Achtsames Leben Frühjahr 2017
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ewusstes leben<br />
Am Anfang ein Traum<br />
aus den krisenhaften Situationen einer kulturellen<br />
Stufe und der Zug entsteht durch die Anziehungskraft<br />
neuer Werte einer neuen Stufe. Damals<br />
in der DDR war der Druck die unerträgliche<br />
Enge von ideologischer Gleichschaltung und<br />
Überwachung und der Zug war die Verheißung<br />
der Freiheit, eines selbstbestimmten <strong>Leben</strong>s.<br />
Auch heute stehen wir an einer Schwelle, wo<br />
wir den evolutionären Druck deutlich spüren,<br />
in einer Welt voller grassierender Konflikte und<br />
Probleme. Aber was zieht uns in die Zukunft?<br />
Das Salz der Erde<br />
Vor einiger Zeit sah ich den Film „Das Salz der<br />
Erde“ von Wim Wenders über den Fotografen<br />
Sebastião Salgado. In seiner Karriere als weltbekannter<br />
Fotograf zog es ihn immer wieder an<br />
Orte, wo sich schreckliche menschliche Tragödien<br />
ereigneten. Er wollte das Auge der Welt<br />
sein und uns allen zeigen, was heute auf unserem<br />
Planeten geschieht. So kam er auch in<br />
den Konflikt zwischen den Hutu und Tutsi in<br />
Ruanda, bei dem etwa eine Million Tutsi umkamen<br />
und die Welt tatenlos zuschaute. Diese Erfahrung<br />
stürzte Salgado in eine tiefe Krise: „Als<br />
ich dort wegging, glaubte ich an nichts mehr.<br />
Nichts könnte die Menschheit mehr retten. So<br />
etwas könnten wir nicht überleben! Wir hatten<br />
es nicht verdient zu leben. Niemand!“ Er hörte<br />
mit dem Fotografieren auf und zog sich auf die<br />
Farm seiner Eltern in Brasilien zurück. Im Laufe<br />
der Zeit fand er eine Antwort auf die Verzweiflung.<br />
Das Tal, in dem die Farm seiner Eltern<br />
stand, war einst dicht bewaldet gewesen, heute<br />
war es Steppe. Raubbau und Dürre hatten das<br />
Land zerstört. Zusammen mit seiner Frau fasste<br />
Salgado einen unmöglich scheinenden Entschluss:<br />
das Tal wieder aufzuforsten. Sie ließen<br />
zweieinhalb Millionen Regenwaldbäume pflanzen,<br />
wodurch sich das Ökosystem mit der Zeit<br />
wieder erholen konnte. Das Land schenkten<br />
sie dem brasilianischen Staat als Nationalpark<br />
und gründeten das „Instituto Terra“, um an anderen<br />
Orten ähnliche Aufforstungsprogramme<br />
durchzuführen. Salgado fand aus seinem Lei-<br />
den an der Lage unserer Welt eine kreative Antwort.<br />
Und er konnte auch wieder fotografieren:<br />
Für sein Projekt „Genesis“ bereiste er unberührte<br />
Orte der Erde und brachte die Schöpfung, von<br />
der wir ein Teil sind und deren Bewahrung unsere<br />
Aufgabe ist, in beeindruckende Bilder, die<br />
Millionen Menschen erreichen.<br />
Dem <strong>Leben</strong> antworten<br />
An der Geschichte von Sebastião Salgado berührt<br />
mich besonders, wie vollkommen er sich<br />
dem „Druck“ unserer krisenhaften Weltsituation<br />
ausgesetzt hat, damit aber so umgehen konnte,<br />
dass er seinen „Zug“ spüren, ihm folgen und<br />
ihn umsetzen konnte. Wir alle können leicht<br />
überwältigt werden von der Komplexität und<br />
der Vielzahl der Probleme in unserer Welt. Aber<br />
wenn wir uns mit dem Zug, der Verheißung des<br />
Neuen, unserer Vision, dem „utopischen Feld“<br />
verbinden, gehen wir existenziell in eine andere<br />
Dimension. Denn in dieser Ahnung eines besseren<br />
<strong>Leben</strong>s, von tieferer Wahrheit, Schönheit<br />
und Güte, zeigt sich in unserem Bewusstsein<br />
die kreative Kraft des <strong>Leben</strong>sstromes selbst.<br />
Der Philosoph Maik Hosang, den ich vor Kurzem<br />
bei einem Vortrag erlebte, nennt diesen schöpferischen<br />
Impuls unseres Wesens in Anlehnung<br />
an evolutionäre Denker wie Jean Gebser oder<br />
Sri Aurobindo das „evolutionäre Selbst“ oder das<br />
„seelische Wesen“, das sich als Inspiration, Freude<br />
und Verbundenheit mit dem noch nicht Gewordenen<br />
zeigt. Aus dieser Berührung mit der<br />
Energie des Möglichen in uns selbst kämpfen<br />
wir nicht so sehr gegen die bestehenden Verhältnisse,<br />
als vielmehr für die Vision von Freiheit,<br />
Würde, Gerechtigkeit, Frieden und Mitgefühl,<br />
die wir in unserem Geist erahnen. Das ist<br />
nicht nur ein anderer kognitiver Fokus, sondern<br />
verbindet uns auch mit der positiven Energie<br />
des <strong>Leben</strong>s, das sich in mehr <strong>Leben</strong> hinein entfalten<br />
will und sich in uns seiner selbst und seiner<br />
Möglichkeiten bewusst wird. Hosang zitiert<br />
den Soziologen Herbert Marcuse, der eine „ästhetisch-erotische<br />
Transformation“ forderte. Eine<br />
Transformation, die bewegt wird von den Kräften<br />
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