Ötztal-2017
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46 KULTUR<br />
DER ÖTZI IST IMMER FÜR<br />
ÜBERRASCHUNGEN GUT<br />
Er war alt, er war krank, er war reich. Das können die Wissenschaftler<br />
mit Gewissheit sagen und detailreich dokumentieren.<br />
Warum der Mann aus der Jungsteinzeit aufs Tisenjoch gestiegen<br />
ist, warum er dort ermordet wurde – das bleibt spannend<br />
und spekulativ. Fix ist, dass Ötzi als urgeschichtliche<br />
Sensationsgestalt auch nach dem 25. Jubiläum seines<br />
Funds Objekt des Forscherdrangs bleiben wird. Und<br />
Publikumsmagnet. Am Talgrund liegt der archäologische<br />
Freilichtpark Ötzi-Dorf, ein Protagonist im Gesamterlebnis<br />
„Urkraft Umhausen“. Dort wurden, wissenschaftlich<br />
begleitet von Walter Leitner, die Jubiläumsausstellung<br />
2016 und zahlreiche Veranstaltungen<br />
inszeniert. Bei der Similaunhütte am Hauptkamm<br />
der Ötztaler Alpen liefen einst die Fäden der Bergungsarbeiten<br />
zusammen.Hüttenwirt Markus Pirpamer<br />
ist seit einem Vierteljahrhundert erster Ansprechpartner<br />
der Ötzifans unter den Alpinisten. Wir haben<br />
den archäologischen und den alpinen Experten<br />
zum Mann aus dem Eis befragt.<br />
KULTUR 47<br />
WALTER LEITNER MARKUS PIRPAMER<br />
Der Archäologe Walter Leitner<br />
Similaun-Hüttenwirt und Bergführer<br />
ist Mitglied des internationalen<br />
Markus Pirpamer war 1991 nach<br />
Wissenschaftler-Kollektivs zur<br />
den Findern Erika und Helmut Simon<br />
Erforschung von Ötzi und wissenschaftlicher<br />
Berater des Ötzi Dorfs.<br />
von Ötzi am Tisenjoch.<br />
einer der Ersten an der Fundstelle<br />
Interview: Isolde v. Mersi Interview: Erwin Brunner<br />
Was gibt es Neues nach 25 Jahren Ötzi-Forschung?<br />
Die Schwerpunkte der jüngsten Erkenntnisse liefert die medizinische<br />
Forschung. Das Genom von Ötzi wurde 2012 entschlüsselt. DNA-Untersuchungen<br />
mit 1000 Proben haben ergeben: 19 heute lebende Tiroler<br />
und 22 Schweizer haben noch das DNA-Muster von Ötzi. Im<br />
Zusammenhang mit den DNA-Untersuchungen hat man auch den vorderasiatischen<br />
Herkunftsraum Ötzis identifiziert.<br />
Ötzi, ein Alpenasiate – haben die Forscher außer der Herkunft weitere<br />
Rätsel gelöst?<br />
Sie haben jedenfalls eine Menge Leiden diagnostiziert. Ötzi war ja mit<br />
mehr als 50 Jahren für die damalige Zeit schon ein Greis. Die meisten<br />
seiner Zeitgenossen wurden höchstens 40 Jahre alt. Ötzi litt an Karies,<br />
Paradontose und Borreliose. Er hatte auch Gastritis, war infiziert mit<br />
dem Magenbakterium Helicobacter. Die Untersuchung des Mageninhalts<br />
dauert noch an.<br />
Wie erlebten Sie als Hüttenwirt die Jahrhundertsensation?<br />
Sie schlug ein wie eine Bombe! Mindestens jedes zweite Gespräch mit<br />
Gästen, mit Journalisten, ja eigentlich mit jedem, drehte sich jahrelang<br />
nur um Ötzi.<br />
Gab es nicht auch Wanderer, die in Ötzi-Outfits die Alpen überquerten?<br />
Ja, zwei Männer, begleitet von einem Fernsehteam. Und von einem<br />
Bergführer, für den Ernstfall. Ernährt haben sie sich von Beeren und Pilzen.<br />
In die Hütte kamen sie nur auf einen Kaffee. Ich erinnere mich genau,<br />
denn sie rochen ziemlich streng.<br />
Ötzi und seine Welt als abenteuerliches Medienthema?<br />
Viele Teams haben hier gedreht, einige sogar aus Amerika und Japan.<br />
Jetzt sind auch Schulen unterwegs, vor allem deutsche. Bei der Alpenüberschreitung<br />
auf dem Fernwanderweg E 5 von Oberstdorf nach Meran<br />
steht die Fundstelle im Mittelpunkt.<br />
Was stand denn so auf dem Speisezettel des Eismannes?<br />
Der Magen war randvoll mit Körnerbrei, Muskelfasern von Rothirsch<br />
und Steinbock, Moos, Farn, Blättern. Ötzi aß gemischte Kost – und er<br />
hat jedenfalls kurz vor seinem Tod noch eine ordentliche Mahlzeit verspeist.<br />
Trotz Karies und Paradontose …<br />
Ja. Übrigens haben die Mediziner dem Ötzi auch buchstäblich auf den<br />
Zahn gefühlt. Die Analyse der Mineralien in seinem Zahnschmelz hat<br />
ergeben, dass er seine Kindheit in der Gegend zwischen Brixen und<br />
Klausen verbrachte.<br />
Faszinierend sind ja auch Ötzis Tätowierungen …<br />
… zu denen es ebenfalls neue Erkenntnisse gibt. Nach einer Untersuchung<br />
mit Lichtquellen verschiedener Wellenlänge wurde eine neue<br />
Gruppe von 4 kleinen Strichen auf dem Brustkorb in Höhe der rechten<br />
untersten Rippe entdeckt.<br />
Hatte der Hype eine Wirkung auf Sie selbst?<br />
Sicher. Ich habe mich schon als Junger für die Geschichte unserer Gegend<br />
interessiert. Mit 17 begann ich als Wirt der Similaunhütte, die jetzt<br />
120 Jahre alt ist. Vent wurde von Süden her besiedelt, auch meine Vorfahren<br />
stammen aus dem Vinschgau. So habe ich mich oft von meiner<br />
Herkunft „hineingedacht“ in die alten Zeiten. Ötzi ist der einzige Zeitzeuge<br />
dafür, wie man hier jahrtausendelang lebte.<br />
Hofften Sie auf einen weiteren Fund?<br />
Nein, dafür bin ich zu sehr Realist. Ötzi zwei – das wäre eine Wahrscheinlichkeit<br />
von 1:1 Million. Nach dem heißen Sommer 2003 kamen<br />
unterhalb der Similaunhütte Hufeisen und Kiefer eines Saumpferdes zutage,<br />
aber die stammten aus dem Dreißigjährigen Krieg. Ein Pferd auf<br />
3.000 m! Es zeigt auch, dass es immer Kontakte über die Jöcher gab.<br />
Wenn ich heute von Vent mit dem Auto ins Schnalstal will, fahre ich 230<br />
Kilometer. Der direkte Weg wären 15 Kilometer. Klar, dass man da früher<br />
über den Berg ging.<br />
Weiß man, wofür diese Tattoos gut waren?<br />
Ötzis Tätowierungen sollten der Linderung seiner rheumatischen<br />
Schmerzen dienen – alle Gelenke waren sehr verbraucht. Das neue Tattoo<br />
auf der Rippe bezeichnet den Gallenmeridian. Und Ötzi hatte drei<br />
Gallensteine. Jedenfalls können wir aus den Tätowierungen oder aus<br />
der Tatsache, dass Ötzi Medizinschwamm mit sich führte, durchaus<br />
schließen, dass die Menschen der späten Jungsteinzeit handfest Medizin<br />
gemacht und nicht nur Geisterbeschwörung betrieben haben.<br />
Hat der Ötzi-Fund das Interesse an der Bergwelt verstärkt?<br />
Schwer zu sagen. Vent hat schon immer intensiv Alpingeschichte geschrieben,<br />
und der Similaun ist – nach der Wildspitze – der zweithäufigst<br />
begangene Ötztaler Gipfel.<br />
Wirkt sich Ötzi denn überhaupt auf das Geschäft der Similaunhütte aus?<br />
Mit Ötzi haben wir keine 5 % mehr Betrieb. Doch wir identifizieren uns<br />
mit ihm. Und sind stolz darauf, seine einzigartige Geschichte zu erzählen.