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08 Mitochondrien bei systemischer Immunreaktion

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<strong>Mitochondrien</strong> <strong>bei</strong> <strong>systemischer</strong> <strong>Immunreaktion</strong><br />

<strong>Mitochondrien</strong>:<br />

Trojanisches Pferd der überschießenden<br />

Immunantwort Kritisch-Kranker?<br />

Mitochondrial DNA and toll-like receptor-9 are associated with mortality in<br />

critically ill patients.<br />

Krychtiuk KA, Ruhittel S, Hohensinner PJ, Koller L, Kaun C, Lenz M, Bauer B, Wutzlhofer L, et al. Crit Care Med 2015; 43:2633-4<br />

Mitochondrial DNA: An endogenous trigger for immune paralysis.<br />

Schäfer ST, Franken L, Adamzik M, Schumak B, Scherag A, Engler A, Schönborn N, Walden J, et al. Anesthesiology 2016;124:923-33<br />

Kritisch kranke PatientInnen, welche<br />

einer Behandlung auf einer Intensivstation<br />

bedürfen, zeigen häufig das Bild einer<br />

unspezifischen, schweren Entzündungsreaktion,<br />

obgleich häufig völlig<br />

unterschiedliche zu Grunde liegende<br />

Erkrankungen die Aufnahme auf die<br />

Intensivstation verursacht haben.<br />

Dieses initial als „systemic inflammatory<br />

response syndrome“ (SIRS) bekannt<br />

gewordene Syndrom <strong>bei</strong>nhaltet<br />

Zeichen und Symptome einer Sepsis,<br />

jedoch lässt sich hier<strong>bei</strong> kein Erreger<br />

nachweisen. Die genaue Pathophysiologie<br />

dieses Syndroms, welches häufig<br />

durch nicht-infektiöse Ursachen wie<br />

z. B. den kardiogenen oder hämorrhagischen<br />

Schock, eine kardiopulmonale<br />

Reanimation, eine schwere Pankreatitis,<br />

aber auch durch ein Trauma unfallchirurgischer<br />

oder auch geplant chirurgischer<br />

Natur ausgelöst werden kann, war<br />

bisher unbekannt.<br />

Eine überaktive SIRS-Antwort kann<br />

zu Funktionseinschränkungen einzelner<br />

Organe bis hin zum Multi-Organ-Versagen<br />

und Tod führen. Prävalenzraten<br />

von mehr als 50% <strong>bei</strong> PatientInnen auf<br />

internistischen Intensivstationen und<br />

eine hohe Mortalitätsrate unterstreichen<br />

die Wichtigkeit des Verständnisses<br />

der hier<strong>bei</strong> involvierten, pathophysiologischen<br />

Mechanismen (Bone RC,<br />

Chest 1992; 101:1644).<br />

Zelluläre Schädigungen und Zelluntergang<br />

führen zu einer Freisetzung<br />

von unter physiologischen Bedingungen<br />

strikt intrazellulär vorkommenden<br />

Molekülen, sogenannter „damage-associated<br />

molecular patterns“ (DAMPs).<br />

Diese Moleküle werden häufig durch das<br />

angeborene Immunsystem über dieselben<br />

Rezeptoren, welche „pathogen-associated<br />

molecular patterns“ (PAMPs)<br />

erkennen, sogenannte „pattern recognition<br />

receptors“ wie z. B. Toll-Like-Rezeptoren<br />

(TLR) erkannt und eine Immunantwort<br />

ausgelöst. Dies könnte die<br />

Ähnlichkeit der infektiösen und nichtinfektiösen<br />

Immunantwort im menschlichen<br />

Organismus erklären (Castelheim<br />

A, Scand J Immunol, 2009; 69:479).<br />

Einen Erklärungsansatz in kritisch<br />

kranken PatientInnen könnte die sogenannte<br />

Endosymbiontentheorie liefern,<br />

laut derer Bakterien vor rund 1,5 Milliarden<br />

Jahren in Einzeller eingewandert<br />

sind und seither als <strong>Mitochondrien</strong> in<br />

Symbiose mit den Wirtszellen leben.<br />

Diese unter physiologischen Bedingungen<br />

strikt intrazellulär vorkommenden<br />

Zell-Organellen weisen jedoch noch einige<br />

bakterielle Merkmale auf, wie gewisse<br />

Oberflächenmarker aber vor allem<br />

auch eine ringförmige DNA (Krysko<br />

DV, Trends Immunol 2011; 32:157).<br />

In einer bahnbrechenden Ar<strong>bei</strong>t haben<br />

Zhang und Ko-Autoren die Hypothese<br />

einer kausalen Involvierung mitochondrialer<br />

Bestandteile in systemischen <strong>Immunreaktion</strong>en<br />

getestet (Zhang Q, Nature,<br />

2010; 464: 104; siehe auch Gerlach<br />

H; Intensiv-News 2012, Heft 3).<br />

In einem ersten Schritt konnten sie zeigen,<br />

dass in einer kleinen Gruppe von<br />

Nr. 3, 2017 25


<strong>Mitochondrien</strong> <strong>bei</strong> <strong>systemischer</strong> <strong>Immunreaktion</strong><br />

PatientInnen mit Polytrauma die zirkulierende<br />

Menge mitochondrialer<br />

DNA massiv erhöht war und somit als<br />

„DAMPs“ in Frage kommen. Weitere<br />

in vitro und in vivo Experimente konnten<br />

schließlich zeigen, dass mitochondriale<br />

DNA (mtDNA) von neutrophilen<br />

Granuloztyen via TLR-9, denselben<br />

TLR, welcher für das Erkennen bakterieller<br />

DNA zuständig ist, erkannt wird<br />

und eine starke Immunaktivierung sowohl<br />

in der Zellkultur als auch im Tiermodell<br />

auslöst.<br />

Weitere klinische Ar<strong>bei</strong>ten konnten<br />

mtDNA als prädiktiven Biomarker für<br />

das Überleben in PatientInnen nach Reanimation,<br />

schwerer Sepsis und Trauma<br />

beschreiben, erhöhte Werte zeigten<br />

sich in PatientInnen mit ischämischem<br />

Insult und Myokardinfarkt.<br />

Unklar ist, ob zirkulierende mtDNA lediglich<br />

einen weiteren Biomarker für<br />

Zelluntergang und in weiterer Folge<br />

für das Überleben auf Intensivstationen<br />

darstellt oder ob eine kausale Rolle<br />

nachweisbar ist. Aus diesem Grund<br />

wurde die „Vienna SIRS Study“ (VSS)<br />

ins Leben gerufen, um einerseits die<br />

Hypothese der mtDNA als Mortalitätsprädiktivem<br />

Biomarker in einer unselektierten<br />

Kohorte kritisch kranker PatientInnen<br />

auf einer internistischen Intensivstation<br />

zu testen und andererseits<br />

den Zusammenhang mit TLR-9-Expression<br />

in zirkulierenden Leukozyten<br />

zu testen.<br />

Aus diesem Grund wurden über ein<br />

Jahr alle PatientInnen, welche einer<br />

Aufnahme auf der kardiovaskulären<br />

Intensivstation 13H3 (Prof. Dr. Gottfried<br />

Heinz) bedurften, in eine prospektive<br />

Beobachtungsstudie eingeschlossen.<br />

In insgesamt 233 kritisch kranken<br />

PatientInnen konnte das Ausmaß der<br />

mtDNA am Aufnahmetag als Prognoseprädiktor<br />

für das 30-Tage-Überleben<br />

etabliert werden (Krychtiuk KA, Critical<br />

Care Medicine, 2015; 43:2633).<br />

In diesem schwer kompromittierten<br />

Patientengut, das 30-Tage-Überleben<br />

betrug lediglich 75% und der mediane<br />

APACHE II Score betrug mehr als<br />

20 Punkte, zeigten PatientInnen mit<br />

26<br />

Bakterien<br />

Neutrophiler<br />

Granulozyt<br />

Sepsis<br />

TLR9<br />

Eukaryotische Zelle<br />

Bakterielle<br />

DNA<br />

Evolution<br />

Abb.: Das Konzept der Sepsis und der sterilen Immunaktivierung kritisch kranker PatientInnen<br />

im Überblick (modifiziert nach Calfee CS, Nature 2010; 464:41)<br />

Plasma mtDNA-Werten in der höchsten<br />

Quartile ein 2.3-fach erhöhtes Risiko<br />

zu versterben. Dies war unabhängig<br />

von Alter, Geschlecht, Aufnahmegrund<br />

und APACHE II Score, ein Hinzunehmen<br />

der mtDNA-Werte verbesserte die<br />

C-Statistik des APACHE II Score sogar<br />

noch.<br />

Eine weitere wichtige Erkenntnis aus<br />

dieser Studie ist, dass zirkulierende<br />

p38 MAPK<br />

Acute lung injury<br />

Trauma<br />

Mitochondriale<br />

DNA<br />

FPR1<br />

<strong>Mitochondrien</strong><br />

Spiegel von mtDNA nur in jenen PatientInnen,<br />

welche zugleich auch eine<br />

erhöhte TLR-9-Expression in zirkulierenden<br />

Monozyten aufwiesen, prognostisch<br />

wirksam sind. Das höchste Risiko<br />

zu versterben hatten jene PatientInnen<br />

mit erhöhter Menge zirkulierender<br />

mtDNA sowie einer erhöhten TLR-<br />

9-Expression (oberhalb des Medians).<br />

Diese Ar<strong>bei</strong>t bestätigt mtDNA als un-<br />

PAMPs<br />

Formylpeptide<br />

DAMPs<br />

Formylpeptide<br />

Neutrophilen<br />

Chemotaxis<br />

Nr. 3, 2017


<strong>Mitochondrien</strong> <strong>bei</strong> <strong>systemischer</strong> <strong>Immunreaktion</strong><br />

abhängigen Prognoseprädiktor in kritisch<br />

kranken PatientInnen, unabhän gig<br />

von der zugrundeliegenden Pathophysiologie,<br />

welche zur Intensiv-Aufnahme<br />

geführt hat. Die Tatsache, dass dies<br />

primär in jenen PatientInnen gültig<br />

war, welche eine erhöhte intrazelluläre<br />

Expres sion an monozytärem TLR-9<br />

aufwiesen, nährt Hinweise aus präklinischen<br />

Modellen zu einem kausalen Zusammenhang<br />

zwischen mitochondrialer<br />

DNA und Aktivierung des angeborenen<br />

Immunsystems.<br />

Neben der initialen, überschießenden<br />

<strong>Immunreaktion</strong> kritisch kranker, aber<br />

auch septischer PatientInnen, rückt die<br />

Phase der im Anschluss häufig beobachteten<br />

„Immun-Paralyse“ mehr und<br />

mehr in den klinischen, aber auch wissenschaftlichen<br />

Fokus. Diese Phase ist<br />

durch die mangelhafte Aktivität des adaptiven<br />

Immunsystems gekennzeichnet<br />

und kann zur Ausbildung opportunistischer<br />

Infektionen im Anschluss an eine<br />

überschießende <strong>Immunreaktion</strong> führen<br />

(Boomer JS, JAMA 2011; 306:2549).<br />

In einer rezenten, kombinierten klinischen<br />

und experimentellen Ar<strong>bei</strong>t<br />

konnten Schäfer und Ko-Autoren in einem<br />

septischen Kollektiv einerseits die<br />

Bedeutung von mitochondrialer DNA<br />

als unabhängigen Prädiktor für das Versterben<br />

bestätigen (Schäfer ST, Anesthesiology<br />

2016; 124:923).<br />

Andererseits konnten sie im Tiermodell<br />

zeigen, dass eine Injektion von mtDNA<br />

zu einer TLR-9-abhängigen, deutlichen<br />

Suppression des adaptiven Immunsystems<br />

führt, während die angeborene<br />

Abwehr einer deutlichen Aktivierung<br />

unterliegt. Diese Ergebnisse deuten auf<br />

duale, schwerwiegende Wirkungen einer<br />

mt DNA-Ausschwemmung in den<br />

Kreislauf kritisch kranker PatientInnen<br />

hin, von einer initialen Überaktivierung<br />

bis hin zu einer Paralyse des angeborenen<br />

Immunsystems, ein Umstand, der<br />

weitere Erklärungsansätze für die weiterhin<br />

hohe Mortalität unserer Intensivpatienten<br />

liefert.<br />

Anhand der bisher vorhandenen Evidenz<br />

könnte in einem nächsten Schritt<br />

eine TLR-9-Inhibierung, vorerst in einem<br />

präklinischen Modell, später auch<br />

in einem klinischen Kontext, auf ihre<br />

protektiven Effekte hinsichtlich überschießender<br />

<strong>Immunreaktion</strong>, aber auch<br />

im weiteren Krankheitsverlauf hinsichtlich<br />

der Immun-Paralyse kritisch kranker<br />

Patienten getestet werden. Damit<br />

könnte die fundamentale Bedeutung der<br />

hier postulierten, evolutionsbedingten<br />

Verwechslung mitochondrialer DNA<br />

bezüglich der Aktivierung des Immunsystems<br />

<strong>bei</strong> kritischer Krankheit bestätigt<br />

oder entkräftet werden. Diesbezüglich<br />

sind national und international einige<br />

Projekte in Ar<strong>bei</strong>t.<br />

Interessenkonflikte: Keine<br />

Dr. Konstantin Krychtiuk, PhD<br />

Priv.-Doz. Dr. Walter Speidl<br />

Universitätsklinik für<br />

Innere Medizin II<br />

Klinische Abteilung für Kardiologie<br />

Medizinische Universität Wien<br />

konstantin.krychtiuk@meduniwien.ac.at

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