Piu November2009.pdf - Heike Blümel
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Futtergeschichten...<br />
... oder: „Ein kleines bisschen Horrorshow“<br />
In diesem Monat gibt es von<br />
uns einmal keine Anleitung<br />
und keine Tipps zur Pferdeernährung.<br />
Nein, in diesem<br />
Monat erzählen wir Geschichten.<br />
Wahre Geschichten aus<br />
der Praxis, auch wenn sie sich<br />
anhören wie Erzählungen aus<br />
einem schlechten Märchen.<br />
Geschichten der Missverständnisse<br />
und auch des fehlenden<br />
gesunden Menschenverstandes,<br />
die man eigentlich nicht<br />
für möglich halten sollte. Aber<br />
die aufgeführten Fälle, nicht<br />
nur aus dem Fütterungsbereich,<br />
sind alle nicht erdacht.<br />
Fall 1: „Ich brauche Pellets, mein Pferd darf kein Heu<br />
mehr fressen“<br />
Zugegebenerweise, wenn ein Neukunde zu uns kommt mit<br />
den Worten „Ich brauche Pellets für mein Pferd“, werden wir<br />
meist hellhörig. Denn dass Pellets a) nur eine Darreichungsform<br />
von Futter beschreibt und über Inhalt und Qualität<br />
nichts aussagt, und b) die Pelletfütterung immer mehr ihre<br />
Bedeutung in der Pferdefütterung verliert, hat sich meistens<br />
eigentlich doch schon herumgesprochen. Deshalb fragen<br />
wir beim Wunsch nach „irgendwelchen Pellets“ immer nach.<br />
Manchmal kann man aber auch uns noch verblüffen. Die<br />
Antwort des Kunden war, das Pferd dürfe kein Heu mehr fressen,<br />
und nur noch Pellets. Ihr Pferde speichle das Heu nicht<br />
richtig ein, und deshalb dürfe es keines mehr bekommen.<br />
Auch kein Stroh selbstverständlich. Wer denn das festgestellt<br />
habe, wollten wir wissen. Ihre Tierheilpraktikerin, bekamen<br />
wir zur Antwort, die habe das festgestellt.<br />
Wir haben keine Ahnung, was sich besagte „Tierheilpraktikerin“<br />
bei der Aussage dachte, aber ganz klare Antwort: Ein<br />
Pferd braucht Raufutter. Man rechnet mit 1,2-1,5 kg Heu pro<br />
100kg Körpergewicht pro Tag. Ein Pferd ohne Raufutter ist<br />
ein totes Pferd. Früher oder später. Punkt.<br />
Fall 2: „Den Leinsamen mahle ich immer, denn das Kochen<br />
ist mir zu viel Aufwand“<br />
Leinsamen, insbesondere brauner Leinsamen ist ein ganz<br />
hervorragendes Mittel, die Verdauung eines Pferdes zu unterstützen.<br />
Durch seine Schleimstoffe wirkt der Leinsamen<br />
stark abführend, weshalb er gerade bei Koliken als Bestandteil<br />
oder noch zusätzlich zu Mash gefüttert wird. Aber, was<br />
auch bekannt sein sollte, braunen Leinsamen muß man ca<br />
15-20 Minuten aufkochen. Ohne wenn und aber. Denn zum<br />
Einen muß der Leinsamen quellen, um die Schleimstoffe<br />
freizusetzen, viel wichtiger aber ist, daß bekannterweise der<br />
Samen cyanogene Glycoside enthält, eine Vorstufe zu giftiger<br />
Blausäure. Die Erhitzung beim Kochen zerstört diese. Deshalb:<br />
Leinsamen immer aufkochen!<br />
16 piu 11/2009<br />
Fall 3: „Mein Pferd nimmt so ab, es kaut nicht mehr<br />
richtig“<br />
Wenn ein Pferd Gewicht verliert, hat das immer auch einen<br />
Grund. Die Gründe dafür können sehr vielfältig sein, manchmal<br />
schlimm, manchmal weniger schlimm. Aber man muß<br />
den Grund für eine Gewichtsabnahme untersuchen und erkennen.<br />
Denn nur dann kann man sinnvoll etwas dagegen<br />
tun. Leider gibt es Ursachen für eine plötzliche Gewichtsabnahme,<br />
die man nicht für möglich halten sollte: unqualifizierte<br />
so genannte „Zahnpfleger“. Oh, bitte nun nicht mißverstehen,<br />
es gibt durchaus sehr gute, die genau wissen, was sie<br />
tun und auch sehr sinnvoll behandeln. Natürlich sollte man<br />
ab und an auch nach den Zähnen seiner Pferde schauen lassen.<br />
Von qualifizierten, dafür ausgebildeten Menschen. Ein<br />
guter Zahnpfleger wird etwas tun, wenn etwas zu tun ist, und<br />
nichts tun, wenn alles in Ordnung ist. Aber leider ist „Pferdezahnpfleger“<br />
mit seinen diversen Phantasieumschreibungen<br />
kein gesetzlich geschützter Begriff, und entsprechend<br />
gibt es leider auch weder einen einheitlichen Ausbildungsstand,<br />
noch eine übergeordnete Kontrolle. Und deshalb leider<br />
ganz konkret aus der Praxis: das grundlose Abschleifen<br />
der Kauflächen der Zähne eines Pferdes ist unnötig, falsch<br />
und fahrlässig. Es gibt auch kein sinnvolles prophylaktisches<br />
Kauflächen-Abschleifen bei einem gesunden Pferd. Denn mit<br />
abgeschliffenen Kauflächen kann ein Pferd seine aufgenommene<br />
Nahrung nicht mehr ausreichend zerkleinern. Das so<br />
genannte vorbeugende Kauflächen-Abschleifen ohne medizinische<br />
Indikation ist für das Pferd gesundheitsschädlich.<br />
Fall 4: „Mein älteres Pferd nimmt ab, aber ich will keine<br />
Heucobs füttern, denn die kann mein Pferd so schlecht<br />
kauen“<br />
Man möchte dann einfach ausrufen: „Um Himmels Willen“.<br />
Heu- oder Wiesencobs werden immer in eingeweichter Form<br />
verfüttert. Andernfalls geht man das Risiko einer Schlundverstopfung<br />
ein, wenn das Pferd einen Heucob unzerkleinert<br />
verschlingt und sich dieser in der Speiseröhre verklemmt.