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Schnepel: Jesus im Römerreich

Der Weg der Gemeinde Jesu in den ersten vier Jahrhunderten

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Erich <strong>Schnepel</strong><br />

J<br />

ESUS <strong>im</strong><br />

<strong>Römerreich</strong><br />

Der Weg der Gemeinde Jesu<br />

in den ersten vier Jahrhunderten


Erich <strong>Schnepel</strong><br />

J<br />

ESUS <strong>im</strong><br />

<strong>Römerreich</strong><br />

Der Weg der Gemeinde Jesu<br />

in den ersten vier Jahrhunderten


1. Auflage der Neuausgabe 2013<br />

© Verlag Voice of Hope, Reichshof<br />

Erstmals erschienen 1936 <strong>im</strong> Furche-Verlag, Berlin<br />

unter dem Titel Christus <strong>im</strong> <strong>Römerreich</strong><br />

10 Auflagen bis 1977<br />

Dieses Buch ist auch als Hörbuch<br />

(ISBN 978-3-941456-75-4) erhältlich<br />

www.voiceofhope-shop.de<br />

Herausgeber der Printausgabe:<br />

Betanien Verlag 2012<br />

Postfach 1457 · 33807 Oerlinghausen<br />

www.betanien.de · info@betanien.de<br />

Redaktion: Hans-Werner Deppe<br />

Cover: Voice of Hope, Betanien Verlag<br />

Satz: Betanien Verlag<br />

Druck: Scandinavianbook, Arhus (Dänemark)<br />

ISBN 978-3-935558-41-9


Inhalt<br />

Vorwort zur Neuausgabe........................... 7<br />

Vorwort des Autors ............................... 9<br />

1 Das Christentum des ersten Jahrhunderts .......... 11<br />

2 Die Verschiebung der urchristlichen Botschaft<br />

<strong>im</strong> zweiten Jahrhundert ........................ 20<br />

3 Der Angriff der griechischen Geisteswelt auf das<br />

Christentum................................. 28<br />

4 Die Verschiebung <strong>im</strong> Aufbau der<br />

Christusgemeinde <strong>im</strong> zweiten Jahrhundert.......... 35<br />

5 Der römische Staat und das Christentum in den<br />

ersten beiden Jahrhunderten..................... 44<br />

6 Der letzte Kampf zwischen dem römischen Staat<br />

und der Christusbewegung ..................... 55<br />

7 Die erste Staatskirche .......................... 61<br />

8 Gegenbewegungen gegen die Verstaatlichung des<br />

Christentums <strong>im</strong> vierten Jahrhundert.............. 72<br />

9 Die Intellektualisierung des Christentums –<br />

der Einbruch des griechischen Denkens ............ 83<br />

10 Die Lage der Kirche gegen 400 .................. 97<br />

Schlusswort: Das Wesen der Gemeinde Jesu ............ 110


VORWORT<br />

zur Neuausgabe<br />

Über den Verfasser<br />

Erich <strong>Schnepel</strong> wurde 1893 in Felsberg bei Kassel geboren und<br />

wuchs in Kassel auf. Als Abiturient fand er zum Glauben an<br />

Christus und studierte bis kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs<br />

Theologie in Tübingen. Nach dem Krieg, in dem er als<br />

Offizier diente, wurde <strong>Schnepel</strong> 1918 Missionsinspektor der Berliner<br />

Stadtmission und evangelisierte unter den Arbeitern <strong>im</strong><br />

Osten Berlins. Im Dritten Reich schloss er sich der Bekennenden<br />

Kirche an. Im Zweiten Weltkrieg wurde <strong>Schnepel</strong> erneut als<br />

Offizier eingezogen. Nach Kriegsende war er bis zu seiner Pensionierung<br />

1956 Pfarrer in Großalmerode bei Kassel. Er starb 1986.<br />

Über dieses Buch<br />

Der Autor zeichnet in diesem Buch den Weg nach, den die Gemeinde<br />

Jesu <strong>im</strong> Römischen Reich während der ersten vier Jahrhunderte<br />

nahm. Es ist ein Weg des Leidens und des Triumphs<br />

zugleich: Die Nachfolger Jesu erduldeten um des Evangelium<br />

willen die schl<strong>im</strong>msten Leiden bis in den Tod, und – so erstaunlich<br />

es klingen mag – gerade dadurch triumphierten sie, wie der<br />

Herr verheißt: »Sei getreu bis in den Tod, und ich werde dir<br />

den Siegeskranz des Lebens geben« (Offb 2,10). Auch blutiger<br />

Staatsterror vermochte die Gemeinde Jesu nicht auszurotten.<br />

Durch seine innere Kraft überwand das Christentum das Hei-<br />

7


<strong>Jesus</strong> <strong>im</strong> <strong>Römerreich</strong> · Vorwort zur Neuausgabe<br />

dentum, das der Macht des Evangeliums nichts entgegenzusetzen<br />

hatte.<br />

Aus genau diesem Grund verboten die Nationalsozialisten<br />

dieses Buch und seinen Folgeband <strong>Jesus</strong> <strong>im</strong> frühen Mittelalter<br />

kurz nach ihrem Erscheinen 1939. Der Verfasser schreibt dazu:<br />

»Durch diese Darstellung … wurde die damals herrschende<br />

Weltanschauung und Geschichtsdarstellung völlig durchkreuzt.<br />

Das war auch die Absicht des Buches« (aus dem Vorwort zur<br />

4. Auflage von <strong>Jesus</strong> <strong>im</strong> frühen Mittelalter, 1978).<br />

Aber auch frühkirchliche Fehlentwicklungen und Abweichungen<br />

vom biblischen Glauben blendet der Autor nicht aus,<br />

sondern nennt sie deutlich be<strong>im</strong> Namen und stellt ihnen das biblische<br />

Vorbild wahren Christentums entgegen. Er regt dadurch<br />

<strong>im</strong>mer wieder zur kritischen Selbstprüfung an. Das vorliegende<br />

Buch bietet uns deshalb gleich mehrfachen Nutzen: Lehrreiches<br />

über die Kirchengeschichte, knappe und klare Darstellung des<br />

biblischen Glaubens, Warnung vor dem Abweichen hiervon sowie<br />

Ermutigung, dem Herrn <strong>Jesus</strong> allezeit treu zu sein.<br />

Außer der Umstellung auf die neue Rechtschreibung wurde<br />

diese Ausgabe nur sehr geringfügig bearbeitet: der Verständlichkeit<br />

halber wurden hier und da kurze Ergänzungen eingefügt<br />

und an wenigen Stellen wurden heute nicht mehr gebräuchliche<br />

Begriffe gegen aktuelle Synonyme ausgetauscht. Aussage und<br />

Stil des Autors wurden dabei stets beibehalten.<br />

Joach<strong>im</strong> Schmitsdorf, Betanien Verlag<br />

8


VORWORT<br />

des Autors<br />

I<br />

n unserem Zusammenleben in der Stadtmissionsgemeinde<br />

Berlin-Ost wurde deutlich, dass viele für ihre Diskussionen<br />

in Betrieb, Büro und Familie eine gründliche Kenntnis der Geschichte<br />

der Gemeinde Jesu brauchten, um auf Fragen Antwort<br />

geben und manchem den Weg zu Christus fre<strong>im</strong>achen zu können.<br />

Darum haben wir viele Jahre gründlich den Werdegang der<br />

Gemeinde Jesu kennenzulernen versucht. Dieses Studium half<br />

zugleich vielen Männern und Frauen des Berliner Ostens, auf<br />

dem Weg zu einer selbständigen Urteilsbildung voranzukommen,<br />

um die jeweiligen Geistesströmungen beurteilen zu können,<br />

mit denen sie zusammentrafen. Schließlich hat fast jede<br />

Bewegung ihre Vorläufer in der Geschichte und viele typische<br />

Fragestellungen wiederholen sich <strong>im</strong> Lauf der Jahrhunderte. An<br />

diesen Geschichtsvorträgen beteiligten sich in der Regel 300 bis<br />

400 Männer und Frauen aus dem Berliner Osten. Durch kleine<br />

Arbeitsgemeinschaften suchten wir fest zu verankern, was in den<br />

Vorträgen gelernt worden war.<br />

Dies Buch soll ein knapper Auszug aus dieser Arbeit sein. Es<br />

geht darum, die wesentlichen Grundlinien so einfach und klar<br />

auszusprechen, dass jeder, der selbst in der Gemeinde Jesu und<br />

in der Bibel zu Hause ist, sie ohne weitere Vorbildung verstehen<br />

kann, um dadurch selbst neue Einblicke in das Wesen der<br />

Christusgemeinde zu gewinnen und in seinen Dienst für Christus<br />

manchem Menschen die Bahn zu <strong>Jesus</strong> fre<strong>im</strong>achen zu können.<br />

Zugleich hoffe ich, dass durch das Studium der Geschichte<br />

der Gemeinde Jesu solche, die heute noch glauben, Gegner Jesu<br />

9


<strong>Jesus</strong> <strong>im</strong> <strong>Römerreich</strong> · Vorwort<br />

sein zu müssen, den tiefgreifenden Unterschied zwischen dem<br />

wahren Christus und den mannigfachen falschen Christentümern<br />

sehen und dadurch den Weg zu <strong>Jesus</strong> selbst finden.<br />

Berlin, <strong>im</strong> Herbst 1936<br />

Erich <strong>Schnepel</strong><br />

10


KAPITEL SIEBEN<br />

Die erste Staatskirche<br />

D<br />

ie Verfolgung war zu Ende. Ein ungeheurer Umschwung<br />

war eingetreten. Man lief nicht mehr Gefahr, in die Bergwerke<br />

verbannt zu werden, um dort als Sklave zu arbeiten und<br />

zugrunde zu gehen. Die Frauen verschwanden nicht mehr in<br />

den Bordellen als Strafe für die Hingabe an Christus. In voller<br />

Ruhe konnte man seinen Glauben leben. Niemand verwehrte es<br />

einem, dem Herrn Christus anzugehören, ja <strong>im</strong> Gegenteil, die<br />

maßgebenden Stellen, der gewaltige Kaiser, der nun über das<br />

ganze <strong>Römerreich</strong> vom Osten bis zum Westen verfügte, empfahl<br />

seinen Untertanen, Christen zu werden.<br />

Man erlebte mit Staunen, wie zielbewusst sich die Dinge veränderten.<br />

Der Kaiser war ein kluger Kopf. Er ging Schritt für<br />

Schritt vor. Konstantin dachte nicht daran, jetzt eine Heidenverfolgung<br />

einzuleiten; dazu war er viel zu viel Staatsmann. Ihm<br />

war es klar, dass es keinen Sinn hat, in religiösen Fragen mit<br />

Gewalt vorzugehen. Er blieb der oberste Priester der heidnischen<br />

Staatskirche, welche weiter ihre Zuschüsse vom Staat bekommt.<br />

Hohe Staatsbeamte, die Heiden sind, dürfen es bleiben. Diejenigen,<br />

die am alten heidnischen Kultus festhalten, werden nicht<br />

verfolgt, aber die Glieder der christlichen Kirche zielbewusst gefördert.<br />

Der Staat unterstützt die christliche Kirche. Im Jahre 313 bekommt<br />

sie zum ersten Mal Staatsgelder, die bisher nur der heidnischen<br />

Staatsreligion gegeben worden waren. Die Geistlichkeit<br />

wird von persönlichen Dienstleistungen dem Staat gegenüber<br />

befreit – wie die Priester der heidnischen Religionen. Der Vor-<br />

61


<strong>Jesus</strong> <strong>im</strong> <strong>Römerreich</strong> · Kapitel 7<br />

steher der Gemeinde, der Bischof, bekommt schiedsrichterliche<br />

Vollmacht. Wenn Christen einen Prozess haben, können sie in<br />

jeder Instanz vom Staatsgericht zum Bischof gehen, der die Entscheidung<br />

trifft. Seit 321 dürfen Christen vor dem Bischof in<br />

der Kirche den Akt vollziehen, durch den Sklaven ihre Freiheit<br />

bekommen. Den Kirchen wird das Erbrecht zuerkannt, um sie<br />

wirtschaftlich zu stützen und zu stärken.<br />

Im Jahre 321 wird der erste Sonntag angeordnet. Bis dahin<br />

gab es keinen Sonntag. Die Christen mussten ganz früh zu ihren<br />

Gottesdiensten zusammenkommen, wenn es noch dunkel war,<br />

oder abends spät nach der Arbeit. Tagsüber wurde gearbeitet.<br />

Das Heidentum kannte keinen Sonntag. Mit Konstantin dringen<br />

in die Gesetzgebung christliche Grundsätze ein. Der Sonntag<br />

wird eine Wohltat für alle. Nur in der Landwirtschaft ist es<br />

erlaubt, dass die Arbeit weitergeht.<br />

Als Konstantin 323 Alleinherrscher wird, beginnt er noch zielbewusster<br />

dem Christentum den Vorrang zu verschaffen. Er empfiehlt<br />

in den Regierungserlassen seinen Untertanen, die christliche<br />

Religion als die Religion des Kaisers, als die einzig wahre, anzunehmen.<br />

Jedoch wird nach wie vor kein unmittelbarer Druck<br />

ausgeübt. Der Kaiser will die Gleichstellung beider Religionen<br />

wahren. Wenn z. B. in der Armee die Christen am Sonntag ihren<br />

Gottesdienst haben, marschieren die heidnischen Soldaten auf<br />

ein freies Feld und sprechen dort Gebete für den Kaiser.<br />

Aber keiner wird gezwungen, Christ zu werden. Dennoch<br />

wird das Christentum bewusst gefördert. Christen werden in<br />

oberste Stellungen gerufen. Es liegt nahe, Christ zu werden,<br />

wenn man <strong>im</strong> Leben vorwärtskommen will. Eine Fülle unechter<br />

Beweggründe führt jetzt zum Christentum. In Massen treten<br />

die Menschen nun der Kirche bei, um <strong>im</strong> Amt und Geschäft<br />

besser vorwärtszukommen. Bisher war es gefährlich, ein Christ<br />

zu werden. Jetzt lohnt es sich.<br />

Im Jahre 324 beschloss Konstantin, das alte Byzanz am<br />

Bosporus zur Hauptstadt des Reiches zu machen. Im Laufe von<br />

62


Die erste Staatskirche<br />

sechs Jahren wurde eine heidnische Großstadt in eine christliche<br />

Stadt umgeformt. Sie erhielt den Namen Konstantinopel. Als sie<br />

330 eingeweiht wurde, merkte man keine Spur von Heidentum<br />

mehr. Konstantin hatte eine ganze Reihe prachtvoller Kirchen<br />

bauen lassen. Prunkvolle Bibelabschriften ließ er für diese Kirchen<br />

herstellen. Alle heidnischen Bildwerke waren aus der Stadt<br />

verschwunden und christliche an ihre Stelle getreten. Nach außen<br />

hin trug die ganze Stadt das Gepräge des Christentums.<br />

Wir können verstehen, was für ein Aufatmen durch die Reihen<br />

der Christen ging, als nach der furchtbaren Verfolgung dieser<br />

gänzliche Umschwung eintrat und das Christentum völlig<br />

gleichberechtigt neben der alten Staatsreligion wurde. Eben<br />

noch waren die Christen einfach vom Leben ausgeschlossen,<br />

unmöglich <strong>im</strong> Staat, und jetzt nicht nur <strong>im</strong> Staat möglich und<br />

anerkannt, nein, in jeder Weise bevorzugt. Die Bischöfe, die<br />

eben noch darauf gefasst sein mussten, hingerichtet zu werden,<br />

erhalten Einladungen an den Kaiserhof und gehören zu den ersten<br />

Männern des Staates. Die ersten großen Reichssynoden werden<br />

einberufen. Der ganze Staatsapparat steht hierfür zur Verfügung.<br />

Die Bischöfe dürfen die kaiserliche Post benutzen. Auf<br />

jede Art sucht Konstantin zum Ausdruck zu bringen, dass er<br />

die Führer der Kirche als hervorragende Persönlichkeiten ehrt.<br />

Eben noch die schreckliche Verfolgung, und nun der Freund<br />

des Kaisers! Musste sich den Christen da nicht der Gedanke<br />

aufdrängen: »Welch eine Wendung durch Gottes Fügung!« Die<br />

Freude über die Rettung war so groß, dass man gar nicht merkte,<br />

welche Gefahr die neue Stellung <strong>im</strong> Staat mit sich brachte.<br />

Wie mag Konstantin zu seiner Haltung gegenüber dem<br />

Christentum gekommen sein? Zweifellos hat er gewisse innere<br />

Eindrücke vom Christentum bekommen. Er merkte etwas von<br />

der Kraft, die darin steckt. Auch wird der jammervolle Ausgang<br />

des Kaisers Galerius, des Urhebers der letzten Christenverfolgung,<br />

seinen Eindruck bei ihm nicht verfehlt haben. Dazu kam<br />

jenes eigenartige Erlebnis <strong>im</strong> Jahre 312 vor der Schlacht an der<br />

63


<strong>Jesus</strong> <strong>im</strong> <strong>Römerreich</strong> · Kapitel 7<br />

Milvischen Brücke, die ihn zum Herrn von Rom machte. Er<br />

sah in den Wolken ein leuchtendes Kreuz mit der Überschrift:<br />

»In diesem Zeichen siege!« Er ließ damals sofort das Kreuzeszeichen<br />

auf den Schilden und Standarten seiner Armee anbringen.<br />

Durch ihn ist das Kreuzzeichen so volkstümlich geworden.<br />

Aber wie er es gebrauchte, lässt deutlich den abergläubischen<br />

und heidnischen Charakter seiner Religion erkennen. Das Kreuzeszeichen<br />

war für ihn einfach eine Art Amulett mit zauberhafter<br />

Kraft, wie es die heidnischen Religionen in Hülle und Fülle<br />

kannten.<br />

Den inneren Gehalt des Christentums hat Konstantin nicht<br />

erfasst. Er selbst ist auch kein Christ geworden. Erst kurz vor seinem<br />

Tode ließ er sich taufen. Sein Verständnis hat nicht entfernt<br />

die neutestamentliche Höhenlage erreicht; von Sünde und Gnade<br />

weiß er nichts. Es ist eine ganz jämmerliche Religion, die in seinen<br />

Erlassen zum Ausdruck kommt: Wenn ich Christ bin, geht<br />

es mir gut. Heidnischer kann man nicht denken. Er empfiehlt seinen<br />

Untertanen, Christen zu werden, damit der Gott der Christen<br />

ihnen, dem Kaiserhaus und dem Staat ein gutes Leben beschere.<br />

So denken die Menschen in den pr<strong>im</strong>itivsten heidnischen<br />

Religionen auch. Man dient Gott, damit man es gut bekommt.<br />

Die Gottesverehrung wird zum Geschäft herabgewürdigt.<br />

Weil Konstantin den inneren Charakter eines Lebens mit<br />

Christus nicht kennt und das Wesen der Christusgemeinde<br />

nicht versteht, ist er ängstlich bemüht, das Leben der Christengemeinden<br />

in Gottesdienst und Lehre auf eine übereinst<strong>im</strong>mende,<br />

gesetzmäßige Form zu bringen. Es ist ihm schrecklich, dass<br />

es unter den Christen so vielerlei Arten und Ausprägungen der<br />

Lehre und des Lebens gibt. Er ahnt nicht, welch eine wundervolle<br />

Freiheit es in der Gemeinde Jesu gibt und wie sie bei aller<br />

Mannigfaltigkeit doch durch die Liebe zu Christus fest zu einer<br />

Einheit zusammengeschmiedet wird.<br />

Da er nicht wusste, dass Christus selbst, als das lebendige<br />

Haupt seiner Gemeinde, auch das lebendige Band ist, das sie<br />

64


Die erste Staatskirche<br />

zusammenschließt, mussten ihn die mancherlei Richtungen<br />

und Unterschiede in der christlichen Kirche mit großer Besorgnis<br />

erfüllen. Konnte Gottes Wohlgefallen auf der Kirche ruhen,<br />

wenn sie nicht in allen Stücken, in Lehre und Gottesdienst,<br />

völlig einheitlich war? War dann nicht gerade die Förderung für<br />

Volk und Staat durch den Segen Gottes verloren, an dem ihm<br />

so sehr gelegen war? Konnte dann noch diese Religion die neue<br />

Klammer um den morschen römischen Staat werden, wie er es<br />

wollte, wenn sie nicht ganz und gar in ihrer Gedankenbildung<br />

und Form ein Guss war? Wir können Konstantin um dieses<br />

verhängnisvollen Missverständnisses willen nicht verurteilen,<br />

wusste doch die christliche Kirche selbst weithin nicht mehr<br />

um das Gehe<strong>im</strong>nis der Gemeinde Jesu in ihrer eigentlichen<br />

Einheit in ihm.<br />

Mit großer Sorge hat sich Konstantin nun dem Werk gewidmet,<br />

die christliche Kirche zu einer alles zusammenfassenden<br />

Einheit in Lehre und Form zu führen. Religiöse und politische<br />

Motive mögen sich hierbei gemischt haben. Es kann wohl sein,<br />

dass er glaubte, dies Gott schuldig zu sein, da er das Christentum<br />

nur in einer äußerlich formalen Weise verstand und das<br />

Wesen des Reiches Gottes nicht <strong>im</strong> Innersten erfasste. Ebenso<br />

stark wird das politische Motiv gewesen sein, da er die neue Religion<br />

gebrauchen wollte, um dem brüchigen alten Staat einen<br />

neuen Zusammenhalt zu geben.<br />

Mit starker Hand fasste er die Aufgabe der Vereinheitlichung<br />

der Kirche an. Obwohl ihm die inneren Fragen <strong>im</strong> Grunde<br />

fremd waren, führte er den Vorsitz auf den Synoden und entschied<br />

die Glaubensfragen mit Freundlichkeit, Diplomatie oder<br />

Gewalt. Die Christen aber ließen es sich in ihrer großen Dankbarkeit<br />

über die Hilfe und Befreiung von der Verfolgung gefallen.<br />

Es war niemand, der die Gefahr sah, die für Staat und Kirche<br />

heraufzog. Bisher hatte es keine zentrale Instanz für die Kirche<br />

gegeben, die sie einheitlich hätte formen können. Niemand<br />

in der Kirche hatte die Machtmittel, um eine solche Einheit zu<br />

65


<strong>Jesus</strong> <strong>im</strong> <strong>Römerreich</strong> · Kapitel 7<br />

erzwingen. Und das war gut so gewesen. Alles Ringen in der<br />

Kirche hatte darum bisher nur mit geistlichen Waffen entschieden<br />

werden können.<br />

Das wird jetzt anders. Aus dem geistlichen Ringen um Klarheit<br />

wird weithingehend ein machtpolitischer Kampf in der Kirche,<br />

obwohl sicher bei führenden Männern die Sorge um innere,<br />

geistliche Werte die treibende Kraft ist. Aber selbst ein Mann<br />

wie Athanasius kämpft nicht allein mit geistlichen Waffen, sondern<br />

n<strong>im</strong>mt unbedenklich die politischen zu Hilfe. Wer gerade<br />

die Staatsregierung für sich gewinnen kann, dessen Glaubensüberzeugung<br />

gilt als die richtige. Nicht die Wahrheit, sondern<br />

die Macht des Staates entscheidet.<br />

Die jeweils anerkannten Glaubenslinien werden zum Staatsgesetz<br />

erhoben. Wer in irgendwelchen Fragen des Glaubenslebens<br />

anders denkt, ist Umstürzler, staatsfeindlich, daher zu bestrafen<br />

und vom staatlichen Leben auszuschließen, obwohl er<br />

Christus geradeso angehört wie die Regierungspartei. Unwahrheit<br />

und Heuchelei ziehen ein. Wirkliches Geistesleben kann<br />

sich nicht mehr entfalten. Die Überzeugung wird nach der Konjunktur<br />

gemacht.<br />

Bis in die Kreise der christlichen Führer passt man sich der<br />

jeweiligen Auffassung der Regierungskreise an. Wenige Jahre<br />

vorher hatten noch Männer ihren Glauben an Christus mit<br />

Verbannung, Tod und Gefängnis besiegelt. Welch eine erschütternde<br />

Wendung! Dieselben Christen, die vor kurzem noch voll<br />

Sehnsucht nach Glaubens- und Gewissensfreiheit ausschauten,<br />

st<strong>im</strong>men zu, dass der Staat nun mit scharfen Maßnahmen gegen<br />

Andersdenkende vorgeht. Ja, sie verlangen gar bald ihre Ausrottung,<br />

statt aus ihrer eigenen, bitteren Erfahrung heraus Freiheit<br />

des Geistes und Schutz der Andersdenkenden in Glaubensfragen<br />

zu verlangen.<br />

Noch vor zwanzig Jahren hatte man selbst die Verfolgung<br />

erlebt und es am eigenen Leibe gespürt, wie bitter es ist, keine<br />

freie Überzeugung haben zu dürfen und innerlich vergewaltigt<br />

66


Die erste Staatskirche<br />

zu werden. In wenigen Jahren ist alles vergessen, und man fügt<br />

anderen zu, worunter man selbst gelitten hat.<br />

Niemand hätte jetzt klarer für die Gewissensfreiheit eintreten<br />

müssen als die Christen, die aus der Verfolgung kamen. Stattdessen<br />

geht man schon in der zweiten Generation mit Gewalt<br />

gegen das Heidentum vor und will es um jeden Preis ausrotten.<br />

In Wirklichkeit lebt es unvermindert weiter. Nur das Gewand<br />

ist ein anderes geworden. Ein Scheingebäude wird aufgerichtet.<br />

Alle Staatsbürger werden der äußeren Form nach Christen – in<br />

Wahrheit sind die Massen Christus so fern wie früher und Heiden<br />

geblieben.<br />

Schritt für Schritt ging die unglückselige Entwicklung weiter.<br />

Dass die christliche Kirche jetzt über die Machtmittel des<br />

Staates verfügte, wurde ihr zum Verhängnis. Es kam der Tag,<br />

dass man Militär und Polizei nicht nur gegen die Heiden und<br />

Dissidenten einsetzte, sondern ebenso gegen christliche Glaubensbrüder,<br />

die in irgendeinem Stück anders dachten. Vor kurzem<br />

noch verfolgt durch den Staat, vergewaltigt man jetzt seine<br />

eigenen Glaubensgenossen. Christenblut fließt, von Christen<br />

mit Hilfe des Staates vergossen – die Folge der falschen Gleichsetzung<br />

von Staat und Kirche, Volkstum und Christentum.<br />

Wie ist diese Fehlentwicklung zu erklären? Weil die Kirche<br />

längst nicht mehr die schlichte Gemeinde Jesu war, sondern<br />

sich zu einer gewaltigen Machtorganisation, ähnlich wie<br />

der Staat, ausgebaut hatte, empfand man gar nicht mehr den<br />

Wesens unterschied zwischen Staat und Gemeinde Jesu oder<br />

Kirche.<br />

Die Verschiebung in Botschaft und Aufbau der Gemeinde,<br />

wie wir sie <strong>im</strong> zweiten Jahrhundert kennengelernt haben, war<br />

weitergegangen und hatte eine Fülle von falschen Stützen für<br />

das Leben der Kirche gebracht. Ihr Leben hing nicht mehr allein<br />

von <strong>Jesus</strong>, ihrem Herrn, und seinem Einfluss über ihre Glieder<br />

ab. Längst war dieser Einfluss Jesu, der <strong>im</strong> Urchristentum<br />

für das Leben der Gemeinde den Ausschlag gegeben hatte, weit<br />

67


<strong>Jesus</strong> <strong>im</strong> <strong>Römerreich</strong> · Kapitel 7<br />

in den Hintergrund geschoben worden. Die sichtbaren Stützen<br />

hatten die Oberhand gewonnen.<br />

Der organisatorische Aufbau der Kirche, der besondere Priesterstand,<br />

das kräftig ausgebaute Kirchenrecht, die magisch-zauberhaft<br />

verstandenen Sakramente waren die äußeren Machtmittel<br />

geworden, mit denen die Kirche sich zu einem gewaltigen<br />

Gebilde aufgebaut hatte. Sie war in der Tat ein Staat <strong>im</strong> Staate<br />

geworden, wie es die schlichte Gemeinde Jesu nie hätte werden<br />

können. Nur das Einströmen der ihr innerlich fremden Massen<br />

und die Anwendung wesensfremder Kräfte konnten solch ein<br />

Machtgebilde zustande bringen, das dem Staate ähnelte. Weil<br />

die Niedrigkeit und Knechtsgestalt der Gemeinde Jesu nicht<br />

mehr bekannt war und die Kirche selbst mächtig und groß sein<br />

wollte, wurde die gefahrvolle Verbindung mit dem Staat nicht<br />

empfunden.<br />

Es bedeutet <strong>im</strong>mer die Anmeldung des inneren Bankrotts,<br />

wenn man nach fremden Mitteln greifen muss, um die Gemeinde<br />

Jesu zu bauen. Die Gemeinde Jesu hat weder Staatsgewalt<br />

noch Polizei nötig. Christus weiß seine Schar durchzubringen.<br />

Seine Gemeinde siegt nicht durch äußere Machtmittel, sondern<br />

durch innere Übermacht und innere Vollmacht. Es zeigt<br />

die ernste innere Lage, dass die Christen des vierten Jahrhunderts<br />

derartig die äußeren Machtmittel des Staates in Anspruch<br />

nehmen. Offenbar war wenig von dem Leben des Geistes vorhanden,<br />

durch das sie die anderen hätten innerlich überwinden<br />

können.<br />

Grundlegend aber rächte sich die Verdunkelung des neutestamentlichen<br />

Bildes von der Gemeinde des Christus. Man<br />

wollte ja diese gar nicht mehr aufbauen, sondern etwas ganz<br />

anderes: eine Institution, ein Machtgebilde, das die Massen, ja<br />

das ganze Volk umspannen sollte. Da dies aus innersten Gründen<br />

mit den Waffen des Geistes nicht möglich ist, weil niemals<br />

Massen bereit sein werden, in die nicht leichte Nachfolge Jesu<br />

einzutreten, so wird man notwendigerweise dazu gedrängt,<br />

68


Die erste Staatskirche<br />

wesensfremde Machtmittel in Anspruch zu nehmen, um dieses<br />

Ziel zu erreichen.<br />

Tragisch waren die Folgen für Kirche und Staat. Zwang in<br />

Glaubensfragen macht <strong>im</strong>mer ungezählte Menschen zu Heuchlern<br />

und zerbricht die Gewissen. Am Ende des vierten Jahrhunderts<br />

steht das christliche Glaubensbekenntnis als erster Paragraph<br />

<strong>im</strong> Staatsgesetz des Römischen Reiches. Es muss nun jeder<br />

der neuen Staatsreligion angehören, wenn er nicht ein unmöglicher<br />

Mensch <strong>im</strong> Staate sein will. Existenz und Karriere<br />

setzt er aufs Spiel, wenn er noch wagt, Heide zu sein.<br />

Wie klug war Konstantin gewesen, als er bei aller freundlichen<br />

Stellungnahme zum Christentum grundsätzlich Freiheit<br />

in den Fragen der Religion gab. Als wenn nicht auch ein Heide<br />

ein treuer Diener des Staates sein könnte! Nun war alles anders<br />

geworden. Nur zwei Generationen waren dazu nötig gewesen.<br />

Zwingt man aber den Menschen zur Unwahrhaftigkeit auf dem<br />

innersten Gebiet des Glaubens, so beschädigt man seine Persönlichkeit<br />

in der Wurzel und zerbricht dem ganzen Menschen das<br />

Rückgrat. An dieser Stelle wurde der Byzantinismus geboren, an<br />

dem das oströmische Reich zugrunde gegangen ist. Mit Männern,<br />

denen man das Rückgrat zerbrochen hat, lässt sich kein<br />

Staat mehr bauen.<br />

So zerstörte der Staat durch den Zwang in Glaubensfragen<br />

seine eigenen Fundamente. Er wollte die Christengemeinden zu<br />

Lebensträgern des Staates machen und vernichtete durch seine<br />

Methoden ihre Salzkraft und brachte sich um all das Leben, das<br />

in Volk und Staat aus lebendigen Christengemeinden einströmt.<br />

Ihre Bedeutung hängt nie an der Zahl. Sie können sehr klein<br />

sein, durchaus eine unscheinbare Minderheit. Aber echt müssen<br />

sie sein und wirklich das Leben Jesu mit all seinen kraftvollen<br />

Linien in sich tragen. Dann sind sie Gesundungsquellen für<br />

Tausende und Lebensträger für Volk und Staat.<br />

Dazu aber brauchen sie unbedingte Freiheit ihrer Lebensgestaltung<br />

und Entwicklung, auf dass in ihrer Mitte aufrechte,<br />

69


<strong>Jesus</strong> <strong>im</strong> <strong>Römerreich</strong> · Kapitel 7<br />

gesunde, durch und durch wahre Persönlichkeiten heranwachsen,<br />

wie sie nicht nur die Gemeinde Jesu, sondern auch der Staat<br />

bitter nötig braucht. Diese Gemeinden des Christus werden nie<br />

eine Gefahr für den Staat werden, denn sie bleiben zahlenmäßig<br />

sehr klein, wenn sie echt sind. Ihre Bedeutung besteht nicht in<br />

der Zahl und der äußeren Macht, sondern in gesunden Geistesund<br />

Lebenskräften, die von ihr in ihre Umgebung ausgehen.<br />

Wie anders hätte nicht nur die Geschichte des Christentums,<br />

sondern auch die Weltgeschichte sich gestaltet, wenn diese Fehlentwicklung<br />

des vierten Jahrhunderts nicht gekommen wäre!<br />

Sie hat mit ihren unwahren Scheingebilden und dem Zerbrechen<br />

der Gewissen und der Persönlichkeiten Kirche und Staat<br />

innerlich ausgehöhlt. Das siebente Jahrhundert brachte die Antwort,<br />

als der Arabersturm über Nordafrika, Palästina, Syrien<br />

und Kleinasien hinwegfegte, über die Gebiete des oströmischen<br />

Staates, in dem die Verschmelzung von Kirche und Staat am<br />

stärksten vor sich gegangen war. Staat und Kirche sind wie weggeweht.<br />

Von den neutestamentlichen Gemeinden, von den Märtyrergemeinden<br />

der Verfolgung, bleibt keine Spur. Sie sind völlig<br />

ausgelöscht. Mit der Verstaatlichung der Kirche hatte der Staat<br />

die Kirche um den Lebensnerv gebracht, ihr eigentliches Leben<br />

vernichtet und sich selbst der Lebensquellen in den Christengemeinden<br />

beraubt. Der Untergang von Staat und Kirche <strong>im</strong><br />

Arabersturm war die Quittung.<br />

Es kann zu denken geben, dass die Entwicklung Westeuropas<br />

einen ganz anderen Gang genommen hat. Italien, Frankreich<br />

und Spanien haben nie in dem Maße die Hörigkeit der<br />

Kirche gegenüber dem Staat erlebt wie die östlichen Länder. Ein<br />

Mann wie Ambrosius, der Bischof von Mailand, stand mutig<br />

und aufrecht am Ausgang des vierten Jahrhunderts auch gegen<br />

den Kaiser.<br />

Der Germanensturm löste mit dem Beginn des fünften Jahrhunderts<br />

Italien, Frankreich und Spanien fast völlig aus dem<br />

Verband des Römischen Reiches. Die Germanen haben in Glau-<br />

70


Die erste Staatskirche<br />

bensfragen den oströmisch-orientalischen Byzantinismus nicht<br />

gekannt. Sie achteten die Freiheit der Persönlichkeit als Grundlage<br />

des Volkslebens. Sie wussten, dass in Glaubensfragen verschieden<br />

denkende Menschen gleich wertvolle Glieder des Staates<br />

sein konnten. So gaben sie in ihren neuen Reichen völlige<br />

Religionsfreiheit.<br />

Die Christengemeinden Italiens, Frankreichs und Spaniens<br />

besaßen lebendige Kräfte genug in sich, um die neuen Herren<br />

des Landes innerlich zu gewinnen, obwohl auch sie das<br />

ursprüngliche Evangelium von <strong>Jesus</strong> in seiner ganzen Klarheit<br />

nicht mehr kannten. Aber sie waren nie so Staatskirche geworden<br />

wie der Osten und darum in ihrer inneren Entwicklung<br />

nicht des Lebensnerves beraubt und zerbrochen. Sie besaßen<br />

genug aufrechte Männer zum Segen für Kirche und Volk, wie<br />

die unruhvollen Zeiten der Völkerwanderung an vielen Stellen<br />

zeigten. Die staatsfreie Kirche des Westens barg nicht nur Kräfte<br />

genug in sich, um den Sturm der Völkerwanderung zu überstehen,<br />

sondern auch, um die Botschaft von Christus an die Germanenvölker<br />

weiterzugeben und durch sie an die ganze Welt.<br />

71


KAPITEL ACHT<br />

Gegenbewegungen gegen die<br />

Verstaatlichung des Christentums<br />

<strong>im</strong> vierten Jahrhundert<br />

An drei Stellen regt sich der Widerspruch gegen die Verstaatlichung<br />

und Verflachung der Christengemeinden. Es lebt<br />

doch noch in vielen eine lebendige Erinnerung an die Höhenlage<br />

des Neuen Testaments, obwohl man <strong>im</strong> Grunde die neutestamentliche<br />

Botschaft nicht mehr verstand. Massenbewegung<br />

und Massenkirche kann man nur halten, wenn man die Nachfolge<br />

Jesu auf das allerbescheidenste Maß herunterschraubt.<br />

Der donatische Kampf<br />

Der erste Protest war der Donatismus in Nordafrika. Nordafrika<br />

war damals ein Kulturland ersten Ranges. Die römischen<br />

Provinzen Nordafrikas gehörten zu dem wertvollsten Teil der<br />

alten Kulturwelt. Erst die Kämpfe der Völkerwanderung und<br />

der Arabersturm haben die dortige Kultur vernichtet. Im vierten<br />

Jahrhundert waren es hochentwickelte Gegenden mit vielen<br />

Christengemeinden.<br />

In diesen Gemeinden Nordafrikas hatte man eine Linie festgehalten,<br />

die anderwärts schon aufgegeben war: ein Bischof, der<br />

in eine Todsünde (Mord, Unzucht, Verrat am Christentum)<br />

gefallen ist, ist damit als Bischof ausgelöscht. Der Begriff der<br />

72


Gegenbewegungen gegen die Verstaatlichung des Christentums<br />

Todsünde ist an sich unbiblisch, weil vor <strong>Jesus</strong> jede Sünde so<br />

ernst ist, dass sie zum inneren und ewigen Tod führen kann.<br />

Der Begriff der Todsünde, der <strong>im</strong> zweiten und dritten Jahrhundert<br />

entstanden war, bedeutete eine falsch geformte Erinnerung<br />

daran, dass es sich einst bei dem Leben mit <strong>Jesus</strong> um eine ganze,<br />

bedingungslose Hingabe handelte. Der Begriff der Todsünde ist<br />

jedoch <strong>im</strong> Grunde eine Verflachung, weil er nicht mehr jede<br />

Sünde so ernst beurteilt, wie es notwendig ist, sondern den letzten<br />

Ernst der Beurteilung auf einige wenige Sünden beschränkt.<br />

Auch ist es wohl möglich, dass ein Mensch nie in eine solche<br />

Sünde hineingeraten ist, die man <strong>im</strong> vierten Jahrhundert Todsünde<br />

nennt, und doch nicht zur Gemeinde Jesu gehört, obwohl<br />

er in den Reihen der Christen sitzt. Und es kann sein, dass einer<br />

in alle diese Todsünden tief verstrickt ist, aber in ehrlicher Buße<br />

zu Christus kommt und die Macht der Gnade erfährt.<br />

Für die Zugehörigkeit zu der Gemeinde des Christus ist <strong>im</strong>mer<br />

nur entscheidend, was <strong>Jesus</strong> über uns denkt und ob er uns<br />

vergeben hat. Es gibt keinen formalen Maßstab, an dem sich<br />

die Zugehörigkeit zu <strong>Jesus</strong> und seiner Gemeinde entscheidet. Es<br />

gibt auch keine Sünde, die von <strong>Jesus</strong> und seinem Dienst ausschließt.<br />

Wo echte Trauer um Sünde ist und ein Mensch sich<br />

grundsätzlich neu dem Einfluss Jesu erschließt, wird er ihm die<br />

Aufnahme nicht verweigern.<br />

Dennoch steckt in der Fehllinie der nordafrikanischen Gemeinden<br />

eine letzte Erinnerung daran, dass die Gemeinschaft<br />

mit <strong>Jesus</strong> unmittelbar in unser ganzes Leben eingreift und mit<br />

einer äußerlichen Zugehörigkeit zu ihm nichts getan ist. Die<br />

nordafrikanischen Gemeinden sahen nur nicht klar darin, dass<br />

die korrekte Haltung eines Bischofs in gewissen Fragen noch<br />

nichts darüber sagt, ob er auch ein Mann voll Heiligen Geistes<br />

ist, der die Gnade Jesu an sich persönlich erfahren hat und an<br />

der Gemeinde Jesu zu bauen vermag.<br />

Nun war es in der Verfolgungszeit vorgekommen, dass heilige<br />

Schriften den Behörden ausgeliefert worden waren. Das<br />

73


<strong>Jesus</strong> <strong>im</strong> <strong>Römerreich</strong> · Kapitel 8<br />

bedeutete Verrat und Todsünde. In der Hauptstadt Karthago<br />

wurde ein neuer Bischof gewählt und durch einen anderen Bischof<br />

geweiht, der solche Schriften ausgeliefert hatte. Der neue<br />

Bischof von Karthago wurde darum nicht überall anerkannt,<br />

weil er nicht rechtskräftig geweiht sei.<br />

Auch hier ist die Anmerkung zu machen, dass der ganze Begriff<br />

der »rechtskräftigen Weihe« durch einen Menschen biblisch<br />

nicht haltbar ist. Auch hier entscheidet nur das Urteil und die<br />

Zust<strong>im</strong>mung Jesu, ob er selbst den Mann zur Arbeit in seinen<br />

Weinberg gerufen hat. Diese Berufung durch Christus kann<br />

durch keine menschlich ordnungsgemäße Ordination ersetzt<br />

werden, obwohl es gewiss ist, dass einer, den <strong>Jesus</strong> selbst in seinen<br />

Dienst rief und bevollmächtigt, kein Freibeuter auf eigene<br />

Faust sein wird, sondern die Zust<strong>im</strong>mung der gläubigen Gemeinde<br />

zu seinem Dienst begehrt.<br />

In Nordafrika standen sich nun zwei Lager einander gegenüber.<br />

Die strengere Richtung hatte den Bischof Donatus zum<br />

Führer. Daher heißen seine Anhänger Donatisten. Wären die<br />

Christengemeinden jetzt noch die alten, schlichten Kreise gewesen,<br />

denen keine Macht zur Verfügung stand und die nur in<br />

der Kraft des Wortes und Geistes miteinander ringen konnten,<br />

so hätten sie entweder die Möglichkeit gehabt, sich gegenseitig<br />

in diesem Punkt die Freiheit der Überzeugung zuzubilligen,<br />

weil man <strong>im</strong> gemeinsamen Herrn die größere Einheit hatte,<br />

oder man hätte die Frage als so schwerwiegend angesehen, dass<br />

man bei aller inneren Anerkennung des anderen doch einen gemeinsamen<br />

Dienst nicht mehr für möglich gehalten hätte. Im<br />

letzteren Fall wäre das alte Bibelwort richtunggebend gewesen:<br />

»Lass doch nicht Zank sein zwischen mir und dir, denn wir<br />

sind Brüder. Willst du zur Rechten, so will ich zur Linken, und<br />

willst du zur Linken, so will ich zur Rechten!« (1. Mo. 13,8).<br />

Denn <strong>Jesus</strong> hat nicht umsonst gesagt: »Selig sind die Friedfertigen!«<br />

(Mt. 5,9). Bei allem Schmerz um die äußere Trennung<br />

hätte jeder nur die Möglichkeit gehabt, seinen eigenen Weg zu<br />

74


Gegenbewegungen gegen die Verstaatlichung des Christentums<br />

gehen, solange er dessen gewiss war, aber den Bruder in seinem<br />

anderen Weg, den er nicht billigen konnte, zu achten. Der<br />

Kampf hätte allein auf der geistlichen Ebene mit geistlichen<br />

Waffen ausgekämpft werden müssen.<br />

Nun aber stand hinter der Kirche Konstantin. Die Gemeinden<br />

waren nicht mehr die schlichten Privatkreise, sondern schon<br />

fast eine Abteilung des Staates geworden. Der Kaiser brauchte<br />

eine einheitliche Kirche, die eine gemeinsame Klammer um<br />

das zerbrechende <strong>Römerreich</strong> sein konnte. Er musste darum um<br />

jeden Preis versuchen, die Einheit zu erzielen. Da es ihm auf<br />

friedlichem Wege nicht gelang, schickte er schließlich seine Reg<strong>im</strong>enter<br />

nach Nordafrika und ging gegen die Donatisten mit<br />

Gewalt vor. Es gab viele Märtyrer. Blut floss in Strömen.<br />

Schwer wurde den Donatisten von der kaiserlichen Armee<br />

zugesetzt, und doch drang der Kaiser nicht durch. Diese Menschen<br />

starben lieber, als dass sie sich das Rückgrat zerbrechen<br />

und das Gewissen beschädigen ließen. Wenn auch ihre Fragestellung<br />

und Blickrichtung nicht die neutestamentliche war, so<br />

lebte doch in ihnen etwas von der letzten Verantwortung vor<br />

Christus, dem Herrn der Gemeinde. Das gab ihnen diese aufrechte<br />

Haltung. Sicher hat viel Liebe zu Christus in den Anfängen<br />

der Bewegung dahinter gestanden. Sein Wille, so wie sie ihn<br />

verstanden, galt ihnen mehr als irgendein Menschenwort. Das<br />

waren die Männer mit festem Gewissen und männlicher Haltung,<br />

wie der Staat sie brauchte. Es war tragisch, dass nun der<br />

»christliche« Staat Tausende von seinen Besten ebenso ermordete<br />

wie einst der heidnische Staat. Dennoch musste der Kaiser<br />

kapitulieren. Wo Menschen lieber sterben als ihre Überzeugung<br />

preisgeben, da versagt die Gewalt.<br />

Es blieb dem Kaiser nur übrig, die donatistischen Gemeinden<br />

äußerlich zu benachteiligen: Während die Staatskirchen mit<br />

Geld unterstützt wurden, erhielten die Donatisten nichts. Sie<br />

fragten auch nicht danach. Lieber wollten sie arm und innerlich<br />

frei sein und ein gutes Gewissen haben. Als Konstantin starb,<br />

75


<strong>Jesus</strong> <strong>im</strong> <strong>Römerreich</strong> · Kapitel 8<br />

gab es in Afrika mehrere Hundert Gemeinden dieser Bewegung.<br />

So stark ihre Art eine Karikatur der Gemeinde Jesu ist, so sehr<br />

bin ich gewiss, dass hinter all diesen Opfern und all dem damit<br />

verbundenen Irrtum gar manche echte Hingabe an Christus<br />

steckte.<br />

Es ist dies die erste Verfolgung, die ein »christlicher« Kaiser<br />

gegen Christen führt. Es ist das erste Mal, dass »Christen« gegen<br />

solche mit Waffengewalt vorgehen, die in einer Frage des Glaubenslebens<br />

anderer Meinung sind. Wir merken ganz deutlich,<br />

dass wir aus dem Bereich Jesu heraus sind. Andere Kräfte haben<br />

jetzt den ausschlaggebenden Einfluss in den Christengemeinden.<br />

Sie heißen Christen und sind doch keine. Aus den lebendig<br />

unter dem Einfluss Jesu sich formenden Christengemeinden ist<br />

das Machtgebilde geworden, das um jeden Preis und mit allen<br />

Mitteln der Gewalt sich durchsetzen will.<br />

Der Nachfolger Konstantins versuchte 348 noch einmal mit<br />

brutalem Druck gegen die donatistischen Gemeinden vorzugehen.<br />

Jetzt wurde es erst wirklich schl<strong>im</strong>m. Aber auch die donatistische<br />

Bewegung war eine Massenbewegung geworden und<br />

dadurch mehr und mehr in schiefe Linien geraten. Gegen die<br />

Reg<strong>im</strong>enter des Kaisers suchte man sich jetzt Bundesgenossen.<br />

Es gab gerade eine Revolution unter den Pächtern auf dem Lande,<br />

und diese Agrarrevolutionäre holte man sich zu Hilfe. Viele<br />

drängten sich zum Martyrium. Auf beiden Seiten gab es Gewalt,<br />

Mord und Totschlag. Das war keine Geistesbewegung mehr. Je<br />

größer die Masse, desto weniger Geist Jesu. Es ist nie denkbar,<br />

dass die Massen auf <strong>Jesus</strong> eingehen.<br />

Die Donatisten fühlten sich als die Nachfolger der urchristlichen<br />

Märtyrer. Die Christen auf der anderen Seite priesen den<br />

Kaiser, dass er mit Gewalt vorgehe, um die Sache Gottes energisch<br />

<strong>im</strong> ganzen Reiche durchzuführen. Wir sehen deutlich, wohin<br />

die Entwicklung führt, wenn man nicht mehr weiß, was<br />

<strong>Jesus</strong> von uns will, kein Bild mehr von dem geistlichen Aufbau<br />

seiner Gemeinde hat, stattdessen aber ein religiös gefärbtes<br />

76


Gegenbewegungen gegen die Verstaatlichung des Christentums<br />

Machtinstitut, ähnlich einer staatlichen Organisation, schafft<br />

und schließlich sich noch vom Staat seine Machtmittel leiht. Am<br />

Ende des vierten Jahrhunderts haben sich die Donatisten-Gemeinden<br />

mit der übrigen Kirche wieder zusammengeschlossen.<br />

Das Wesentliche hatten beide nicht mehr. Es war das letzte Aufbäumen<br />

in den Reihen der Christen gegen die Fehlentwicklung<br />

zur Staatskirche gewesen.<br />

Die Bewegung des Priscillian<br />

In Spanien lebte ein Mann aus vornehmem Hause namens<br />

Priscillian. Er stand durchaus mitten in der damaligen Kirche,<br />

aber er hatte etwas Entscheidendes innerlich erlebt und wollte<br />

das Leben mit Christus wirklich ernst nehmen. Er sah den<br />

Absturz der Gemeinden von ihrer einstigen Höhe und beobachtete<br />

nur zu deutlich, dass auch die Bischöfe nicht das waren,<br />

was man von geistlichen Führern der Gemeinden erwarten<br />

muss. In seiner Botschaft steckte offenbar eine gewaltige Kraft.<br />

Es gab eine große Bewegung von Menschen aus allen Berufsständen,<br />

die sich mit ganzem Ernst von allem lösen wollten, was<br />

sich nicht mit der Hingabe an Christus verträgt. Die Bewegung<br />

zog <strong>im</strong>mer weitere Kreise und griff über Spanien hinaus bis tief<br />

nach Frankreich hinein. Es ist auffallend, welch starkes Gehör<br />

der ernste Ruf fand. Auch von den Bischöfen und Geistlichen<br />

schlossen sich viele an.<br />

In erster Linie war es eine Laienbewegung. Die, welche mit<br />

Ernst Christen sein wollten, sammelten sich in Stadt und Land<br />

in Bruderkreisen. Es gab viele Männer unter ihnen, die frei zum<br />

Dienst am Wort waren und von Ort zu Ort wanderten, um die<br />

kleinen Kreise hin und her <strong>im</strong> Land zu stärken. Man wird unwillkürlich<br />

an die Zeit des Urchristentums erinnert. Vielleicht<br />

stehen wir hier vor dem Schönsten, was es <strong>im</strong> vierten Jahrhundert<br />

in den Christengemeinden gegeben hat.<br />

77


<strong>Jesus</strong> <strong>im</strong> <strong>Römerreich</strong> · Kapitel 8<br />

In der Regel berichtet die Geschichte nur das, was sich an<br />

der offiziellen Oberfläche begibt. Hier wird uns einmal die<br />

Möglichkeit gegeben, in das unter der Oberfläche verborgene<br />

Leben hineinzuschauen, weil es sich hier durch alles Offizielle<br />

hindurch Bahn bricht und weithin sichtbar wird. Darf man<br />

nicht annehmen, dass zu allen Jahrhunderten <strong>Jesus</strong> <strong>im</strong> Verborgenen<br />

seine Gemeinde gehabt hat? Und seine Gemeinde ist<br />

nicht gleichzusetzen mit der richtigen Gedankenbildung über<br />

<strong>Jesus</strong> und das Evangelium. <strong>Jesus</strong> ist größer als unsere Gedanken.<br />

Er hat seine Gemeinde dort, wo man in Herz und Gewissen<br />

ihm offen ist, auch wenn man gedanklich die neutestamentliche<br />

Botschaft nicht völlig erfasst hat. Gesund wird eine<br />

Bewegung freilich <strong>im</strong>mer erst dann, wenn sich die gewissensmäßige<br />

Hingabe an Christus mit einer klaren, biblischen Erkenntnis<br />

verbindet.<br />

Die Bewegung des Priscillian traf wirklich in die Gewissen.<br />

Sie beunruhigte mit ihrer ernsten Haltung auch die lax<br />

gewordenen Kreise der Bischöfe aufs Ernsteste. So bekam sie<br />

unter den Führern der Kirche eine scharfe Gegnerschaft. Diese<br />

Gegner waren nicht <strong>im</strong>mer die besten. Zwei ganz üble Männer<br />

suchten Priscillian um jeden Preis zur Strecke zu bringen. Im<br />

Jahre 385 musste er vor Gericht. Es war nicht ein brüderliches<br />

Gericht der Christengemeinden, sondern der staatliche Gerichtshof,<br />

da Kirche und Staat jetzt eins waren. Lauter falsche<br />

Anklagen brachte man gegen ihn vor – Verleumdungen ähnlicher<br />

Art, wie sie einst von heidnischer Seite gegen die Christen<br />

in den früheren Verfolgungen erhoben worden waren. In Wirklichkeit<br />

war Priscillian nichts nachzusagen. Dennoch erreichten<br />

es seine Gegner, dass das kaiserliche Gericht diesen Mann<br />

mit sechs Anhängern (darunter eine Frau) zum Tode verurteilte<br />

und in Trier hinrichtete.<br />

Es war das erste Mal, dass »Christen« andere Christen hinrichteten,<br />

weil man von ihnen sagte, sie seien Ketzer. Die Empörung<br />

darüber war groß. Noch lebte in den Christengemeinden eine<br />

78


Gegenbewegungen gegen die Verstaatlichung des Christentums<br />

Erinnerung daran, wie unmöglich solch eine Haltung ist. Einer<br />

der führenden Männer Frankreichs, Bischof Martin von Tours,<br />

erhob flammenden Widerspruch und hat mit ganzer Macht dagegen<br />

gekämpft, um diese Männer vor ihrem Schicksal zu bewahren,<br />

aber vergeblich. Die erste Ketzerhinrichtung war eine<br />

Folge der Verstaatlichung der Kirche. Wenn Geistesbewegungen<br />

sich mit politischen, staatlichen, militärischen, polizeilichen<br />

Kräften verbinden, so ist es wie ein keine Ausnahme kennendes<br />

Gesetz, dass sie dann auch nicht widerstehen können, diese<br />

fremdartigen Kräfte für eine Sache zu gebrauchen, die nur mit<br />

geistigen Waffen durchgekämpft werden kann.<br />

Das Mönchtum<br />

Es hatte <strong>im</strong>mer Männer gegeben, die aus den Städten und der<br />

menschlichen Umgebung in die Wüste und Einöde fortgezogen<br />

waren, in dem Gedanken, dort in der Weltabgeschiedenheit<br />

Gott besser dienen zu können. Jetzt, wo <strong>im</strong> vierten Jahrhundert<br />

die nichtchristliche Welt in gewaltigem Strom in die »christliche«<br />

Kirche hineinflutet, kommt es vielen schmerzlich zum<br />

Bewusstsein, dass auch die Christengemeinden nicht mehr die<br />

Stätten sind, da man inmitten einer verfaulten Kultur eine He<strong>im</strong>at<br />

anderer Art haben kann, um sich dort die Kräfte zu holen,<br />

die man braucht, um sich trotz der zersetzenden Einflüsse seiner<br />

Umgebung innerlich gesund zu entwickeln.<br />

So flüchteten jetzt Tausende aus der Kultur, aus den Städten,<br />

aus den verflachten Massengemeinden in die Wüste hinaus.<br />

Hatte man früher meist als Einsiedler in der Wüste gelebt,<br />

so verbindet man sich jetzt zu Lebensgemeinschaften.<br />

Das Kloster entsteht. Es bekommt seine typische Verfassung.<br />

Die Diktatur des Abtes beginnt. Man spürt, dass ein Gemeinschaftsleben<br />

dieser Art nur möglich ist, wenn eine starke Hand<br />

es regiert, da die geistlichen Kräfte des Urchristentums nicht<br />

79


<strong>Jesus</strong> <strong>im</strong> <strong>Römerreich</strong> · Kapitel 8<br />

mehr in der alten Klarheit vorhanden waren. Das Kloster stellt<br />

einen Wirtschaftskommunismus dar. Keiner will eigenen Besitz<br />

haben, sondern völlig von allem gelöst sein, um Gott ganz<br />

frei dienen zu können. Die ersten Klöster in der ägyptischen<br />

und syrischen Einöde müssen wir uns sehr bescheiden und pr<strong>im</strong>itiv<br />

vorstellen.<br />

Diese Bewegung des Mönchtums war sowohl eine Absage<br />

an die verfaulte Kultur wie an die verflachte Kirche. Die Kultur<br />

der damaligen Zeit ekelte viele stark an, weil sie nur zu deutlich<br />

sahen, dass sie <strong>im</strong> Grunde sinnlos war – nur eine Fassade, hinter<br />

der sich die ganze innere Hohlheit verbarg. Zugleich aber<br />

war das Mönchtum die schwerste Kritik gegen die Entwicklung<br />

des Christentums, die von den schlichten Bruderkreisen der Gemeinde<br />

Jesu zu dem gewaltigen, überall anerkannten Machtgebilde<br />

geführt hatte – von den schlichten Boten des Christus <strong>im</strong><br />

ersten Jahrhundert und dem allgemeinen Priestertum aller Kinder<br />

Gottes zur Herrscherstellung der Bischöfe und einem besonderen<br />

geistlichen Stand.<br />

Der Mönch erklärte: Ich brauche diesen ganzen, religiösen<br />

Apparat nicht mehr; ich habe einen unmittelbaren Weg zu<br />

Gott. Damit war der Priester des vierten Jahrhunderts erledigt.<br />

Man brauchte ihn nicht mehr, nicht mehr diese Institution, diese<br />

Sakramente, diese Einrichtungen der offiziellen Kirche, um<br />

Verbindung mit Gott zu bekommen. Es lebte etwas aus dem<br />

Urchristentum auf – die Erinnerung daran, dass Christus für<br />

jeden glaubenden Menschen einen freien Zugang zu Gott geschaffen<br />

hat. So war das Mönchtum der schärfste Widerspruch<br />

gegen das, was aus der offiziellen Christenheit geworden war.<br />

Dennoch hat die Kirche sich mit dem Mönchtum ausgesöhnt.<br />

Man spürte: Eigentlich brauchen wir so etwas. Wir<br />

können für die Massen die alten, urchristlichen Linien nicht<br />

aufrechterhalten, aber verzichten können wir auch nicht darauf.<br />

So war diese Bewegung der verflachten Massenkirche ein<br />

willkommener Bundesgenosse. Die ernsten Linien des Mönch-<br />

80


Gegenbewegungen gegen die Verstaatlichung des Christentums<br />

tums gaben doch dem Christentum noch ein Daseinsrecht,<br />

obwohl sie vom Neuen Testament aus gesehen eine Karikatur<br />

darstellten.<br />

Was man für die Gesamtkirche und für sich selbst ablehnte,<br />

übertrug man auf diese kleinen Kreise, um sich selbst innerlich<br />

zu entlasten. Diese Mönche, die so viele hundert Kilometer entfernt<br />

in der Wüste lebten, beunruhigten nicht so sehr. Sie bildeten<br />

nicht einen täglichen, unmittelbaren Gewissensruf an die<br />

Massengemeinden und ihre Führer, dass auch für sie der Weg<br />

in der Nachfolge Jesu eigentlich schmal sei. Die Mönche waren<br />

so weit fort. Wenn man sie verehrte und mit seinen Opfern unterstützte,<br />

fühlte man sich von dem Anspruch Jesu befreit, ihm<br />

wirklich ernsthaften Einfluss auf sein Leben geben zu müssen.<br />

Das Mönchtum ist zweifellos ein Fehlweg, der damit beginnt,<br />

dass man sich aus seiner normalen Umgebung zurückzieht,<br />

während es eigentlich darauf ankommt, in der alten Umgebung<br />

als ein Jünger Jesu sich zu bewähren und zu dienen. <strong>Jesus</strong><br />

will seine Leute nicht aus der Welt herausziehen und isolieren,<br />

sondern zu Salz und Licht mitten in der alten Umgebung<br />

machen.<br />

Die Mönche verlegten das Ringen um die Nachfolge Jesu an<br />

eine falsche Stelle. Sie kämpften in der Wüste gegen ihren Leib<br />

und gönnten ihm nicht mehr, was er braucht. Wenn sie kein<br />

Fleisch aßen, wenn sie nur von Kräutern lebten, nichts Warmes<br />

kochten, auf die Ehe verzichteten und so pr<strong>im</strong>itiv wie nur möglich<br />

lebten, dann hofften sie, Gemeinschaft mit Gott zu bekommen.<br />

Aber sie haben in erschütternder Weise erlebt, dass das,<br />

was wirklich Sünde ist, ihnen auch in die Wüste folgte.<br />

Aus einem Kampf des Geistes um den Einfluss Jesu auf unseren<br />

innersten Menschen und sein Wesen war ein Kampf an einer<br />

ganz äußerlichen Front geworden. Viel wertvolle Kraft ist verschwendet<br />

worden, weil man nicht mehr wusste, was Sünde, was<br />

Gnade, was Evangelium von <strong>Jesus</strong> ist. Dennoch offenbart sich<br />

auch in dieser Bewegung viel Sehnsucht nach wirklichem Leben<br />

81


<strong>Jesus</strong> <strong>im</strong> <strong>Römerreich</strong> · Kapitel 8<br />

mit Gott, viel Liebe zu Christus und eine große Hingabe an ihn.<br />

Aber gerade bei ihr lässt sich klar und deutlich beobachten, wie<br />

entscheidend alle Liebe zu Christus sich mit klarer Erfassung<br />

des neutestamentlichen Evangeliums verbinden muss, wenn sie<br />

nicht in die Schwärmerei und in die Karikatur der Nachfolge<br />

Jesu führen soll.<br />

82


KAPITEL NEUN<br />

Die Intellektualisierung des<br />

Christentums – der Einbruch<br />

des griechischen Denkens<br />

D<br />

ie Christengemeinden des zweiten Jahrhunderts haben einen<br />

schweren Kampf mit jener Bewegung gekämpft, die in<br />

der Gegenwart ihre Parallele in mancherlei geistigen Strömungen<br />

hat und damals »Gnosis«, d. h. »Erkenntnis«, genannt wurde.<br />

Es war jene Bewegung aus den gebildeten, intellektuellen<br />

Kreisen, denen die urchristliche Botschaft von <strong>Jesus</strong> zu schlicht<br />

und einfach erschien und denen es peinlich war, mit dem<br />

schlichten Mütterchen und dem ungebildeten Handlanger <strong>im</strong><br />

Hafen in derselben inneren Lage vor Gott stehen zu sollen. So<br />

erwuchsen in einem gewaltigen Mischungsprozess von urchristlichen<br />

Linien, philosophischem Denken und gehe<strong>im</strong>nisvoller<br />

Phantasie der Mystik eine Fülle von Weltbildern, die es möglich<br />

machten, <strong>Jesus</strong> in sein Denken hereinzunehmen und doch<br />

praktisch sich ihm nicht zu unterwerfen, und die vor allem an<br />

den beiden peinlichen neutestamentlichen Worten von »Sünde«<br />

und »Gnade« vorüberführten, um stattdessen ein Sich-Emporarbeiten<br />

auf dem Weg der geistigen Konzentration und der intellektuellen<br />

Erkenntnis bis zur völligen Gemeinschaft mit Gott<br />

zu ermöglichen.<br />

Obwohl den Christen des zweiten Jahrhunderts die urchristliche<br />

Botschaft zum guten Teil verdunkelt war, erkannten sie<br />

doch sehr deutlich, dass sich hier Mischformen einstellten, die<br />

83


Erich <strong>Schnepel</strong> zeichnet in seiner Ausarbeitung den Weg nach,<br />

den die Gemeinde Jesu <strong>im</strong> Römischen Reich während der ersten<br />

vier Jahrhunderte nahm: einen Weg des Leidens und des<br />

Triumphs zugleich. Die Nachfolger Jesu erduldeten um des<br />

Evangeliums willen die schl<strong>im</strong>msten Leiden bis in den Tod,<br />

und – so erstaunlich es klingen mag – gerade dadurch triumphierten<br />

sie, gemäß Gottes Verheißung: »Sei getreu bis in den<br />

Tod, und ich werde dir den Siegeskranz des Lebens geben«<br />

(Offb 2,10).<br />

Selbst blutiger Staatsterror vermochte die Gemeinde Jesu<br />

nicht auszurotten. Durch seine innere Kraft überwand das<br />

Christentum das Heidentum, das der Macht des Evangeliums<br />

nichts entgegenzusetzen hatte.<br />

Auch frühkirchliche Fehlentwicklungen und Abweichungen<br />

vom biblischen Glauben verdeutlicht der Autor und stellt ihnen<br />

das biblische Vorbild wahren Christentums entgegen. Dadurch<br />

regt Erich <strong>Schnepel</strong> <strong>im</strong>mer wieder zur kritischen Selbstprüfung<br />

an.<br />

So darf der Leser gleich einen mehrfachen Nutzen aus dieser<br />

Ausarbeitung ziehen: Lehrreiches über die Kirchengeschichte,<br />

knappe und klare Darstellung des biblischen Glaubens, Warnung<br />

vor dem Abweichen davon sowie die Ermutigung, dem<br />

Herrn <strong>Jesus</strong> allezeit treu zu sein.<br />

ISBN 978-3-935558-41-9<br />

9 783935 558419

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