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fügt worden. Der Taxifahrer will wissen, wo ich gewesen bin, wie<br />
dort das Wetter und wie lang der Flug war. Und nach meinem<br />
zweiten oder dritten Satz zweifelt er schon an meiner Echtheit:<br />
„Sind Sie eigentlich Iranerin?“<br />
Was soll ich nun sagen? Mir kommt jede Antwort auf diese<br />
Frage wie eine Lüge vor, ein Ja genauso wie ein Nein. Eine<br />
Sekunde lang bin ich versucht zu antworten: „Ich war einmal<br />
Iranerin“. So wie man etwa sagt „Ich war einmal im Louvre“<br />
oder „Ich habe auch früher Badminton gespielt.“ Will eigentlich<br />
sagen: „Ich kenne die Weichheit Ihrer Sprache, mein Herr! Ihre<br />
reichen Bilder. Es gibt in Ihrer Sprache Lieder, die ich mit etwas<br />
Anstrengung mitsingen könnte, falls Sie sie überhaupt kennen.<br />
Und ich kenne die vier Jahreszeiten in Ihrer Stadt. In Zeiten wie<br />
jetzt, im September, war ich früher sehr glücklich, denn noch<br />
ein paar Tage, und da fängt die Schule an. Jawohl, ich kenne<br />
die aufgeregten Herzen der Kinder, wenn sie nach Monaten der<br />
Sommerhitze, des Schwitzens und des obligatorischen Mittagsschlafs<br />
wieder zur Schule gehen dürfen, zu ihren Freunden und<br />
Lehrern, zu neuen linierten Heften und neuen bunten Stiften,<br />
zum freudigen Geschrei im Pausenhof, und zu allerlei Herbstfrüchten,<br />
die Straßenhändler auf kleinen Karren vor der Schule<br />
verkaufen, all diese Beeren, frischen Walnüsse, gebackenen<br />
Pflaumen … Ja, gewiss! Ich war einmal Iranerin, und weiß Gott,<br />
ich will es nicht missen.“<br />
Weil ich so lange schweige, wiederholt der Taxifahrer seine Frage<br />
auf Englisch. Diesem Irrtum muss ich aber sofort Einhalt gebieten:<br />
„Sprechen Sie bitte ruhig weiter Iranisch! Ich verstehe Sie sehr gut.“<br />
Er lacht. „Aha! Sie verstehen also doch. Ich dachte schon, Sie<br />
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