2017-3_Hexen
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Hintergrund<br />
Auch in die Literatur - hier die Darstellung<br />
einer Szene aus Shakespeares Macbeth,<br />
drang der <strong>Hexen</strong>wahn vor.<br />
<strong>Hexen</strong><br />
im Weinberg<br />
von Walter Rummel<br />
Rote Haare, eine Hakennase, auffällige Augen – kaum eine<br />
andere Figur der europäischen Geschichte ist so von<br />
Stereotypen geprägt, wie die der <strong>Hexen</strong>. Für viele waren<br />
sie „heilkräuterkundigen Heilerinnen“ die im „finstersten<br />
Mittelalter“ von „der Kirche“ verfolgt wurden.<br />
Das schreiende Unrecht ihrer jahrhundertelangen Verfolgung<br />
garantiert ihrem Schicksal auch heute noch anhaltende<br />
Aufmerksamkeit. Aber stimmen diese Bilder wirklich?<br />
Der Leiter des rheinland-pfälzischen Landesarchivs in<br />
Speyer, Walter Rummel, ist der Frage am Beispiel der<br />
<strong>Hexen</strong>prozesse von Mosel, Saar und Rhein für enos nachgegangen<br />
und entdeckte ein Szenario, das nicht nur mit<br />
den liebgewordenen Vorstellungen aufräumt, sondern<br />
auch Parallelen zur heutigen Zeit aufweist.<br />
Foto: alamy<br />
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Nein, eine<br />
„Weinhexe“<br />
hat es nie gegeben.<br />
Der<br />
Name der bekannten<br />
Winninger<br />
Weinbergslage an der Untermosel<br />
hat weder mit <strong>Hexen</strong>,<br />
noch mit deren Verfolgung zu<br />
tun. Er geht ganz prosaisch auf<br />
eine Legende zurück, nach der<br />
die Frau des Winninger Winzers<br />
Veit Mertes, auch Pfeifenhannes<br />
genannt, ihrem Mann und dessen<br />
Nachbarn heimlich Wein aus<br />
den Fässern gestohlen haben<br />
soll; Zauberei war dabei nicht<br />
im Spiel, und als Hexe wurde die<br />
Dame auch nicht verfolgt. Dennoch<br />
gab es an Mosel, Saar und<br />
Rhein <strong>Hexen</strong> und <strong>Hexen</strong>prozesse.<br />
Nur dass es bei diesen eben<br />
nur am Rande um den Diebstahl<br />
von Wein ging, den diese vermeintlichen<br />
<strong>Hexen</strong> auf ihren<br />
heimlichen Zusammenkünften<br />
tranken. Statt dessen ging es<br />
vor allem um Krankheiten, Todesfälle<br />
und das<br />
AUSLÖSER DER VERFOLGUNGEN WAR DIE<br />
KLEINE EISZEIT, DIE ZU MISSERNTEN UND<br />
KINDERSTERBLICHKEIT GEFÜHRT HATTE<br />
Klima; besser gesagt,<br />
um Ernten<br />
vernichtende Unwetter,<br />
von denen<br />
der Wein- wie der<br />
Feldbau betroffen waren.<br />
Nach dem heutigen Stand der<br />
Forschung hat sich der Glaube<br />
an <strong>Hexen</strong> und Hexerei Anfang<br />
des 15. Jahrhunderts in Gemeinden<br />
des französich-schweizerischen<br />
Alpenraums entwickelt.<br />
Auslöser war die so genannte<br />
Kleine Eiszeit, die vom 14. Jahrhundert<br />
an zu einer deutlichen<br />
Abkühlung des Klimas geführt<br />
hatte, von der der Alpenraum<br />
aufgrund seinesr ohnehin prekären<br />
Klimas besonders betroffen<br />
war. Die Folge waren anhaltende<br />
Missernten, die ihrerseits die<br />
rasche Ausbreitung von Krankheiten<br />
und rapide steigende<br />
Kindersterblichkeit zur Folge<br />
hatten.<br />
Die Schuldigen an diesen Katastrophen<br />
waren schnell ausgemacht:<br />
Man glaubte, dass bereits<br />
seit dem Mittelalter verfolgte<br />
Ketzer jetzt in einer neuen Sekte<br />
auftraten, deren Mitglieder<br />
mithilfe des Teufels Schadenzauberei<br />
betreiben und sogar<br />
fliegen konnten. 1428 kam es im<br />
Oberwallis und in Savoyen zur<br />
ersten großen Verfolgung dieser<br />
neuen Form der Ketzerei, und<br />
bis 1440 hatten Theologen und<br />
Juristen ihre neuen „Erkenntnisse“<br />
zu einer Weltuntergangstheorie<br />
ausformuliert, nach der der<br />
Teufel mithilfe der <strong>Hexen</strong> nichts<br />
weniger als die Christenheit<br />
auslöschen wollte. Begünstigt<br />
wurde die Verbreitung solcher<br />
Theorien durch die Erfindung<br />
des Buchdrucks: 1486 erschien<br />
in Speyer die erste Auflage des<br />
Malleus Maleficarum, des „<strong>Hexen</strong>hammers“,<br />
aus der Feder des<br />
Dominikaners Heinrich Institoris<br />
(dtsch. „Kramer“), ein Buch,<br />
das dem „gelehrten“ <strong>Hexen</strong>glauben<br />
vermutlich den Weg bahnte.<br />
Spektakuläre Prozesse, wie<br />
jene der Jahre 1459 und 1460 im<br />
französischen Arras, und dabei<br />
öffentlich verlesene „Geständnisse“<br />
nährten die Verbreitung<br />
der neuen Ideologie.<br />
Um 1570 erreichte die<br />
Kleine Eiszeit einen<br />
ersten Höhepunkt.<br />
Immer wieder löste<br />
die Klimakatastrophe neue<br />
Verfolgungswellen aus. Im Moselraum<br />
erreichten diese in der<br />
Regierungszeit des Trierer Kurfürsten<br />
Johann VII. von Schöneberg<br />
(1581 bis 1599), von dessen<br />
19 Regierungsjahren nur<br />
zwei fruchtbar, alle anderen von<br />
Missernten geprägt<br />
waren, einen Höhepunkt.<br />
Der Trierer<br />
Chronist berichtet:<br />
„Weil man allgemein<br />
glaubte, dass<br />
der durch viele Jahre anhaltende<br />
Misswuchs durch <strong>Hexen</strong> und<br />
Unholde verursacht werde, erhob<br />
sich das ganze Land zu ihrer<br />
Ausrottung“, und in den Annalen<br />
des Neusser Augustinerchorher-<br />
Der „<strong>Hexen</strong>hammer“ von<br />
Heinrich Institoris gilt als<br />
wichtigste theoreische<br />
Grundlage des <strong>Hexen</strong>wahns.<br />
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