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Leseprobe Arbeitsrecht im Betrieb 06_2017

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<strong>Arbeitsrecht</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>Betrieb</strong><br />

AiB | FACHZEITSCHRIFT FÜR DEN BETRIEBSRAT<br />

aib-web.de<br />

38. JAHRGANG<br />

ISSN 01741225<br />

D 3591<br />

6 | <strong>2017</strong><br />

QUALIFIZIERUNG<br />

Bildung bei Arbeit 4.0<br />

<strong>im</strong> Blick behalten<br />

aktuelles Auszubildende gegen Rechts<br />

grundlagen Mehr Macht für Schwerbehindertenvertreter<br />

betriebliche praxis Rechtzeitige Planung der Nachfolge


titelthema<br />

qualifizierung<br />

AiB 6 | <strong>2017</strong><br />

Anpacken statt<br />

abwarten<br />

industrie 4.0 Wie lassen sich die Veränderungen der vierten industriellen<br />

Revolution arbeitspolitisch gestalten? In einem von der IG Metall initiierten<br />

Projekt suchen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite nach gangbaren Wegen.<br />

VON HELGA BALLAUF<br />

10


AiB 6 | <strong>2017</strong><br />

qualifizierung<br />

titelthema<br />

Flott sieht er aus, der kleine Rennwagen<br />

aus Lego-Elementen. Montagefachkräfte<br />

der Sparte »Power Conversion«<br />

von General Electric (GE)<br />

in Berlin bauen ihn in einer Trainingseinheit<br />

Stück für Stück zusammen. So wird der Prozess<br />

s<strong>im</strong>uliert, den sie in der Realität mit dem neuen<br />

»Manufactoring Execution System« (MES)<br />

be<strong>im</strong> Zusammenbau großer Schaltschränke<br />

gehen müssen, automatische Dokumentation<br />

jeder Handlung inklusive. Die beiden <strong>Betrieb</strong>sräte<br />

Stefanie Siegmund und Nico Augner haben<br />

die Fortbildung gemeinsam mit Vertretern der<br />

Arbeitgeberseite <strong>im</strong> Rahmen des IG Metall-<br />

Projekts »Arbeit + Innovation« entworfen.<br />

Lernen durch S<strong>im</strong>ulation<br />

»Bisher wurde Qualifizierung bei GE nicht groß<br />

geschrieben«, freut sich Stefanie Siegmund<br />

über den neuen Ansatz und das »Wir«, das sich<br />

aus der Zusammenarbeit ergeben hat. Nico<br />

Aigner erlebt, dass selbst Kollegen, die bisher<br />

das neue Produktionssystem kritisch sahen,<br />

»nach der Schulung begeistert sind, weil sie Zusammenhänge<br />

verstanden haben und wissen,<br />

wo der Nutzen liegt«. Ziel der <strong>Betrieb</strong>sräte ist<br />

nun, diese Form der Qualifizierung auf andere<br />

Fertigungslinien und andere MES-Funktionen<br />

auszuweiten. Vor allem aber sind sie dabei, weitere<br />

interne Trainer zu qualifizieren, um sich<br />

selbst zu entlasten, denn beide <strong>Betrieb</strong>sräte sind<br />

nicht freigestellt. Ihr Engagement kommt bisher<br />

»oben drauf« auf die sonstige Berufsarbeit.<br />

Die Ingenieure der IAV GmbH in Berlin entwickeln<br />

neue Lösungen für die Autoindustrie.<br />

Nun wird das »agile Arbeiten« schrittweise<br />

eingeführt, mit Folgen für Arbeitszeit und -ordarum<br />

geht es<br />

1. Das Projekt »Arbeit +<br />

Innovation« (A+I) der<br />

IG Metall wird vom<br />

Europäischen Sozialfonds<br />

(ESF) <strong>im</strong> Rahmen der<br />

»Initiative Fachkräfte<br />

sichern« gefördert.<br />

2. Mit dem Projekt<br />

werden von <strong>Betrieb</strong>srat<br />

und Geschäftsleitung<br />

gemeinsam gestaltete<br />

Qualiizierungsvorhaben<br />

unterstützt.<br />

3. A+I läuft in fünf<br />

Regionen der Metallindustrie<br />

mit je eigenem<br />

Schwerpunkt. Es geht<br />

darum, die Herausforderungen<br />

von Industrie<br />

4.0 zu bewältigen.<br />

Proaktive Gestaltung<br />

»Arbeit + Innovation« (A+I) ist ein Projekt der<br />

IG Metall und wird unter anderem mit Mitteln<br />

des Europäischen Sozialfonds (ESF) <strong>im</strong> Rahmen<br />

der »Initiative Fachkräfte sichern« (s. Links) gefördert.<br />

Die Leitung liegt be<strong>im</strong> Gewerkschaftsvorstand<br />

in Frankfurt. Unterstützt werden gemeinsam<br />

von <strong>Betrieb</strong>srat und Geschäftsleitung<br />

gestaltete Qualifizierungs vorhaben. A+I läuft in<br />

fünf Regionen der Metallindustrie mit je eigenem<br />

Schwerpunkt bei der Bewältigung dessen,<br />

was die »Industrie 4.0« mit sich bringt.<br />

Anregungen für Entwickler<br />

11


aktuelles Superwahljahr 2018<br />

AiB 6 | <strong>2017</strong><br />

Superwahljahr 2018<br />

organisation In 2018 trefen die <strong>Betrieb</strong>sratswahlen und<br />

die Wahlen zu den Arbeitnehmervertretern in die Aufsichtsräte<br />

aufeinander. Stressfreie Organisation ist angesagt.<br />

VON UWE KNAPE<br />

darum geht es<br />

1. 2018 stehen die <strong>Betrieb</strong>sratswahlen<br />

sowie<br />

die Aufsichtsratswahlen<br />

in vielen Unternehmen<br />

vor der Tür.<br />

2. Beide Wahlen sollten<br />

möglichst synchron, reibungslos<br />

und transparent<br />

in die betrieblichen Abläufe<br />

integriert werden.<br />

3. Das stellt Wahlvorstände<br />

vor hohe logistische,<br />

administrative und personelle<br />

Anforderungen.<br />

Die Interessenvertretung muss <strong>im</strong><br />

Superwahljahr überlegen, wen sie<br />

aufstellt und sie muss organisatorischen<br />

Stress vermeiden. Zuerst<br />

klemmt die Personaldecke zur Besetzung der<br />

von Mitbest<strong>im</strong>mungsgesetz und <strong>Betrieb</strong>sverfassungsgesetz<br />

geforderten Wahlvorstände. Der<br />

Vorsitz eines Unternehmens- oder Hauptwahlvorstandes<br />

ist durchaus ein Vollzeit-Job. Ihn<br />

neben der eigenen Kandidatur als <strong>Betrieb</strong>srat<br />

auszuüben, wird schwer. Zu groß sind die Abwesenheitszeiten,<br />

die notwendige Präsenz <strong>im</strong><br />

<strong>Betrieb</strong> kann nicht dargestellt werden. Kein<br />

Wunder, dass Gesamt- und Konzernbetriebsrats-Vorsitzende<br />

Probleme mit der Besetzung<br />

dieses Amtes bekommen. In DAX-notierten<br />

Unternehmen sind 40 bis 70 <strong>Betrieb</strong>swahlvorstandsgremien<br />

keine Seltenheit. Bei der von<br />

den Wahlordnungen geforderten Min<strong>im</strong>albesetzung<br />

von drei Mitgliedern bedeutet dies, dass<br />

120 bis über 200 Personentage pro Arbeitstag<br />

zur Bewältigung der Wahlvorstandsaufgaben<br />

gerechnet werden müssen. Werden die in der<br />

Dritten Wahlordnung zum Mitbest<strong>im</strong>mungsgesetz<br />

projektierten 25 Wochen zugrunde gelegt,<br />

können dabei überschlägig schnell 1.500 bis<br />

2.000 Personentage Aufwand entstehen.<br />

Übergeordnete Planung ist wichtig<br />

Sind die handelnden Personen gefunden,<br />

stellt sich die Frage der Synchronisation<br />

der Wahlen. Im Rahmen der Aufsichtsratswahl<br />

können die <strong>Betrieb</strong>swahlvorstände in<br />

die Situation kommen, bis zu zwei komplette<br />

Wahlen in den <strong>Betrieb</strong>en durchführen zu<br />

müssen. Also Wahllokale, Wahlhelfer und das<br />

vollständige Briefwahlszenario. Dazu kommt<br />

die von der Durchführung des eigentlichen<br />

Wahlaktes gleich mächtige <strong>Betrieb</strong>sratswahl.<br />

Dies verlangt förmlich nach einer übergeordneten<br />

Planung. Entweder versucht man, die<br />

Wahlen so weit zu entzerren, dass zwischen<br />

Aufsichtsrats (AR)-Wahlen und <strong>Betrieb</strong>srats<br />

(BR)-Wahlen deutlich unterschieden wird,<br />

oder man synchronisiert die BR-Wahl mit einem<br />

Wahlgang der AR-Wahl, beispielsweise<br />

der unmittelbaren Wahl der Aufsichtsratstmitglieder<br />

bei Belegschaftsgrößen zwischen<br />

zwei- und achttausend (oder nach erfolgreichem<br />

Antrag auf Wechsel der Wahlart bei<br />

über 8.000 Beschäftigten).<br />

Ermüdungserscheinungen vorbeugen<br />

Die Erfahrung zeigt, dass die Wahlbeteiligung<br />

von Urnengang zu Urnengang abn<strong>im</strong>mt, sozusagen<br />

Wahlermüdungserscheinungen auftreten.<br />

Einmal <strong>im</strong> Wahllokal, können beide<br />

Wahlen, wenn – den Wahlordnungen folgend –<br />

deutlich voneinander abgetrennt, gleichzeitig<br />

stattinden. Bleibt dabei das Problem der Per-<br />

checkliste<br />

Das muss geklärt werden für die <strong>Betrieb</strong>sratswahl<br />

und die Wahl zum Aufsichtsrat:<br />

Grobe Zeitrahmen festlegen<br />

AR-Wahl Haupt-/Gesellschafter versammlung;<br />

BR-Wahl Ende Amtszeit amtierender BR<br />

Personen und Größe der<br />

Wahlvorstände planen<br />

Wer übern<strong>im</strong>mt wofür Verantwortung?<br />

Ansprechpartner <strong>im</strong> Unternehmen<br />

inden<br />

HR, IT, Organisation<br />

Sitzungstermine zur Bestellung der<br />

Wahlvorstände planen<br />

22


AiB 6 | <strong>2017</strong><br />

Superwahljahr 2018 aktuelles<br />

sonengleichheit der Kandidaten. Üblicherweise<br />

sind es die Spitzen der betrieblichen Mitbest<strong>im</strong>mung,<br />

die in der Gruppe der Arbeitnehmer<br />

nach § 3 Abs. 1 Nr. des Mitbest<strong>im</strong>mungsgesetzes<br />

kandidieren. Die Wählerinnen und Wähler<br />

erhalten daher durchaus St<strong>im</strong>mzettel mit gleichen<br />

personalen Inhalten in unterschiedlichen<br />

Wahl- und St<strong>im</strong>mzettelformaten.<br />

Achtung: Unterschiedliche Wählerlisten<br />

Dazu kommen die unterschiedlichen Wählerlisten.<br />

Wählen bei den Aufsichtsratswahlen die<br />

leitenden Angestellten mit und werden für die<br />

Gruppe der leitenden Angestellten sogar eigene<br />

Kandidaten gestellt, die dann auch von den<br />

Arbeitnehmern mit gewählt werden, ist genau<br />

diese Gruppe der leitenden Angestellten von<br />

der <strong>Betrieb</strong>sratswahl ausgeschlossen. Die Kandidatur<br />

eines leitenden Angestellten oder seine<br />

Präsenz auf der Wählerliste bei der <strong>Betrieb</strong>sratswahl<br />

ist dabei ein schwerer Fehler.<br />

Wahlen entzerren<br />

Alternativ, und von der betrieblichen Mitbest<strong>im</strong>mung<br />

häuiger gewählt, ist die Entzerrung.<br />

Hierbei sollen die Wahlgänge so weit auseinander<br />

liegen, dass dem Wähler klar ist, dass<br />

es sich um unterschiedliche Mitbest<strong>im</strong>mungen<br />

handelt, bei denen er sein Wahlrecht ausübt.<br />

»Organisatorische<br />

Planung muss<br />

rechtzeitig vorangetrieben<br />

werden.«<br />

UWE KNAPE<br />

checkliste<br />

Darum muss sich der Wahlvorstand kümmern:<br />

Sachressourcen beschafen<br />

Räume (Wahlbüro, Sitzungsz<strong>im</strong>mer)<br />

Büroausstattung<br />

(inklusive EDV, Literatur etc.)<br />

Erreichbarkeit des Wahlvorstands klären<br />

elektronisch: Telefon, Fax, Mail<br />

stolich: postalisch, Besuchsadresse<br />

Ausstattung für Wahl<br />

Wahllokale, -urnen, -kabinen<br />

Qualiikation der beteiligten<br />

Wahlvorstandsmitglieder<br />

Seminare der Gewerkschaft<br />

evtl. externe Organisations-Berater<br />

Ein kurzer Blick auf den Fristenplan der Aufsichtsratswahl<br />

zeigt allerdings, dass dann schon<br />

heute Eile geboten ist. Soll der <strong>Betrieb</strong>srat<br />

beispielsweise <strong>im</strong> Mai gewählt werden, ist die<br />

Durchführung der Urwahl für Ende Januar zu<br />

planen, um den geforderten zeitlichen Abstand<br />

zu erreichen. Dieser Zeitdruck verstärkt sich<br />

bei der Wahl in einer Delegiertenversammlung.<br />

Soll diese aus wahlkampftaktischen Gründen<br />

<strong>im</strong> Januar stattinden, müssen die Delegiertenwahlen<br />

spätestens Anfang Dezember stattgefunden<br />

haben. Erfahrungsgemäß machen Wahlen<br />

zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar<br />

urlaubsbedingt keinen Sinn, die Wahlbeteiligung<br />

würde auf unerwünscht niedrige Werte<br />

abrutschen. Allerdings sind beide Fristenpläne<br />

nicht frei justierbar. Hängt der für die BR-Wahl<br />

am Ablauf der Amtszeit des amtierenden Gremiums,<br />

wird der der AR-Wahl vom Datum der<br />

Haupt- oder Gesellschafterversammlung nach<br />

dem Aktienrecht best<strong>im</strong>mt. Da die Aufsichtsratswahl<br />

<strong>im</strong> Konzern eine ganze Gruppe von<br />

möglichen <strong>Betrieb</strong>sratswahlen mit Gremien unterschiedlicher<br />

Amtszeit-Enden überspannt, betrachtet<br />

man also nicht nur zwei Fristenpläne.<br />

Rechtzeitig alles organisieren<br />

Diese einfachen und grundsätzlichen Überlegungen<br />

zeigen, mit wieviel Sorgfalt und wie<br />

frühzeitig sich die betriebliche Mitbest<strong>im</strong>mung<br />

der organisatorischen Seite widmen muss. Dies<br />

ist allerdings nicht der natürliche Blickwinkel<br />

auf die Wahlen. Der liegt eher <strong>im</strong> personellen<br />

und (betriebs-)politischen. Die Ausführungen<br />

zeigen jedoch, dass weder personelle, noch<br />

politische Ziele erreicht werden können, wenn<br />

die organisatorische Planung nicht rechtzeitig<br />

vorangetrieben wird. v<br />

Uwe Knape, stellvertretender<br />

Vorsitzender Bundesverband<br />

Arbeitsorientierter Beratung.<br />

Uwe.Knape@BAB-eV.de<br />

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Erscheint Juni <strong>2017</strong><br />

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grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Kündigung von Schwerbehinderten<br />

AiB 6 | <strong>2017</strong><br />

Kündigung von<br />

Schwerbehinderten<br />

beteiligungsrechte Ohne die Schwerbehindertenvertretung geht es<br />

nicht mehr bei Kündigungen – das sieht eine neue Vorschrift <strong>im</strong> Sozialgesetzbuch<br />

IX vor. Lesen Sie, wie Beschäftigte davon proitieren.<br />

VON WOLF-DIETER RUDOLPH<br />

darum geht es<br />

1. <strong>Betrieb</strong>srat und<br />

Schwer behindertenvertretung<br />

(SBV) haben<br />

unterschiedliche Rechte.<br />

2. Bei Einstellungen<br />

Schwerbehinderter wird<br />

die SBV früher ins Boot<br />

geholt – davon proitiert<br />

auch der <strong>Betrieb</strong>srat.<br />

3. Das neue Bundesteilhabegesetz<br />

stärkt die<br />

Beteiligungsrechte der<br />

SBV bei Kündigungen.<br />

Eine ohne Beteiligung<br />

der Schwerbehindertenvertretung<br />

ausgesprochene<br />

Kündigung ist<br />

rechtsunwirksam.<br />

Miteinander reden ist <strong>im</strong>mer<br />

gut – das gilt auch für die Organe<br />

der <strong>Betrieb</strong>sverfassung,<br />

den <strong>Betrieb</strong>srat und die Schwerbehindertenvertretung<br />

(SBV). Wichtig ist das<br />

besonders bei personellen Einzelmaßnahmen<br />

wie Einstellungen. 1 Beiden Organen hat der<br />

Gesetzgeber verschiedene Rechte zugestanden.<br />

Beindet sich bei einer Einstellung mindestens<br />

ein Schwerbehinderter <strong>im</strong> Bewerberpool,<br />

hat die SBV ein Teilnahmerecht bei<br />

Bewerbungsgesprächen. Sie erhält dadurch<br />

viele Informationen, welche dem <strong>Betrieb</strong>srat<br />

in dieser Zeitphase noch nicht mitgeteilt werden<br />

müssen. Sobald die Einstellungsentscheidung<br />

allerdings getrofen wurde, ist die Macht<br />

der SBV begrenzt. Im Gegensatz dazu ist hier<br />

der <strong>Betrieb</strong>srat dann stark, denn der Arbeitgeber<br />

benötigt gemäß § 99 BetrVG für eine beabsichtigte<br />

Einstellung zwingend die vorherige<br />

Zust<strong>im</strong>mung des <strong>Betrieb</strong>srats zu dieser Maßnahme.<br />

Der <strong>Betrieb</strong>srat kann die Zust<strong>im</strong>mung<br />

verweigern. Ein Grund dafür ist die nicht korrekte<br />

Beachtung der Vorgaben aus § 81 Abs. 1<br />

Sozialgesetzbuch (SGB) IX. 2 Das kommt in der<br />

Praxis oft vor. Dazu zählen auch die fehlende<br />

oder die fehlerhafte Beteiligung der SBV gemäß<br />

§ 95 Abs. 2 SGB IX.<br />

Neue Vorschriften<br />

Das neue Bundesteilhabegesetz (BTHG, zum<br />

1.1.<strong>2017</strong> in Kraft getreten) 3 macht den engen<br />

Informationsaustausch sowie eine Absprache<br />

über das Vorgehen von <strong>Betrieb</strong>srat und SBV<br />

auch <strong>im</strong> Fall von Kündigungen von Schwerbehinderten<br />

nötig. Der Grund liegt in der Stärkung<br />

der Beteiligungsrechte der SBV bei Kündigungen.<br />

Der Gesetzgeber hat zum Ärger der<br />

Arbeitgeberlobby einen neuen Satz 3 in den<br />

§ 95 Abs. 2 SGB IX eingefügt: Eine ohne Beteiligung<br />

der SBV ausgesprochene Kündigung<br />

soll rechtsunwirksam sein.<br />

Dadurch wird erreicht, dass zukünftig<br />

kein Arbeitgeber mehr die SBV – wie leider<br />

heute zu häuig – ignorieren wird. Arbeitgebern<br />

war die einschlägige Rechtsprechung<br />

des Bundesarbeitsgerichts (BAG) 4 nur zu gut<br />

bekannt, nach der eine fehlende Beteiligung<br />

nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führte.<br />

Dazu kam noch: Auf Grund der bisherigen<br />

Rechtslage konnte die SBV das ihr zustehende<br />

Beteiligungsrecht nur schwer durchsetzen.<br />

34<br />

1 Vgl. dazu Rudolph, AiB 2011, S. 382.<br />

2 Siehe bereits BAG 14.11.1989 – 1 ABR 88/88; AiB 1990, S. 169.<br />

3 Dazu Düwell, AiB <strong>2017</strong>/2, S. 21; Sachadae, AiB 5/<strong>2017</strong>, S. 27.<br />

4 BAG 28.7.1983 – 2 AZR 122/82, DB 1984, S. 133.<br />

5 Vgl. dazu eingehend statt vieler Düwell in: Dau/Düwell/Joussen,<br />

SGB IX-Kommentar, 4. Aufl., § 55, Rn. 34.<br />

6 Zum Umfang der Mitteilungspflicht nach § 102 BetrVG statt vieler:<br />

Fitting, BetrVG- Kommentar, 28. Aufl., § 102 Rn. 21 ff. m.w.N.


Irmgard Schmalix,<br />

Juristin, Bund­Verlag<br />

Christian Köhler,<br />

Jurist, Bund­Verlag<br />

1. JAHRGANG<br />

ISSN 2511-5995<br />

AiB 6 | <strong>2017</strong> Kündigung von Schwerbehinderten grundlagen der betriebsratsarbeit<br />

Schnell<br />

Bescheid wissen.<br />

Richtig handeln.<br />

Handlungsmöglichkeiten der SBV<br />

Bisher – und das gilt natürlich weiterhin – hat<br />

die SBV zwei Handlungsmöglichkeiten:<br />

} 1. Aussetzungsantrag gemäß<br />

§ 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX<br />

tipp<br />

Eine Beteiligung muss bei jeder Art der<br />

Kündigung erfolgen. Das heißt nicht nur<br />

bei einer ordentlichen oder außerordentlichen<br />

Kündigung, sondern natürlich auch<br />

<strong>im</strong> Fall einer Änderungskündigung.<br />

Schwerbehindertenrecht<br />

und Inklusion<br />

informationsdienst für schwerbehindertenvertreter,<br />

betriebs- und personalräte<br />

titelthema Die neue Inklusionsvereinbarung<br />

nach dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) | Seite 2<br />

Bundesteilhabegesetz: Mehr Rechte<br />

für das Ehrenamt | Seite 5<br />

Psychische Erkrankungen: Schnellere Erstbehandlung<br />

nun ein Vorteil <strong>im</strong> BEM | Seite 6<br />

Vor der Wahl 2018: Der Tätigkeitsbericht | Seite 7<br />

Rechtsprechung: Aufstocken der Arbeitszeit<br />

schwerbehinderter Arbeitnehmer | Seite 8<br />

infodienst-sbv.de<br />

1 | <strong>2017</strong><br />

Die SBV kann bei Nichtbeteiligung einen<br />

sogenannten Aussetzungsantrag stellen mit<br />

der Folge, dass die Durchführung oder Vollziehung<br />

einer beabsichtigten Maßnahme wie<br />

etwa eine Kündigung vom Arbeitgeber nicht<br />

durchgeführt werden darf sondern eben ausgesetzt<br />

werden muss. Dieses kann die SBV<br />

auch per einstweiliger Verfügung versuchen<br />

durchzusetzen. Allerdings kann der Arbeitgeber<br />

die Beteiligung innerhalb von sieben Tagen<br />

nachholen. In der Praxis erfolgte eine entsprechende<br />

Beteiligung spätestens dann oder<br />

wurde nachgeholt, sobald der Arbeitgeber das<br />

Integrationsamt um Zust<strong>im</strong>mung zu der beabsichtigten<br />

Kündigung bat. Dadurch stand den<br />

Schwerbehindertenvertretungen häuig nicht<br />

mehr die Zeit zur Verfügung, um bereits <strong>im</strong><br />

Vorfeld Einluss auf die Kündigungsentscheidung<br />

des Arbeitgebers zu nehmen oder aber<br />

mögliche Fördermaßnahmen zur Sicherung<br />

des Arbeitsplatzes oder der weiteren <strong>Betrieb</strong>s-/<br />

Unternehmenszugehörigkeit einzuholen.<br />

} 2. Ordnungswidrigkeit nach<br />

§ 156 Abs. 1 Nr. 9 SGB IX<br />

Wird die SBV nicht, nicht richtig, nicht vollständig<br />

oder nicht rechtzeitig vor einer Maßnahme<br />

wie einer beabsichtigten Kündigung beteiligt, an<br />

der sie aber beteiligt werden muss, kann dies mit<br />

einer Geldbuße von bis zu 10.000 Euro geahndet<br />

werden. In der Praxis ist leider zu beobachten,<br />

dass die zuständigen Behörden viel zu selten<br />

das Fehlverhalten von Arbeitgebern ahnden.<br />

Beteiligungsrechte der SBV<br />

Der Arbeitgeber ist gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1<br />

SGB IX verplichtet, die SBV in allen Angelegenheiten,<br />

die einen einzelnen oder die schwerbehinderten<br />

Menschen als Gruppe berühren,<br />

unverzüglich und umfassend zu unterrichten<br />

und vor der Entscheidung anzuhören. Darüber<br />

hinaus hat er die getrofene Entscheidung unverzüglich<br />

mitzuteilen. Das Beteiligungsrecht<br />

gilt selbstverständlich auch bei Kündigungen.<br />

Wichtig: Eine Beteiligung muss zwingend auch<br />

dann erfolgen, wenn das Arbeitsverhältnis des<br />

Schwerbehinderten noch keine sechs Monate<br />

bestanden hat. In einem solchen Fall inden<br />

die Schutzbest<strong>im</strong>mungen des Kündigungsschutzgesetzes<br />

sowie der sich aus den §§ 85 f.<br />

SGB IX ergebende Sonderkündigungsschutz<br />

(vorherige Zust<strong>im</strong>mung des Integrationsamtes)<br />

keine Anwendung.<br />

Umso wichtiger ist in derartigen Fällen die<br />

Frage, ob eine ordnungsgemäße Beteiligung<br />

der SBV erfolgt ist. Die Beteiligungsrechte<br />

müssen natürlich auch in kleinen <strong>Betrieb</strong>en<br />

beachtet werden, wobei klar ist, dass in diesen<br />

zumeist weder <strong>Betrieb</strong>srat noch SBV existieren.<br />

Umfang der Beteiligung<br />

Der vom Gesetzgeber eingeräumte Informationsanspruch<br />

soll dazu dienen, dass die SBV<br />

mit ihrer Stellungnahme noch Einluss auf<br />

die Willensbildung des Arbeitgebers nehmen<br />

kann. Das setzt natürlich voraus, dass eine umfassende<br />

Information der SBV erfolgt ist. Der<br />

Gesetzgeber hat zwar zum Umfang nichts vorgegeben.<br />

Die SBV hat auch nicht die Rechtsposition<br />

des <strong>Betrieb</strong>srats. Dieser kann mit einem<br />

rechtswirksamen Widerspruch gemäß § 102<br />

BetrVG zwar auch den Ausspruch einer Kündigung<br />

nicht verhindern. Aber er kann <strong>im</strong> Fall<br />

einer ordentlichen Kündigung den betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Weiterbeschäftigungsanspruch<br />

(§ 102 Abs. 5 BetrVG) ermöglichen. Es<br />

muss davon ausgegangen werden, dass Arbeitgeber<br />

hier dieselben von der Rechtsprechung<br />

vorgegebenen Grundsätze der <strong>Betrieb</strong>sratsanhörung<br />

bei Kündigungen 6 beachten. Die SBV<br />

wird in der Praxis dieselben Informationen<br />

erhalten wie der <strong>Betrieb</strong>srat. Genau wie <strong>im</strong><br />

Anhörungsverfahren des <strong>Betrieb</strong>srats geht es<br />

in der Praxis gar nicht darum, dass der <strong>Betrieb</strong>srat<br />

überhaupt nicht eingeschaltet wurde,<br />

sondern eine fehlerhafte Anhörung stattgefunden<br />

hat. Eine solche hat – genau wie seit den<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

das Bundesteilhabegesetz ist da. Mit vielen Neuerungen<br />

<strong>im</strong> Sozialrecht, die bis zum Januar 2023 stufenweise<br />

in Kraft treten. In unserem Informationsdienst<br />

»Schwerbehindertenrecht und Inklusion« zeigen wir<br />

Ihnen, was sich rechtlich ändert und wie sich das auf<br />

Ihre Arbeit in der Interessenvertretung auswirkt.<br />

Wichtig für Sie: Die Reform des Schwerbehindertenrechts<br />

stärkt Ihr Ehrenamt. Der Arbeitgeber muss<br />

Sie jetzt in jede geplante Kündigung eines schwerbehinderten<br />

Menschen einbeziehen. Kündigungen,<br />

die der Arbeitgeber ausspricht, ohne Sie beteiligt zu<br />

haben, sind ab sofort unwirksam.<br />

Ausführlich stellen wir Ihnen die neue Inklusionsvereinbarung<br />

vor und erläutern die Unterschiede zur<br />

bisherigen Integrationsvereinbarung. Die Inklusionsvereinbarung<br />

fördert die beruliche Teilhabe von<br />

schwer behinderten Menschen. Die Debatte, wie sich<br />

dieses Ziel erreichen lässt, hat das Gesetzesvorhaben<br />

begleitet und ist auch mit dessen Verabschiedung<br />

nicht beendet. In <strong>Betrieb</strong>en und Dienststellen sind<br />

alle Akteure gefordert, die Inklusion auch zu verwirklichen.<br />

Die Speerspitze dazu sind Sie als Schwerbehindertenvertreter,<br />

<strong>Betrieb</strong>s­ und Personalräte.<br />

Erkenntnisreiche Lektüre wünscht Ihnen<br />

Schwerbehindertenrecht<br />

und Inklusion<br />

Informationsdienst<br />

12 Ausgaben jährlich<br />

in Print und Online –<br />

mit Online-Zugriff auf<br />

SGB IX-Kommentar,<br />

Rechtsprechung und<br />

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Der neue Informationsdienst<br />

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<strong>Betrieb</strong>s- und<br />

Personalräte tatkräftig. Hier<br />

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Beratung und alltagstaugliche<br />

Praxistipps für die erfolgreiche<br />

Vertretung schwerbehinderter<br />

oder von Behinderung bedrohter<br />

Menschen.<br />

Die Kernthemen <strong>im</strong> Überblick:<br />

• Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes<br />

auf die Arbeit der SBV<br />

• Beteiligungsrechte der SBV<br />

• Inklusion und<br />

Inklusionsvereinbarungen<br />

• Zusammenarbeit der SBV mit<br />

anderen Interessenvertretungen<br />

• Kündigungsschutz für<br />

schwer behinderte Menschen<br />

und Gleichgestellte<br />

• <strong>Betrieb</strong>liches<br />

Eingliederungsmanagement<br />

• Umsetzung von<br />

Gefährdungs beurteilungen<br />

7 Vgl. statt vieler: Kossens in: Kossens/von der Heide/Maaß, SGB<br />

IX-Kommentar, 4. Aufl., § 95, Rn. 27 m.w.N.<br />

8 Vgl. dazu Rudolph, AiB 2007, S. 653.<br />

9 So richtig Düwell in: Dau/Düwell/Joussen, a.a.O., § 95, Rn. 52.<br />

10 Siehe Rudolph, AiB 2011, S. 382 (386).<br />

Kostenlose<br />

Kennenlern-Ausgabe<br />

unter<br />

35<br />

www.infodienst-sbv.de


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<strong>Arbeitsrecht</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>Betrieb</strong><br />

AiB | FACHZEITSCHRIFT FÜR DEN BETRIEBSRAT<br />

aib-web.de<br />

38. JAHRGANG<br />

ISSN 01741225<br />

D 3591<br />

6 | <strong>2017</strong><br />

<strong>Arbeitsrecht</strong> <strong>im</strong> <strong>Betrieb</strong><br />

FACHZEITSCHRIFT<br />

FÜR DEN BETRIEBSRAT<br />

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QUALIFIZIERUNG<br />

Bildung bei Arbeit 4.0<br />

<strong>im</strong> Blick behalten<br />

aktuelles Auszubildende gegen Rechts<br />

grundlagen Mehr Macht für Schwerbehindertenvertreter<br />

betriebliche praxis Rechtzeitige Planung der Nachfolge<br />

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§<br />

Ihr gutes Recht:<br />

§<br />

Laut BAG vom 19. März 2014 ist die Zeitschrift »AiB«<br />

trotz Internetzugang für die <strong>Betrieb</strong>sratsarbeit erforderlich.<br />

(AZ:7 ABN 91/13)<br />

Ganz nah dran.<br />

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