03.03.2017 Aufrufe

2017-03 Schöllgen im Rotary Magazin

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Ankunft in der Gegenwart<br />

Die Politik des neuen US-Präsidenten Donald Trump konfrontiert den Westen<br />

mit der weltpolitischen Realität // GREGOR SCHÖ LLGEN<br />

E<br />

s<br />

ist die letzte Chance. Will der<br />

Westen eine Zukunft haben, muss<br />

er sich aus der Vergangenheit lösen.<br />

Der Anstoß kommt von der<br />

anderen Seite des Atlantiks. Denn Amerikas<br />

Präsident Donald Trump macht seinen<br />

Landsleuten und den Europäern unmissverständlich<br />

klar, dass die 1945 etablierte<br />

internationale Ordnung seit einem Vierteljahrhundert<br />

Geschichte ist.<br />

Das gilt auch für die westlichen Gemeinschaften<br />

in ihrer bestehenden Form.<br />

Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft<br />

EWG, eine Vorläuferin der heutigen Europäischen<br />

Union, und die ATO, um die<br />

wichtigsten zu nennen, waren von Geburt<br />

an Kinder des Kalten Krieges. Sie lebten<br />

vom Ost-West-Gegensatz. Keine dieser Gemeinschaften<br />

war 1991 auf den Abgang der<br />

Sowjetunion und damit auf das Ende des<br />

Kalten Krieges vorbereitet. Keine von ihnen<br />

hat es in den vergangenen 25 Jahren geschafft,<br />

sich den grundlegend geänderten<br />

Verhältnissen anzupassen. Das unterscheidet<br />

sie von den sowjetisch dominierten<br />

Gemeinschaften wie dem Warschauer<br />

Pakt. Sie traten mit ihrer Führungsmacht<br />

von der Weltbühne ab.<br />

Der Westen zog diese Konsequenz<br />

nicht, <strong>im</strong> Gegenteil: Unfähig oder unwillens<br />

zur Reform, aber auch überwältigt vom<br />

Andrang der jungen Staaten Ostmittel-und<br />

Südosteuropas, nahmen NATO und Euro-<br />

Gründungsmitglieder, unter ihnen die alte<br />

Bundesrepublik, schon in den fünfziger<br />

Jahren gemeinsam sicherstellen, dass sie<br />

als Wirtschafts- und Handelsmacht in der<br />

ersten Liga spielten. In dieser Hinsicht war<br />

die Schutzmacht USA für sie nicht nur<br />

Partner, sondern <strong>im</strong>mer auch Konkurrent.<br />

Donald Trump macht unmissverständlich klar,<br />

dass die 1945 etablierte internationale Ordnung<br />

seit einem Vierteljahrhundert Geschichte ist<br />

päische Union in Serie neue Mitglieder auf.<br />

Im Falle der EU führte das an den Rand des<br />

Infarkts. Das lag an der schieren Zahl der<br />

zwölf euankömmlinge, aber auch daran,<br />

dass die meisten von ihnen entweder, wie<br />

die baltischen Staaten, vormalige Sowjetrepubliken<br />

oder aber, wie Polen, ehemalige<br />

Mitglieder des Warschauer Paktes waren.<br />

Schon deshalb war ihnen die Gründungslogik<br />

der europäischen Gemeinschaften<br />

nicht geläufig. Tatsächlich wollten die sechs<br />

Für die euen, die gerade den sowjetisch<br />

dominierten Zwangsverband hinter sich<br />

gelassen hatte, stellte sich das nach 1991<br />

anders da.<br />

Heterogene Erwartungen<br />

Erschwerend kam hinzu, dass die Erwartungen<br />

der einzelnen Mitglieder an die<br />

Europäische Union beziehungsweise ihre<br />

Vorläuferorganisacionen in einigen Punkten<br />

sehr heterogen waren. So suchten »<br />

NATO und EU nahmen in den letzten 25 Jahren zahlre iche neue Mitg lieder auf - dennoch gelang es ihnen nicht, sich innerli ch an die<br />

neuen Verhältnisse in Europa und in der Welt anzupassen<br />

ROTA RY MA GA ZIN MÄRZ 20 17 39


Rückbesinnung auf eigene Qualitäten : Dass mit Großbritann ien erstma ls seit 1945 ein Mitg lied f reiwillig die EU verlässt, ist ein Fanal<br />

» die Bewohner der politisch und militärisch<br />

nur eingeschränkt souveränen alten<br />

Bundesrepublik <strong>im</strong> integrierten Europa<br />

einen passenden Ersatz für jene nationale<br />

Identität, die ihnen - und nur ihnen - <strong>im</strong><br />

Übrigen versagt war. Bis heute sehen die<br />

meisten Deutschen in Europa auch eine<br />

identitätsstiftende Einrichtung. Fast alle<br />

anderen sehen das anders. Auch deshalb<br />

schlugen sämtliche Versuche fehl, auf die<br />

weltpolitische Revolution der ausgehenden<br />

achtziger Jahre mit einer angemessenen<br />

Reform zu reagieren und der Gemeinschaft<br />

das fehlende gemeinsame politische<br />

Verteidigungsgemeinschaft 1954 gescheiten<br />

ist, sind zwar etliche Versuche zu einer<br />

Wiederbelebung dieser für Europalebenswichtigen<br />

Idee unternommen worden, aber<br />

keiner führte zum Erfolg. Ähnlich sieht es<br />

mit dem 2005 gescheiterten Versuch aus,<br />

der EU mit einer Europäischen Verfassung<br />

nachträglich das fehlende politische Fundament<br />

zu verpassen.<br />

überrascht es da wirklich, dass sich die<br />

Menschen heute in Scharen den ationalstaaten<br />

zuwenden? Dass mit Großbritannien<br />

erstmals seit 1945 ein Mitglied<br />

freiwillig die EU verlässt, ist so gesehen<br />

Bis heute sehen die meisten Deutschen in<br />

Europa auch eine identitätsstiftende Einrichtung .<br />

Fast alle anderen sehen das anders<br />

und militärische Fundament zu verpassen.<br />

Das Beispiel zeigt <strong>im</strong> Übrigen auch, dass<br />

Europa einmal vertane Chancen schwerlich<br />

noch einmal bekommt. Seitdem das<br />

Projekt einer integrierten europäischen<br />

konsequent. Und es ist ein Fanal. icht<br />

wegen des Schrittes selbst. Die EU kann<br />

ohne Großbritannien auskommen. Man<br />

sollte nicht vergessen, dass sich die Briten<br />

zunächst strikt geweigert hatten, der EWG<br />

beizutreten, dann von Frankreichs Staatspräsident<br />

Charles de Gaulle draußen gehalten<br />

wurden und nach ihrem Betritt 1973<br />

<strong>im</strong>mer wieder, zum Beispiel bei den Beitragszahlungen,<br />

eine Sonderolle eingefordert<br />

haben.<br />

Lieber allein<br />

Schwerer wiegt, dass die Entscheidung der<br />

Briten für die Rückbesinnung auf nationale<br />

Kräfte und Qualitäten be<strong>im</strong> Krisenmanagement<br />

steht. Und eben dafür steht<br />

auch Donald Trump. Diese neue Form des<br />

ationalismus lässt sich schwerlich mit<br />

der Räson bestehender internationale r<br />

Gemeinschaften vereinbaren. So war die<br />

NATO 1949 in der Absicht gegründet worden,<br />

die Unabhängigkeit und Sicherheit<br />

ihrer Mitglieder zu garantieren und sich<br />

gemeinsam gegen eine sowjetische Bedrohung<br />

zu wappnen. Die baltischen Staaten,<br />

Polen und andere euankömmlinge sahen<br />

aber in der Atlantischen Allianz von Anfang<br />

an <strong>im</strong>mer auch einen Rahmen für die<br />

Stiftung und Behauptung ihrer nationalen<br />

Identität- vor allem gegenüber Russland;<br />

also einem Land, das seinerseits nach mehr<br />

40<br />

ROTAR Y M AG AZ I N MÄRZ 20 17


als 70 Jahren auf der Suche nach seiner<br />

nationalen Identität war.<br />

selbstverständlich hatten die Staaten<br />

Ostmittel- und Osteuropas das unantastbare<br />

Recht , der Atlantischen Allianz beizutreten<br />

. Aber ebenso selbstverständlich<br />

mussten <strong>im</strong> Kreml die Alarmglocken<br />

schrillen . Während die Sowjetun ion und<br />

ihr Militärpakt 1991 endgültig aus der<br />

Weltgeschichte verschwanden , blieb die<br />

ATO nicht nur bestehen , sondern rückte<br />

dank des Eintritts vormaliger Sowjetrepubliken<br />

und Warschauer Pakt-Staaten bis vor<br />

die Tore von St. Petersburg . Auch deshalb<br />

trifft die erklärtermaßen ausschließlich an<br />

den nationa len Interessen Russlands orien ­<br />

tierte Politik des Präsidenten bei seinen<br />

Landsleuten auf breite Zust<strong>im</strong>mung.<br />

Zuma l der Westen es nicht dabei beließ .<br />

2002 kündigte n die USA den 30 Jahre zuvor<br />

mit den Sowjets geschlossenen Vertrag<br />

über die strikte L<strong>im</strong>itierung der Raket enabwehr<br />

ABM. Schon 1999 war die Entwicklung<br />

eines nationalen Rakete nabw ebrprogra<br />

mm sauf den Weg gebracht worden.<br />

Während der Präsidentscha ft Barack Obamas<br />

begann man mit der Stat ioni erung -<br />

auch in einigen Staaten des vormal igen<br />

Warschauer Paktes und mit einer Lizenz<br />

der ATO. Damit stellte das Bündn isgrundsätzlich<br />

Russlands Möglichkeit zu einem<br />

Zweitschlag, also seine nukleare Lebens ­<br />

versicherung , infrage . Jedenfalls sah man<br />

das <strong>im</strong> Kreml so.<br />

Wenn jetzt gemutmaßt wird , mit<br />

Donald Trump könne eine Rückkehr in<br />

die Ära Ronald Reagans ins Haus stehen ,<br />

st<strong>im</strong>mt das bezogen auf dieses Kapitel der<br />

internationalen Polit ik nicht. Diese Rückkehr<br />

in die Gefrierphase des Kalten Krieges<br />

hatte nämlich schon Barack Obama vollzogen,<br />

als er grünes Licht für die Stationierung<br />

der Raketenabwehr gab und damit<br />

eine Idee realisierte, die ursprünglich von<br />

Reagan stammt , aber seinerzeit nicht<br />

realisiert wurde. Für den 40 . Präsident der<br />

Vereinigten Staaten war sie Element eines<br />

Programms , mit dessen Hilfe er den weltpolitischen<br />

Gegner endgültig in die Knie<br />

zwingen wollte .<br />

Es kam ganz anders. Zwar <strong>im</strong>plodierte<br />

die Sowjetunion wenige Jahre nach dem<br />

Ende seiner Amtszeit. Aber in die Geschichte<br />

eingegangen ist Rona ld Reagan als der<br />

Mann , der <strong>im</strong> Schultersc hluss mir seinem<br />

sowjetischen Verhandlungspartner Michail<br />

Gorbatschow dafür sorgte, dass die strategischen<br />

Atomarsenale langfristig reduz iert<br />

und die landgestützten nuklearen Mittelstreckenraketen<br />

in Europa sogar komp lett<br />

vernichtet wurden.<br />

PROF. DR.<br />

GREGOR SCHÖLLGEN<br />

lehrt Neuere und eueste<br />

Geschichte an der Universität<br />

Erlangen. Zuletzt erschien seine<br />

Biographie des vorma ligen Bundes·<br />

kanzlers Gerhard Schröder.<br />

gregorschoellgen.ile<br />

Jllllllllllllttl/1111111111111<br />

So gesehen gibt es Hoffnung .Jedenfalls<br />

ha t sich auch Donald Trump über zeugt<br />

gezeigt, dass die 1uklearwaffen „erhebl ich<br />

reduz iert werden müssten ". Ob der Präsident<br />

dabei bleibt , wird man sehen . Aber<br />

man sollte es nicht von vornherein für<br />

aussichtslos halten. Auch sollte man nicht<br />

aussc hließen, dass es ausgerechnet Donald<br />

Trump gelingen könnte, den Westen an<br />

die Wirklichkeit heranzuführen.<br />

atürlich gibt es keinen Grund , die<br />

eingespielten militärischen Strukturen<br />

des Atlantischen Bündnisses oder die bewährten<br />

Mechanismen des europäischen<br />

Kaum ein Argument<br />

für die Beibehaltung<br />

der wes tlichen<br />

Gemeinschaften<br />

sticht heute meh r<br />

Marktes aufzulösen. Aber für deren Betrieb<br />

bedarf es weder der ATO noch der EU.<br />

Will man an ihnen festhalten , führt kein<br />

Weg an einer grundlegenden Reform von<br />

Organisationen vorbei , die in ihrer bestehenden<br />

Form Anachronismen sind.<br />

Kaum ein Argument, das für die Beibehaltung<br />

der westlichen Gemeinschaften<br />

in ihrer überkommenen Fa~on mobilisiert<br />

wird , sticht heute mehr. Auch nicht der<br />

Hinweis auf ihren Charakter als westliche<br />

Wertegemeinschaften. Das waren I ATO<br />

oder EU nur insofern, als sie eine Alternative<br />

zu den totalitären Reg<strong>im</strong>en ihrer Zeit<br />

formuliert und diese garantiert haben. Für<br />

ihre Mitglieder war das ein Glücksfall. Für<br />

andere nicht. Spätestens seit die Vor-und<br />

Garantiemacht dieser Gemeinschaft unter<br />

Berufung auf deren Werte in Vietnam einen<br />

zehnjährigen Krieg auch gegen die Zivilbevölkerung<br />

führte , hatte der Westen seine<br />

Glaubwürdigkeit verloren. Und das nicht<br />

nur be<strong>im</strong> weltpolitischen Gegner oder in<br />

der damals so genannten Dritten Welt,<br />

sondern auch in den eigenen Reihen.<br />

Das Ende des alten Westens<br />

Hisrorisch gesehen gibt es diesen alten<br />

Westen schon seit einem Vierteljahrhu n­<br />

dert nicht mehr . Jetzt steht d ie politische<br />

Kündigung ins Haus. Das hat der 45. Präsident<br />

der Vereinigten Staaten von Amerika<br />

auf seine Arr un m issverstä nd lieh klargestellt.<br />

Was das konkretbede uret, wird man<br />

sehen. So oder so lieg t da rin auch eine<br />

Chance . Nicht zuletz t für d ie Europäer. Sie<br />

sollten sie ergre ifen. Was a ndern falls passieren<br />

kann , hat schon 1954 das Scheite rn<br />

der Europäischen Verte id igungsg emein ­<br />

schaft gezeigt. Dieses Mal wird es keine<br />

weitere Chance geben .<br />

ROTARY MAGAZIN MÄR Z 201]<br />

41

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!