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10/2010 - Leporello

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Mais, c'est la vie…<br />

„Zusammen ist man weniger allein“ im Theater Sommerhaus in Sommerhausen<br />

Philibert, von verarmtem Adel,<br />

ist zwar ein historisches Genie,<br />

doch, wenn er mit Menschen<br />

spricht, gerät er ins Stottern.<br />

Daher verkauft er Postkarten im<br />

Museum. Camille ist magersüchtig<br />

und künstlerisch sehr begabt.<br />

Sie malt jedoch nur im Geheimen<br />

und verdient sich ihren Lebensunterhalt,<br />

indem sie nachts putzt.<br />

Und Franck, der Macho mit harter<br />

Schale und dem weichen<br />

Kern, kocht in einem Feinschmeckerlokal.<br />

An seinem einzig freien<br />

Tag besucht er seine Großmutter<br />

Paulette, den einzigen Menschen,<br />

der ihm geblieben ist. Bald schon<br />

ergänzt sie die Pariser WG, in<br />

der sich vier grundverschiedene<br />

Typen gefunden haben, die sich<br />

streiten, lieben und irgendwie<br />

versuchen, miteinander zurechtzukommen,<br />

denn zusammen ist<br />

man weniger allein.<br />

Nach der Romanvorlage von<br />

Anna Gavalda (Jahrgang 1970)<br />

spielt sich das Sommerhaus-<br />

Ensemble, in Szene gesetzt von<br />

Luise Weber, die erst kürzlich in<br />

„Gut gegen Nordwind“ ihr Regiedebüt<br />

gab, in die Herzen der Zuschauer.<br />

Patrick Obrusnik (alias<br />

Franck) erspielt sich von Beginn<br />

an so viel Raum, dass die Bühne<br />

fast zu klein für ihn erscheint.<br />

Ganz laute Töne wie im Streit mit<br />

Camille, für die er immer mehr<br />

Gefühle hat, die er nicht zugeben<br />

mag, kommen genauso selbstverständlich<br />

und überzeugend<br />

über die Rampe, wie seine Verzweiflung,<br />

wenn es um Paulette<br />

geht, zu der ihm auch der Zugang<br />

fehlt, obwohl sein Herz übervoll<br />

an Gefühlen ist. Bodo Koch (alias<br />

Philibert) steht ihm in nichts<br />

nach und gibt dem starken Pendant<br />

schauspielerisch Paroli, indem<br />

er sich ganz in seiner Rolle<br />

des verklemmten, psychisch angeknacksten<br />

und introvertierten<br />

Eigenbrötler, der doch dazugehören<br />

will, verliert. Zwischen diesen<br />

zwei Kosmen, die die Bühne<br />

beherrschen, bewegt sich Laura<br />

Bettinger (alias Camille), der man<br />

anfangs ein bisschen ihre Nervosität<br />

anmerkt. Sie changiert<br />

zwischen der Wachsamen und<br />

Hingebungsvollen und schafft es<br />

nie ganz, ihren Kopf auszuschalten.<br />

Dadurch sind ihre Emotionen<br />

eher blass, wie das ganze<br />

Wesen selbst, das Franck immer<br />

versucht aufzupäppeln, körperlich<br />

wie seelisch. Überhaupt zieht<br />

sich das „Essen“ wie ein roter Faden<br />

durch das Stück: Philibert<br />

kocht eine ungenießbare Suppe,<br />

während Franck ihn zurechtweist,<br />

Camille zwingt sich zu essen und<br />

laviert zwischen Crêpes Suzette<br />

und dem Vernaschtwerden.<br />

Die Küche des Altersheims stinkt<br />

zum Himmel und im Traum vom<br />

eigenen Restaurant finden sich<br />

alle wieder…. Apropos alle, unerwähnt<br />

blieb bisher Stella Borck<br />

(alias Paulette), die Unvergleichliche,<br />

die nicht nur weil sie altersmäßig<br />

mithalten kann, die<br />

80jährige Großmutter von Franck<br />

spielt. Intensiv, authentisch, ausdrucksstark<br />

zieht sie in ihrem Monolog<br />

über die Vergangenheit das<br />

gesamte Publikum in ihren Bann.<br />

Sie komplettiert die geschlossene<br />

Ensembleleistung auf einzigartige<br />

Weise. Applaus für einen wunderbaren<br />

Abend, der zu Tränen rührt,<br />

aber dennoch nie ins Kitschige<br />

oder ins Klischee abdriftet. Der<br />

Schluss kommt zwar nicht überraschend,<br />

aber doch abrupt, und<br />

hebt sich somit von der Romanvorlage<br />

ab. Mais, c´est la vie! Unbedingt<br />

anschauen! sky<br />

Foto: oliver mack<br />

Karten unter 09333.9049867<br />

bühne<br />

Rezension<br />

Nach dem Spiegel Bestseller<br />

von Anna Gavalda im Sommerhaus<br />

in Szene gesetzt.<br />

Gavalda erzählt genau, klug,<br />

burschikos und witzig. Ihr<br />

Roman erinnert an „Die fabelhafte<br />

Welt der Amélie“.<br />

<strong>Leporello</strong> l 13

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