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Jagd & Natur Ausgabe Dezember 2017 | Vorschau

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<strong>Jagd</strong> & Erlebnis<br />

Geliebter Bodensitz<br />

Er lohnt sich immer, der anstrengende, kräfteraubende Aufstieg zum geliebten<br />

Bodensitz. Ein friedlicher Ort, meist kommt Wild in Anblick. Selten<br />

war der Aufstieg so beschwerlich wie im vergangenen August. Der steile<br />

Weg, kindskopfgrosse Steine und ein regelrechter Stacheldrahtverhau forderten<br />

ihren Tribut.<br />

Text: Hans-Jörg Müller<br />

Fotos: Michael Breuer<br />

Am Mittwoch, 23. August <strong>2017</strong>, hatte mich wohl<br />

der Teufel geritten. Bei grosser Hitze trieb es<br />

mich hinauf zum Bodensitz in verklüftete Höhen.<br />

Ich habe es tatsächlich geschafft und bin stolz<br />

darauf. Sacksteil war der Weg, mit kindskopfgrossen<br />

Steinen übersät, kaum ein Plätzchen zum Ausruhen.<br />

Mit Rucksack, Feldstecher, Zielstock und Mauser. Alles<br />

hat gedrückt. Und meine 82 Jährchen auf dem<br />

Buckel auch. Der Schweiss rann mir in die Augen<br />

und hat mir den Blick für die Realität zusätzlich vernebelt.<br />

Kein schöner Anblick. Auf dem letzten Wegdrittel<br />

folgte dann der Super-GAU. Ein ganz besonders<br />

liebevoller Zeitgenosse, ein Bauer, kein anderer<br />

wars, hat mir als Jäger oder verirrtem Wanderer mit<br />

Stacheldraht neueren Datums unmissverständlich<br />

den Weitermarsch verwehrt. Warum wissen die Götter!<br />

Denn da oben kann ihm wirklich keiner etwas<br />

zuleide tun. Da oben ist Schluss. Da ist nichts zu holen<br />

oder niederzutreten. Gleich nebenan führt wohl<br />

ein zentimeterschmaler Steig auf direkter Linie hinauf.<br />

Aber das ist eher eine Sache für Reinhold Messner.<br />

«Was ist wohl in diesen Landbesitzer gefahren?»,<br />

ging es mir durch den Kopf. Noch vor drei Jahren<br />

hatte ich mit ihm am Berg einen humorvollen<br />

Schwatz ...<br />

Der Stacheldraht war sehr wehrhaft angebracht,<br />

mit krumm gehauenen Nägeln, sodass es tatsächlich<br />

chancenlos war, ihn zu öffnen. Klar, dass ich in diesem<br />

Moment alle Heiligen bemüht hatte. Als besonderer<br />

Fan des heiligen Antonius hatte ich diesen angefleht,<br />

mich heil durch diesen «Festungsverhau»<br />

hindurchzubringen. Den Stecken im Boden eingerammt,<br />

versuchte ich, den untersten Draht etwas anzuheben.<br />

Dann zog ich mir «bis auf Hemli und Hose»<br />

alle Kleider vom Leib, schob meine Utensilien untendurch<br />

und schlussendlich mich selbst auch. Dies aber<br />

hiess, rücklings zu robben wie ein Mitglied der Farc-<br />

Guerilla im Dschungel von Kolumbien, auf steinigem<br />

Grund. Alle anderen Verrenkungen machte ich fast<br />

durchwegs einbeinig, weil es so steil und uneben<br />

war. Dann zog ich mich wieder an und setzte meinen<br />

Weg fort. Der Schweiss floss in Strömen. Meine 100 kg<br />

Körpergewicht, eigentlich gut trainiert, musste ich<br />

zwischendurch an einem Grasbüschel ruhen lassen<br />

und tief bereuen, dass ich mir so etwas antat.<br />

Um 17.30 Uhr war es dann geschafft. Ich rutschte<br />

aufs Bänkli und gab keinen Mucks mehr von mir. Ein<br />

unendlicher Friede mit fernen Kuhglocken war der<br />

Lohn für all die Anstrengungen. Eine grosszügige<br />

Weite, in ein paar hundert Metern Entfernung einige<br />

Baumstrünke und Verwachsungen, in nächster Nähe<br />

eine kleine Staudeninsel – als Entfernungsmesser<br />

und Orientierungshilfe bestens geeignet. Ich war<br />

bestens installiert. Dichter haben solche Idylle schon<br />

hundertfach trefflich beschrieben. Ich kanns nicht<br />

besser und belasse es einfach bei «herrlich».<br />

Einige Schattenwürfe waren wohl schon da. Aber<br />

immer noch gleissend helle Sonnenstrahlen veranlassten<br />

mich, mein Rätselheftli hervorzukramen.<br />

Doch «ohalätz». Kaum zwanzig Minuten auf dem Ansitz,<br />

wechselte eine Rehgeiss mit Kitz auf eine Distanz<br />

von etwa 30 Gängen unbekümmert an mir vorbei.<br />

Und kaum zu glauben – nach weiteren zwanzig<br />

Minuten zeigte sich ganz oben ein Gamsbock. In gemächlicher<br />

Gangart zog er herunter und gesellte sich<br />

zu den Rehen. Damit ist doch einmal mehr der<br />

Nachweis erbracht, dass sich Gams- und Rehwild<br />

durchaus vertragen. Vielleicht haben sie sich sogar<br />

über die magere Äsung unterhalten. Und der Hase<br />

im Graben musste gar einen side step machen, um<br />

nicht getreten zu werden. Ich hatte tollen Anblick bis<br />

zum Einnachten. Buchstäblich mit links hätte ich den<br />

Gamsbock erlegen können. Grosses Ehrenwort.<br />

Doch eine weitere Gamskrucke brauchte ich nicht<br />

mehr an meiner Trophäenwand. Um der ganzen<br />

Wahrheit die Ehre zu geben, sei gesagt, dass ich<br />

mich ganz einfach ums Bergen, ums Runterbringen<br />

und die ganze andere Plackerei gedrückt hatte. Und<br />

dann waren da noch die Dunkelheit, die Steine und<br />

der Stacheldraht ... Nein danke!<br />

Auf Rotwild hatte ich umsonst gewartet. Übers Hinunterstolpern<br />

ins Tal, bewehrt mit einer Taschenlampe,<br />

über den vermaledeiten Stacheldraht (bei<br />

ihm war ich letztmals am Boden), decke ich lieber<br />

den Mantel der Verschwiegenheit.<br />

«Runter kommen sie alle», heisst es doch so tröstlich.<br />

Ich hatte es auch geschafft. Mittlerweile war es<br />

21.45 Uhr geworden. Jetzt nur noch rasch zurück<br />

nach Hause. Young Boys spielt gegen ZSKA Moskau.<br />

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JAGD & NATUR<br />

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