Heft 03/09 - beim LCH
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Fotos: Hans Lenzi<br />
BILDUNG SCHWEIZ 3 I 20<strong>09</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Schule auf das Nötigste beschränkt<br />
Christlichen Sub- und Separat-Gruppen hängt ein grosser Reiz an. Ihre Weltanschauungen wecken<br />
Interesse und lassen uns staunen. Ihre Widerständigkeit gegen den Zeitgeist ebenso. Der Besuch in der<br />
amischen Einraum-Schule von Lancaster County erinnert an die «gute, alte Zeit». Eine Annäherung.<br />
Traktoren sind erlaubt bei den Amischen, aber bitte ohne Pneus.<br />
Lancaster County im US-Staat Pennsylvania<br />
ist mein Ziel. Sein Name war im<br />
17. Jahrhundert Programm, hatte dort<br />
doch William Penn sein «heiliges Experiment»<br />
des brüderlichen und freiheitlichen<br />
Zusammenlebens gestartet. Ich<br />
suche Kontakte mit Amischen, interessiere<br />
mich für ihren Alltag und für ihr<br />
Schulsystem.<br />
Hans Lenzi<br />
Eine Abmachung von der Schweiz aus<br />
war unmöglich, kennen sie doch weder<br />
Telefon noch Mail und sind nicht ans<br />
Stromnetz angeschlossen. Es klappt<br />
trotzdem: Ich treffe Amisch-Farmer David<br />
Beiler zufällig bei der Feldarbeit. Er<br />
lädt mich spontan zu ihrem Gottesdienst<br />
und für einen Besuchsmorgen in der<br />
eigenen Schule ein.<br />
Gelebter Glaube<br />
Ich bin der erste europäische Besuch in<br />
dieser Schule. Das schreckliche Attentat<br />
in einer Schule im nahe gelegenen Nickel<br />
Mines im Jahre 2006 steckt der Gemeinschaft<br />
noch immer tief in den Knochen.<br />
Sechs Personen starben damals im<br />
Kugelhagel. Das Schulgebäude wurde<br />
danach komplett dem Erdboden gleich<br />
gemacht. Man wollte nicht mehr ans Geschehen<br />
erinnert werden. Gleichzeitig<br />
haben die betroffenen Eltern dem Mörder<br />
ihrer Kinder offiziell vergeben. Das<br />
hatte weltweites Aufsehen erregt. Gelebter<br />
Glaube also. Bis hin zur letzten<br />
Konsequenz.<br />
Gelebter Glaube auch anderswo. Nachdem<br />
mir Chairman Christ Beiler die<br />
Besuchserlaubnis erteilt hat, ergänzt er<br />
etwas verschämt: «Bitte erscheinen Sie<br />
in langen Hosen! Und: Bitte keine Fotos.»<br />
26<br />
Ich erscheine pünktlich um 8.15 Uhr vor<br />
dem Gebäude. Die Mehrklassenschule<br />
steht abseits auf Amischland. Sie ist<br />
umzäunt. Eine Turnhalle fehlt, für die<br />
Pause steht aber genügend Wiesland<br />
zur Verfügung. Mädchen und Knaben<br />
werden gemeinsam unterrichtet. Im<br />
Gottesdienst wars noch anders: Strenge<br />
Geschlechtersegregation, auch <strong>beim</strong> anschliessenden<br />
Lunch. Die 18-jährige<br />
Lehrerin Martha verfügt über keinerlei<br />
pädagogische Ausbildung. Ihren Lohn<br />
erhält sie von der Amisch-Gemeinschaft.<br />
Davon existieren könnte sie aber nicht,<br />
sondern lebt, wie üblich, bei ihren Eltern.<br />
Laut Beiler wird sie wahrscheinlich<br />
so lange lehren, bis sie verheiratet ist.<br />
Selber meint sie: «Mal für dieses Jahr.»<br />
Im Moment steht sie 34 Kindern vor,<br />
unterrichtet acht Schulalter. Die Pulte<br />
wirken sehr verbraucht, die ganze<br />
Zweckbaute präsentiert sich innen und<br />
aussen schmucklos. Der Unterricht<br />
dauert von 8.30 bis 15.30 Uhr an fünf<br />
Wochentagen. Hausaufgaben sind eher<br />
selten. Das Mittagessen bringen die Kinder<br />
in ihren Lunch-Boxen mit.<br />
Unabhängigkeit ist wichtig<br />
Amische pochen auf grösstmögliche Unabhängigkeit<br />
vom Staat, gerade auch in<br />
Bezug aufs Schulwesen. ‹«Das war einer<br />
der letzten grossen ‹Fights›, welchen wir<br />
mit den Behörden auszufechten hatten»,<br />
erinnert sich Beiler. Und das erfolgreich.<br />
Allerdings mit einem Wermutstropfen:<br />
Sie bezahlen doppeltes Schulgeld, nämlich<br />
über die Steuern und für den Unterhalt<br />
ihrer Privatanstalt.<br />
Ebenfalls beachtenswert: Die Schule<br />
wird nie direkt von der Regierung kontrolliert.<br />
Keine Schulinspektoren betreten<br />
das Gelände. Vielmehr müssen die<br />
amischen Schulverantwortlichen regelmässig<br />
Formulare mit den Leistungen<br />
ihrer Schule ausfüllen. Das reicht. Als<br />
Chairman der Schule kann nur ein Mann<br />
agieren. Das Amt hält man für fünf Jahre<br />
inne und wird by vote hineingewählt. Es<br />
werden keine Ausflüge und Schulverlegungen,<br />
wie wir sie kennen, vorgenom-