Sellarie sitzt auf dem Sofa - Medienobservationen
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www.medienobservationen.lmu.de 6<br />
Abgründe der Ottonormalverbraucherseele<br />
Es wäre, wie schon angedeutet, ungerecht und schlichtweg nicht zutreffend,<br />
die Debüt-CD der <strong>Sellarie</strong>s <strong>auf</strong> einen wie auch immer raffiniert<br />
sublimierten antibürgerlichen Impuls zu reduzieren. Gerade mit <strong>dem</strong><br />
Bürgerlichen lassen sich heutzutage diejenigen Gemütlichkeitsvorstellungen<br />
verbinden, die in Zeiten permanenter sozialer Beschleunigung an<br />
Attraktivität vielleicht nur gewinnen können. Deshalb wäre es vor <strong>dem</strong><br />
Hintergrund dieser Diagnose anachronistisch genug, <strong>auf</strong>zubegehren gegen<br />
eine Lebensform, deren erstrebenswertestes Potenzial spätestens seit<br />
der globalen Finanzkrise nicht mehr in einer Familienidylle aus Bausparvertrag,<br />
Leasing-Mercedes, einem Klavier vielleicht und ein bisschen<br />
Steuerkriminalität besteht, sondern in der Pflege von Gemeinschaften, in<br />
denen diejenigen Tugenden fortleben, die in der bürgerlichen Idealfamilie<br />
von vornherein <strong>auf</strong> schwachen Beinen standen. Mit anderen Worten:<br />
Auf <strong>dem</strong> <strong>Sofa</strong> muss man nicht mit der Familie sitzen, und Unterhaltung<br />
bot noch nie allein der Fernsehapparat.<br />
Beispielhaft lässt sich diese Idee am Chanson Nummer 10 verständlich<br />
machen und belegen. Hier ist es eine Waschmaschine, eine Constructa<br />
genauer gesagt, aus den 60ern, die sich die Muse der <strong>Sellarie</strong>s zum Gegenstand<br />
gewählt hat. Die Anlass dieses Highlights ist schnell erzählt:<br />
Nach kurz-elegischer, instrumentaler Einleitung singt ein lyrisches Ich<br />
vom Tode seiner 98-jährigen Großtante. Es sei klar gewesen, dass die<br />
Tante irgendwann stirbt, heißt es in urwüchsig fränkischem Dialekt. Dieser<br />
Todesfall in der Familie ist Auslöser für ein Lied, in <strong>dem</strong> gerade dadurch,<br />
dass von Trauer nicht die Rede ist, ein Verlust kommuniziert<br />
wird, der nicht allein privater Natur ist. Vielmehr lassen die <strong>Sellarie</strong>s in<br />
der Darstellung einer prekären Kommunikationssituation das Bürgerliche<br />
geradezu als Existenzial unserer modernen Gesellschaft sichtbar<br />
werden.<br />
Entscheidend für das Verständnis des Chansons Nummer 10 nämlich ist<br />
nicht die Reaktion der Hinterbliebenen <strong>auf</strong> den Tod ihrer Lieblingstante,<br />
sondern der Umgang des lyrischen Ich mit der ererbten Waschmaschine.<br />
Wie selbstverständlich und nur allzu schnell wird diese Maschine von ihrer<br />
Erbin zum gleichberechtigten Gesprächspartner beim Kaffeeklatsch<br />
gekürt und rückt so an die Stelle, die vor<strong>dem</strong> vermutlich die Großtante<br />
besetzte. Wenn die Nichte von der Sprachlosigkeit der Waschmaschine