12.05.2017 Aufrufe

NPhM_Herbst 2016

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

GRUSSWORT | CHRISTIAN STÜCKL<br />

© Gabriela Neeb<br />

Liebe Musikfreundinnen und Musikfreunde,<br />

Da sagt der kleine 12jährige syrische Flüchtling Neil Tarabulsi: „ wenn ich Chopin spiele, dann habe<br />

ich das Gefühl, dass ich fliege“ und er setzt sich ans Klavier und man glaubt es kaum, er fliegt. Da<br />

spielen wir in Oberammergau in diesem Jahr, zusammen mit den Musikern der Neuen Münchner<br />

Philharmonie, Nabucco und an vier Probentagen hintereinander sitzt der 16jährige afghanische<br />

Flüchtling Raouf Habibi in der Aufführung, schließt seinen Mund nicht mehr und erzählt völlig<br />

begeistert, dass er so etwas Schönes noch nie gehört hat. Tage später hat er ein Kostüm an und<br />

spielt mit voller Hingabe einen Soldaten in Nabuccos Heer. Da flüchtet der 17jährige afrikanische<br />

Vollwaise Bakery Jatta aus Gambia, nimmt alle Strapazen auf sich, quält sich durch die Sahara,<br />

überwindet das Mittelmeer, landet schließlich in Deutschland, spielt heute für den Hamburger<br />

HSV und begeisterte Sportreporter sprechen von einem Fußballmärchen. Die Liste ließe sich unendlich<br />

fortführen, die Liste derer, die sich aufgemacht haben, weil sie dort, wo sie gelebt haben,<br />

nicht fliegen und an keine Märchen mehr glauben konnten, und die bei uns endlich so etwas wie<br />

Freiheit für sich erwarten.<br />

Was bringen all die Diskussionen, ob der Islam zu uns passt, ob wir eine Obergrenze für Flüchtlinge<br />

brauchen, ob sich unter die Flüchtlinge IS Kämpfer gemischt haben oder ob die Flüchtlinge<br />

womöglich nur aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen. Ja, es gibt sie, die, die sich nicht<br />

integrieren, die, die eine eigenartige, gefährliche Auslegung des Koran verfolgen, und auch die,<br />

die sich einfach nur ein wirtschaftlich abgesichertes Leben wünschen. Die meisten aber sind vor<br />

Krieg, Verfolgung und Armut geflohen und sehnen sich nach Ruhe und nach der Möglichkeit,<br />

wieder an Märchen glauben zu können.<br />

Als vor etwas mehr als einem Jahr hunderttausende Flüchtlinge kamen, hat Bundeskanzlerin Merkel<br />

gesagt: WIR schaffen das! Sie sagte WIR und nicht ICH. Sie sprach dies möglicherweise aus, weil<br />

sie an uns geglaubt hat, weil sie geglaubt hat, dass WIR so etwas wie Solidarität und Empathie in<br />

uns tragen und fähig sind, eine schwierige Situation zu meistern. Heute aber zeigen viele Politiker,<br />

Journalisten und ganz einfache Bürger auf die Kanzlerin und rufen wie im Chor: SIE ist gescheitert!

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!