11.12.2012 Aufrufe

Anästhesie und Stress D.Scheidegger Obwohl wir in der Medizin ...

Anästhesie und Stress D.Scheidegger Obwohl wir in der Medizin ...

Anästhesie und Stress D.Scheidegger Obwohl wir in der Medizin ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Anästhesie</strong> <strong>und</strong> <strong>Stress</strong><br />

D.<strong>Scheidegger</strong><br />

<strong>Obwohl</strong> <strong>wir</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong> das Wort <strong>Stress</strong> sehr häufig verwenden, stammt es gar nicht<br />

aus unserem Gebiet. Es war ursprünglich e<strong>in</strong> Ausdruck aus <strong>der</strong> Materialprüfung <strong>und</strong> sagte<br />

etwas aus über die Spannung <strong>und</strong> Verzerrung von Metallen.<br />

1936 hat dann Dr. H. Seyle den Begriff zum ersten Mal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong> verwendet. Er<br />

benützte ihn um die täglichen Belastungen, Anstrengungen <strong>und</strong> Probleme, denen <strong>wir</strong><br />

ausgesetzt s<strong>in</strong>d, zu beschreiben. Heute <strong>wir</strong>d <strong>der</strong> Begriff sehr unterschiedlich <strong>und</strong> vielfältig<br />

verwendet, manchmal auch völlig falsch.<br />

Häufig <strong>wir</strong>d <strong>der</strong> Ausdruck <strong>Stress</strong> heute für das uralte Phänomen benützt, dass die<br />

Reaktion beschreibt, die vom Körper <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gefährlichen Situation ausgeht <strong>und</strong> eigentlich<br />

unser Überleben sichert. Die Reaktionen im vegetativen Nervensystem, die wenn e<strong>in</strong>mal<br />

ausgelöst nicht mehr zu stoppen s<strong>in</strong>d, verhelfen uns zu e<strong>in</strong>er höchsten Aufmerksamkeit<br />

<strong>und</strong> Angriffs- o<strong>der</strong> Fluchtbereitschaft.<br />

E<strong>in</strong>e Schule von Psychotherapeuten benützen den Begriff <strong>Stress</strong> auch für die Antwort des<br />

Körpers auf e<strong>in</strong>e sche<strong>in</strong>bar nicht lösbare Aufgabe. E<strong>in</strong>ige nennen dies dann Distress um<br />

darauf h<strong>in</strong>zuweisen, dass <strong>Stress</strong> nicht primär etwas schlechtes ist. Beim Distress spielt es<br />

ke<strong>in</strong>e Rolle, ob die Aufgabe effektiv nicht lösbar ist o<strong>der</strong> nur vom Individuum als nicht<br />

lösbar empf<strong>und</strong>en <strong>wir</strong>d.<br />

Das <strong>Stress</strong>modell nach Lazarus kann uns helfen, Möglichkeiten <strong>der</strong> <strong>Stress</strong>bewältigung zu<br />

f<strong>in</strong>den. Lazarus hat das sogenannte S-O-R Modell beschrieben:<br />

Das S steht für die <strong>Stress</strong>oren die von aussen auf uns e<strong>in</strong><strong>wir</strong>ken, wie z.B. Zeitnot,<br />

Konflikte, Dienstsucher, Mobb<strong>in</strong>g, etc.<br />

Das O (Organismus) ist die Person selber. Je<strong>der</strong> von uns reagiert an<strong>der</strong>s auf <strong>Stress</strong>oren,<br />

da <strong>wir</strong> sie auch alle an<strong>der</strong>s wahrnehmen. Die Bewertung hängt zum Beispiel von unserer<br />

Erfahrung ab. Denken sie noch welcher <strong>Stress</strong> für uns <strong>der</strong> allererste Dienst war <strong>und</strong> wie<br />

<strong>wir</strong> heute mit <strong>der</strong> gleichen Situation umgehen! Wir s<strong>in</strong>d auch abhängig von <strong>der</strong> Tagesform<br />

<strong>und</strong> von zusätzlichen <strong>Stress</strong>oren, die eventuell bereits viel von unserer Energie abgesaugt<br />

haben.<br />

Unsere Reaktion <strong>wir</strong>d auf folgenden vier Ebenen sichtbar:<br />

1.) kognitiv, wie zum Beispiel e<strong>in</strong>e Negativspirale mit dem typischen Selbstgespräch: „das<br />

kann nicht gutgehen“, Gedanken den Ort fluchtartig zu verlassen, Unmöglichkeit sich zu<br />

konzentrieren o<strong>der</strong> <strong>der</strong> typische Tunnelblick, d.h ke<strong>in</strong>e Möglichkeit weitere Geschehnisse<br />

<strong>in</strong> unserer Umgebung wahrzunehmen.<br />

2.) emotional, wie Angst, Nervosität, Wut, Gereiztheit <strong>und</strong> Versagensängste.<br />

3.) vegetativ, Herzklopfen, M<strong>und</strong>trockenheit, Schwitzen, Erröten, weiche Knie,<br />

Hypertension, Kurzatmigkeit <strong>und</strong> Übelkeit bis zum Erbrechen. Je<strong>der</strong> von uns hat dies<br />

schon e<strong>in</strong>mal erlebt <strong>und</strong> weiss selber am besten, welche dieser vegetativen Zeichen bei<br />

ihm vor allem auftreten <strong>und</strong> sogar <strong>in</strong> welcher Reihenfolge.<br />

4.) muskulär, wie z.Bsp. Zittern, Stottern, Zähneknirschen, F<strong>in</strong>gertrommeln etc.<br />

Gemäss diesem <strong>Stress</strong>modell können Bewältigungsstrategien an drei Stellen ansetzen:<br />

Bei den <strong>Stress</strong>oren, <strong>in</strong> dem ich versuche die mir bekannten zu meiden, o<strong>der</strong> zu<br />

reduzieren. Dies ist e<strong>in</strong>facher gesagt, als getan. Trotzdem ist zum Beispiel das<br />

Zeitmanagement sicher etwas, was <strong>wir</strong> bee<strong>in</strong>flussen können, chronische Müdigkeit<br />

genauso.<br />

Wir können aber auch versuchen bei uns selber anzusetzen, <strong>in</strong> dem <strong>wir</strong> versuchen unsere<br />

E<strong>in</strong>stellung zu diesen <strong>Stress</strong>oren zu än<strong>der</strong>n. Vielleicht müssen <strong>wir</strong> lernen nicht immer<br />

perfekt se<strong>in</strong> zu wollen. Sehr häufig ist <strong>der</strong> eigene extrem hohe Anspruch an sich selber <strong>der</strong><br />

erste grosse <strong>Stress</strong>or.


Um me<strong>in</strong>e eigene <strong>Stress</strong>reaktion besser <strong>in</strong> den Griff zu bekommen müssen <strong>wir</strong> uns zuerst<br />

e<strong>in</strong>mal gut beobachten. Wir müssen unsere Symptome <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Reihenfolge genau<br />

kennen. Ganze Heerscharen von Beratern verdienen mit <strong>Stress</strong>bewältigungssem<strong>in</strong>aren<br />

viel Geld. Wir können hier nur e<strong>in</strong> paar wenige Möglichkeiten erwähnen. Je nach<br />

<strong>Stress</strong>reaktion sollte auch die Bewältigungsstrategie gezielt ausgesucht werden. Was bei<br />

Ihnen nützt, mag bei mir nicht funktionieren <strong>und</strong> umgekehrt.<br />

Um kurzfristig <strong>Stress</strong> abbauen zu können <strong>wir</strong>d sehr häufig e<strong>in</strong>e anstrengende sportliche<br />

Tätigkeit empfohlen, e<strong>in</strong> sog work out! Bei gewissen Menschen kann schimpfen o<strong>der</strong><br />

we<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>e kurzfristige Erleichterung br<strong>in</strong>gen.<br />

Im Spitzensport <strong>wir</strong>d häufig e<strong>in</strong> mentales Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g e<strong>in</strong>gesetzt. Die Athlet<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Athleten<br />

lernen sich durch positive Selbstgespräche aufzubauen. E<strong>in</strong>e tiefe, ruhige <strong>und</strong> ganz<br />

bewusste Atmung kann die vegetativen Reaktionen günstig bee<strong>in</strong>flussen.<br />

Wenn <strong>wir</strong> <strong>wir</strong>klich kont<strong>in</strong>uierlich unter <strong>Stress</strong> leiden müssen <strong>wir</strong> versuchen unsere<br />

E<strong>in</strong>stellung langfristig zu än<strong>der</strong>n. Es ist klar erwiesen, dass <strong>Stress</strong> langzeitig zu<br />

Ges<strong>und</strong>heitsschäden beim E<strong>in</strong>zelnen führt <strong>und</strong> auch die ganze Gesellschaft sehr viel<br />

kostet wegen Frühpensionierungen <strong>und</strong> Burn-outs. Je nachdem, wo <strong>wir</strong> die grössten<br />

Defizite bei uns feststellen müssen <strong>wir</strong> vielleicht Kurse über e<strong>in</strong> besseres Zeitmanagement<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er effizienterer Arbeitsmethodik besuchen. Wenn <strong>wir</strong> vor allem an unserer<br />

E<strong>in</strong>stellung gegenüber den <strong>Stress</strong>oren o<strong>der</strong> an unseren Reaktionen leiden kann e<strong>in</strong><br />

Erlernen von autogenem Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g o<strong>der</strong> spezieller Atemtechnik sehr viel br<strong>in</strong>gen.Manchmal<br />

kann es aber auch sehr wichtig se<strong>in</strong> etwas mehr für sich selbst zu schauen <strong>und</strong> sich<br />

vermehrt Zeit nehmen um die D<strong>in</strong>ge u tun, die man gerne macht.<br />

<strong>Anästhesie</strong> ist immer e<strong>in</strong>e Teamarbeit. Daher noch e<strong>in</strong>ige Verhaltensvorschläge bei<br />

<strong>Stress</strong> im Team. Ganz wichtig ist es, sobald man merkt, dass man <strong>in</strong> <strong>Stress</strong> gerät, dies<br />

den an<strong>der</strong>en Teammitglie<strong>der</strong>n mitzuteilen. Wir tun dies häufig nicht, weil <strong>wir</strong> es als e<strong>in</strong><br />

Zeichen <strong>der</strong> Schwäche ansehen. Wenn <strong>wir</strong> uns aber an die <strong>Stress</strong>reaktionen er<strong>in</strong>nern <strong>und</strong><br />

uns die Patientensicherheit <strong>wir</strong>klich e<strong>in</strong> Anliegen ist, ist dies e<strong>in</strong>e äußerst wichtige<br />

Information für die übrigen Teammitglie<strong>der</strong>n. Irgend jemand an<strong>der</strong>s im Team hat noch freie<br />

Valenzen <strong>und</strong> die verschiedenen Aufgaben können neu aufgeteilt werden. Durch das<br />

Wegnehmen von Aufgaben <strong>wir</strong>d unser Workload wie<strong>der</strong> vernünftig <strong>und</strong> <strong>wir</strong> können wie<strong>der</strong><br />

100% unserer Leistung br<strong>in</strong>gen.<br />

Wir sollten aber auch gleichzeitig immer unsere Teammitglie<strong>der</strong> auf <strong>Stress</strong>symptome<br />

beobachten <strong>und</strong> schauen, ob <strong>wir</strong> Hilfe anbieten können. Wichtig ist dabei, dass dies<br />

situativ <strong>und</strong> nicht aus e<strong>in</strong>er Position <strong>der</strong> Stärke erfolgt. Wir s<strong>in</strong>d alle e<strong>in</strong>mal froh, wenn <strong>wir</strong><br />

die gleiche Hilfe bekommen, ohne dass uns jemand dabei se<strong>in</strong>e Überlegenheit zeigt.<br />

Wichtig ist es im ganzen Team präventiv auf auf mögliche <strong>Stress</strong>faktoren h<strong>in</strong>zuweisen,<br />

durch z.Bsp. e<strong>in</strong> gutes Brief<strong>in</strong>g. Das Modell aus <strong>der</strong> Luftfahrt, das sog. Threat and Error<br />

Modell ist dafür e<strong>in</strong>geführt worden. Mögliche Gefahren, vorher aufzulisten <strong>und</strong> zu<br />

besprechen <strong>und</strong> wenn möglich jeweils e<strong>in</strong>en Plan B im Team zu diskutieren. Um aus<br />

stressigen Situationen etwas zu lernen für das nächste Mal, unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e<br />

Nachbesprechung machen. Dabei soll die Arbeitsbelastung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Teammitglie<strong>der</strong><br />

noch e<strong>in</strong>mal genau untersucht werden.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!