Katalog WENN ALLES ANDERS | Outsider Art
Outsider Art - Gesamtkatalog Künstler & Oeuvre WENN ALLES ANDERS Malwerkstatt Bad Dürkheim, behinderte & nichtbehinderte Künstler, unter der künstlerischen Leitung von Wolfgang Sautermeister
Outsider Art - Gesamtkatalog Künstler & Oeuvre WENN ALLES ANDERS Malwerkstatt Bad Dürkheim, behinderte & nichtbehinderte Künstler, unter der künstlerischen Leitung von Wolfgang Sautermeister
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Wie bist du auf die Idee gekommen, das Projekt »Malwerkstatt«<br />
anzugehen?<br />
Ich hatte vor 1998 bereits Kontakt zu den Mitarbeitern<br />
der Lebenshilfe durch verschiedene Weiterbildungsveranstaltungen,<br />
die ich geleitet hatte und bei denen künstlerisches<br />
Arbeiten eine zentrale Rolle spielte. Gegen Ende<br />
dieser Fortbildungen schlug ich dem damaligen Heimleiter<br />
Volker Kühnemund die Gründung eines Ateliers vor<br />
für die Bewohner sowie die Mitarbeiter der Lebenshilfe:<br />
als einen Ort, an dem der Mensch und die Kunst eine entscheidende<br />
Rolle spielen oder andersherum gesagt, als<br />
einen Spielort, einen Spielraum der Künste, einen Spielraum<br />
für etwas Neues. Volker Kühnemund hat mich bei<br />
der Gründung des Ateliers von der ersten Stunde an sehr<br />
unterstützt. Er war von der Idee begeistert, und ich konnte<br />
durchstarten. Heute noch, 16 Jahre später, besuchen das<br />
Atelier ein nicht unerheblicher Teil der von damals. Leider<br />
hat sich meine Idee, dass auch Mitarbeiter das Atelier<br />
besuchen, nicht verwirklichen lassen.<br />
Komm, wir gehen<br />
noch einen<br />
Schritt weiter<br />
Interview mit Wolfgang Sautermeister<br />
/ Pamela Pachl<br />
Hast du manchmal Zweifel an dieser Arbeit?<br />
Ja, die habe ich. Immer wieder frage ich mich, ist das richtig,<br />
was ich da mache? Ist es richtig, sich in einen Ausstellungsbetrieb<br />
zu begeben? Ist es richtig, was mit den Arbeiten<br />
der Künstler passiert? Was ich damit mache? Ich hinterfrage<br />
meine Rolle schon, das ist so. Ich bringe da viel<br />
Power, Besucher, andere Künstler, Galeristen, Fotografen,<br />
Politiker, Schulklassen, Kunststudenten, Ausstellungen<br />
und auch Musiker rein. Ich fordere eigentlich alle heraus<br />
mit meiner kreativen Unruhe. Selbstverständlich strahlt<br />
das auch zurück, hat Wirkung, und ich will ja, dass die<br />
Arbeit wahrgenommen wird, dass sie diskutiert wird, dass<br />
Begegnungen und auch Reibung entstehen.<br />
Es ist immer wieder auch ein Drahtseilakt zwischen<br />
Unterforderung und Überforderung für mich wie für die<br />
Künstler. Aber ich sehe schon auch, dass sich die Künstler<br />
des Ateliers freuen, an dem was da passiert. Dass sie,<br />
wenn sie an einer Performance teilnehmen, wenn sie ihre<br />
Bilder ausgestellt sehen usw., dass sie daran wachsen,<br />
stärker werden und ihre Persönlichkeit ganz anders zum<br />
tragen kommt. Das ist allerdings kein leichter Prozess, es<br />
gilt da immer wieder neue Hürden zu nehmen für alle<br />
Beteiligten. Es gilt auch jeden einzelnen der Künstler in<br />
ihrer Arbeit wahrzunehmen, in ihrem gestellt sein wahrzunehmen,<br />
auch das gibt Impulse – auch solche, die nicht<br />
in Aktivitäten ausarten müssen.<br />
Wie fühlst du dich nach einem Tag in der Malwerkstatt?<br />
Mit welchem Gefühl gehst du wieder nach Hause?<br />
Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal passiert soviel in<br />
ein paar Stunden, dann wieder komme ich kaum zum<br />
Nachdenken, ich mache mir Notizen, versuche in Worte<br />
zu fassen, was ich gesehen habe an kleinen Bewegungen,<br />
an Geräuschen, an Fragen, an Verzweiflung, an gemalten<br />
Bildern. Es passiert ja ständig etwas. Und nahezu immer<br />
ist zu wenig Zeit dafür da, was noch alles gemacht werden<br />
müsste. Manchmal schaue ich aber auch nur einfach aus<br />
dem Fenster der Bahn, mit der ich fahre und lasse das, was<br />
war ausklingen. Es gibt auch Zeiten im Atelier mit den<br />
behinderten Künstlern, die sehr anstrengend sind, die mir<br />
zu laut sind, zu chaotisch, oder wo etwas passiert ist, was<br />
mich sehr berührt hat.<br />
Woher nimmst du deine Ideen zur Inspiration/Aufgabenstellung<br />
für deine Arbeit im Atelier?<br />
Nun, einige der Künstler des Ateliers arbeiten ausschließlich<br />
nach ihren eigenen Ideen. Sie fragen mich nur, wenn<br />
Probleme in der Umsetzung entstehen. Wichtig ist, dass ich<br />
da bin. Aber wie ich schon sagte, gebe ich auch Impulse,<br />
indem ich zum Beispiel irgendwelche Fotokopien verteile<br />
oder bestimmte Farben besorge, indem ich für uns ganz<br />
unterschiedliche Formate als Bildträger anfertigen lasse,<br />
eine bestimmte CD auflege oder ein einziges Wort vergrößert<br />
an der Wand befestige. Daraus entstehen dann<br />
Gespräche, kurze oder längere, oder es entsteht ein Bild<br />
oder sogar eine ganze Reihe von Bildern. Es gibt auch<br />
Kunstkataloge, Ausstellungsplakate, ganz unterschiedliche<br />
Fotografien.<br />
Zudem bringen manche auch ihre eigenen Materialien<br />
mit wie zum Beispiel Gabi Deremaux ein Buch über<br />
Heidi, oder eines über das Leben Jesu und danach malt<br />
sie, damit arbeitet sie, über Monate! Ihre Themen strahlen<br />
aber auch auf die Arbeit der anderen aus, auch weil<br />
sie sehr kommunikativ ist. Andere arbeiten ganz still vor<br />
sich hin, ohne dass da auch nur ein Wort fallen würde.<br />
Wenn ein Bild dann irgendwann mal an der Wand hängt,<br />
schauen die anderen schon was das ist, oder ich fordere<br />
sie auf und frage sie, was sie davon halten.<br />
Vieles an Ideen entsteht beim genauen Beobachten von<br />
dem was sich abspielt, was gesprochen wird, was jemand an<br />
hat usw. Besucher des Ateliers sind immer wieder erstaunt<br />
darüber, wie konzentriert die Atmosphäre ist. Nun, es ist<br />
doch klar, dass es genau das Gegenteil auch gibt: ausgelassene<br />
Abende, wo rumgeblödelt wird, Quatsch gemacht<br />
wird sind ebenso wichtig.<br />
Hat die Arbeit in der Malwerkstatt auch schon Einflüsse<br />
auf deine persönliche Kunst als Wolfgang Sautermeister?<br />
Aber ja, wie oben beschrieben, versuche ich ja nicht so<br />
viele »Aufgaben« zu geben, sondern mehr die Einzelnen<br />
zu unterstützen in dem was aus ihnen kommt, was sich da<br />
zeigt und meldet. Es kommt aber schon auch vor, dass ich<br />
mir was überlege, weil ich denke es könnte für uns alle<br />
spannend sein, auch mal was ganz anderes zu machen. Da<br />
muss ich dann schon eine Menge an Geschick aufbringen,<br />
dass es gelingt und auch eine gewisse Hartnäckigkeit und<br />
Unerschrockenheit an den Tag legen.<br />
Aufgaben und Ideen bringen allerdings auch die Künstler<br />
des Ateliers ein, das geht nicht nur von mir aus. Experimente<br />
und oder Auf gaben gehen hie und da schief. Es ist<br />
wichtig, nicht nur auf Resultate zu schauen. Manchmal<br />
geht etwas nicht, und durch die Misserfolge und weiteres<br />
Arbeiten entstehen neue Ideen.<br />
Ganz grundsätzlich bin ich dann am glücklichsten, wenn<br />
die einzelnen konzentriert an der Arbeit sind oder wenn<br />
wir völlig außer Rand und Band sind oder die angespannte<br />
Stille vor dem Beginn einer Performance, vor der<br />
ersten Bewegung, das mag ich auch sehr. Immer wieder<br />
sehr spannend ist es, wenn ich sehen kann, wie ihre Bilder<br />
entstehen: wie sie mit ihren Bildern umgehen, wie sie in<br />
das eintauchen was ihre ureigensten Bilder sind. Sie fragen<br />
mich, wenn Probleme auftreten beim malen (und die<br />
treten auf), und ich weiß natürlich auch nicht immer<br />
gleich weiter. Sie wollen auch meine Meinung zu ihrem<br />
Bild und die sage ich auch. Das bedeutet, dass ich durchaus<br />
Urteile abgebe. Ich sage auch, wenn mich etwas nicht<br />
überzeugt.<br />
Da ich ja selbst Künstler bin, Bilder male und Performances<br />
mache, weiß ich, von was ich spreche. Ich kenne<br />
viele der Probleme, die immer und immer und immer wieder<br />
kommen und durch die man durch muss, da führt kein<br />
Weg dran vorbei. Es ist schon eine Tortur. Nicht anders<br />
als in jeder sogenannten professionellen Kunst bedeutet<br />
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