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Kapital & Märkte: Ausgabe Juli 2017

Chronische politische Instabilität und durchwachsene Perspektiven für die Wirtschaft – die aktuelle Kapital & Märkte analysiert die wirtschaftliche und politische Lage in Italien und zeigt, auf welche Szenarien sich Anleger einstellen sollten.

Chronische politische Instabilität und durchwachsene Perspektiven für die Wirtschaft – die aktuelle Kapital & Märkte analysiert die wirtschaftliche und politische Lage in Italien und zeigt, auf welche Szenarien sich Anleger einstellen sollten.

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<strong>Kapital</strong> & <strong>Märkte</strong><br />

Italien: Misere - nur<br />

auf den ersten Blick<br />

Abbildung 1: Arbeitslosenquote in Italien in Prozent<br />

Nachdem die Wahlen in Frankreich nun<br />

abgehalten worden sind, sollte der vorausschauende<br />

Anleger sich jetzt schon<br />

auf die spätestens im Mai 2018 stattfindenden<br />

Wahlen in Italien einstellen.<br />

Die Wählerzustimmung zu denjenigen<br />

italienischen Parteien, die gegenüber<br />

dem Euro skeptisch sind, also der Lega<br />

Nord, der Brüder Italiens und vor allem<br />

der Fünf-Sterne-Bewegung beläuft sich<br />

inzwischen auf rund 50%. Eine andere<br />

Befragung, ob das europäische Projekt<br />

insgesamt für Italien nützlich gewesen<br />

sei, ergab eine Ablehnungsquote von<br />

netto 13% (28% ja – 41% nein), während<br />

in Deutschland netto 25% einen Nutzen<br />

für Deutschland sahen (Quelle: Ipsos,<br />

Feb. <strong>2017</strong>). Auch den Euro selbst lehnt<br />

inzwischen eine Mehrheit der Italiener<br />

mit knapp über 50% und seit Jahren<br />

steigender Tendenz ab. Hier ist auch der<br />

entscheidende Unterschied zur Wahl in<br />

Frankreich: Dort war die Wählerschaft<br />

unabhängig von ihren Parteipräferenzen<br />

mehrheitlich für die EU und die Mitgliedschaft<br />

in der Eurozone. Deshalb<br />

wird die kommende Wahl in Italien<br />

auch wesentlich kritischer für die Zukunft<br />

des Euros als die eben stattgefundenen<br />

Abstimmungen in Frankreich.<br />

Dass etwas in der Eurozone nicht zu<br />

stimmen scheint, darauf deuten auch<br />

die Erwartungen der Bevölkerung für<br />

das wirtschaftliche Wohlergehen ihrer<br />

Kinder hin. In Italien rechnen klar über<br />

50% mit einer Verschlechterung, in<br />

Deutschland nur 24%. (Quelle: Pew Research<br />

Center).<br />

Doch politische Instabilität, Wachstumsschwäche,<br />

hohe Arbeitslosigkeit<br />

(vgl. Abb. 1) und übermäßige Staatsschulden<br />

sind nicht alles. Die wirtschaftliche<br />

Situation Italiens ist eigentlich<br />

mehr widersprüchlich als schlecht:<br />

Das Land hat eine diversifizierte Wirtschaft<br />

und ist insbesondere in der Lombardei<br />

außerordentlich stark. Diese Region<br />

gehört zu den wirtschaftsstärksten<br />

in ganz Europa. Und was in Berichten<br />

über dieses Gründungsland der EU oft<br />

zu wenig gewürdigt wird: In Italien liegt<br />

die Privatverschuldung sogar noch unter<br />

der deutschen und die Sparquote ist<br />

hoch. Auch beim Nettovermögen sind<br />

die italienischen Haushalte laut einer in<br />

2014 gemachten Erhebung der EZB mit<br />

einem Vermögen von im Mittel 146.000<br />

Euro etwa gegenüber Deutschland mit<br />

61.000 Euro wesentlich besser gestellt.<br />

Beim Durchschnittsvermögen liegt Italien<br />

mit 226.000 Euro nur knapp vor<br />

dem deutschen Nettovermögen in Höhe<br />

Quelle: Thomson Reuters Datastream<br />

von 214.000 Euro. Daran lässt sich für<br />

die Verhältnisse in Italien eine wesentlich<br />

gleichmäßigere Vermögensverteilung<br />

als in Deutschland ablesen.<br />

Ganz anders beim Staat: Obwohl der<br />

Primärsaldo (laufende Einnahmen abzüglich<br />

<strong>Ausgabe</strong>n ohne Zinsen) im Plus<br />

ist, was in der Eurozone nur noch<br />

Deutschland schafft, ist der hohe Bestand<br />

an Altschulden das Hauptproblem.<br />

Er bringt hohe Zinslasten mit sich.<br />

Nur wegen den niedrigen Zinsen sind<br />

sie erträglich. Der von 1.670 Milliarden<br />

im Jahr 2008 auf über 2.200 Milliarden<br />

Euro erhöhte Schuldenstand (133% des<br />

Sozialproduktes) ist nach Griechenland<br />

der quotal zweithöchste in der EU. Dank<br />

der Niedrigzinspolitik der EZB zahlt das<br />

Land jedoch heute nur noch 66 Milliarden<br />

Euro Zinsen pro Jahr, während es<br />

2008 noch über 80 Milliarden waren.<br />

Andererseits: Betrachtet man die staatliche<br />

Gesamtverschuldung einschließlich<br />

der staatlichen Sozialversicherungssysteme,<br />

steht Italien mit einer impliziten<br />

Schuldenquote von 107% des Sozialproduktes<br />

wesentlich besser da als<br />

Deutschland mit 161% (Quelle: Stiftung<br />

Marktwirtschaft und EU Kommission<br />

Stand 2015).<br />

Erfreulich entwickelt sich auch die Handelsbilanz<br />

unseres EU-Partners. Seit<br />

2011 hat sie sich von einem deutlichen<br />

Minus zu einem anhaltenden Überschuss<br />

gewandelt. Hier erkennt man einerseits<br />

die Fortschritte auf dem Weg<br />

der Wiedergewinnung der Wettbewerbsfähigkeit,<br />

aber auch die krisenbedingte<br />

Zurückhaltung bei Importen. Seit<br />

der Euro eingeführt wurde, können italienische<br />

Exporteure nicht mehr wie<br />

früher ihre Wettbewerbsfähigkeit mittels<br />

Währungsabwertungen aufrechterhalten<br />

bzw. verbessern. Doch sie schaffen<br />

es inzwischen zunehmend aus<br />

eigener Kraft. Insgesamt betrug der<br />

Überschuss 2016 rekordhohe 52 Milliarden<br />

Euro. So kommt das Land nach<br />

Deutschland (266 Mrd. Euro) und den<br />

zweitplatzierten Niederlanden (60 Milliarden)<br />

auf den dritten Platz in der Eurozone.<br />

Und auch bei alternativen Maßstäben<br />

des Wohlstands, die über finanzielle<br />

Kennzahlen hinausgehen, schneidet

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