeitskleidung nicht<br />

der Erfüllung hygienischer Vorschriften<br />

gedient hätte. Dennoch könnten Arbeitnehmer<br />

sich dagegen wehren, wenn der<br />

Arbeitgeber Reinigungskosten ohne rechtliche<br />

Grundlage vom Lohn abzieht. Auch<br />

}<br />

wenn der Arbeitgeber eine Reinigungspauschale<br />

aufgrund einer arbeitsvertraglichen<br />

Regelung abzieht, kann diese unzulässig<br />

sein. Hier sollte man sich rechtlichen Rat<br />

besorgen. Ist die Schutzkleidung aus Gründen<br />

des Arbeitsschutzes notwendig, kann<br />

ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1<br />

Nr. 7 BetrVG bestehen und der Betriebsrat<br />

könnte sich für die Arbeitnehmer stark machen,<br />

indem er über eine Betriebsvereinbarung<br />

verhandelt.<br />

}<br />

Bettina Krämer LL.M., DGB Rechtsschutz GmbH.<br />

betriebsrat<br />

Auflösung bleibt Ausnahme<br />

LAG Berlin-Brandenburg 4.2.2016 – 10 TaBV 2078/15 (nicht rechtskräftig)<br />

Verletzt der Betriebsrat seine Pflichten in besonders schwerwiegender Weise,<br />

kann das Arbeitsgericht das Gremium auflösen. Ein Fehlverhalten von<br />

einzelnen Mitgliedern reicht jedoch nicht aus, ebenso wenig das Verhalten<br />

des Vertreters vor Gericht.<br />

In dem Beschlussverfahren konnte nicht festgestellt<br />

werden, dass die erhobenen Vorwürfe<br />

den Betriebsrat als Organ betreffen. Selbst<br />

wenn verschiedene Beschlüsse erst zu einem<br />

späteren Zeitpunkt gefasst und anschließend<br />

rückdatiert wurden, könne daraus nicht geschlossen<br />

werden, dass damit das gesamte<br />

Gremium befasst war. Die Mitteilungen an<br />

den Arbeitgeber sind per E-Mail jeweils durch<br />

einzelne Betriebsrats-Mitglieder erfolgt. Auch<br />

konnte das Gericht nicht erkennen, dass der<br />

Betriebsrat deren gesetzwidriges Verhalten gelesetipp<br />

Wenn der Arbeitgeber<br />

Betriebsratsmitglieder<br />

angreift: »Sich gegen<br />

Angriffe wehren« von<br />

Manfred Wulff in<br />

}}<br />

AiB 3/2015, S. 18 – 21.<br />

Der in 2013 erstmals gewählte Betriebsrat hat<br />

im Rahmen einer Sitzung die Teilnahme seiner<br />

Mitglieder an verschiedenen Schulungen<br />

beschlossen. Überwiegend handelte es sich<br />

dabei um Veranstaltungen zur Vermittlung<br />

von Grundkenntnissen. Der Arbeitgeber wurde<br />

über den Beschluss informiert. Auch teilte<br />

der Vorsitzende des Betriebsrats die genauen<br />

Daten sowie die vorgesehenen Betriebsratsmitglieder<br />

namentlich mit.<br />

Arbeitgeber behauptet Täuschung<br />

bei Beschlüssen<br />

In einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht<br />

wollte der Betriebsrat feststellen lassen, dass<br />

die Teilnahme an den Schulungen erforderlich<br />

und die Mitglieder von ihrer Arbeitspflicht freizustellen<br />

sind. In diesem Zusammenhang warf<br />

der Arbeitgeber dem Betriebsrat vor, dass die<br />

Beschlüsse mit denen die Betriebsratsmitglieder<br />

zu den Schulungen entsandt werden sollten,<br />

erst später getroffen und dann rückdatiert<br />

worden seien. Dies stelle eine grobe Pflichtverletzung<br />

dar. Der Arbeitgeber hat beantragt den<br />

Betriebsrat aufzulösen.<br />

Fehlverhalten Einzelner nicht<br />

übertragbar<br />

56


AiB 9 | 2016<br />

rechtsprechung<br />

billigt oder unterstützt hätte. Außerdem führen<br />

Äußerungen des Prozessbevollmächtigten des<br />

Betriebsrats vor Gericht nicht dazu, dass der<br />

Arbeitnehmervertretung eine grobe Verletzung<br />

betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten angelastet<br />

werden kann.<br />

}}<br />

Praxistipp: Auflösung und Ausschluss<br />

Nach § 23 Abs. 1 BetrVG kann der Arbeitgeber<br />

beim Arbeitsgericht die Auflösung des<br />

Betriebsrats wegen grober Verletzung der<br />

gesetzlichen Pflichten beantragen. Bei der<br />

Entscheidung sind die besonders einschneidenden<br />

Folgen für die Arbeitnehmervertreter<br />

zu berücksichtigen.<br />

Betriebsrat soll seine Pflichten<br />

wahrnehmen<br />

Die Vorschrift dient dem Zweck, dass der<br />

Betriebsrat seine Pflichten aus dem BetrVG<br />

ernst nimmt und nicht in grober Weise verletzt.<br />

Allerdings geht es nicht darum, dass<br />

er für ein Fehlverhalten aus der Vergangenheit<br />

bestraft wird. Entscheidend ist, ob<br />

die weitere Amtsausübung für die Zukunft<br />

nicht mehr zumutbar ist. Dies kann bei wiederholten<br />

Verstößen gegen das Gebot der<br />

vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem<br />

Arbeitgeber vorliegen. Dazu gehört grundsätzlich<br />

auch das nachträgliche Anfertigen<br />

falscher Beschlüsse durch den gesamten<br />

Betriebsrat.<br />

Einzelne Mitglieder ausschließen<br />

Liegt keine Pflichtverletzung des Betriebsrats<br />

als Organ vor, sondern haben einzelne<br />

Mitglieder sich grob falsch verhalten, können<br />

diese auf Antrag durch das Arbeitsgericht<br />

ausgeschlossen werden (§ 23 Abs. 1,<br />

1. Alternative BetrVG). Dazu gehören Beleidigungen<br />

anderer Betriebsratsmitglieder,<br />

Verletzungen der Schweigepflicht oder auch<br />

das Annehmen von Geschenken um die<br />

Amtsführung zu beeinflussen. Das Gesetz<br />

fordert eine grobe Pflichtverletzung: Die<br />

Funktionsfähigkeit des Betriebsrats muss<br />

bedroht oder lahmgelegt sein. Wenn lediglich<br />

das Vertrauensverhältnis erschüttert ist,<br />

reicht das aber nicht aus.<br />

Jens Pfanne, DGB Rechtsschutz GmbH.<br />

freistellung<br />

Abmeldepflicht für freigestellte<br />

Betriebsräte<br />

BAG 24.2.2016 – 7 ABR 20/14<br />

Ein Arbeitnehmer muss sich abmelden, wenn er den Betrieb verlässt, um Aufgaben<br />

oder privaten Belangen nachzugehen. Das gilt auch für freigestellte Betriebsrats -<br />

mitglieder. Allerdings müssen sie dem Arbeitgeber nicht mitteilen, wohin sie gehen.<br />

Es genügt die Angabe, dass es sich um eine Betriebsratstätigkeit handelt.<br />

Mehrere freigestellte Betriebsratsmitglieder<br />

wollen einen Anwalt aufsuchen, um sich rechtlich<br />

beraten zu lassen. Ihr Arbeitgeber hat eine<br />

Dienstanweisung zu Dienstreisen ausgegeben.<br />

Diese legt fest, wie die Dienstreisen beantragt,<br />

durchgeführt und abgerechnet werden. Der<br />

Arbeitgeber will im Dienstreiseantrag wissen,<br />

von wann bis wann die Abwesenheit im Betrieb<br />

dauern soll, wohin die Reise geht, welchen<br />

Zweck sie hat und mit wem der Antrag-<br />

57


echtsprechung<br />

AiB 9 | 2016<br />

lesetipp<br />

»Vergütung – Wieviel<br />

verdienen freigestellte<br />

Betriebsräte?« von<br />

Marc-Oliver Schulze und<br />

Eva Ratzesberger aus<br />

}}<br />

AiB 6/2016, S. 22 – 24.<br />

steller sich treffen will. Diese Angaben verlangt<br />

der Arbeitgeber auch von den Betriebsratsmitgliedern.<br />

Der Hinweis auf Betriebsratsarbeit<br />

genügt seiner Meinung nach nicht. Die Betriebsratsmitglieder<br />

sind der Auffassung, dass<br />

sie weder über die Dauer, noch den Ort und<br />

auch nicht den Inhalt zur Auskunft verpflichtet<br />

sind.<br />

Freistellung und Abmeldepflicht<br />

Der Grundsatz der Freistellung ist in § 37<br />

Abs. 2 BetrVG festgeschrieben. Betriebsratsmitglieder<br />

sind ohne Minderung des Entgelts<br />

von der Arbeit freizustellen, soweit dies für<br />

eine ordnungsgemäße Betriebsratstätigkeit erforderlich<br />

ist.<br />

Ein nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied<br />

muss sich bei Verlassen des Arbeitsplatzes<br />

beim Arbeitgeber abmelden, die voraussichtliche<br />

Dauer der Abwesenheit mitteilen und sich<br />

zurückmelden. 1<br />

Hintergrund ist zum einen das Gebot der vertrauensvollen<br />

Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1<br />

BetrVG). Zum anderen ist die Abmeldung am<br />

Arbeitsplatz auch eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht<br />

im Sinne von § 241 Absatz 2 des<br />

Bürgerliches Gesetzbuchs (BGB). Bei nicht<br />

freigestellten Betriebsratsmitgliedern ist diese<br />

Rechtsprechung leicht nachvollziehbar. Der<br />

Arbeitgeber muss im Stande sein, die Arbeitsabläufe<br />

umzuorganisieren, damit Störungen<br />

im Betriebsablauf vermieden werden können.<br />

Was gilt für dauernd freigestellte<br />

Betriebsräte?<br />

Freigestellte Betriebsratsmitglieder erbringen<br />

keine Arbeitsleistung. Sie sind aber nur<br />

von der Arbeitsleistung, nicht aber von der<br />

Anwesenheitspflicht befreit. Freigestellte Betriebsratsmitglieder<br />

müssen sich während der<br />

Arbeitszeit am Sitz des Betriebsrats, also im<br />

Betrieb aufhalten, um anfallende Betriebsratstätigkeiten<br />

zu erledigen. Daher müssen<br />

sich auch freigestellte Betriebsratsmitglieder<br />

bei Verlassen des Betriebes abmelden und<br />

wieder zurückmelden. Der Arbeitgeber hat<br />

ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren,<br />

ob ihm ein freigestelltes Betriebsratsmitglied<br />

im Betrieb als Ansprechpartner zur Verfügung<br />

steht oder ob er sich an ein anderes Mitglied<br />

wenden muss. Der Verweis auf die Erreichbarkeit<br />

über ein Mobiltelefon genügt nicht. Denn<br />

das Betriebsratsmitglied muss vor Ort verfügbar<br />

sein, falls beispielsweise Unterlagen eingesehen<br />

oder übergeben werden müssen.<br />

Was gilt in Großbetrieben?<br />

Die Frage, ob diese Regelung auch in größeren<br />

Betrieben mit entsprechenden Entfernungen<br />

gilt, hat das Gericht offen gelassen. In den Urteilen<br />

wird immer vom Verlassen des Betriebes<br />

ausgegangen. Daher ist eine Abmeldung<br />

für Wege des Betriebsratsmitglieds innerhalb<br />

des Betriebsgeländes nicht erforderlich, auch<br />

wenn das Gelände weitläufig sein sollte.<br />

Die Anweisung des Arbeitgebers zu Dienstreise<br />

ist daher nicht einschlägig. Freigestellte<br />

Betriebsratsmitglieder treten keine Dienstreise<br />

an, wenn sie im Rahmen ihres Mandats Termine<br />

außerhalb des Betriebs wahrnehmen. Sie<br />

nehmen betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben<br />

im Rahmen ihrer Funktion als Betriebsratsmitglied<br />

wahr.<br />

}}<br />

Praxistipp:<br />

Was muss der Arbeitsgeber erfahren?<br />

Das Betriebsratsmitglied muss dem Arbeitgeber<br />

seine Abwesenheit im Betrieb einschließlich<br />

der voraussichtlichen Dauer<br />

mitteilen. Dies gilt für sowohl für freigestellte<br />

als auch für nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder.<br />

Darüber hinaus bleibt die<br />

Neugier des Arbeitgebers unbefriedigt. Den<br />

Inhalt der geplanten Betriebsratstätigkeit<br />

muss das freigestellte Betriebsratsmitglied<br />

nicht mitteilen.<br />

Genauere Angaben können nötig werden,<br />

wenn der Betriebsrat will, dass der Arbeitgeber<br />

im Rahmen seiner Kostentragungspflicht<br />

nach § 40 Abs. 1 BetrVG Reisekosten<br />

übernimmt. Hier gilt grundsätzlich, dass<br />

der Betriebsrat die Interessen des Arbeitgebers<br />

und das Interesse der Belegschaft<br />

an der Betriebsratstätigkeit abwägen muss,<br />

bevor er Kosten verursacht. Das heißt maßvolle,<br />

aber nicht übertriebene <strong>Ausgabe</strong>n.<br />

<strong>Eine</strong> Flugreise zu einem Anwalt wird in der<br />

Regel nicht erforderlich sein, denn Anwälte<br />

gibt es auch vor Ort.<br />

Margit Körlings, DGB Rechtsschutz GmbH.<br />

1 ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG),<br />

vgl. BAG 29.6.2011 – 7 ABR 135/09 Rn. 20.<br />

58


AiB 9 | 2016<br />

rechtsprechung<br />

betriebsratswahl<br />

Betriebsratswahl im Hauptbetrieb<br />

und im Betriebsteil<br />

LAG Düsseldorf 13.1.2016 – 12 TaBV 67/14 (rechtskräftig)<br />

Stimmen Beschäftigte in einem Betriebsteil für die Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb,<br />

kann die Betriebsratswahl nicht angefochten werden, wenn eine dort beschäftigte Aushilfs kraft<br />

als Einzige nicht über die Abstimmung in Kenntnis gesetzt wurde. Es genügt auch, dass<br />

die Abstimmung nur von einem wahlberechtigten Arbeitnehmer veranlasst wurde, wenn die<br />

anderen Arbeitnehmer am Abstimmungsprozess teilnehmen.<br />

Arbeitnehmer wollen sich an Betriebsratswahl<br />

im Hauptbetrieb beteiligen<br />

Die Arbeitgeberin, eine Partnerschaftsgesellschaft<br />

von Architekten, hat ihre Geschäftsleitung<br />

in E. Sie bietet ihre Dienstleistungen an<br />

verschiedenen Standorten an. Am Standort in<br />

T. beschlossen die Beschäftigten auf Initiative<br />

einer Mitarbeiterin einstimmig, sich an der bevorstehenden<br />

Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb<br />

zu beteiligen. Dies geschah allerdings<br />

in Abwesenheit einer nicht informierten Aushilfskraft.<br />

Die Arbeitgeberin hat die Wahl angefochten<br />

und geltend gemacht, sie betreibe in T.<br />

und M. selbständige Betriebe. Die Wahl sei aber<br />

auch wegen einer fehlerhaften Abstimmung<br />

über die Teilnahme an der Wahl unwirksam.<br />

Wahlanfechtung der Arbeitgeberin hatte<br />

auch vor LAG keinen Erfolg<br />

Nach Beweisaufnahme ist das Landesarbeitsgericht<br />

(LAG) zu dem Ergebnis gelangt, dass die<br />

Entscheidungen in personellen und sozialen<br />

Angelegenheiten an den Standorten in vielen<br />

Fällen in Abstimmung mit der Geschäftsführung<br />

in E. erfolgen. Die Arbeitgeberin hat in E.<br />

keinen eigenen Betrieb und der Standort in T.<br />

ist Betriebsteil nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.<br />

Beschäftigte von Betriebsteilen<br />

haben die Wahl<br />

Betriebsteile sind selbständige Betriebe, wenn<br />

sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1<br />

BetrVG (mindestens 5 ständige wahlberechtigte<br />

Arbeitnehmer, von denen 3 wählbar sind)<br />

erfüllen und 1. räumlich weit vom Hauptbetrieb<br />

entfernt oder 2. durch Aufgabengebiet<br />

und Organisation eigenständig sind. Das heißt,<br />

sie sind zwar keine Betriebe, werden aber als<br />

solche behandelt. Die Beschäftigten dieser Betriebsteile<br />

haben die Möglichkeit, entweder einen<br />

eigenen Betriebsrat zu wählen oder aber<br />

nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zu beschließen,<br />

an der Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb<br />

teilzunehmen.<br />

Formlose Abstimmung reicht aus<br />

Das Gesetz sieht vor, dass die Beteiligung mit<br />

Stimmenmehrheit beschlossen werden muss<br />

und lässt eine formlose Abstimmung genügen.<br />

Nicht geregelt ist, welche Rechtsfolgen<br />

es hat, wenn nicht alle Beschäftigten über die<br />

Abstimmung informiert werden und deshalb<br />

nicht alle an ihr teilnehmen. Das LAG hält es<br />

zwar für erforderlich, dass alle Wahlberechtigten<br />

vor der Abstimmung informiert werden. Es<br />

verneint aber, dass der Arbeitgeber die Wahl<br />

anfechten konnte, weil die Aushilfskraft nicht<br />

informiert wurde. Denn die Mehrheit für die<br />

Beteiligung an der Wahl im Hauptbetrieb war<br />

auch ohne Mitwirkung der Aushilfskraft erreicht.<br />

Auch nicht geregelt sind die Rechtsfolgen,<br />

wenn die Initiative zur Abstimmung von<br />

weniger als 3 Mitarbeitern ausgeht. Nach § 4<br />

Abs. 1 BetrVG gilt § 3 Abs. 3 Satz 2 entsprechend,<br />

der bestimmt, dass mindestens drei<br />

wahlberechtigte Arbeitnehmer die Abstimmung<br />

veranlassen müssen. Nach Meinung des<br />

LAG ist es ausreichend, dass nur eine Mitar-<br />

59


echtsprechung<br />

AiB 9 | 2016<br />

beiterin die Abstimmung veranlasst hat, da<br />

sich die übrigen Beschäftigten die Initiative<br />

durch ihre Beteiligung an der Abstimmung zu<br />

Eigen gemacht hätten.<br />

}}<br />

Praxistipp:<br />

Die Teilnahme an der Betriebsratswahl im<br />

Hauptbetrieb kann vor allem für die Beschäftigten<br />

in kleineren, betriebsratsfähigen<br />

Betriebsteilen eine gute Alternative zur<br />

Wahl eines eigenen Betriebsrats sein. Die<br />

Frage, welche Anforderungen an die Beschlussfassung<br />

zu stellen sind und welche<br />

Fehler die Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb<br />

anfechtbar machen, ist mit vielen<br />

Unsicherheiten verbunden und durch die<br />

Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts<br />

(BAG) noch nicht geklärt.<br />

Achtung: Betriebsbegriff muss klar sein<br />

<strong>Eine</strong> Betriebsratswahl ist nach § 19 BetrVG<br />

anfechtbar, wenn der Betriebsbegriff falsch<br />

verstanden wird. Wenn etwa die Beschäftigten<br />

in einem Betriebsteil ohne Abstimmung<br />

an der Betriebsratswahl im Hauptbetrieb<br />

teilnehmen, kann die Wahl im Hauptbetrieb<br />

mit Erfolg angefochten werden. Schwierig<br />

zu bestimmen sind jedoch die Rechtsfolgen,<br />

wenn es zu einzelnen Fehlern bei der Vorbereitung<br />

oder Durchführung der Abstimmung<br />

kommt. Zuzustimmen ist dem LAG<br />

darin, dass kein Anfechtungsgrund besteht,<br />

wenn weniger als drei wahlberechtigte Arbeitnehmer<br />

die Abstimmung initiieren, weil<br />

dieser Mangel durch einen ordnungsgemäßen<br />

Abstimmungsprozess geheilt wird.<br />

Allen Abstimmungsberechtigten sollte<br />

Einflussnahme möglich sein<br />

Dagegen ist sehr fraglich, ob auch dann<br />

kein Anfechtungsgrund besteht, wenn nicht<br />

alle im Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmer<br />

über Zeit und Ort der Abstimmung<br />

informiert wurden. Denn es muss allen<br />

Abstimmungsberechtigten die Möglichkeit<br />

gegeben werden, auf die Meinungs- und<br />

Willensbildung Einfluss zu nehmen. <strong>Eine</strong><br />

ähnliche Interessenlage besteht bei Abstimmungen<br />

im Betriebsrat. Dort ist anerkannt,<br />

dass in einer Sitzung gefasste Beschlüsse<br />

unwirksam sind, wenn nicht alle Betriebsratsmitglieder<br />

ordnungsgemäß zu der Sitzung<br />

geladen wurden.<br />

Ingrid Heinlein, Vors. Richterin am Landesarbeitsgericht<br />

a.D., Rechtsanwältin,<br />

Anwaltsbüro Bell & Windirsch, Düsseldorf.<br />

mindestlohn<br />

Anrechnung der Sonderzahlungen<br />

auf Mindestlohn<br />

BAG 25.5.2016 – 5 AZR 135/16<br />

Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Arbeitgeber Sonderzahlungen wie<br />

Urlaubs- und Weihnachtsgeld verrechnen, wenn er den Mindestlohn einführt.<br />

Es kommt auf die konkrete Ausgestaltung der Zahlung an.<br />

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich erstmals<br />

mit der Anrechnung von Urlaubs- und<br />

Weihnachtsgeld auf den gesetzlichen Mindestlohn<br />

auseinandergesetzt. Das Ergebnis ist für<br />

Arbeitnehmer ernüchternd. Das BAG hat die<br />

vorangegangene Entscheidung des Landes-<br />

60


AiB 9 | 2016<br />

rechtsprechung<br />

arbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg<br />

bestätigt. 1 In einigen Fällen dürfte die Anrechnung<br />

rechtmäßig sein.<br />

Die Klägerin des Falls erhielt weniger als<br />

8,50 Euro je Arbeitsstunde und damit einen<br />

nach dem Mindestlohngesetz an sich unzulässig<br />

niedrigen Lohn. Daneben zahlte der Arbeitgeber<br />

jedoch Urlaubs- und Weihnachtsgeld,<br />

welches sie monatlich zu jeweils 1/12 erhielt.<br />

Insgesamt wurde der Betrag von 8,50 Euro damit<br />

erreicht.<br />

Monatliche Zahlung und Gegenleistung<br />

für Arbeitsleistung<br />

Das BAG sah dies als zulässig an, den Vorgaben<br />

des Mindestlohngesetzes würde der Arbeitgeber<br />

so gerecht. Entscheidend war zum<br />

einen, dass die Sonderzahlungen monatlich<br />

gezahlt wurden und damit zu dem für den<br />

Mindestlohn maßgeblichen Fälligkeitstermin.<br />

Alle Beschäftigten sollten<br />

informiert werden<br />

Zum anderen war entscheidend, dass die<br />

Sonderzahlungen als Gegenleistung für die<br />

Arbeitsleistung angesehen werden könnten.<br />

Das sei dann der Fall, wenn ihre Auszahlung<br />

lediglich an den Bestand des Arbeitsverhältnisses<br />

geknüpft sei. Wenn mit der Sonderzahlung<br />

hingegen die Betriebstreue oder ähnliches belohnt<br />

werden sollte, sei eine Anrechnung nicht<br />

möglich. Auch eine Urlaubsgeldzahlung, die<br />

an die tatsächliche Inanspruchnahme von Urlaub<br />

geknüpft ist, und damit die höheren Aufwendungen<br />

dafür abdecken soll, wäre wohl<br />

nicht anrechenbar.<br />

}}<br />

Praxistipp: Vorsicht beim Abschluss<br />

von Betriebsvereinbarungen<br />

Im entschiedenen Fall war die monatliche<br />

Auszahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld<br />

in einer Betriebsvereinbarung geregelt<br />

worden. In allen zukünftigen Fällen, in denen<br />

der Arbeitgeber im Niedriglohnbereich<br />

eine solche Regelung anstrebt, ist klar, worauf<br />

er im Zweifel hinauswill: auf eine Anrechenbarkeit<br />

der Sonderzahlungen auf den<br />

Mindestlohn. Betriebsräte sollten sich daher<br />

vor Abschluss einer solchen Regelung<br />

im Klaren sein, ob dies zu Nachteilen von<br />

unteren Lohngruppen führen kann. Bei einer<br />

jährlichen Auszahlung kommt eine Anrechnung<br />

nach den Vorgaben des Mindestlohngesetzes<br />

nur auf den aktuellen und<br />

den vorangegangenen Monat in Betracht.<br />

Betriebsvereinbarung ändert<br />

Arbeitsvertrag<br />

Durchaus umstritten ist, ob Regelungen<br />

im Arbeitsvertrag – etwa wie hier zur Fälligkeit<br />

– durch eine Betriebsvereinbarung<br />

abgeändert werden können. Dies hat das<br />

BAG erstmals in dem Fall als zulässig angesehen,<br />

dass die arbeitsvertraglichen Regelungen<br />

Allgemeine Geschäftsbedingungen<br />

(AGB) darstellen, also für alle Arbeitnehmer<br />

gelten und einen kollektivrechtlichen<br />

Bezug haben. 2<br />

Solche Regelungen seien »betriebsvereinbarungsoffen«.<br />

Wie man hier sieht, kann<br />

sich das auch zum Nachteil einzelner Beschäftigter<br />

auswirken, wenn eine Betriebsvereinbarung<br />

entsprechend unglücklich<br />

formuliert ist.<br />

Richtige Ausgestaltung der<br />

Sonder zahlung entscheidet<br />

Urlaubsgeld kann an die tatsächlich genommenen<br />

Urlaubstage geknüpft werden,<br />

dies spräche gegen eine Anrechenbarkeit.<br />

Wenn das Weihnachtsgeld abhängig vom<br />

Bestand des Arbeitsverhältnisses über einen<br />

bestimmten Stichtag ist, spricht dies für eine<br />

Belohnung der Betriebstreue – und gleichfalls<br />

gegen eine Anrechenbarkeit.<br />

Weihnachts- und Urlaubsgeld, die angerechnet<br />

werden, so dass gerade soeben der<br />

Mindestlohn erreicht wird, verdienen den<br />

Namen nicht. Hier wird lediglich suggeriert,<br />

dass sich der Arbeitnehmer über Sonderzahlungen<br />

freuen kann. Der Arbeitgeber<br />

leistet gerade mal das, wozu er gesetzlich<br />

ohnehin verpflichtet ist.<br />

Matthias Beckmann, DGB Rechtsschutz GmbH.<br />

lesetipp<br />

»Mindestlohn und<br />

Betriebsrat« von<br />

Huber/Helm in<br />

}}<br />

AiB 3/2016, S. 43 – 46.<br />

1 12.1.2016 – 19 Sa 1851/15. 2 BAG 5.3.2013 – 1 AZR 417/12.<br />

61


echtsprechung<br />

AiB 9 | 2016<br />

informationsrecht<br />

Auskunftsanspruch des Betriebsrats<br />

besteht immer<br />

LAG Hessen 4.5.2015 – 16 TaBV 175/14 (rechtskräftig)<br />

Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber jederzeit die notwendigen Informationen<br />

verlangen, um seine Aufgaben wahrnehmen zu können. <strong>Eine</strong>s konkreten Anlasses<br />

für den allgemeinen Unterrichtungsanspruch bedarf es nicht.<br />

lesetipp<br />

Zum Auskunftsrecht des<br />

Betriebsrats: »Rechtzeitig<br />

und umfassend« von<br />

Simone Rohs in<br />

}}<br />

AiB 5/2015, S. 36 – 39.<br />

§ 80 BetrVG enthält eine Aufzählung allgemeiner<br />

Aufgaben und Pflichten des Betriebsrates.<br />

Die Norm vermittelt kein unmittelbares Mitbestimmungsrecht.<br />

Sie legt aber in allgemeiner<br />

Form fest, für welche Fragen der Betriebsrat<br />

zuständig ist. In Absatz 2 der Vorschrift ist geregelt,<br />

dass der Arbeitgeber den Betriebsrat in<br />

diesen Fragen unterrichten und sich mit ihm<br />

besprechen muss. Dieser Unterrichtungsanspruch<br />

ist, wie der Fall des Hessischen Landesarbeitsgerichts<br />

(LAG) zeigt, auch gerichtlich<br />

durchsetzbar. Der Betriebsrat eines Krankenhausbetreibers<br />

wollte wissen, welchen Arbeitnehmern<br />

in welcher Höhe und nach welchen<br />

Kriterien Zulagen gezahlt werden. Der Arbeitgeber<br />

verweigerte die Auskunft. Das Arbeitsgericht<br />

war der Auffassung, dass die daraufhin<br />

erhobene Klage des Betriebsrates unbegründet<br />

sei. Der Betriebsrat hätte Tatsachen oder wenigstens<br />

Indizien vortragen müssen, dass der<br />

Arbeitgeber außertarifliche Zuschläge bezahle.<br />

Betriebsrat hat Überwachungsaufgaben<br />

Diese Entscheidung hat das LAG kassiert. Für<br />

den allgemeinen Auskunftsanspruch bedürfe<br />

es weder eines konkreten Anlasses noch eines<br />

greifbaren Anhaltspunktes, so das LAG.<br />

Die Überwachungsaufgaben nach § 80 Abs. 1<br />

BetrVG bestünden grundsätzlich und nicht erst<br />

bei Vorliegen von Verdachtsmomenten für Verstöße<br />

des Arbeitgebers. Der Betriebsrat müsse<br />

daher auch keinen konkreten Anlass vortragen.<br />

Der Betriebsrat müsse die zur Erfüllung seiner<br />

Aufgaben notwendigen Informationen jederzeit<br />

zur Verfügung haben. Auf einen besonderen<br />

Anlass käme es nicht an. Der Entscheidung<br />

des LAG ist zuzustimmen. Im Bereich der Vergütung<br />

der Beschäftigten kommt § 87 Abs. 1<br />

Nr. 10 BetrVG als Mitbestimmungsrecht in<br />

Betracht. Der Betriebsrat hat auch auf die Einhaltung<br />

des Gleichbehandlungsgrundsatzes<br />

zu achten. Da die Frage der Zulagen somit im<br />

Zuständigkeitsbereich des Betriebsrates liegt,<br />

kann er sich auf seine Informationsrechte berufen.<br />

Dabei ist wichtig, dass er nicht – wie das<br />

Arbeitsgericht noch meinte – zunächst in der<br />

Pflicht sein soll Anhaltspunkte für Verstöße des<br />

Arbeitgebers zu benennen. Die Informationsrechte<br />

des Betriebsrates sind gerade auch dazu<br />

da, um dem Betriebsrat Informationen aus Bereichen<br />

zu ermöglichen, die seiner unmittelbaren<br />

eigenen Wahrnehmung entzogen sind.<br />

}}<br />

Praxistipp:<br />

Auskunftsanspruch durchsetzen!<br />

Es ist fraglos mühsam, wenn nicht erst die<br />

konkrete Mitbestimmung zu einer gerichtlichen<br />

Auseinandersetzung führt, sondern<br />

schon Informations- und Auskunftsansprüche<br />

gerichtlich erstritten werden müssen.<br />

Das Verfahren zeigt aber, dass es sich lohnt,<br />

solche Ansprüche im Notfall auch gerichtlich<br />

durchzusetzen. Hier wollte der Arbeitgeber<br />

gerne für sich behalten, welchem<br />

Beschäftigten er welche Zulagen zahlt. Bei<br />

einem intransparenten Vergütungssystem<br />

ist dem Missbrauch freilich Tür und Tor geöffnet.<br />

Im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz<br />

und der trotzdem immer<br />

noch bestehenden ungerechten Entlohnung<br />

62


AiB 9 | 2016<br />

rechtsprechung<br />

(beispielsweise Stichwort: gender pay gap) ist<br />

es wichtig, dass der Betriebsrat die notwendigen<br />

Einblicke erhält. Die Auskunft ist vom<br />

Arbeitgeber übrigens in der Regel schriftlich<br />

zu erteilen. Dies gilt nach der Rechtsprechung<br />

des Bundesarbeitsgerichts (BAG) immer<br />

dann, wenn es sich um umfangreiche<br />

und komplexe Angaben handelt. Der Betriebsrat<br />

muss sich auch nicht mit anonymisierten<br />

Informationen zufrieden geben. Die<br />

Interessenvertretungen von Beschäftigten<br />

sind im Bundesdatenschutzgesetz ausdrücklich<br />

benannt. <strong>Eine</strong> Weitergabe von Daten an<br />

sie zur Aufgabenwahrnehmung ist eine zulässige<br />

Form der Datennutzung.<br />

Matthias Beckmann, DGB Rechtsschutz GmbH.<br />

eingruppierung<br />

Zustimmung ganz oder gar nicht<br />

ArbG Dessau-Roßlau 9.3.2016 – 10 BV 11/15<br />

Wird der Betriebsrat zu einer Eingruppierung angehört, muss er die Anfrage eindeutig<br />

beantworten. <strong>Eine</strong> Zustimmung unter Vorbehalt ist unwirksam. Dass der Arbeitgeber<br />

Zugesagtes auch einhält, muss der Betriebsrat anderweitig sicherstellen.<br />

Der Arbeitgeber hatte zwei Rettungsassistenten<br />

eingestellt und verlangte nun vom Betriebsrat<br />

die Zustimmung zur Eingruppierung.<br />

Der Betriebsrat stimmte dieser zu, wie sie vom<br />

Arbeitgeber geplant war. Die Zustimmung erklärte<br />

er allerdings nur unter der Bedingung,<br />

dass die durchschnittliche monatliche Arbeitszeit<br />

auf Basis von 450 Euro ohne Arbeitsbereitschaft<br />

42,8 Stunden betrage. Der Arbeitgeber<br />

war mit der Zustimmungserklärung in dieser<br />

Form nicht einverstanden und leitete ein Beschlussverfahren<br />

ein. Darin beantragte er, die<br />

Zustimmung des Betriebsrates zu ersetzen.<br />

Das Arbeitsgericht (ArbG) Dessau-Roßlau gab<br />

dem Arbeitgeber Recht.<br />

Betriebsrat muss eindeutige<br />

Erklärungen abgeben<br />

Der Betriebsrat habe mit der Einschränkung<br />

bei seiner Zustimmung seine Kompetenzen<br />

überschritten. Wenn der Betriebsrat der Auffassung<br />

ist, dass die Eingruppierung richtig ist und<br />

keine anderen Gründe nach § 99 BetrVG greifen,<br />

muss er seine Zustimmung unzweideutig<br />

erteilen. Das gebiete der Grundsatz der vertrauensvollen<br />

Zusammenarbeit. Tatsächlich ist es<br />

wohl so, dass der Betriebsrat hier den falschen<br />

Weg gewählt hat, um seinem im Grunde ja berechtigten<br />

Anliegen Geltung zu verschaffen. In<br />

welchen Fällen der Betriebsrat bei Einstellungen<br />

oder Eingruppierungen die Zustimmung<br />

verweigern darf, ist gesetzlich vorgegeben. Die<br />

Erklärung einer eingeschränkten Zustimmung<br />

ist nicht zulässig, die Erklärung ist im Juristendeutsch<br />

»bedingungsfeindlich«. Auch sind die<br />

einzelnen Ausgestaltungen des Arbeitsvertrages<br />

nicht Gegenstand des Zustimmungsverfahrens.<br />

Diese sind von den Parteien selbst zu regeln.<br />

}}<br />

Praxistipp:<br />

Natürlich ist es wichtig, dass der Betriebsrat<br />

darauf achtet, dass Beschäftigte nur in dem<br />

Umfang eingesetzt werden, wie es vereinbart<br />

worden ist. Die Einhaltung von Arbeitsund<br />

Ruhezeiten ist ein wichtiges Anliegen.<br />

Es gehört zu den Pflichten des Betriebsrates<br />

darauf zu achten, dass entsprechende Regelungen<br />

zugunsten der Arbeitnehmer in<br />

Gesetzen, Tarifverträgen oder Betriebsver-<br />

lesetipp<br />

Mehr zum Thema <strong>lesen</strong><br />

Sie in unserem Online-<br />

Betriebsratslexikon<br />

unter dem Stichwort<br />

»Eingruppierung«.<br />

63


echtsprechung<br />

AiB 9 | 2016<br />

einbarungen beachtet werden. Dies ist aber<br />

nur etwas, was dann im laufenden Arbeitsverhältnis<br />

überwacht, kontrolliert und gegebenenfalls<br />

gegenüber dem Arbeitgeber geltend<br />

gemacht werden kann. Im Vorhinein<br />

kann eine solche Vorgabe mit der Zustimmungserklärung<br />

jedenfalls nicht verknüpft<br />

werden. Der Betriebsrat kann aber stets<br />

verlangen, dass ihm der Arbeitgeber die Unterlagen<br />

in dem erforderlichen Umfang zur<br />

Verfügung stellt, die er benötigt, um seine<br />

Aufgaben zu erfüllen. Wenn es um kollektive<br />

Arbeitszeitregelungen geht, kann der<br />

Betriebsrat auch von seinem Initiativrecht<br />

Gebrauch machen.<br />

Matthias Beckmann, DGB Rechtsschutz GmbH.<br />

Jugend- und auszubildendenvertretung (Jav)<br />

Lohnanspruch nach Übernahme<br />

BAG 19.8.2015 – 5 AZR 1000/13<br />

Mitglieder der JAV haben ein Recht auf Übernahme, nachdem sie ihre Ausbildung<br />

erfolgreich abgeschlossen haben. Verweigert der Ausbildungs betrieb die Weiterbeschäftigung,<br />

haben die jungen Arbeitnehmer einen Lohnanspruch aus Annahmeverzug.<br />

lesetipp<br />

»Aktuelles zur Übernahme<br />

von JAV- und<br />

Betriebsratsmitgliedern –<br />

Möglichkeiten nach § 78a<br />

BetrVG« von Anette<br />

Malottke in<br />

} } AiB 4/2009,<br />

S. 202 – 206.<br />

Anzeige<br />

In einem staatlichen Forstbetrieb trat der Kläger<br />

eine Ausbildung zum Forstwirt an. Während seiner<br />

Lehrzeit wurde er in die Jugend- und Auszubildendenvertretung<br />

(JAV) gewählt. Nach einer<br />

vereinbarten Verkürzung der Ausbildungszeit<br />

hat er die Berufsausbildung erfolgreich beendet.<br />

Kurz vor seiner Abschlussprüfung hat der<br />

Kläger von seinem Ausbildungsbetrieb schriftlich<br />

verlangt, in dem erlernten Beruf unbefristet<br />

weiterbeschäftigt zu werden. Jedoch wollte<br />

der Betrieb ihn trotz erfolgreichen Bestehens<br />

der Prüfung nicht übernehmen. Nun verlangt<br />

der Kläger für die Zeit ab dem Ende seiner bestandenen<br />

Ausbildung Arbeitslohn, da ein Arbeitsverhältnis<br />

zustande gekommen sei und der<br />

Arbeitgeber sich im Annahmeverzug seiner angebotenen<br />

Arbeitsleistung befunden habe. Im<br />

anwendbaren Tarifvertrag war eine zweistufige<br />

Ausschlussfrist vereinbart.<br />

Arbeitsverhältnis per Gesetz<br />

Das Gericht spricht dem Kläger die von ihm<br />

geltend gemachten Lohnansprüche zu. Der<br />

Kläger stand nach Ausbildungsende in einem<br />

unbefristeten Arbeitsverhältnis. Durch das<br />

rechtzeitige schriftliche Verlangen auf Weiterbeschäftigung<br />

von ihm als Mitglied der JAV an<br />

den Ausbildungsbetrieb wurde dieses Arbeitsverhältnis<br />

per Gesetz begründet.<br />

64


AiB 9 | 2016<br />

impressum | ansprechpartner<br />

Die im Tarifvertrag geregelte Ausschlussfrist<br />

hindert den Kläger nicht daran, seine Ansprüche<br />

durchzusetzen. Zwar müssen Arbeitnehmer<br />

grundsätzlich ihre Forderungen rechtzeitig<br />

gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen.<br />

Jedoch reicht es in diesem Fall aus, dass das<br />

Mitglied einer JAV die Weiterbeschäftigung verlangt.<br />

Damit muss dem Arbeitgeber klar sein,<br />

dass mit dem schriftlichen Verlangen des Mitglieds<br />

auf Weiterbeschäftigung das Geldverdienen<br />

im Vordergrund steht, um sich eine Existenzgrundlage<br />

aufzubauen.<br />

}}<br />

Praxistipp: Ansprüche nach § 78a BetrVG<br />

Anspruch auf Übernahme<br />

In der Regel endet das Berufsausbildungsverhältnis<br />

mit der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses.<br />

Allerdings haben die gewählten<br />

Mitglieder einer JAV das Recht,<br />

durch ihr Verlangen auf Weiterbeschäftigung<br />

ein Arbeitsverhältnis zu begründen (§ 78a<br />

BetrVG). Dies gilt auch für Auszubildende<br />

im öffentlichen Dienst (§ 9 BPersVG). Der<br />

Auszubildende muss also auf einem Arbeitsplatz<br />

beschäftigt werden, der seiner Ausbildung<br />

entspricht. Auch muss der Arbeitgeber<br />

ihn so entlohnen, wie bei einem vergleichbaren<br />

Beschäftigten, der auf dem Posten eingesetzt<br />

wird. Damit soll sichergestellt werden,<br />

dass sie ihr Amt bis zum regulären Ablauf<br />

der Amtszeit ausüben können. Gleichzeitig<br />

soll dies auf einer wirtschaftlich gesicherten<br />

Grundlage erfolgen. Durch die gesetzlichen<br />

Regelungen sind die JAV-Mitglieder also besonders<br />

geschützt.<br />

Anspruch auf Arbeitslohn<br />

Wollen JAV-Mitglieder im Anschluss an ihre<br />

Berufsausbildung als Arbeitnehmer übernommen<br />

werden, müssen sie in den letzten<br />

drei Monaten vor Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses<br />

den Arbeitgeber darüber<br />

schriftlich informieren. Damit machen<br />

sei gleichzeitig etwaige Ansprüche auf Vergütung<br />

aus Annahmeverzug geltend. Dies gilt<br />

insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber die<br />

Weiterbeschäftigung verweigert.<br />

Jens Pfanne, DGB Rechtsschutz GmbH.<br />

Arbeitsrecht im Betrieb 9 | 2016<br />

37. Jahrgang<br />

ISSN 0174-1225<br />

Zitiervorschlag<br />

AiB 9/2016, 23<br />

Redaktion<br />

Eva-Maria Stoppkotte (verantwortlich),<br />

Claudia Stiel, Christian Köhler<br />

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Heddernheimer Landstraße 144<br />

60439 Frankfurt/Main<br />

Tel. +49 (o)69/79 50 10-0<br />

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Bildnachweise<br />

Titelbild, S.4, 10: ©iStock.com,<br />

Highwaystarz- Photography | S.7, 14, 19,<br />

20, 23, 24, 39, 43, 46, 51, 52: ©iStock.com,<br />

Adamo Di Loreto, sturti, Xavier Arnau,<br />

shironosov, Squaredpixels, endopack,<br />

kasto80, PeopleImages, Johnny Greig,<br />

VILevi, IPGGutenbergUKLtd | S.27:<br />

Wikimedia Commons: Bundesarchiv,<br />

Bild 183-17031-0009 / cc-by-sa 3.0 | S.31, 32,<br />

37: ©iStock.com, monkeybusinessimages<br />

Druck<br />

alpha print medien AG, Darmstadt<br />

Mit Namen gezeichnete Beiträge sowie<br />

Beilagen und Anzeigen geben nicht<br />

unbedingt die Meinung der Redaktion<br />

oder des Verlages wieder.<br />

Redaktionsschluss dieser <strong>Ausgabe</strong><br />

17.6.2016<br />

65


die letzte seite<br />

AiB 9 | 2016<br />

von BURKH<br />

vorschau 10 | 2016<br />

Das erwartet Sie in der nächsten <strong>Ausgabe</strong><br />

}}<br />

Titelthema<br />

Die gesetzliche Rentenversicherung |<br />

Sozialrechtliche Fragen bei Beendigung<br />

von Arbeitsverhältnissen | Wichtiges zur<br />

Zahlung von Krankengeld<br />

}}<br />

Aktuelles<br />

Rufbereitschaft: Zwitter im Arbeitsrecht |<br />

Finanzielle Hilfen beim Wohngeld nutzen<br />

| Banking 4.0 und der Betriebsrat | Der<br />

Betrieb ist kein Überwachungsstaat<br />

}}<br />

Grundlagen der BR-Arbeit<br />

Regelungen zum Rauchen am Arbeitsplatz<br />

| Tipps zur Büroorganisation |<br />

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold: Die<br />

Crux mit der Verschwiegenheitspflicht<br />

die ausgabe 10 | 2016 ist voraussichtlich am 30.9.2016 beim abonnenten und ab 28.9.2016 <strong>online</strong> zu <strong>lesen</strong>.<br />

66


Betriebsrat PLUS<br />

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