Mission Sea-Eye
Magazin der gemeinnützigen Seenotrettung Sea-Eye e.V.
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24 MISSION SEA-EYE 25 MISSION SEA-EYE<br />
IN DER TODESZONE<br />
Gleichzei)g die Marine<br />
informieren – die soll die<br />
Menschen dann<br />
aufnehmen. Allerdings<br />
sind die schweren<br />
Kriegsschiffe nicht immer<br />
rechtzei)g vor Ort. Da<br />
sind private<br />
ReAungsschiffe wie die<br />
<strong>Sea</strong>-<strong>Eye</strong> gefragt. „Auf dem<br />
Schlauchboot sind ungefähr<br />
150 Leute“, krächzt es<br />
durch den Funk auf der<br />
Brücke. „Zustand?“, will<br />
Markus von der Crew auf<br />
dem Beiboot wissen. Ein<br />
beschädigtes Boot wäre<br />
eine Katastrophe. „Boot ist<br />
ok, Leute sind angespannt,<br />
aber ruhig. Alles<br />
Nichtschwimmer. Verteilen<br />
jetzt Schwimmwesten.“ –<br />
„Verstanden!“<br />
Dann gleichzei)g auf der<br />
Brücke: eine neue Nachricht.<br />
Ein zweites Schlauchboot! Und mit<br />
dem scheint etwas nicht zu s)mmen.<br />
„Die sehen panisch aus. Die stehen auf<br />
und winken!“, ruS Reinhold. Kapitän<br />
Markus lässt das Steuer los und<br />
rennt an Deck. „Das sieht nicht gut<br />
aus“, murmelt er. „Da ist offenbar<br />
eine Kammer geplatzt.“ Dann breitet<br />
er die Arme aus: „Calm down! Give<br />
us five minutes! You have to calm<br />
down!“, brüllt er zum gut 50 Meter<br />
enYernten Schlauchboot. „Da läuS<br />
voll das Wasser rein!“, ruS Reinhold.<br />
„Scheiße!“, flucht Markus und rennt<br />
zur Brücke, greiS nach dem<br />
Funkgerät. „Brücke an Beiboot!“ –<br />
„Beiboot hört.“ – „Ihr brecht jetzt ab<br />
und fahrt sofort zum zweiten Boot.<br />
Das leckt. Die brauchen<br />
ReAungswesten, sonst saufen die<br />
uns ab!“ – „Verstanden!“ Das Beiboot<br />
der <strong>Sea</strong>-<strong>Eye</strong> bringt Schwimmwesten.<br />
Wo bleibt nur die italienische<br />
Marine?<br />
Auf dem beschädigten Boot herrscht<br />
Todesangst. Es verliert schnell LuS<br />
und droht zu sinken. „Da ist noch eins<br />
auf zwei Uhr!“, brüllt Reinhold. Auch<br />
dieses Schlauchboot hat ein Leck,<br />
auch hier panische Menschen. Die<br />
<strong>Sea</strong>-<strong>Eye</strong>-Crew kommt kaum<br />
hinterher mit den ReAungswesten.<br />
ReAungsinseln werden aufgepumpt<br />
und zu den beschädigten Booten<br />
gebracht. Darauf könnten sich die<br />
Menschen reAen, sollte das Boot<br />
kentern. Dann, Stunden nach dem<br />
ersten Notruf im Morgengrauen,<br />
endlich: Ein italienisches<br />
Marineschiff erscheint am Horizont.<br />
Die Soldaten beginnen, die<br />
Menschen an Bord zu nehmen. Ohne<br />
die <strong>Sea</strong>-<strong>Eye</strong> häAe es heute wohl<br />
Hunderte Tote gegeben. „Das war<br />
jetzt ganz schön eng. Zwei<br />
Schlauchboote haMen ein Leck. Da<br />
kannst du dir ausmalen, was passiert,<br />
wenn die noch weiterfahren, sagt<br />
Markus. Die italienische Marine hat<br />
alle Menschen aufgenommen.<br />
Anschließend verbrennen die<br />
Soldaten die leeren Schlauchboote,<br />
damit Schleuser sie nicht noch<br />
einmal verwenden können. Dieses<br />
Mal ist die Marine gekommen –<br />
gerade noch rechtzei)g.<br />
Wer vor Libyens Gewässern gereAet<br />
wird, kommt nach Italien, etwa nach<br />
Reggio Calabria. Es ist 6.00 Uhr<br />
früh, in zwei Stunden soll das<br />
nächste Schiff ankommen. Am<br />
Kai ziehen Helfer Zeltpavillons<br />
hoch. Auf Plas)k)schen bauen<br />
sie Laptops und Drucker für die<br />
Registrierung der Flüchtlinge<br />
auf. Als das Schiff durch die<br />
Hafeneinfahrt kommt, sieht<br />
man schon aus der Ferne die<br />
vielen Menschen dicht an dicht<br />
auf dem hinteren Deck sitzen.<br />
Rund 350 sollen es heute sein,<br />
viele MüAer mit ihren Kindern<br />
sind darunter. Von der<br />
libyschen Küste bis hierher<br />
waren sie zwei Tage<br />
unterwegs. Als Erste hat Sara<br />
wieder festen Boden unter<br />
den Füßen. In ihren Armen,<br />
eingewickelt in einer Decke,<br />
trägt sie ihr drei Monate<br />
altes Baby. Der Vater ist<br />
noch an Bord. „Bevor wir<br />
gereMet wurden, stand uns das<br />
Wasser im Schlauchboot bis<br />
hier!“, sagt Sara und zeigt auf<br />
ihre HüSe. Sie erzählt, dass<br />
das Schlauchboot bei der<br />
ReAung fast gekentert wäre.<br />
„Sieben Menschen sind ins<br />
Wasser gefallen. Alle haMen Angst,<br />
haben laut geschrien und gebetet – die<br />
Christen, die Moslems, alle! Mein Baby<br />
haMe schon eine Schwimmweste, an<br />
der eine kleine Pfeife hing. Ich hab so<br />
laut gepfiffen, wie ich konnte.“ Die<br />
sieben konnten vom ReAungsteam<br />
gerade rechtzei)g aus dem Wasser<br />
gezogen werden.<br />
Während Sara spricht, kommt eine<br />
freiwillige Helferin und nimmt ihr das<br />
Baby vom Arm, es soll in einem<br />
kleinen Duschzelt gewaschen<br />
werden. Sara setzt sich auf einen<br />
Klappstuhl neben dem Zelt und<br />
wartet. Vor zwei Jahren ist sie aus<br />
ihrer Heimat Nigeria fortgegangen,<br />
weil es für sie dort keine Arbeit, kein<br />
Essen gab – dafür die Terrorgruppe<br />
Boko Haram. In Libyen arbeitete sie<br />
dann als Haushälterin. Aber auch da<br />
war es nicht besser. „Ständig wurde<br />
gekämpW, auf den Straßen wurden<br />
Menschen einfach so erschossen. Ich<br />
musste mein Leben und das meines<br />
Babys reMen. Deshalb bin ich geflohen.“<br />
Alles was Sara noch besitzt, trägt sie<br />
am Körper: Ein T-Shirt, eine Hose,<br />
Unterwäsche. Für sie, das Baby und<br />
ihren Mann geht es gleich weiter zur<br />
Registrierung. Dann werden sie mit<br />
dem Bus in eines der Flüchtlingslager<br />
irgendwo in Italien gebracht. Wie es<br />
danach weitergeht, wissen sie nicht.<br />
Langsam legt sich die Nacht übers<br />
MiAelmeer. Die <strong>Sea</strong>-<strong>Eye</strong> nimmt Kurs<br />
auf Malta. Bilanz nach zwei Wochen:<br />
12 gesicherte Flüchtlingsboote. Über<br />
1.000 gereAete Menschen. Keine<br />
Toten, die Leichensäcke blieben<br />
unter Deck. „Was wir befürchtet<br />
haben, seit die Balkanroute<br />
geschlossen ist, hat sich bestä[gt: Dass<br />
deutlich mehr Bootsflüchtlinge<br />
kommen“, sagt Kapitän Markus<br />
während er die <strong>Sea</strong>-<strong>Eye</strong> durch<br />
kleinere Wellen nordwärts nach<br />
Malta steuert. Er schüAelt den Kopf.<br />
„Und es gibt eben auch deutlich mehr<br />
Tote.“<br />
Die BR-Reporter<br />
Tobias Betz und<br />
Katharina Heudorfer<br />
waren im juli<br />
zwei Wochen lang<br />
an Bord der <strong>Sea</strong>-<br />
<strong>Eye</strong> unterwegs.<br />
Ihre 30-minü)ge<br />
TV-Reportage „Auf<br />
dem Meer und an<br />
Land gegen die<br />
Not“ gibt es in der<br />
BR-Mediathek zu<br />
sehen: hAp://<br />
br.de/s/2Py9bo