DER BLAUE ENGEL - Theater Hameln
DER BLAUE ENGEL - Theater Hameln
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Informationen zur Produktion<br />
THEATER<br />
NETZWERK<br />
<strong>DER</strong> <strong>BLAUE</strong> <strong>ENGEL</strong><br />
nach<br />
Heinrich Mann/Josef von Sternberg<br />
Das Projekt wird gefördert durch das<br />
im <strong>Theater</strong> in der Josefstadt
<strong>DER</strong> <strong>BLAUE</strong> <strong>ENGEL</strong> Der Roman PROFESSOR UNRAT O<strong>DER</strong> DAS ENDE EINES TYRANNEN von Heinrich<br />
Mann (1871-1950) entstand 1904 und erschien ein Jahr später. Das Buch stieß verbreitet<br />
auf Ablehnung, die Verkaufszahlen blieben entsprechend niedrig. Besonders in Heinrich<br />
Manns Heimatstadt Lübeck fühlten sich die Bürger in der Darstellung von Gesellschaft<br />
und Schule angegriffen. Das Buch wurde totgeschwiegen, kritisiert und (vor allem für<br />
Schüler) faktisch verboten.<br />
Die geänderten politischen Verhältnisse und der große Erfolg des Romans <strong>DER</strong><br />
UNTERTAN, der 1918 erschien, sorgten für steigendes Interesse auch an früheren<br />
gesellschaftskritischen Werken Heinrich Manns, und davon profitierte auch<br />
PROFESSOR UNRAT.<br />
Durch den Welterfolg der Verfilmung des PROFESSOR UNRAT unter dem Titel <strong>DER</strong><br />
<strong>BLAUE</strong> <strong>ENGEL</strong> erlangten auch die Vorlage und ihr Autor internationale Berühmtheit, der<br />
Roman wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt.<br />
Heinrich Mann übt in PROFESSOR UNRAT pointiert und satirisch überspitzt scharfe<br />
Kritik an den politischen und sittlichen Verhältnissen im Wilhelminischen Deutschland. Er<br />
selbst fühlte sich dem Bürgertum zugehörig und bekannte sich zu dessen positiven<br />
Werten, Leistungs- und Bildungswillen, verurteilte aber gleichzeitig dessen „Ungeist“. Die<br />
Wohlanständigkeit seiner Zeit- und Standesgenossen schien ihm heuchlerisch. Der<br />
Roman zeigt diese Doppelmoral des Bürgertums. Seine Leser nahmen Heinrich Mann<br />
übel, dass er in moralischen Skandalen, die andere als Einzelfälle bewerteten, Fehler in<br />
der Struktur der Gesellschaft erkannte und darstellte.<br />
Neben der Kritik am Bürgertum zeigt Heinrich Mann in PROFESSOR UNRAT auch<br />
Schwächen des Schulsystems auf. Das Gymnasium entfernte sich zunehmend von den<br />
Idealen und inneren Werten humanistischer Bildung, lehnte demokratische und<br />
sozialistische Anschauungen ab, wurde strenger und verstärkte den Drill. Ziel war die<br />
Heranbildung gehorsamer Untertanen, Selbständigkeit und Kritikfähigkeit der Schüler<br />
wurden unterdrückt, Pauker verlangten vor allem Disziplin und unreflektiertes<br />
Auswendiglernen.<br />
Der in den UFA-Studios gedrehte deutsche Film <strong>DER</strong> <strong>BLAUE</strong> <strong>ENGEL</strong> entstand zwischen<br />
1929 und 1930 unter der Regie von Josef von Sternberg. Das Drehbuch schrieben Carl<br />
Zuckmayer, Karl Gustav Vollmoeller und Robert Liebmann nach dem Roman von<br />
Heinrich Mann (wobei die genaue Beteiligung jedes Einzelnen ebenso wenig geklärt ist<br />
wie der persönliche Einfluss Heinrich Manns). Die Premiere des Films fand am 1. April<br />
1930 in Berlin statt. Gleichzeitig mit der deutschsprachigen entstand eine englische<br />
Fassung (THE BLUE ANGEL) mit denselben SchauspielerInnen, die im Juli 1930 in<br />
London uraufgeführt wurde.
Die Handlung des Romans ist im Film inhaltlich vereinfacht und im zweiten Teil auch<br />
deutlich verändert. Die Anzahl der Figuren ist stark reduziert. Einige der Veränderungen<br />
sind auf die Übertragung in das neue Medium zurückzuführen, in dem die Bedeutung der<br />
Sprache zugunsten der Optik in den Hintergrund tritt. Dazu kommen politische Gründe:<br />
Die deutschnational geführte UFA hatte sich gegen die unveränderte Verwendung einer<br />
Vorlage des eher links ausgerichteten Heinrich Mann ausgesprochen. Auch dass der Stoff<br />
in die Gegenwart, also die zweite Hälfte der 20er Jahre, verlegt wurde, verlangte einige<br />
Adaptierungen. Die meisten Neuerungen lassen sich aber auf das Bestreben<br />
zurückführen, einen publikumswirksamen und kommerziell erfolgreichen Film zu<br />
produzieren (worauf schon die Wahl des Titels hinweist).<br />
Hauptfigur des Romans ist der strenge Professor Immanuel Raat, 57 Jahre alt und seit 26<br />
Jahren Lehrer am örtlichen Gymnasium. Das bedeutet, dass es in der Stadt auch viele<br />
ehemalige Schüler in unterschiedlichen Altersstufen gibt. Professor Raat sieht seine<br />
Schüler, die ihm hinter seinem Rücken den Spitznamen „Unrat“ geben, als persönliche<br />
Feinde und Rebellen und ist daher vor allem bestrebt, sie zu „fassen“ und zu strafen (-<br />
zum Beispiel, indem er ihnen unlösbare Aufgaben stellt). Besonders einen seiner Schüler,<br />
Lohmann, empfindet Unrat als Gegenspieler und Bedrohung, weil er die Autorität und<br />
Macht des Lehrers und damit ihn selbst in Frage stellt. Als Unrat bei Lohmann ein Gedicht<br />
über die Künstlerin Rosa Fröhlich entdeckt, macht er sich auf die Suche nach ihr, um den<br />
Umgang seiner Schüler mit ihr zu unterbinden. Rosa gelingt es, Unrat nach der ersten<br />
Begegnung wieder in das Lokal „Der Blaue Engel“, in dem sie als Sängerin auftritt, zu<br />
locken. Die ursprüngliche Motivation, seine Schüler fernzuhalten, wandelt sich<br />
allmählich. Bald fühlt sich Unrat als Beschützer Rosas, die er mit für sie ungewohnter<br />
Höflichkeit und Respekt behandelt, und er beginnt großzügig Geld für sie auszugeben.<br />
Dass er sie schließlich heiratet, kostet Unrat in seiner Stadt Ansehen und Stellung: Die<br />
Hochzeit bedeutet einen Verstoß gegen die Moral (die eine derartige Beziehung<br />
bestenfalls dann toleriert, wenn sie geheim gehalten wird) und macht ihn als Vorbildfigur<br />
in seiner Funktion als Lehrer unmöglich. Der verschwenderische Lebensstil seiner Frau<br />
treibt Unrat bald in finanzielle Schwierigkeiten, sein angespartes Geld ist schnell<br />
aufgebraucht. Auf Betreiben Rosas beginnen die beiden in ihrem Haus zweifelhafte<br />
„Gesellschaften“ zu veranstalten, die an die Abende im „Blauen Engel“ erinnern und bei<br />
denen es jede Art von Vergnügungen und auch Glücksspiel gibt. Rosa lässt sich mit<br />
einflussreichen Männern ein, tut das aber diskret (im Geheimen und außer Haus) und<br />
bleibt Unrat in einer Mischung aus Zärtlichkeit und Mitleid verbunden. Dass Rosa ihn<br />
betrügt, erduldet Unrat im Bewusstsein, sich an den gar nicht so wohlanständigen<br />
Bürgern der Stadt (und damit an vielen seiner ehemaligen Schüler) zu rächen, die sich<br />
durch ihr unehrenhaftes Verhalten erniedrigen oder sogar ruinieren. Das<br />
Zusammentreffen Rosas mit Lohmann, der wieder in der Stadt ist und sich von Rosa nach<br />
Hause einladen lässt, löst allerdings eine so heftige Eifersucht aus, dass Unrat sich<br />
strafbar macht (- er würgt Rosa und nimmt Lohmanns offen daliegende Brieftasche an<br />
sich -) und unter dem Spott der Stadtbürger verhaftet wird.<br />
Der Film zeichnet die beiden Hauptfiguren, Professor Unrat und Lola (wie die Künstlerin<br />
nun heißt), anders als der Roman. Der Lehrer, bei Heinrich Mann ein unerbittlicher Tyrann<br />
und rachsüchtiger Menschenfeind, der erst nach und nach Verständnis und Mitgefühl des<br />
Lesers gewinnt, bekommt im Film gleich zu Beginn sympathische Züge: Er trauert um<br />
seinen toten Kanarienvogel. Auch optisch ist er positiv verändert: Aus dem faltigen,<br />
verkrampften, schwächlichen Mann mit schlechter Haltung wird im Film ein stattlicher,<br />
gesetzter Herr. Seinen Schülern gegenüber zeigt er zwar Strenge, wirkt aber mehr kauzig<br />
als bedrohlich. Auch scheint er sich tatsächlich Sorge um das Wohlergehen seiner<br />
Schüler zu machen. Dass Unrat im Roman den Schüler Lohmann als gefährlichen<br />
Gegenspieler sieht, fehlt im Film ganz.
Die Geschichte des Lehrers ist im Film insgesamt zurückgedrängt, im Vordergrund steht<br />
die Liebesgeschichte und Unrats durch seine Liebe verursachter gesellschaftlicher und<br />
persönlicher Niedergang. Seine emotionale Entwicklung und die Beziehung zur<br />
Künstlerin sind vereinfacht und komprimiert. Unrats Zerrissenheit zwischen Vertrauen<br />
und Betrugsverdacht, sein Schwanken zwischen Triumphgefühl und Verzweiflung fehlt.<br />
Die Künstlerin Fröhlich ist im Roman eine vielschichtigere Figur als im Film. Während der<br />
Film sie als berechnende Opportunistin zeigt, die sich den Professor wegen seines<br />
Geldes „angelt“ und ihn, als er kein Geld mehr hat, mit Geringschätzung behandelt und<br />
ungeniert betrügt, schildert der Roman eine Frau, die sich von ihrer Heirat mit Unrat vor<br />
allem einen gesellschaftlichen Aufstieg erhofft. Im Roman hat sie auch eine Tochter, der<br />
sie eine bessere Zukunft ermöglichen will. Die Annäherung an Unrat gelingt nicht so<br />
unkompliziert und schnell wie im Film und geschieht auch nicht ausschließlich über<br />
körperliche Reize. Als alles Geld ausgegeben ist, sucht sie pragmatisch nach Auswegen,<br />
und auch wenn sie sich bei den Festen im eigenen Haus ihrem früheren Lebenswandel<br />
wieder annähert, ist sie doch bemüht, Unrat in seinem Rachefeldzug gegen die Bürger<br />
der Stadt zu unterstützen.<br />
Im Roman sorgt Unrat sehr bald dafür, dass Rosa ihr Zimmer im „Blauen Engel“ verlassen<br />
kann und eine angemessene Wohnmöglichkeit bekommt. Ihre Kollegen, das Ehepaar<br />
Kiepert, ziehen ohne Rosa zum nächsten Engagement in eine andere Stadt weiter. Der<br />
Film wertet Kiepert zum Direktor der Truppe auf, die Unrats Anwesenheit begrüßt,<br />
solange er zahlen kann. Danach muss er in den Vorstellungen den Clown spielen. Der<br />
erzwungene Auftritt in seiner Heimatstadt und Lolas unverhohlenes Interesse am Artisten<br />
Mazeppa lassen Unrat verzweifeln. Er stürzt sich schreiend auf Lola und wird in eine<br />
Zwangsjacke gesteckt. Als er gehen darf, wankt er aus dem „Blauen Engel“, schleppt sich<br />
zu seiner alten Schule und bricht dort tot zusammen, die Hände am Lehrertisch<br />
festgekrallt.<br />
Während im Roman der Untergang Unrats die gesetzliche Strafe für die Überschätzung<br />
seiner Machtbefugnisse und für seine Rachgier, die den sittlichen Verfall einer ganzen<br />
Stadt zu verantworten hat, bedeutet, endet Unrat im Film als tragische Figur, die für die<br />
Liebe alles geopfert hat und gescheitert ist.<br />
Die Schauplätze bleiben im Film durchgehend dieselben, während der Roman nur im<br />
ersten Teil in der Schule und im „Blauen Engel“ stattfindet, während der zweite Teil<br />
vorwiegend in Unrats Villa und dem der Stadt nahen Badeort spielt, in dem die meisten<br />
Bürger ihren Sommer verbringen.<br />
Zur Änderung der Geschichte kommen im Film akustische (Musik) und optische<br />
Elemente, etwa der Einsatz von Symbolen (Kanarienvogel, Rathausuhr) oder die<br />
Verknappung von (oder der gänzliche Verzicht auf) Sprache in vielen Szenen.<br />
Heinrich Mann erklärte sich im Großen und Ganzen mit den Änderungen des Films<br />
gegenüber dem Roman einverstanden, mit dem Ende allerdings nicht. Auch wenn er die<br />
effektvolle schauspielerische Leistung von Hauptdarsteller Emil Jannings lobte,<br />
bewertete er Unrat als Clown und sterbend auf dem Katheder doch als falsch, der<br />
Komödienschluss des Romans schien ihm nach wie vor der richtige. In Unrat fehlte ihm<br />
der Intellektuelle und Menschenverachter.<br />
Das <strong>Theater</strong> in der Josefstadt nimmt das Filmdrehbuch als Grundlage für seine<br />
Bühnenfassung, ergänzt aber textliche, inhaltliche und charakterliche Elemente aus dem<br />
Roman und gibt damit den Figuren und der Geschichte Komplexität und Gefühlstiefe<br />
zurück.
Einige Änderungen des Films gegenüber dem Roman werden zurückgenommen. So ist<br />
zum Beispiel Unrat wieder Altphilologe und Deutschlehrer, nicht Anglist wie im Film;<br />
Lohmann ist in der Bühnenfassung wieder Gegenspieler Unrats; Lola überredet Unrat<br />
wiederzukommen, damit seine Schüler keinen Unfug treiben (die Motivation im Film ist<br />
ein Höschen Lolas, das Unrat zu Hause in seiner Tasche findet und zurückgeben will);<br />
Lola will Griechisch lernen (wenn auch nach, nicht, wie im Roman, vor dem Heiratsantrag)<br />
und hofft als „Frau Professor“ auf einen gehobenen Lebensstil; die im Film neu<br />
eingeführte Figur des Liebhabers von Lola gegen Ende gibt es in der Bühnenfassung<br />
nicht, stattdessen taucht kurz vor Unrats Auftritt als Clown Lohmann auf. Auch sprachlich<br />
ist der Roman in der Bühnenfassung wieder spürbar, etwa in der charakteristischen<br />
umständlichen Ausdrucksweise Unrats. Viele Sätze und Formulierungen des Romans<br />
sind in die Dialoge eingearbeitet.<br />
Die Konzentration liegt, wie im Film, auf der Liebesgeschichte, diese ist aber, wie die<br />
Figuren selbst, deutlich facettenreicher.<br />
Im Film gerät Unrat in fast kindlich anmutende Verzückung gegenüber der Künstlerin und<br />
wird von ihr abhängig. In der Bühnenversion ist er, wie im Roman, eine starke<br />
Persönlichkeit, die zwar angesichts der unbekannten Gefühle verunsichert ist, aber die<br />
Entscheidung, seinem Herzen zu folgen, sehr bewusst trifft.<br />
Die Künstlerin ist in der Bühnenversion charakterlich der Romanfigur näher als der<br />
Filmfigur. Sie ist eine lebenshungrige und leidenschaftliche Frau, die zwar durch ihre<br />
Lebensweise abgestumpft, aber trotzdem noch zu zärtlichen Gefühlen fähig ist.<br />
In der Bühnenversion führt Lola, wie im Roman, mit Unrat eine Zeitlang ein anderes<br />
Leben, allerdings nicht in der Heimatstadt Unrats: Sie sind in einem Hotel und Lola kehrt<br />
gerade von Einkäufen zurück, als Unrat ihr sagen muss, dass kein Geld mehr da ist.<br />
Neu ist in der <strong>Theater</strong>version unter anderem, dass Lola gegen Ende mit Lohmann<br />
flüchten will, als sie ihn umarmt, sowie der Schluss: Unrat stirbt im Klassenzimmer,<br />
während er Lolas Lied „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt …“ (mit)singt.<br />
Dramaturgisch ist die Bühnenfassung eine Aneinanderreihung von Einzelszenen, in<br />
denen die Geschichte episodenhaft erzählt wird. Die Schulszenen sind in die ersten<br />
Szenen im „Blauen Engel“ eingestreut, der damit von Anfang an präsent ist.<br />
Ohne es zu wissen, nahm Heinrich Mann mit seinem Roman eigene Erfahrungen vorweg.<br />
Seiner zweiten Frau, Nelly Kröger, die er Ende der 20er Jahre in einem Animierlokal<br />
kennenlernte und 1939 heiratete, gelang es zeitlebens nicht, von seiner Verwandtschaft<br />
akzeptiert und anerkannt zu werden.<br />
1959 entstand in den USA auf der Basis des Drehbuchs von 1930 ein Remake des Films<br />
(unter der Regie von Edward Dmytryk, mit May Britt und Curd Jürgens in den<br />
Hauptrollen), der jedoch vergeblich versuchte, an den Erfolg des Originals anzuknüpfen.<br />
1973 kam eine brasilianische Version mit dem Titel „Anjo Loiro“ heraus, das Drehbuch<br />
schrieb Juan Siringo, Regie führte Alfredo Sternheim.
Ausstattung<br />
Musik<br />
DIE INSZENIERUNG Rolf Langenfass gestaltet eine wandlungsfähige Drehbühne. Eine Konstruktion aus<br />
Stahlträgern teilt den Raum in drei verschiedene Schauplätze: die „Bühne“ im „Blauen<br />
Engel“ (beziehungsweise im Varieté Rondoó), die Garderobe der Künstler und einen<br />
weitgehend neutralen Raum, der mit kleinen Veränderungen die übrigen Spielorte<br />
entstehen lässt. Den Hintergrund der „Bühne“ bildet ein hoher roter Samtvorhang, links<br />
davor steht ein Klavier. Die Künstlergarderobe ist in zwei Ebenen unterteilt, die durch eine<br />
eiserne Wendeltreppe verbunden sind. Eine Tür links führt hinter die „Bühne“, eine zweite<br />
im Hintergrund rechts in den Saal und eine dritte rechts vorne nach draußen. Neben der<br />
Tür links hängen auf einem großen Garderobeständer die Kostüme, ein Tisch und<br />
mehrere Sitzgelegenheiten vervollständigen die Einrichtung. Oben deutet ein Bett Lolas<br />
Zimmer an. Den Hintergrund für die weiteren Schauplätze bildet eine halbhohe,<br />
metallvertäfelte schwarze Wand. Zwei Türen links und rechts mit gläsernen Sichtfenstern<br />
lassen einen Gang der Schule entstehen (einmal steht ein Spind in der Mitte, einmal eine<br />
Holzbank), ein Pissoir die Toilette der Schule. Für den Eingang zum „Blauen Engel“ gibt es<br />
eine Tür mit Schiebefenster, neben der in einem Schaukasten ein Plakat mit Lolas Bild<br />
hängt. Für die Lobby des Hotels befindet sich in der Mitte der Wand eine Drehtür aus Glas<br />
und weißem Holz, neben der ein Standaschenbecher aufgestellt ist. Am Ende, in Unrats<br />
Schulklasse, wird die schwarze Wand zur Tafel.<br />
Rechts neben der Drehbühne hängt an einem weiteren Stahlgerüst ein Schild mit der<br />
Aufschrift „Der blaue Engel“ aus blauen Neonröhren. Der übrige Bühnenraum ist schwarz<br />
ausgekleidet.<br />
Die Kostüme (ebenfalls von Rolf Langenfass) sind der Entstehungszeit des Films<br />
angepasst, ohne die Zeit um 1930 zu sehr zu betonen. Sie unterstreichen die Charaktere,<br />
Lolas Auftrittskostüme sind passend zu ihren Liedern ausgewählt.<br />
Die musikalische Einrichtung stammt von Bela Koreny, der auch die Figur des Pianisten<br />
übernimmt. Karussellmusik, basierend auf dem Thema des Liedes „Ich bin von Kopf bis<br />
Fuß auf Liebe eingestellt“ durchzieht das gesamte Stück, zum Teil klanglich verfremdet.<br />
Daneben gibt es Tanzmusik, die wie auf einem Grammophon abgespielt klingt, sowie vom<br />
Pianisten gespielte Live-Musik als Begleitung für Lolas Lieder. Auch hier gibt es<br />
akustische Verfremdungseffekte, etwa durch Hall.
Regie<br />
Herbert Föttinger inszeniert die Szenenfolge als „Karussell des Lebens“. Die Drehbühne<br />
ist viel in Bewegung und lässt die Szenen ineinanderfließen. Das sorgt für einen<br />
temporeichen und organischen Ablauf. Gleichzeitig nimmt sich Föttinger aber viel Zeit für<br />
stille Momente, Blicke, Schweigen.<br />
Die Konzentration der Inszenierung liegt auf den SchauspielerInnen und auf den nach wie<br />
vor aktuellen Themen. Es geht um die Sehnsucht nach einem besseren Leben, um die<br />
Entscheidung, sein Leben radikal zu verändern, und es geht um das Thema Liebe.<br />
Die Figuren sind aus der Bühnenversion heraus (ohne Anlehnung an die Filmfiguren) neu<br />
entwickelt. Die Ausstattung entspricht zwar der Entstehungszeit des Films, das<br />
Geschehen wirkt aber durch den schauspielerischen Zugang zeitlos.<br />
Die Figuren und ihre existenziellen Sorgen sind ernstgenommen, trotzdem entstehen,<br />
gerade durch das intensive Spiel, immer wieder auch äußerst komische Situationen und<br />
Momente.<br />
Wenn sich der Vorhang hebt, ist bereits die Karussellmusik zu hören. Die Bühne dreht<br />
sich, während die Musik, sphärisch verfremdet, lauter wird. Die drei Teile der Bühne sind<br />
zunächst leer und in Nebel gehüllt. Bei der zweiten Drehung steht auf der „Bühne“ eine<br />
Stripteasetänzerin, in der Künstlergarderobe sitzt auf der Wendeltreppe ein Clown, auf<br />
der Schultoilette rauchen die Schüler Ertzum und Lohmann gemeinsam eine Zigarette.<br />
Als die „Bühne“ wieder sichtbar ist, beginnt Kiepert mit seiner Ansage und die Bühne bleibt<br />
stehen. Die Übergänge zwischen den Szenen in der Schule und jenen im „Blauen Engel“<br />
sind akustisch untermalt durch Musik, die zu Beginn der Schulszenen mit dem Ertönen<br />
einer Schulglocke endet.<br />
Manche Szenen sind mit leiser Musik unterlegt, die fast filmmusikartig die Atmosphäre<br />
oder Stimmung verstärkt.<br />
Lolas Lieder sind integraler Bestandteil des Stücks und der Figur. Ob sie tanzt, steht oder<br />
sitzt und wie sie angezogen ist, ist jeweils genau auf den Liedtext abgestimmt.<br />
Als Lola zum ersten Mal „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ singt, wird durch<br />
eine leichte Drehung der Bühne Unrat sichtbar, der in der Garderobe sitzt und ihr lächelnd<br />
zuhört.<br />
Dass Unrat nach seinem erzwungenen Auftritt als Clown den Verstand verliert, drückt sich<br />
auch akustisch aus, indem sein Abgang von Stimmen unruhiger Schüler, dem Geräusch<br />
der Schulglocke und Gelächter begleitet wird.<br />
Am Stückschluss sieht der Zuschauer durch die Bewegung der Drehbühne abwechselnd<br />
Lola auf der „Bühne“, die noch einmal „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt …“<br />
singt, und Unrat in seiner Klasse. Während in Lolas Stimme Verzweiflung und Tränen<br />
spürbar werden, lässt Unrat (der vorher eine mathematische Gleichung von der Tafel<br />
gewischt, aber nichts anderes zu schreiben gewusst hat) die Kreide fallen, spricht stumm<br />
die Worte von Lolas Lied mit und greift sich an die Kehle, als würde er keine Luft mehr<br />
bekommen. Als er das nächste Mal sichtbar wird, liegt er bewegungslos am Boden. Mit<br />
diesem Bild und dem Schluss von Lolas Gesang (- ihre Stimme ist gegen Ende mit einem<br />
starken Hall unterlegt, der ihre Worte wie ein Echo wiederholt -) fällt der Vorhang.<br />
HauptdarstellerInnen<br />
Erwin Steinhauer zeigt Professor Unrat als im Auftreten herrischen, im Grunde aber<br />
introvertierten Menschen. In der Schule verleiht ihm seine berufliche Stellung die nötige<br />
Sicherheit. Im fremden Ambiente des „Blauen Engel“, den er nur zögerlich betritt, wirkt er<br />
zunächst etwas verloren, was er mit besonders strenger Haltung zu überspielen sucht.<br />
Lola bringt ihn dazu, aus sich herauszugehen und sich seinen neu entdeckten Gefühlen
hinzugeben. Mit dem Verlust seiner Ersparnisse tritt ein Gefühl der Ohnmacht ein. Unrat<br />
fühlt sich gefangen, aber seine Liebe zu Lola und die Unmöglichkeit, in sein früheres<br />
Leben zurückzukehren, führen zu Untätigkeit und äußerlicher Verwahrlosung. Als er Lola<br />
mit Lohmann erwischt, bricht die Welt seiner Liebe endgültig zusammen. Seine<br />
aufgestauten Gefühle entladen sich nach seinem erniedrigenden Bühnenauftritt in<br />
Aggression gegen Lola, sein Verstand ist verwirrt, dann folgt der totale Zusammenbruch.<br />
Katharina Straßer ist eine junge, temperamentvolle Lola, die ihre Wirkung auf Männer<br />
genießt, aber deren körperliche Aufdringlichkeit verabscheut. Sie hat große Sehnsucht<br />
nach aufregenden Abenteuern und wahrer Liebe. Der undurchschaubare, distanzierte<br />
Lohmann reizt sie, aber Unrat scheint die vielversprechendere Wahl. In ihm sieht sie ihre<br />
Chance, wie eine Dame behandelt zu werden und auch entsprechend zu leben. Der<br />
Entschluss, wieder auf die Bühne zurückzukehren, als Unrats Ersparnisse aufgebraucht<br />
sind, fällt ihr zunächst nicht schwer, weil ihr das Dasein als „Frau Professor“ schnell<br />
langweilig geworden ist. Aber dass Unrat sich gehen lässt, nichts verdient und sie<br />
eifersüchtig überwacht, macht es ihr nicht leicht. Ihren steigenden Frust bekämpft sie mit<br />
Alkohol und Tabletten, sie wird härter und aggressiver. Im Schlusslied kommen aber noch<br />
einmal Zartheit und Verletzlichkeit zum Vorschein.<br />
Die Schüler von Ertzum und Lohmann benehmen sich ihrem Lehrer gegenüber aufsässig<br />
und provokant, wobei Lohmann der intelligentere, scharfzüngige Anführer, von Ertzum<br />
eher der willige Mitläufer ist. Ferdinand Stahl leidet als von Ertzum vor allem unter seiner<br />
unerwiderten Liebe zu Lola. Rasmus Borkowski bleibt als Lohmann distanzierter<br />
Beobachter des Geschehens und trägt ein Gefühl der Schadenfreude und Überlegenheit<br />
zur Schau.<br />
Der dritte Schüler, Angst, ist ein typischer „Streber“ und persönlich unsicher. Rafael<br />
Schuchter spielt ihn mit stets leicht gebückter Haltung und hochgezogenen Schultern. Er<br />
sucht diensteifrig und unterwürfig die Nähe des Lehrers und geht seinen Mitschülern<br />
lieber aus dem Weg.<br />
Peter Scholz zeigt den Zauberkünstler und Leiter der Kompanie, Kiepert, als routinierten<br />
Bühnenmenschen und gerissenen Geschäftsmann mit rauen Umgangsformen. Seine<br />
KollegInnen haben zu „funktionieren“, menschliche Gefühle und Probleme interessieren<br />
ihn nicht.<br />
Seine Frau Guste, gespielt von Sona MacDonald, ist durch die Gefühlskälte ihres Mannes<br />
und ihren Beruf geprägt und hat zu einer sarkastisch-ironischen Haltung zum Leben<br />
gefunden. Als sie für Lola in deren Beziehung mit Unrat die Möglichkeit einer glücklichen<br />
Zukunft erkennt, werden Erinnerungen an ihre eigenen Jugendträume und Hoffnungen<br />
wach. Mit der ihr eigenen ungenierten Direktheit zeigt sie Unrat, was er im Umgang mit<br />
Lola zu tun hat, und ist gerührt, als es zur Hochzeit kommt. Gegen Ende zieht sie sich<br />
wieder hinter die Fassade ihrer Routine zurück.<br />
Alexander Strobele ist als Wirt vom „Blauen Engel“ ein schmieriger, lässiger Typ, den<br />
Unrats Schicksal nicht zu berühren scheint. Er ist ausschließlich daran interessiert,<br />
zahlende Gäste im Haus zu haben, wer kommt und aus welchen Gründen, ist ihm nicht<br />
wichtig.
Kritik<br />
In den Kritiken ist auffallend, dass negative Urteile dort auftreten, wo das Bühnenstück als<br />
„Nachspielen“ des Films missverstanden wird. Hier ist etwa von nicht mehr zeitgemäßem<br />
Stoff, fehlender Glaubhaftigkeit des Konflikts, Nostalgie oder Sentimentalität die Rede.<br />
Von unvoreingenommenen Stimmen wird die Bühnenadaption als eigenständige Version<br />
und unter anderem als klug gewertet.<br />
Die Beurteilung der Inszenierung fällt überwiegend positiv aus. Nur wenigen KritikerInnen<br />
ist die gezeigte Welt zu sauber, zu brav oder auch zu wenig poetisch. Ansonsten wird die<br />
Inszenierung unter anderem als dicht, zart, zeitlos, flott, clever, wirkungsvoll und präzise<br />
beschrieben.<br />
Fast durchwegs Anklang finden das Bühnenbild (gescheit, stark, suggestiv, kongenial,<br />
praktikabel etc.) und die SchauspielerInnen. Auch wenn sich nicht alle KritikerInnen mit<br />
Katharina Straßers „Lola“ anfreunden konnten (sie erschien manchen etwa nicht erotisch<br />
genug oder falsch besetzt), erhielt sie doch von vielen großes Lob (z.B.: souverän,<br />
brillant, fein nuancierter Gesang). Erwin Steinhauer konnte mit seiner Darstellung alle<br />
KritikerInnen überzeugen, hier finden sich Wertungen wie großartig, facettenreich,<br />
intensiv, umwerfend, genial, grandios und berührend. Das übrige Ensemble wird unter<br />
anderem als exzellent, homogen, glänzend und hervorragend bezeichnet.<br />
Die Schilderungen des Premierenapplauses (sowohl in Bregenz als auch in Wien)<br />
reichen von Wohlwollen über Begeisterung bis Jubel.<br />
© Dr. Michaela M. Mohr 2009<br />
Pilzgasse 18/8, A-1210 Wien<br />
T/F: +43/1/2780086, E: m.mohr@gmx.at