Music, Body and Stage
Music, Body and Stage
Music, Body and Stage
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Operapoint<br />
Zeitschrift für Oper und Konzert - unabhängig - publikumsnah Jahrgang 8, Heft 2, 2008<br />
Einzelpreis Euro 4,80<br />
Festivaldaten in Deutschl<strong>and</strong> und Europa 2008<br />
Premierenkritiken zahlreicher Opernhäuser von Februar bis April 2008
Inhalt<br />
Tosca von Giacomo Puccini im Teatro dell’ Opera in Rom<br />
Olaf Zenner .................................................................................................................................................. S. 4<br />
Universität der Stadt New York: <strong>Music</strong>, <strong>Body</strong> <strong>and</strong> <strong>Stage</strong>-Konferenz<br />
Martin Knust .................................................................................................................................................S. 6<br />
Thema<br />
Warum machen Menschen Musik?<br />
Olaf Zenner ...................................................................................................................................................S. 8<br />
Interview mit dem portugiesischen Kulturstaatssekretär ........................S. 11<br />
Informationen aus aller Welt ..................................................................................................S. 13<br />
Zwei Meldungen von Johann Sebastian Bach<br />
Olaf Zenner .................................................................................................................................................S. 15<br />
Opernaufführungen im Ausl<strong>and</strong><br />
London, Lüttich, New York und Zürich++ .........................................................................................S. 16<br />
Opernaufführungen in Deutschl<strong>and</strong><br />
Aachen, Bayreuth, Berlin, Bonn, Bremen, Chemnitz, Dessau, Dortmund,<br />
Dresden, Duisburg, Erfurt, Essen, Gelsenkirchen, Greifswald, Koblenz, Köln,<br />
Krefeld, Stuttgart, München .....................................................................................................................S. 23<br />
Neue CDs ..........................................................................................................................................S. 48<br />
Impressum ...................................................................................................................................................S. 52<br />
Titelbild: Floria Tosca (Mirtò Papatanasiu) vor dem getöteten Scarpia (Silvio Zanon)<br />
2
Editorial<br />
Endlich einmal eine überzeugende Inszenierung einer veristischen<br />
Oper! Zum einhundertfünfzigsten Gegburtstag von Giacomo Puccini<br />
hat Franco Zeffi relli in der römischen Oper Tosca inszeniert, was wir<br />
zum Anlaß nehmen, das vorliegende zweite Heft des Jahrgangs 2008<br />
von Operapoint mit einer Rezension dieser denkwürdigen Aufführung zu<br />
eröffnen. Ein eindrucksvolles Szenenbild aus dem zweiten Akt der Oper<br />
ziert unser Heft.<br />
Eine ganz neue Perspektive in der Opernforschung bringt der Bericht über<br />
die Ikonographie der Oper. Dabei wird das aus der 400jährigen Geschichte<br />
der Oper überlieferte Bildmaterial musikwissenschaftlich gesichtet. Hier ist<br />
eine Verbindung zwischen Kunst- und Musikwissenschaft in die Tat umgesetzt.<br />
Häufi g wird über die Verbindung zwischen verschiedenen Kunstrichtungen<br />
referiert, doch selten kommt es zu einem tatsächlichen Austausch<br />
wie hier geschehen. Ohnehin ist die Oper eine Verbindung verschiedenster<br />
Künste. Wenn man das Singen in den Opern als Allerwichtigstes herausstellt,<br />
ist das eigentlich eine – mit Verlaub – schmalspurige Auslegung des<br />
Kunstwerks Oper oder Musiktheater.<br />
Damit Operapoint sich besser lesen läßt, haben wir ab jetzt eine neue<br />
Schrift gewählt und hoffen, daß auch Sie als unsere Leser es gut fi nden.<br />
Im Thema des Hefts: Warum machen Menschen Musik? werden Überlegungen<br />
angestellt, über die man sich normalerweise kaum Gedanken macht.<br />
Aber die allenthalben monierte Umweltverschmutzung hat noch eine<br />
Begleiterin: die die Menschen belastende Musikberieselung in Kaufhäusern,<br />
Hotelhallen, Aufzügen, Restaurants etc. Dabei kann der Mensch<br />
ja weder weghören noch seine Ohren verschließen, wie er das mit den<br />
Augen tut, die man nach Belieben schließen und wegdrehen kann. Aber<br />
noch etwas <strong>and</strong>eres ist anzumerken: die auf Tonträgern überall und zu<br />
jeder Zeit verfügbare Musik mit hervorragenden Interpreten läßt das eigene<br />
Musizieren mit Instrument oder Stimme stark in den Hintergrund<br />
treten. Daher ist es nach meinem Dafürhalten gut, über die Möglichkeit<br />
einer Harmonisierung der zwei Naturen im Menschen, der Gefühle<br />
(Triebe) und des Verst<strong>and</strong>es, mit Hilfe der Musik nachzudenken.<br />
Weiterhin fi nden Sie im Heft wieder zahlreiche Rezensionen aus dem<br />
Ausl<strong>and</strong> und Deutschl<strong>and</strong>. Wir werden diese kurzgefaßten Rezensionen<br />
noch vermehren, um Ihnen damit eine Möglichkeit an die H<strong>and</strong> zu geben,<br />
sich vor Ihrem Opernbesuch in knapper Form zu orientieren.<br />
Einige CD-Besprechungen beschließen das Heft.<br />
Im kommenden Heft 3 werden Sie sehr viele weitere CD- und DVD-<br />
Informationen fi nden. Gerade Opern-DVDs kommen ja in letzter Zeit<br />
in sehr großer Zahl auf den Markt.<br />
In der Hoffnung, daß Sie bei der Lektüre des Hefts Vergnügen haben<br />
und einiges Neues entdecken,<br />
verbleibe ich mit herzlichen Grüßen<br />
3
Tosca von Giacomo Puccini<br />
im Teatro dell’ Opera in Rom<br />
Dem vor einhundertfünfzig Jahren (1858) geborenen Giacomo Puccini erwies die römische Oper ihre Reverenz<br />
und spielte Tosca im Januar und April 2008 in jeweils zwei Serien von acht und fünf Aufführungen. Die Oper<br />
erlebte ihre Uraufführung am 14. Januar 1900 im Teatro Costanzi, heute Teatro dell’Opera. Den jetzt 85jährige<br />
Franco Zeffirelli kann man wohl zu den bekanntesten Opernregisseuren rechnen. Operapoint besuchte<br />
die letzte Aufführung am 27. April 2008, Zeffirelli war anwesend. La Tosca ist sicher die bekannteste aller<br />
Puccini-Opern, was wahrscheinlich auch auf den gleichnamigen Film von Brian Large 1992 mit Catharine<br />
Malfitano, Plácido Domingo und Ruggiero Raimondi zurückgeführt werden kann.<br />
Als Vorlage seiner Oper nahm Puccini ein seinerzeit<br />
berühmtes Theaterstück La Tosca von Victorien Sardou<br />
(1831-1908). Dieser französische Theaterdichter war<br />
bekannt für seine mit Überraschungscoups gewürzten<br />
Schauspiele. Puccini unterwarf seine Oper dem Stil des<br />
Verismo (vero-wahr), einem gegen Ende des 19. Jh.s<br />
in Mode stehenden Theaterstil. Beispiele dafür waren<br />
Cavalleria rusticana (Mascagni) und I Pagliacci-Der Bajazzo<br />
(Leoncavallo). Die H<strong>and</strong>lung sollte ungeschminkt<br />
dargestellt werden: den triebhaften Mensch in all seiner<br />
Grausamkeit, seinen Schwächen und Fehlern, kurz in<br />
seiner Unkontrolliertheit stellte man auf die Bühne.<br />
Nach seinen Welterfolgen mit Manon Lescaut und La<br />
Bohème brauchte Puccini fast zehn Jahre zur Komposition<br />
dieser Oper. Das war eine lange Zeit, doch das<br />
Resultat war gr<strong>and</strong>ios, allerdings nicht am Uraufführungstag<br />
in der römischen Oper.<br />
Wie immer lagen dem Mißerfolg verschiedene Ursachen<br />
zugrunde: Die wirtschaftliche Lage war in Italien<br />
nicht rosig, und man hatte mehrmals Attentate auf<br />
König Umberto I. verübt. Am 14. Januar 1900 hörte<br />
man in Rom von einer Bombendrohung in der Oper.<br />
Da konnte keine rechte Stimmung aufkommen, das Publikum<br />
nicht sonderlich begeistert werden! Tags darauf<br />
f<strong>and</strong>en sich in der Presse unterschiedliche Ansichten.<br />
Aber es dauerte nicht lange und die Oper wurde ein<br />
überwältigender Erfolg. Die sechzehn nachfolgenden<br />
Aufführungen in Rom waren sämtlich ausverkauft.<br />
Was macht diese Oper so anziehend? Die Ingredienzien<br />
für Sardous Tosca waren Sex, Sadismus, Religion und Kunst; sie<br />
wurden von der H<strong>and</strong> eines Meisterkochs gemischt und mit dem<br />
ganzen Gericht auf dem Tablett eines wichtigen historischen Ereignisses<br />
serviert, so Mosco Carner in seiner lesenswerten<br />
Biographie Puccini.<br />
Die Spannung des Stücks ergibt sich daraus, daß Puccini<br />
die alte Regel (nach Aristoteles) angewendet und das<br />
Schicksal dreier Personen an einem einzigen Tag und<br />
am gleichen Ort Rom (die Kirche San Andrea della Valle,<br />
der Palazzo Farnese und die Engelsburg) schildert.<br />
4<br />
Es war der 14. Juni 1800, als die Österreicher unter General<br />
Melas dem französischen Heer unter Napoleon<br />
Buonaparte bei Marengo (bei Aless<strong>and</strong>ria, Norditalien)<br />
gegenüberst<strong>and</strong>en. Am Vormittag siegten zunächst die<br />
Österreicher, doch konnte Napoleon am Nachmittag<br />
das Kriegsglück zu seinen Gunsten wenden.<br />
Vor dem einschneidenden historischen Ereignis dieser<br />
Schlacht (Italien wurde danach vierzehn Jahre von<br />
Frankreich beherrscht) spielt sich das für alle drei Personen<br />
tödliche Drama ab.<br />
Kurzinhalt<br />
Die ebenso schöne wie berühmte Sängerin Floria Tosca<br />
liebt den Maler Mario Cavaradossi, doch Baron Scarpia,<br />
Polizeichef von Rom, will Tosca besitzen. Der Zufall<br />
und Toscas grundlose Eifersucht gegenüber ihrem Mario<br />
kommen Scarpia zu Hilfe. Da Cavaradossi Cesare<br />
Angelotti Unterschlupf gewährt (dieser war Anhänger<br />
Napoleons und aus der Engelsburg entfl ohen), wird<br />
er verhaftet und gefoltert, um Angelottis Fluchtort zu<br />
verraten. Diese Folterung muß Tosca miterleben. Unter<br />
dem Druck verrät sie Angelottis Versteck. Der Preis<br />
ihres Verrats: sie kann mit Cavaradossi Rom verlassen,<br />
muß sich aber dafür Scarpia hingeben. Doch sie ersticht<br />
Scarpia und eilt zur Engelsburg, wo man Cavaradossi<br />
gefangenhält. Dieser mußte sich, um den äußeren<br />
Schein zu wahren, einer Scheinerschießung unterwerfen.<br />
Aber Cavaradossi stirbt im Kugelhagel. In Scarpias<br />
Palazzo Farnese entdeckt man den toten Scarpia. Die<br />
Gefolgsleute Scarpias eilen zur Engelsburg, aber Tosca<br />
springt von deren Plattform hinab in den Tod.<br />
Die Aufführung<br />
Wie gelang Zeffi relli die Umsetzung dieser schon zigmal<br />
auf die Bühne gebrachten Oper?<br />
Hören wir seine Ansicht, die er in einem längeren Interview<br />
gegenüber Michele Mirabella geäußert hat. Es steht<br />
im Opernprogrammheft, das in vorbildlicher Weise den<br />
gesamten Operntext mit eingestreuten ansprechenden<br />
Kommentaren zur Musik aufweist. Hier - nicht ganz
wortgetreu – einige Äußerungen Zeffi rellis:<br />
Wir sind im Verismo, alles wird also beschrieben: die Seelenzustände<br />
der Personen, ihre Akzente beim Singen, ihre Gebärden.<br />
All das fi ndet sich im Operntext und in der Musik. ….<br />
Ich sage es in aller Offenheit: es gibt eine Menge Narren, die sich<br />
die Willkür erlauben, zu ändern oder zu vereinfachen, was Puccini<br />
vorgegeben hat. Die Regisseure sollten gut die Geschichte erzählen,<br />
und zwar weniger das, was sie in der Tradition fi nden, als was<br />
Puccini geschrieben hat. Die Oper unserer Zeit anzupassen kann<br />
funktionieren, es ergibt aber ein mageres Resultat.<br />
Genau danach hat Zeffi relli geh<strong>and</strong>elt. Beim Öffnen<br />
des Vorhangs blickt man auf den Altar der Kirche San<br />
Andrea della Valle, Angelotti kann hinter dem Gitter der<br />
Attavanti-Kapelle links verschwinden, das Malergerüst<br />
mit dem fast vollendeten Madonnenbild steht gegenüber.<br />
Das Tableau (Bild, s. Abb.) zum Schluß des ersten Akts<br />
zeigt den hohen Kirchenraum übervoll mit Volk, vielen<br />
Geistlichen und Ministranten in Anwesenheit des Kardinals.<br />
Beim Aufrauschen von Orgel und Chor beim Gesang<br />
des Te Deum befi ndet man sich wirklich in einer Kirche.<br />
Man riecht den reichlich gespendeten Weihrauch.<br />
Ein recht verst<strong>and</strong>ener Verismo, meine ich! In gleicher<br />
Weise auch die beiden folgenden Akte: Scarpias Residenz<br />
als bibliothekähnlicher Arbeitsraum in dunklem Holz getäfelt,<br />
zuletzt die Plattform der Engelsburg.<br />
Hervorragend alle Sänger, auch die Nebenrollen: Myrtò<br />
Papatanasiu als Tosca, Giuseppe Gipali (Cavaradossi),<br />
Silvio Zanon (Scarpia) und Francesco Facini (Angelotti)<br />
singen ausgezeichnet. Die Darstellung, bei Zeffi relli<br />
genau nach der Musik ausgerichtet, bringen alle Protagonisten<br />
zwingend nachvollziehbar – besonders in der<br />
Begegnung Tosca/Scarpia – zum Ausdruck. Besonders<br />
gelingt Zeffi relli die letzte Szene: Cavaradossis Gefäng-<br />
5<br />
nis ist zunächst unterhalb der Plattform der Engelsburg.<br />
Nach dem ungemein gut vorgetragenen Klagegesang<br />
Cavaradossis: E lucevan le stelle – und die Sterne glänzten,<br />
der nach frenetischem Applaus wiederholt wird (eine<br />
Encore-Wiederholung habe ich seit über zehn Jahren<br />
nicht mehr erlebt!) und nach Cavaradossis und Toscas<br />
Hymne trionfal di nova speme – in Triumph und neuer<br />
Hoffnung fährt die Hebebühne die beiden hoch auf<br />
die Plattform: sie werden sich im Himmel wiedersehen,<br />
kann man sich vorstellen.<br />
Bleibt noch zu erwähnen, daß Franco Zeffi relli bei geöffnetem<br />
Vorhang, also vor dem Bühnenbild und vor allen<br />
Sängern, gemeinsam mit Gianluigi Gelmetti (der großartig<br />
das Riesenorchester leitet) erscheint, um sich bei Sängern,<br />
dem Chor, seinen Mitstreitern und dem Publikum<br />
Schlußbild (Tableau) des 1. Akts mit Volk, Ministranten, Würdenträgern (in Altarnähe) und dem Kardinal mit Monstranz<br />
für das jedesmal ausverkaufte Opernhaus zu bedanken,<br />
eine ungemein sympathische Geste, wie mir scheint.<br />
Ich bin überzeugt: eine veristische Oper sollte man auch<br />
veristisch auf die Bühne bringen. Sollte jem<strong>and</strong> meinen,<br />
ich hätte einem musealen Kostümfest beigewohnt, so sei<br />
daran erinnert, daß Fernsehübertragungen vom Balkon<br />
des Petersdoms (mit allen Kardinälen im Ornat) mehr<br />
als eine Milliarde Zuschauer verfolgen, die die ehrwürdige<br />
Zeremonie kaum als museal empfi nden.<br />
O. Zenner Bild: Corrado Maria Falsini<br />
Giacomo Puccini: Tosca, Libretto: L. Illica und G. Giocosa.<br />
nach dem Theaterstück La Tosca von Victorien Sardou<br />
Regie/Bühnenbild: Franco Zeffi relli, Kostüme: Anna Biagiotti,<br />
Licht: Aless<strong>and</strong>ro Santini Dirigent: Gianluigi Gelmetti, Orchester<br />
und Chor des Teatro dell’Opera; Solisten: Myrtò Papatanasiu<br />
(Floria Tosca), Giuseppe Gipali (Mario Cavaradossi), Silvio<br />
Zanon (Baron Scarpia), Francesco Facini (Cesare Angelotti),<br />
Matteo Ferrara (Mesner), Claudio Barbieri (Spoletta), Antonio<br />
Taschini (Sciarrone), Massimo Mondelli (Gefängniswärter)<br />
Besuchte Vorstellung: 27. April 2008 (Premiere: 14. 01.2008)
Universität der Stadt New York<br />
<strong>Music</strong>, <strong>Body</strong> <strong>and</strong> <strong>Stage</strong> - Musik, Körper und Bühne<br />
Die Ikonographie von Musiktheater und Oper vom 11.-14. März 2008<br />
10. Konferenz des Research Center for <strong>Music</strong> Iconography (RCMI) und<br />
12. Konferenz des Répertoire International d’Iconographie <strong>Music</strong>ale (RIdIM)<br />
Die Ikonographie ist ursprünglich eine kunstwissenschaftliche<br />
Disziplin gewesen. Sie beschäftigt sich üblicherweise<br />
mit dem Sichten und Interpretieren von Bildquellen,<br />
die – nicht selten aufgrund ihres hohen Alters<br />
– viele Informationen enthalten, die sich nur durch die genaue<br />
Kenntnis der historischen Hintergründe und durch<br />
Vergleiche unter den Quellen erkennen lassen. Hervorragende<br />
Beispiele sind etwa die religiösen Gemälde des<br />
Mittelalters, bei denen die Farben und verwendetenSymbole mitunter einen ganz <strong>and</strong>eren, verborgenen Sinn ha-<br />
ben als uns auf<br />
den ersten Blick<br />
deutlich ist.<br />
Im Bereich<br />
der Musikforschung<br />
hat<br />
diese Art der<br />
Bildinterpretation<br />
in den<br />
letzten Jahren<br />
stark an Bedeutunggewonnen.<br />
Wichtige<br />
Gründe dafür<br />
sind zum einen,<br />
daß es<br />
eine Fülle von<br />
Musiker- und<br />
Musikdarstellungen<br />
aus den vergangenen Jahrhunderten gibt, zum<br />
<strong>and</strong>eren, daß diese Darstellungen – man denke nur an<br />
die ägyptische oder römische Antike – mitunter das einzige<br />
sind, was von dem Musikleben alter Kulturen noch<br />
erhalten ist.<br />
Auf dem New Yorker Kongreß ging es nun nicht ganz<br />
so weit in die Vergangenheit zurück, denn die Oper ist<br />
ja eine „erst“ 400 Jahre alte Gattung. Aber selbst, wenn<br />
man nur ein Jahrhundert in der Geschichte zurückblickt,<br />
lassen sich noch echte Entdeckungen machen,<br />
die unsere Sicht auf diese Epoche verändern. Zu dieser<br />
viertägigen Konferenz waren Vortragende aus allen<br />
Erdteilen angereist, u.a. aus Brasilien, der Türkei, China<br />
und Neuseel<strong>and</strong>. Insgesamt 68 Vorträge wurden gehal-<br />
Die Universität in New York mit Triumphbogen (Washington Arch)<br />
6<br />
ten, von denen im folgenden nur eine kleine Auswahl<br />
vorgestellt werden kann.<br />
Pierluigi Petrobelli (Rom) gab anh<strong>and</strong> der verschiedenen<br />
Traditionen von Inszenierungen der Opern Giuseppe<br />
Verdis einen Überblick über die Vielzahl von Fragen, die<br />
auftauchen, wenn man schlicht versucht, die Dekorationen<br />
der Verdi-Zeit zu rekonstruieren, und wie schwierig<br />
es ist, Bezüge zwischen Musik und Bühnenbild im allgemeinen<br />
herzustellen. Richard Leppert (Minneapolis)<br />
legte in seiner Interpretation von Werner Herzogs Film<br />
Fitzcarraldo unter<br />
<strong>and</strong>erem<br />
dar, wie hierbei<br />
spielerisch mit<br />
alten Inszenierungsformen<br />
der Oper umgegangen<br />
wird,<br />
wie die Musik<br />
als eine unkörperliche<br />
Kunst<br />
gewissermaßen<br />
eine Hauptrolle<br />
in einem Film<br />
spielen kann.<br />
Das die Tagung<br />
beschließende<br />
Referat von<br />
Tilman Seebass<br />
(Innsbruck) präsentierte eine Vielzahl von Bilddokumenten<br />
zum Musiktheater um 1900, etwa Alfred Rollers<br />
Dekorationen zu Richard Strauss’ Opern oder Arnold<br />
Schönbergs Bilder und Entwürfe zu seinen Musikstücken,<br />
in denen den Farben und ihrem Zusammenhang<br />
mit der Musik eine enorm wichtige Rolle zukommt.<br />
Die Vorträge von Thomas Betzwieser, Anno Mungen<br />
(beide Bayreuth) und Martin Knust (Greifswald) setzten<br />
sich mit der Gestik auf der Opernbühne des späten 18.,<br />
19. und frühen 20. Jahrhunderts ausein<strong>and</strong>er. Christine<br />
Fischer (Zürich) und Nicole Lallement (Paris) stellten<br />
Bildquellen des 17. und 18. Jahrhunderts und ihre<br />
Auslegung vor, wovon aus dieser Zeit Kupferstiche und<br />
Zeichnungen von Architektur, Bühnenbild und Kostüm
des damaligen Musiktheaters Zeugnis ablegen.<br />
Doch nicht nur die Methodik der Auslegung, auch die<br />
Art der Quellen ist ungeheuer vielfältig. So wurden in<br />
mehreren Vorträgen Karikaturen von Opernsängern,<br />
Inszenierungen und Komponisten als wichtige Quellen<br />
der zeitgenössischen Publikumsreaktionen wie auch<br />
der Aufführungen an sich herausgestellt, etwa von Clair<br />
Rowden (Cardiff), Anita S. Breckbill (Lincoln/Nebraska)<br />
oder Anna Maria Ioannoni Fiore (Pescara, Italien).<br />
Neben zweidimensionalen Darstellungen wie Portraits,<br />
Medaillons, Postkarten usw. gibt es seit dem 18. Jh. kleine<br />
Porzellanfi gürchen von berühmten Sängerinnen, Fan-<br />
Artikel des beginnenden Primadonnenkults, die Berta<br />
Joncus (Oxford) in ihrem Vortrag vorstellte. Außergewöhnlich<br />
ist auch eine spezifi sch portugiesische Tradition<br />
der Darstellung von Musikern, nämlich in Form von<br />
Zeichnungen auf Kacheln – das Verfahren stammt, wie<br />
man an den blauen Zeichnungen auf weißem Grund sofort<br />
erkennt, aus den Niederl<strong>and</strong>en – mit denen die Gärten<br />
und Räume von Palästen ausgestattet wurden, was<br />
wiederum auf maghrebinische oder arabische Einfl üsse<br />
zurückgehen dürfte. Hierzu gab es zwei Vorträge von<br />
Daniel Tércio sowie Luís Sousa und Luzia Rocha (alle<br />
aus Lissabon).<br />
Welch großen Einfl uß auf<br />
die akustischen und optischen<br />
Möglichkeiten eines Theaters<br />
die Architektur von Bühne<br />
und Zuschauerraum hat,<br />
zeigte Dorothea Baumann<br />
(Zürich) in ihrem äußerst materialreichen<br />
Vortrag.<br />
Schließlich ist noch zu erwähnen,<br />
daß es nicht nur<br />
um das Musiktheater im<br />
traditionellen Sinne ging,<br />
sondern auch um – teilweise<br />
alterwürdige – Traditionen<br />
wie Begräbnisriten und<br />
religiöse Prozessionen etwa<br />
in Brasilien und der Slowakei,<br />
und um das <strong>Music</strong>al<br />
und die Inszenierung von<br />
Rockb<strong>and</strong>s auf der Bühne.<br />
Schließlich wurde auch die<br />
bildliche Selbstinszenierung<br />
von Dirigenten, die Mitte<br />
des 19. Jahrhunderts einsetzte,<br />
unter die Lupe genommen,<br />
etwa, wie das zeitgenössische<br />
englische Publikum<br />
Hans Richter wahrnahm (Holly<br />
Matthieson, Neuseel<strong>and</strong>)<br />
oder wie fi lmische Dokumente<br />
von Willem Mengelbergs Diri-<br />
Die Karikatur zeigt Jules Massenet (1864-1912) und dessen<br />
Geliebte, die Sopranistin Sybill S<strong>and</strong>erson (1865-1903).<br />
Der Komponist hatte die Titelrolle der Thaïs extra für die<br />
S<strong>and</strong>erson geschrieben, wodurch die Oper 1894 einen enormen<br />
Erfolg hatte. Der Karikaturist macht sich lustig über die<br />
Vorhersehbarkeit des Erfolges der Oper, da Massenet durchweg<br />
auf der Welle der Kritik der damaligen Zeit schwamm.<br />
7<br />
gat zu lesen sind (Emile G.J. Wennekes, Utrecht).<br />
Unmöglich dürfte es sein, die zahlreichen disparaten<br />
Themen und Ergebnisse knapp zusammenzufassen. Allerdings<br />
wurden mehrere grundlegende Dinge bei dieser<br />
Konferenz deutlich:<br />
1. Nicht nur im Bereich der Alten Musik ist eine eingehende<br />
Auswertung der ikonographischen Quellen sinnvoll und<br />
fruchtbar. Das 19. und frühe 20 Jh. ist uns in dieser Hinsicht<br />
oft fremdartiger und ferner als wir gemeinhin annehmen.<br />
2. Längst sind noch nicht alle Quellen, ja noch nicht<br />
einmal alle Quellentypen erfaßt. Gleichwohl lassen die<br />
durch das RIdIM und RCMI bereits erfaßten und katalogisierten<br />
Bestände in einer vor wenigen Jahrzehnten<br />
noch nicht geahnten Weise Deutungen und ein neues<br />
Verständnis des Musiktheaters zu und erlauben dem<br />
heutigen Forscher sichere Urteile auf diesem Gebiet.<br />
3. Die interdisziplinäre Arbeit ist bei all den präsentierten<br />
Forschungsvorhaben Programm. So fl ießen in der Musik-<br />
Ikonographie Kunst- und Musikwissenschaft zusammen.<br />
Doch es gilt nun, den Blick auch mit Hilfe <strong>and</strong>erer Disziplinen<br />
zu schärfen, z.B. Architekturgeschichte, Akustik,<br />
Literatur-, Film- und Theaterwissenschaft, Theologie,<br />
Soziologie u.v.a. Nicht, daß<br />
es darum gehen würde, den<br />
Gegenst<strong>and</strong> völlig ausufern<br />
zu lassen, ganz im Gegenteil.<br />
Wie bei der guten Analyse<br />
eines Musikstückes gilt auch<br />
hier: Jedes Stück verlangt<br />
nach einer besonderen, angemessenen<br />
Weise des Zugriffs.<br />
Eine Methode, die bei dem<br />
einen Stück, z.B. einer Bachfuge,<br />
zu interessanten Resultaten<br />
führt, muß das nicht bei<br />
einer Verdi-Arie tun.<br />
Den Veranstaltern, von denen<br />
stellvertretend hier nur<br />
Antonio Balsassare (Wien),<br />
der Vorsitzende der Commission<br />
mixte des RIdIM,<br />
und Zdravko Blazekovic<br />
(New York) vom RCMI<br />
genannt seien, ist mit Nachdruck<br />
für ihre immensen<br />
Anstrengungen zu danken,<br />
eine derart reichhaltige und<br />
befl ügelnde Konferenz zu<br />
organisieren, die einen tiefen<br />
und globalen Einblick in die<br />
Entwicklung und den Forschungsst<strong>and</strong><br />
einer jungen wissenschaftlichen<br />
Disziplin erlaubte. M. Knust
Warum machen Menschen Musik?<br />
In Ingolstadt (Bayern) f<strong>and</strong> vom 26.-29. März 2008 das jährliche Treffen von nicht hauptberuflich<br />
tätigen Organisten statt. In diesem Jahr feierte man das 30jährige Bestehen des Treffens. Im Hauptberuf<br />
sind diese Menschen Juristen, Verwaltungsangestellte, Ärzte, Lehrer, Architekten etc. In ihrer<br />
Freizeit üben sie sich im Orgelspielen. In Seminaren werden dann unter Aufsicht eines Dozenten<br />
(hier Professor Edgar Krapp von der Münchner Musikhochschule) Kompositionen von Bach, Reger<br />
usw. erarbeitet. Bei der Festansprache versuchte ich, den Sinn unseres Musizierens herauszustellen<br />
und auf die einfach erscheinende Frage, warum wir Orgel spielen, eine Antwort zu finden. Aber<br />
letztendlich ging es mir um eine umfassende Überlegung hinsichtlich des Verhältnisses des Menschen<br />
zur Kunst und insbesondere zur Kunstausübung.<br />
Wenn ich mir hier erlaube, einige Gedanken zu äußern<br />
zur Frage, warum Menschen überhaupt Musik machen,<br />
so möchte ich unsere Beschäftigung mit dem ehrwürdigen<br />
Instrument Orgel als unsere<br />
Teilnahme an der Musik und<br />
überhaupt an der Kunst im Leben<br />
des Menschen herausstellen.<br />
Die hierzu geäußerten Überlegungen<br />
sind die Frucht der<br />
Ausein<strong>and</strong>ersetzung von dreißig<br />
Jahren. Ich äußere mich hier als<br />
Amateurorganist und als Arzt.<br />
Als Arzt muß ich aber auch Realist<br />
sein. Denn ohne eine realistische,<br />
wirklichkeitsbezogene<br />
Haltung kann ich ja als Arzt nicht<br />
überleben. Im Blickwinkel habe<br />
ich die gew<strong>and</strong>elte kulturelle<br />
Auffassung, als Folge der geänderten<br />
technischen Bedingungen<br />
– denken Sie nur an den Computer<br />
oder das Internet – sowie<br />
die mir grundsätzlich geändert<br />
erscheinende Lebensauffassung<br />
in unserem L<strong>and</strong>.<br />
Vielleicht waren Sie schon einmal<br />
in Rom und st<strong>and</strong>en vor<br />
der schmucklosen Fassade von<br />
Santa Maria sopra Minerva, die<br />
sich ganz in der Nähe des römischen<br />
Pantheons befi ndet. Auf<br />
dem kleinen Platz vor der Kirche<br />
steht ein seltsames Denkmal: es<br />
zeigt einen Elefanten mit überlangem Rüssel, auf dessen<br />
Rücken sich ein Obelisk aus dem 6. Jh. vor Christus<br />
befi ndet. Das Denkmal geht auf den großen römischen<br />
Baumeister Bernini zurück. Folgende Inschrift steht auf<br />
dem Sockel dieses kleinen Elefanten:<br />
Documentum intellige robustae mentis esse solidam sapientiam sustine-<br />
Der Elefant von Bernini vor der Kirche Santa Maria<br />
sopra Minerva mit der zitierten Inschrift<br />
8<br />
re – Begreife als Symbol, daß es eines starken Verst<strong>and</strong>es bedarf, die<br />
gesunde Wahrheit zu ertragen. (Das Symbol ist der Elefant mit Obelisk).<br />
Sie fragen sich wohl, was das mit unserer Frage nach der<br />
Beschäftigung mit Musik zu tun<br />
hat? Nun, es sollte die aufwendige<br />
Suche nach dem wahren<br />
Beweggrund unterstreichen, der<br />
einige Menschen wie die hier<br />
anwesenden Teilnehmer des<br />
Orgelkurses dazu veranlaßt, viel<br />
Zeit und Anstrengung auf das<br />
Aneignen der technischen und<br />
künstlerischen Seite des Orgelspielens<br />
zu verwenden, und das<br />
Ganze ohne Aussicht auf Ehre<br />
oder große materielle Güter.<br />
Hier also meine Frage: Warum<br />
üben wir uns sozusagen absichtslos<br />
und ohne konkretes Ziel im<br />
Orgelspielen – oder allgemein –<br />
warum spielen Nichtberufsmusiker<br />
mit einer so großen Ernsthaftigkeit<br />
ein Instrument?<br />
Es würde hier zu weit führen,<br />
individuelle Antworten auf diese<br />
Fragen aufzuzählen und sie<br />
im einzelnen zu analysieren.<br />
In den zurückliegenden dreißig<br />
Jahren suchte ich in den Kulturwissenschaften,<br />
in der Musikwissenschaft,<br />
in der allgemeinen<br />
Geschichte, in soziologischen<br />
Abh<strong>and</strong>lungen und nicht zuletzt<br />
in Gesprächen mit den Kursteilnehmern, eine Antwort<br />
auf die oben gestellte Frage zu bekommen. Denn es<br />
müßte doch irgendeinen wichtigen Grund geben, warum<br />
Menschen die Mühe auf sich nehmen, lang<strong>and</strong>auernd<br />
auf harten Bänken und in kalten Kirchen Orgel zu<br />
üben. Man macht nicht jahrelang etwas, was doch kei-
neswegs oberfl ächlich im Sinne eines Hobbys vonstatten<br />
geht, ohne daß wichtige menschliche Lebensimpulse dahinterstecken.<br />
Das eben ist die Suche nach der Wahrheit, die ich oben<br />
mit dem Beispiel des Bernini-Elefanten versuchte, Ihnen<br />
deutlich zu machen.<br />
Wie gesagt, ich suchte und f<strong>and</strong> in den üblichen fachspezifi<br />
schen Kategorien nichts, gar nichts!<br />
Nach der aussichtslosen Suche wurde mir klar, daß die<br />
Beantwortung dieser einfach anmutenden Frage in der<br />
Philosophie liegen müßte. Wir erinnern uns, Philosophie<br />
heißt: Liebe zur Weisheit, d.h. die hingebungsvolle<br />
Beschäftigung mit der Weisheit. Demzufolge müßten<br />
wir Amateurorganisten uns eigentlich<br />
Phil-Organisten nennen, da wir uns ja<br />
mit dem Orgelspielen hingebungsvoll<br />
beschäftigen.<br />
Langsam wurde mir klar, daß ich meine<br />
Suche auf eine Person konzentrieren<br />
müßte, die sowohl auf dem Terrain der<br />
Philosophie als auch auf künstlerischem<br />
Gebiet sich umgetan hat. So entdeckte<br />
ich den Dichter Friedrich von Schiller als<br />
Philosophen und kam auf dessen philosophisches<br />
Hauptwerk mit dem Titel:<br />
Über die ästhetische Erziehung des Menschen<br />
in einer Reihe von Briefen.<br />
Schiller schrieb von 1793-1795 diese<br />
siebenundzwanzig Briefe zunächst an<br />
seinen Gönner, den Prinzen Friedrich<br />
Christian von Schleswig-Holstein-Sonderberg-Augustenburg<br />
und erweiterte sie später noch<br />
etwas. Vergegenwärtigen Sie sich bitte, daß diese Briefe<br />
1793, also vor genau 214 Jahren geschrieben wurden. Sagen<br />
Sie aber nicht, was haben uns diese alten Schriften<br />
denn heute noch zu sagen? Denn Sie sollten sich in Erinnerung<br />
rufen, daß der weitaus größte Teil der Musik, die<br />
wir heute spielen und studieren, aus dieser Zeit stammt.<br />
Ich werde diese inhaltsschweren Briefe natürlich nur im<br />
Inhalt streifen können und daraus einige Ausschnitte zitieren.<br />
Um es vorweg zu sagen, sie h<strong>and</strong>eln im Kern um<br />
die Harmonisierung der zwei Kräfte, die in jedem Menschen<br />
vorh<strong>and</strong>en sind: den Trieben oder den Gefühlen<br />
bzw. dem Geist oder dem Verst<strong>and</strong>.<br />
Wiederum sollten wir uns vergegenwärtigen, daß wir<br />
heute, 2008, in einer Zeit des völligen Werteverfalls leben,<br />
daß bedrohliche Angriffe auf unsere Nation vor der<br />
Tür stehen, daß unser christliches Weltbild, unsere Religion<br />
also, und damit natürlich auch unser Orgelspiel, vor<br />
einer säkularen Ausein<strong>and</strong>ersetzung stehen.<br />
Schillers Briefe wurden vier Jahre nach der Französischen<br />
Revolution von 1789 verfaßt, im gleichen Jahr, in dem<br />
man grundlos König Ludwig XVI. guillotiniert hatte.<br />
Schiller war tief enttäuscht von dieser Entwicklung und<br />
F. Schiller (1759-1805)<br />
Gemälde von Ludovike Simanowiz (1794)<br />
9<br />
den sich damals ereignenden Greueltaten der Massen.<br />
Der gemeinsame Gedanke, der das Gerüst dieser Briefe<br />
letztlich darstellt, ist der Versuch, in einem gegenüber<br />
dem Absolutismus verbesserten Staatsgebilde einen vernunftgeleiteten,<br />
aber auch gemütvollen Menschen zu<br />
entwickeln und ihn in ein ebenso geordnetes Staatsgebilde<br />
einzubeziehen.<br />
Ich habe aus der Fülle des Materials die Gedanken von<br />
Schiller herausgearbeitet, in der die Beteiligung des Menschen<br />
an der Kunst eine besondere Stellung einnehmen.<br />
Kein Philosoph oder <strong>and</strong>erer Schriftsteller nach Schiller hat<br />
nach meinem Dafürhalten je wieder so dezidiert und überlegt<br />
den Menschen hinsichtlich der Kultur sowie der Kunst<br />
und seiner Teilhabe daran dargestellt.<br />
Schillers Ansicht wurde von tiefer<br />
Kenntnis der Kant’schen Schrift Kritik<br />
der Urteilskraft und seiner eigenen<br />
Künstlerlaufbahn gespeist. Bei allen<br />
Utopien, die in den Briefen anklingen,<br />
ist Schiller aber immer dem realen Leben<br />
verhaftet geblieben, woran sicher<br />
sein Beruf als Arzt eine entscheidende<br />
Rolle spielte.<br />
Seine Gedanken einer ästhetischen<br />
Erziehung des Menschen haben eine<br />
bestürzende Modernität, wie die hier<br />
angeführten Zitate bestätigen werden.<br />
Da für die Aufklärung des Verst<strong>and</strong>es<br />
schon vieles geleistet wurde, ist es nun ein<br />
dringendes Bedürfnis unserer Zeit, auch<br />
zur Veredelung der Gefühle beizutragen.<br />
(1. Brief vom 13.7.1793)<br />
Wenn man nun seine Worte bezüglich der damaligen<br />
Kultur liest, meint man, ein gesellschaftlich mutiger Journalist<br />
von heute würde zu uns sprechen. Und weiter:<br />
Der versachlichte Arbeitsprozeß hat den Genuß von der Arbeit,<br />
das Mittel vom Zweck, die Anstrengung von der Belohnung geschieden.<br />
Der Mensch wird nur noch Bruchstück seiner selbst, wird<br />
bloß zu einem Abdruck seines Geschäfts, seiner Wissenschaft.<br />
Der Geschäftsmann bleibt in dem einförmigen Kreis seines Berufs<br />
befangen und zeichnet sich durch pedantische Beschränktheit aus;<br />
und die Wissenschaft läßt die geistige Arbeit immer abstrakter<br />
werden, bis sie in der leeren Substanz der Gelehrten verkümmert.<br />
Was schließlich den Staat betrifft, so achtet er eifersüchtig auf<br />
den Alleinbesitz seiner Diener. Er tritt dem unmündigen Bürger<br />
durch Repräsentation aus zweiter H<strong>and</strong> entgegen, also durch Gesetze<br />
und Steuern, Bürokratie und Polizei. Er funktionalisiert<br />
die Bürger. Wohin er auch schaue, er nehme nur Opfer staatlicher<br />
Bürokratie, dystopischer Arbeitsteilung [an ungewöhnlichen<br />
Stellen vorkommend, z.B. bei menschlichen Organen]<br />
und rationaler Produktivität wahr, die verkrüppelten Gewächsen<br />
gleichen. In diesem zerrütteten Gemeinwesen kann weder das Individuum<br />
all seine Talente entfalten, noch Staat und Gesellschaft<br />
zu einem harmonischen Ganzen gelangen.
Im oben Gesagten (6. Brief) äußert sich Schillers Kulturpessimismus.<br />
Er spricht von der Entfremdung des<br />
Menschen von der Natur, von der Arbeitsteilung im Alltag,<br />
von der Spezialisierung des einzelnen. All das hat aus<br />
der Menschheit – so schreibt Schiller – eine Armee nützlicher<br />
Sklaven gemacht. Schiller vergleicht diese menschliche Arbeitsform<br />
mit der Mechanik eines kunstreichen Uhrwerks.<br />
Ehrlicherweise räumt Schiller allerdings ein, daß die<br />
großen technischen Fortschritte nur durch eine solche<br />
sinnentfremdende Arbeitsteilung bewirkt werden konnten.<br />
Dann stellt Schiller die Frage, wie die Entfremdung des<br />
Menschen von der Natur ausgeglichen werden könnte.<br />
Vom Staat Hilfe zu erwarten würde erfolglos sein, weil<br />
gerade der Staat diese mißlichen Zustände zuwege gebracht<br />
habe und man schwerlich erwarten könne, daß<br />
von ihm Hilfe kommen könnte; denn der Staat müßte<br />
sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen.<br />
Es liegt einzig und allein am einzelnen Menschen, denn<br />
jeder trägt in sich die Anlage und die Bestimmung eines<br />
idealistischen Menschen. Nun besteht der Mensch<br />
aus Trieben und Vernunft. Er ist ein Wilder, wenn seine<br />
Triebe – auch Gefühle genannt – über seine Vernunft<br />
herrschen. Das ist die vielbeschriebene Trieb- und Vernunftnatur<br />
des Menschen.<br />
Schiller fordert die Versöhnung<br />
der gegensätzlichen Kräfte von<br />
Gefühl und Verst<strong>and</strong>, Sinnlichkeit<br />
und Vernunft, also Natur und<br />
Rationalität. Erst dieser Ausgleich<br />
formt den gebildeten Menschen<br />
und gibt die Entscheidungsfreiheit<br />
wieder in die Hände des Menschen<br />
zurück, um z.B. seinen sittlichen<br />
Vorstellungen zu folgen.<br />
Also folgert Schiller:<br />
Der einzige Weg, auf dem sich der<br />
Mensch von der Vormundschaft des<br />
Staates und der Gesellschaft befreien<br />
könnte, ist, sich mit der Kunst zu beschäftigen.<br />
Wie können nun die ausein<strong>and</strong>ergeratenen Kräfte<br />
des Menschen zusammengeführt werden?<br />
Wie kann der Mensch wieder in Harmonie, in Einklang<br />
mit sich kommen?<br />
Das gelingt nach Schiller nur, wenn die Menschen durch<br />
die Kunst eine ästhetische Erziehung erhalten würden.<br />
Es ist der Versuch, durch Kunst und ästhetische Erziehung<br />
die getrennten Kräfte der Seele wieder zu vereinen,<br />
um so den ganzen Menschen in uns wiederherzustellen.<br />
Als Schlüssel zum Ganzen präsentiert uns Schiller seine<br />
Überlegungen zum menschlichen Spieltrieb (15. Brief).<br />
Nur durch den Spieltrieb geschieht die Vermittlung zwischen<br />
Sinnlichkeit und Vernunft; denn der Spieltrieb hat<br />
10<br />
von beidem etwas, vom Verst<strong>and</strong> und vom Gefühl.<br />
Und wörtlich:<br />
Der Weg zu dem Kopf geht nur durch das Herz. Denn, um es<br />
endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er<br />
in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz<br />
Mensch, wo er spielt.<br />
Schiller wußte sehr wohl, daß er hier den Boden der<br />
Wirklichkeit scheinbar verließ und sich in eine Utopie<br />
begab. Seine Erläuterung dazu ist aber einleuchtend:<br />
Wer sich über die Wirklichkeit nicht hinauswagt, der wird nicht<br />
die Wahrheit erobern.<br />
Schiller schwebt also nichts Geringeres vor, als die Krise<br />
der 1793 gegenwärtigen Kultur durch Kunst zu überwinden,<br />
genauer gesagt, durch Teilhabe der Menschen<br />
an der Kunst. Nach Schillers Ansicht sind im Spieltrieb<br />
Sinnlichkeit und Vernunft zugleich tätig.<br />
Aus dem Gesagten ergibt sich wohl einigermaßen zwingend,<br />
daß mit dem Spielen nicht nur das Spielen eines<br />
Instruments gemeint sein kann. Wäre nur diese Bedeutung<br />
gemeint, hätte dies Schiller deutlich angegeben. Da<br />
er die Einschränkung – Spielen auf einem Instrument -<br />
wegläßt und alle Menschen ausdrücklich anspricht, dabei<br />
aber die Kunst als die Basis angibt, können wir folgern,<br />
Albert Schweitzer an der Orgel<br />
daß er den ganzen Kunstbereich meint, also Malerei,<br />
Plastik, Architektur, Poesie und schließlich Musik.<br />
Es war für mich also naheliegend, uns als Orgelspieler<br />
mit dem spielenden Menschen zu identifi zieren. Ich meine<br />
uns Phil-Organisten oder Amateur-Organisten. Denn<br />
wir spielen ja im wahrsten Sinn des verwendeten Wortes.<br />
Ich hoffe, ich habe Ihnen einige für unser aller Selbstverständnis<br />
nützliche Gedanken darlegen können. Es ist<br />
für mich tröstlich, daß der Künstler-Philosoph Friedrich<br />
von Schiller vor über eineinhalb Jahrhunderten Überlegungen<br />
anstellte, die auch für uns heutige Menschen<br />
eine große seelische Hilfe bedeuten können.<br />
O. Zenner
Interview mit dem portugiesischen<br />
Kulturstaatssekretär Mário Vieira de Carvalho<br />
Operapoint war bei der diesjährigen Tagung der EMA (Europäische Musiktheater-Akademie) vom<br />
27.-30. Januar 2008 anwesend. Dabei ergab sich die Möglichkeit, Herrn Professor Dr. Mário Vieira<br />
de Carvalho in seinem Amtssitz im Palácio Nova da Ajuda am 28. Januar 2008 zu interviewen.<br />
? Sehr geehrter Herr Staatssekretär, mich interessiert das<br />
Musikleben in Portugal. In Deutschl<strong>and</strong> hat man kaum<br />
Kenntnisse davon. Zunächst möchte ich Sie fragen, wo<br />
Sie Musik studiert haben?<br />
! Ich habe zunächst Rechtswissenschaft studiert, übrigens mit<br />
Schlußexamina. Ich studierte privat Musik und wurde Musikjournalist.<br />
Die Rechtswissenschaft habe ich nie ausgeübt.<br />
Später war ich sehr interessiert am deutschen Musiktheater.<br />
Ich knüpfte Kontakte mit Joachim Herz, dem Assistenten<br />
von Walter Felsenstein und späteren Intendanten<br />
in Dresden. [Felsenstein (1901-1975) war von 1947-75<br />
Intendant der Komischen Oper in Berlin.]<br />
Dann (1984) schrieb ich eine Dissertation an der Humboldt-Universität<br />
in Berlin bei Christian Kaden<br />
(Denken ist Sterben, Sozialgeschichte des Opernhauses Lissabon, Bärenreiter 1999).<br />
? Und warum haben Sie Deutschl<strong>and</strong> gewählt?<br />
! Gerade weil mich die Entwicklung des Musiktheaters<br />
in Deutschl<strong>and</strong> besonders interessierte, vor allem wegen<br />
Felsenstein und Herz. Denn ich kannte Felsensteins Ansatz<br />
auf dem Gebiet des Musiktheaters. 1975 gab es ein<br />
Gastspiel der Leipziger Oper im Opernhaus São Carlos<br />
Palácio Nova da Ajuda, Lissabon, Amtssitz des Kulturstaatssekretärs<br />
11<br />
in Lissabon, in dem die Oper Xerxes von Händel in einer<br />
Inszenierung von Herz mit dem Leipziger Ensemble<br />
gezeigt wurde. Brecht und das Berliner Ensemble waren<br />
auch für mich wichtige Begriffe.<br />
? Wo wird in Lissabon Musik gelehrt?<br />
! An der Staatsuniversität. Dort bin ich Professor für Musiksoziologie.<br />
Ich begann 1986 als Assistent und bin seit<br />
1997 Ordinarius für Musiksoziologie. In den letzten drei<br />
Jahren mußte ich aber meine Forschungs- und Lehrtätigkeit<br />
unterbrechen, da ich bei der Regierung arbeite.<br />
? Sie sind Staatssekretär für Kultur?<br />
! Ja. Die Einladung kam von der Kulturministerin. Wir<br />
amtierten im März 2005 als Mitglieder der neuen sozialistischen<br />
Regierung.<br />
? Der Staatssekretär ist derjenige, der die Arbeit leistet?<br />
! Wir arbeiten in einem Team, ich bin Stellvertreter der Ministerin,<br />
wenn sie nicht anwesend ist. Ich übernahm nämlich die<br />
direkte Verantwortung für Musik-, Theater- und Opernwesen,<br />
Film, die Unterstützung der Künste im allgemeinen.<br />
? Und Sie sind der Chef der Oper?<br />
! Nein, ich bin der Verantwortliche für die Kulturpolitik,
die damit zusammenhängt und im Regierungsprogramm<br />
entworfen wurde. Die Staatstheater wurden von meiner<br />
Regierung in öffentliche Unternehmen umgew<strong>and</strong>elt. Der<br />
Grund war, ihnen mehr fi nanzielle Autonomie zu geben,<br />
weil die Regeln der Staatsverwaltung bei uns sehr strikt sind<br />
und eigentlich keine langfristige Planung erlauben. Jetzt ist<br />
es so, daß die Staatstheater als öffentliche Unternehmen einen<br />
dreijährigen Vertrag mit dem Staat schließen, worin das<br />
gesamte Budget und die Ziele festgesetzt werden.<br />
? Sagen Sie als Kulturstaatssekretär, was und wie die Theater<br />
planen sollen?<br />
! Die Theater machen ihre Verträge selbständig und diskutieren<br />
ihre strategische Entwicklung und Finanzierung mit<br />
dem Kultur- und Finanzministerium. In erster Linie gilt<br />
als Ziele: Förderung der portugiesischen Künstler und des<br />
portugiesischen Kulturerbes, dann weiter, die Entwicklung<br />
der Beziehungen im internationalen Netz. Das São Carlos<br />
muß sich einem breiteren Publikum öffnen.<br />
? Sie richten jetzt ein Opernstudio ein?<br />
! Ja, dies steht als Aufgabe im neuen Statut, hinzu kommt ein<br />
Erziehungsprogramm für junge Leute. Auch Kinderoper-Projekte<br />
wollen wir fördern. Übrigens ist das São Carlos das einzige<br />
Operntheater in Portugal.<br />
? In Porto gibt es nur Sprechtheater?<br />
! Ja, doch wir verlangen vom São<br />
Carlos, daß es nicht nur in Lissabon,<br />
sondern auch durch Gastspiele<br />
wirkt – nämlich in mehreren, gut<br />
ausgestatteten städtischen Bühnen,<br />
darunter einigen historischen Gebäuden,<br />
die im Laufe der letzten<br />
Jahre renoviert bzw. neu gebaut<br />
wurden. Im September 2007 hat<br />
das São Carlos in der Stadt Azores<br />
mit einer Oper gastiert. Mit Unterstützung<br />
einer Firma ist es auch<br />
vorgesehen, daß eine Operninszenierung<br />
in verschiedenen Theatern<br />
direkt (über Satellit) übertragen<br />
wird, wie es jetzt bei der Uraufführung<br />
von Das Märchen von Emmanuel<br />
Nuñes geschehen ist. Dreitausend<br />
Zuschauer haben dem ersten<br />
Teil der Oper beigewohnt (2 Stunden). Für den 2. Teil<br />
(weitere 2 Stunden) blieben nur etwa eintausend. Manche<br />
hatten noch nie eine Oper gesehen.<br />
? Wie groß ist der Etat für das Teatro São Carlos?<br />
! Ungefähr 14 Millionen im Jahr. Hinzu kommen noch Sponsorengelder,<br />
so daß sich der Etat auf etwa 16,5 Millionen erhöht.<br />
? Wieviel Angestellte gibt es am São Carlos, ich meine,<br />
den technischen Stab und die Künstler?<br />
! Das Opernhaus hat ein Sinfonieorchester, einen Berufschor,<br />
technische Angestellte, aber kein festes Ensemble.<br />
Doch in Zukunft wird das Opernhaus auch mit Sängern<br />
12<br />
langfristige Verträge machen. Wir fi nden es sehr positiv,<br />
daß ein Sänger sich ans Opernhaus bindet und damit auch<br />
beim Publikum bekannt wird. Auch wenn ausländische<br />
Sänger eine Beziehung mit dem L<strong>and</strong> und seiner Kultur<br />
beginnen, ist das positiv.<br />
? Nun noch etwas <strong>and</strong>eres: wie sind die kulturellen Beziehung<br />
von Ihnen, also vom Staat Portugal, mit dem Staat<br />
Brasilien?<br />
! Unsere beiden Staaten haben enge Beziehungen auf<br />
allen politischen, sozialen und kulturellen Ebenen. Und<br />
meine Regierung hat viel geleistet, um diese Entwicklung<br />
noch weiterzuführen. Nicht nur zweiseitig, sondern<br />
auch im Rahmen der Gemeinschaft der portugiesischsprechenden<br />
Länder (CPLP) bzw. der Organisation der<br />
ibero-amerikanischen Staaten (OEA) sind unsere beiden<br />
Staaten in der Zusammenarbeit engagiert.<br />
Ich mag Brasilien sehr, auch im Sinne der Möglichkeiten<br />
der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und durch regelmäßigen<br />
Austausch mit Kollegen von Sao Paulo und<br />
Rio de Janeiro. Wissen Sie, ich beschäftige mich mit der<br />
Musiksoziologie Theodor W. Adornos sehr detailliert.<br />
2003 hae ich in Belo Horizonte an einem Kongreß über<br />
Kulturstaatssekretär Mário Vieira de Carvalho<br />
Adorno teilgenommen. Anwesend waren 80 Forscher aus<br />
aller Welt, Deutschl<strong>and</strong> natürlich einbezogen, die meisten<br />
aber aus Brasilien. Ich selbst habe über Adornos Theorie<br />
der musikalischen Reproduktion gesprochen. Übrigens<br />
habe ich auch 2003 ein kleines internationales Adorno-<br />
Kolloquium in meiner Universität organisiert.<br />
Olaf Zenner: Ich danke herzlich für das Interview.<br />
Prof. Vieira de Carvalho: Es hat mich sehr gefreut, daß<br />
Sie nach Lissabon gekommen sind und daß Sie das<br />
Opernhaus São Carlos besucht haben – eine gut erhaltene<br />
historische Opernbühne aus dem Jahr 1793.
Informationen aus aller Welt<br />
Ein großer Bassist wird siebzig<br />
Der in Buir bei Köln geborene Bassist Kurt Moll wurde<br />
an der Kölner Musikhochschule zum Sänger ausgebildet<br />
und bekam seine erste<br />
Anstellung bei den Wuppertaler<br />
Bühnen. Sein tiefgrundiger Baß<br />
führte ihn rasch nach Bayreuth<br />
(1967) als zweiter Gralsritter in<br />
Wagners Parsifal. 1970 kam er<br />
nach Salzburg, wo er mit der Rolle<br />
des Sarastro in Mozarts Zauberfl<br />
öte debütierte. Diese Rolle – sie<br />
wurde seine Paraderolle – sang er auch 1972 an der<br />
Wiener Staatsoper. Es folgten Schallplattenaufnahmen<br />
1984 unter Sir Colin Davis und 1990 unter Sir Georg<br />
Solti mit der Mozartpartie.<br />
In den vielen Jahren seiner großen Karriere glänzte<br />
Kurt Moll wohl im gesamten vorh<strong>and</strong>enen Baß-Repertoire<br />
von Seneca in Claudio Monteverdis Poppea bis hin<br />
zu den Rollen bei Verdi (Philipp II.), Wagner (Dal<strong>and</strong>,<br />
Hunding, Gurnemanz) und Moussorgski (Boris). Fast<br />
unübertroffen gestaltete er seinen Graf von Lerchenau<br />
in Richard Strauss’ Rosenkavalier. Nicht weniger überzeugte<br />
er als Liedersänger in Schuberts Winterreise und<br />
den Loewe-Balladen.<br />
Vielleicht ist er bei uns vor allem als Mozartsänger unübertroffen.<br />
Seiner Darstellung als Haremswächter Osmin<br />
in Mozarts Entführung aus dem Serail hat kaum ein<br />
<strong>and</strong>erer Sänger soviel Komik und Charakter gegeben<br />
wie Kurt Moll. Am 11. April wurde er siebzig Jahre alt.<br />
Giuseppe di Stefano mit 86 Jahren gestorben<br />
Am 2. April dieses Jahres verstarb<br />
einer der ganz großen Tenöre unserer<br />
Zeit in seinem Haus bei Mail<strong>and</strong><br />
an den Folgen eines Überfalls,<br />
den er 2004 in seinem Haus in Kenia<br />
erlitten hatte. Von den schweren<br />
Verletzungen hat er sich nicht<br />
mehr ganz erholen können.<br />
Der Sizilianer di Stefano war nach<br />
seinem Auftreten in der Rolle Des<br />
Grieux in Jules Massenets Manon<br />
1947 an der Mailänder Scala auf der Stelle berühmt. Jürgen<br />
Kesting zitiert in seinem Buch Die großen Sänger des<br />
20. Jh. den langjährigen Leiter der Metropolitan Opera<br />
in New York Rudolf Bing in 5000 Abende in der Oper mit<br />
folgenden Worten: Es war ein wirkliches Erlebnis, als ich das<br />
Diminuendo seines hohen C bei Salut, demeure chaste et pure in<br />
13<br />
Faust (Gounod) hörte. Solange ich lebe, werde ich die Schönheit<br />
dieses Tons nicht vergessen.<br />
Di Stefano verdiente sein erstes Geld in Kaffeehäusern,<br />
Kirchen und Kinos, erhielt dann eine Ausbildung, mußte<br />
aber vor dem Abschluß zum Militär, wo er mit seinem<br />
Singen so auffi el, daß man ihn freistellte. Nach dem<br />
Krieg schaffte er es sehr rasch, am Teatro alla Scala zu<br />
singen. Schnell kamen auch Schallplattenaufnahmen und<br />
sein Debüt am 25. Februar 1948 an der Met mit dem<br />
Herzog in Rigoletto. Im folgenden Jahrzehnt sang er oft<br />
mit Maria Callas zusammen und war auch ihr Partner bei<br />
der Aufnahme von Tosca mit Victor de Sabata, einer der<br />
großartigsten Aufnahmen, die wir von dieser Oper haben.<br />
Niem<strong>and</strong> blieb ungerührt bei dem Verzweifelungsschmerz<br />
von Cavaradossis Arie E lucevan le stelle – und<br />
es glänzten die Sterne mit dem beziehungsreichen Schluß:<br />
e non ho amato mai tanto la vita – und ich liebte so sehr das<br />
Leben.<br />
Cappella Coloniensis Residenz-Orchester in Essen<br />
Dieses Spezialensemble für Alte Musik wurde 1954 für<br />
den Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) durch<br />
Eduard Gröninger gegründet. Man war nämlich auf<br />
die Idee gekommen, in den<br />
H<strong>and</strong>schriften der Barockund<br />
Klassikzeit nicht nur<br />
Musikwerke der damaligen<br />
Zeit zum heutigen Gebrauch<br />
einzurichten, sondern auch<br />
aus den h<strong>and</strong>schriftlichen<br />
Angaben aufführungspraktischen<br />
Anweisungen zu<br />
übernehmen, um so dem<br />
musikalischen Ausdruck der<br />
Werke zum Zeitpunkt ihrer<br />
Entstehung so nahe wie möglich zu kommen. Das auf<br />
authentischen Instrumenten spielende Ensemble wurde<br />
Wegbereiter der Historischen Aufführungspraxis. Zwischen<br />
den Jahren 1960 und 1970 war die Cappella auf ausgedehnten<br />
Welttourneen (Carnegie-Hall, New York, Bunka-Kaikan-Hall,<br />
Tokio, Teatro Colón, Buenos Aires).<br />
Man spielte Rossini-Opern, z.B. Tancredi, La Cenerentola,<br />
L’italiana in Algeri. Viele namhafte Dirigenten leiteten die<br />
Cappella, wie u.a. William Christie, John Elliot Gardiner,<br />
Gabriele Ferro, Reinhard Goebel, René Jacobs, Sigiswald<br />
Kuijken oder Hans-Martin Linde. Es gibt mehr als fünfzig<br />
Einspielungen auf CD und mehreren hundert Rundfunkaufnahmen.<br />
Der Westdeutsche Rundfunk (WDR), der als Nachfol-
ger des NWDR die Cappella fünfzig Jahre betreut hatte,<br />
kündigte den Vertrag mit dem Ensemble 2004. Nun hat<br />
die Cappella Coloniensis eine neue Heimstatt in der Philharmonie<br />
Essen gefunden, wo sie für fünf Spielzeiten<br />
sechs Konzerte pro Saison geben wird.<br />
Der vom WDR so schnöde aufgegebene Klangkörper<br />
sollte sich vielleicht auch einen neuen Namen geben:<br />
Cappella Asnidensis?<br />
Oper in Norwegens Hauptstadt Oslo<br />
Die Osloer Opernliebhaber können sich freuen: endlich<br />
ist ihr lange geplantes Opernhaus, fast im Wasser<br />
des Oslofjords gelegen, am 12. April mit einer Gala aus<br />
Konzert, Oper und Ballett eröffnet worden. Auch unsere<br />
Kanzlerin Angela Merkel hat sich über fünf Stunden<br />
zusammen mit Königinnen und Kronprinzessinnen sowie<br />
einem Kronprinzen an Opernausschnitten und Balletten<br />
erfreut. Es gibt Stadtbewohner, die freudestrahlend<br />
verkünden, daß dieses 500 Millionen Euro teure<br />
Gebäude die größte kulturelle Leistung Norwegens sei,<br />
seit der Errichtung des Doms zu Trondheim. Dieserart<br />
äußerte sich Wolfgang S<strong>and</strong>ner am 14. April 2008 in der<br />
FAZ. Nach seinem Urteil soll auch die Akustik des eintausendeinhundert<br />
Plätze aufweisenden Operntempels<br />
gut sein.<br />
Das vom Architekturbüro Snøhetta geplante Bauwerk<br />
soll für alle Menschen gleichermaßen eine Bereicherung<br />
sein, so die offi zielle Ankündigung. Wollen wir hoffen,<br />
daß die Programmgestaltung und die künstlerische Arbeit<br />
mit der jetzigen Freude Schritt hält.<br />
Das Teatro Colón erst 2010 wiedereröffnet<br />
Die argentinischen<br />
Opernliebhaber müssen<br />
noch zwei Jahre<br />
auf die schon in diesem<br />
Jahr angekündigte<br />
Wiedereröffnung<br />
warten. Das erste<br />
Opernhaus von 1857<br />
ist verschwunden. Das jetzige Haus mit einer als überdurchschnittlich<br />
gerühmten Akustik wäre 2008 einhundert<br />
Jahre alt geworden. Dazu sollte es mit der auch<br />
schon zu seiner Eröffnung 1908 gespielten Oper Aida<br />
von G. Verdi brillieren. Doch Geldknappheit – ausgelöst<br />
durch die zur Zeit herrschende enorme Infl ation<br />
– zwang zum Aufschub. Der neue Direktor der Teatro<br />
14<br />
Colón, Horacio Sanguinetti, hat in diesem Jahr nur Instrumental-<br />
und Chorkonzerte sowie Ballette angekündigt. Die Wiedereröffnung<br />
soll jedenfalls am 25. Mai 2010 stattfi nden. Es wäre<br />
das 102. Jahr der Eröffnung des weltbekannten Opernhauses<br />
und der 200. Jahrestag der Unabhängigkeit Argentiniens.<br />
Dubai, El-Ain-Musik Festival<br />
Zaki Nussaibah li und der Präsident des<br />
Richard-Wagner-Verb<strong>and</strong>es von Abu Dhabi<br />
In der Ankündigung:<br />
Das wichtigste<br />
Konzert des<br />
Jahres. Nicht von<br />
der Qualität her<br />
– die war bei diesem<br />
Konzert,-<br />
das die Qualität<br />
einer Plattenaufnahme<br />
erreichte.<br />
Auch nicht vom<br />
Programm her – ein Potpourri aus Vorspielen zahlreiche<br />
Wagner Opern hätte jedes Publikum zu Beifallsstürmen<br />
hingerissen. Nein, es geht um die Kombination der Werke<br />
und des Ortes: Das erste Konzert ausschließlich mit<br />
Werken Richard Wagners auf der arabischen Halbinsel,<br />
den Vereinigten Arabischen Emiraten!<br />
Stattgefunden hat es im teuersten Konzertsaal des L<strong>and</strong>es:<br />
dem Konzertsaal im Emirates Palace Hotel (Baukosten:<br />
vier Milliarden Dollar). Der Sächsischen Staatskapelle unter<br />
Chefdirigent Fabio Luisi kann man hier eine Botschafter-<br />
Mission der europäischen Musikkultur und einen erfolgreichen<br />
Werbeauftritt des L<strong>and</strong>es Sachsen attestieren.<br />
Das El Ain Musik-Festival, gegründet von musikbegeisterten<br />
Bewohnern Abu Dhabis, nahm dabei den<br />
Richard-Wagner-Verb<strong>and</strong> von Abu Dhabi mit ins Boot.<br />
Beim Konzert zeigten sich in der ersten Reihe Mitglieder<br />
der Regierung, das deutsche diplomatische Corps<br />
und Wirtschaftsvertreter.<br />
O. Hohlbach<br />
Faszinierende Sängerin<br />
Die Sopranistin Danielle De Niese, bei New York lebend<br />
und 27 Jahre jung, gelang zu internationalem Ruhm, als sie<br />
2005 in Glyndebourne ihr viel umjubeltes Debüt in David<br />
McVicars Inszenierung von Händels Giulio Cesare (Dirigent:<br />
William Christie) gab. Diese DVD sollte jeder Opernliebhaber<br />
unbedingt besitzen. Wir<br />
hörten sie in Ariodante (Händel) als<br />
Ginevra im Théâtre des Champs-<br />
Élysées. Sie war genauso umwerfend<br />
wie im Giulio Cesare. Durch<br />
ihre komische und gleichzeitig<br />
emotional tiefgreifende Ausstrahlung<br />
als Schauspielerin, gepaart mit<br />
einer außergewöhnlichen Stimme<br />
und Musikalität wird ihr eine spektakuläre<br />
Zukunft vorhergesagt; ihr Exklusiv-Vertrag mit<br />
dem Label Decca <strong>Music</strong> Group trägt dazu bei.
Zwei Meldungen von<br />
Johann Sebastian Bach (1685-1750)<br />
Sensationsmeldung der<br />
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />
Freude in der Organistenwelt: zwei Musikwissenschaftler,<br />
Dr. Michael Pacholke und Stephan Blaut, haben die<br />
Abschrift einer Choralfantasie für Orgel aufgefunden.<br />
Ihr Titel ist: Wo Gott der Herr nicht bei uns hält.<br />
Die Universitäts- und L<strong>and</strong>esbibliothek in Halle hatte<br />
kürzlich einen Teilnachlaß des Leipziger Thomaskantors<br />
Wilhelm Rust (1822-1892)<br />
ersteigert. Als man die Abschriften<br />
von Rust in Augenschein<br />
nahm, fi el ein<br />
Stück von Bach auf, von<br />
dem bisher nur fünf Takte<br />
bekannt waren. Wilhelm<br />
Rust war seit 1855 Herausgeber<br />
der ersten Bach-<br />
Gesamtausgabe.<br />
Otto Jahn, der die erste wis-<br />
Erste Seite der Choralfantasie senschaftliche Mozart biographie<br />
schrieb (diese wurde<br />
später von Hermann Abert neu herausgegeben), hatte Rust<br />
für die Gesamtausgabe als Mitarbeiter gewonnen.<br />
Rusts Arbeiten an der Bachausgabe wurde für ein halbes<br />
Jahrhundert das Muster kritischer musikalischer<br />
Editionen. Er hatte die philologische Methode aus<br />
Jahns klassischer Altertumswissenschaft übernommen.<br />
Otto Jahn war kein Musik-, sondern Altertumswissenschaftler<br />
und hatte zuletzt in Bonn den Lehrstuhl für<br />
Archäologie inne. Rust fertigte die Abschrift der Choralfantasie<br />
1877 an. Die beiden Musikwissenschaftler prüften<br />
genauestens die Herkunft der Quelle, die Rust als<br />
Vorlage gedient hatte. Danach legte man die Abschrift<br />
noch weiteren Musikwissenschaftlern vor: Professor Dr.<br />
Hans-Joachim Schulze und Dr. Peter Wollny vom Bach-<br />
Archiv Leipzig konnten die Komposition zweifelsfrei als<br />
Werk Johann Sebastian Bachs bestimmen.<br />
Die Choralfantasie ist für zwei Manuale und Pedal geschrieben<br />
und wohl – was man aufgrund besonderer<br />
Schreibweisen erkannte - zwischen 1705-1710 von Bach<br />
komponiert worden. Bis zur Auffi ndung der Abschrift<br />
kannte man von Bach nur die Choralfantasie Christ lag<br />
in Todesb<strong>and</strong>en (BWV 718). Die Form einer Choralfantasie<br />
hatte Bach bei Dieterich Buxtehude gelernt. Die<br />
aufgefundene Choralfantasie wird erstmals bei den<br />
Händelfestspielen am 10. Juni 2008 um 18 Uhr in der<br />
Marktkirche zu Halle öffentlich von Martin Haselböck<br />
15<br />
dargeboten. Aufgrund dieses Fundes kann man annehmen,<br />
daß uns doch noch nicht alle Werke Johann Seb.<br />
Bachs bekannt sind und wir auf weitere Sensationsfunde<br />
hoffen können.<br />
Das Eisenacher Bachhaus: Neues Bachportrait<br />
Heutzutage unterwirft man alles einer genauen wissenschaftlichen<br />
Analyse. So<br />
gibt es seit dem 21. März<br />
2008 im Eisenacher Bachhauses<br />
eine Sonderausstellung<br />
mit dem Titel:<br />
Bach im Spiegel der Medizin.<br />
Die schottische Gerichtsmedizinerin<br />
Dr. Caroline<br />
Wilkinson hat nach Original-Schädelmaßen<br />
das<br />
Gesicht Johann Sebastian<br />
Das rekonstruieter Portrait von J.S. Bach Bachs rekonstruiert.<br />
Doch niem<strong>and</strong> kann sicher sein, daß es sich um Bachs authentisches<br />
Portrait h<strong>and</strong>elt. In der spannenden Geschichte<br />
von Bachs Tod im Jahr 1750 und der Suche nach seinen Gebeinen<br />
bleiben einige Unsicherheiten. Kein Zweifel besteht<br />
daran, daß Frau Dr. Wilkinson mit großer Genauigkeit den<br />
Bachschen Schädel mit Laser und Computer abgemessen<br />
und danach das Computerbild erstellt hat.<br />
Man wußte, daß Johann Sebastian am 28. Juli 1750 in<br />
einem Eichensarg beerdigt worden war. Doch die Grabstelle<br />
wurde vergessen. Wegen einer Erweiterung der<br />
Johanniskirche wurde 1894, 54 Jahre nach Bachs Tod,<br />
auf deren Gräberfeld gegraben. Dabei f<strong>and</strong> der damalige<br />
Pastor Transchel zusammen mit dem Leipziger<br />
Anatomieprofessor Hiss drei Eichensärge. In einem der<br />
Eichensärge lag eine Frauenleiche, im zweiten Sarg eine<br />
männliche Leiche mit zerquetschtem Schädel, im dritten<br />
f<strong>and</strong> man einen Schädel, dessen Untergebiß mit den<br />
bekannten Bachgemälden übereinstimmte. Daher nahm<br />
man an, Johann Sebastians Schädel aufgefunden zu haben.<br />
Unter Berücksichtigung der Gesichtsweichteile<br />
fertigte der Leipziger Bildhauer Carl Seffner daraus das<br />
bekannte Bachdenkmal vor der Leipziger Thomaskirche.<br />
Die Quellenlage ist also nicht ganz so eindeutig, so<br />
daß man ruhig skeptisch bleiben kann, das echte Abbild<br />
Johann Sebastians würde uns in der neuen Darstellung<br />
ansehen. Das neue Bachportrait überzeugt vielleicht<br />
auch nicht jeden. Man vermutet dahinter eher einen<br />
Ringer als das Gesicht eines der größten musikalischen<br />
Genies.<br />
O. Zenner
Opernaufführungen im Ausl<strong>and</strong><br />
Rezensionen in alphabetischer Ordnung nach Städten<br />
London, Covent Garden<br />
Salome<br />
von Richard Strauss, Drama in einem Akt, Libretto: Hedwig Lachmanns<br />
Übersetzung des Dramas Salomé (1891) von Oscar Wilde, redigiert von<br />
Richard Strauss. UA: 9. Dezember 1905, Hofoper Dresden<br />
Regie: David McVicar, Bühnenbild: Es Devlin, Licht: Wolfgang<br />
Göbbel, Video: Leo Warner und Mark Grimmer<br />
Dirigent: Philippe Jordan, Orchestra Royal Opera House<br />
Solisten: Thomas Moser (Herodes), Michaela Schuster (Herodias),<br />
Nadja Michael (Salome), Michael Volle (Jochanaan), Joseph Kaiser<br />
(Narraboth), Daniela Sindram (Page), Adrian Thompson, Martyn<br />
Hill, Hubert Francis, Ji-Min Park, Jeremy White (Juden), Iain Paterson,<br />
Julian Tovey (Nazarener), Vuyani Mlinde (ein Kappadozier)<br />
Besuchte Aufführung: 8. März 2008 (Premiere: 21. Februar 2008)<br />
Kurzinhalt<br />
Die Oper beginnt mit einem Geburtstagsfest im Königspalast.<br />
Herodias Tochter Salome hat die Festgesellschaft ihres<br />
Stiefvaters Herodes aus Langeweile verlassen und kommt in<br />
den Palastkeller zu den Soldaten. Diese bewachen Jochanaan,<br />
der in einer Zisterne gefangen gehalten wird. Die Stimme von<br />
Jochanaan hört man aus<br />
einem Gitter, das die<br />
Zisterne verschließt. Er<br />
verwünscht das ehebrecherische<br />
Verhalten von<br />
Herodias und Herodes,<br />
denn Herodes hatte<br />
die Frau seines Bruders<br />
Philipp geheiratet. Von<br />
Jochanaans Stimme erregt,<br />
zwingt Salome die<br />
Soldaten, ihr diesen trotz<br />
des strikten königlichen<br />
Verbots vorzuführen.<br />
Seine ungeschlachte Art,<br />
sein wildes Aussehen,<br />
seine verfi lzten Haare<br />
reizen Salome noch mehr:<br />
sie gerät geradezu in eine<br />
Obsession. Sie berührt ihn, streift mit den Händen durch seine<br />
Haare und will ihn schließlich küssen. Doch Jochanaan weist sie brutal<br />
zurück und wird in sein Erdloch zurückgeworfen.<br />
Von der Terrasse herunter kommen ihr Stiefvater, ihre<br />
Mutter Herodias und die Festgäste in das Kellergeschoß.<br />
Herodes ist so sehr vernarrt in seine Stieftochter, daß er<br />
sie bittet, für ihn zu tanzen. Als sie sich weigert, schwört<br />
er, ihr alle seine Schätze und sogar die Hälfte seines Königsreichs<br />
zu geben. Endlich tanzt sie. Danach fordert sie<br />
den Kopf des Jochanaan. Ihre Mutter ist darüber entzückt.<br />
Brüsk weist Salome alle Kleinodien, die Herodes ihr bietet,<br />
16<br />
zurück. Schließlich wird ihr das Haupt Jochanaans auf<br />
einer Silberschüssel präsentiert. Ganz außer sich küßt sie<br />
ekstatisch den Mund des abgeschlagenen Kopfes. Darauf<br />
läßt Herodes sie umbringen.<br />
Aufführung<br />
In drei inein<strong>and</strong>er übergehenden Räumen, die an eine<br />
Schlächterei (s. Abb.) erinnern, sieht man ein an den Beinen<br />
aufgehängtes Schwein mit abgeschlagenem Kopf.<br />
Einige Soldaten mit Gewehren bewachen einen in den<br />
Boden gelassenen Rost, aus dem Jochanaans Verwünschungen<br />
schallen. Zwei Frauen, die eine in Unterwäsche,<br />
die <strong>and</strong>ere völlig nackt, dienten offenbar den<br />
Soldaten zur Lustbefriedigung. Sie ziehen sich langsam<br />
an. Wie Strauss es vorschreibt, schreitet über eine geschwungene<br />
Treppe rechts Prinzessin Salome in einem<br />
engen Abendkleid herab.<br />
Bei Salomes Tanz<br />
wird dem Zuschauer<br />
die Illusion vermittelt<br />
(wohl Videokunststück),<br />
daß sie<br />
durch sieben Pforten<br />
hindurchtanzt.<br />
Die Räume hinter<br />
den Pforten sind<br />
allesamt leer, nur<br />
einmal steht darin<br />
ein ovaler Spiegel.<br />
Dann fi ndet Salome<br />
auf einem Kleiderständer<br />
ein weißes<br />
Abendkleid (ist<br />
es ein Hochzeitskleid?).<br />
Sie streift es<br />
sich über, dreht ekstatische Pirouetten und tanzt schließlich<br />
Walzer mit Herodes. Am Ende sehen wir wieder<br />
den gefl iesten Keller, worin sich dann das schreckliche<br />
Finale mit Jochanaans und ihrem eigenen Tod ereignet.<br />
Michael Volle (Jochanaan) li, Joseph Kaiser (Narraboth) mitte,<br />
Nadja Michael (Salome) re<br />
Sänger<br />
Nadja Michael (Salome) ist bestürzend wirklichkeitsnah,<br />
dabei mitreißend und abstoßend zugleich – wie es ihre<br />
Rolle erfordert. Ihr Sopran ist lyrisch, schrill und – beim<br />
Fordern des Hauptes von Jochanaan – dunkel belegt,<br />
so daß das sechsmal geäußerte Fordern von Jochanaans<br />
Tod in den verschiedenen Tonarten wohl bei jedem
Zuschauer ein Frösteln hervorruft. David McVicar versteht<br />
es ungemein eindrucksvoll, diese verwöhnte und<br />
schließlich übergeschnappte junge Frau ihrer Rolle gemäß<br />
zu führen. Mit wachsender Spannung verfolgt man<br />
ihre perverse Erotik, die schließlich in den nekrophilen<br />
Küssen des abgeschlagenen Kopfes kulminiert. Eine<br />
kolossale schauspielerische und sängerische Leistung!<br />
Michael Volle (Jochanaan) stellt den vitalen Propheten mit<br />
den verfi lzten langen Haupthaaren, dessen Gesicht und<br />
Kutte nur so vor Schmutz starren, vollendet dar. Die ruhigen<br />
Prophetien über den Erretter der Welt, die als einzige<br />
Musik in geordneten Harmonien unser Ohr treffen, bringt<br />
er mit seinem grundigen Bariton ungemein überzeugend<br />
heraus. Salomes unmißverständliche Annäherungen und<br />
seine brutale Zurückweisung gestaltet er so plastisch, daß<br />
man keines seiner Worte zu verstehen braucht, um dennoch<br />
alle Aktionen sofort richtig zu deuten. Doch Volle<br />
prononciert dennoch so deutlich – im Gegensatz zu Nadja<br />
Michael – daß der spannungsgeladene H<strong>and</strong>lungsablauf<br />
eine fast unerträgliche Intensität erreicht.<br />
London, Covent Garden<br />
Carmen<br />
von Georges Bizet, Opéra comique in vier Akten, Text: Henri Meilhac<br />
und Ludovic Halévy nach einer Novelle von Prosper Mérimée;<br />
Uraufführung: 3. März 1875, Paris; Regie: Francesca Zambello,<br />
Designs: Tanya McCallin, Choreographie: Arthur Pita, Licht: Paule<br />
Constable, Dirigent: Daniel Oren, Orchester und Chor des Royal<br />
Opera House, Chorleitung: Renato Belsadonna<br />
Solisten: Nancy Fabiola Herrera (Carmen), Marcelo Álvarez<br />
(Don José), Kyle Ketelsen (Escamillo), Susan Gritton (Micaëla),<br />
Alan Ewing (Zuniga), Jacques Imbrailo (Moralès), Elena<br />
Xanthoudakis (Frasquita) Monika-Evelin Liiv (Mercédès) u.a.<br />
Besuchte Aufführung: 28.3.2008<br />
(Premiere: 8.12.2006,<br />
Wiederaufnahme 25.3.2008)<br />
Kurzinhalt<br />
Ein Platz im Sevilla des 19.<br />
Jahrhunderts: Gelangweilt<br />
amüsieren sich Wachsoldaten<br />
über die lokale<br />
Bevölkerung. Nach der<br />
feierlichen Wachablösung<br />
ist der Pausenfl irt mit den<br />
Mädchen der gegenüberliegenden<br />
Tabakfabrik<br />
die Hauptattraktion der<br />
Soldaten. Carmen, eine<br />
Zigeunerin, die auch dort<br />
arbeitet, ist die Begehrteste<br />
unter ihnen.<br />
Doch sie gibt sich kühl<br />
und unnahbar: sie be-<br />
17<br />
Außerordentlich gekonnt gestalten die fünf Juden ihr<br />
Gezänk, ob Jochanaan Gott gesehen habe oder nicht.<br />
Dieses kompositorische Meisterstück, an Kakophonie<br />
mit den überein<strong>and</strong>er getürmten verschiedenen Tonarten<br />
(Bitonalität) für die damalige Zeit (1905) ungeheuer<br />
neu, wird auch hier auf der Bühne meisterhaft dargestellt.<br />
Alle <strong>and</strong>eren Sänger, voran natürlich Thomas<br />
Moser (Herodes) und Michaela Schuster (Herodias),<br />
sind auf gleichem sängerischen Niveau wie die beiden<br />
Hauptdarsteller.<br />
Das Riesenorchester begleitet allermeist gut, ohne sich – wie es<br />
leider oft geschieht – allzuviel vordergründig aufzuspielen.<br />
Fazit<br />
Eine umwerfende, nervenaufreizende, gleichzeitig anziehende<br />
und abstoßende Aufführung, so wie Strauss sich<br />
auch einmal schriftlich dazu geäußert hat. Salomes Tanz<br />
mit dem Durchschreiten der sieben Pforten ist eine in<br />
der heutigen Regie- und Bühnengestaltung ganz ungeöhnliche<br />
geistige Leistung.<br />
O. Zenner<br />
Bild: Clive Barda<br />
singt ihre Philosophie der Liebe als Ode an die Freiheit:<br />
L‘amour est un oiseau rebelle. Gleichwohl fi ndet sie Interesse<br />
an Don José, einem Unteroffi zier der Wachsoldaten, der<br />
gedankenverloren und desinteressiert ihr Spiel beobachtet.<br />
Es gelingt ihr jedoch, seine Gefühle zu erwecken und<br />
Don José behält die von ihr zugeworfene Rose.<br />
Ein Tumult entsteht in der Fabrik und Wachsoldaten<br />
unter Don José versuchen, Ordnung zu schaffen. Car-<br />
Nancy Fabiola Herrera, als Carmen in der Mitte der Tanzenden
men wird für schuldig befunden, einen Messerkampf<br />
entfacht zu haben. Stolz und widerspenstig lehnt sie ab,<br />
den Vorfall zu kommentieren. Sie bleibt unter der Obhut<br />
Don Josés, um ins Gefängnis abgeführt zu werden. Allein<br />
mit ihm gesteht sie ihm ihre Liebe. Don José erlaubt<br />
ihr die Flucht und wird nun selbst gefangen gesetzt.<br />
Nach seiner Freilassung wartet Carmen auf Don José<br />
in der Kneipe von Lillas Pastia, einem Treffpunkt der<br />
Schmuggler, zu denen auch Carmen gehört. Während<br />
sie wartet, erscheint der erfolgreiche Stierkämpfer Escamillo<br />
und läßt sich feiern. Er fl irtet auch mit Carmen,<br />
doch sie widersteht ihm, nicht zuletzt aus Dankbarkeit<br />
gegenüber Don José. Als dieser endlich in der Schenke<br />
erscheint, ist es schon spät. Das Wiedersehen der Liebenden<br />
wird vom Zapfenstreich überrascht, und ein<br />
Streit entsteht, als Don José zur Kaserne zurückkehren<br />
will. Als nun auch noch der Carmen nachstellende Leutnant<br />
Zuniga, Don Josés Vorgesetzter, erscheint, wird<br />
Don José h<strong>and</strong>greifl ich. Es gibt nun keinen Weg zurück,<br />
er schließt sich den Schmugglern an.<br />
Im Schmugglerlager wird Carmen Don Josés zunehmend<br />
überdrüssig, spürt jedoch das herbeinahende<br />
Unglück und auch das Befragen der Karten prophezeit<br />
ihren baldigen Tod. Escamillo, der Carmen ins Lager<br />
gefolgt ist, wird vom wachhabenden Don José entdeckt<br />
und eifersüchtig in einen Messerkampf verwickelt. Carmen<br />
und die Schmuggler trennen die beiden und Carmen<br />
folgt einer Einladung Escamillos zum Stierkampf<br />
nach Sevilla. Trotz Escamillos Triumph in Sevilla bleibt<br />
Carmen allein vor der Stierkampfarena. Don José war<br />
ihr heimlich nach Sevilla gefolgt und erreicht sie noch<br />
vor der Arena. Stolz und st<strong>and</strong>haft widersteht Carmen<br />
seinen Annäherungen. Darüber gerät José so in Wut,<br />
daß er sie ersticht.<br />
Aufführung<br />
Francesca Zambellos Inszenierung ist ein Traum in<br />
Orange; manchmal funktioniert er und manchmal<br />
nicht. Eine Bühne aus runden, orangenen Einzelteilen,<br />
die konkav zur Zigarrettenfabrik und konvex zur Stierkampfarena<br />
ausgerichtet sind. Ein wunderschöner erster<br />
Akt mit Zitronenbaum, freilaufenden Hühnern und viel<br />
sonstigem Detail wurde kontrastiert von einer enttäuschenden<br />
Lillas Pastia Kneipe: die Schenkenatmosphäre<br />
der Schmuggler zeigte einen zu nüchternen Kontrast der<br />
schlichten Holztische vor orangefarbenem Hintergrund.<br />
Da half auch keine noch so ansprechende Beleuchtung.<br />
Die Wechselhaftigkeit der Inszenierung spiegelte sich<br />
auch in der Choreographie (Artur Pita) wieder. Der perfekt<br />
abgestimmte parallele Wachwechsel von Soldaten<br />
und Kindern im ersten Akt war ästhetisch und passend.<br />
Hingegen wirkt die Eröffnungsszene des zweiten Aktes<br />
hilfl os und das Zigeunerchanson Les tringles des sistres<br />
tintaient gestampft und plump. Der vierte Akt mit<br />
dem festlichen Einzug Escamillos und Blütenregen, mit<br />
18<br />
reichlich vielen B<strong>and</strong>erilleros und Picadores sowie einer<br />
waschechten Madonna entschädigte jedoch letzten Endes<br />
für vieles.<br />
Eine illustre Schar von Solisten bot hohen musikalischen<br />
Genuß auf breiter Basis. Allen voran der Argentinier<br />
Marcelo Álvarez, der sich selbst und der Rolle des Don<br />
José mit seinem vollen klaren Tenor wahrhaft gerecht<br />
wurde, und Susan Gritton, die als Micaëla mit ihrem<br />
wunderschönen klaren Sopran überraschte. Insbesondere<br />
im Duett mit Álvarez (José) Parle-moi de ma mère!<br />
klangen die beiden fast unwirklich. Auch Kyle Ketelsen<br />
(Escamillo) überzeugte stimmlich und mit durchaus spanischer<br />
Matadorarroganz. Nancy Fabiola Herrera sang<br />
eine durchaus akzeptable, jedoch schauspielerisch und<br />
gesanglich wenig überraschende Carmen.<br />
Daniel Oren dirigierte das gewohnt präzise Orchester<br />
des Royal Opera House so schnell, daß man sich fragte,<br />
ob er nach der Aufführung vielleicht noch ein Flugzeug<br />
erreichen mußte. Die Chöre brillierten in ihrer hohen<br />
Qualität. Insgesamt ein schöner Abend, insbesondere<br />
musikalisch.<br />
D. Zenner<br />
Bild: Catherine Ashmore<br />
Lüttich (Liège), Opéra Royal de Wallonie<br />
Maria Stuarda<br />
von Gaëtano Donizetti, lyrische Tragödie in zwei Akten<br />
Libretto: Giuseppe Bardari, Vorlage: Maria Stuart von Friedrich von<br />
Schiller, UA: 30. Dezember 1835, Mail<strong>and</strong>, Teatro alla Scala<br />
Regie/Kostüme: Francesco Esposito, Bühnenbild: Italo Grassi,<br />
Licht: Daniele Naldi; Dirigent: Luciano Acocella, Orchester und<br />
Chor der Opéra de Wallonie<br />
Solisten: Patrizia Ciofì (Maria Stuarda, Königin von Schottl<strong>and</strong>), Marianna<br />
Pizzolato (Elisabeth, Königin von Engl<strong>and</strong>), Diana Axentil (Anna<br />
Kennedy), Danilo Formaggia (Roberto, Graf von Leicester), Frederico<br />
Sacchi (Graf Giorgio Talbot ), Mario Cassi (Lord Guglielmo Cecil)<br />
Besuchte Aufführung: 30. April 2008 (Premiere)<br />
Lüttich liegt etwa 100 km von Köln entfernt und ist eine<br />
Stadt in der wirtschaftlich aufstrebenden belgischen Provinz<br />
Wallonie. Es hat ein mäßig subventioniertes Opernhaus.<br />
Seit Jahren gibt es ausgezeichnete Opern wie z.B.<br />
Le Roi d’Ys von E. Lalo oder Die heimliche Ehe von D.<br />
Cimarosa in der laufenden Saison und in der nächsten<br />
Spielzeit – unter neun Premieren – Paride ed Elena von<br />
Ch. W. Gluck (7.10.08) oder Fra Diavolo (24.4.09) von<br />
D.F.E. Auber. Was aber noch mehr ins Gewicht fällt ist<br />
die Sängerauswahl bei übrigens ausgezeichneten Inszenierungen.<br />
Unter der Sängerschar hat die Intendanz der<br />
Oper für die Belcanto-Oper Maria Stuarda wohl die besten<br />
ausgewählt: Patricia Ciofì und Marianna Pizzolato.<br />
Kurzinhalt<br />
Die berühmte Fehde zwischen der katholischen Königin<br />
von Schottl<strong>and</strong> und der protestantischen englischen Königin<br />
hat Schiller in seinem Drama nacherzählt, das dem<br />
Librettist in der Übersetzung von Andrea Maffei vorlag.
Durch einen Aufst<strong>and</strong> in Schottl<strong>and</strong> mußte Maria Stuart<br />
fl üchten. Sie begab sich in die Obhut von Königin Elisabeth,<br />
die sie aber auf Schloß Fotheringhay gefangen<br />
setzte.<br />
Dies ist der Hintergrund der Oper, die im Todesjahr der<br />
schottischen Königin 1587 spielt. Beide Königinnen sind<br />
in Graf Roberto Leicester verliebt, der Maria bevorzugt.<br />
Ziemlich bald steht für Elisabeth fest, daß sie ihre Kusine<br />
aus dem Weg räumen muß, da Maria auch Anspruch<br />
auf den englischen Thron hat. Die Zuneigung Robertos<br />
zu Maria beschleunigt ihren Entschluß zum Tod ihrer<br />
Widersacherin durch das Beil.<br />
Diese h<strong>and</strong>lungsarme Oper, deren Reichtum auf der<br />
Spiegelung der Charaktere und seelischen Verfassungen<br />
der beiden Protagonistinnen beruht, hat Donizetti<br />
mit überreichem Belcanto ausgestattet. Die Musik spielt<br />
hier womöglich noch eine größere Rolle als in seinen<br />
sonstigen Opern. Donizetti hat es gewagt, zwei Sopranstimmen<br />
die<br />
Hauptlast<br />
der Oper anzuvertrauen.<br />
Doch die<br />
großangelegten<br />
Arien<br />
und Duette<br />
geben erst<br />
die wirkliche<br />
psychologischeBefindlichkeit<br />
der beiden<br />
Königinnen<br />
wieder. Der<br />
Erfolg hängt<br />
nur von der<br />
Stimmqualität<br />
der Sängerinnen in<br />
den Rollen von Maria und Elisabeth ab.<br />
Aufführung<br />
Dies gelang dem Lütticher Team über alle Maßen! Besonders<br />
sind die Personenführung und die prächtigen Kostüme<br />
der damaligen Zeit durch den Regisseur Francesco<br />
Esposito (für Regie und Kostüme verantwortlich) hervorzuheben:<br />
Die Sängerinnen und Sänger bewegten sich<br />
so lebendig, daß man die H<strong>and</strong>lung, auch ohne die Worte<br />
im einzelnen zu verstehen, mitverfolgen kann. Neuerdings<br />
werden die Übertitel auch in Deutsch angezeigt,<br />
was wir sicher als Erleichterung wahrnehmen.<br />
Ein solches Stimmenpaar mit Patrizia Ciofì (Maria Stuarda)<br />
und Marianna Pizzolato (Elisabeth), ergänzt durch<br />
Danilo Formaggia (Roberto Leicester), der durchaus<br />
ebenbürtig sang, fi ndet man wahrlich nicht alle Tage!<br />
Die beiden exquisiten Sängerinnen f<strong>and</strong>en das rechte<br />
19<br />
Maß, das Honoré de Balzac in seiner Novelle Massimilla<br />
Doni in unnachahmlicher Weise folgendermaßen <strong>and</strong>eutet:<br />
Die Koloratur [im Belcanto] ist die höchste Ausdrucksform<br />
der Kunst, sie ist die Arabeske, die das schönste Gemach in der<br />
ganzen Wohnung ziert: ein wenig darunter, und wir haben nichts,<br />
ein wenig mehr und alles ist verwirrt.<br />
Patrizia Ciofì als Maria Stuarda muß ja mit ihren Arien<br />
fast den gesamten dritten Akt gestalten. Das erfordert<br />
ungemein viel Ausdauer, kluge Atemtechnik, abgewogenen<br />
Stimmeinsatz. Und sie muß die abenteuerlichsten<br />
Koloraturen gestalten, mal mit einem Fortissimo, mal mit<br />
einem Pianissimo oder der Messa di voce, dem Schwellton,<br />
in der Tiefe wie in der Höhe. Mühelos schaffte sie die<br />
hohen, über dem Chor liegenden Töne. Sie traf die Töne<br />
auch weit ausein<strong>and</strong>er liegender Intervalle messerscharf.<br />
Nie war ihre Stimme – etwa in der Höhenlage – schneidend,<br />
stets war sie lyrisch und ungemein angenehm zu<br />
hören. Nie verlor ihre Stimme die Spannung. Alles war<br />
musikalisch ungemein ausgewogen. Bei Marianna Pizzolato(Elisabeth),<br />
die<br />
eigentlich<br />
eine hohe<br />
Mezzosopranistin<br />
ist,<br />
konnte man<br />
Ähnliches<br />
beobachten.<br />
Sie war<br />
besonders<br />
in den Duettenüberzeugend.<br />
Danilo Formaggia(RobertoLeicester)<br />
sang<br />
seine Partie<br />
deutlich prononciert und hatte einen bewundernswerten<br />
Registerwechsel, d.h. unmerklich wechselte er von<br />
der Brust- in die Kopfstimme.<br />
Die Nebenrollen waren genauso gut besetzt. Hier gefi el<br />
mir besonders Diana Axentil als Anna Kennedy mit ihrem<br />
lyrischen Mezzo und ihrer deutlichen Aussprache.<br />
Die Aufführung ist eine Übernahme aus Bergamo und<br />
Rom aus dem Jahre 2006. In Rom sah ich die Aufführung<br />
mit der großartigen Sängerin Daniella Devia, die<br />
damals am 25. März 2006 frenetisch gefeiert wurde<br />
(s. Operapoint 2006, Heft 2). Hier in Lüttich sind die<br />
Opernbesucher zurückhaltender. Aber das disziplinierte<br />
Publikum gab allen Sängern, natürlich besonders Ciofì und<br />
Pizzolato, zum Schluß lang anhaltende Klatschsalven.<br />
Elisabeth (Marianna Pizzolato) li, bedroht Maria Stuarda (Patrizia Cofì) re<br />
O. Zenner<br />
Bild: Jack Croisier
New York, Metropolitan Opera<br />
Tristan und Isolde<br />
von Richard Wagner, Oper in drei Akten, Text vom Komponisten;<br />
UA: 1865 München; Regie: Dieter Dorn, Bühnenbild/Kostüm: Jürgen<br />
Rose, Licht: Max Keller; Dirigent: James Levine; Solisten: John<br />
Mac Master (Tristan), Deborah Voigt (Isolde), Michelle DeYoung<br />
(Brangäne), Eike Wim Schulte (Kurwenal), Matti Salminen (Marke),<br />
Stephen Gaertner (Melot), Matthew Plenk (Stimme eines jungen<br />
Seemanns), Mark Schowalter (Hirt), James Courtney (Steuermann).<br />
Besuchte Vorstellung: 10. März 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Tristan, der tapferste Held Cornwalls, und Isolde, Prinzessin<br />
von Irl<strong>and</strong>, sind fürein<strong>and</strong>er in Liebe entfl ammt.<br />
Da sie Repräsentanten verfeindeter Länder sind, sind sie<br />
allerdings außerst<strong>and</strong>e, sich ihre Liebe einzugestehen.<br />
Als Brangäne, die Zofe Isoldes,<br />
ihnen einen Liebestrank<br />
verabreicht, können sie es jedoch<br />
nicht länger vorein<strong>and</strong>er<br />
verheimlichen.<br />
Ihre Liebe – Isolde ist Tristans<br />
Lehnsherrn Marke zur Ehe<br />
versprochen – läßt sich jedoch<br />
nicht verwirklichen, und so<br />
beschließen beide, den Tod zu<br />
wählen, um ihrer unmöglichen<br />
Situation zu entfl iehen. Tristan<br />
stürzt sich in das Schwert<br />
Melots, als beide im Morgengrauen<br />
von Marke und seinem<br />
Hofstaat ertappt werden, und<br />
wird schwer verletzt. An seiner<br />
Wunde siechend erwartet er<br />
verzweifelt die Ankunft Isoldes,<br />
um den ersehnten Tod<br />
fi nden zu können. Als sie bei<br />
ihm eintrifft, stirbt er. Isolde<br />
schickt sich in ihrem Schlußgesang<br />
an der Leiche Tristans<br />
an, ihm zu folgen. Der Vorhang fällt.<br />
Aufführung<br />
Deborah Voigt (Isolde), li und<br />
Michelle DeYoung (Brangäne), re<br />
James Levines Vorliebe für breite Tempi ist allgemein<br />
bekannt, doch hält sich mit Ausnahme des dritten Aktes<br />
seine Interpretation in den Grenzen des allgemein Üblichen.<br />
Die Sänger – John Mac Master sprang an diesem<br />
Abend für den erkrankten Ben Heppner ein – bieten<br />
ohne Ausnahme musikalisch ein sehr hohes Niveau,<br />
selbst die Nebenrollen waren mit Kräften besetzt, über<br />
die sich jedes deutsche Theater freuen würde – vor allem<br />
der Kurwenal Eike Wim Schultes ist hier zu nennen –, und<br />
dennoch sprang der Funke an diesem Abend nicht über.<br />
Das lag zum einen sicherlich an der ausgesprochen biederen,<br />
teilweise sogar naiven Regie. Das Bühnenbild,<br />
von zwei perspektivisch zulaufenden Wänden begrenzt<br />
und stets monochrom beleuchtet, gestattet ausschließ-<br />
20<br />
lich Auftritte aus dem Bühnenboden heraus, was spätestens<br />
im zweiten Akt regelrecht ermüdete.<br />
Die gesamte große Liebesszene im zweiten Akt f<strong>and</strong> vor<br />
einem stark weiß-grünlich beleuchteten Hintergrund<br />
statt, der von dem Liebespaar lediglich die Umrisse erkennen<br />
ließ, ohne jegliche Bewegung auf der Bühne,<br />
und dürfte damit zu den einfallslosesten Inszenierungen<br />
dieser entscheidenden und immerhin mehr als vierzig<br />
Minuten dauernden Szene zählen. Einzelne Effekte<br />
wirkten unfreiwillig komisch und wurden vom Publikum<br />
dementsprechend auch mit lautem Gelächter quittiert,<br />
etwa, wenn nach dem Genuß des Liebestrankes die bis<br />
dahin in ein kaltes, weißes Licht gehüllte Bühne plötzlich<br />
tiefrot erstrahlte, wenn Isolde während ihrer Erzählung<br />
im ersten Akt plötzlich mit einer<br />
kleinen Tristan-Puppe in einem<br />
Miniaturboot hantierte, um das<br />
Erzählte zu illustrieren, und im<br />
dritten Akt Tristans Schloß Kareol<br />
– ebenfalls im Spielzeugformat<br />
und mit kleinen Pferden<br />
und Rittern dekoriert – aus dem<br />
Bühnenboden emporsteigt.<br />
Mit Ausnahme von Matti Salminen<br />
(Marke), dessen gewaltige<br />
Bühnenpräsenz auch an<br />
diesem Abend das Publikum<br />
förmlich hinriß, und der Bayreuth-erprobten<br />
Michelle De<br />
Young (Brangäne) scheiterten<br />
alle Darsteller an der vom Regisseur<br />
vorgegebenen ausgesprochen<br />
pathetischen und schwerfälligen<br />
Personenführung.<br />
Darüber hinaus zeigten sich bei<br />
Deborah Voigt, die an diesem<br />
Abend ihr Debüt als Isolde gab,<br />
und John Mac Master (Tristan)<br />
in ihren langen Monologen im ersten und<br />
dritten Akt teilweise gravierende Mängel in<br />
der Beherrschung des deutschen Textes.<br />
Insbesondere Tristans berüchtigter Fiebermonolog im<br />
dritten Akt mißlang gründlich, wofür Mac Master vom<br />
Publikum unbarmherzig ausgebuht wurde. Das war insofern<br />
bedauerlich, als er sich an diesem Abend deutlich<br />
unter Wert verkaufte. Seine Gesangstechnik und Nuancierungsfähigkeit,<br />
die – für einen Heldentenor völlig ungewöhnlich<br />
– sich durchaus mit der eines dramatischen<br />
Baritons messen kann, kam hier aufgrund seiner textlichen<br />
Unsicherheit kaum mehr zur Geltung. Außerdem<br />
erlaubt ihm seine enorme Korpulenz leider nur wenige<br />
Bewegungen auf der Bühne. Eine Mischung aus Heiterkeit<br />
und Furcht machte sich breit, als er am Beginn des<br />
dritten Aktes auf seinem Krankenbett liegend, das offensichtlich<br />
nicht für ihn konstruiert war, aufgrund des
leichten Gefälles der Bühne immer weiter unaufhaltsam<br />
in Richtung Orchestergraben rutschte.<br />
Fazit<br />
Bis auf wenige Momente herrscht in dieser Inszenierung<br />
gepfl egte Langeweile vor, auch wenn sich die Regie<br />
insgesamt recht eng an die Wagnerschen Regievorgaben<br />
hält und die musikalische Leistung von Orchester und<br />
Sängern wirklich über jeden Zweifel erhaben ist. Zwar<br />
ist man bei dieser Produktion vor unliebsamen Überraschungen<br />
von seiten der Regie sicher, zugleich fehlt es<br />
aber der altertümlich anmutenden Personenführung sowie<br />
der Ausstattung und Beleuchtung der Szene an Konsequenz,<br />
so daß kein überzeugendes Ganzes entsteht.<br />
Daher ist diese Produktion nur begrenzt zu empfehlen.<br />
Die derzeit in Bremen laufende Tristan-Inszenierung ist,<br />
obwohl sie in jeder Hinsicht mit ungleich begrenzteren<br />
Mitteln auskommen muß und mit einer ähnlich minimalistischen<br />
Personenführung arbeitet, der New Yorker in<br />
nahezu allen Punkten vorzuziehen.<br />
New York, Metropolitan Opera<br />
Peter Grimes<br />
M. Knust<br />
Bild: Ken Howard<br />
von Benjamin Britten (1913-1976), Oper in einem Prolog und drei<br />
Akten, Text von Montagu Slater nach einem Gedicht von George<br />
Crabbe; UA: 1945 London; Regie: John Doyle, Bühnenbild: Scott<br />
Pask, Kostüme: Ann Hould Ward, Licht: Peter Mumford<br />
Dirigent: Donald Runnicles, Chor der Metropolitan Opera, Einstudierung:<br />
Donald Palumbo; Solisten: Anthony Dean Griffey (Peter Grimes),<br />
Patricia Racette (Ellen Orford), Dean Peterson (Hobson), John<br />
Del Carlo (Swallow), Felicity Palmer (Mrs. Sedley), Jill Grove (Auntie),<br />
Greg Fedderly (Bob Boles), Anthony Michaels-Moore (Captain<br />
Balstrode), Bernard Fitch (Rev. Horace Adams), Leah Partridge u.a.<br />
Besuchte Vorstellung: 15. März 2008 (Premiere 28. Februar 2008)<br />
Kurzinhalt<br />
Das kleine Fischerdorf Borough zu Beginn des 19. Jahrhunderts.<br />
Der Fischer Peter Grimes ist angeklagt, den<br />
Tod seines Lehrlings verschuldet zu haben, was ihm jedoch<br />
nicht nachzuweisen ist. Die Stimmung im Dorf<br />
wird ihm gegenüber feindseliger, lediglich die Schulmeisterin<br />
Ellen Orford und Captain Balstrode halten noch<br />
zu ihm. Doch Grimes hat <strong>and</strong>ere Pläne: Seine genaue<br />
Kenntnis des Meeres, die ihm stets erfolgreiche Fischzüge<br />
erlaubt, will er ausnutzen, um genug Geld für eine<br />
sichere Existenz auf dem L<strong>and</strong>e zu verdienen und Ellen<br />
zu heiraten. Als er einen neuen Lehrling bekommt, führt<br />
er ihn gleich mit größter Strenge in sein H<strong>and</strong>werk ein.<br />
Zwar versucht ihn Ellen daran zu hindern, zuviel von<br />
dem Jungen zu verlangen, doch Grimes verliert darüber<br />
die Fassung und schlägt sie ins Gesicht. Seinen Lehrling<br />
scheucht er so unbedacht hinaus, daß dieser die Klippen<br />
hinunterstürzt. Doch nur wenige Tage gelingt ihm<br />
seine Geheimhaltung vom Tod des Lehrjungen, dann<br />
kommt der rasende Mob wiederum zu seiner Hütte.<br />
Grimes fl üchtet aufs Meer, setzt die Segel und versenkt<br />
sein Boot in einem aufkommenden Sturm.<br />
21<br />
Patricia Racette (Ellen Orford) und Erikson<br />
Aufführung<br />
Diese rezensierte Aufführung wurde weltweit in Kinos<br />
in über fünfzehn Ländern live übertragen, was sich, um<br />
es vorwegzunehmen, als wahrhafter Glücksgriff erwies.<br />
Musikalisch und szenisch bekam das Publikum an diesem<br />
Nachmittag Leistungen auf allerhöchstem Niveau<br />
geboten, wofür es sich mit stehenden Ovationen bei<br />
dem Sänger der Titelpartie und lauten Bravorufen für<br />
Dirigent und Orchester vor dem zweiten und dritten Akt<br />
bedankte, und das völlig zurecht. Donald Runnicles vermochte<br />
es, wirklich jeden Klang der Britten’schen Partitur<br />
an diesem Abend zum Ereignis werden zu lassen.<br />
Es dürfte wohl kaum möglich sein, diese Musik noch<br />
präziser – die gestochen scharfe Phrasierung in Holzund<br />
Blechbläsern, wie sie für amerikanische Orchester<br />
bezeichnend ist, kam hier voll zur Geltung –, klanglich<br />
ausgewogener – auch in den extrem lauten und leisen<br />
Passagen – und dabei so packend und atmosphärisch<br />
dicht aufzuführen. Dem Zuhörer wurde die Wucht von<br />
See und Sturm praktisch physisch erfahrbar, man glaubte<br />
förmlich, das Salz in der Luft zu schmecken.<br />
Die Sänger boten allesamt hervorragende Leistungen<br />
und klangschöne Stimmen – lediglich Patricia Racette<br />
(Ellen Orford) bildete aufgrund ihres unangenehm starken<br />
Tremolos eine Ausnahme – und erwiesen sich darüber<br />
hinaus als äußerst versierte Darsteller. Natürlich<br />
gebührt neben Felicity Palmer (Mrs. Sedley) dem Sänger<br />
der Titelpartie, Anthony Dean Griffey, hier das höchste<br />
Lob, denn seine enorme B<strong>and</strong>breite in der Tongebung,<br />
vom beinahe schon sprechenden Ton bis hin zum lyri-
schen, an Peter Pears – für den diese Partie komponiert<br />
wurde – erinnernden, leicht verschleierten Schmelz,<br />
paart sich mit einer großen darstellerischen Begabung,<br />
die dem Publikum diese düstere Figur in ihrer ganzen<br />
Widersprüchlichkeit nahebringt.<br />
Bühnenbild, Regie und Kostüme sind halb naturalistisch<br />
und greifen sehr geschickt die von der Oper geschilderte,<br />
bedrückende dörfl iche Enge auf: Die H<strong>and</strong>lung spielt<br />
auf engstem Raum, am vorderen R<strong>and</strong> der Bühne, der<br />
durch eine gewaltige Schuppenw<strong>and</strong>, die sich über die<br />
volle Höhe und Breite der Bühne erstreckt und keinen<br />
Himmel darüber erkennen läßt, abgegrenzt wird. Die Personenführung<br />
und Choreographie ist sehr intelligent und<br />
ökonomisch, nichts, was die musikalische Dramaturgie in<br />
irgendeiner Form stören würde. Das Publikum blieb, was<br />
für New Yorker Verhältnisse völlig ungewöhnlich ist, bis<br />
zum letzten Ton und sogar noch darüber hinaus auf seinen<br />
Plätzen und feierte die Ausführenden.<br />
Fazit<br />
Man kann der Met nur zu dieser Produktion gratulieren.<br />
Die schon beinahe hypnotische Wirkung von Runnicles’<br />
Dirigat wird durch die unaufdringliche, kultivierte Regie<br />
Doyles verstärkt und ergänzt. Ein Muß für jeden New-<br />
York-Besucher!<br />
Zürich, Opernhaus<br />
Intermezzo<br />
M. Knust<br />
Bild: Ken Howard<br />
von Richard Strauss (1864-1949), Bürgerliche Komödie in zwei<br />
Aufzügen, Text von Richard Strauss, UA: 4. November 1924 im<br />
Schauspielhaus Dresden; Regie: Jens-Daniel Herzog, Bühnenbild/<br />
Kostüme: Mathis Neidhardt, Licht: Jürgen Hoffmann, Dramaturgie:<br />
Stefan Rissi; Dirigent: Peter Schneider, Orchester der Oper Zürich;<br />
Solisten: Christiane Kohl (Christine), Florian Voigt (Franzl, ihr Sohn,<br />
stumme Rolle), Rod Gilfry (Hofkapellmeister Robert Storch), Martina<br />
Welschenbach (Anna, ihr Hausmädchen), Roberto Saccà (Baron<br />
Lummer), Ruben<br />
Drole (Notar), Liuba<br />
Chuchrova (Notarsgattin),<br />
Volker Vogel<br />
(Kapellmeister Stroh),<br />
Krešimir Strašanac<br />
(Kommerzienrat), Morgan<br />
Moody (Justizrat),<br />
Pavel Daniluk (Kammersänger),<br />
Felicitas<br />
Heyerick (Marie), Besuchte<br />
Aufführung: 13.<br />
März 2008 (Premiere 9.<br />
März 2008)<br />
Kurzinhalt<br />
Eine Verwechslung<br />
wird fein ausgesponnen.<br />
Die<br />
Ehefrau Christine des<br />
Hofkapellmeisters fi ndet in der Post ihres Mannes einen<br />
Brief, in dem eine gewisse Mieze Mayer ihren „lieben<br />
Schatz“ um zwei Opernkarten bittet und ihn nachher<br />
22<br />
in eine Bar einlädt. Empört reagiert die Ehefrau, sie<br />
schickt ihm ein Telegramm nach Wien und droht ihm<br />
die sofortige Scheidung an. Das Telegramm erreicht<br />
ihn in einer fröhlichen Skatrunde. Ein Mitspieler, der<br />
Kapellmeister Stroh, klärt die Verwechslung auf, ihm<br />
gilt der Brief, und nicht dem Hofkapellmeister Storch.<br />
Storch schickt den Kapellmeister Stroh sofort zu seiner<br />
Frau Christine. Da klärt sich alles auf. Letztendlich folgt<br />
die Versöhnung der Eheleute. „Das nennt man doch<br />
wahrhaftig eine glückliche Ehe.“<br />
Im ersten Aufzug hilft Christine ihrem Mann beim Packen<br />
und geht ihm mit ihren ständigen Stimmungswechseln auf<br />
die Nerven. Als er endlich abgereist ist, rodelt sie und fährt<br />
einen Skifahrer über den Haufen, der sich als Baron Lummer<br />
vorstellt. Christine bittet den jungen Mann, sie zu besuchen.<br />
Es entsteht ein freundschaftliches Verhältnis. Als<br />
er sie um tausend Mark anfl eht, ist sofort die Freundschaft<br />
beendet. Dann kommt der bewusste Brief.<br />
Aufführung<br />
Strauss bedient sich eines wortgetreuen Parl<strong>and</strong>o-Stiles.<br />
Erst am Schluß gibt es im Duett Christine/Robert ein<br />
arioses Aufblühen. Bis dahin beschränkte sich das melodische<br />
Element auf die breit angelegten sinfonischen<br />
Zwischenspiele. Altmeister Peter Schneider leitete das<br />
Opernorchester umsichtig und sehr transparent. Das<br />
Sängerensemble präsentierte sich auf gutem bis sehr<br />
gutem Niveau. Rod Gilfry als Hofkapellmeister Storch<br />
stach hervor mit seiner sonoren Baritonstimme. Auch<br />
Roberto Saccà (Baron Lummer), den wir von der Kölner<br />
Oper kennen, überzeugte mit seiner hellen, w<strong>and</strong>lungsfähigen<br />
Tenorstimme. Christiane Kohl (Christine)<br />
sang mit ein wenig scharfer Stimme.<br />
Die Übertitelung erfolgte in deutscher Sprache. Das war<br />
sehr angenehm, weil man die H<strong>and</strong>lung besser verfolgen<br />
konnte und<br />
den trockenen<br />
Witz des Textes<br />
verst<strong>and</strong>. Die<br />
Inszenierung<br />
von Jens-Daniel<br />
Herzog war<br />
wohltuend am<br />
Werk orientiert.<br />
Die Drehbühne<br />
blieb leer bis<br />
auf wenige Requisiten,<br />
so war<br />
viel Platz für<br />
die vergnüglich<br />
Christine (Christiane Kohl) und Baron Lummer (Roberto Saccà) beim Rodelunfall schauspielernden<br />
Sänger und Sängerinnen<br />
sowie für die muntere Statisterie. Das Publikum<br />
dankte mit lang anhaltendem Beifall.<br />
P. Sinkwitz<br />
Bild: Suzanne Schwiertz
Opernaufführungen in Deutschl<strong>and</strong><br />
Rezensionen in alphabetischer Ordnung nach Städten<br />
Aachen, Stadttheater<br />
Rigoletto<br />
von Giuseppe Verdi, Oper in drei Akten, Libretto: Francesco Maria<br />
Piave; UA: 11. März 1851, Venedig<br />
Regie: Ewa Teilmans, Bühnenbild: Elisabeth Pedross<br />
Dirigent: Daniel Jakobi, Sinfonieorchester Aachen, Opernchor<br />
Jean François Borras (Herzog von Mantua), Igor Morosow (Rigoletto),<br />
Michaela Maria Mayer (Gilda), Woong-jo Choi (Graf von Monterone),<br />
Johannes Piorek (Graf von Ceprano), Martin Berner (Marullo),<br />
Andreas Joost (Matteo Borsa), Pawel Lawreszuk (Sparafucile),<br />
Iva Danova (Maddalena), Anne Lafeber (Giovanna).<br />
Besuchte Aufführung: 16.02.2008<br />
Kurzinhalt<br />
Rigoletto, Hofnarr des Herzogs von Mantua, verhöhnt<br />
auf einem Fest den Grafen Monterone, weil dieser seine<br />
Tochter Gilda geschändet hatte. Monterone verfl ucht<br />
ihn. Rigoletto kehrt zu seiner Tochter Gilda nach Hause<br />
zurück. Sie ist sein ganzer Lebensinhalt. Daher versteckt<br />
er sie vor dem Hof. .Er weiß jedoch nicht, daß Gilda<br />
schon längst das Objekt der Begierde des Herzogs ist. In<br />
seiner Abwesenheit sucht der Herzog Gilda, um sie zu<br />
verführen, wird aber<br />
kurz vor dem Ziel von<br />
Rigolettos Rückkehr<br />
unterbrochen. Kurz<br />
darauf rächt sich die<br />
Hofgesellschaft an Rigoletto,<br />
indem sie Gilda<br />
entführt.<br />
Der Herzog erfährt<br />
von den Entführern,<br />
daß Gilda sich durch<br />
einen glücklichen Zufall<br />
im Palast befi ndet<br />
und verführt sie.<br />
Währenddessen fordert<br />
Rigoletto von den<br />
Höfl ingen die Herausgabe<br />
seiner Tochter, doch die Höfl inge weiden sich an<br />
Rigolettos Schmerz. Gilda erscheint. Voller Scham erzählt<br />
sie ihrem Vater die Wahrheit über ihre heimliche<br />
Liebe. Obwohl sie der Herzog betrogen hat, will sie ihm<br />
verzeihen. Doch Rigoletto will nur noch Rache nehmen<br />
an dem Mann, der seine Tochter entehrt hat. Er heuert<br />
den Berufsmörder Sparafucile an, den Herzog zu ermorden.<br />
Vorher will er Gilda aber beweisen, daß ihr Geliebter<br />
in Wahrheit ein treuloser Herzensbrecher ist. Er zwingt<br />
sie anzusehen, wie der Herzog in einem Gasthof mit<br />
Maddalena, der Schwester Sparafuciles fl irtet. Aber auch<br />
23<br />
Maddalena erliegt dem Charme des Herzogs und überredet<br />
ihren Bruder, diesen zu verschonen und statt dessen<br />
den nächsten Besucher der Gaststätte zu ermorden und<br />
als Opfer auszugeben. Gilda hat die Unterhaltung angehört<br />
und spielt den nächsten Besucher der Gaststätte. Rigoletto<br />
muß mit Erschrecken feststellen, daß der Sack,<br />
der ihm von Sparafucile übergeben wurde, nicht den<br />
toten Herzog, sondern seine sterbende Tochter enthält.<br />
Damit hat sich der Fluch Monterones erfüllt.<br />
Aufführung<br />
Die ständig wechselnden Schauplätze wurden durch<br />
eine bemalte Leinw<strong>and</strong>konstruktion aufgegriffen, die<br />
sich drehen ließ. Zu Beginn zeigte diese das Innere einer<br />
Palasthalle in Olivtönen, später die Palastmauern in gelb<br />
und violett. Auch Kostüme und Lichteffekte blieben in<br />
dem Farbenspektrum. Die Hofdamen trugen violette<br />
Ballkleider, die Herren hatten schwarze Fracks an und<br />
hielten Gehstöcke.<br />
Zwei Welten wurden<br />
hier kunstvoll<br />
in Szene gesetzt:<br />
die an Spaß orientierteHofgesellschaft<br />
auf der einen<br />
und die bürgerliche<br />
Beschränktheit auf<br />
der <strong>and</strong>eren Seite.<br />
Die Höfl inge<br />
wurden schauspielerisch<br />
vor allem<br />
durch Andreas<br />
Joost (Matteo Borsa)<br />
und Martin<br />
Berner (Marullo)<br />
vertreten. Beide<br />
stellten ihre Rolle<br />
durch ihre sexistischen Anspielungen sehr überzeugend<br />
dar. Hier ist auch Jean François Borras (Herzog von<br />
Mantua) zu erwähnen, der mit seinem strahlenden Tenor<br />
der Rolle sehr viel Aristokratisches verlieh, von seinem<br />
äußeren Erscheinungsbild einmal abgesehen, das weniger<br />
zu einem jugendlichen Frauenhelden paßte.<br />
Der Graf von Monterone (Woong-jo Choi, rechts) stört die heitere Festgesellschaft des Herzogs<br />
(Yikun Chung, links) und wird von Rigoletto (Igor Morosow, Mitte) verhöhnt.<br />
Die bürgerliche Welt, vertreten von Igor Morosow (Rigoletto)<br />
und Michaela Maria Mayer (Gilda), spielte den<br />
Gegenpart. Morosows kräftige Baritonstimme verlieh<br />
dem vom Haß und Schmerz zerfressenen Narren viel<br />
Nachdruck, doch als liebevoller Vater war die Stimme
weich und sanft. Mayer (Rollendebüt als Gilda) war<br />
dafür wie geschaffen; denn ihr lyrischer Sopran paßte<br />
gut zu der mädchenhaften Unschuld Gildas. Mit ihrem<br />
Aussehen (gelockte, blonde, lange Haare, schlanke Figur)<br />
entsprach sie dem Bild einer Frau mit den Zügen<br />
eines Engels voll und ganz. Woon-Jo Choi (Monterone)<br />
brachte durch seinen kurzen, aber eindrucksvollen<br />
Auftritt den Saal mit seinem schmetternden Baßbariton<br />
zum Erbeben.<br />
Nicht zuletzt sollte hier die Leistung des Orchesters erwähnt<br />
werden, das von Daniel Jakobi dirigiert wurde.<br />
Die Stimmungswechsel in Verdis Musik – von Erheiterung<br />
am Anfang bis Erschütterung ganz zum Schluß<br />
– wurden gut umgesetzt.<br />
Das ausverkaufte Haus war tief beeindruckt. Am Ende erhob<br />
sich das Publikum sogar von den Sitzen, wobei Michaela<br />
Maria Meyer hier den stürmischsten Applaus einheimste.<br />
Fazit<br />
Die Aachener Inszenierung ist eine sehr originalgetreue<br />
Umsetzung der Oper Verdis. Man fühlte sich miteinbezogen<br />
in das Geschehen, das dank der brillanten Besetzung<br />
und der großartigen musikalischen Leistung allen<br />
Ansprüchen gerecht wurde.<br />
M. Joannidis<br />
Bild: Ludwig Koerfer<br />
Aachen, Theater<br />
Orfeo ed Euridice – Opheus und Euridice<br />
von Christoph Willibald Gluck, Oper in drei Akten, in italienischer<br />
Sprache, Libretto: Ranieri de Calzabigi, UA: 5. Oktober 1762, Wien<br />
Regie: Martin Philipp, Bühnenbild: Detlev Beaujean<br />
Dirigent: Volker Hiemeyer, Sinfonieorchester Aachen, Opernchor,<br />
Solisten: Annika van Dyk (Orfeo), Zoe Nicolaidou (Euridice), Soo-<br />
Jin Park (Amor); Besuchte Aufführung: 13.4.2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Während Orfeo den Tod seiner Gattin Euridice betrauert,<br />
erscheint Gott Amor. Er bietet ihm an, in die Unterwelt<br />
zu reisen, um Euridice zurück ins Leben zu holen.<br />
Einzige Bedingung sei, daß Orfeo Euridice auf keinen<br />
Fall ansehen dürfe,<br />
<strong>and</strong>erenfalls würde er<br />
sie erneut für immer<br />
verlieren. Orfeo hat<br />
Zweifel: Wie wird Euridice<br />
wohl auf sein<br />
Verhalten reagieren?<br />
Vor den Toren der<br />
Unterwelt versperren<br />
Furien ihm die Pforten.<br />
Doch durch seinen<br />
Gesang sind die<br />
Furien so ergriffen,<br />
daß sie ihn passieren<br />
lassen. Orfeo durchquert<br />
die Tore und<br />
Das Bild zeigt Annika van Dyk (Orfeo), Zoe Nicolaidou (Euridice, liegend)<br />
24<br />
trifft wenig später auf Euridice. Er ergreift ihre H<strong>and</strong><br />
und fordert sie auf, ihm schweigend zu folgen. Dabei<br />
schaut er sie nicht an. Euridice ist verwirrt und deutet<br />
sein distanziertes Verhalten als Gleichgültigkeit ihr gegenüber.<br />
Als sie ihn immer intensiver anfl eht, sieht er sie<br />
an. Gleich darauf stirbt Euridice. Aus Verzweifl ung will<br />
Orfeo ebenfalls sterben. Aber auch hier hat Amor Mitleid<br />
mit ihm und verhindert dies. Er erweckt Euridice<br />
wieder zum Leben und schickt das Paar zurück auf die<br />
Erde. In freudiger Stimmung wird der Triumph des Liebesgottes<br />
gefeiert.<br />
Vorbemerkung<br />
Bei dieser Oper h<strong>and</strong>elt es sich um ein besonderes<br />
Werk im Schaffen Glucks. Sie stellt den Versuch einer<br />
Synthese von Opera seria und der französischen Tragédie<br />
lyrique dar. Daher hat Gluck die Oper sowohl in italienischer,<br />
als auch in französischer Sprache geschrieben.<br />
Damit bricht Gluck mit der Operntradition des frühen<br />
18. Jahrhunderts, indem er deren Künstlichkeit bzgl. der<br />
ausgedehnten Koloraturarien ablehnt. Statt dessen besticht<br />
diese Opernform durch Einfachheit und geradlinige<br />
H<strong>and</strong>lung. Leider lieferte das Programmheft des<br />
Opernhauses wenig Informationen über diese Besonderheiten<br />
der Gluckschen Oper.<br />
Aufführung<br />
Die Inszenierung rückte die Musik ganz in den Vordergrund.<br />
Dies geschah vor allem durch eine sehr schlichte<br />
Optik von Bühnenbild und Kostümen.<br />
Im ersten Akt blieb die Bühne, abgesehen von einer<br />
Treppe und einem Messer als Requisite, leer. Auf eine<br />
schwarze W<strong>and</strong> (als Ersatz für einen roten Vorhang)<br />
wurde ein Film projiziert. Er zeigte die beiden Hauptdarsteller<br />
glücklich als Paar vereint. Im zweiten Akt hob<br />
sich die schwarze W<strong>and</strong> und enthüllte eine erhöhte Konstruktion,<br />
die die Höllenatmosphäre sehr beeindruckend<br />
vermittelte. Kleine Figuren, die auf eine Walze gesteckt<br />
waren und sich um ihre eigene Achse drehten, stellten<br />
die Furien dar. Die Szene im Elysium wurde aufgegriffen<br />
durch eine Waldatmosphäre<br />
in Grüntönen.<br />
Dies blieben die<br />
einzigen bunten Effekte<br />
in dem Stück, bei<br />
dem sonst die Farbe<br />
Schwarz vorherrschte.<br />
Auch die Kostüme<br />
waren unauffällig<br />
schwarz, allein Euridice<br />
trug ein weißes Kleid.<br />
Stimmlich überzeugte<br />
Annika van Dyk (Orfeo)<br />
durch ihren warmen<br />
Mezzosopran,<br />
der gut zu ihrer Rolle
paßte. Auch schauspielerisch konnte sie Orfeos Verzweifl<br />
ung durch eine sehr überzeugende Mimik Ausdruck<br />
verleihen. Sehr auffallend war auch Soo-Jin Park<br />
(Amor), deren klarer und schmetternder Sopran eine<br />
Bereicherung für das Stück war.<br />
Die Rolle des Amors spielte sie ebenfalls sehr überzeugend,<br />
wobei sie die intriganten Züge des Gottes in den<br />
Vordergrund rückte. Sie trug ständig zwei Puppen mit<br />
sich, die Orfeo und Euridice verkörpern sollten. Durch<br />
diese manipulierte sie die beiden, wo sie nur konnte, wie<br />
bei einem Voodo-Zauber. Damit zeigte sich deutlich, wer<br />
in dem Stück die Fäden in der H<strong>and</strong> hielt. Auch ihr Aussehen<br />
(schwarzes Lederkleid und kurze schwarze Zöpfe)<br />
unterstrich den verspielten Charakter ihrer Rolle.<br />
Zoe Nicolaidou (Euridice) war ein weiterer Höhepunkt<br />
des Abends. Durch ihren kräftigen, metallischen Sopran<br />
konnte sie vor allem den Schmerz und die Ängste<br />
Euridikes sehr gut umsetzen. Besonders hervorzuheben<br />
ist auch die Leistung des Chores, der sehr gut mit dem<br />
Orchester unter Volker Hiemeyer zusammen agierte.<br />
Das Ende des Stückes war etwas irritierend, da es dem<br />
glücklichen Ende der Vorlage nur teilweise entsprach.<br />
Auch hier war Soo-Jin Park als Amor wieder sehr dominant.<br />
Sie versetzte dem Liebespaar einen Stoß, das sich<br />
daraufhin wie ein Uhrwerk in Bewegung setzte und im<br />
Kreis drehte. Somit wurde die Abhängigkeit von Amors<br />
Wohlwollen doch ein wenig auf die Spitze getrieben.<br />
Fazit<br />
Eine sehr schlichte Umsetzung des Stückes, die sich auf<br />
das Musikalische konzentriert. Optisch nicht unbedingt<br />
spektakulär, dafür aber fürs Hören um so mehr.<br />
M. Joannidis<br />
Bild: Carl Brunn<br />
Bayreuth, Markgräfl iches Opernhaus<br />
Iphigenie auf Tauris<br />
von Christoph Willibald Gluck (1714-1787) Tragédie lyrique in vier-<br />
Akten, Libretto: Nicolas-François Guillard; UA: 18. Mai 1779, Palais<br />
Royal, Paris; Deutsche Fassung: Ch. W. Gluck<br />
und Johann Baptist von Alxinger (1723-81);<br />
UA (deutsch): 1781, Burgtheater Wien<br />
Regie: Claus J. Frankl, Kostümbild: Ruth<br />
Krottentaler<br />
Dirigent: Christoph Ulrich Meier, Opernorchester<br />
der Jungen Internationalen Orchesterakademie,<br />
Sonderchor der Bayreuther Festspiele<br />
Solisten: Johanna Winkel (Iphigenie), Christoph<br />
Schröter (Orest), Bohyeon Mun (Pylades), Jae<br />
Won Yang (Thomas), Nicala Becht (Diana).<br />
Besuchte Vorstellung: 30.03.2008<br />
(Premiere 29. März 2008)<br />
Kurzinhalt<br />
Iphigenie fi ndet nach Jahren des<br />
Dienstes im Tempel der Diana ihren<br />
Bruder Orest wieder. Dieser, ein Ge-<br />
25<br />
fangener der Skythen, soll zusammen mit seinem Freund<br />
Pylades als Menschenopfer getötet werden. Durch Eingreifen<br />
der Diana wird dies verhindert und alle drei können<br />
zusammen in ihre Heimat fahren.<br />
Aufführung<br />
Claus J. Frankl, erfahrener Operetten- und <strong>Music</strong>aldarsteller<br />
und Regisseur, sah sich in seiner Interpretation<br />
des Gluckschen Stoffes mit einer großen Schwierigkeit<br />
konfrontiert: Geldmangel. Sein Bühnenbild, zusammengestückelte<br />
Kostüme aus allen Erdteilen und Epochen,<br />
minderten den Eindruck, den das Werk Glucks verdient.<br />
Dazu kamen noch ein paar überfl üssige Regiegags, wie<br />
die Nachwuchsregelung der Diana-Priesterinnen.<br />
Die Priesterinnen trugen auch keine griechischen Gewänder,<br />
sondern glichen Samurai-Nonnen aus einem<br />
schlechten Film. Ebenso Thoas, der mal an Krücken<br />
gehen mußte, dann aber auch ohne Gehhilfen ganz bequem<br />
laufen konnte, trug Asiatisches, so daß zusammen<br />
mit dem Kostüm Iphigenies, ein weißes Fin-de-siecle-<br />
Kleid mit einem Zwanziger-Jahre-Mantel, der Eindruck<br />
entstehen konnte, man sei in einer schlechten L<strong>and</strong>-des-<br />
Lächelns-Show gel<strong>and</strong>et. Die Statisterie brachte schon<br />
mal durch ihre Gesichtsbemalung einen ersten Eindruck auf<br />
die kommende Fußball-Europameisterschaft in Österreich.<br />
Nun denn, für eine gute Inszenierung wird halt etwas<br />
Geld benötigt. Die einzelnen Figuren waren zwar durch<br />
Frankl glaubwürdig in Szene gesetzt, überzeugten aber<br />
am Ende doch nur durch ihre sängerische Leistung.<br />
Überragend Johanna Winkel als Iphigenie. Ihre angenehm<br />
timbrierte Stimme überzeugte in allen Lagen. Bohyeon<br />
Mun als Pylades, sehr deutlich zu verstehen, erstrahlte<br />
in der hervorragenden Akustik des Markgräfl ichen<br />
Opernhauses. Christoph Schröter (Orest) wurde nach der<br />
Pause deutlich besser.<br />
Der eigentliche Star an diesem Abend aber war die Junge<br />
Internationale Orchesterakademie unter Ulrich Meier.<br />
Das Orchester beglückte mit einem Glanz, den man in<br />
größeren Häusern so oft vermißt. Meier gelingt es immer,<br />
das Orchester den stimmlichen Bedürfnissen auf<br />
der Bühne anzupassen. Auch ist die Musikalität des Cho-<br />
Iphigenie und Orest im Vordergrund, dahinter der Damenchor
es, jeweils sechs Damen- und Herrenstimmen, besonders<br />
hervorzuheben. Stets bemüht, der Szene Ausdruck zu verleihen,<br />
sind sie dennoch immer in der Musik präsent.<br />
Der Eindruck, den die diesjährige Opernproduktion des<br />
Bayreuther Opernfestivals hinterließ, ließe sich durch eine<br />
bessere Ausstattung steigern. Hier wären Sponsoren gefordert,<br />
aber auch eine bessere Vermarktung der Opernaufführung<br />
könnte dazu beitragen, daß Bayreuth neben<br />
seinem Sommerevent auch im Frühling aus seinem kulturellen<br />
Dornröschenschlaf erweckt würde. Dem Intendanten<br />
Ulrich Schubert und seinem Team ist jedenfalls<br />
zu dieser Produktion zu gratulieren und der Iphigenie<br />
auf Tauris wäre eine längere Laufzeit zu wünschen.<br />
Berlin, Komische Oper<br />
Teseo - Theseus<br />
A.M. Hauer<br />
Bild: Opernhaus Bayreuth<br />
von Georg Friedrich Händel, Oper in fünf Akten, Text von Niccolò<br />
Francesco Haym nach dem Libretto von Philippe Quinault zur Tragédie<br />
en musique Thésée von Jean-Baptiste Lully; UA: 1713 London<br />
Deutsche Textfassung: Bettina Bartz/Werner Hintze; Inszenierung: Benedikt<br />
von Peter. Bühnenbild: Natascha von Steiger, Kostüme: Katrin<br />
Wittig, Licht: Frank Evin; Dirigent: Aless<strong>and</strong>ro de Marchi, Orchester der<br />
Komischen Oper; Solisten: Elisabeth Starzinger (Theseus), Marina Rebeka<br />
(Agilea), Stella Doufexis (Medea), Hagen Matzeit (Ägeus), Karolina<br />
Andersson (Clizia), David DQ Lee (Arkane)<br />
Besuchte Vorstellung: 10. Februar 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Medea, die Zauberin aus Kolchis, liebt den athenischen<br />
Kriegshelden Theseus, der wiederum Agilea liebt. Nach<br />
mehreren erfolglosen Versuchen, die beiden zu trennen,<br />
beschließt Medea, Agilea zu töten und macht sich König<br />
Ägeus zum Komplizen. Als der sich jedoch daran<br />
macht, Theseus zu vergiften, erkennt er ihn an seinem<br />
Schwert als seinen vermißten Sohn. Medea, die nun die<br />
ganze Welt vernichten will, wird durch das Eingreifen<br />
einer göttlichen Macht daran gehindert.<br />
Aufführung<br />
Es h<strong>and</strong>elt<br />
sich bei dieser<br />
Inszenierung<br />
um das Berliner<br />
Debüt des<br />
1977 geborenen<br />
Regisseurs<br />
Benedikt von<br />
Peter. Wie auch<br />
die <strong>and</strong>eren<br />
Kräfte seines<br />
Teams stehen<br />
die meisten<br />
seiner Sänger<br />
am Beginn ihrer<br />
Karrieren.<br />
Von einem<br />
solch jungen<br />
26<br />
Ensemble wird man eine kühne, unkonventionelle, vielleicht<br />
sogar rebellische Lesart des Textes erwarten. Und<br />
die bekam man geboten.<br />
Um es gleich vorwegzunehmen: Wer mit den Operninszenierungen<br />
etwa eines Christoph Schlingensief, ihrer oft<br />
sehr lockeren, assoziativen und multimedialen Bildgebung<br />
prinzipiell nicht zu Recht kommt, für den war<br />
der Abend schon gelaufen, bevor der erste Ton gespielt<br />
war. In dem Stück sieht kein Schauplatz auch nur annähernd<br />
so aus, wie man ihn sich nach den Vorgaben<br />
des Librettos vorstellen würde. Die Darsteller bewegen<br />
sich viel und oft aufgeregt, praktisch immer sind mehr<br />
Personen auf der Bühne, als gerade singen, um stumme<br />
Aktionen auszuführen, der Umgang mit der Musik ist<br />
stellenweise sehr frei, es kommt zu Unterbrechungen<br />
mit kurzen gesprochenen Monologen (z.B. wird Heiner<br />
Müllers Gedicht Verkommenes Ufer im 4. Akt rezitiert),<br />
Laiendarsteller wirken mit (eine arabische Familie), die<br />
Darsteller werden mit Kübeln begossen, dekorieren sich<br />
gegenseitig mit Schlagsahne usw.<br />
Der komplette erste und der Beginn des vierten Aktes<br />
spielen vor dem eisernen Vorhang, der Rest der H<strong>and</strong>lung<br />
auf der vollkommen mit Schlamm bedeckten<br />
Opernbühne. Allein aus diesen wenigen Beispielen wird<br />
ersichtlich, was für eine Strategie mit dieser Inszenierung<br />
verfolgt wird. Wer allerdings mit dieser zum Teil<br />
anarchisch anmutenden Ästhetik keine Schwierigkeiten<br />
hat, auf den wartete ein überaus amüsanter und darüberhinaus<br />
musikalisch bravourös gemeisterter Abend.<br />
Da es viel zuviel zu sehen und – wenn man erst einmal<br />
das Programmheft zur H<strong>and</strong> nimmt – zu deuten gibt,<br />
um alles zu erwähnen, läßt sich der Gesamteindruck der<br />
Inszenierung in etwa so zusammenfassen:<br />
Man wird Benedikt von Peters Arbeit wegen der Freiheit<br />
seiner Deutung sicherlich einiges vorwerfen kön-<br />
Stella Doufexis (Medea), vorne knieend
nen, aber nicht, sie sei langweilig, humorlos, ignoriere<br />
das musikalische Geschehen und sei nicht sachkundig.<br />
Das Timing der Aktionen ist – dank der hervorragenden<br />
Darsteller – brillant, so daß während der dreieinhalbstündigen<br />
Oper keinerlei Leerlauf aufkommt. Das<br />
Libretto mit seinen mitunter wenig überzeugenden Entwicklungen<br />
wird sowohl in seiner Absurdität als auch<br />
seinen ethischen Momenten ernst genommen.<br />
Händels Stoff bietet eine Fülle verwickelter Liebesbeziehungen<br />
und besitzt zugleich eine politische Dimension,<br />
da die Oper, wie es für das 17. und frühe 18. Jahrhundert<br />
typisch ist, im Milieu der Helden, Könige und Halbgötter<br />
spielt, . Dies kommt in der Inszenierung ebenso zum<br />
Ausdruck wie der Umst<strong>and</strong>, daß die H<strong>and</strong>lung vor dem<br />
Hintergrund eines Krieges zu sehen ist, eines Krieges,<br />
der die Protagonisten zeichnet.<br />
Musik und Sänger<br />
Das Orchester der Komischen Oper brachte, in historischer<br />
Aufstellung und mit historischen Instrumenten<br />
angereichert, unter der Leitung von Aless<strong>and</strong>ro de<br />
Marchi einen kräftig-dunklen, dabei ungemein genau<br />
artikulierten und akzentuierten Klang hervor. Das Zusammenwirken<br />
mit den Sängern in ihren Koloraturarien,<br />
die, wie in den einschlägigen Ensembles seit ein paar<br />
Jahren üblich, in einem sehr schnellen Tempo genommen<br />
wurden, war in seiner Präzision<br />
wirklich atemberaubend. Alle Solisten<br />
wurden völlig zu Recht mit Bravorufen<br />
für ihre Leistungen bedacht.<br />
Sämtliche Sängerinnen und die beiden<br />
Counter-Tenöre verfügen über<br />
eine hochspezialisierte Technik, die<br />
ihnen gestattet, exakt phrasierte,<br />
schnelle Läufe und Figurationen<br />
ebenso souverän zu singen wie auch<br />
einen forcierten, raumfüllenden Ton<br />
zu erzeugen.<br />
Die Nuancierungsmöglichkeiten aller<br />
Sänger, etwa von Stelle Doufexis<br />
als Medea, stehen auf höchstem Niveau.<br />
Von der Regie wurde bisweilen<br />
in ihre Partien eingegriffen, indem<br />
einige kurze Rezitativphrasen gesprochen<br />
oder nur halb gesungen und in den Arien einzelne<br />
Töne verlängert oder Gliss<strong>and</strong>i eingefügt wurden; doch<br />
betrifft dies nur einen sehr kleinen Teil der Partitur. Alle<br />
Chöre und Bühnenmusiken kamen, zum Teil elektronisch<br />
verfremdet, vom B<strong>and</strong>.<br />
Fazit<br />
Musikalisch ist diese Inszenierung ein Traum. Sie ist jedoch<br />
wirklich nur etwas für Leute, die offen für Überraschungen<br />
sind, oder für Freunde des modernen, experimentierfreu-<br />
gen Theaters. In jedem Falle sehr kurzweilig.<br />
M. Knust<br />
Bild: Monika Rittershaus<br />
27<br />
Bonn, Oper<br />
L´Italiana in Algeri<br />
von Gioachino Rossini, Dramma giocoso per musica, zwei Akte; Libretto:<br />
Angelo Anelli; UA: 25. Mai 1813, Teatro San Benedetto, Venedig.<br />
Regie: Andrea Schwalbach, Bühne: Anne Neuser, Kostüme: Stephan<br />
von Wedel; Dirigent: Wolfgang Lischke, Herrenchor, Einstudierung:<br />
Sibylle Wagner, Choreographie: Ulrike Schumann<br />
Solisten: Martin Tzonev (Mustafa), Anna Virovlansky (Elvira), Anjara<br />
I. Bartz (Zulma), Algis Lunskis (Haly), Jónas Gudmunđsson (Lindoro),<br />
Susanne Blattert (Isabella), Haris Andrianos (Taddeo)<br />
Besuchte Aufführung: 2. März 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Algier um 1810 Mustafa, der Bey von Algier, ist seiner<br />
Frau Elvira überdrüssig. Sein Vertrauter Haly soll ihm eine<br />
temperamentvolle Italienerin zuführen und Elvira mit seinem<br />
italienischen Sklaven Lindoro verheiraten. Isabella<br />
macht sich mit ihrem Gefährten Taddeo auf die Suche nach<br />
ihrem Geliebten Lindoro und str<strong>and</strong>et mit dem Schiff vor<br />
der Küste Algeriens. Haly nützt die Gelegenheit und führt<br />
Isabella seinem Herrn, der sofort von ihr hingerissen ist. Um<br />
Isabella für sich einzunehmen, ernennt Mustafa ihren „Onkel“<br />
Taddeo zum „Kaimakan“. Mustafa, Taddeo und Lindoro<br />
beobachten Isabella heimlich bei der Toilette. Sie will<br />
sich für ihren Liebsten schön machenl. Jeder der drei bildet<br />
sich ein, er sei gemeint. Isabella verspricht Mustafa, ihn zu<br />
lieben, wenn er sich zum „Pappataci“, einem Mampfenden<br />
und Schweigenden, machen lasse. Die Zeremonie nutzen<br />
Susanne Blattert (Isabella); Haris Andrianos (Taddeo)<br />
Isabella, Lindoro und die übrigen Sklaven zur Flucht. Zu spät<br />
erkennt Mustafa den Schwindel und fügt sich in sein Schicksal.<br />
Aufführung<br />
Die Regisseurin hat den im osmanischen Algier angesiedelten<br />
Stoff in die Gegenwart verlegt. Während der Ouvertüre<br />
klebt Isabella im grauen Kostüm, strenger Frisur<br />
und Brille, zurecht gemacht wie eine Oberlehrerin, Suchplakate<br />
mit dem Konterfei Lindoros an eine Mauer. Ihr<br />
Geliebter gleicht einem Buchhalter, als er mit Mustafa<br />
in einer Art Kaffeehaus, eher eine Teestube mit Fischtheke<br />
und Pepsi-Kühlschrank, lose angebunden sitzt. Den
Mokka nimmt man aus Teegläsern zu sich. Mustafa als Macho<br />
zu erkennen, ist nicht eben originell gestaltet: Zum weißen<br />
Nadelstreifenanzug trägt er ein lila Hemd, sowie dicke<br />
Goldketten. Die Begegnung der Kulturen fi ndet also nur<br />
im Klischee statt: Auch dann, wenn ein fl iegender Teppich<br />
vorbeisaust, ein Kamel um die Ecke blickt und die von<br />
einem dickbäuchigen Eunuchen unterstützte Bauchtanzgruppe<br />
orientalischen Reiz bringen. Aus der delikat erdachten<br />
Komödie werden gut getimte Klamauknummern, die<br />
man mögen muß – oder auch nicht.<br />
Mit ihrem Sportboot krachen Taddeo und Isabella durch<br />
die Requisite. Zu Lachen gibt es also reichlich. Die schauspielerische<br />
und choreographische Darbietung der Statisterie<br />
und des Herrenchors sind glänzend.<br />
Die Haremsdamen tragen zunächst Burka, später von der<br />
Italienerin quasi „infi ziert“, ebenfalls graue Kostüme, die<br />
Herren westliche Anzüge. Lindoro, der gerne seine Rechenmaschine<br />
umklammert, wirkt kalkulierbar. Alle Sklaven<br />
und Herren, das macht die schauspielerisch und sängerisch<br />
herausragende Susanne Blattert (Isabella) klar, verfallen ihr,<br />
der durch das „Schicksal gestärkten“ Primadonna. Wenn<br />
sie sich zur gemeinsamen Kaffeestunde bis auf den Unterrock<br />
auskleidet, sind nicht nur die drei Herren, sondern<br />
auch der ganze Harem wie paralysiert und auch der Kühlschrank<br />
dampft. Elvira hält den Emanzipationsschriften<br />
ihrer Zofe das kitschige Hochzeitsbild entgegen, denn für<br />
sie und Mustafa bleibt nach wie vor alles beim Alten. Das<br />
Orchester kann bis auf Details gut mithalten. Die<br />
Sänger, allen voran Susanne Blattert, können mit<br />
warmen leichtem Belcanto einnehmen, wie der<br />
im leichten Parl<strong>and</strong>ostil singende Martin Tzonev<br />
(Mustafa) und der überzeugende Haris Andrianos<br />
(Taddeo), dessen Komik brillant ist. Eine gewisse<br />
Enttäuschung war Jonas Gudmundsson (Lindoro),<br />
der trotz seines schönen Tenors besonders in seiner<br />
ersten Arie die Höhen forcierte, was der Leichtigkeit<br />
von Rossinis Musik gar nicht gut st<strong>and</strong>. Anna<br />
Virovlansky verkörperte mit hellem Sopran die<br />
Partie der Elvira, Algis Lunskis (Zulma) und Anjara<br />
I. Bartz (Haly) und machten aus ihren Nebenrollen<br />
stimmlich und agierend das Beste.<br />
Fazit<br />
Das Orchester spielte, wenn auch gelegentlich etwas dominant<br />
(z.B. Finale 1. Akt), musikalisch, sieht man von der<br />
nicht gerade repräsentativen Solofl öte in der Ouvertüre<br />
einmal ab. Der Wechsel zwischen Rezitativen und Arien<br />
gelang bruchlos. Schauspielerisch war die Aufführung<br />
rundum gelungen. Die Sänger sind bis auf den Lindorodarsteller,<br />
dessen Stimme die weiche Leichtigkeit fürs Belcantofach<br />
vermissen ließ, hörenswert. Eine insgesamt auf<br />
Komik setzende Version mit umgangssprachlich übersetzten<br />
Obertiteln (etwa: Jetzt heißt es cool bleiben), die nicht auf<br />
Raffi nesse, sondern auf kraftvolle Bilder à la Slapstick setzt.<br />
F. Zink<br />
Bild: Thilo Beu<br />
28<br />
Bonn, Opernhaus<br />
Margarethe – Faust<br />
von Charles Gounod (1818-1893), Oper in 5 Akten, überarbeitete<br />
Fassung 1869: Libretto: Jules Barbier und Michel Carré nach Johann<br />
Wolfgang von Goethe. UA: 19. März 1859, Paris, Théâtre Lyrique<br />
Regie: Vera Nemirova, Bühnenbild/Kostüme: Ulrike Kunze<br />
Dirigent: Wolfgang Lischke, Beethoven Orchester Bonn, Chor: Einstudierung:<br />
Sibylle Wagner; Solisten: Julia Kamenik (Margarethe),<br />
Arturo Martin (Faust), Martin Tzonev (Mephisto), Aris Argiris (Valentin),<br />
Kamen Todorov (Wagner), Susanne Blattert (Siebel). Anjara<br />
I. Bartz (Marthe Schwertlein),<br />
Besuchte Aufführung: 13. April 2008 (Premiere).<br />
Kurzinhalt<br />
Faust, im vorgerückten Alter, ist im Ringen nach Erkenntnis<br />
müde geworden. Er greift nach dem Giftbecher.<br />
In Unmut über die von draußen in seine Studierstube<br />
dringenden religiösen Gesänge ruft er den Satan herbei,<br />
der als Edelmann erscheint. Der Pakt um Jugend, Kraft<br />
und Hoffnung gegen die Seele des Wissenschaftlers<br />
wird beschlossen. Durch einen Trank verjüngt, begehrt<br />
er das Mädchen auf dem ihm gezeigten Bild: Margarethe.<br />
Ihr Bruder Valentin verläßt als Soldat die Stadt. Die<br />
Studenten Siebel und Wagner versprechen, auf Grete<br />
zu achten. Mephisto mischt die heitere Gesellschaft mit<br />
düsteren Prophezeiungen auf, es kommt zum Gerangel.<br />
Faust lernt Margarethe kennen. Mephisto verschafft<br />
Schmuck. Die geschwätzige Nachbarin redet Grete zu,<br />
ihn zu behalten. Mephisto organisiert ein erstes Treffen.<br />
Julia Kamenik (Margarethe), Arturo Martin (Faust), Martin<br />
Tzonev (Mephisto), Anjara I. Bartz (Marthe), von li nach re<br />
Margarethe wird von Faust verlassen; sie erwartet ein<br />
Kind von ihm. Der zurückgekehrte Valentin stellt den<br />
Verführer im Kampf und wird von ihm tödlich verwundet.<br />
Mephisto führt Faust auf einen Berg, den Brocken<br />
im Harz, wo während der Walpurgisnacht sinnliche Genüsse<br />
aller Art auf ihn warten. Faust hat die Vision der<br />
leidenden Margarethe und fl ieht mit Mephisto zu der als<br />
Kindesmörderin verurteilten Grete ins Gefängnis. Dem<br />
Drängen Mephistos zu folgen, kann sie, die tugendhaft<br />
Reine, nicht nachgeben. Mephistos Ausruf: „gerichtet“<br />
schallt das himmlische „gerettet“ entgegen und Grete<br />
schwebt gen Himmel.
Aufführung<br />
In Bonn hat man sich für die französische Version mit<br />
deutschen Übertiteln entschieden, was die musikalische<br />
Einheit verdichtet. Die Regiearbeit der Bulgarin Vera<br />
Nemirova, einer Schülerin Peter Konwitzschnys, läßt ein<br />
einigermaßen deprimiertes Publikum zurück. Bedauernswert,<br />
wenn einer Regisseurin zu der delikaten Musik<br />
von Charles Gounod mitunter platte, um nicht zu sagen,<br />
hausbackene Bilder einfallen.<br />
Das erste Bild läßt noch hoffen: Faust im hohen Raum<br />
eines Turms mit W<strong>and</strong>tafeln, die mit mathematischen<br />
Formeln übersät sind. Er ist ein junger Mann, der sich<br />
nicht verjüngt, sondern zum Spiegelbild Mephistos verw<strong>and</strong>elt<br />
wird. Die Rolle von Mephisto wird dominant,<br />
er ist nicht nur treibende, sondern auch aktiv h<strong>and</strong>elnde<br />
Kraft in der Verführungsszene. Margarethe heißt in Bonn<br />
letztlich Faust, was diese Betonung erklärt. Dennoch<br />
bleibt bei Gounod, im Gegensatz zu Goethe, Margarethe<br />
die Hauptperson.<br />
Der Auftritt Mephistos, in hochfahrendem, rotem Ledersessel<br />
sitzend, zeigt Wirkung. Über den neuerdings<br />
in Regiearbeiten unvermeidlichen Laptop sieht Faust<br />
Margarethes Bild.<br />
Die <strong>and</strong>ere Seite des „Studierzimmers“ ist das weiße Foyer<br />
einer Pfl egestation für Senioren, in dem Margarethe<br />
als Pfl egerin arbeitet und die Banalisierung des als romantische<br />
Oper gedachten Stoffes beginnt. Das Vestibül<br />
bleibt Kulisse bis zum vorletzten Bild, wird Schauplatz<br />
des Bacchusfestes, eine Art Weinfest mit Menschen in<br />
Lederhosen und Schürzenkleidchen plattesten Kolorits.<br />
Faust intoniert seine Arie Sei gegrüßet reines Heim ins Foyer<br />
hinein, was einen merkwürdigen Beigeschmack bekommt.<br />
Margarethe mit Putzeimer und Lappen im dritten<br />
Akt hängt mit Gounods zauberhafter Musik ihrem<br />
Geliebten nach. Wer möchte das so sehen?<br />
Das eindringlichste Bild ist die Gebetsszene, in der Margarethe<br />
um Gottes Gnade fl eht und die Gläubigen sich<br />
gegen Mephisto, der seine eigene, satanische Messe zu<br />
zelebrieren scheint, stellen. Valentins Rückkehr aus dem<br />
Krieg wird zu einer Miniaturparade realsozialistischer<br />
Prägung. Kinder mit Spielzeuggewehren, selbst der Nelkenstrauß<br />
fehlt nicht.<br />
Das Bacchanal der Walpurgisnacht in wilder Gebirgsl<strong>and</strong>schaft<br />
ist als aus Eimern saufende Feierrunde mit<br />
blinkenden Teufelshörnchen und Papphütchen zu sehen.<br />
Margarethe wirft im Hintergrund der Party das tote<br />
Kind in eine für kühle Getränke bereit gestellte Gefriertruhe.<br />
Fausts Frage Wo sind wir? stellt man sich als Zuschauer<br />
selbst.<br />
Die Sänger<br />
Julia Kamenik (Margarethe) war allen voran eine wünschenswerte<br />
Besetzung, die auch schauspielerisch einiges<br />
zu bieten hatte. Über eine schöne Stimme verfügt<br />
29<br />
der eigentlich als zweite Besetzung vorgesehene Arturo<br />
Martin (Faust). Noch scheint er der großen Partie nicht<br />
gewachsen zu sein. Martin Tzonev gab als Darsteller<br />
einen satanischen Mephisto, stimmlich hätte man sich<br />
einen profunderen Charakterbaß vorstellen können.<br />
Aris Argiris überzeugte als Valentin gänzlich, Susanne<br />
Blattert füllte die Rolle Siebels voll aus, wie Kamen Todorov<br />
und Anjara I. Bartz die von Wagner und Marthe<br />
Schwertlein. Der Chor hatte große, gelungene Szenen.<br />
Das Beethovenorchester bietet nach einer etwas erdig<br />
tönenden Ouvertüre hörbares Bemühen um einen leichten,<br />
romantischen Tonfall, aus dem sich in erster Linie<br />
fein artikulierte Holzbläserstellen herauskristallisierten.<br />
Bremen, Theater am Goetheplatz<br />
La Cenerentola – Das Aschenputtel<br />
F. Zink<br />
Bild: Tilo Beu<br />
von Gioachino Rossini (1792-1868), Dramma giocoso in 2 Akten,<br />
Libretto: Jacopo Ferretti nach dem Märchen Cendrillon ou La petite<br />
pantoufl e de verre (1697) von Charles Perrault<br />
Dirigent: Markus Poschner, die Bremer Philharmoniker, Chor des<br />
Theater Bremen, Einstudierung Tarmo Vaask<br />
Regie: Michael Hampe, Bühnenbild: Christian Köpper/Andreas Hornburg,<br />
Ausstattung: Monika Gora, Kostüme: Paul Zimmermann;<br />
Solisten: Tamara Klivadenko (Angelina), Benjamin Bruns (Don Ramiro), Jan<br />
Friedrich Eggers (D<strong>and</strong>ini), Seth Keeton (Alidoro), Damon Nestor Ploumis<br />
(Don Magnifi co), Nadine Lehner (Clorinda), Barbara Buffy (Tisbe)<br />
Besuchte Aufführung: 12. April 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Angelina (Aschenputtel) gibt dem als Bettler verkleideten<br />
Philosophen Alidoro zu essen und zu trinken. Sie<br />
ist selbstlos, ganz im Unterschied zu ihren Halbschwestern<br />
Clorinda und Tisbe. Alidoro hilft ihr, aufs Fest im<br />
Schloß des Prinzen Ramiro zu kommen, was ihr Vater<br />
Don Magnifi co verboten hatte.<br />
Dort wollte sie Don Ramiro wiedersehen. Denn Prinz<br />
Ramiro, verkleidet als sein Diener D<strong>and</strong>ini, hatte sich<br />
zuvor auf Brautschau zur Wohnung von Don Magnifi co<br />
begeben, wo er sich in die unscheinbare Angelina verliebt<br />
hatte. Don Magnifi co will aber seine Töchter reich<br />
verheiraten, weil er fi nanziell am Ende ist.<br />
Alidoro führt Angelina mit verschleiertem Gesicht aufs<br />
Fest ins Schloß. Angelina gibt zu erkennen, daß sie den<br />
Kammerdiener liebt, woraufhin der Prinz seine Verkleidung<br />
fallenläßt.<br />
Einige Zeit später arrangiert Alidoro vor Don Magnifi -<br />
cos Haus einen Kutschunfall. Beim Betreten des Hauses<br />
erkennt Prinz Ramiro Angelina am Armreif, den sie zuvor<br />
als Geschenk von Ramiro beim Schloßfest erhalten<br />
hatte. Magnifi co und seine beiden Töchter müssen mit<br />
ansehen, wie Don Ramiro Angelina zur Frau nimmt.<br />
Der Triumph der Güte wird deutlich am Ende der Oper<br />
erkennbar: Angelina vergibt großzügig ihren Schwestern<br />
und ihrem Vater Don Magnifi co.
Vor dem Thron Benjamin Bruns (Prinz Ramiro), in der Mitte Tamara Klivadenko (Angelina) und die Festgesellschaft<br />
Aufführung<br />
Diese Produktion eröffnete in Bremen den Zyklus von<br />
Rossini-Inszenierungen.<br />
Michael Hampe brachte in seiner Inszenierung mit althergebrachten<br />
Techniken die Illusion des barocken Theaters<br />
auf die Szene zurück: drehbare Bühne, sich hebende<br />
und senkende Prospekte, künstliche Pferde und<br />
eine Kutsche, dabei vorbeiziehender Hintergrund, um<br />
das Fahren zu imitieren, sich auf der Bühne umkleidende<br />
Sänger: Durchschaubarkeit und Magie in einem. Die<br />
Kostüme, detailgenau rekonstruiert, gaben in ihrer bunten<br />
Ausführung das I-Tüpfelchen.<br />
Die Bremer Philharmoniker spielten wohltuend präzise<br />
und musizierten in hervorragendem Einklang mit den<br />
Sängern. Die Rezitative am Hammerklavier verwirklichte<br />
Karen Schulze-Koops präzise. Der Herrenchor war<br />
musikalisch exzellent vorbereitet und bot einen schauspielerisch<br />
gekonnten Spiegel für die H<strong>and</strong>lung.<br />
Die Solisten st<strong>and</strong>en mit ihrer sängerischen Leistung<br />
alle auf ähnlich hohem Niveau. Ihre Koloraturen kamen<br />
gekonnt und artikulatorisch sehr verständlich in atemberaubender<br />
Geschwindigkeit daher. Nur über höchste<br />
Konzentration konnte es möglich sein, das Zusammensingen<br />
in den Ensembles mit dieser Präzision zu erreichen,<br />
eines der entscheidenden Elemente, welches die<br />
Virtuosität dieser Oper ausmachte.<br />
Tamara Klivadenko gestaltete die zwar zurückgewiesene,<br />
aber nicht widerst<strong>and</strong>slose Stieftochter Angelina<br />
nachvollziehbar. Durch ihren weiten Stimmumfang<br />
wurde die Verw<strong>and</strong>lung von schlichter Dienstmagd, die<br />
30<br />
einfache Melodien singt, zur bravourösen Königin, die<br />
Koloraturen perlen lassen kann, eindrucksvoll deutlich.<br />
Seth Keeton (Alidoro), der die Fäden der Geschichte in<br />
der H<strong>and</strong> hält, blieb gemäß seiner Rolle etwas im Hintergrund,<br />
symbolisch trug er einen „Wendemantel“: außen<br />
grau und innen voller Sterne.<br />
Jan Friedrich Eggers (D<strong>and</strong>ini) vertrat genußvoll seinen<br />
Herrn und st<strong>and</strong> ihm in nichts nach. Sein Baß klang sogar<br />
manchmal wohltönender als der an lauten Stellen etwas<br />
gepreßte Tenor des Benjamin Bruns (Don Ramiro).<br />
Damon Nestor Ploumis (Don Magnifi co) war sowohl<br />
schauspielerisch als auch stimmlich ein Meister der Komik,<br />
ob es um seine träumerischen Schwärmereien für<br />
eine fi nanziell unabhängige Zukunft ging, um seine<br />
kratzfüßige Unterordnung gegenüber dem Prinzen oder<br />
um seine verschwörerische Absprache mit den Töchtern.<br />
Nadine Lehner (Clorinda) und Barbara Buffy (Tisbe)<br />
spielten die zänkischen, schnatternden, neidischen und<br />
von Selbstdarstellungszwang zerfressenen Marionettenwesen<br />
einfach umwerfend gut. Es ist wirklich schwierig,<br />
häßlich zu singen!<br />
Nach dreistündiger Aufführungszeit dann das Lieto fi ne<br />
(das glückliche Ende) mit einer der virtuosesten Ensembleszenen<br />
Rossinis – der angestrebte Triumph des Guten:<br />
den Bösen wurde vergeben, die Guten sonnen sich. Offensichtlich<br />
war das Publikum zufrieden: stehende Ovationen<br />
sprachen dafür. Ausnahmsweise wurde auch die<br />
Regie in den Applaus einbezogen. Man hatte eine Oper<br />
gesehen, in der sich schauspielerische und sängerische<br />
Leistung der Darsteller aufs Beste ergänzten.<br />
C. Jakubowski Bild: Jörg L<strong>and</strong>sberg
Chemnitz, Theater<br />
Il Templario – Der Templer<br />
von Otto Nicolai (1810-1849), Melodramma in drei Akten<br />
Libretto: Girolamo Maria Marini nach Ivanhoe von Walter Scott,<br />
UA: 19. September 1840, Triest<br />
Regie/Bühnenbild: Ralf Nürnberger, Kostüme: Claudia Rühle<br />
Dirigent: Frank Beermann, Robert-Schumann-Philharmonie,<br />
Opernchor, Einstudierung: Mary Adelyn Kauffman<br />
Solisten: Kouta Räsänen (Cedrico der Sachse), Stanley Jackson (Vil<br />
fredo d’Ivanhoe), Judith Kuhn (Rovena), Andreas Kindschuh (Luca<br />
di Beaumoir), Hans Christoph Begemann (Briano di Bois-Guilbert),<br />
Andre Rimer (Isacco di York), Tiina Penttinen (Rebecca)<br />
Besuchte Aufführung: 7. März 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Vilfredo schließt sich gegen den Willen seines Vaters<br />
Cedrico dem Normannenkönig Richard Löwenherz an<br />
und nimmt mit ihm am Dritten Kreuzzug teil. Im Heiligen<br />
L<strong>and</strong> wird er verletzt und von der Jüdin Rebecca gesund<br />
gepfl egt. Sie verliebt sich in ihn und folgt ihm heimlich<br />
nach Engl<strong>and</strong>.<br />
Vilfredo tritt beim Turnier in Ashby inkognito auf und<br />
besiegt den als unbesiegbar geltenden Normannen Briano.<br />
Danach läßt er sich durch Rovena, die er schon seit langem<br />
liebt, den Siegeskranz<br />
überreichen. Rebecca<br />
und Isacco fi nden bei<br />
Cedrico und Rovena<br />
Schutz vor ihren Verfolgern.<br />
Der unerwartet<br />
aufgetauchte Briano<br />
läßt Rebecca, in die er<br />
seit seiner Zeit in Palästina<br />
verliebt ist, entführen<br />
und verschleppt sie in die<br />
Komturei der Templer.<br />
Briano reißt sie aus ihren<br />
Träumen an Vilfredo<br />
und bietet ihr ein<br />
Leben fernab der Tempelritter an. Er warnt vor der Ankunft<br />
des Großmeisters, denn das würde beider Tod bedeuten.<br />
Rebecca bleibt st<strong>and</strong>haft und weist Briano auf eine<br />
zweifache Sünde hin: das Zusammenleben mit einer Jüdin<br />
und seinen Treuebruch gegenüber dem Templerorden.<br />
Eine Zeremonie der Templer stört Isacco und fordert die<br />
Herausgabe seiner entführten Tochter. Doch der Großmeister<br />
bezichtigt Rebecca der Hexerei und verurteilt sie<br />
zum Scheiterhaufen. Briano verweigert jede Aussage, rät<br />
Rebecca aber zu einem Gottesurteil, da er so für sie eintreten<br />
könne. Die Templer bestimmen ihn aber zum Kämpfer<br />
für die Sache der Templer.<br />
Als Vilfredos Vater erfährt, daß Rovena ihn liebt, gibt er<br />
nach und verzeiht seinem Sohn. Vilfredo tritt als Kämpfer<br />
für Rebecca auf und erschlägt Briano. Rebecca ist frei und<br />
erklärt, daß sie Vilfredo liebe, und lieber sterben würde, als<br />
auf ihn zu verzichten. Entseelt sinkt sie zu Boden.<br />
31<br />
Aufführung<br />
Ralf Nürnberger gestaltet die „moderne“ Uraufführung<br />
sehr werkgetreu. Seine Regie und Personenführung ließen<br />
nichts zu wünschen übrig. Ein gut durchdachtes,<br />
wenngleich auch unspektakuläres Bühnenbild und die<br />
einfachen, aber schön anzusehenden Kostüme trugen<br />
dazu bei, den H<strong>and</strong>lungsverlauf zu verstehen, auch wenn<br />
man nicht am Übertitel klebt.<br />
Nürnberger st<strong>and</strong>en ein ausgezeichnetes Sängerensemble,<br />
ein hervorragender Chor und die aufs Beste gestimmte<br />
Robert-Schumann-Philharmonie zur Verfügung. Allein,<br />
die Tatsache der Wiederentdeckung des fast schon<br />
vergessen Werkes sollte Ehre genug sein.<br />
Wirklich außergewöhnlich an diesem Abend war die musikalische<br />
Leitung Frank Beermanns! Allen voran Stanley<br />
Jackson (Vilfredo) als Gast, der in dieser mörderischen<br />
Partie zu seiner alten tenoralen Strahlkraft zurückgefunden<br />
hat, unterstützt von Tiina Penttinen (Rebecca), die<br />
hier in dieser Rolle, zwischen Mezzo und Sopran gelegen,<br />
ihre ganze Kunst darstellen konnte. Judith Kuhn als Rovena:<br />
ach hätte Nicolai diese Rolle doch etwas ausführlicher<br />
gestaltet, der Abend wäre noch schöner geworden.<br />
Andre Riemers Isacco (für eine Oper ungewöhnlich: ein<br />
Tenor in einer Vaterrolle)<br />
überzeugte<br />
auf der ganzen Linie,<br />
und Hans Christoph<br />
Begemanns Briano,<br />
ein in sich Zerrissener,<br />
zwischen<br />
unglücklicher Liebe<br />
und Pfl ichterfüllung<br />
Schwankender, sang<br />
sich trotz unklarer<br />
Position im Stück<br />
in die Herzen der<br />
Opernbesucher.<br />
Gratulation auch an Michael Wittmann, der diese Oper<br />
dem Vergessen entrissen hat, und an die Leitung der<br />
Chemnitzer Oper, die das Wagnis einging, ein völlig unbekanntes<br />
Stück auf den Spielplan zu stellen. Möge Il<br />
Templario eine lange Laufzeit beschieden, und möge er<br />
auf vielen weiteren Bühnen zu sehen sein, denn Otto<br />
Nicolais Musik entspricht genau dem St<strong>and</strong>ard der Zeit<br />
um 1840. Es ist eine typisch italienische Oper.<br />
Ein Besuch dieser Aufführung lohnt sich trotz – oder<br />
vielleicht – auch wegen der etwas auf Sparfl amme gekochten<br />
Ausstattung. Aber leider genießt ein Opernhaus<br />
wie Chemnitz nicht die Zuwendungen von Sponsoren<br />
wie größere Häuser, die einen besseren (wenngleich nicht<br />
immer gerechtfertigten Ruf) haben. Für mich war die<br />
Premiere auf alle Fälle eines der außergewöhnlichsten<br />
Musikereignisse dieses Jahres.<br />
Tiina Penttinen (Rebecca) und Hans Christoph Begemann (Briano) in der Templerkomturei<br />
A. M. Hauer<br />
Bild: Dieter Wuschanski
Dessau, Anhaltisches Staatstheater<br />
Parsifal<br />
Musik und Libretto von Richard Wagner, Bühnenweihfestspiel<br />
Uraufführung: 26.07.1882, Bayreuth, Festspielhaus<br />
Regie: Johannes Felsenstein, Bühnenbild/Kostüme: Stefan Rieckhoff;<br />
Dirigent: Golo Berg, Anhaltische Philharmonie Dessau, Opernchor,<br />
Choreinstudierung: Helmut Sonne, Kinderchor (Leitung: Dorislava<br />
Kuntscheva); Solisten: Ulf Paulsen (Amfortas), Rainer Büsching<br />
(Titurel), Manfred Hemm (Gurnemanz), Richard Decker (Parsifal),<br />
Nico Wouterse (Klingsor), Iordanka Derilova (Kundry), Mark Bowman-Hester<br />
(Erster Gralsritter), Christian Most (Zweiter Gralsritter),<br />
Cornelia Marschall, Sabine Noack, Noerbert Leppin, Alex<strong>and</strong>er<br />
Dubnov (Knappen), Cornelia Marschall, Anette Fritsch, Sabine Noack,<br />
Jule Rosalie Vortisch, Kristina Baran, Anne Weinkauf (Zaubermädchen),<br />
Sabine Noack (Stimme aus der Höhe)<br />
Besuchte Aufführung: 26. April 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Amfortas leidet unter einer nicht heilenden Verletzung,<br />
die durch einen magischen<br />
Speer hervorgerufen worden<br />
war. Diese Wunde kann nur<br />
durch den Speer geschlossen<br />
werden, der sie auch schlug.<br />
Alle Versuche seiner Ritter<br />
Klingsor diesen Speer zu entreißen,<br />
schlugen fehl. Erst dem<br />
unschuldigen Jüngling Parsifal<br />
gelingt es, die Zaubermacht<br />
Klingsors zu brechen. Zum<br />
Lohne ernennt man ihn zum<br />
neuen König.<br />
Aufführung<br />
Zum wiederholten Male gelang<br />
es Johannes Felsenstein und<br />
seinem Bühnen- und Kostümbildner<br />
Stefan Rieckhoff mit<br />
einfachen Mitteln, große Oper<br />
zu machen. Felsenstein setzt<br />
das Orchester auf die Bühne.<br />
Rieckhoff baut eine Hebeund<br />
Drehbühne auf dem Orchestergraben<br />
auf. Einziges<br />
Versatzstück scheint ein Stück Treibholz zu sein, das es<br />
aber in sich hat. Durch absolut lautlose Technik wird<br />
aus diesem Stück Holz ein primitiv geschnitztes, der einfachen<br />
Volkskunst verpfl ichtetes Kruzifi x. Rieckhoffs<br />
Kostüme sind stilisierte Zeitzeugnisse. So trägt Kundry<br />
zu Beginn ein römisches Kleid, die Ritter mit Metallteilen<br />
verstärkte Mäntel, der Gralszeremonienmeister ein<br />
an die evangelische Kirche erinnerndes Gew<strong>and</strong>, während<br />
Klingsors Anzug eindeutig katholische Elemente<br />
trägt. Parsifal selbst ist in Krachledernes gew<strong>and</strong>et, Amfortas,<br />
an Seele und Leib leidend, ist am ganzen Körper<br />
b<strong>and</strong>agiert. Die Kostüme w<strong>and</strong>eln sich im dritten Akt zu<br />
zeitgenössischer Kleidung um. Die Ritter in Anzügen,<br />
Kundry im Lederkostüm, Parsifal in Jeans und Hemd.<br />
Gurnemanz, Kundry, und Parsifal, von li nach re<br />
32<br />
Felsensteins Regieansatz ist eher traditionell, aber keineswegs<br />
altbacken. Er erzählt die Geschichte des reinen<br />
Tores so, wie der Bayreuther Meister sie auch geschrieben<br />
hat. Eine in ihren eigenen Gesetzen verhaftete Männergesellschaft<br />
schafft es nicht, neue Wege zu gehen.<br />
Erst der Einfl uß von draußen ermöglicht eine Erneuerung<br />
und Fortbest<strong>and</strong>. Dies alles gelingt ihm ohne modische<br />
Symbolik, ohne „trendige“ Umdeutungen, ohne<br />
Kostümmorgie und Komparserieschlachten. Er führt<br />
keine Regietricks vor, sondern zeigt solides H<strong>and</strong>werk,<br />
das man heute doch so oft schmerzlich vermißt.<br />
Solisten und Orchester<br />
Golo Berg läßt seine Anhaltische Philharmonie leichtläufi<br />
g und transparent durch Wagners Partitur fl ießen.<br />
Die sonst so sperrige Musik des Parsifal erreicht bei ihm<br />
eine Dynamik, die die über fünf Stunden dauernde Aufführung<br />
im Fluge vergehen läßt.<br />
Doch achtet Berg immer darauf,<br />
daß seine Sänger niemals unter<br />
dem Orchester leiden müssen.<br />
Durch kluge Tempi und Dynamikwahl<br />
wird niem<strong>and</strong> zum<br />
Forcieren gezwungen. Das Ensemble<br />
ist insgesamt deutlich besser,<br />
als man es von einem Haus<br />
dieser Größe erwarten würde, ja<br />
über eine Einspielung dieses Parsifals<br />
würde man sich sicherlich<br />
freuen.<br />
Die Sänger, die ohne direkten<br />
Augenkontakt zum Dirigenten<br />
agieren müssen, sind alle auf<br />
überdurchschnittlichem Niveau.<br />
Angefangen von dem gr<strong>and</strong>iosen<br />
Chor, über die Knappen,<br />
die Blumenmädchen, die sowohl<br />
stimmlich als auch optisch durchaus<br />
anrührend sind, bis hin zu den<br />
großen Partien.<br />
Richard Decker (Parsifal) gibt den<br />
tumben Helden stets tonsicher,<br />
wenn auch mit einigen leicht unschönen Registerwechseln.<br />
Rainer Büsching singt seinen Titurel aus dem Bühnenhintergrund<br />
ganz ohne Verstärkung deutlich und ohne Tadel.<br />
Manfred Hemm (Gurnemanz) ist ein verzweifelter Ritter,<br />
der scheinbar mühelos durch diese Riesenpartie geht. Nico<br />
Wouterse (Klingsor) singt seine tiefe Partie ohne jeden<br />
Schönglanz, genau wie sie seiner Rolle entspricht. Ulf Paulsen<br />
(Amfortas) verbietet ebenfalls seiner Stimme jegliche<br />
Lieblichkeit. Seine sonst doch immer so wohltuende Stimme<br />
läßt er diesmal trocken, gebrochen und leidend ertönen.<br />
Einzige Dame in dieser Männerriege ist Iordanka Derilova.<br />
Sie ist die Königin des Abends. Ihre Kundry, stets aufs Genaueste<br />
textverständlich, sicher in der Intonation, perfekt<br />
im Klang, w<strong>and</strong>elt sich von einer Furie zur mitfühlenden
Frau. Ihre Stimme changiert in allen Registern und allen Facetten,<br />
so wie es diese schwierige Rolle erfordert. Von der<br />
körperlich Erschöpften, über die Verführerin im zweiten<br />
Akt, bis hin zur leidenden, zur sprachlichen Äußerung unfähig,<br />
gew<strong>and</strong>elten Frau zeigt sie wieder mal, welch großartige<br />
Sängerin und Darstellerin sie ist.<br />
Fazit<br />
Ein Meisterwerk des Theaters Dessau, das man sich nicht<br />
entgehen lassen sollte. Eine Regie, die ohne Firlefanz daherkommt,<br />
dafür aber die h<strong>and</strong>werklichen Grundlagen<br />
des Theaters berücksichtigt, eine musikalische Leistung,<br />
die man sich besser nicht wünschen könnte.<br />
Dortmund Theater<br />
The Rake‘s Progress<br />
A. M. Hauer<br />
Bild: Claudia Heysel<br />
von Igor Strawinsky, Oper in drei Akten Dichtung: Wystan Hugh<br />
Auden und Chester Kallman, UA: Venedig, 11. September 1951.<br />
Regie: Rol<strong>and</strong> Schwab, Bühnenbild: Piero Vinciguerra, Kostüme: Renée<br />
Listerdal, Dramaturgie: Verena Harzer<br />
Dirigent: Jac van Steen, Dortmunder Philharmoniker, Opernchor Theater<br />
Dortmund, Choreinstudierung: Granville Walker<br />
Solisten: Jeff Martin (Tom Rakewell), Simon Neal (Nick Shadow), Lydia<br />
Skourides (Ann Trulove), Vidar Gunnarsson (Trulove), Ji Young Michel<br />
(Mutter Goose), Hannes Brock (Türkenbab), Tansel Akzeybek (Sellem,<br />
der Auktionator), Georg Kirketerp (Wärter des Irrenhauses)<br />
Besuchte Vorstellung: 30. März 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Strawinsky verarbeitete hier die Geschichte, die bereits<br />
1735 in einer Kupferstichserie des englischen Malers<br />
William Hogarth in Engl<strong>and</strong> erschien.<br />
Der Lebemann Tom<br />
Rakewell sieht nicht<br />
ein, warum er sich in<br />
das Leben einpassen<br />
soll, das sein zukünftiger<br />
Schwiegervater<br />
für ihn entworfen hat.<br />
Angespornt wird er<br />
von Nick Shadow, der<br />
ihn durch eine angebliche<br />
Erbschaft nach<br />
London lockt. Dort<br />
bringt er ihn als dämonischer<br />
Gefährte auf Abwege. Alles endet schließlich in<br />
Elend und Verderben und Rakewell verläßt seine Verlobte<br />
Ann Trulove. Als zu guter Letzt nur noch ein teuflisches<br />
Kartenspiel seine Seele retten kann, bewahrt die<br />
selbstlose Liebe von Ann Trulove Tom Rakewell davor,<br />
seine Seele zu verlieren. Doch Nick Shadow bringt Rakewell<br />
zum Wahnsinn.<br />
Aufführung<br />
Der Vorhang öffnet sich in einem perfekten Zusam-<br />
Simon Neal (Nick Shadow), re unten und Jeff Martin (Tom Rakewell),<br />
re unten stehend, sowie Chormitglieder als Schattenbilder<br />
33<br />
menspiel mit dem Orchester. Auf der Bühne zeigt sich eine<br />
Konstruktion aus achtzehn großen fensterartigen Aussparungen,<br />
die jeweils in drei Etagen mit je drei Aussparungen<br />
einen in der Mitte gelegenen, großen, runden Bühnentunnel<br />
einfassen. Darin schwelgen Tom Rakewell (Jeff Martin)<br />
und Ann Trulove (Lydia Skourides) in ihrem Liebesglück.<br />
Die Inszenierung durch Rol<strong>and</strong> Schwab macht aus<br />
Strawinskys letztem Werk seiner neoklassizistischen<br />
Phase ein Theaterstück, das den Publikumsraum mit<br />
einschließt. So agieren die Akteure teilweise von verschiedenen<br />
Publikumslogen aus und der Chor kommt<br />
seitens der Publikumseingänge auf die Bühne. Obwohl<br />
die Bühnenkonstruktion erst sehr spät wechselt, verschafft<br />
sie durch stetig neue Licht- und Farbenspiele,<br />
die harmonisch dem Konzept und dem Klang angepaßt<br />
sind, neue Eindrücke. Die sinnbildliche Zerrissenheit<br />
von Ann Trulove, ob sie ihrem Tom nach London nachreisen<br />
soll oder nicht, stellt Rol<strong>and</strong> Schwab durch fünf<br />
identisch aussehende Anns dar, die auf der Bühne an<br />
Ann Trulove hin- und herzerren.<br />
Sänger<br />
Zu der gut gemachten Inszenierung gesellen sich sehr<br />
gute Gesangsstimmen. Ohne Zweifel ist die Tenorstimme<br />
von Jeff Martin (Tom Rakewell) zuerst zu nennen.<br />
Er sang den größten Teil in dieser Oper und meisterte<br />
dies wirklich vortreffl ich. Seine Stimme ist klar, kräftig<br />
und von gleichbleibender Brillanz. Ebenso beeindruckend<br />
ist auch sein schauspielerisches Agieren – ein<br />
wahrer Genuß für Auge und Ohr. Der Bariton Simon<br />
Neal (Nick Shadow) stellt mit seiner Gesangsleistung<br />
einen würdigen Gegenpart zu Jeff Martin dar. Er überzeugt<br />
durch eine kräftige,<br />
voluminöse Stimme.<br />
Hannes Brock<br />
(Türkenbab) hat sich<br />
trotz einer schweren<br />
Indisposition bereit<br />
erklärt, die Tenorpartie<br />
des Türkenbab zu<br />
singen, um die Premiere<br />
nicht zu gefährden<br />
und macht dies mit<br />
Bravour. Die Sopranistin<br />
Lydia Skourides<br />
(Ann Trulove) überzeugt<br />
als Sängerin ebenso wie als Akteurin. Ihre gemeinsamen<br />
Arien mit Jeff Martin sind ein harmonisches Klangerlebnis.<br />
Gidar Gunnarsson (Trulove), Ji Young Michel<br />
(Mutter Goose), Tansel Akzeybek (Auktionator) und<br />
Georg Kirketerp (Wärter des Irrenhauses) glänzten als<br />
Sänger wie als Akteure.<br />
Der Opernchor beeindruckte mit den Vokaleinlagen<br />
und sorgte gemeinsam mit der Statisterie für ein ausgewogenes,<br />
buntes Gesamtbild. Das Orchester unter der<br />
Leitung von Jac van Steen spielte rhythmisch wie melo-
disch perfekt und beeindruckte mit fein abgestimmtem<br />
Zusammenspiel zwischen Bühnenakteuren und Orchestereinsätzen.<br />
Der Einsatz eines Cembalos ist für dieses<br />
Werk Strawinskys natürlich ein Muß und wird hier von<br />
Alex<strong>and</strong>ra Goloubitskaia sehr gut bewerkstelligt.<br />
Fazit<br />
Insgesamt eine sehr gelungene Inszenierung mit ausgezeichneten<br />
Solisten und einem auf allen Ebenen hervorragenden<br />
Orchester. Eine Opernvorstellung, die sehr zu<br />
empfehlen ist und Genuß für Augen und Ohren bietet.<br />
Dresden, Semperoper<br />
Il Barbiere di Siviglia<br />
B. W<strong>and</strong>schneider<br />
Bild: Opernhaus Dortmund<br />
von Gioacchino Rossini, Libretto: Cesare Sterbini nach der Komödie<br />
von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais; UA: 20. Februar<br />
1816, Teatro Argentina, Rom; Regie: Grischa Asagaroff, Bühnenbild/Kostüme:<br />
Luigi Perego; Dirigent: Riccardo Frizza, Sächsische<br />
Staatskapelle Dresden, Chor der Sächsischen Staatsoper Dresden,<br />
Einstudierung: Christof Bauer<br />
Solisten Kenneth Tarver (Graf Almaviva), Michael Eder (Dr. Bartolo),<br />
Vesselina Kasarova (Rosina), Fabio Maria Capitanucci (Figaro),<br />
Roberto Sc<strong>and</strong>uiuzzi (Basilio), Christoph Pohl (Ein Offi zier), Peter<br />
Küchler (Ambrosio), Andrea Ihle (Berta)<br />
Besuchte Aufführung: 12. April 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Graf Almaviva liebt die schöne Bürgerliche Rosina, aber<br />
er möchte nicht<br />
wegen seines<br />
Adeltitels geliebt<br />
werden, sondern<br />
nur wegen seiner<br />
Person. So<br />
bringt er ihr eines<br />
Nachts unter<br />
ihrem Fenster<br />
ein Ständchen<br />
als Student Lindoro.<br />
Der Funke<br />
springt über<br />
und Rosina liebt<br />
den armen Lindoro.<br />
Rosinas<br />
Vormund Dr.<br />
Bartolo hat aber<br />
<strong>and</strong>ere Pläne mit<br />
ihr: Er möchte sie selbst heiraten. So bewacht er sie wie<br />
ein Zerberus. Aber mit List und Tücke gelingt es Almaviva<br />
in den verschiedensten Verkleidungen Zutritt<br />
zum Hause Bartolo zu erlangen, mal als angetrunkener<br />
Offi zier, mal als klerikaler Gesangslehrer. Immer dabei<br />
ist sein Freund Figaro, der ihm auch einen Schlüssel zur<br />
Balkontür verschafft, damit die beiden Rosina entführen<br />
können. Bartolo, der Figaros und Almavivas Pläne<br />
34<br />
durchschaut, bestellt schleunigst einen Notar, um seine<br />
Hochzeitspläne unter Dach und Fach zu bringen. Als<br />
Meister der Situation rettet Figaro die beiden Liebenden,<br />
und der Notar vermählt Rosina mit Almaviva. Bartolo<br />
geht leer aus.<br />
Aufführung<br />
Die Übernahme aus dem Züricher Opernhaus war auch<br />
in Dresden ein voller Erfolg. Luigi Peregos Bühnenbild,<br />
seine wunderschönen Kostüme und die bezaubernden<br />
Requisiten unterstützten aufs genialste Grischa Asagaroffs<br />
Regie. Dieser transponierte Beaumarchais rebellisches<br />
Rokokostück in die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts,<br />
ohne sich dabei auf eine Ära festzulegen. Seine<br />
Inszenierung spielt irgendwo zwischen den zwanziger<br />
und fünfziger Jahren. Die Ausstattung ist geprägt durch<br />
stilisierte Spanienversatzstücke. Perego baute vier Bühnenbilder<br />
auf die Drehbühne des Hauses. Vier verschiedene<br />
Fächer, durch ein paar Möbel und Versatzstücke<br />
umgew<strong>and</strong>elt zu einer Straße in Sevilla, einem Musikzimmer,<br />
einem Mädchenzimmer und einem Labor. Seine<br />
Kostüme sind einfach, aber ergänzen den Charakter<br />
der Rollen, einzig die beiden Kostüme Rosinas sprengen<br />
den Rahmen: <strong>and</strong>alusische Folklore aufgepeppt zu eleganten<br />
Designerstücken.<br />
Sänger, Chor und Orchester<br />
Wo soll man mit dem Lob anfangen? Am einfachsten<br />
mit dem Orchester. Nach einer sensationell dirigierten<br />
Ouvertüre ergoß<br />
sich der Klang<br />
der wunderbar<br />
geleiteten und<br />
aufs beste gelauntenStaatskapelle<br />
in das<br />
Halbrund der<br />
Semperoper. Immer<br />
in der richtigen<br />
Lautstärke,<br />
stets im richtigen<br />
Tempo gaben<br />
Maestro Frizza<br />
und seine Mannen<br />
einmal wieder<br />
den Beweis<br />
für den guten<br />
Ruf dieses Orchesters.<br />
Der Chor<br />
der Sächsischen Staatsoper brilliert in der Gestaltung<br />
einer Gesangstruppe im ersten Akt ebenso wie als gut<br />
gedrillte Militärtruppe.<br />
Auf der Bühne brillierte ein Ensemble höchster Güte.<br />
Angefangen von den kleineren Partien, Christoph Pohl<br />
(Offi zier) und Andrea Ihles (Berta) bis hin zu Fabio<br />
Maria Capitanucci (Figaro) waren alle Sänger aufs Beste<br />
Figaro (Fabio Maria Capitanucci) hält Rosina (Vesselina Kasarova) den Schminkspiegel
gestimmt. Michael Eders Bartolo war ebenso angenehm<br />
wie Roberto Sc<strong>and</strong>uzzis Basilio. Kenneth Tarvers sanfter,<br />
lyrischer Tenor gewann nach kurzer Zeit an Klang<br />
und Ausdruck, im gleichen Maß wie sein Lampenfi eber<br />
schw<strong>and</strong>. Fabio Maria Capitanuccis kraftvoller Bariton<br />
gab der Rolle des Figaro Wärme und Tiefe. Seine halsbrecherische<br />
Auftrittsarie meisterte er ebenso elegant<br />
wie den Rest des Abends. Und Vesselina Kasarova?<br />
Ihre Rosina war einfach stupend. Mit dem ersten Ton<br />
gewann sie die Ohren und Herzen des fast vollbesetzten<br />
Hauses. Ihre geläufi ge Gurgel scheint speziell für<br />
diesen wunderbaren Rossiniklang geformt zu sein. Für<br />
ihre Koloraturen müßte man neue Wörter ersinnen, so<br />
unbeschreiblich schön war der Klang.<br />
Die Premiere schloß mit einem nicht enden wollenden<br />
Applaus in einem Haus, das sich in letzter Zeit doch<br />
mehr durch gewöhnungsbedürftige Inszenierungen auszeichnete.<br />
Durch diese Koproduktion mit dem Züricher<br />
Opernhaus dürften sich die Gemüter wieder etwas beruhigen<br />
lassen. A. M. Hauer<br />
Bild: Matthias Creutziger<br />
Duisburg, Stadttheater<br />
L’elisir d’amore<br />
von Gaetano Donizetti, Melodrama in zwei Akten, Libretto von Felice<br />
Romani; UA: 12. Mai 1832, Mail<strong>and</strong><br />
Regie: Andràs Fricsay/Kali Son; Bühnenbild: Tina Kitzing<br />
Dirigent: Pierre-Dominique Ponnelle, Duisburger Philharmoniker,<br />
Chor: Christoph Kurig; Solisten: Andrej Dunaev (Nemorino), Netta<br />
Or (Adina), Dimitri Vargin (Belcore), Bruno Balmelli (Dulcamara),<br />
Iryna Vakula (Gianetta)<br />
Besuchte Aufführung: 9. Februar 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Im Zentrum der H<strong>and</strong>lung steht der schüchterne L<strong>and</strong>mann<br />
Nemorino, der in die schöne Pächterin Adina verliebt<br />
ist. Diese treibt mit seiner Liebe aber nur ein Spiel<br />
und zieht ihm zunächst den Sergeant Belcore vor, der<br />
mit seinen Soldaten in ihr Dorf einmarschiert ist. Gleich<br />
macht Belcore Adina einen Heiratsantrag. Um Adina<br />
nicht zu verlieren, greift Nemorino auf die Hilfe des<br />
geschwätzigen Doktor<br />
Dulcamara zurück. Dieser<br />
war ins Dorf gekommen<br />
und verkauft unter<br />
<strong>and</strong>erem einen Liebestrank<br />
(eigentlich nur eine<br />
Flasche Bordeaux). Dulcamara<br />
gaukelt ihm vor,<br />
daß der Trank erst nach<br />
einem Tag zu wirken beginnen<br />
würde. Nemorino<br />
greift zu und trinkt sofort<br />
den Liebestrank. Durch<br />
den Alkohol übermütig<br />
gemacht, spielt er Adina<br />
den Gleichgültigen<br />
Netta Or (Adina) und Dimitri Vargin (Belcore)<br />
35<br />
vor. Doch Adina versucht ihn aus der Reserve zu locken,<br />
indem sie vorgibt, Belcore noch am selben Tag<br />
zu heiraten. Um das Geld für eine weitere Flasche des<br />
Liebestranks zu bekommen, verdingt sich Nemorino als<br />
Soldat bei Belcore. Bevor es Nemorino eigentlich selbst<br />
erfährt, wissen bereits die Dorfbewohner, daß er Erbe<br />
eines großen Vermögens geworden war. Also machen<br />
sich alle schönen Mädchen des Dorfs an ihn heran. Aber<br />
der naive Nemorino glaubt, dies sei allein dem Liebestrank<br />
zuzuschreiben. Er gebärdet sich als umschwärmter<br />
Mann souverän gegenüber Adina, was diese, die ihn<br />
noch liebt, völlig verunsichert. Als sie dann noch erfährt,<br />
daß er sich, um den Liebestrank zu bekommen, als Soldat<br />
verpfl ichtet hat, kauft sie ihn frei, gesteht ihm ihre<br />
Liebe und beide werden unter Anteilnahme des ganzen<br />
Dorfes ein glückliches Paar.<br />
Aufführung<br />
Die Duisburger Inszenierung versetzte das Geschehen<br />
nach der Opernvorlage in ein Bergdorf.<br />
Dementsprechend wurde das Bühnenbild gestaltet: eine<br />
Miniaturl<strong>and</strong>schaft mit Bergkulisse im hinteren Teil der<br />
Bühne, eine Almhütte im vorderen Teil. Die riesengroße<br />
Nachbildung eines nackten Frauenoberkörpers mit<br />
gigantischen blanken Brüsten ragte aus den Bergen heraus.<br />
Das sollte wohl die Liebesgöttin sein, die Vorstellung<br />
allerdings war grotesk.<br />
Die Kostüme wurden passend zum Bühnenbild sehr<br />
farbenfroh gewählt: die Damen trugen bonbonfarbene<br />
Dirndl mit bunten lockigen Perücken, die Herren erdfarbene<br />
Almtracht.<br />
Hervorzuheben ist besonders die gesamte musikalische<br />
Leistung des Abends unter der Leitung Pierre-Dominique<br />
Ponnelles. Donizettis Musik mit ihrem lebendigen<br />
und leichten Charakter wurde überzeugend dargestellt.<br />
Ebenso beeindruckend war Andrej Dunaev (Nemorino).<br />
Die unbeholfene Schüchternheit Nemorinos spielte<br />
er mit sehr entsprechender Gestik und Mimik. Sein<br />
klarer und leicht metallischer Tenor paßte gut zur Rolle<br />
und war der Höhepunkt des Abends. Spätestens nach<br />
Una furtiva lagrima - eine<br />
fl üchtige Träne, für die<br />
er stürmischen Applaus<br />
und Bravorufe kassierte,<br />
st<strong>and</strong> Dunaev als Publikumsliebling<br />
fest.<br />
Der Chor, der ja im<br />
Stück sehr präsent ist,<br />
harmonierte zwar nicht<br />
optisch, dafür aber gesanglich<br />
durch sein<br />
klangliches Volumen.<br />
Netta Or (Adina) konnte<br />
nach dem ersten Akt<br />
wegen Krankheit nicht
mehr weiter singen. Im zweiten Akt spielte sie die Rolle.<br />
Elena Brilova sang für sie aus der Kulisse. Ihr lyrischer<br />
Sopran war aber im Vergleich zu Ors schon im ersten<br />
Akt angeschlagener Stimme eine musikalische Bereicherung<br />
für das Stück. Bruno Balmelli (Dulcamara) setzte<br />
seine Baritonstimme sehr lautmalerisch mit Grölen,<br />
Jauchzen etc. ein. Dimitri Vargin (Belcore) wurde seiner<br />
Rolle des arroganten Belcore gerecht, obwohl er den aufmaschierenden<br />
Sergeant ein wenig überzeichnet spielte<br />
und sang. Überhaupt unterstrichen die beiden Regisseure<br />
die komischen Aspekte der Oper. Dabei waren eindeutige<br />
Gesten nicht selten: ein kleiner Po-Klatscher hier,<br />
ein unverschämtes Grabschen dort; immer mit einem<br />
leichten Augenzwinkern, so wie man es von der Opera<br />
buffa gewohnt ist. Das Publikum lachte und applaudierte<br />
mit großer Anteilnahme.<br />
Fazit<br />
Alles in allem eine sehr bunte, schrille und komische<br />
Umsetzung der Oper Donizettis, die musikalisch kaum<br />
einen Wunsch offen läßt und szenisch einen kurzweiligen<br />
Abend garantiert. Allein wegen Andrej Dunaev<br />
lohnt es, die Aufführung zu besuchen.<br />
M. Joannidis<br />
Bild: Eduard Straub<br />
Erfurt, Oper<br />
Die Rosenkönigin - La Reginetta delle Rose<br />
von Ruggero Leoncavallo, Operette in drei Akten; Libretto von Giovacchino<br />
Forzano; UA: Rom u. Neapel 1912; Deutsche Übersetzung:<br />
Peter Brenner (Deutsche Erstaufführung);<br />
Regie: Peter Brenner; Bühnenbild/Kostüme:<br />
Hank Irwin Kittel; Dirigent: Joji Hattori,<br />
Philharmonisches Orchester und Chor,<br />
Choreinstudierung: Andreas Ketelhut,<br />
Choreographie: Rudolf Hanisch; Solisten:<br />
Besetzung: Marisca Mulder (Lilian), Susanne<br />
Roth (Anita), Carola Gruber (Mikalis),<br />
Erik Fenton (Max), Mate Solyom-Nagy<br />
(Don Pedro), Dieter Hönig (Gin) u.v.a.<br />
Besuchte Aufführung: 1. März 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Bei einem Fest in einem Londoner<br />
Park trifft das Blumenmädchen Lilian<br />
ihren Geliebten Max ohne zu<br />
wissen, daß er ein Prinz aus dem<br />
fernen Portowa ist und sich auf Bildungsreise<br />
in London aufhält. Sie<br />
verabreden, sich in Portowa wieder<br />
zu sehen. Im königlichen Palast<br />
von Portowa fordert die Regentin<br />
die Hochzeit des Prinzen Max<br />
mit Prinzessin Anita. Da trifft die<br />
Nachricht ein, daß die gerade angekommene<br />
Lilian unter dem Verdacht<br />
inhaftiert wurde, Nihilistin<br />
Marisca Mulder (Lilian)<br />
und Erik Fenton (Max) als Traumpaar<br />
36<br />
zu sein. Max läßt Lilian zu sich bringen, die überrascht ist,<br />
einem Prinzen gegenüber zu stehen und glaubt, getäuscht<br />
worden zu sein. Vergeblich versucht Max, sie von seiner<br />
Liebe zu überzeugen. Während das Volk Freiheit für die<br />
Gefangene fordert, dankt Max, um sich aus der Affäre zu<br />
ziehen, ab; Lilian schlägt dagegen vor, die Revolution zu<br />
unterstützen. Als der Aufst<strong>and</strong> losbricht, will die Regentin<br />
Widerst<strong>and</strong> leisten, aber im Angesicht der entschlossenen<br />
Gegnerschaft von Max gibt sie auf und geht ins Exil. Das<br />
Volk ruft Max zum König aus und erwartet von ihm eine<br />
Verfassung. Wütend über Lilians vermeintliche Abreise<br />
verweigert er die Unterschrift und zerbricht die Feder. Da<br />
erscheint Lilian und reicht ihm eine Rose, damit er mit deren<br />
Stiel anstelle der zerbrochenen Feder das Dokument<br />
unterschreibe. Max tut es und bittet sogleich das Volk darum,<br />
das Mädchen Lilian aus dem Volk heiraten zu dürfen.<br />
Zur Operette<br />
Die bedeutendsten italienischen Opernkomponisten der<br />
Wende zum 20. Jh. schreiben unter dem Eindruck der Erfolge<br />
der Wiener Operetten auch Werke dieses Genres. Die<br />
Rosenkönigin ist die interessanteste und erfolgreichste der<br />
sieben Operetten Leoncavallos, die außerhalb Italiens noch<br />
auf ihre Entdeckung warten.<br />
Aufführung<br />
Man muß der Stadt Erfurt gratulieren: zu ihrem Opernhaus,<br />
dessen hervorragendem Orchester, seinen guten<br />
Solisten und zu seiner Leitung. Darunter gebührt einen<br />
besonderen Dank dem Intendanten Guy Montavon und<br />
dem Dramaturgen Arne Langer für die Ausgrabung der<br />
Leoncavallo-Operette.<br />
In der gelungenen Dekoration<br />
von Hank Irwin Kittel brachte<br />
Peter Brenner ein sehr skurriles<br />
Engl<strong>and</strong> und ein verschrobenes<br />
Königreich irgendwo in Europa<br />
auf die Bühne. Leoncavallo erfüllt<br />
alle Operettenklischees.<br />
Carola Gruber (Mikalis) war und<br />
ist stimmlich immer ein Garant in<br />
Erfurt. Das ernste Paar – Marisca<br />
Mulder (Lilian) und Erik Fenton<br />
(Max) – waren beide in glänzender<br />
Verfassung. Das heitere Paar<br />
– Susanne Rath (Anita) und Mate<br />
Solyom-Nagy (Don Pedro) – erfreuen<br />
durch ihr bezauberndes<br />
Duett und durch angenehme Beweglichkeit.<br />
Überhaupt Beweglichkeit:<br />
Selten zuvor habe ich einen<br />
so agilen Chor erlebt wie den<br />
in Erfurt. Natürlich wäre es schön,<br />
wenn das Haus ein eigenes Ballett<br />
hätte; denn ganz kann es auch<br />
der bewegungsfreundlichste Chor
nicht ersetzen. Dennoch: die Tanznummern des Chors,<br />
und da sei besonders die “Altherrenriege“ im zweiten<br />
Akt erwähnt, sind schön choreographiert und exakt getanzt.<br />
Ein großes Lob an den Chor und seinen Leiter<br />
Andreas Ketelhut.<br />
Erwähnenswert ist auch das Sprachtraining, welches das<br />
internationale Ensemble absolviert hat. Die gesprochenen<br />
Passagen kamen deutlich herüber und die Verständlichkeit<br />
des Gesangs verlangte nicht nach einer Übertitelung.<br />
Fazit<br />
Alles in allem muß diese Produktion unter Peter Brenners<br />
Regie, gekoppelt mit einer geschickten Übersetzung<br />
und einer liebevollen Verlegung in die 80er Jahre<br />
des alten Jahrhunderts und unter der musikalischen<br />
Leitung von Joji Hattori hoch gelobt werden. Sie macht<br />
neugierig auf weitere unbekannte Operetten, und man<br />
sollte sich wünschen, daß mehr Theater den Mut aufbrächten,<br />
jenseits von Lustigen Witwen, Czardasfürstinnen,<br />
Zarewitschen und Fledermäusen Ausschau nach<br />
Entdeckenswertem zu suchen. Der Schlußapplaus sollte<br />
Anreiz genug sein. A. M. Hauer<br />
Bild: Lutz Edelhoff<br />
Essen, Aalto-Theater<br />
Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg<br />
Musik und Text von Richard Wagner, Romantische Oper in drei Akten;<br />
UA: 19. Oktober 1845, Dresden, Hoftheater<br />
Regie: Hans Neuenfels, Bühne und Kostüme: Reinhard von der Thannen,<br />
Licht: Jürgen Nase; Dirigent: Stefan Soltesz, Essener Philharmoniker, Opernund<br />
Extrachor des Aalto-Theaters, Einstudierung: Alex<strong>and</strong>er Eberle<br />
Solisten: Scott MacAllister (Tannhäuser), Danielle Halbwachs (Elisabeth),<br />
Heiko Trinsinger (Wolfram von Eschenbach), Elena Zhidkova<br />
(Venus), Marcel Rosca (L<strong>and</strong>graf Hermann), Thomas Piffka (Walther<br />
von der Vogelweide), Almas Svilpa (Biterolf), Rainer Maria Röhr<br />
(Heinrich der Schreiber), Michael Haag (Reinmar von Zweter), Christina<br />
Clark (Hirt), Mitglieder des Aalto Kinderchors (Edelknaben)<br />
Besuchte Vorstellung:<br />
29. März 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Siehe Tannhäuser bei Oper Köln<br />
Inszenierung<br />
Der Essener Tannhäuser<br />
ist Hans Neuenfels’ zweite<br />
Wagner-Regiearbeit nach den<br />
Meistersingern 1994 in Stuttgart.<br />
Sein schon im Vorfeld<br />
angekündigtes Vorhaben, die<br />
Wagner-Rezeption von Klischees<br />
und Pompösem befreien<br />
zu wollen, ist durchaus<br />
lobenswert. Der Ansatz, nach<br />
komischen oder ironisierenden<br />
Elementen bei Wagner<br />
zu suchen, funktioniert im<br />
Tannhäuser jedoch nur sehr<br />
37<br />
bedingt. Herausgekommen ist denn auch über weite Strecken<br />
nicht mehr als eine Verballhornung des Werkes. Der<br />
Effekt, der sich z.B. durch die Jagd auf leicht bekleidete<br />
Damen mit Hirschgeweihen und Häschenohren (erster<br />
Akt) erzielen läßt, verpufft rasch. Tiefere Einblicke in das<br />
Werk lassen sich so kaum erreichen.<br />
Neuenfels scheint zudem selbst unschlüssig zu sein, von<br />
welcher Seite er sich dem Tannhäuser eigentlich nähern<br />
will. Zu der erwähnten Ironisierung kommt eine Gleichsetzung<br />
des Titelhelden mit dem Komponisten. Dieses<br />
Konzept hätte aufgehen können, denn im Tannhäuser<br />
geht es letztendlich um einen Menschen, der im Leben<br />
und in der Kunst zu Extremen neigt und bis zu seinem<br />
Tod nicht bereit ist, Kompromisse einzugehen. Unbestritten<br />
ist auch, daß Wagners Figuren oft autobiographische<br />
Züge haben. Der „Wagner-Tannhäuser“ wirkt jedoch<br />
inmitten des boulevardesken Geschehens deplaziert,<br />
ebenso wie die Anspielungen auf die Entstehungszeit<br />
der Oper. Und wenn sich während des Sängerwettstreits<br />
gar Wagners Mäzen Ludwig II. persönlich mit einem<br />
älteren Wagner im Schlepptau herbemüht, ist das nicht<br />
mehr als purer Slapstick. Allenfalls aufdringlich wirkt der<br />
Versuch, bei Ouvertüre und Orchester-Zwischenspielen<br />
durch vor den Vorhang projizierte Texte den direkten<br />
Kontakt zum Publikum zu suchen, etwa beim Vorspiel<br />
zum dritten Akt: Es versöhnt, dass wir es bis jetzt mitein<strong>and</strong>er<br />
ausgehalten haben.<br />
Einen Teil des dritten Aktes siedeln Neuenfels und von der<br />
Thannen in einer Irrenanstalt an: offensichtlich um zu zeigen,<br />
daß „Wagner-Tannhäuser“ nur bei denen, die den Schritt aus<br />
der Gesellschaft mit letzter Konsequenz getan haben, Liebe<br />
und Anerkennung fi ndet. Hier gelingen dem Regisseur sogar<br />
einige stille, berührende Momente. Leider fügen sie sich<br />
kaum in das Ganze ein und lösen sich außerdem angesichts<br />
neuer überfl üssiger Gags – Auftritt eines Roboters mit dem<br />
Stab des Papstes – rasch in Wohlgefallen auf.<br />
Scott Mac Allister (Tannhäuser) und Statisten
Sänger und Orchester<br />
Scott MacAllister (Tannhäuser) verfügt über eine hell<br />
timbrierte, erfreulich schlanke Stimme, die mit ausreichend<br />
Metall und Durchschlagskraft ausgestattet ist, um<br />
alle Facetten der gefürchteten Partie souverän bewältigen<br />
zu können. Lobenswert auch die Sorgfalt, mit der<br />
er sich der Artikulation des Textes widmete – trotz eines<br />
unüberhörbar amerikanischen Akzentes.<br />
Danielle Halbwachs (Elisabeth) runder, in allen Lagen<br />
sauberer und ausgeglichener Sopran war ein Vergnügen.<br />
Da konnte Elena Zhidkova als Venus nicht ganz mithalten.<br />
Zwar gebietet sie über einw<strong>and</strong>freie Spitzentöne, in<br />
mittlerer und tiefer Lage erwies sich ihre Stimme jedoch<br />
als steif und unfl exibel. Auch die Textverständlichkeit<br />
ließ bei ihr erheblich zu wünschen übrig.<br />
Heiko Trinsinger konnte für den Wolfram von Eschenbach<br />
mit einem edlen, kräftigen und geschmeidigen<br />
Bariton aufwarten. Insgesamt fi el sein Vortrag etwas<br />
eindimensional aus, was auf eine gerade überst<strong>and</strong>ene<br />
Indisposition zurückzuführen sein mag. Unter den übrigen<br />
Sängern hinterließen naturgemäß Marcel Rosca<br />
(L<strong>and</strong>graf Herrmann) und Thomas Piffka (Walther von<br />
der Vogelweide) den stärksten Eindruck.<br />
Schauspielerisch blieben alle Solisten blaß, wenn man von<br />
einigen Ausbrüchen an Spielfreude unter den Minnesängern<br />
(Rainer Maria Röhr als Heinrich der Schreiber und<br />
Michael Haag als Reinmar) absieht. Das liegt in erster Linie<br />
an Neuenfels’ Personenregie. Er steckt viel Energie in die<br />
Choreographie seines „Bewegungschores“. Die Solisten<br />
überläßt er dabei weitgehend sich selbst.<br />
Star des Abends waren nach Scott MacAllister ganz ohne<br />
Zweifel die Essener Philharmoniker unter Stefan Soltesz.<br />
Schon die Ouvertüre gestaltete Soltesz einfallsreich und dynamisch<br />
fein abgestuft. Seine Tempi sind zügig und fl üssig,<br />
ohne zu hetzen. Es wäre reine Beckmesserei anzumerken,<br />
daß man sich im Forte mitunter noch etwas mehr Schlankheit<br />
und Transparenz gewünscht hätte. Als bestens disponiert<br />
erwies sich auch der Chor,<br />
sogar unter „erschwerten“ Bedingungen<br />
(Aufstellung im Zuschauerraum<br />
beim Einzug der Gäste).<br />
Fazit<br />
Musikalisch kann sich der Essener<br />
Tannhäuser mehr als hören lassen.<br />
Und ein „Sk<strong>and</strong>al“ ist Neuenfels’<br />
Inszenierung ganz sicher nicht. Es<br />
bleiben aber berechtigte Zweifel, ob<br />
er die moderne Wagner-Rezeption<br />
mit seiner Deutung einen Schritt<br />
nach vorn gebracht hat – und ob<br />
das Publikum von dieser Inszenierung<br />
mehr in Erinnerung behält als<br />
ein paar Albernheiten.<br />
E. M. Ernst<br />
Bild: Matthias Jung<br />
38<br />
Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier<br />
L´incoronazione di Poppea – Die Krönung der Poppea<br />
von Claudio Monteverdi, Dramma in musica, Prolog und drei Akte<br />
Dichtung: Giovanni Francesco Busenello, UA: Venedig 1642.<br />
Regie: Bettina Lell (nach einer Inszenierung von Andreas Baesler),<br />
Bühnenbild: Eckhard-Felix Wegenast, Kostüme: Susanne Hubrich,<br />
Dramaturgie: Johann Casimir Eule; Dirigent: Samuel Bächli, Neue<br />
Philharmonie Westfalen; Solisten: Wolf-Rüdiger Klimm (Amor),<br />
Claudia Braun (Poppea), Anke Sieloff (Nero), Noriko Ogawa-Yatake<br />
(Ottavia), Matthias Lucht (Ottone), Christian Helmer (Seneca), Leah<br />
Gordon (Drusilla), William Saetre (Arnalta) u.a.<br />
Eine Koproduktion mit dem Staatstheater Braunschweig<br />
Besuchte Vorstellung: 9. 3.2008 (Premiere<br />
Kurzinhalt<br />
Die Götter Fortuna (Schicksal), Amor (Liebe) und Virtu<br />
(Tugend) streiten sich, wer von ihnen die Geschicke der<br />
Menschen lenkt. Amor will beweisen: allein die Liebe.<br />
Kaiser Nero liebt Poppea, die Gattin des Praetors Ottone.<br />
Er will Poppea zur neuen Kaiserin ernennen und<br />
sich daher von Kaiserin Ottavia trennen. Als Seneca die<br />
Machenschaften Neros kritisiert, wird er zum Selbstmord<br />
gezwungen. Ottone und dessen Freundin Drusilla<br />
versuchen auf Ottavias Rat, Poppea zu ermorden.<br />
Durch Eingreifen Amors mißlingt der Mordanschlag<br />
und die Täter werden gefaßt. Ottone bezichtigt die Kaiserin<br />
Ottavia der Mittäterschaft. Beide werden daraufhin<br />
aus Rom verbannt und Nero erhebt seine Geliebte Poppea<br />
zur rechtmäßigen Kaiserin.<br />
Aufführung<br />
Ein besonderes Augenmerk dieser Inszenierung ist auf<br />
die Darstellung der Klassengegensätze im Stück gelegt:<br />
die Adligen, die nur mit ihren Gefühlen beschäftigt sind,<br />
singen italienisch, das niedere Volk der Soldaten, Ammen<br />
und Angestellten kann nur Deutsch, wohingegen<br />
der abgehobene Philosoph Seneca öfters auch in lateinischer<br />
Sprache doziert.<br />
Anke Sieloff meistert gesanglich und in den Bewegun-<br />
William Saetre (Arnalta), Claudia Braun (Poppea), Wolf-Rüdiger Klimm (Amor)
gen ihre Rolle als Nero sehr gut. Ein echtes Mitfühlen<br />
während der Liebeszenen zwischen Nero und Poppea<br />
konnte aber nicht aufkommen, obwohl Claudia Braun<br />
(Poppea) gesanglich wie auch durch ihr attraktives, verführerisches<br />
Äußeres, gr<strong>and</strong>ios ist. Das Schlußduett der<br />
beiden, in welchem das auf Erden wie im Himmel widerhallende<br />
Glück von Poppea und Nero besungen wird, ist<br />
ein musikalischer Höhepunkt. Das geht einem wirklich<br />
unter die Haut! Noriko Ogawa-Yatake (Ottavia) bringt<br />
gesanglich eine durchgängig gute Leistung und ist ihrer<br />
Rolle angemessen stimmlich unauffällig. William Saetre<br />
(Arnalta) überzeugt durch eine kecke Stimme und das<br />
teilweise witzig vorgetragene Parl<strong>and</strong>o. Leah Gordon<br />
(Drusilla), Daniel Wagner (1. Soldat/Schüler), Jan Ciesielski<br />
(2. Soldat/Schüler) und Artur Grywatzik (Schüler)<br />
machen aus ihren Nebenrollen stimmlich und agierend das<br />
Beste. Christian Helmer (Seneca) entspricht mit seiner voluminösen<br />
Baßstimme den zur Zeit Monteverdis typischen<br />
Stimmencharakter eines würdigen, weisen Philosophen.<br />
Der Counter-Tenor Matthias Lucht (Ottone) entspricht<br />
mit weicher, chromatisch schmiegsamer Melodik in seinen<br />
Gesangspassagen der Rolle eines zaudernden Ottone<br />
gr<strong>and</strong>ios. Wolf-Rüdiger Klimm (Amor) erinnert in seinem<br />
auffällig kitschigen Silberpaillettenanzug mit Ballonrock,<br />
Flügeln und Plateaustiefeln eher an das Bühnenoutfi t der<br />
1970er Jahre und überschattet damit seine gesangliche Leistung.<br />
Insgesamt sind fl ippige Kostüme, Kleidung aus den<br />
1950er Jahren bis zurück zu barock anmutender Kostümierung,<br />
bunt nebenein<strong>and</strong>er gruppiert.<br />
Das Orchester unter der Leitung von Samuel Bächli verdient<br />
das größte Lob. Von Monteverdis L´incoronanzione<br />
di Poppea ist nämlich nur Singstimme und Baßlinie überliefert.<br />
Erst durch die Instrumentation von Samuel Bächli<br />
und Kai Tietje ist sie für die Aufführung außerordentlich<br />
eindrucksvoll hergerichtet worden.<br />
Die Gratw<strong>and</strong>erung zwischen der Aufführungspraxis<br />
Alter Musik und heutiger Musizierpraxis ist gr<strong>and</strong>ios<br />
gelungen. Kai Tietje und Samuel Bächli zaubern mit ihrer<br />
Kammermusikgruppe von 22 Musikern ein perfektes<br />
Zusammenspiel zwischen historischen Klangquellen<br />
wie Blockfl öten, Laute, Truhenorgel und authentischen<br />
Streichinstrumenten einerseits und Klarinetten, Klavier,<br />
Akkordeon und Vibraphon von heute <strong>and</strong>ererseits.<br />
Hinzu kommen noch Oboen, Fagotte und Posaune.<br />
Ein gewagtes Unternehmen, das manchmal sehr ein<br />
anti-monteverdisches, aber durchaus wohlklingendes Ergebnis<br />
hervorruft. Allemal kooperieren die Musiker gut<br />
mitein<strong>and</strong>er. Sie verstehen es, Rhythmik, Harmonik und<br />
Melodik meisterhaft darzubieten.<br />
Fazit<br />
Die Aufführung wirkt insgesamt sehr solide. Ein großer<br />
Applaus am Schluß der Premierevorstellung blieb aus. Die<br />
Umsetzung des Stücks in der gebotenen Form ist sicherlich<br />
eine Geschmacksfrage.<br />
B. W<strong>and</strong>schneider<br />
Bild: Majer-Finkes und Rudolf Finkes<br />
39<br />
Greifswald, Theater Vorpommern<br />
Fidelio<br />
von Ludwig van Beethoven, Oper in 2 Aufzügen, Text: Joseph Sonnleithner,<br />
Stephan von Breuning und Georg Friedrich Treitschke nach der Oper Léonore<br />
ou l’amour conjugal von Pierre Gaveaux und Jean Nicolas Bouilly<br />
UA: (3. Fassung): 1814 Wien<br />
Regie: Anton Nekovar, Bühnenbild/Kostüme: Sabine Lindner; Dirigent:<br />
Mathias Husmann, Philharmonisches Orchester Vorpommern,<br />
Singakademie Stralsund und Opernchor des Theaters Vorpommern,<br />
Einstudierung: Thomas Riefl e, Günther Wolf<br />
Solisten: Anna Ryan (Leonore / Fidelio), Michael Renier (Florestan), Benno<br />
Remling (Don Pizarro), Bernhard Leube (Rocco), Eva Resch (Marzelline),<br />
Noriyuki Sawabu (Jaquino), Bryan Rothfuss (Don Fern<strong>and</strong>o), Bernd Roth<br />
(Erster Gefangener), Volker-Johannes Richter (Zweiter Gefangener)<br />
Besuchte Vorstellung: 5. April 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Marzelline, Tochter des Gefängniswärters Rocco, liebt<br />
den Gehilfen Fidelio, der sich durch Fleiß und Geschick<br />
auszeichnet. Tatsächlich h<strong>and</strong>elt es sich bei ihm jedoch<br />
um eine verkleidete Frau, Leonore, die sich in das Gefängnis<br />
eingeschlichen hat, um Kontakt zu ihrem Gatten<br />
Florestan, einem politischen Gefangenen, der seit Jahren<br />
im tiefsten Verließ sitzt, zu bekommen. Als eine königliche<br />
Inspektion des Gefängnisses angekündigt wird, entschließt<br />
sich der Gouverneur Don Pizarro, der Florestan<br />
widerrechtlich festhalten läßt, Florestan zu töten, um<br />
seinen gefährlichsten Widersacher aus dem Weg zu räumen.<br />
Dank des Vertrauens des Gefängniswärters Rocco<br />
darf Leonore zu ihrem Gatten herabsteigen, gerade<br />
im rechten Moment, um ihm das Leben zu retten. Don<br />
Fern<strong>and</strong>o, der Abges<strong>and</strong>te des Königs, trifft in diesem<br />
Moment ein, nimmt Pizarro gefangen, verspricht eine<br />
Aufarbeitung von dessen tyrannischer Herrschaft und<br />
entläßt Florestan in die Freiheit.<br />
Aufführung<br />
Die für Greifswalder Verhältnisse aufwendig ausgestattete<br />
Inszenierung des Intendanten Anton Nekovar ist, das<br />
muß man vorab sagen, als sehr gelungen zu bezeichnen.<br />
Sie macht den Genrewechsel, der im Text des ersten Akts<br />
angelegt ist, durch einen originellen Einfall deutlich: Wenn<br />
der Vorh<strong>and</strong> sich öffnet, bietet sich ein Bild wie in einer<br />
Inszenierung des 19. Jahrhunderts: Bemalte Leinwände<br />
zeigen das Gefängnisgebäude im Hintergrund, davor singen<br />
die Solisten im historischen Kostüm. Das berühmte<br />
kanonische Quartett Mir ist so wunderbar wurde durch die<br />
Lichtregie und eine musikalisch fein abgestimmte Vortragsweise<br />
aller Beteiligten sehr deutlich und durchhörbar.<br />
Dann, während des Terzetts Gut, Söhnchen, gut ändert sich<br />
das Bild vollständig. Von der Decke werden eine Vielzahl<br />
von Uniformen herabgelassen, aus denen sich die drei<br />
Solisten schwarze Jacken mit der Aufschrift „Security“<br />
heraussuchen. Die Leinwände werden hochgezogen,<br />
und wir befi nden uns für den Rest des Abends im 21.<br />
Jahrhundert, genauer: in einem Gefängnis des 21. Jahrhunderts:<br />
Steril und klinisch geht es hier zu, kahle Wände,<br />
kaltes Neonlicht.
Ein Gefangenenchor in<br />
orangefarbenen Uniformen<br />
singt von einer Einheit<br />
mit Maschinengewehren.<br />
Diese Einheit besteht<br />
aus jungen Männern im<br />
Outfi t privater Wachdienste,<br />
woran wir uns in den<br />
letzten Jahrzehnten gewöhnt<br />
haben. Der Bezug<br />
auf das Foltergefängnis<br />
von Guantánamo ist sofort<br />
deutlich – und die zeitlose<br />
Aktualität von Beethovens<br />
Oper wird ein weiteres Mal<br />
eindrucksvoll belegt. Politische<br />
Gefangene, für die<br />
kein Recht gilt, gehören<br />
– wie vor 200 Jahren – zu<br />
unserer Realität.<br />
Hier regiert ein eleganter und eiskalter Don Pizarro,<br />
überzeugend dargestellt von Benno Remling, einem der<br />
besten Akteure des Opernensembles. Florestan wird in<br />
einem unterirdischen Hochsicherheitstrakt verwahrt, seine<br />
Verzweifl ung wirkt bedrückend realistisch. Die lange<br />
Schlußszene mit großem Chor, die wegen ihres utopischen<br />
Gehalts schwer umzusetzen ist, gelang szenisch<br />
und vor allem musikalisch.<br />
Das Philharmonische Orchester Vorpommern brachte<br />
Beethovens Musik souverän und mit Verve zum Erklingen,<br />
und das in der sehr trockenen, keinen Fehler kaschierenden<br />
Akustik des Greifswalder Theaters. Das vor<br />
gut einem Jahrzehnt durch Fusion entst<strong>and</strong>ene Orchester<br />
hat seit dem Engagement Mathias Husmanns eine<br />
erfreuliche Entwicklung genommen.<br />
Was die musikalische Leistung der Solisten angeht, darf<br />
man natürlich nicht das Niveau eines Großstadttheaters<br />
erwarten. Zwar verfügen Anna Ryan (Fidelio) und Michael<br />
Renier (Florestan) über sehr kräftige, klangvolle<br />
Stimmen, doch wirkte vor allem Reniers Einsatz seiner<br />
Mittel unausgeglichen, beinahe so, als würde er zu sehr<br />
an die Verhältnisse eines großen Hauses gewöhnt sein.<br />
Mitunter war das Orchester bei seinen Fortissimo-Einsätzen<br />
nicht mehr zu hören, und seine Aussprache des<br />
Deutschen ist leider noch nicht sehr deutlich.<br />
Dafür aber meisterte er die gefürchtete Schlußstretta seines<br />
Monologs Zur Freiheit, zur Freiheit vollauf. Anna Ryan verfügt<br />
wie er über eine sehr solide Technik, die sie mit Sicherheit<br />
auch im hochdramatischen Fach mit Erfolg einsetzen<br />
kann. Am schwächsten war die sängerische Leistung von<br />
Bryan Rothfuss (Don Fern<strong>and</strong>o). Darstellerisch gingen die<br />
Solisten und Choristen ganz in der ihnen von der Regie<br />
gestellten Aufgabe auf. Szenen- und ein langer Schlußbeifall<br />
ließen keinen Zweifel daran, daß diese Produktion vom<br />
Publikum mehr als dankbar angenommen wird.<br />
40<br />
Anna Ryan (Leonore / Fidelio), Michael Renier (Florestan)<br />
Fazit<br />
Musikalisch wird eine – für ein kleines Theater – ordentliche<br />
Leistung geboten, vom Orchester sogar eine sehr<br />
gute, dazu eine Inszenierung mit Tiefgang und weit über<br />
dem Durchschnitt vergleichbarer Häuser. Kleine Bühne,<br />
großer Wurf!<br />
Koblenz, Theater der Stadt<br />
Lucia di Lammermoor<br />
M. Knust<br />
Bild: Theater Vorpommern<br />
von Gaetano Donizetti, Dramma tragico in 3 Akten; Libretto: Salvatore<br />
Cammarano, nach dem Roman The Bride of Lammermoor<br />
(1819) von Sir Walter Scott; UA: 26. 9. 1835, Teatro San Carlo, Neapel<br />
Regie und Bühnenbild: Hans Hoffer, Kostüme: Gera Graf<br />
Dirigent: Anton Marik, Staatsorchester Rheinische Philharmonie<br />
Solisten: Estelle Kruger (Lucia), Guillermo Dominguez (Edgardo),<br />
Alex<strong>and</strong>er Polakovs (Enrico), Michael Burt (Raimondo), Monica<br />
Mascus (Alisa), Max An (Arturo), Ji-Soo Kim (Normanno)<br />
Besuchte Aufführung: 29. Februar 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Die schottischen Familien Ravenswood und Lammermoor<br />
sind verfeindet. Doch Lucia di Lammermoor hat<br />
sich in Edgardo, den letzten Erben von Ravenswood,<br />
verliebt. Sie trifft sich heimlich mit dem Geliebten am<br />
Brunnen, wo sie sich gegenseitige Treue schwören.<br />
Lucias Bruder Lord Enrico aber will sie mit dem reichen<br />
Lord Arturo Bucklaw verheiraten, um die Familie<br />
aus ihrer verschuldeten Lage zu retten. Inzwischen<br />
schreibt Edgardo, der sich als Botschafter in Frankreich<br />
befi ndet, Briefe. Einen davon fälscht ihr Bruder. Darin<br />
gesteht Edgardo Lucia, daß er eine <strong>and</strong>ere lieben würde.<br />
So unterschreibt Lucia schließlich den Ehevertrag mit<br />
Arturo. Während der Hochzeitsfeier taucht Edgardo<br />
plötzlich auf und fragt sie, ob es stimme, daß sie einen<br />
<strong>and</strong>eren lieben würde. Als Lucia das bejaht, gibt er ihr
den Ring zurück. Noch in der Nacht fordert Enrico<br />
Edgardo zum Duell. Die feiernde Hochzeitsgesellschaft<br />
wird geschockt durch die Mitteilung, Lucia habe ihren<br />
frisch Vermählten getötet. Diese erscheint mit blutverschmiertem<br />
Kleid im Saal. Sie ist dem Wahnsinn verfallen.<br />
Zu spät erkennt Enrico, was er seiner Schwester<br />
angetan hat.<br />
Heimkehrende Hochzeitsgäste berichten Edgardo, der<br />
im Morgengrauen auf Lord Enrico zum Duell wartet,<br />
Lucia sei wahnsinnig geworden. Kurz darauf verkünden<br />
die Glocken ihren Tod. Edgardo beschwört seine Liebe<br />
zu Lucia und nimmt sich das Leben.<br />
Aufführung<br />
Die Liebe zwischen Lucia und Edgardo ist von Anfang<br />
an zum Verderben<br />
verurteilt. Es<br />
ist die tragische<br />
Geschichte einer<br />
unterdrückten<br />
Frau, die von<br />
allen zu deren<br />
Vorteil ausgenutzt<br />
wird. Nach<br />
Auffassung des<br />
Regisseurs Hans<br />
Hoffer will Enrico<br />
Lucia des Ruhmes<br />
und Geldes<br />
wegen verheiraten<br />
und Edgardo<br />
sie als Trophäe<br />
besitzen. Sie verleugnet<br />
ihre große<br />
Liebe und damit ihr eigenes Ich. Und schließlich fl üchtet<br />
sie sich in den Wahnsinn. Es ist das erste Mal, daß Lucia<br />
sein kann, was sie will: frei.<br />
Die Wahnsinnsarie im dritten Akt ist der Höhepunkt der<br />
Oper, und daraufhin hat Hans Hoffer (auch Bühnenbildner)<br />
seine Inszenierung auch ausgelegt: Die Bühne<br />
ist spartanisch eingerichtet. Im Mittelpunkt steht eine<br />
überdimensionale weiße Maske, die das Gesicht und den<br />
Verst<strong>and</strong> der Lucia darstellt. Zu Beginn der Oper fl üchtet<br />
sie sich immer wieder darauf wie auf eine schützende<br />
Insel. Bei der Hochzeitsfeier schließlich ist die Maske<br />
in einzelne Teile zerfallen – genau wie Lucias Verst<strong>and</strong><br />
dem Wahnsinn verfallen ist.<br />
Schon während der Ouvertüre deutet Hoffer das Schicksal<br />
der Lucia an: Ein Fadenkreuz wird auf die Bühne<br />
projiziert, und dahinter erkennt man eine Figur, die wie<br />
durch eine Wärmebildkamera betrachtet, langsam hin<br />
und her durch den Raum schwebt. Dazu erklingen die<br />
unheilvollen Töne des Orchesters.<br />
Und noch einen dramaturgischen Kniff wendet Hoffer<br />
an: Als Edgardo und Lucia sich nachts treffen, sind sie<br />
41<br />
durch ein eierförmiges, leicht schräg liegendes Loch in<br />
einer schwarzen W<strong>and</strong> zu sehen – auch eine Möglichkeit,<br />
den Brunnen darzustellen, vor dem sie stehen. Alisa zieht<br />
ihr zuvor ihre Jacke an – allerdings mit der Öffnung nach<br />
hinten. Dies erinnert unweigerlich an eine Zwangsjacke.<br />
Und so ziehen sich die Assoziationen an Lucias Wahnsinn<br />
durch das gesamte Stück. Vor allem gegen Ende erweckt<br />
der Bühnenbildner die Vision einer Irrenanstalt:<br />
Raimondo wird als Greis im Rollstuhl umher geschoben,<br />
das Ensemble trägt weiße Kittel, Lucia zieht ihre Perücke<br />
aus, unter der ein kurzgeschorener Haarschopf erscheint,<br />
Edgardo schlitzt sich am Ende die Pulsadern auf.<br />
Für Lucias Wahnsinn läßt sich Hoffer ein eindringliches<br />
Bild einfallen: Als sie während der Feier den Saal betritt,<br />
trägt sie ein leuchtend rotes Kleid und eine rote Perücke<br />
und schleift den<br />
toten Körper Arturos<br />
hinter sich<br />
her. Sie zieht das<br />
Kleid aus, unter<br />
dem sie ein<br />
weißes, blutverschmiertesNachtgew<strong>and</strong><br />
trägt.<br />
Dann stimmt sie,<br />
auf dem Leichnam<br />
sitzend, die<br />
Wahnsinnsarie<br />
an.<br />
Estelle Kruger<br />
(Lucia) liefert<br />
eine meisterliche<br />
Hauptfi gur ab.<br />
Die gebürtige<br />
Südafrikanerin besticht durch eine gute Dynamik. Vor<br />
allem ihre Koloraturen in der Wahnsinnsarie sind ein Genuß<br />
und begeistern das Publikum. Ihr Zusammenklang<br />
mit der Flöte ist perfekt. Auch Guillermo Dominguez<br />
(Edgardo) erfreut mit einer sehr angenehmen Stimme.<br />
Sein Spiel, vor allem in der letzten Szene, ist überaus<br />
überzeugend. Man kauft ihm zweifellos den feurigen<br />
Liebhaber ab. Alex<strong>and</strong>er Polakovs (Enrico) singt einen<br />
zornigen, rachsüchtigen Enrico. Vor allem zu Beginn ist<br />
seine Stimme etwas zu schrill. Michael Burt (Raimondo)<br />
singt als satter, ansonsten recht unauffälliger Baß. Auch<br />
das restliche Ensemble fügt sich gut ein. Dirigent Anton Marik<br />
gelingt es gut, die verschiedenen Stimmungen der Musik aus<br />
dem Orchester herauszulocken. Die Streicher überzeugen, die<br />
Bläser sind an manchen Stellen ein wenig unsauber.<br />
Fazit<br />
Eine durchaus gelungene, aussagekräftige Inszenierung<br />
mit einer überzeugenden Lucia und einem ansonsten zufrieden<br />
stellenden Ensemble und Orchester.<br />
Estelle Kruger (Lucia) sitzt auf dem Leichnam ihres Gatten, im Hintergrund die zerfallene Maske.<br />
J. Korst<br />
Bild: PIELmedia
Köln, Oper<br />
Rotter<br />
von Torsten Rasch, Oper in zwei Akten, Text: Katharina Thalbach<br />
und Christoph Schw<strong>and</strong>t nach Thomas Brasch; Regie: Katharina<br />
Thalbach, Bühnenbild: Momme Röhrbein; Dirigent: Hermann Bäumer,<br />
Gürzenich-Orchester Köln, Opernchor Köln<br />
Solisten: Hans-Georg Priese (Rotter), Albert Bonnema (Lackner), Regina<br />
Richter (Elisabeth), Ulrich Hielscher (Fleischer), Shannon Chad Foley<br />
(Hauptmann), Johannes Beck (Vorsitzender), Alex<strong>and</strong>er Fedin (Kunde/<br />
Polizist/Maschke), Stefan Kohnke (Rotmaler), Hauke Möller (Grabow/1.<br />
Arbeiter), David Pichlmaier (Tetzner/2. Arbeiter), Jong Min Lim (Kutz/3.<br />
Arbeiter), Julia Giebel (Fräulein Berthold), Machiko Obata (Radio)<br />
Besuchte Aufführung: 23. Februar 2008 (Uraufführung)<br />
Kurzinhalt<br />
Du bist der Gleiche geblieben, der du immer warst. Diese Erkenntnis<br />
am Ende des Stücks liest sich wie ein Fazit aus<br />
den letzten zwei Stunden Operngeschehen, aber auch aus<br />
einem gesamten Menschenleben. Karl Rotter, ein Kind<br />
der Weimarer Republik, durchläuft verschiedene Stationen<br />
des Zeitgeschehens des 20. Jahrhunderts in Deutschl<strong>and</strong>:<br />
Erst ist er Metzgerlehrling, dann im SS-Hemd und<br />
schließlich Baustellenleiter in der noch jungen DDR.<br />
Daneben bestimmen ihn eine gescheiterte Ehe mit Elisabeth,<br />
eine Haßliebe zu seinem Gegenspieler Lackner<br />
und die über Jahre hinweg quälende Frage, ob das Kind,<br />
das Elisabeth<br />
nicht bekommen<br />
hat, von ihm<br />
oder doch von<br />
Lackner war.<br />
Rotter will immer<br />
weitermachen,<br />
auch, wenn um<br />
ihn herum alles<br />
schon mit neuen<br />
Dingen beschäftigt<br />
ist. Er läßt<br />
sich benutzen,<br />
ohne es zu merken,<br />
wird er lästig,<br />
schickt man<br />
ihn in den Ruhest<strong>and</strong>.<br />
Selbst im<br />
Angesicht des<br />
Todes will er wieder<br />
von neuem anfangen. Er ist der Gleiche geblieben,<br />
auch wenn sich um ihn alles verändert hat.<br />
Inszenierung<br />
Ein ständiges Kommen und Gehen beherrscht das Geschehen.<br />
Da liegt es nahe, die Haupth<strong>and</strong>lungsstätte<br />
eines Bahnhofs als Bühnenbild dominieren zu lassen.<br />
Geschickt lassen sich die Stahlkonstruktionen, die an<br />
Stützen einer Bahnhofsüberdachung erinnern, im zweiten<br />
Akt zu einer Baustelle neu herrichten, zumal auch<br />
hier das Motiv der Eisenbahn in Gestalt einer Werksbahn<br />
erneut auftritt.<br />
42<br />
Die Kostüme sind schlüssig aus dem jeweils dargestellten<br />
Zeitabschnitt deutscher Geschichte gewählt,<br />
Charlestontänzer sind dadurch genauso legitimiert wie<br />
NS-Uniformen und FDJler.<br />
Katharina Thalbachs Regie orientiert sich nah an den<br />
Konventionen des Schauspiels, was für eine Oper, die<br />
sich politischen Themen widmet, mehr als angebracht<br />
ist, um den H<strong>and</strong>lungsstrang klar, direkt und ohne unnötige<br />
Ausschmückungen darzustellen. Daneben frischen<br />
innovative Elemente, die durchaus durch den<br />
Text begründet sind, wie Samba tanzende Schweine, das<br />
Gezeigte auf.<br />
Komposition<br />
Torsten Rasch beweist mit seiner ersten Oper einen originellen<br />
Geist. Er weiß mit der menschlichen Stimme<br />
umzugehen und traditionelle Opernelemente sinnvoll<br />
einzusetzen. Während im größten Teil der Oper der<br />
syllabische Stil überwiegt, dienen z.B. Melismen der<br />
Textausdeutung, ein Wort besonders zu betonen, so geschehen<br />
beim Erwähnen des Führers, bei dem durch eine<br />
aberwitzige Koloratur die Verbundenheit und Bewunderung<br />
Rotters für diese Person ausgedrückt wird.<br />
Das Instrumentarium ist besonders in den tiefen Lagen<br />
Albert Bonnema (Lackner) und Arbeiter (Opernchor)<br />
und im Schlagwerk erweitert. Die dadurch entstehenden<br />
klanglichen Möglichkeiten stimulieren sehr genau<br />
das Gefühl (die Affekte): So dient ein Gliss<strong>and</strong>o in den<br />
Streichern dazu, Rotters Zurückstreichen der Haare, um<br />
dem Führer zu ähneln, zu untermalen, Hammerschläge<br />
auf der Baustelle werden lautmalerisch im Schlagwerk<br />
dargestellt. Nahezu symbolhaft ist der Einsatz der Celesta<br />
[Tasteninstrument, bei dem Metallstäbe angeschlagen<br />
werden], die immer dann erklingt, wenn die Alten Kinder<br />
im Chor auftreten, vergleichbar mit dem kommentierenden<br />
Chor des antiken griechischen Dramas. Aber auch
wenn Kinder agieren oder ein Kinderlied angestimmt<br />
wird, erklingt das Schlagwerk der Celesta wie eine Spieluhr<br />
aus der Ferne.<br />
Insgesamt ist die Komposition freitonal, es treten jedoch<br />
auch kurze lyrische Passagen auf, die ein tonales Zentrum<br />
aufweisen. Diese Stellen sind gezielt gesetzt und<br />
dienen der Textverdeutlichung, z.B. während der Deportation<br />
von Juden. Durch diese kurzen tonalen Momente<br />
erscheint der Aufbruch ins Freitonale noch krasser und<br />
der Zuschauer verliert sich nicht im bloßen Zuhören,<br />
sondern wird immer wieder zum genauen Hinhören<br />
aufgefordert. Besonders imponierend ist das Orchesterzwischenspiel<br />
vor der fünften Szene des ersten Aktes.<br />
Hier wird das Kriegstreiben lautmalerisch ausgedeutet.<br />
Dazu fi ndet auf der Bühne eine groteske Engführung<br />
von Schlacht, Tänzerinnen, spielenden Kindern und<br />
Schneegestöber statt, was den beklemmenden Charakter<br />
der Musik unterstützt.<br />
Sänger<br />
Die Besetzungswahl ist weitestgehend überzeugend.<br />
Leider gelingt es nicht allen Sängern, insbesondere in<br />
den Nebenrollen, über das in Extremlagen spielende<br />
Orchester hinweg in den Zuschauerraum vorzudringen.<br />
Beeindruckend ist die Leistung von Hans-Georg Priese<br />
in der Rolle des Karl Rotter. Nahezu in jeder Szene<br />
muß er stimmlich und schauspielerisch präsent sein. Da<br />
er vor drei Jahren vom Baritonfach ins schwere Tenorfach<br />
wechselte, beherrscht er auch die verhältnismäßig<br />
tiefen Passagen einw<strong>and</strong>frei. Regina Richter (Elisabeth)<br />
brilliert mit ihrem klaren Mezzosopran und weiß ihn<br />
sowohl verführerisch, als auch energisch und verbittert<br />
einzusetzen. Einzig die Wahl, die Figur Lackners, dessen<br />
Partie überwiegend im Parl<strong>and</strong>ostil geschrieben ist, mit<br />
dem aus den Niederl<strong>and</strong>en stammenden Albert Bonnema<br />
zu besetzen, bleibt bisweilen fragwürdig. Gerade in<br />
einem Stück, in dem beinahe jedes Wort von politischer<br />
Relevanz ist, sollte besonderer Wert darauf gelegt werden,<br />
daß, trotz der mitlaufenden Übertitel, das Gesungene<br />
durchweg verständlich ist.<br />
Das Gürzenich-Orchester Köln erweist sich unter der<br />
Leitung von Hermann Bäumer als überaus fähig, den<br />
Ansprüchen einer durchdachten Komposition gerecht<br />
zu werden. Der Chor der Oper Köln kann insbesondere<br />
in den sphärisch anmutenden Passagen durch einen äußerst<br />
homogenen Klang überzeugen.<br />
Fazit<br />
Man muß schon eine gewisse Neigung zu Neuer Musik<br />
haben, um von Rotter begeistert zu werden. Doch auch<br />
dann wird einem die Aufführung nicht gefallen, wenn<br />
man nur in die Oper geht, um (frei nach Brecht) romantisch<br />
zu glotzen. Was einen erwartet, ist durchaus schwere<br />
Kost, die zu probieren es sich allerdings sehr lohnt.<br />
Ch. Lauter<br />
Bild: Klaus Lefebvre<br />
43<br />
Köln, Oper<br />
Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg<br />
Musik und Text von Richard Wagner, Romantische Oper in drei Aufzügen.<br />
UA: 19. Oktober 1845, Hoftheater Dresden<br />
Regie: Jasmin Solfaghari, Bühnenbild: Frank Philipp Schlößmann,<br />
Kostüme: Mechthild Seipel; Dirigent: Markus Stenz, Gürzenich-Orchester<br />
und Chor der Oper, Einstudierung: Andrew Olivant<br />
Solisten: Andreas Hörl (Hermann, L<strong>and</strong>graf), Torsten Kerl (Tannhäuser),<br />
Miljenko Turk (Wolfram von Eschenbach), Martin Homrich<br />
(Walter von der Vogelweide), Andrés F. Orozco Martinez (Heinrich<br />
der Schreiber), Daniel Henriks (Biterolf), Wilfried Staber (Reinmar<br />
von Zweter), Camilla Nylund (Elisabeth), Dalia Schaechter (Venus),<br />
Susanne Nieblung (ein junger Hirt) u.a.<br />
Besuchte Aufführung: 15. März 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Beim Erwachen aus tiefem Schlaf weiß Tannhäuser<br />
nicht, wie lange er schon bei Venus weilt. Doch er sehnt<br />
sich zurück nach der Menschenwelt. Schließlich fi ndet<br />
er sich in einem schönen Tal wieder. Der L<strong>and</strong>graf und<br />
die Ritter, von der Jagd zurückkommend, fi nden ihn<br />
und begrüßen ihn freudig. Als Wolfram ihm von der auf<br />
ihn wartenden Elisabeth berichtet, geht Tannhäuser mit<br />
ihnen auf die nahe gelegene Wartburg. Hier trifft Tannhäuser<br />
auf Elisabeth.<br />
Die Vorschrift beim Sängerwettstreit ist, das Wesen der<br />
Liebe durch die Lieder zu beschreiben. Die Minnesänger<br />
Wolfram, Walther und Biterolf tragen ihren abstrakten,<br />
moralisierenden Liebesbegriff vor. Tannhäuser antwortet,<br />
jedes Mal immer hitziger, auf die einzelnen Sänger<br />
und setzt dagegen seine Ansicht von irdischer, sinnlicher<br />
Liebe, die er beglückt erlebt hat. Sein Preislied auf Venus<br />
ist der Höhepunkt.<br />
Darüber sind die Minnesänger so aufgebracht, daß sie<br />
ihn mit dem Tod bedrohen. Doch Elisabeth, obwohl<br />
bis ins Herz durch Tannhäusers Aufenthalt bei Venus<br />
getroffen, stellt sich zwischen die Kontrahenten. Tannhäuser<br />
wird ausgestoßen und zur Bußfahrt nach Rom<br />
gezwungen. In der Zwischenzeit betet Elisabeth für<br />
Tannhäusers Seelenheil. Im Herbst kehrt er ohne die<br />
Pilger allein zurück. Er ist zutiefst enttäuscht, denn der<br />
Papst konnte ihn von seinen Sünden nicht lossprechen.<br />
So will er in den Venusberg zurückkehren, doch Wolfram<br />
erinnert ihn an die sterbende Elisabeth. Tannhäuser<br />
besinnt sich und stirbt in den Armen Wolframs als Erlöster.<br />
Aufführung<br />
Die Vorstellung der Teheranerin Jasmin Solfaghari zur<br />
Darstellung einer Romantischen Oper nachzuvollziehen,<br />
verlangt Ungewöhnliches: Wir sehen eine Einheitsbühne,<br />
die am ehesten einer Sparkassenhalle gleicht,<br />
beleuchtet mit Neonröhren, möbliert mit einer schwarzledernen,<br />
rechteckigen Sitzcouch und vielen Stühlen,<br />
begrenzt von Glaswänden. Zuvor diente – mit riesigen<br />
blutroten Bettlaken auf der Sitzcouch – diese Halle dem<br />
Liebesnest Venus/Tannhäuser. Nach seiner Flucht fi ndet
sich Tannhäuser,<br />
nach der SpielanweisungWagners<br />
… plötzlich<br />
in einem schönen<br />
Tal, mit blauem<br />
Himmel und heitererSonnenbeleuchtung.<br />
Diese von Wagner<br />
gewollte<br />
Pastorale, betont<br />
durch den auftretendenHirten,<br />
ist bei Frau<br />
Solfaghari ein<br />
Sparkassenvestibül.<br />
Durch den<br />
hinteren Teil des<br />
Vestibüls zieht<br />
eine Pilgergruppe,<br />
unschwer an roten Kreuzen auf den weißen T-Shirts<br />
erkennbar. Elisabeth tritt auf im Männerhemd mit nackten<br />
Beinen. Daß sie sich in diesem Aufzug auf den zurückkehrenden<br />
Tannhäuser freut, kann man verstehen,<br />
denn sie ist wohl am frühen Morgen noch nicht angezogen.<br />
Daß sie aber in gleicher Montur Tannhäuser und<br />
den L<strong>and</strong>graf begrüßt, ist weniger zu begreifen.<br />
Bei der Rückkehr von seinem Rom-Büßergang fi ndet<br />
Tannhäuser die Halle zertrümmert vor: sämtliche Fensterscheiben<br />
sind zerbrochen, die Neonröhren liegen<br />
auf der Erde, selbst die „Lustcouch“ ist umgestürzt.<br />
Bei Wagner ist es lediglich Herbst, ohne daß die Halle<br />
verwüstet ist. Mit rotem Vorhang erscheint Frau Venus<br />
wieder, doch Tannhäuser beachtet sie nicht und stirbt in<br />
Gedanken an seine keusche Elisabeth.<br />
Sänger<br />
Andreas Hörls (L<strong>and</strong>graf Hermann) tiefer Baß hallte<br />
wohltönend durch die Sparkassenlobby. Er war für den<br />
erkrankten Reinhard Dorn eingesprungen und gestaltete<br />
seinen Part glänzend. Von Torsten Kerl (Tannhäuser)<br />
kann man das leider nicht behaupten: von Anfang an<br />
preßte er seinen Tenor durch Höhen und Tiefen, daß<br />
man manchmal Angst hatte, wann die Stimme kippen<br />
würde. Eine wahre Freude war Miljenko Turk als Wolfram.<br />
Er sang einigermaßen verständlich und seine Baritonstimme<br />
durchmaß alle Fährnisse souverän. Auch an<br />
allen <strong>and</strong>eren Minnesängern – Martin Homrich (Walter),<br />
Orozco Martinez (Heinrich), Daniel Henriks (Biterolf)<br />
sowie Wilfried Staber (Reinmar) – war sängerisch nichts<br />
auszusetzen. Beeindruckend setzte Susanne Niebling (ein<br />
junger Hirt) ihren hohen Sopran ein. Allein ihr Kostüm,<br />
mit weißen Kniestrümpfen und klobigen schwarzen Schuhen,<br />
widersprach der Sparkassenhallenumgebung. Irgend<br />
Pilger mit T-Shirt und rotem Kreuz bei ihrer Rückkehr aus Rom<br />
44<br />
was muß Jasmin Solfaghari im Kopf gehabt haben, das<br />
sie uns damit kundtun wollte. Vielleicht hat sie tatsächlich<br />
an eine Hirtenl<strong>and</strong>schaft (Pastorale) gedacht?<br />
Camilla Nylund (Elisabeth) war eine Augen- und Ohrenweide:<br />
ihre Intonationssicherheit ist bewundernswert,<br />
nur ihre Aussprache ist grauenvoll: ich verst<strong>and</strong><br />
fast nichts! Sollte man nicht doch auch bei deutschen<br />
Opern einen Übertitel mitlaufen lassen? Die schnelle<br />
Einstudierung der Gesangsrollen erlaubt zeitlich meist<br />
nicht, durch die Vokalisierung noch die Konsonanten<br />
verständlich zu singen. Dalia Schaechter (Venus) sang<br />
und bewegte sich venusgerecht.<br />
Der Chor war gut trainiert, aber oft sehr laut. Lauter<br />
allerdings war das Orchester unter Stenz’ Stabführung.<br />
Auch eine massive Wagnerpartitur kann man zurücknehmen.<br />
Die Sänger haben es allemal schwer.<br />
Fazit<br />
Warum meinen eigentlich viele Regisseure, durch robustes<br />
Modernisieren eine Oper verständlicher oder<br />
sogar attraktiver zu machen? Bei dieser Inszenierung<br />
geschieht es ohne irgendwelchen Gewinn an Klarheit<br />
oder Spannungserhöhung. Im Gegenteil, es sind so viele<br />
unverständliche Einzelheiten, daß man sich langweilt<br />
oder sich ärgert oder alles beim Gesang vergißt und die<br />
Augen schließt. Ist das der Sinn einer Modernisierung,<br />
gegen die ja grundsätzlich nichts einzuwenden ist?<br />
Einstimmiges Buhen begrüßte dann auch das Regieteam.<br />
Später kam auch Applaus auf, wohl für die Sänger, die sich<br />
dem Team hinzugesellten. Das wiederum quittierte Frau<br />
Solfaghari mit deutlichem Lachen. Vom Sängerischen ist<br />
die Aufführung zwiespältig aufzufassen: neben hervorragenden<br />
Stimmen die Stimme des Titelhelden, der einem<br />
eigentlich den Abend verleidet. O. Zenner<br />
Bild: Klaus Lefebvre
Krefeld, Stadttheater<br />
Die verkaufte Braut<br />
von Bedřich Smetana, Komische Oper in drei Akten, Libretto: Karel<br />
Sabina, Deutsch von Kurt Honolka;<br />
UA: 30. Mai 1866, Interimstheater in Prag<br />
Regie: François de Carpentries, Bühne: Siegfried E. Mayer, Kostüme:<br />
Karine van Hercke; Dirigent: Kenneth Duryea, Niederrheinische<br />
Sinfoniker, Chor der Vereinigten Bühnen Krefeld/Mönchengladbach;<br />
Solisten: Christoph Erpenbeck (Kruschina), Uta Christina<br />
Georg (Ludmilla), Janet Bartolova (Marie), Matthias Wippich (Tobias<br />
Micha), Margriet Schlössels (Hata), Markus Heinrich (Wenzel), Hans-<br />
Jürgen Schöpfl in (Hans), Hayk Dèinyan (Kezal), Manfred Feldmann<br />
(Zirkusdirektor Springer), Jeannette Wernecke (Esmeralda, Tänzerin),<br />
Jeong-Han Lee (Muss).<br />
Besuchte Aufführung: 15. März 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Marie, die Tochter eines verarmten Bauernpaares, liebt<br />
den Knecht Hans, der aus der Fremde zugew<strong>and</strong>ert ist.<br />
Sie geloben ein<strong>and</strong>er ewige Treue. Maries Eltern hingegen<br />
erwarten von Marie, daß sie sich auf dem Kirchweihfest<br />
mit Wenzel, Sohn des Großgrundbesitzers Tobias<br />
Micha, verlobt. Gemeinsam mit dem Heiratsvermittler<br />
Kezal setzen sie einen Ehevertrag auf. Jedoch Marie ist<br />
nicht bereit, sich dem Willen ihrer Eltern zu beugen.<br />
Sie liebe einen<br />
<strong>and</strong>eren und<br />
habe sich mit<br />
ihm bereits<br />
verlobt.<br />
Im Wirtshaus<br />
begegnet Marie<br />
ihrem vermeintlichen<br />
Bräutigam<br />
Wenzel. Sie<br />
erzählt dem<br />
leichtgläubigen<br />
Tölpel,<br />
ohne sich ihm<br />
zu erkennen<br />
zu geben, daß<br />
seine Braut<br />
Marie ihn vergiften<br />
wolle. Sie nimmt ihm das<br />
Versprechen ab, ihretwegen auf Marie zu verzichten.<br />
Gleichzeitig will Kezal Hans seine Braut abkaufen. Zum<br />
Entsetzen des Dorfes verkauft er seine Braut für dreihundert<br />
Gulden.<br />
Bei einem Besuch im Zirkus verliebt sich Wenzel in die<br />
Tänzerin Esmeralda. Da der Darsteller des Bären betrunken<br />
ist, übernimmt der naive Wenzel dessen Rolle.<br />
Den Verkauf der Braut glaubt Marie erst, als sie den<br />
Kaufvertrag sieht. Nun willigt sie doch in die Heirat<br />
mit Wenzel ein. Unerwartet treffen Tobias Micha und<br />
seine Frau im Dorf ein. Sie lüften endlich das Geheim-<br />
45<br />
nis um Hans’ Herkunft: Er ist der erstgeborene Sohn<br />
des Großgrundbesitzers Tobias Micha. Dieser war vor<br />
Jahren in die Fremde gezogen. Im „Brautkaufvertrag“<br />
st<strong>and</strong> nur, daß sie den Sohn des Tobias Micha heiraten<br />
dürfe, welchen, war nicht festgelegt. So konnte Marie<br />
sich ihren Bräutigam frei wählen. Als Versöhnungsgeste<br />
mit seinem Sohn willigt Tobias Micha in die Verbindung<br />
ein und Hans und Marie können mit dem ganzen Dorf die<br />
letztendlich glückliche Verlobung der verkauften Braut feiern.<br />
Inszenierung<br />
Die H<strong>and</strong>lung ist ins bäuerliche Milieu der 1960er Jahre<br />
verlegt, was sich insbesondere in der Wahl der Kostüme<br />
widerspiegelt. Viele kleine liebevoll eingesetzte Details<br />
peppen das Geschehen vor der Kulisse von Kirchweihfest<br />
und Wirtshaus auf: Die Zirkustruppe bietet die neuartige<br />
Tupperware feil, das Anwesen Tobias Michas sieht<br />
dem Schloß Neuschwanstein zum Verwechseln ähnlich.<br />
Das Bühnenbild ist auf das Wesentliche reduziert, was<br />
durchaus von Vorteil ist, da der Zuschauer nicht durch<br />
üppige Ausstattung vom H<strong>and</strong>lungsstrang abgelenkt<br />
wird. Hervorgehoben seien zudem die über das im Libretto<br />
vorgesehene Maß hinausgehenden erheiternden<br />
artistischen Darbietungen zu Beginn des dritten Aktes.<br />
Sänger<br />
Die Liebe zum<br />
Detail fi ndet<br />
sich auch in<br />
der Spielfreude<br />
von Ensemble<br />
und<br />
Chor wieder.<br />
Die verkaufte<br />
Braut ist keine<br />
Oper, in<br />
der die Sänger<br />
virtuoses<br />
Können unter<br />
Beweis stellen<br />
müssen,<br />
vielmehr ist<br />
ausdrucksvolles<br />
Spielen gefordert.<br />
Allen Sängern voran<br />
ist Hans-Jürgen Schöpfl in zu nennen, der sowohl mit<br />
agiler Stimme als auch mit leidenschaftlichem Spiel den<br />
verliebten und gleichzeitig verschmitzten Hans darstellt<br />
und damit zeigt, daß er die ihm in der letzten Spielzeit<br />
verliehene Auszeichnung der Kritikerumfrage NRW als<br />
bester Sänger nicht nur für ernste Rollen verdient hat,<br />
sondern auch in Buffopartien glänzen kann. An seiner<br />
Seite scheint Janet Bartolova mit der Spontaneität ihres<br />
Partners manchmal etwas überfordert, doch mit Humor<br />
fängt sie sich schnell und kann gerade Maries Verzweiflung<br />
glaubwürdig darstellen. Daneben agiert Hayk Dèinyan<br />
(Kezal) überzeugend, allerdings hat er damit zu<br />
Janet Bartolova (Marie), Hay Dèinyan (Kezal), Uta Christina<br />
Georg (Ludmilla) und Christoph Erpenbeck (Kruschina)
kämpfen, gegen das Orchester anzusingen.<br />
Unter den Nebenrollen sind Christoph Erpenbeck<br />
(Kruschina) und Markus Heinrich (Wenzel) besonders<br />
hervorzuheben, die mit offensichtlicher Begeisterung<br />
die Eigenarten ihrer Charaktere betonen. Das Ensemblebild<br />
wird durch souveräne Leistungen von Uta Christina<br />
Georg (Ludmilla), Matthias Wippich (Tobias Micha)<br />
und Margriet Schlössels (Hata) in Spiel und Gesang abgerundet.<br />
Wie schon so oft erweist sich der Chor der Vereinigten<br />
Städtischen Bühnen Krefeld und Mönchengladbach,<br />
der für seine Qualität auch über die Stadtgrenzen hinaus<br />
bekannt ist, als absolut treffsicher in Ausdruck und Gestaltung<br />
und scheut sich auch nicht, die Tanzeinlagen im<br />
böhmisch-mährischen Stil burlesk darzubieten, statt sie<br />
einem Ballettensemble zu überlassen.<br />
Die Niederrheinischen Sinfoniker unter der Leitung von<br />
Kenneth Duryea waren stets bemüht, Smetanas Vorstellung<br />
von folkloristischem Klang gerecht zu werden.<br />
Dies gelang am ehesten bei der Begleitung der Sänger.<br />
Fazit<br />
Sieht man über das streckenweise farblose Orchesterspiel<br />
hinweg, so erwartet einen ein amüsanter Opernabend,<br />
der vor allem durch Spiel-, Tanz- und Detailfreude<br />
von Ensemble und Chor besticht.<br />
Ch. Lauter<br />
Bild: Mattias Stutte<br />
Stuttgart, Staatsoper<br />
La Juive - Die Jüdin<br />
von Jacques Fromental Halévy (1799-1862), Gr<strong>and</strong> Opera in 5 Akten,<br />
Text: Eugène Scribe; UA: 23. Februar 1835, Paris<br />
Regie: Jossi Wieler/Sergio Morabito, Bühnenbild: Bert Neumann, Kostüme:<br />
Nina von Mechow, Dirigent: Sébastien Roul<strong>and</strong>, Staatsorchester<br />
Stuttgart, Solisten: Catriona Smith (La Princesse Eudoxie), Tatiana Pechnikova<br />
(Rachel), Chris Meritt (Éléazar), Liang Li (Le Cardinal de Brogni),<br />
Ferdin<strong>and</strong> von Bothmer (Léopold), Karl-Friedrich Dürr (Ruggiero),<br />
Christoph Soler (Albert), Sebastian Bollacher (Ausrufer)<br />
Besuchte Vorstellung: 16. März 2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Vorgeschichte in Rom: Der jüdische Goldschmied<br />
Éléazar hat die Tochter des Magistrats Brogni aus den<br />
Flammen gerettet. Zuvor hatte er durch de Brogni seine<br />
Söhne im Feuer verloren. Er zieht das Mädchen ohne de<br />
Brognis Wissen als seine eigene Tochter Rachel im jüdischen<br />
Glauben auf. Brogni, zum Kardinal aufgestiegen,<br />
eröffnet 1414 das Konzil in Konstanz.<br />
Rachel hat sich in einen Mann verliebt, der vorgibt, Jude zu<br />
sein, aber eigentlich Reichsfürst Léopold ist. Da Léopold<br />
mit Eudoxie verheiratet ist, verurteilt Kardinal de Brogni<br />
das Liebespaar zum Tode, ebenso Éléazar, da dieser die<br />
Ruhe der Konzilseröffnung störte. Rachel läßt sich durch<br />
die fl ehentliche Bitte von Eudoxie zur Zurücknahme ihrer<br />
Anschuldigung gegen Léopold überreden und erwirkt<br />
damit seine Begnadigung. Sie selbst könnte sich durch<br />
Konvertierung zum christlichen Glauben retten, aber sie<br />
46<br />
entscheidet sich für<br />
den gemeinsamen<br />
Tod mit ihrem vermeintlichen<br />
Vater.<br />
Im Augenblick ihres<br />
Todes enthüllt<br />
Éléazar Rachels<br />
wahre Identität:<br />
Sie ist de Brognis<br />
verloren geglaubte<br />
Tochter. Während<br />
Éléazar triumphierend<br />
in den Tod<br />
geht, bricht Brogni<br />
zusammen.<br />
Aufführung<br />
Die Uraufführung<br />
am 23. Februar 1835<br />
Tatiana Pechnikova (Rachel)<br />
und Chor der Staatsoper Stuttgart<br />
gilt neben Meyerbeers Robert der Teufel und Hugenotten als<br />
Geburtsstunde der Gr<strong>and</strong> Opéra. In dieser Inszenierung<br />
steht das Beziehungsgefl echt zwischen den Juden Éléazar<br />
und Rachel sowie Kardinal de Brogni auf der einen<br />
Seite und zwischen Rachel, Eudoxie und Leopold (klassische<br />
Dreiecksbeziehung) auf der <strong>and</strong>eren Seite.<br />
Dem Team Wieler/Morabito gelingt über weite Strecken<br />
eine glaubwürdige Darstellung durch die klare Zeichnung<br />
der Charaktere und ihrer inneren Gefühle. Gut gelungen<br />
ist die Darstellung des inneren Kampfes Éléazars: Er<br />
rächt sich am Ende an de Brogni, indem er Rachel und<br />
sich erschießt. Also keine Verbrennung, wie Halévy es<br />
vorgesehen hat.<br />
Der Wutanfall Rachels, als sie das doppelte Spiel Léopolds<br />
durchschaut, zeichnet das Regieteam außerordentlich<br />
gekonnt. Es ist ein Musterbeispiel von Personenregie,<br />
ebenso wie die Darstellung Léopolds als feiger<br />
Lüstling ohne Charakter und ohne Fähigkeit, konsequent<br />
zu bleiben (ihm unterläuft sogar der Fehler, während des<br />
jüdischen Passahfestes das Kreuz zu schlagen!). Als Rachel<br />
ihn vor Eudoxie zur Rede stellen will, bricht er zusammen.<br />
Etwas an den Haaren herbeigezogen ist die Darstellung<br />
eines Historienspiels: der mehrmalige Übergriff einer<br />
ganzen Stadt auf <strong>and</strong>ersartige Mitbürger, nur weil sie<br />
sonntags arbeiten, ist kaum glaubhaft und führt die Ziele<br />
dieser Oper ins Abseits.<br />
Nicht ganz so viel Glanz verbreitet die Sängerriege. Ferdin<strong>and</strong><br />
von Bothmer belegt eindrucksvoll, was passiert,<br />
wenn man die mörderische Partie des Léopold unterschätzt:<br />
Er verfügt zwar über eine sehr schöne Mittellage,<br />
jedoch die Höhen erreicht er nur mit Gewalt. Dagegen<br />
kann Chris Meritt in der „leichteren“ Partie des<br />
Éléazar glänzen: Ein Charaktertenor mit viel Volumen<br />
und Überzeugungskraft auch im dramatischen Bereich.<br />
Ebenso stürmisch gefeiert wurden zu Recht Tatiana<br />
Pechnikova als Rachel und Catriona Smith als Prinzessin
Eudoxie. Liang Li führt die Rolle des Kardinals auf eine<br />
Nebenrolle zurück.<br />
Ein weiterer Glanzpunkt des Abends ist das Orchester des<br />
Hauses unter der Leitung von Sébastien Roul<strong>and</strong>, dem es gelingt,<br />
mit viel französischem Esprit die Klangvielfalt der Musik<br />
Halévys den heutigen Hörgewohnheiten anzupassen.<br />
Fazit<br />
Ein großartiger Abend mit gemischten Leistungen. Aber<br />
es sind solche Abende, denen es gelingt, die Gr<strong>and</strong> Opéra<br />
auf die Bühnen unserer Tage zurückzubringen.<br />
Oliver Hohlbach<br />
Bild: Martin Sigmund<br />
München, Staatstheater am Gärtnerplatz<br />
I masnadieri - Die Räuber<br />
von Giuseppe Verdi, Oper in 4 Akten, Libretto: Andrea Maffei<br />
nach Die Räuber von Friedrich Schiller<br />
UA: 22. Juli 1847, Her Majesty’s Theatre, Haymarket, London<br />
Regie: Thomas Wünsch, Bühnenbild/Kostüme: Heiko Mönnich,<br />
Licht: Wiel<strong>and</strong> Müller-Haslinger; Dirigent: Henrik Nánási, Orchester,<br />
Chor, Extrachor des Staatstheaters, Choreinstudierung: Hans-<br />
Joachim Willrich; Solisten: Guido Jentjens (Massimiliano), Zurab<br />
Zurabaishvili (Carlo), Mikael Babajanyan (Francesco), Elaine Ortiz<br />
Ar<strong>and</strong>es (Amalia), Adrian Xhema (Arminio) u.a.<br />
Besuchte Aufführung: 15.3.2008 (Premiere)<br />
Kurzinhalt<br />
Carlo, Sohn des Grafen Massimiliano<br />
Moor, ist des Lebens in der Räuberb<strong>and</strong>e,<br />
der er sich angeschlossen<br />
hat, überdrüssig. Er will an den Hof<br />
des Vaters und zu seiner Geliebten<br />
Amalia zurück. Als er einen Brief erhält,<br />
in dem ihn sein Vater verstößt,<br />
verwirft er diesen Gedanken und<br />
läßt sich zum Anführer der Räuber<br />
ernennen. In Wahrheit stammt der<br />
Brief jedoch von seinem machtgierigen<br />
Bruder Francesco, der sich an<br />
seinem bevorzugten Bruder rächen<br />
will. Seinem Vater und Amalia erzählt<br />
Francesco, daß Carlo gefallen<br />
sei, woraufhin der alte Graf Massimiliano<br />
tot zusammenbricht. Als<br />
Amalia an dessen Grab betet, gesteht<br />
ihr Francescos Diener Arminio,<br />
daß sowohl der Graf, als auch<br />
ihr Geliebter Carlo am Leben seien.<br />
Sie weist den werbenden Francesco<br />
zurück und fl ieht. Im Wald trifft sie<br />
zufällig auf Carlo. Als dieser erfährt, was<br />
geschehen ist, will er sich an seinem Bruder rächen,<br />
verschweigt das aber Amalia. Seine Räuberb<strong>and</strong>e soll<br />
nach Francesco suchen. Doch dieser kann ihnen entkommen.<br />
Statt Francesco schleppen sie Amalia herbei.<br />
Um ihr ein Leben in Sch<strong>and</strong>e zu ersparen, ersticht Carlo seine<br />
Geliebte. Danach verläßt er die Räuber, um sich zu stellen.<br />
Elaine Ortiz Ar<strong>and</strong>es (Amalia)<br />
47<br />
Aufführung<br />
Für die Münchner Erstaufführung der selten gespielten<br />
Oper holte Intendant Peters erstmals mehrere Gastsolisten<br />
ans Gärtnerplatztheater, was sich ebenso als Glücksgriff<br />
herausstellt wie die Aufführung in italienischer Originalsprache.<br />
Das Regieteam um den Verdi-erfahrenen<br />
Thomas Wünsch siedelt die H<strong>and</strong>lung in den kaputten<br />
Stahlträgern eines Wolkenkratzers im Jahr 2056 an. Dieser<br />
Wolkenkratzer stellt, zusammen mit einigen Fragmenten<br />
der Freiheitsstatue, das Einheitsbühnenbild dar.<br />
Die Ruine auf der Bühne ist gleichzeitig Sinnbild für den<br />
zerrütteten Zust<strong>and</strong> der Gesellschaft in Verdis Oper –<br />
eine Idee, die sich nicht unbedingt aufdrängt, den Kern<br />
der Oper jedoch stimmig darzustellen vermag.<br />
Wünsch gelingen so mit einfachen Mitteln viele starke<br />
Bilder. Gekonnt auch die Personenführung: selbst in den<br />
großen Massenszenen kommt es durch die geschickte, aber<br />
dennoch nie übertriebene Choreographie nicht zu einem<br />
oratorienhaften Stehtheater, wie es bei Verdi-Aufführungen<br />
allzu oft zu beobachten ist. Henrik Nánási und das Gärtnerplatzorchester<br />
lieferten dazu dramatischen, energiegeladenen,<br />
wenngleich bisweilen sehr lauten Verdi-Sound aus<br />
dem Graben.<br />
Von den Sängern erbrachte Mikael Babajanyan das stimmigste<br />
Rollenportrait. Mit kernigem<br />
Bariton und großartigen darstellerischen<br />
Fähigkeiten war er ein idealer<br />
Francesco. Überzeugend auch der<br />
noble Baß des Bayreuth-erfahrenen<br />
Guido Jentjens und der Carlo von<br />
Zurab Zurabaishvili, dessen Timbre<br />
ungemein an Neil Shicoff erinnert.<br />
Einziger Wermutstropfen bei Zurabaishvili<br />
waren einige Intonationsprobleme,<br />
vor allem im großen<br />
Duett mit Amalia. Ensemblemitglied<br />
Elaine Ortiz Ar<strong>and</strong>es hat einen<br />
schweren St<strong>and</strong> gegen die hervorragenden<br />
Gäste und stößt in der<br />
Partie der Amalia mit fl ackernder<br />
Stimme an ihre Grenzen. Ihr Gestaltungswille<br />
und die scheinbar unendliche<br />
Klangfarbenpalette ließen<br />
den Abend trotzdem auch für sie zu<br />
einem Erfolg werden. Die Nebenrollen<br />
waren sehr gut aus dem Ensemble<br />
besetzt. Großer Beifall für<br />
alle Beteiligten!<br />
Fazit<br />
Es muß nicht immer die große Staatsoper in München<br />
sein! Wie der Abend am Gärtnerplatztheater zeigt, gibt<br />
es auch an kleineren Häusern große Oper!<br />
Ch. Lang<br />
Bild: Staatsoper am Gärtnerplatz, München
The Art of Christa Ludwig<br />
Der Sängerin Christa Ludwig ist ein Sampler mit fünf<br />
CDs gewidmet, vier davon spiegeln das breite Repertoire<br />
der großen Liedsängerin. Schubert, Schumann und<br />
Brahms bilden den Schwerpunkt, daneben sind Hugo<br />
Wolf, Gustav Mahler, Richard Strauss, Richard Wagner,<br />
Maurice Ravel und <strong>and</strong>ere Komponisten vertreten. Unterstützt<br />
wird Christa Ludwig von den beiden hervorragenden<br />
Liedbegleitern Gerald Moore und Geoffrey Parsons.<br />
In den Schubert- und Schumann-Liedern kommt mir<br />
ihre Musizierweise ein wenig behäbig und betulich vor,<br />
diese Lieder habe ich schon wesentlich lebhafter, aufregender<br />
gehört, auch von Sängern ihrer Zeit wie beispielsweise<br />
ihrem großen Vorbild Irmgard Seefried oder<br />
von Dietrich Fischer-Dieskau.<br />
Die zweite Hälfte der vierten CD und die ganze fünfte CD<br />
portraitieren die Oratorien- und Opernsängerin – hier ist je<br />
eine Arie aus den Bach-Passionen vertreten, ein kurzer Teil<br />
aus dem Verdi-Requiem und Szenen aus Norma (Bellini),<br />
Carmen (Bizet), Tristan und Isolde (Wagner), Rosenkavalier<br />
(R. Strauss) und aus der legendären Don Giovanni-<br />
Einspielung mit Otto Klemperer. Gesungen wird teils in<br />
deutscher, teils in italienischer Sprache. Heute hört man vor<br />
allem die Opern einfach <strong>and</strong>ers – man denke an die Don<br />
Giovanni-Aufnahme mit René Jacobs – trotzdem ist diese<br />
umfangreiche Zusammenstellung eine gelungene Hommage<br />
an die Sängerin und ein echter Genuß. Ein kleiner<br />
Wermutstropfen ist der Klang, der trotz Digitalisierung teilweise<br />
ein wenig fl ach wirkt.<br />
Ebenfalls eine gelungene Hommage ist der Artikel von<br />
Gottfried Klaus im Booklet, dessen Titel für sich spricht:<br />
Im Universum des Gesangs.<br />
Neue CDs<br />
The beautiful voice<br />
of Christa Ludwig,<br />
mit Werken von<br />
Brahms, Mahler,<br />
Schumann, Schubert,<br />
Strauss, Wagner<br />
Label:<br />
EMI Classics<br />
Anzeige<br />
Verkaufe Autogrammfotos<br />
von Opernsängern bzw. Sängerinnen.<br />
Bitte fordern Sie Liste an.<br />
Hubert Sieben, Tel. + Fax: 0221-8800956<br />
D. Riesenkönig<br />
48<br />
Herbert von Karajan – the legend<br />
Aufnahmen<br />
mit den<br />
Berliner<br />
Philharmonikern<br />
Label:<br />
EMI Classics<br />
Runde Geburtstage sind ein beliebter Anlaß, den Verkauf<br />
von CDs anzukurbeln. Zwar h<strong>and</strong>elt es sich dabei<br />
naturgemäß meist nur um eine Neuaufl age vorh<strong>and</strong>ener<br />
Aufnahmen, aber genau darin liegt auch ein eigener<br />
Reiz, nämlich die damalige und die heutige Musizierweise<br />
zu vergleichen.<br />
Herbert von Karajan wäre 2008 einhundert Jahre alt geworden,<br />
Christa Ludwig wird achtzig, was liegt näher,<br />
als von diesen großen Musikern einen Querschnitt ihres<br />
Schaffens zu veröffentlichen?<br />
Das Album Herbert von Karajan – the legend besteht aus 2<br />
CDs mit Stücken, die Karajan in der Zeit von 1971 bis<br />
1981 eingespielt hat und beinhaltet Werke von Mozart<br />
(gest. 1791) bis Sibelius (gest. 1957) – Programmmusik,<br />
Opern- und Operettenpartien sowie einzelne Sätze von<br />
Sinfonien.<br />
Vergeblich habe ich nach einem Leitgedanken oder roten<br />
Faden in der Anordnung der Stücke gesucht, schließlich<br />
ist eine Legende eine gewachsene Geschichte, die sich<br />
entwickelt hat, aber vielleicht soll dieser Anspruch auch<br />
gar nicht bedient werden.<br />
Wer kauft sich eine solche CD? Möglicherweise Musikfreunde,<br />
die sich ihr Lieblingsstück mal anhören wollen,<br />
aber eben keine ganze Sinfonie, sondern nur beispielsweise<br />
den letzten Satz aus Dvoraks Sinfonie aus der Neuen<br />
Welt oder Smetanas Moldau, oder die beim Autofahren<br />
nette Musik hören wollen, und genau dafür ist diese Zusammenstellung<br />
ideal.<br />
Ein dreisprachiges Booklet bringt eine Kurzbiographie<br />
des Dirigenten, einige Fotos und ein paar informative<br />
Zeilen über jedes eingespielte Stück.<br />
D. Riesenkönig
Sergej Prokofi ew (1891-1953)<br />
Peter und der Wolf<br />
Romy Schneider,<br />
Herbert<br />
von Karajan<br />
Label:<br />
EMI Classics<br />
Ein wahres Kleinod ist die Einspielung von Peter und der<br />
Wolf mit der noch sehr jungen Romy Schneider als Sprecherin.<br />
Meist wird dieses Märchen von einer eher tieferen<br />
Männerstimme erzählt, so z.B. in der ebenfalls legendären<br />
Aufnahme mit Mathias Wiemann und den Berliner<br />
Philharmonikern unter Fritz Lehmann, die auch eine<br />
meiner ersten Schallplatten in den fünfziger Jahren war.<br />
Um so erstaunter war ich, als ich las, daß die Uraufführung<br />
mit Natalia Saz stattf<strong>and</strong> – sie war künstlerische Lei-<br />
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847)<br />
Jugendwerke<br />
Gew<strong>and</strong>haus Chor<br />
Mendelssohn-<br />
Orchester Leipzig<br />
Leitung:<br />
Gregor Meyer<br />
Label:<br />
GENUIN<br />
Musikproduktion<br />
Leipzig<br />
Ein junges Orchester – gegründet 1999 mit Absolventen<br />
der Hochschule für Musik und Theater Leipzig –<br />
der traditionsreiche Gew<strong>and</strong>hauschor sowie vier junge<br />
Solisten, die alle ihr H<strong>and</strong>werk bei namhaften Sängerpersönlichkeiten<br />
gelernt haben, widmen sich den frühen<br />
Werken des Komponisten, der ab 1835 wesentlich dazu<br />
beitrug, die Stadt zu einem bedeutenden Musikzentrum<br />
in Europa zu machen.<br />
Die eingespielten Werke entst<strong>and</strong>en jedoch lange vor<br />
Mendelssohns Leipziger Zeit von 1821 bis 1830, also<br />
im Alter von 12 – 21 Jahren! Mendelssohn war seit 1821<br />
Mitglied der Berliner Singakademie, sein Kompositionslehrer<br />
war Friedrich Zelter.<br />
49<br />
terin des Moskauer Zentralen Kindertheaters und wollte<br />
Kinder mit den Instrumenten des Orchesters vertraut<br />
machen. Auf ihre Initiative schrieb Prokofi ew Text und<br />
Musik und brachte das Stück am 2. Mai 1936 zur Uraufführung.<br />
Die Aufnahme Karajan/Romy Schneider ist in den Jahren<br />
1956/57 entst<strong>and</strong>en, Romy Schneider war damals 19 Jahre<br />
alt und kurz vor den Dreharbeiten zum dritten Sissi-Film.<br />
Mit mädchenhafter Stimme erzählt sie frisch, unbekümmert<br />
und doch spannend die Geschichte von Peter, der<br />
den großen grauen Wolf fängt. Was mag Herbert von<br />
Karajan bewogen haben, diese Schauspielerin als Sprecherin<br />
zu wählen? – Das Booklet, das Romy Schneiders<br />
Leben aufrollt, läßt uns darüber im unklaren.<br />
Wohl eher als Füllsel ist der Anhang von Tschaikowskis<br />
Ballettsuite Der Nußknacker zu verstehen, eine ordentliche,<br />
aber nicht spektakuläre Aufnahme.<br />
Ausgesprochen liebenswert ist das Booklet gestaltet: In<br />
die Bilder der beiden Künstler sind durch Computeranimation<br />
die Bilder der h<strong>and</strong>elnden Tiere eingebaut worden,<br />
selbst die CD schmückt ein silberner Wolf!<br />
D. Riesenkönig<br />
Die Auswahl der frühen Werke zeigt sowohl die musikalische<br />
Phantasie als auch das erstaunliche h<strong>and</strong>werkliche<br />
Können des jungen Komponisten. Beeindruckend<br />
ist vor allem das fast halbstündige Magnifi cat des Dreizehnjährigen.<br />
Ein lebhafter Eingangschor mit großem<br />
Orchester gestaltet den freudigen Text bildhaft genau,<br />
die weiteren Abschnitte werden teils solistisch, teils als<br />
Chorfuge, nur von Streichern begleitet durchgeführt,<br />
um wieder in großen Orchester- und Chorsätzen zu<br />
münden.<br />
Chor, Orchester und Solisten werden den Anforderungen<br />
der Werke in höchstem Maße gerecht. Chor- und<br />
Orchesterklang sind ausgeglichen und gut aufein<strong>and</strong>er<br />
abgestimmt, der a-cappella-Gesang im Kyrie c-moll und in<br />
der Choralbearbeitung Mitten wir im Leben sind ist absolut<br />
sauber intoniert. Mendelssohn selber bezeichnete diesen<br />
Choral in einem Brief an seine Familie als eins der besten<br />
Kirchenstücke, die ich gemacht habe.<br />
Meiner Einschätzung nach verdienen es die unbekannten<br />
frühen Chorwerke unbedingt, in Kirchenkonzerten<br />
zur Aufführung zu kommen. Vielleicht trägt diese CD<br />
dazu bei, daß Chorsänger und vor allem Chorleiter sie<br />
entdecken und sich dafür begeistern.<br />
D. Riesenkönig
Johannes Brahms (1833-1897)<br />
Sinfonie Nr. 1<br />
Sinfonie Nr. 3<br />
Dresdener<br />
Philharmonie,<br />
Rafael Frühbeck<br />
de Burg<br />
Label:<br />
Genuin Musikproduktion,<br />
Leipzig<br />
Rafael Frühbeck de Burgos ist seit 2004 / 05 Chefdirigent<br />
der Dresdener Philharmonie, einem Konzertorchester,<br />
das 1870 gegründet wurde und seitdem das Dresdener<br />
Kulturleben wesentlich prägt. Die vorliegende Aufnahme<br />
der 1. und 3. Sinfonie von Johannes Brahms wurde<br />
2007 in der Lukaskirche Dresden aufgenommen.<br />
An seiner ersten Sinfonie hat Brahms mehr als 15 Jahre<br />
gearbeitet, immer im Bewußtsein, an Beethovens sinfonischen<br />
Werken gemessen zu werden. Der Dirigent<br />
Hans von Bülow nannte sie kurzerh<strong>and</strong> Die Zehnte von<br />
Beethoven, obwohl zwischen der Entstehung von Beethovens<br />
letzter Sinfonie (1822 – 24) und der Uraufführung<br />
Édouard Lalo (1823-1892) - Symphonie Espagnole<br />
Johannes Brahms (1833-1897) - Violin-Konzert<br />
Nathan Milstein<br />
Orchestre<br />
National de Paris<br />
Leitung:<br />
André Cluytens<br />
NDR-<br />
Sinfonieorchester<br />
Leitung:<br />
Paul Klecki<br />
Label: Claves<br />
Trotz der Bezeichnung Symphonie h<strong>and</strong>elt es sich bei<br />
der Symphonie espagnole um ein Violinkonzert.<br />
Nathan Milstein, der nach eigener Aussage Geige lernte,<br />
damit er die Nachbarskinder nicht verprügelte, interpretiert<br />
das durch spanisches Kolorit geprägte Werk mit<br />
großer Spielfreude virtuos und ausdrucksstark. Dabei<br />
sind Orchester und Dirigent adäquate Partner. Besonders<br />
beeindruckend ist das Scherz<strong>and</strong>o, das durch seine<br />
tänzerischen Elemente gefällt. Der letzte Satz, ein Rondo,<br />
endet mit einem akrobatischen Violinsolo, ehe er in<br />
den Schlußakkord mündet. Hier zeigt sich das besondere<br />
Können des Solisten, das durch lautstarken Beifall<br />
belohnt wird.<br />
50<br />
von Brahms erster Sinfonie (1876) immerhin ein halbes<br />
Jahrhundert liegt.<br />
Diese Sinfonie ist geprägt durch einen Sommeraufenthalt<br />
auf Rügen 1876 – wohl deshalb taucht sie auch so<br />
oft als Hintergrundmusik in Filmen auf, die mit Rügen<br />
zu tun haben.<br />
Auch die dritte Sinfonie, der von Anfang an großer<br />
Erfolg beschieden war, konnte die Selbstzweifel von<br />
Brahms, noch immer im Schatten Beethovens zu stehen,<br />
zunächst nicht mildern.<br />
Beide Sinfonien werden sehr ansprechend wiedergegeben.<br />
Die Instrumentengruppen sind dynamisch geführt<br />
und gut durchhörbar. Besonders im letzten Satz<br />
der Ersten führt der Dirigent seine Musiker in einem<br />
großartigen Spannungsbogen zum strahlenden C-Dur<br />
– Finale. Das kann tatsächlich Bilder von Kreidefelsen,<br />
Meer und wogenden Rapsfeldern hervorrufen!<br />
Die Gestaltung des Covers gefällt mir besonders gut: ein<br />
grau in grau gehaltenes stilisiertes Eichenblatt, das vielleicht<br />
mit der Arndt – Eiche zu assoziieren ist, die dieser<br />
aus Rügen in Bonn pfl anzen ließ – sie steht heute noch<br />
als stattlicher Baum auf dem dortigen Alten Friedhof.<br />
D. Riesenkönig<br />
Brahms Violinkonzert d-moll gehört zu den großen<br />
„D“ neben Beethoven und Tschaikowski. Wegen seiner<br />
für die damalige Zeit hohen technischen Anforderungen<br />
wurde es zunächst nicht sehr schnell bekannt. Heute<br />
gehört es zum festen Repertoire jedes konzertierenden<br />
Geigers. Obwohl d-moll tituliert, beginnt das Konzert<br />
mit einer strahlenden Orchestereinleitung in Dur. Erst<br />
das zweite Thema, das sofort von der Sologeige aufgegriffen<br />
wird, bringt die Molltonart ein. Beide Themen<br />
werden im Folgenden von Orchester und Geige verarbeitet.<br />
Milstein und das NDR-Sinfonieorchester unter<br />
Paul Klecki musizieren in diesem 1960 entst<strong>and</strong>enen<br />
Konzertmitschnitt so mitreißend, dass schon nach dem<br />
ersten Satz Beifall auffl ackert. Auch die folgenden Sätze<br />
lassen keine Wünsche offen. Selbst die gelegentlich hörbaren<br />
Nebengeräusche aus dem Publikum wirken kaum<br />
störend. Sie gehören zu solch einem Konzerterlebnis<br />
dazu und vermitteln die Spannung der Momentaufnahme<br />
im Gegensatz zu einer sterilen und perfektionierten<br />
Studioaufnahme.<br />
Erwähnt sei noch ein dreisprachiger Text im Booklet,<br />
der ein interessantes Bild der Persönlichkeit Nathan Milstein<br />
zeichnet.<br />
D. Riesenkönig
Robert Schumann (1810-1856)<br />
Späte Klavierwerke<br />
Tobias Koch, Pianoforte<br />
von Krems,<br />
Düsseldorf<br />
GENUIN<br />
Musikproduktion<br />
Leipzig 2007<br />
Vielen Kennern der Schumannschen Klavierwerke<br />
sind wohl die hier auf der CD gespielten Werke kaum<br />
bekannt. Aber sie sind hörenswert! Man sagt ja jovial:<br />
Schumann kam als Genie auf die Welt und endete als Talent.<br />
Bei diesen Klavierwerken ist diese sarkastische Bemerkung<br />
kaum nachzuvollziehen. Es ist eine dynamisch,<br />
energiegeladene Musik, die besonders in den Fantasiestücken<br />
Op. 111 deutlich wird. Vielleicht ist es aber auch<br />
Ludwig van Beethoven (1770-1827)<br />
Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur<br />
Mikhail Pletnev,<br />
Piano<br />
Russian National<br />
Orchestra<br />
Leitung:<br />
Christian Gansch<br />
Label:<br />
Deutsche<br />
Grammophon<br />
Gesellschaft<br />
Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur ist sehr<br />
häufi g im Konzertsaal oder im Rundfunk zu hören. Es<br />
ist eingängig und doch spannungsvoll, virtuos und gefühlvoll,<br />
man kann es eigentlich immer hören. Um so<br />
mehr wünsche ich mir bei einer CD-Einspielung den<br />
Aufhorch-Effekt so habe ich das noch nie gehört. Genau das<br />
ist Mikhail Pletnev (Jahrgang 1957) gelungen. Mit dem<br />
Russian National Orchestra, das er 1990 als erstes vom<br />
Staat unabhängiges Orchester gründete, spielte er alle<br />
Klavierkonzerte von Beethoven ein, zuletzt das Es-Dur-<br />
Konzert als Mitschnitt vom Bonner Beethovenfest 2006.<br />
Die langsame Hinführung zum mehrmals wiederkehrenden<br />
Hauptthema im ersten Satz krönt Pletnev mit einer<br />
minimalen Tempoverzögerung. Dadurch entsteht ein<br />
Atemanhalten, dann das erleichterte Wiedererkennen –<br />
da ist sie wieder, diese wunderbar einfache Melodie. Dies<br />
alles ist wohldosiert, ohne Effekthascherei. Möglicherweise<br />
hat Beethoven das 5. Klavierkonzert geschrieben,<br />
51<br />
der starke, voluminöse, im Baß – auch bei Terzenläufen –<br />
immer klare Klavierton, der dafür verantwortlich ist. Im<br />
ausgezeichnet informativen Booklet kann man über die<br />
im 19. Jh. berühmte und gefragte Klavierfabrik Krems<br />
aus Düsseldorf nachlesen. Auf einem solchen Instrument<br />
spielt der stupend musikalische Tobias Koch die<br />
späten Klavierwerke Schumanns mit einer Energie und<br />
einem Einfühlungsvermögen, womit er viele Pianisten,<br />
die man auf den großen Konzertpodien sonst antrifft, in<br />
den Schatten stellt. Man merkt ihm bei seinem Spiel an,<br />
daß er sich intensiv mit der Klaviertechnik des Krems-<br />
Flügels ausein<strong>and</strong>ergesetzt hat. Und das ist die eigentliche<br />
Faszination dieser CD neben den beeindruckenden<br />
Schumannschen Kompositionen: der ungewohnte Klang<br />
des Krems-Flügels. Was muß das doch für eine abwechslungsreiche<br />
Hörerfahrung im 19. Jahrhundert gewesen<br />
sein, diese vielen unterschiedlich gestimmten Flügel mit<br />
ihren z.T. herben, auch rauen und sanften Charakteren.<br />
Jedenfalls war die Klavierwelt bunter als heute, wo jeder<br />
Flügel in jedem L<strong>and</strong> der Welt ununterscheidbar ähnlich<br />
klingt. Aber wir sind es ja nicht <strong>and</strong>ers gewohnt als<br />
Gleichheit überall.<br />
um seine eigenen Fähigkeiten als Pianist und Improvisator<br />
herauszustellen. Pletnev legt großen Wert auf die<br />
Lebendigkeit der Interpretation, er will nicht ehrfurchtsvoll<br />
vor dem Denkmal Beethoven stehen sondern, Beethovens<br />
Inspiration mit Spontaneität erfassen. Diese Idee<br />
spürt man durchgängig in der gesamten Einspielung.<br />
Bei einem Konzertmitschnitt gibt es keine Korrekturmöglichkeiten,<br />
es zählt die Tagesform. Hier waren alle<br />
Mitwirkenden in Bestform, was durch den stürmisch<br />
aufbrausenden Beifall nach dem Schlußakkord dokumentiert<br />
ist.<br />
Anzeige<br />
O. Zenner<br />
D. Riesenkönig
� �������������������<br />
�������������������������������������<br />
��������������������������� �<br />
���������������������������������������<br />
����������������������������������������������������<br />
�������������������������������������<br />
52<br />
��������������������������<br />
��������������������<br />
�������������������<br />
��������������������������������<br />
��������������������<br />
�� ���������<br />
� ��������<br />
������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������<br />
���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������<br />
�����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������<br />
Impressum<br />
Operapoint, unabhängige, publikumsnahe Zeitschrift für Oper und Konzert; ISSN 1864-4023<br />
Zugleich: Organ des Vereins zur Pfl ege klassischer Musik durch Musikliebhaber e.V., Köln<br />
Anschrift der Redaktion: Schwabenstraße 3, 50996 Köln. Tel: 0221 - 35 39 44, Fax: 0221 - 39 67 14<br />
Herausgeber und Chefredakteur: Dr. Olaf Zenner<br />
Operapoint erscheint vierteljährlich, Einzelpreis 4,80 Euro, im Jahresabonnement 20 Euro, inkl. Vers<strong>and</strong>kosten, Ausl<strong>and</strong> auf Anfrage<br />
Copyright für alle Beiträge beim Herausgeber. Nachdruck, auch auszugsweise, Aufnahme in Online-Dienste und Internet sowie Vervielfältigung auf Datenträger wie<br />
CD-ROM etc. nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers. In Fällen höherer Gewalt kein Anspruch auf Lieferung oder Rückzahlung des Bezugspreises.<br />
Internet: http://www.operapoint.de; e-mail: verein@operapoint.de<br />
Graphik und Gestaltung: Klaus Goergens und Dr. Olaf Zenner<br />
Druck: cede Druck GmbH, Köln