Leseprobe CuA 7-8_2016
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Computer<br />
und Arbeit<br />
cua | it-mitbestimmung und datenschutz<br />
cua-web.de<br />
25. JAHRGANG<br />
ISSN 1863-8511<br />
D 11680<br />
7-8 | <strong>2016</strong><br />
betriebs-/personalratsbüro<br />
Grauzone<br />
des Datenschutzes<br />
videotechnik Gremiumssitzungen lassen sich auch virtuell durchführen<br />
social media Der digitale Wandel bietet Arbeitnehmervertretern reichlich Chancen<br />
europa Der neue EU-Datenschutz wirft bereits seinen langen Schatten voraus
titelthema betriebs-/personalratsbüro <strong>CuA</strong> 7-8 |<strong>2016</strong><br />
Betriebsrat contra<br />
Arbeitnehmerdaten<br />
datenschutz Die Belegschaftsvertretung nutzt Beschäftigtendaten. Andernfalls könnte<br />
sie ihre vielfältigen Aufgaben nicht erledigen. Der Widerspruch zu einer betriebsbedingten<br />
Kündigung, das Überprüfen der Arbeitszeitkonten oder das Ableiten von Maßnahmen<br />
zum Gesundheitsschutz würden ohne personenbezogene Daten wenig Sinn ergeben.<br />
Umso wichtiger ist ein gewissenhafter Umgang mit diesen Daten.<br />
VON SILVIA MITTLÄNDER<br />
8
<strong>CuA</strong> 7-8 |<strong>2016</strong><br />
betriebs-/personalratsbüro<br />
titelthema<br />
Betriebliche Interessenvertretungen<br />
sind im Rahmen ihrer Aufgaben auf<br />
das Erheben und Nutzen von personenbezogenen<br />
Daten der von ihr<br />
vertretenen Beschäftigten angewiesen. Diese<br />
Daten sind Teil des Grundrechts auf informationelle<br />
Selbstbestimmung, das auch im Beschäftigungsverhältnis<br />
zu achten ist. Eine unbefugte<br />
Nutzung kann daher eine Verletzung<br />
dieses Grundrechts darstellen. Die Arbeitnehmervertretung<br />
nutzt aber auch Daten aus der<br />
Sphäre des Arbeitgebers, indem sie Betriebsund<br />
Geschäftsgeheimnisse bei der Erledigung<br />
ihrer Aufgaben benötigt und verarbeitet. Sie<br />
hat sich genauso wie der Arbeitgeber an die<br />
datenschutzrechtlichen Vorgaben zu halten.<br />
Stellung der Belegschaftsvertretung<br />
im Datenschutz<br />
Häufig verweigern Arbeitgeber dem Betriebsrat<br />
Auskünfte über Beschäftigtendaten mit dem<br />
datenschutzrechtlichen Hinweis auf die fehlende<br />
Einwilligung jedes Einzelnen. Eine solche<br />
Einwilligung wäre dann erforderlich, wenn<br />
die Belegschaftsvertretung gegenüber dem Arbeitgeber<br />
Dritter im Sinne des § 3 Abs. 8 Bundesdatenschutzgesetz<br />
(BDSG) wäre. Dritter ist<br />
jeder, der außerhalb der verantwortlichen Stelle<br />
steht, wobei verantwortliche Stelle diejenige<br />
Person oder Stelle ist, die personenbezogene<br />
Daten für sich selbst erhebt und nutzt, § 3<br />
Abs. 7 BDSG. Im Beschäftigungsverhältnis ist<br />
verantwortliche Stelle das Unternehmen, also<br />
der Arbeitgeber, dem damit die Verantwortung<br />
für die rechtmäßige Nutzung der personenbezogenen<br />
Beschäftigtendaten zukommt.<br />
Es stellt sich damit die Frage, ob der Betriebsrat<br />
datenschutzrechtlich Dritter, also als<br />
außerhalb des Unternehmens stehend gilt. Diese<br />
Frage hat das Bundesarbeitsgericht (BAG)<br />
zu Recht verneint und eindeutig festgestellt,<br />
dass er Teil der verantwortlichen Stelle ist. 1<br />
Trotz der Unabhängigkeit der betrieblichen<br />
Interessenvertretung gegenüber dem Arbeitgeber<br />
steht sie datenschutzrechtlich nicht außerhalb<br />
der Organisation des Arbeitgebers. Eine<br />
Weitergabe von Beschäftigtendaten an sie stellt<br />
sich damit als eine Datenübermittlung innerhalb<br />
der verantwortlichen Stelle dar, was wiederum<br />
bedeutet, dass diese zulässig ist, sofern<br />
sie diese Daten zur Erledigung ihrer Aufgaben<br />
benötigt. Im Ergebnis kann der Arbeitgeber die<br />
Übermittlung von personenbezogenen Daten<br />
darum geht es<br />
1. Die Belegschaftsvertretung<br />
kann und muss<br />
in ihren »eigenen vier<br />
Wänden« den Datenschutz<br />
selbstständig<br />
organisieren.<br />
2. Der betriebliche Datenschutzbeauftragte<br />
hat<br />
keine Kontrollbefugnisse<br />
im Betriebsratsbüro.<br />
3. Beschäftigtenvertreter<br />
sollten sich eigene<br />
Regeln aufstellen, um den<br />
Datenschutz im Gremium<br />
sicherzustellen.<br />
1 BAG 11.11.1997 – 1 ABR 21/91 sowie BAG 7.2.2012 – 1 ABR 46/10<br />
9
it-mitbestimmung Die fünf Mythen der digitalen Arbeit <strong>CuA</strong> 7-8 |<strong>2016</strong><br />
Die fünf Mythen der<br />
digitalen Arbeit<br />
social media Es wird viel geredet über digitale Arbeit und Arbeit 4.0.<br />
Oft wird dabei aber das eigentliche Thema überhaupt nicht berührt.<br />
Das lautet für den Autor: Inwiefern wird durch die digitale Transformation<br />
die Arbeit im Sinne von Zusammenarbeit in Unternehmen<br />
verändert? Was bedeutet das für die Interessenvertretung?<br />
VON ALEXANDER KLIER<br />
darum geht es<br />
1. Viele Mythen rund um<br />
die digitale Revolution<br />
sind zu hinterfragen.<br />
2. Die Digitalisierung ist<br />
unumkehrbar – entscheidend<br />
ist nunmehr der<br />
Umgang damit.<br />
3. Arbeitnehmervertreter<br />
sollten die Chancen durch<br />
den digitalen Wandel<br />
ergreifen.<br />
Es gibt im Moment zwei »Richtungen«,<br />
die um die Deutungshoheit der<br />
digitalen Revolution kämpfen: Die<br />
optimistische Richtung diskutiert gegen<br />
eine pessimistische Interpretation. 1<br />
Dafür sprechen bereits die gewählten Begrife:<br />
Während die Pessimisten von digitaler<br />
Demenz oder einem digitalen Debakel reden,<br />
verwenden die Optimisten die Begrife der digitalen<br />
Revolution oder einer technischen Disruption,<br />
die schöpferisch sei. Rund um diese<br />
Begrife erfolgt dann eine regelrechte Mythenbildung,<br />
die sich auf der pessimistischen Seite<br />
in Form einer Technologiekritik entlädt. 2 Wie<br />
so oft bleibt dabei allerdings eine diferenzierte<br />
Analyse auf der Strecke.<br />
Interessenvertretungen gehören quasi von<br />
Berufs wegen eher zur pessimistischen Seite.<br />
Sie haben schließlich dafür zu sorgen, dass<br />
die negativen Seiten nicht allzu mächtig in<br />
den Unternehmen werden. Aber nicht nur sie:<br />
Auch auf Seiten des Personalmanagements<br />
gibt es eine äußerst große skeptische Linie, die<br />
sich zum Teil sogar bis in die IT-Abteilungen<br />
von Unternehmen durchzieht. 3<br />
Dass es enorme Potenziale hinter der technologischen<br />
Entwicklung digitaler Plattformen<br />
gibt, die sich dann nutzen lassen, wenn<br />
der Wandel aktiv von allen daran Beteiligten<br />
gestaltet wird, geht auf dieser Seite leider ebenfalls<br />
unter. Ein diferenzierter Blick ist nötig.<br />
Marc Beise, Leiter der Wirtschaftsabteilung<br />
der Süddeutschen Zeitung, veröfentlichte<br />
2015 ein Essay mit der Überschrift »Was die<br />
digitale Revolution mit uns macht«. 4 Es stand<br />
im Kontext der Recherche »Zwischen Ausbeutung<br />
und Selbstverwirklichung: Wie arbeiten<br />
wir in Zukunft?« und ist typisch für den Mythos,<br />
der sinngemäß heißen könnte: Die digitale<br />
Revolution kommt in jedem Fall.<br />
Mythos 1: Die digitale Revolution<br />
kommt<br />
Zunächst wird mit diesem Mythos ein völlig<br />
verkehrtes Bild davon gezeichnet, wer Subjekt<br />
und was das Objekt der digitalen Revolution<br />
sein soll. Die Technik als historisches Subjekt,<br />
das etwas mit den Menschen macht? Diese<br />
Vorstellung ist nicht nur unter Kulturpessimisten<br />
weit verbreitet. Dabei kann man beispielsweise<br />
mit Hilfe der Techniksoziologie zeigen,<br />
wie falsch dieses Bild ist. Um einen solchen<br />
Soziologen zu Wort kommen zu lassen: »Techniken<br />
sind Resultate sozialen Handelns«. 5<br />
Besonders deutlich wird der Gestaltungskontext<br />
dann, wenn man von einzelnen (digitalen)<br />
Artefakten, wie etwa dem Arbeitsplatzcomputer<br />
oder dem Smartphone absieht und<br />
ihre gesellschaftliche Einbettung betrachtet.<br />
»Dann zählen [...] auch die sozialen Standards<br />
und wirtschaftlichen Abrechnungssysteme, die<br />
Vertrags- und Gesetzeswerke wie auch die Regulierungsbehörden<br />
und Betreiberorganisationen«<br />
untrennbar zu einer Technologie und vor<br />
allem zu ihrem Einsatz. 6<br />
26<br />
1 Siehe dazu Kuhn, Digitaler Wandel: Kampf der Skeptiker gegen<br />
Visionäre, <strong>2016</strong>, www.sueddeutsche.de/digital/samstagsessayvorsicht-zukunft-1.3008159<br />
2 Vgl. hierzu Heßler, Zur Persistenz der Argumente im Automatisierungsdiskurs,<br />
in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.),<br />
APuZ Nr. 18-19/<strong>2016</strong>, 17 f.<br />
3 Klier / Lautenbacher, Personalentwicklung 4.0, in: Handbuch PersonalEntwickeln,<br />
<strong>2016</strong><br />
4 Beise, Was die digitale Revolution mit uns macht, in SZ-Online,<br />
2015, www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zukunft-der-arbeit-wasdie-digitale-revolution-mit-uns-macht-1.2379159<br />
5 Rammert, Technik, Handeln und Sozialstruktur: Eine Einführung in<br />
die Soziologie der Technik, 2006, 3, www.ts.tu-berlin.de/ileadmin/<br />
fg226/TUTS/TUTS_WP_3_2006.pdf<br />
6 Rammert, aaO., 5
<strong>CuA</strong> 7-8 |<strong>2016</strong><br />
Die fünf Mythen der digitalen Arbeit<br />
it-mitbestimmung<br />
»Statt die Digitalisierung als Naturgewalt hinter<br />
allen Veränderungen zu betrachten, müssen<br />
wir sie als Teil der herrschenden wirtschaftlichen<br />
und sozialen Bedingungen begreifen, mit<br />
der sie in Wechselwirkung steht«. 7<br />
Trotz der enormen Konsequenzen der digitalen<br />
Revolution scheinen derzeit nur zwei<br />
Dinge klar zu sein: Die Zukunft der Arbeit, im<br />
Sinne einer einzigen Zukunft, wird es genauso<br />
wenig geben, wie die digitale Revolution von<br />
sich aus, also qua technischer Einführung, diese<br />
möglichen Veränderungen bewirken wird.<br />
Die zum Teil völlig disparaten Entwicklungen<br />
kann man gut und zum Teil sogar im gleichen<br />
Unternehmen beobachten. 8<br />
Ebenfalls deutlich wird, dass die Betrachtung<br />
der strukturellen und prozessualen Fragen,<br />
gegenüber einer Analyse des Einsatzes<br />
von Instrumenten, wie etwa IT-Netzwerken<br />
und Servern, genauso wichtig für eine passende<br />
Antwort sind.<br />
Für den betrieblichen Kontext heißt das<br />
beispielsweise, sich darüber Gedanken zu machen,<br />
wie die künftige Zusammenarbeit der<br />
Beschäftigten stattinden soll und in welcher<br />
Form die digitale Technik diese Zusammenarbeit<br />
unterstützen und voranbringen kann.<br />
Was wiederum ein Thema ist, das nicht nur<br />
die IT-Abteilungen betrift. Eines der dabei<br />
entwickelten Ziele könnte beispielsweise die<br />
menschenwürdige Gestaltung des digitalen<br />
Arbeitsplatzes sein, weil nur so ein tatsächlich<br />
ökonomisch nachhaltiger Beitrag nicht nur<br />
zum Betriebsergebnis, sondern auch für die<br />
Allgemeinheit zu erwirtschaften ist.<br />
Mythos 2: Arbeit 4.0 heißt weitere<br />
Entgrenzung der Arbeitszeit<br />
Wohl kaum ein Thema eignet sich so sehr zur<br />
Mythenbildung wie die Frage der Entgrenzung<br />
der Arbeitszeit, gezeigt meist am Beispiel der<br />
E-Mails, wahlweise auch Mobiltelefonie. Ist die<br />
Mythenbildung einmal abgeschlossen, kommt<br />
es zu einer tatsächlich isolierten – und damit<br />
falschen – Betrachtung von Ursache und Wirkung.<br />
Eine nähere Untersuchung ist nötig, um<br />
zu trennen, was davon tatsächlich digital verursacht<br />
ist, und was demgegenüber möglicherweise<br />
digitale Lösungen darstellen. Und natürlich<br />
eine Antwort auf folgende Fragen geben,<br />
die im digitalen Kontext tatsächlich eine große<br />
Rolle spielen: Wann ist eigentlich Arbeits- und<br />
wann Freizeit? Woran misst man Leistung,<br />
Jeder Vierte ist ständig erreichbar!<br />
dgb-index gute arbeit<br />
Sehr häufig oder oft in der Freizeit per Mail oder Telefon<br />
erreichbar sein müssen …<br />
… von allen Beschäftigten:<br />
27 %<br />
wenn die Zeit als Maßstab nicht mehr infrage<br />
kommt? Besonders die Fragen weisen auf die<br />
eigentliche Ursache für die Entgrenzung hin:<br />
Nämlich, dass die Arbeit heute vielfach am Ergebnis<br />
gemessen wird, nicht mehr an der aufgewendeten<br />
Zeit.<br />
Die heute in vielen Unternehmen erfolgende<br />
Abkehr von diesen tayloristisch-fordistisch<br />
geprägten Arbeitszeitstrategien hat damit zu<br />
tun, dass parallel dazu ein starres hierarchisches<br />
System entstanden ist. Eine eiziente Arbeitsorganisation<br />
wird über lexibel reagierende<br />
Beschäftigte erreicht, die mobil unterwegs<br />
sind und zudem agile Methoden anwenden. 9<br />
Die notwendige Steuerung der Gruppen<br />
und Teams erfolgt dabei nicht mehr direkt<br />
über die Arbeitszeit, sondern indirekt über die<br />
Vorgabe der Leistungsziele. 10 Zielvereinbarungen,<br />
und noch viel mehr Zielvorgaben, waren<br />
und sind der eigentliche Anlass oder Grund,<br />
warum immer mehr Beschäftigte eine Entgrenzung<br />
der Arbeitszeit erleben – und zumindest<br />
in Teilen auch erleben wollen.<br />
Denn die andere Seite ist, dass die Art und<br />
Weise, und im Prinzip auch die notwendige<br />
Zeit für das Erstellen des Ergebnisses, mehr<br />
oder weniger »irrelevant« sind, jedenfalls<br />
nicht mehr vom Arbeitgeber vorgeschrieben<br />
und kontrolliert werden. Der durch eine »systematische<br />
Überlastung« auf die Beschäftigten<br />
ausgeübte Druck führt nun dazu, dass die<br />
Mitarbeiter technische Hilfsmittel und digitale<br />
Verfahren verwenden, die Ihnen diese neue<br />
Form der Arbeit erleichtern. 11<br />
… in den Branchen:<br />
Erziehung,<br />
Unterricht<br />
Energie<br />
Verkehr,<br />
Lagerei<br />
Bau<br />
Gesundheit,<br />
Sozialwesen<br />
Handel<br />
Chemie<br />
Metall<br />
43 %<br />
33 %<br />
32 %<br />
31 %<br />
29 %<br />
23 %<br />
18 %<br />
17 %<br />
Erreichbarkeit ist nicht<br />
generell als Arbeitszeit<br />
zu sehen. Oft genug<br />
stellt sie erst einmal eine<br />
Erwartungshaltung dar.<br />
27 Prozent der Beschäftigten<br />
mussten dem<br />
DGB-Index Gute Arbeit<br />
2012 zufolge sehr häuig<br />
oder oft nach Dienstschluss<br />
erreichbar sein.<br />
Eine Zahl, die sich <strong>2016</strong><br />
deutlich auf ein Drittel<br />
erhöht hat. Übertrofen<br />
noch von der Erwartung,<br />
ständig erreichbar zu<br />
sein, bei circa 60 Prozent<br />
der Beschäftigten.<br />
Quelle: Hans-Böckler-<br />
Stiftung, Digital, mobil<br />
überfordert, in: Böckler<br />
Impuls Nr. 8/2015, 4<br />
7 Kuhn, aaO.<br />
8 Vgl. Carstensen, Social Media in der internen Zusammenarbeit.<br />
Forschungsprojekt »Arbeit 2.0. Neue Anforderungen an Beschäftigte<br />
und ihre Interessenvertretungen im Umgang mit Social Media«,<br />
Hans-Böckler-Stiftung, 2015<br />
9 Klier / Lautenbacher, aaO.<br />
10 Kratzer / Menz, Von der Produktions- in die Reproduktionskrise.<br />
Vortrag im Rahmen des Projekts Lanceo in München, unveröfentlichtes<br />
Manuskript<br />
11 Vgl. dazu Kratzer / Menz, aaO.<br />
27
datenschutz 10 Fragen zum neuen EU-Datenschutz <strong>CuA</strong> 7-8 |<strong>2016</strong><br />
10 Fragen zum neuen<br />
EU-Datenschutz<br />
gesetzgebung Die EU-Datenschutzgrundverordnung wirft bereits<br />
ihren langen Schatten voraus. Wir haben beim Datenschutzexperten<br />
Marc-Oliver Schulze nachgefragt, was jetzt für betriebliche Interessenvertreter<br />
zu tun ist.<br />
VON CUA-REDAKTION<br />
darum geht es<br />
1. Betriebsräte sollten<br />
sich bereits auf die neue<br />
europäische Datenschutzsituation<br />
einstellen.<br />
2. Betriebliche Vereinbarungen<br />
sind rechtzeitig<br />
dem neuen EU-Recht<br />
anzupassen.<br />
3. Der Schulungs- und<br />
Beratungsbedarf wird für<br />
Belegschaftsvertretungen<br />
erheblich zunehmen.<br />
Besteht aufgrund des einheitlichen<br />
europäischen Datenschutzes ab<br />
Mai 2018 aktuell bereits Handlungsbedarf<br />
für Betriebs- und Personalräte?<br />
Durch die gerade verabschiedete EU-Datenschutzgrundverordnung<br />
(EU-DSGVO) werden<br />
sich für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und vor<br />
allem Betriebsräte, eine Vielzahl von Änderungen<br />
ergeben. Dem muss auf betrieblicher<br />
Ebene Rechnung getragen werden. Dies wird<br />
vor allem bei den Betrofenenrechten und der<br />
Datensicherheit deutlich.<br />
Auch wenn das deutsche Ausführungsgesetz<br />
voraussichtlich erst Ende <strong>2016</strong> vorliegt,<br />
sollte man sich bereits zeitnah auf die neue<br />
Situation einstellen. Zudem gilt es, auch weiterhin<br />
die einschlägige Rechtsprechung im<br />
Blick zu behalten und durch Betriebsvereinbarungen<br />
die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter<br />
zu wahren. Denn ein Beschäftigtendatenschutzgesetz<br />
wird es in absehbarer Zeit nicht<br />
geben.<br />
Müssen bestehende Betriebsvereinbarungen<br />
angepasst werden?<br />
Viele betriebliche Vereinbarungen entsprechen<br />
den neuen Anforderungen nicht, so dass<br />
es einen erheblichen Anpassungsbedarf gibt.<br />
Das in der EU-DSGVO enthaltene Grundrecht<br />
auf Datenschutz ist Regelungsmaßstab<br />
auch für alle Kollektivvereinbarungen. Eine<br />
Betriebsvereinbarung muss deshalb in datenschutzrechtlicher<br />
Hinsicht einen Mindeststandard<br />
beinhalten. Die Vorgaben entsprechen<br />
zwar weitgehend den Regelungen unseres<br />
Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Die Folgen<br />
von Verstößen werden sich aber drastisch<br />
verschärfen. Art. 83 Abs. 4 bis 6 der EU-DS-<br />
GVO sieht einen Bußgeldrahmen von bis zu<br />
20.000.000 Euro oder von bis zu vier Prozent<br />
des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes<br />
des vorangegangenen Geschäftsjahres eines<br />
Unternehmens vor. Insoweit sollte es auch<br />
im Interesse der Arbeitgeber sein, die Umsetzungsfrist<br />
von zwei Jahren zu nutzen.<br />
Sind Abweichungen im Datenschutzniveau<br />
nach unten durch betriebliche Vereinbarungen<br />
möglich?<br />
Nein, eine Unterschreitung des durch die EU-<br />
Verordnung vorgegebenen Datenschutzniveaus<br />
wird in Betriebsvereinbarungen nicht möglich<br />
sein. Derartige Regelungen würden dem Sinn<br />
und Zweck der europäischen DSGVO, die ein<br />
europaweit einheitliches Datenschutzniveau<br />
zum Ziel hat, zuwiderlaufen.<br />
Betriebsräte sollten sich auch nicht nach<br />
unten, sondern nach oben orientieren. Die Datenschutzskandale<br />
der letzten Jahre haben gezeigt<br />
wie wichtig es ist, dass die Arbeitnehmerrechte<br />
in Kollektivvereinbarungen geschützt<br />
werden. Ein wirksamer Datenschutz ist ein<br />
nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil<br />
für jedes Unternehmen.<br />
Kommen weitere oder neue Aufgaben auf<br />
Betriebsräte zu?<br />
Der grenzüberschreitende Datenverkehr wird<br />
vermehrt in den Fokus der betrieblichen Interessenvertretung<br />
rücken. Bisher hat dieses<br />
Thema nur in internationalen Konzernen eine<br />
36
<strong>CuA</strong> 7-8 |<strong>2016</strong><br />
10 Fragen zum neuen EU-Datenschutz datenschutz<br />
Rolle gespielt. Zukünftig werden sich aber<br />
auch immer mehr kleinere Unternehmen in<br />
der Cloud wiederinden. Programme wie Ofice<br />
365 sind mit herkömmlichen Betriebsvereinbarungen<br />
nicht in den Grif zu bekommen.<br />
Hier sind neue Denkansätze von Betriebsräten<br />
und ihren Beratern gefragt. Die Entwicklung<br />
kann nicht aufgehalten werden. Entscheidend<br />
»Entscheidend<br />
ist aber, dass<br />
Betriebsräte aktiv<br />
die Bedingungen<br />
mitgestalten.«<br />
marc-oliver schulze<br />
ist aber, dass Betriebsräte aktiv die Bedingungen<br />
mitgestalten.<br />
Die Maßstäbe, nach denen Mitwirkungsrechte<br />
aus dem Betriebsverfassungsgesetz im<br />
datenschutzrechtlichen Kontext bestehen,<br />
müssen sich dabei zukünftig an den Vorgaben<br />
der EU-DSGVO messen lassen. Da die<br />
Verordnung nicht so konkret ist wie das Bundesdatenschutzgesetz,<br />
wird der Interpretationsspielraum<br />
– was der Arbeitgeber darf oder<br />
nicht darf – größer werden. Betriebsräten wird<br />
es daher künftig schwerer fallen, Vorstöße des<br />
Arbeitgebers einzufangen und auf ein vertretbares<br />
Maß einzugrenzen. Hier kann – und sollte<br />
– der Betriebsrat dann anwaltliche, gewerkschaftliche<br />
oder andere sachverständige Hilfe<br />
hinzuziehen.<br />
Ändert sich das Verhältnis zum Datenschutzbeauftragten?<br />
Die Rolle des betrieblichen Datenschutzbeauftragten<br />
wird durch die EU-Verordnung geschwächt.<br />
Abhängig von der nationalen Ausgestaltung<br />
im Ausführungsgesetz wird eine<br />
Verschiebung der Bestellgrenze nach oben<br />
stattinden.<br />
Die §§ 4 f und 4 g BDSG werden daher<br />
nicht eins zu eins übernommen werden. Neben<br />
Wettbewerbserwägungen im europäischen<br />
Vergleich werden hierbei vor allem Kostengründe<br />
eine entscheidende Rolle spielen.<br />
Die Veränderungen werden sich auf das<br />
Verhältnis zwischen Betriebsrat und Datenschutzbeauftragtem<br />
auswirken. Der Betriebsrat<br />
wird durch die geschwächte Position des<br />
betrieblichen Datenschützers einen einlussreichen<br />
und starken Ansprechpartner für Fragen<br />
zum Beschäftigtendatenschutz verlieren. Dieses<br />
Vakuum muss der Betriebsrat aufangen. Er<br />
kann sich an die Aufsichtsbehörden wenden<br />
und / oder sachverständige Hilfe hinzuziehen.<br />
Was müssen Betriebsräte beachten, nachdem<br />
Safe Harbor gekippt wurde?<br />
Ist der Privacy Shield ein akzeptabler Ersatz?<br />
Der EU-US-Privacy Shield wird – jedenfalls in<br />
seiner jetzigen Form – kein vertrauenswürdiger<br />
Nachfolger des Safe Harbor-Abkommens<br />
werden. Allerdings gibt es aktuell keine wirklichen<br />
Alternativen. Auch Binding Corporate<br />
Rules (BCR) und Standardvertragsklauseln<br />
stehen auf dem Prüfstand und werden über<br />
kurz oder lang als Rechtsgrundlage für eine<br />
rechtmäßige Übermittlung personenbezogener<br />
Daten in Drittstaaten ausscheiden.<br />
Arbeitgeber werden daher künftig auf den<br />
Privacy Shield bauen müssen. Belegschaftsvertretungen<br />
ist zu raten, noch mehr als bisher im<br />
Blick zu behalten, auf welche Rechtsgrundlage<br />
der Arbeitgeber die Übermittlung von Beschäftigtendaten<br />
in die USA stützt. Es muss kritisch<br />
hinterfragt werden, ob ein unzulässiger Datentransfer<br />
vorliegt. Soweit dies der Fall ist,<br />
müssen Betriebsrat, Datenschutzbeauftragter<br />
und Arbeitgeber gemeinsam nach Lösungen<br />
suchen.<br />
Können Arbeitnehmerdaten überhaupt noch<br />
legal in die USA transferiert werden?<br />
Im Grunde nicht. Natürlich können wie auch<br />
bisher personenbezogene Daten über § 4 c<br />
BDSG in Drittländer transferiert werden. Dies<br />
kommt gemäß § 4 c Abs. 1 Nr. 2 BDSG beispielsweise<br />
dann in Betracht, wenn die Übermittlung<br />
zur Erfüllung des Arbeitsvertrags<br />
zwischen dem Betrofenen und der verantwortlichen<br />
Stelle erfolgt. Soweit also ein Mitarbeiter<br />
in die USA geschickt wird, so müssen<br />
auch bestimmte Daten übermittelt werden, um<br />
etwa eine Kontoeröfnung zu ermöglichen.<br />
Eine Auslagerung der Personaldatenverarbeitung<br />
ist in diesem Rahmen jedoch nicht<br />
möglich. Auch ein internationaler Konzern mit<br />
Sitz der Konzernmutter in den USA kann die<br />
Marc-Oliver Schulze ist<br />
Rechtsanwalt und Fachanwalt<br />
für Arbeitsrecht in<br />
der Kanzlei AfA Rechtsanwälte,<br />
die bundesweit<br />
ausschließlich Arbeitnehmer<br />
und Betriebsräte<br />
vertritt.<br />
kanzlei@afa-anwalt.de<br />
www.afa-anwalt.de<br />
37
Für alle, die mehr wissen wollen.<br />
Computer<br />
und Arbeit<br />
cua | it-mitbestimmung und datenschutz<br />
cua-web.de<br />
25. JAHRGANG<br />
ISSN 1863-8511<br />
D 11680<br />
7-8 | <strong>2016</strong><br />
Computer und Arbeit<br />
<strong>CuA</strong> | IT-MITBESTIMMUNG<br />
UND DATENSCHUTZ<br />
Mit Online-Archiv<br />
Neuaulage!<br />
Mit Online-Ausgabe<br />
betriebs-/personalratsbüro<br />
Grauzone<br />
des Datenschutzes<br />
videotechnik Gremiumssitzungen lassen sich auch virtuell durchführen<br />
social media Der digitale Wandel bietet Arbeitnehmervertretern reichlich Chancen<br />
europa Der neue EU-Datenschutz wirft bereits seinen langen Schatten voraus<br />
Mit Redaktions-Service Online<br />
Machen Sie jetzt<br />
den Gratis-Test!<br />
§<br />
Ihr gutes Recht:<br />
§<br />
»Computer und Arbeit« ist erforderliches Arbeitsmittel<br />
gemäß § 40 Abs. 2 BetrVG bzw. § 44 Abs. 2 BPersVG<br />
sowie den entsprechenden Vorschriften der LPersVG.<br />
Ganz nah dran.<br />
Ihr Partner im Arbeits- und Sozialrecht.