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Zucker, viel besser<br />
als sein Ruf<br />
Dem Zucker wurde zuletzt ordentlich<br />
Saures gegeben. Gefährlich sei er,<br />
wurde behauptet, weil er dick mache,<br />
weil er Diabetes fördere und Sucht auslöse.<br />
Sieht er nicht wie Kokain aus?<br />
Wer Zucker madig macht, rennt in einer<br />
Gesellschaft, die ihrem Essen und überhaupt<br />
dem Genuss mit Hassliebe gegenübersteht,<br />
offene Türen ein. Die Warnung vor dem Zucker<br />
mag wissenschaftlich auf wackligen<br />
Füßen stehen, doch ist sie wohlfeil und klingt<br />
zeitgemäß alarmistisch.<br />
Als Kronzeuge in der Sache Zucker gegen<br />
Gesundheit wird gewöhnlich Robert H. Lustig<br />
(61) aufgerufen, ein amerikanischer Professor<br />
für Neuroendokrinologie (hat nichts<br />
mit Zucker zu tun), dessen Wirken missionarische<br />
Züge trägt. Als der Spiegel titelte:<br />
„Droge Zucker“ (2012), berief er sich<br />
auch und vor allem auf Lustig.<br />
Wenn der Motor abstirbt<br />
Nun ist ein Buch erschienen, das der<br />
Verteufelung eines Naturwunders<br />
(das ist Glukose, also Traubenzucker)<br />
entgegentritt. „Die Zuckerlüge“ heißt<br />
es, erschienen im Verlag Ludwig. Die<br />
beiden Autoren, der Ernährungswissenschaftler<br />
Sven-David Müller und der<br />
ERNÄHRUNG Der Körper<br />
braucht ihn, der Geist erst recht:<br />
Warum ist der Zucker<br />
derart verteufelt worden?<br />
Journalist Detlef Brendel, widersprechen<br />
dem Vorwurf, Zucker trage maßgeblich zu<br />
leichtem und starkem Übergewicht bei.<br />
Seit 1970 liege der Pro-Kopf-Absatz von<br />
Zucker konstant bei 18 bis 20 Kilo im Jahr.<br />
Wenn sich im gleichen Zeitraum die Zahl der<br />
Übergewichtigen verdoppelt habe, könne dies<br />
schwerlich an einer angeblich immer zuckriger<br />
gewordenen Ernährung liegen. Vielmehr<br />
gehe im Zeitalter totaler Motorisierung der<br />
Anteil an selbstständiger Bewegung sträflich<br />
zurück, auch bei Kindern.<br />
„Ohne den Brennstoff Glukose“,<br />
schreiben Müller/Brendler,<br />
„würde unser Motor absterben.<br />
Wo der Zucker herkommt, ist unserem<br />
Körper egal. Ob Brot, Kartoffeln,<br />
Nudeln oder Zucker – der Mensch<br />
kann alle Kohlenhydrate in kleinste<br />
Zuckerbausteine zerlegen und als Energie<br />
nutzen.“<br />
Erst wer zu viel des Guten tut, sprich<br />
mehr futtert, als er durch Sport, körperliche<br />
Arbeit oder<br />
Sex abbaut, setzt<br />
Fettpolster an. Mit<br />
Zucker als solchem<br />
hat das nichts zu tun.<br />
Unsere Vorfahren wussten, was sie am Zucker<br />
hatten. Der Wissenschaftsjournalist<br />
Ranga Yogeshwar erklärte in einer TV-Sendung<br />
über das Einkochen von Obst: „Wir<br />
Menschen sind nicht die einzigen, die scharf<br />
sind auf süße Früchte. Unzählige Bakterien<br />
und Pilze machen sich daran zu schaffen.<br />
Doch gegen diese Invasion der Mikroben gibt<br />
es ein altes Hausrezept: Zucker, viel Zucker!“<br />
Tatsächlich schwingt das Pendel zurück<br />
zum Zucker. Warum? Weil er unverfälscht ist.<br />
„Iss nichts, was Zutaten enthält, die du<br />
nicht kennst!“, fordert der Food-Experte Michael<br />
Pollan. Getränke-Trendmarken wie<br />
Boylan Bottling oder Puck’s Fountain süßen<br />
aus Prinzip nur mit Rohrzucker. Pepsi und<br />
Coca-Cola werben wieder offen mit dem Zucker<br />
in ihren Getränken. Die Eismarke Häagen-Dazs<br />
propagiert „Echt oder gar nicht“.<br />
Zucker ist echt. Und gesünder als viele<br />
Kunstprodukte der Nahrungsmittelindustrie.<br />
Da setzt eine Entwicklung ein, die Prof.<br />
Lustig und andere Anti-Zucker-Kreuzzügler<br />
gar nicht lustig finden.<br />
dh<br />
Fotos: ulianna19970, Pixelbliss, D. Stalnuhhin/Fotolia<br />
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