Leseprobe AiB 4_2017
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Arbeitsrecht<br />
im Betrieb<br />
<strong>AiB</strong> | FACHZEITSCHRIFT FÜR DEN BETRIEBSRAT<br />
aibweb.de<br />
38. JAHRGANG<br />
ISSN 01741225<br />
D 3591<br />
4 | <strong>2017</strong><br />
UNTERNEHMENSKULTUR<br />
Was dem Betriebsklima<br />
schadet<br />
aktuelles Wo der Betriebsrat jetzt bei der Leiharbeit ansetzen kann<br />
grundlagen Warum Seminare noch kurz vor der Betriebsratswahl lohnen<br />
recht erfolgreich Wie die Beschlussfassung wasserdicht wird
titelthema<br />
unternehmenskultur<br />
<strong>AiB</strong> 4 | <strong>2017</strong><br />
Warum schlechtes<br />
Klima schadet<br />
betriebsklima Oft wird das Betriebsklima als »weicher Faktor« und damit als<br />
Soft Skill vernachlässigt. Warum sich aber aus den Soft Skills harte Fakten<br />
wie Umsatz und Unternehmens erfolg ableiten lassen und warum es für Unter -<br />
nehmen wichtig ist, auf ein gutes Betriebsklima zu achten, erfahren Sie hier.<br />
VON EVA-MARIA STOPPKOTTE UND CLAUDIA STIEL<br />
10
<strong>AiB</strong> 4 | <strong>2017</strong><br />
unternehmenskultur<br />
titelthema<br />
Sonntagmittag und das Unwohlsein<br />
nimmt zu: Morgen geht’s wieder ins<br />
Büro. Mal sehen, welche Katastrophen,<br />
schlechtkoordinierte Arbeitsanweisungen,<br />
Meckereien, destruktive Kritik<br />
des Chefs, andere schlecht gelaunte Kolleginnen<br />
und Kollegen – von den Führungskräften<br />
gar nicht zu sprechen – dort wieder warten.<br />
Wäre doch schon wieder Freitagabend. So<br />
sieht der Sonntagnachmittag vielerorts in<br />
Deutschland aus. Eindeutige Indizien für ein<br />
schlechtes Betriebsklima!<br />
Schlechtes Betriebsklima macht krank<br />
Die Unternehmenskultur hat entscheidenden<br />
Einluss auf die Gesundheit und den Krankenstand<br />
der Belegschaft – so eine Studie der<br />
AOK. 1 Für das Schwerpunktthema »Unternehmenskultur<br />
und Gesundheit – Herausforderungen<br />
und Chancen« wurden 2016 mehr als 2.000<br />
Beschäftigte zwischen 16 und 65 Jahren befragt.<br />
Zwei Drittel der Mitarbeiter von Unternehmen<br />
mit schlechter Unternehmenskultur stellen einen<br />
Zusammenhang zwischen ihrer Arbeit und<br />
physischen Beschwerden her. Für die Arbeitgeber<br />
ist das ein schlechtes Geschäft, denn rund<br />
ein Drittel der Mitarbeiter in Betrieben mit einer<br />
als schlecht empfundenen Unternehmenskultur<br />
ist mehr als 15 Tage im Jahr krankgeschrieben.<br />
darum geht es<br />
1. Das Betriebsklima<br />
kann sich auf das Arbeitsverhalten<br />
der Beschäftigten<br />
auswirken.<br />
2. Oftmals ist auch<br />
das Führungsverhalten<br />
ausschlaggebend für das<br />
Betriebsklima.<br />
3. Ist das Klima schlecht,<br />
sind Konlikte vor programmiert<br />
und kosten<br />
Unternehmen bares Geld.<br />
Unternehmenskultur ist entscheidend<br />
Für den Mitherausgeber des Fehlzeitenreports<br />
2016, Professor Bernhard Badura von der Universität<br />
Bielefed, ist Stress nicht der entscheidende<br />
Punkt, der krank macht, sondern die<br />
Unternehmenskultur. Die ausgewerteten Daten<br />
spiegeln wider, welche Faktoren entscheidend<br />
sind für die Gesundheit der Beschäftigten und<br />
für den Krankenstand in einem Unternehmen.<br />
Er benennt immaterielle Faktoren wie Kultur,<br />
Klima und Führung als Haupttreiber von<br />
Arbeitsfähigkeit, Erschöpfung und Fehlzeiten.<br />
Fehlzeitenstatistiken sagen dabei viel aus über<br />
den Gesundheitszustand eines Unternehmens<br />
und wenig über den Gesundheitszustand seiner<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter!<br />
Für die Kultur und die zwischenmenschliche<br />
Beziehung ist es wichtig: wie miteinander<br />
kommuniziert wird: Wird gebrüllt und werden<br />
Anweisungen im Kasernenton gegeben oder<br />
wird in respektvollem und wertschätzendem<br />
Ton miteinander gesprochen. Laut Badura<br />
Prof. Dr. Bernhard<br />
Badura, Fakultät für Gesundheitswissenschaften<br />
der Universität Bielefeld<br />
(emeritiert) und Mitherausgeber<br />
des AOK Fehlzeiten-Reports<br />
(2016).<br />
1 »AOK Fehlzeiten-Report 2016« des Wissenschaftlichen Instituts<br />
der AOK (WIdO).<br />
11
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Fit fürs Finale<br />
<strong>AiB</strong> 4 | <strong>2017</strong><br />
Fit fürs Finale<br />
weiterbildung Es gibt viele gute Gründe für Betriebsräte, Seminare<br />
zu besuchen. Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts<br />
gilt das auch noch kurz vor der Betriebsratswahl.<br />
VON ISAF GÜN UND THOMAS GORSBOTH<br />
darum geht es<br />
1. Früher war es<br />
schwierig, kurz vor den<br />
Neuwahlen Betriebsratsmitglieder<br />
zu Seminaren<br />
zu schicken.<br />
2. Nach einer neueren<br />
BAG-Entscheidung<br />
sollten Grundlagenseminare<br />
bis kurz vor<br />
Ende der Amtsperiode<br />
besucht werden.<br />
3. Der Betriebsrat<br />
kann ohne besondere<br />
Begründung Grundlagenseminare<br />
für seine Mitglieder<br />
für das gesamte<br />
Jahr <strong>2017</strong> durchführen.<br />
Im Jahr 2018 ist es wieder soweit: Regelmäßig<br />
wie die Fußballweltmeisterschaft<br />
inden im nächsten Jahr die Betriebsratswahlen<br />
statt. Welche Auswirkungen hat<br />
das auf die Qualiizierung von Betriebsratsmitgliedern?<br />
Es ist nicht zu übersehen: Gegen Ende<br />
der Amtsperiode halten sich viele Betriebsräte<br />
mit Seminarbesuchen zurück. Die Gründe dafür<br />
mögen verschieden sein. In rechtlicher Hinsicht<br />
steht dem aber nichts im Wege. So hat es<br />
das Bundesarbeitsgericht (BAG) schon im Jahr<br />
2008 entschieden. Ofensichtlich ist das auch<br />
nach fast einem Jahrzehnt immer noch zu wenig<br />
bekannt. Grund genug sich sich damit noch<br />
einmal eingehend zu beschäftigen.<br />
Was meint erforderlich?<br />
Im Kern geht es – wie so oft im Arbeitsrecht –<br />
um die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegrifs,<br />
und das »Zauberwort« heißt hier »erforderlich«.<br />
Nach § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG<br />
sind Betriebsratsmitglieder bezahlt freizustellen<br />
»für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen,<br />
soweit diese Kenntnisse<br />
vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats<br />
erforderlich sind«.<br />
Die Vermittlung von Kenntnissen ist für<br />
die Betriebsratsarbeit erforderlich, wenn diese<br />
unter Berücksichtigung der konkreten Situation<br />
im Betrieb und im Betriebsrat benötigt<br />
werden, damit das Gremium seine derzeitigen<br />
oder demnächst anfallenden gesetzlichen<br />
Aufgaben wahrnehmen kann. 1<br />
Grundlagen und Spezialwissen<br />
Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte unterscheidet<br />
schon seit langer Zeit zwischen<br />
Seminaren, die Grundlagenwissen vermitteln<br />
und anderen, spezielleren Schulungsveranstaltungen.<br />
Grundlagenseminare sind für jedes<br />
Betriebsratsmitglied erforderlich. Durch<br />
die Vermittlung von elementarem Wissen<br />
soll das Betriebsratsmitglied erst in die Lage<br />
versetzt werden, seine sich aus dem Amt ergebenden<br />
Rechte und Plichten ordnungsgemäß<br />
wahrzunehmen.<br />
Betriebsbezogener Anlass notwendig<br />
Für weitere Betriebsratsqualiizierungen muss<br />
ein aktueller, betriebsbezogener Anlass bestehen.<br />
Die in den Seminaren zu erwerbenden<br />
besonderen Kenntnisse müssen derzeit oder<br />
in naher Zukunft vom Betriebsratsmitglied<br />
benötigt werden, damit das Gremium seine<br />
Beteiligungsrechte, wie es immer wieder etwas<br />
verschnörkelt heißt, »sach- und fachgerecht«<br />
ausüben kann. Hingegen ist bei Schulungsveranstaltungen,<br />
auf denen das für die Ausübung<br />
des Betriebsratsamts unverzichtbare Grundlagenwissen<br />
vermittelt wird, immer davon auszugehen,<br />
dass diese vom Betriebsratsmitglied<br />
entweder alsbald oder zumindest demnächst<br />
benötigt werden, um seine Betriebsratsaufgaben<br />
erfüllen zu können. 2<br />
Grundlagen nach der Rechtsprechung<br />
Daher kann jedes Betriebsratsmitglied zu einer<br />
Grundlagenschulung entsandt werden, ohne<br />
dass dies mit konkreten betrieblichen Angelegenheiten<br />
begründet werden müsste. Zu diesen<br />
Seminaren zählt die Rechtsprechung bislang<br />
Veranstaltungen, auf denen Grundlagen im<br />
· Betriebsverfassungsrecht<br />
· allgemeinen Arbeitsrecht<br />
· in Arbeitssicherheit und Unfallverhütung<br />
vermittelt werden.<br />
1 BAG 14.1.2015 – 7 ABR 95/12, BAG 12.1. 2011 – 7 ABR 94/09, BAG<br />
18.1.2012 – 7 ABR 73/10, BAG 20.8. 2014 – 7 ABR 64/12.<br />
2 Neben den genannten Entscheidungen siehe auch:<br />
BAG 17.11.2010 – 7 ABR 113/09.<br />
34
<strong>AiB</strong> 4 | <strong>2017</strong> Fit fürs Finale grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Die Teilnahme an einem Seminar, in dem diese<br />
Grundkenntnisse unterrichtet werden, bedarf<br />
also keiner besonderen Begründung der Erforderlichkeit.<br />
Der Betriebsrat fasst einen Beschluss<br />
– und fertig!<br />
Das gibt’s noch nicht lange<br />
Dies galt jedoch bis 2008 dann nicht, wenn<br />
das Seminar kurz vor Ende der Amtszeit des<br />
Betriebsrats stattfand. In diesem Fall musste<br />
besonders dargelegt werden, warum das Seminar<br />
für den Rest der Amtszeit erforderlich sei.<br />
Das BAG hielt in seiner früheren Entscheidung<br />
3 in solchen Fällen die Erforderlichkeit<br />
der Schulung im Hinblick auf die Nutzung<br />
der Lehrinhalte gegen Ende der Amtszeit<br />
für besonders begründungsbedürftig. Es galt<br />
sinngemäß, dass Betriebsräte in der Regel ab<br />
einem halben Jahr vor Ablauf der Amtszeit<br />
keinen Qualiizierungsanspruch mehr hätten,<br />
es sei denn, es ergebe sich ein konkret<br />
benennbarer betrieblicher Anlass.<br />
Rechtsprechung hat sich geändert<br />
Vergangene Zeiten! Mit seiner Entscheidung<br />
aus dem Jahre 2008 hat das BAG seine<br />
Rechtsprechung grundlegend geändert. 4 Jetzt<br />
gilt, dass der Betriebsrat die Erforderlichkeit<br />
der Vermittlung von Grundkenntnissen nicht<br />
mehr nur deshalb darlegen muss, weil die<br />
Schulungsveranstaltung kurz vor dem Ende<br />
der Amtszeit liegt. Es wird nun ausdrücklich<br />
gewürdigt, dass der Betriebsrat seine gesetzlichen<br />
Aufgaben auch gegen Ende der Amtsperiode<br />
nur dann erfüllen kann, wenn alle<br />
Mitglieder über ein Mindestmaß an Wissen<br />
über die Rechte und Plichten einer Arbeitnehmervertretung<br />
verfügen. Daher überwiegt<br />
regelmäßig das Interesse des Betriebsrats an<br />
der Vermittlung des erforderlichen Grundwissens<br />
gegenüber den Interessen des Arbeitgebers.<br />
Der Beurteilungsspielraum des<br />
Betriebsrats bei der Beschlussfassung ist zu<br />
respektieren.<br />
Die Grenze markiert der Rechtsmissbrauch:<br />
Es sieht nur dann anders aus, wenn<br />
für den Betriebsrat deinitiv absehbar ist, dass<br />
das Betriebsratsmitglied in seiner verbleibenden<br />
Amtszeit das vermittelte Wissen nicht<br />
mehr benötigt oder die Amtszeit des Betriebsrats<br />
am letzten Tag der Schulung oder wenige<br />
Tage nach Abschluss des Seminars endet. 5<br />
Dies setzt eine hinreichend sichere Einschätzung<br />
des Betriebsrats über die bis zum Ende<br />
der Amtszeit noch anfallenden Betriebsratsaufgaben<br />
voraus. Ist er nicht imstande, dies<br />
zu beurteilen, kann er jedenfalls die Teilnahme<br />
eines erstmalig in den Betriebsrat gewählten<br />
Betriebsratsmitglieds als erforderlich im<br />
Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG ansehen. Das<br />
wird in aller Regel so sein! Wie kann ein Betriebsrat<br />
künftiges Arbeitgeberhandeln prognostizieren,<br />
von dem dieser möglicherweise<br />
selbst noch nichts weiß?<br />
Das Ergebnis ist klar und eindeutig: Der<br />
Betriebsrat kann ohne besondere Begründung<br />
Grundlagenseminare für seine Mitglie-<br />
»Würde Jogi Löw<br />
aufs Training<br />
verzichten, wenn<br />
es die Mannschaft<br />
bis ins Finale<br />
geschaft hat?«<br />
ISAF GÜN / THOMAS GORSBOTH<br />
Genau wie beim Fußball<br />
das Training, ist für<br />
Betriebsratsmitglieder<br />
Grundlagenwissen<br />
immer wichtig.<br />
3 BAG 7.6.1989 – 7 ABR 26/88.<br />
4 BAG 7.5.2008 – 7 AZR 90/07. Das LAG Hessen bestätigt und<br />
ergänzt mit seinem Urteil vom 4.11. 2013 – 16 TaBVGa 179/13.<br />
5 Gabriele Peter, IG Metall Handlungshilfe für Betriebsräte und<br />
Vertrauensleute, H. 3: Schulung und Bildung von Betriebsratsmitgliedern<br />
(2015), S. 73; LAG Köln 11.4.2002 – 10 TaBV 50/01.<br />
35
echt erfolgreich durchsetzen<br />
Dauerbrenner: Beschlussfassung<br />
<strong>AiB</strong> 4 | <strong>2017</strong><br />
Dauerbrenner:<br />
Beschlussfassung<br />
protokollführung Betriebsratsbeschlüsse sind der Dreh- und<br />
Angelpunkt für die Ausübung der Mitbestimmung. Oft zweifeln<br />
Arbeitgeber die ordnungsgemäße Beschlussfassung an. Hiergegen<br />
hilft eine sorgfältige Protokollführung des Betriebsrats.<br />
VON STEFANI DACH<br />
darum geht es<br />
1. Oft können die Umstände<br />
der Beschlussfassung<br />
im Nachhinein<br />
nur schwer nachvoll -<br />
zogen werden.<br />
2. Dem kann der<br />
Betriebs rat durch eine<br />
sorgfältige Protokollführung<br />
vorbeugen.<br />
3. Das Protokoll<br />
sollte den Wortlaut<br />
der Beschlüsse und<br />
die Stimmen mehrheit,<br />
mit der sie gefasst<br />
wurde, enthalten.<br />
In Gerichtsverfahren bestreiten Arbeitgeber<br />
häuig, dass der Betriebsrat den Beschluss<br />
für die Einleitung des Verfahrens<br />
und/oder sonstige verfahrensrelevante<br />
Beschlüsse ordnungsgemäß gefasst hat. Oft<br />
können die Umstände der Beschlussfassung<br />
im Nachhinein nur schwer nachvollzogen<br />
werden. Dem kann der Betriebsrat durch eine<br />
sorgfältige Protokollführung vorbeugen.<br />
Rechtzeitige Ladung unter Mitteilung<br />
der Tagesordnung<br />
Nach § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG hat der Vorsitzende<br />
die Betriebsratsmitglieder rechtzeitig<br />
unter Mitteilung der Tagesordnung zu den Sitzungen<br />
zu laden. Im Gesetz sind weder eine<br />
Frist noch eine bestimmte Form vorgesehen.<br />
Hat der Betriebsrat festgelegt, dass die Sitzungen<br />
regelmäßig zu einer bestimmten Zeit stattinden,<br />
so müssen die ordentlichen Mitglieder<br />
nicht gesondert geladen werden, jedoch ist<br />
auch in diesem Fall die Tagesordnung rechtzeitig<br />
mitzuteilen. 1 Den Betriebsratsmitgliedern<br />
soll hierdurch eine sachgerechte Vorbereitung<br />
ermöglicht werden. 2 Gerade bei schwierigen<br />
und/oder umfangreichen Themen könnten ein<br />
oder zwei Tage hierfür als nicht ausreichend<br />
angesehen werden; drei bis vier Tage dürften<br />
in der Regel aber genügen.<br />
Fehlen Tagesordnungspunkte oder die gesamte<br />
Tagesordnung, kann dieser Verfahrensmangel<br />
nach der aktuellen Rechtsprechung<br />
des Bundesarbeitsgerichts (BAG) unter folgenden<br />
Voraussetzungen geheilt werden:<br />
· ansonsten ordnungsgemäße Ladung (bei<br />
turnusmäßiger Sitzung entbehrlich für die<br />
ordentlichen Mitglieder)<br />
· Beschlussfähigkeit (mindestens die Hälfte<br />
der Mitglieder, § 33 Abs. 2 BetrVG)<br />
· einstimmige Ergänzung oder Erstellung der<br />
Tagesordnung 3<br />
Eine Protokollierung der<br />
Beschlussfassung hilft bei<br />
Streitigkeiten vor Gericht.<br />
Ist die Tagesordnung zwar vollständig mitgeteilt<br />
worden, bestehen aber Zweifel, ob dies<br />
rechtzeitig erfolgt ist, sollte der Betriebsrat die<br />
Tagesordnung einstimmig bestätigen. Denn<br />
wenn sogar das Fehlen einer Tagesordnung auf<br />
diese Weise geheilt werden kann, so muss dies<br />
entsprechend auch für eine nicht rechtzeitig<br />
mitgeteilte Tagesordnung gelten. 4<br />
40<br />
1 Vgl. LAG Düsseldorf 26.10.2007 – 9 TaBV 54/07.<br />
2 Vgl. BAG 15.4.2014 – 1 ABR 2/13.<br />
3 Vgl. BAG 22.1.2014 – 7 AS 6/13 (früher vorausgesetzt: Anwesenheit<br />
aller Mitglieder) u. 15.4.2014 – 1 ABR 2/13.<br />
4 Vgl. LAG Düsseldorf 26.10.2007 – 9 TaBV 54/07.<br />
5 Vgl. BAG 28.10.1992 – 7 ABR 14/92.<br />
6 Vgl. Fitting, BetrVG, 28. Aufl., § 29, Rdnr. 39.<br />
7 Vgl. Fitting, BetrVG, § 29, Rdnr. 34a.<br />
8 Vgl. BAG 15. 4.2014 – 1 ABR 2/13.
<strong>AiB</strong> 4 | <strong>2017</strong> Dauerbrenner: Beschlussfassung recht erfolgreich durchsetzen<br />
Eine Beschlussfassung unter dem Tagesordnungspunkt<br />
»Verschiedenes« sollte möglichst<br />
vermieden werden. Dieser Tagesordnungspunkt<br />
steht nach der Rechtsprechung für die<br />
dort gefassten Beschlüsse dem Fehlen einer<br />
Tagesordnung gleich. 5 Liegen bei einem unter<br />
diesem Tagesordnungspunkt gefassten<br />
Beschluss die Voraussetzungen für eine Ergänzung<br />
der Tagesordnung vor (im Übrigen<br />
ordnungsgemäße Ladung, Beschlussfähigkeit,<br />
Einstimmigkeit), ist er wohl dennoch wirksam.<br />
Sicherheitshalber sollte aber zunächst<br />
einstimmig die Ergänzung der Tagesordnung<br />
beschlossen und dann erst der entsprechende<br />
inhaltliche Beschluss gefasst werden.<br />
Beschlussfassung unter Einbeziehung<br />
von Ersatzmitgliedern<br />
»Das Protokoll<br />
hat vor Gericht<br />
einen hohen<br />
Beweiswert.«<br />
STEFANI DACH<br />
Nach § 29 Abs. 2 Satz 5 BetrVG soll ein Betriebsratsmitglied<br />
seine Verhinderung unverzüglich<br />
unter Angabe von Gründen dem<br />
Vorsitzenden mitteilen. Eine entsprechende<br />
Verplichtung kann in der Geschäftsordnung<br />
festgelegt werden. 6 Typische Verhinderungsfälle<br />
sind Krankheit, Urlaub, Dienstreisen oder<br />
Schulungsmaßnahmen, nicht aber fehlendes<br />
Interesse. Bei einer zeitlichen Kollision mit<br />
dringenden berulichen Plichten hat das Betriebsratsmitglied<br />
eigenverantwortlich zu entscheiden,<br />
welche Plicht vorrangig wahrzunehmen<br />
ist, wobei im Zweifel die Teilnahme an<br />
der Betriebsratssitzung vorgeht. 7 Das tatsächliche<br />
Vorliegen eines Verhinderungsgrundes<br />
aufgrund einer Plichtenkollision hat der Vorsitzende<br />
grundsätzlich nicht nachzuprüfen. 8<br />
Aus rechtlichen Gründen verhindert ist ein Betriebsratsmitglied<br />
bei Entscheidungen, von denen<br />
es unmittelbar betrofen ist, beispielsweise<br />
Umgruppierung, Versetzung oder Kündigung.<br />
In Fällen der Verhinderung hat der Vorsitzende<br />
nach § 29 Abs. 2 Satz 6 BetrVG »das Ersatzmitglied«<br />
zu laden. Welches das jeweils ist, ergibt<br />
sich aus § 25 Abs. 2 BetrVG. Die Reihenfolge<br />
richtet sich – unter Berücksichtigung der Geschlechterquote<br />
– nach der Vorschlagsliste<br />
(Listenwahl) oder der erreichten Stimmenzahl<br />
(Personenwahl) und ist zwingend. Wird bei der<br />
Heranziehung gegen sie verstoßen, leiden die in<br />
der Sitzung gefassten Beschlüsse an einem erheblichen<br />
Mangel und sind unwirksam. 9 Ist das<br />
Ersatzmitglied seinerseits verhindert, muss das<br />
ihm in der Reihenfolge des § 25 Abs. 2 BetrVG<br />
nachfolgende Ersatzmitglied geladen werden.<br />
Anwesenheitsliste genau führen<br />
In der Anwesenheitsliste sollten zur besseren<br />
Nachverfolgbarkeit die Verhinderungsgründe<br />
sowie die Reihenfolge der Ersatzmitglieder<br />
(und ggf. auch deren Verhinderungsgründe)<br />
vermerkt werden. Von Vorteil kann auch die<br />
Archivierung der Einladung/Mitteilung der<br />
Tagesordnung sein.<br />
Inhalt und Beweiswert des Protokolls<br />
Den Mindestinhalt des Protokolls gibt § 34<br />
Abs. 1 Satz 1 BetrVG vor: Der Wortlaut der Beschlüsse<br />
und die Stimmenmehrheit, mit der sie<br />
gefasst sind. Dabei sollten auch die Stimmenthaltungen<br />
aufgeführt werden, da es für die Beschlussfähigkeit<br />
darauf ankommt, wie viele Mitglieder<br />
an der Beschlussfassung teilgenommen<br />
haben (§ 33 Abs. 2 BetrVG). Das Protokoll ist<br />
vom Vorsitzenden und einem weiteren Mitglied<br />
zu unterzeichnen (§ 34 Abs. 1 Satz 2 BetrVG).<br />
Daneben sind eine von den Teilnehmern unterzeichnete<br />
Anwesenheitsliste (§ 34 Abs. 1<br />
Satz 3 BetrVG) und eventuelle schriftliche Einwendungen<br />
gegen den Inhalt der Niederschrift<br />
(§ 34 Abs. 2 Satz 2 BetrVG) beizufügen.<br />
Wegen dieser Vorgaben kommt dem Protokoll<br />
ein hoher Beweiswert zu. Ergibt sich<br />
daraus die ordnungsgemäße Beschlussfassung,<br />
obliegt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert<br />
zu erschüttern oder den Gegenbeweis<br />
anzutreten. Dies gilt auch hinsichtlich etwaiger<br />
Ladungsmängel. 10 v<br />
Stefani Dach, Rechtsanwältin,<br />
Rechtsanwälte Bell & Windirsch<br />
Britschgi & Koll, Düsseldorf.<br />
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9 Vgl. BAG 18.1.2006 – 7 ABR 25/05.<br />
10 Vgl. BAG 30.9.2014 – 1 ABR 32/13.<br />
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Laut BAG vom 19. März 2014 ist die Zeitschrift »<strong>AiB</strong>«<br />
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