07.12.2016 Aufrufe

Kultur

BN154_eBook

BN154_eBook

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Politik<br />

Politik<br />

Foto: Tânia Rêgo/Agência Brasil<br />

Temers fragwürdige Maßnahmen<br />

„Eine Brücke in die Zukunft” heißt das von der Stiftung<br />

Ulysses Guimarães im Oktober 2015 vorgelegte Programm zur<br />

Rettung Brasiliens. Bei einer Rede in New York bestätigte der<br />

Interimspräsident Michel Temer, dass die gewählte Präsidentin<br />

Schuldenbremse soll Aufschwung bringen<br />

Kurt Damm, Berlin<br />

persönliche Verfehlungen des Präsidenten oder der Präsidentin<br />

können hier zu einem Amtsenthebungsverfahren führen.<br />

Mit seiner Rede in New York bestätigte Temer damit nicht<br />

nur, dass es politische Gründe waren, die zur Absetzung der<br />

Ansätze positiver Veränderungen<br />

Zwei Beispiele aus der Zeit der PT-Regierungen<br />

Das Programm zum Aufkauf von Nahrungsmitteln aus<br />

kleinbäuerlicher Produktion (PAA – Programa de Aquisição<br />

de Alimentos) zur Verwendung in öffentlichen Einrichtungen<br />

wurde im Rahmen des Null-Hunger-Programms (Fome Zero)<br />

unter der Regierung Lula ins Leben gerufen. Der Nationale<br />

Rat zur Ernährungssicherung (Consea) gab den Anstoß für<br />

die Schaffung dieses als „institutioneller Markt” bezeichneten<br />

Programms.<br />

Mit dem Programm werden verschiedene Ziele verfolgt.<br />

Im Vordergrund stehen die Förderung und Entwicklung der<br />

familiären Landwirtschaft, die Bereitstellung von Lebensmitteln<br />

für Personen ohne ausreichende Ernährungsgrundlage<br />

und die Schaffung einer verbesserten Vorratshaltung von<br />

Lebensmitteln. Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse und<br />

karitative Einrichtungen wurden angeregt, ihren Bedarf an<br />

Lebensmitteln aus kleinbäuerlicher Produktion zu decken.<br />

Die Schulen wurden später verpflichtet, 30% ihrer Mittel für<br />

Schulspeisungen im Rahmen dieses Programms zu verwenden.<br />

Umwelt- und Naturschutzmaßnahmen wurden zu einem<br />

späteren Zeitpunkt in das Programm aufgenommen.<br />

Die Durchführung obliegt der Conab (Companhia Nacional<br />

de Abastecimento), einer staatlichen Organisation, die für<br />

die Planung, Versorgung und Lagerung von Lebensmitteln<br />

zuständig ist. Durch das Programm werden viele Kleinproduzenten<br />

motiviert, über den Eigenbedarf hinaus zu produzieren,<br />

sei es auch nur, um in einem ersten Schritt hochwertige Lebensmittel<br />

für die Schule der eigenen Kinder zu produzieren.<br />

Die Produzenten lernten dabei eine Reihe von Problemen zu<br />

überwinden. Kooperativen wurden gegründet oder reorganisiert,<br />

Transportschwierigkeiten überwunden. Um Hygienebestimmungen<br />

einzuhalten, investierte man in den Umbau der<br />

Produktionsstätten. Für Kooperativen wurden Grenzwerte für<br />

eine maximale Höhe der jährlichen Aufkaufmenge festgelegt.<br />

Ökologisch hergestellte Produkte erhielten einen Preisaufschlag<br />

von 30%. Die durch das PAA-Programm erwirtschafteten Einkommen<br />

motivieren die Produzenten und helfen dabei, die<br />

Produktion auszuweiten und über die bisherigen garantierten<br />

schulischen und institutionellen Abnehmer hinaus die umliegenden<br />

Märkte zu erobern und mit Produkten zu beliefern.<br />

Die auf diese Weise hergestellten und vermarkteten Lebensmittel<br />

führten zu einer verbesserten Versorgung im ländlichen<br />

Raum und leisteten damit einen wichtigen Beitrag zur Ernährungssicherung.<br />

Gleichzeitig bildeten sie eine unabdingbare<br />

Einnahmequelle für die kleinbäuerliche, familiäre Landwirtschaft.<br />

Untersuchungen von ausgewählten Mikro-Regionen<br />

belegen auch die Wirkung des Programms bei der Erhöhung<br />

des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf in diesen Regionen.<br />

Die Erwartungen, die an das Programm gestellt wurden,<br />

sind bei weitem übertroffen worden und haben eine sehr<br />

viel höhere Wirkung entfaltet als ursprünglich geplant. Die<br />

eingesetzten Mittel stiegen von 81 Millionen Reais (2003)<br />

auf über 586 Millionen Reais (2012). Die Anzahl der mit dem<br />

Programm erreichten Personen erhöhte sich im gleichen<br />

Zeitraum von 40.000 auf 140.000 Familien. Das Programm<br />

PAA wurde mittlerweile von der Welternährungsorganisation<br />

(FAO) übernommen, um es in zehn afrikanischen und einigen<br />

lateinamerikanischen Staaten zu implementieren.<br />

Förderung agro-ökologischer Anbauweise<br />

Nach Angaben des statistischen Bundesamtes Brasiliens<br />

praktizieren lediglich 1,75% der landwirtschaftlichen Betriebe<br />

einen Anbau nach ökologischen Prinzipien. Hierbei handelt es<br />

sich allerdings in 82,6% der Fälle um Betriebe der kleinbäuerlichen,<br />

familiären Landwirtschaft. Lediglich 4,8% der Betriebe<br />

verfügen über eine offizielle Zertifizierung, die Voraussetzung<br />

für höhere Preise ist. Der Preisaufschlag von 30% wird im<br />

PAA-Programm nur für zertifizierte Betriebe gezahlt.<br />

Die starke Nachfrage nach Beratung agro-ökologischer<br />

Erfahrungen hat dazu geführt, dass unter Beteiligung von<br />

zwölf Ministerien und großer Nichtregierungsorganisationen<br />

ein landesweites Programm zur Stärkung der ökologischen<br />

Produktion aufgelegt wurde. Mit diesem Programm sollen auch<br />

vorhandene praktische Erfahrungen traditioneller Völker dokumentiert<br />

und verbreitet werden. Das Gesetz erlaubt es auch,<br />

ökologisch hergestellte Produkte direkt auf den umliegenden<br />

Märkten als solche anzubieten, ohne dass die Betriebe über<br />

eine Zertifizierung verfügen müssen.<br />

Ergänzt wird dieses Gesetz durch die „Bolsa Verde“ (grünes<br />

Stipendium). Mit dieser Maßnahme wird die Rolle der Kleinbauern<br />

als Naturschützer gestärkt. Die Produzenten erhalten<br />

eine finanzielle Zuwendung, wenn sie die vorhandene natürliche<br />

Vegetation auf ihren Grundstücken schützen oder sich<br />

dort, wo diese bereits geschädigt ist, dafür einzusetzen, die<br />

ursprüngliche Pflanzenvielfalt wieder herzustellen.<br />

Bereits seit 2009 gibt es des Weiteren ein Gesetz zur Förderung<br />

von Produkten aus der Sozio-Biodiversität. Gefördert<br />

wird u.a. der Anbau bestimmter Produkte wie Pequi, Babaçu,<br />

Buriti, Açaí, Castanha de Bauru, Castanha do Brasil, Umbu,<br />

Naturlatex – typische Produkte aus den sechs Biomen Brasiliens<br />

(Regenwald, Cerrado, Pantanal, Caatinga, Mata Atlântica,<br />

Pampa). Viele dieser Produkte sind oft nicht einmal in<br />

Brasilien bekannt oder in Vergessenheit geraten. Neben den<br />

üblichen Förderungen wie Beratung, günstige Kredite und<br />

Aufnahme in das Aufkaufprogramm der Conab wurden für<br />

diese Produkte, die überwiegend aus der Sammelwirtschaft<br />

stammen, garantierte Mindestpreise festgelegt. Produkte aus<br />

der Sammelwirtschaft gelten per se als ökologisch hergestellte<br />

Produkte. Mit diesem Gesetz soll erreicht werden, dass die<br />

ansässige Bevölkerung von den natürlich vorkommenden<br />

Produkten in ihrem Biom leben kann. Die Biome werden<br />

dadurch geschützt und als produktiv eingeschätzt, was den<br />

Landverkauf an Großinvestoren zum Anbau von Cash Crops,<br />

also ausschließlich für den freien Markt bestimmten landwirtschaftlichen<br />

Produkten, verhindern soll.<br />

Ob diese Programme, die den Kleinbauern zugute kommen,<br />

in Zukunft weiter existieren werden oder ob sie von der Regierung<br />

Temer liquidiert werden, muss die Zukunft zeigen.<br />

Dilma Rousseff die Umsetzung dieses von der PMDB nahen<br />

Stiftung vorgelegte neoliberale Programm nicht mittragen<br />

wollte. Das sei der Grund für den Bruch der Koalition und das<br />

Verfahren zur Amtsenthebung gewesen. In einer parlamentarischen<br />

Demokratie kann durch ein Misstrauensvotum im<br />

Parlament die Regierung in der Regel abgesetzt werden. In<br />

einer präsidialen Demokratie, in der der Präsident bzw. die<br />

Präsidentin direkt vom Volk gewählt wird wie in Brasilien, ist<br />

dies jedoch in der Verfassung nicht vorgesehen. Nur direkte<br />

Präsidentin führten, sondern auch, dass das ganze Verfahren<br />

nicht mit der Verfassung in Einklang stand und somit als<br />

kalter Putsch gelten muss.<br />

Was beinhaltet aber nun die viel umworbene „Brücke in<br />

die Zukunft“ tatsächlich? Es müsse gespart werden, so das<br />

Mantra des neuen Wirtschaftsministers. Die Ausgaben und<br />

damit das Haushaltsdefizit seien mit der Verfassung nicht<br />

vereinbar. Vor allem die Sozialausgaben sind der derzeitigen<br />

Übergangsregierung ein Dorn im Auge und so wurde ohne<br />

große Beratungen im Parlament eine Reihe von neuen Gesetzen<br />

verabschiedet, die die Sozialausgaben beschneiden.<br />

Das umfangreichste Gesetz ist die Schuldenbremse (PEC<br />

241), das die in den Wirtschaftsförderungsprogrammen PAC<br />

1 und PAC 2 (Programa de Aceleração do Crescimento) vorgesehenen<br />

Ausgaben für 20 Jahre einfrieren soll. Vor allem das<br />

Programm PAC 2 von 2010 sah Ausgaben in Höhe von 1,59<br />

Billionen Reais für Transport, Energie, <strong>Kultur</strong>, Umweltschutz,<br />

Gesundheit, sozialem Wohnungsbau und Sozialhilfe vor. Tatsächlich<br />

war der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP) von einst 13,5% (1985) auf 23% (2015) des<br />

Bruttoinlandsproduktes gestiegen. Studien des IWF und der<br />

konservativen Heritage Stiftung gehen allerdings davon aus,<br />

dass es gerade die Ausgaben für Gesundheit und Bildung waren,<br />

die für den Anstieg des Wohlstandes entscheidend waren. In<br />

der Europäischen Union liegt der Anteil der Sozialausgaben<br />

bei durchschnittlich 28%.<br />

Der gestiegene Wohlstand lässt sich an folgenden Zahlen<br />

aufzeigen: Das BIP stieg von 459 Milliarden US-Dollar (2002)<br />

auf 2.4 Billionen US-Dollar (2014). Zudem wurde eine Sen-<br />

4 5

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!