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16 | O-Ton: Sven Wassmer<br />
<strong>Genuss</strong><br />
<strong>kennt</strong> <strong>keine</strong><br />
<strong>Grenzen</strong><br />
Er jagt sein Team in den Wald, experimentiert mit Ameisen<br />
und degustiert sich wöchentlich durch die Ideen seiner<br />
Mitarbeiter. In der «Silver»-Küche von Sven Wassmer gehts<br />
ans Eingemachte. Interview: Sarah Kohler | Fotos: Jürg Waldmeier
O-Ton: Sven Wassmer | 19<br />
«Es gibt meiner Ansicht nach<br />
<strong>keine</strong> Region der Schweiz,<br />
die kulinarisch so viel hergibt<br />
wie das Bündnerland.»<br />
Seit Sie letzten Herbst zur «Entdeckung des Jahres» gekürt und mit<br />
Punkten, Sternen und Lob überhäuft wurden, bekommen Sie enorm<br />
viel Aufmerksamkeit. Hat Sie das verändert?<br />
Sven Wassmer: Nein, gar nicht. Wobei – doch. Ich bin gelassener<br />
geworden. Man muss es geniessen, dabei aber authentisch<br />
bleiben. Ich gebe mich, wie ich bin, und stehe zu meiner<br />
Message. Die kann ich dank der Publizität heute auch nach<br />
aussen tragen.<br />
Wie lautet sie denn, Ihre Botschaft?<br />
Ein wichtiges Anliegen ist mir die Nachhaltigkeit, die sich in<br />
meiner Arbeit zeigt. Ich finde es toll, auf 1250 Metern in alpiner<br />
Höhe zu kochen: Vals ist mein Garten. Mein Team und<br />
ich gehen raus, sammeln, was die Natur hergibt, und verkochen<br />
es direkt oder machen es ein. Ich habe aber auch sonst<br />
viel gesehen und tolle Beziehungen über die Landesgrenzen<br />
hinaus – zum Beispiel nach Norwegen zu einem Herrn, der<br />
nach Jakobsmuscheln taucht. Mein Verhältnis zu Fisch und<br />
Meeresfrüchten wurde während meiner Zeit in London neu<br />
geprägt, da war die Küste plötzlich nah und Seafood bekam<br />
eine andere Dimension. Entscheidend ist die Saison: Wenn Jakobsmuscheln<br />
Saison haben, kaufe ich sie auch fürs «Silver» ein<br />
und kombiniere sie mit Produkten aus der Umgebung. Das ist<br />
Teil meiner Message: Nicht nur Früchte oder Gemüse kennen<br />
eine Saison, sondern eben auch Fisch oder Krustentiere. Dann<br />
bin ich davon überzeugt: <strong>Genuss</strong> <strong>kennt</strong> <strong>keine</strong> <strong>Grenzen</strong>.<br />
Ein eingängiger Slogan.<br />
Der Satz ist kurz, aber wahr. Wobei man die eigene Region<br />
nie vernachlässigen darf.<br />
Aber von der Beschränkung auf regionale Zutaten halten Sie nicht viel?<br />
Ich interpretiere sie anders. Ich koche mit dem, was im Wald<br />
wächst und wir sammeln: Tanne und Moos, allerlei Beeren,<br />
Pilze, Wildkräuter ... Da kaufe ich nichts ein und finde, es<br />
liegt an uns, die Sachen zu ernten, wenn sie reif sind, und zu<br />
verarbeiten oder haltbar zu machen. Ich plane im Jahresturnus,<br />
da bin ich superregional. Auch beim Fleisch und Fisch orientiere<br />
ich mich in der Umgebung. Zum Glück gibts in Vals<br />
einen, der schottische Hochlandrinder züchtet – das Fleisch<br />
ist regional und qualitativ hochwertig. Regional bedeutet ja<br />
nicht automatisch eine hohe Qualität, und für mich muss schon<br />
beides stimmen. Das tut es auch bei den Saiblingen, die ich aus<br />
dem Zervreilasee bekomme, oder bei den Produkten aus der<br />
alpinen Fischzucht in Cumbel. Es gibt meiner Ansicht nach<br />
<strong>keine</strong> Region der Schweiz, die kulinarisch so viel hergibt wie<br />
das Bündnerland mit seinen Einflüssen aus Italien und Österreich.<br />
Die spielen seit jeher eine Rolle hier. In Vals wurde<br />
früher Käse gegen Salami getauscht. Eben weil <strong>Genuss</strong> <strong>keine</strong><br />
<strong>Grenzen</strong> <strong>kennt</strong>.<br />
Ihre Art zu kochen, sei eigen, sagen Sie. Wie ist das zu verstehen?<br />
Wenn ich meinen Kochstil beschreiben soll, sage ich immer:
Gerade mal 29 Jahre jung ist er – und wird bereits als Nachfolger eines ganz Grossen gehandelt:<br />
Gault & Millau kürte Sven Wassmer nicht nur zur aktuellen «Entdeckung des Jahres» und belohnte<br />
ihn auf Anhieb mit 17 Punkten, sondern verglich ihn in überschwänglichen Worten auch mit Andreas<br />
Caminada. Der erste Stern von Michelin folgte hintendrein. Das ist bemerkenswert, nicht aber<br />
wirklich erstaunlich, wenn man sieht, wie Wassmer die Karriereleiter steil, beharrlich und gleichwohl<br />
leichtfüssig emporklettert. Seinen eigenen Kochstil scheint der gebürtige Fricktaler längst gefunden<br />
zu haben – und der kommt gut an. Die Lehre absolvierte Wassmer im Swissôtel La Plaza in Basel,<br />
seine Sporen verdiente er sich in den Sterneküchen von Markus G. Lindner (damals «Mesa», Zürich)<br />
und von Caminada auf Schloss Schauenstein. Dann heuerte er im Restaurant Viajante des Town Hall<br />
Hotels in London an, wo er vier Jahre blieb und zuletzt als Souschef amtete. Anfang 2013 folgte er<br />
dem Ruf seines Freundes Nenad Mlinarevic nach Vitznau ins «Focus». Seit Dezember 2014 ist Wassmer<br />
Küchenchef im Restaurant Silver im 7132 Hotel, Vals. Dank Patron Remo Stoffel geniesst er viel<br />
Freiheit und kann das Gourmetlokal gemeinsam mit seiner Frau Amanda, die als Restaurantleiterin<br />
und Sommelière amtet, mit seiner unverkennbaren Handschrift prägen.<br />
7132 Hotel, Restaurant Silver, 7132 Vals, 058 713 20 00, www.7132.com
Yuba (Milchhaut), Walderdbeere, Cheesecake-Creme<br />
Saibling von Cumbel, Agedashi, Aubergine
O-Ton: Sven Wassmer | 23<br />
Sven Wassmer. Ich mag mich nicht festlegen oder in einen<br />
Rahmen pressen lassen. Ich will frei sein. Wobei es Eckpunkte<br />
gibt, die mir immer wichtig sind. Essen muss schmecken, sollte<br />
aber auch gesund und ausbalanciert sein. Obendrauf kommt<br />
die Kunst: Es soll toll aussehen. Alles spielt eine Rolle. Was liegt<br />
wie auf dem Teller? Und woher kommt es? Ich erzähle eine<br />
Geschichte – aus Erinnerungen von mir, um neue Erinnerungen<br />
zu schaffen.<br />
Eine wichtige Inspirationsquelle ist Ihre Grossmutter.<br />
Unbedingt. Ich wuchs damit auf, dass meine Oma und meine<br />
Mutter frisch kochten, im Garten ernteten, selber verarbeiteten<br />
und einmachten. Das war normal für mich, ich lernte damals<br />
viel. Umso schlimmer finde ich, dass heute in der Abschlussprüfung<br />
zum Koch Convenienceprodukte zugelassen sind. Wo<br />
bleibt der Berufsstolz? Wo das Handwerk? Es geht doch darum,<br />
dass ein Koch weiss, wie er etwas haltbar macht oder ein Tier<br />
zerlegt.<br />
Wie wählen Sie Ihre Mitarbeiter aus?<br />
Mit vielen arbeitete ich früher zusammen. Und sonst? Ich habe<br />
kein Schema. Entscheidend ist für mich die Freude; da muss<br />
ein Funke überspringen. Die Person soll etwas lernen wollen,<br />
motiviert sein. Gerade in meiner Küche, in der es jeden<br />
zweiten Morgen raus in den Wald geht, braucht es Menschen<br />
auf der gleichen Wellenlänge, die mit der Natur verbunden<br />
sind. Wir arbeiten auch nicht wirklich klassisch: Zwar hat jeder<br />
seinen Posten, aber es ist eher ein interaktives Konzept. Hat<br />
einer nichts zu tun, hilft er andernorts. Ein Turnus in meiner<br />
Küche dauert nicht lang; wer bei mir lernt, macht alle Stationen<br />
in zwei Jahren – dann erst versteht er mich und meine<br />
Arbeit richtig.<br />
Wie kommen Sie zu diesem Führungsstil?<br />
Er basiert auf meinen Erfahrungen. Ich machte mir sehr früh<br />
Gedanken, wie ich möchte, dass meine Küche eines Tages<br />
funktioniert.<br />
Wie denn?<br />
Harmonisch, ruhig, ohne Anschreien, mit Respekt. Dass man<br />
den Leuten mal Dampf machen muss, ist normal, aber nur<br />
wenn das Zwischenmenschliche passt, stimmen auch die<br />
Leistungen. Ich arbeitete in Küchen, in denen es schrecklich<br />
zuging, jenseits von Gut und Böse, da wurde beleidigt und<br />
wurden Teller in die Ecke zurückgeschmissen. Wenn ich mal<br />
lauter werde, dann nur, um die Leute zu wecken, nicht, um sie<br />
fertigzumachen.<br />
Tragender Teil des Konzepts ist das gemeinsame Sammeln.<br />
Die Zeit im Wald formt das Team und schweisst zusammen:<br />
Wir sind in der Natur, tauschen uns aus und erholen uns –<br />
während wir arbeiten. Zweimal pro Saison kommen auch die<br />
Servicemitarbeiter mit, damit sie wissen, welche Arbeit hinter<br />
den Gerichten steckt und woher die Zutaten stammen. Der<br />
Service ist ein wichtiger Bestandteil, er transportiert die Geschichte<br />
zum Gast. Ich habe eine wirklich tolle Brigade, und<br />
die brauche ich auf dem Niveau auch.<br />
Ihr Team und Sie stehen unter einem gewaltigen Erwartungsdruck –<br />
auch was die nächsten Wertungen angeht –, nicht?<br />
Natürlich nahm der Druck zu, als ich mit 17 Punkten einstieg.<br />
Ich kann damit aber gut umgehen, glaube ich, und gab den<br />
Stress nie ans Team weiter. Es hilft, dass ich unverfälscht bin:<br />
Wie ich koche, das bin ich. Wenn man mit seiner authentischen<br />
Art so viel erreicht, ist klar, dass funktioniert, was man tut. Ich
24 | O-Ton: Sven Wassmer<br />
«Wer weiss, vielleicht<br />
kommt in der nächsten Wertung<br />
ja sogar noch was dazu?»<br />
mache mir <strong>keine</strong> Sorgen, weil ich ja weiss, was mein Team<br />
leistet und kann. Nach links oder rechts schaue ich nicht, das<br />
lenkt bloss ab. Zum Glück kann ich hier am Ende der Welt<br />
mein Ding machen – und wer weiss, vielleicht kommt dafür<br />
in der nächsten Wertung ja sogar noch was dazu?<br />
Und der Vergleich mit Andreas Caminada? Ich stelle mir das nicht<br />
nur einfach vor.<br />
Ich komme ja aus seiner Küche raus, kochte zwei Jahre bei<br />
ihm – und war zu einem Zeitpunkt auf Schloss Schauenstein,<br />
als wir viel erreichten: Caminada erhielt den 19. Punkt, den<br />
dritten Stern und wurde zum zweiten Mal «Koch des Jahres».<br />
Ich konnte enorm viel mitnehmen, zum Beispiel die Erfahrung,<br />
wie es ist, wenn der Druck in einer Küche plötzlich<br />
steigt. Caminada zeigte, wie man ein Team in dieser Situation<br />
motiviert. Und er lehrte mich, dass die Details zählen. Essen,<br />
Service und Ambiente: Alles spielt eine Rolle.<br />
Sie verkaufen ein Gesamterlebnis, das eng mit Ihrer Person verknüpft<br />
ist. Es ist schon ein Privileg, dass Ihnen Patron Remo Stoffel hier völlig<br />
freie Hand lässt ...<br />
Ja. Es ist toll, hier zu arbeiten, in einem Betrieb, in dem investiert<br />
wird und man vorankommen möchte. Ich schätze es sehr,<br />
dass ich mich verwirklichen darf. Wenn da einer hintendran<br />
stünde, der Befehle erteilt, könnte ich meine Geschichte nicht<br />
erzählen.<br />
Nun gibts ja Stimmen, die finden, die Punkteleistung eines Kochs<br />
ohne Kostendruck sei weniger wert. Was sagen Sie dazu?<br />
Zu finanziellen Fragen sage ich nichts. Nur so viel: Ich sammle<br />
alle Kräuter, kaufe ganze Tiere ein, die ich vollständig verwerte,<br />
und produziere viel selbst, etwa Würste, Trockenfleisch oder<br />
Salsiz. Damit stehe ich besser da als mancher, der alles bestellt.<br />
Es ist nicht zwingend besonders teuer, was ich hier mache. Ich<br />
habe das Personal und die Zeit zur Verfügung, klar, aber die<br />
muss ich sorgfältig einteilen. Es liegt in meiner Verantwortung,<br />
dass mein Team nicht jeden Tag 16 Stunden buckelt.<br />
Teil der Crew ist auch Ihre Frau Amanda.<br />
Sie ist mein Gegenpart, ja, und es ist toll, dass wir zusammenarbeiten.<br />
Wir sind eine Einheit.<br />
Wir haben viel über Ihre Affinität zum Produkt gesprochen. Gibt es<br />
eins, das sie momentan total beschäftigt?<br />
Das ist eine schwierige Frage, so aus dem Stegreif heraus. Ameisen<br />
faszinieren mich sehr.<br />
Warum?<br />
Wegen ihrer Säure. Im Amazonas kocht man seit jeher mit<br />
Ameisen, und auch im «Nordic Food Lab» und im «Noma»<br />
in Kopenhagen gabs schon Versuche damit. Ich kenne mich<br />
nicht besonders gut aus mit Insekten, aber wenn wir in der<br />
Natur unterwegs sind, begegnen wir natürlich auch den grossen<br />
Waldameisenhaufen. Und kürzlich war ich allein draussen<br />
und dachte mir: Das ist die Chance! Ich schnappte mir eine<br />
Ameise und ass sie.<br />
Und?<br />
Ich war erstaunt, welche schöne florale Säure sie hat: wie die<br />
beste Zitrone, die man sich vorstellen kann. Sauer, aber doch
Souschef Mitja Birlo
26 | O-Ton: Sven Wassmer<br />
Kochen mit Weitblick: Sven Wassmer plant im Jahresturnus.<br />
irgendwie süss. Rund, blumig. Säure von einem Tier, das es<br />
zahlreich in unserer Umgebung gibt – das begeistert mich echt.<br />
Ich mache darum ein Gericht mit einer Ameisenvinaigrette.<br />
Zuerst mussten wir ja herausfinden, wie man die Tiere am<br />
besten abschöpft – mit dem nötigen Respekt. Wir bespritzen<br />
jetzt eine Gaze mit Zuckerwasser, legen sie auf den Haufen und<br />
packen sie, wenn sich die Ameisen darauf versammelt haben,<br />
in ein Tupperware.<br />
Wie steht es um Ihr Interesse an Kochtechniken?<br />
Damit befasse ich mich viel und gern, aber nicht im Sinne von<br />
avantgardistisch oder molekular oder so. Kochen ist immer<br />
Chemie und Physik, klar. Was mich mehr interessiert, ist der<br />
kulturelle Aspekt: eine Schnitttechnik, zum Beispiel, oder eine<br />
bestimmte Art des Garens. Besonders die japanische Küche<br />
inspiriert mich da sehr, weil sie das Produkt ins Zentrum und<br />
dann die Frage stellt, wie man dieses am besten verarbeitet. So<br />
mache ich das auch.<br />
Entscheidungen, klar, aber dafür sind die Leute ja auch hier:<br />
um zu lernen. Mir ist die Diskussion dennoch wichtig, und<br />
ich fordere meine Leute gern heraus, zum Beispiel mit dem<br />
«Freaky Sunday Project».<br />
Was ist das?<br />
Ich gebe meinem Team jeden Samstag ein Produkt vor – sagen<br />
wir: Tanne oder Kaviar oder Fischleber oder auch einfach<br />
Milch. Dann sind sie völlig frei. Am Sonntag stellt jeder ein<br />
Gericht vor, das er aufgrund der Vorgabe kreiert hat, wir degustieren<br />
uns quer durch, jeder erzählt, was er sich gedacht hat,<br />
wir diskutieren. Ich will, dass meine Köche übers Essen nachdenken.<br />
Und das Projekt ist sehr inspirativ – auch für mich.<br />
Wie viel dürfen Ihre Mitarbeiter da mitreden?<br />
Der Austausch ist das Herz jeder Küche und findet immer statt.<br />
Ich mache mir Gedanken, schreibe das Menü, fälle die finalen
«Unser Ziel war es,<br />
eine unauffällig auffällige<br />
Flasche zu entwerfen.»<br />
www.passugger.ch<br />
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