Music, Body and Stage
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Im oben Gesagten (6. Brief) äußert sich Schillers Kulturpessimismus.<br />
Er spricht von der Entfremdung des<br />
Menschen von der Natur, von der Arbeitsteilung im Alltag,<br />
von der Spezialisierung des einzelnen. All das hat aus<br />
der Menschheit – so schreibt Schiller – eine Armee nützlicher<br />
Sklaven gemacht. Schiller vergleicht diese menschliche Arbeitsform<br />
mit der Mechanik eines kunstreichen Uhrwerks.<br />
Ehrlicherweise räumt Schiller allerdings ein, daß die<br />
großen technischen Fortschritte nur durch eine solche<br />
sinnentfremdende Arbeitsteilung bewirkt werden konnten.<br />
Dann stellt Schiller die Frage, wie die Entfremdung des<br />
Menschen von der Natur ausgeglichen werden könnte.<br />
Vom Staat Hilfe zu erwarten würde erfolglos sein, weil<br />
gerade der Staat diese mißlichen Zustände zuwege gebracht<br />
habe und man schwerlich erwarten könne, daß<br />
von ihm Hilfe kommen könnte; denn der Staat müßte<br />
sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen.<br />
Es liegt einzig und allein am einzelnen Menschen, denn<br />
jeder trägt in sich die Anlage und die Bestimmung eines<br />
idealistischen Menschen. Nun besteht der Mensch<br />
aus Trieben und Vernunft. Er ist ein Wilder, wenn seine<br />
Triebe – auch Gefühle genannt – über seine Vernunft<br />
herrschen. Das ist die vielbeschriebene Trieb- und Vernunftnatur<br />
des Menschen.<br />
Schiller fordert die Versöhnung<br />
der gegensätzlichen Kräfte von<br />
Gefühl und Verst<strong>and</strong>, Sinnlichkeit<br />
und Vernunft, also Natur und<br />
Rationalität. Erst dieser Ausgleich<br />
formt den gebildeten Menschen<br />
und gibt die Entscheidungsfreiheit<br />
wieder in die Hände des Menschen<br />
zurück, um z.B. seinen sittlichen<br />
Vorstellungen zu folgen.<br />
Also folgert Schiller:<br />
Der einzige Weg, auf dem sich der<br />
Mensch von der Vormundschaft des<br />
Staates und der Gesellschaft befreien<br />
könnte, ist, sich mit der Kunst zu beschäftigen.<br />
Wie können nun die ausein<strong>and</strong>ergeratenen Kräfte<br />
des Menschen zusammengeführt werden?<br />
Wie kann der Mensch wieder in Harmonie, in Einklang<br />
mit sich kommen?<br />
Das gelingt nach Schiller nur, wenn die Menschen durch<br />
die Kunst eine ästhetische Erziehung erhalten würden.<br />
Es ist der Versuch, durch Kunst und ästhetische Erziehung<br />
die getrennten Kräfte der Seele wieder zu vereinen,<br />
um so den ganzen Menschen in uns wiederherzustellen.<br />
Als Schlüssel zum Ganzen präsentiert uns Schiller seine<br />
Überlegungen zum menschlichen Spieltrieb (15. Brief).<br />
Nur durch den Spieltrieb geschieht die Vermittlung zwischen<br />
Sinnlichkeit und Vernunft; denn der Spieltrieb hat<br />
10<br />
von beidem etwas, vom Verst<strong>and</strong> und vom Gefühl.<br />
Und wörtlich:<br />
Der Weg zu dem Kopf geht nur durch das Herz. Denn, um es<br />
endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er<br />
in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz<br />
Mensch, wo er spielt.<br />
Schiller wußte sehr wohl, daß er hier den Boden der<br />
Wirklichkeit scheinbar verließ und sich in eine Utopie<br />
begab. Seine Erläuterung dazu ist aber einleuchtend:<br />
Wer sich über die Wirklichkeit nicht hinauswagt, der wird nicht<br />
die Wahrheit erobern.<br />
Schiller schwebt also nichts Geringeres vor, als die Krise<br />
der 1793 gegenwärtigen Kultur durch Kunst zu überwinden,<br />
genauer gesagt, durch Teilhabe der Menschen<br />
an der Kunst. Nach Schillers Ansicht sind im Spieltrieb<br />
Sinnlichkeit und Vernunft zugleich tätig.<br />
Aus dem Gesagten ergibt sich wohl einigermaßen zwingend,<br />
daß mit dem Spielen nicht nur das Spielen eines<br />
Instruments gemeint sein kann. Wäre nur diese Bedeutung<br />
gemeint, hätte dies Schiller deutlich angegeben. Da<br />
er die Einschränkung – Spielen auf einem Instrument -<br />
wegläßt und alle Menschen ausdrücklich anspricht, dabei<br />
aber die Kunst als die Basis angibt, können wir folgern,<br />
Albert Schweitzer an der Orgel<br />
daß er den ganzen Kunstbereich meint, also Malerei,<br />
Plastik, Architektur, Poesie und schließlich Musik.<br />
Es war für mich also naheliegend, uns als Orgelspieler<br />
mit dem spielenden Menschen zu identifi zieren. Ich meine<br />
uns Phil-Organisten oder Amateur-Organisten. Denn<br />
wir spielen ja im wahrsten Sinn des verwendeten Wortes.<br />
Ich hoffe, ich habe Ihnen einige für unser aller Selbstverständnis<br />
nützliche Gedanken darlegen können. Es ist<br />
für mich tröstlich, daß der Künstler-Philosoph Friedrich<br />
von Schiller vor über eineinhalb Jahrhunderten Überlegungen<br />
anstellte, die auch für uns heutige Menschen<br />
eine große seelische Hilfe bedeuten können.<br />
O. Zenner