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Im Gespräch mit Carsten Braun

Am 18.3.2018 wird Carsten Brauns "Gloria" in der Kölner Philharmonie uraufgeführt. Wir haben mit ihm gesprochen.

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<strong>Im</strong> <strong>Gespräch</strong> <strong>mit</strong> <strong>Carsten</strong> <strong>Braun</strong>, Komponist<br />

Hallo <strong>Carsten</strong>. Für alle, die dich noch nicht kennen:<br />

Stell dich doch bitte kurz vor.<br />

Hallo! Mein Name ist <strong>Carsten</strong> <strong>Braun</strong>, ich bin 39 Jahre<br />

alt, zum Zeitpunkt der Uraufführung werde ich<br />

allerdings schon 40 sein. Ein nicht unwesentlicher<br />

Unterschied – zumindest in meinem eigenen Empfinden.<br />

Ich wohne in Gemünden im Hunsrück, wo mir<br />

besonders die Ruhe, die schöne Landschaft und die gute<br />

Luft gefallen. Als Musiker komme ich von der Kirchenorgel<br />

her, auf der ich seit März 1988 regelmäßig<br />

Gottesdienste begleite. Von 1999 bis 2005 habe ich in<br />

Weimar und Mainz Schulmusik, Geschichte, Tonsatz<br />

und Gehörbildung studiert und „nebenbei“ in Mainz<br />

Jonas Pinto kennengelernt, der mir sofort sympathisch<br />

war. Seit 2008 bin ich Studienrat an der IGS Kastellaun<br />

– allerdings nicht ausschließlich, sonst würde ich dieses<br />

<strong>Gespräch</strong> wohl auch kaum führen. Neben meiner Lehrtätigkeit<br />

komponiere ich nämlich seit etwa 20 Jahren.<br />

Verglichen <strong>mit</strong> dem Beginn meiner musikalischen<br />

Ausbildung bin ich als Komponist also eher ein Spätberufener.<br />

Dann allerdings habe ich diese Tätigkeit sehr<br />

schnell an erste Stelle gerückt: Das Schreiben ging mir<br />

von Anfang an leicht von der Hand, Schreibblockaden<br />

etc. kenne ich nicht. Vielleicht auch deshalb, weil ich<br />

fast immer das Glück hatte, an sehr interessanten Projekten<br />

aus unterschiedlichsten Bereichen des Kulturlebens<br />

<strong>mit</strong>arbeiten zu können, wo ich mich jeweils <strong>mit</strong><br />

meinen Stärken und Vorlieben einbringen konnte.<br />

Welche Projekte sprichst du da an? Kannst du uns ein<br />

paar Beispiele geben?<br />

Gerne! Die Bandbreite reicht da von Kirchenmusik über<br />

Kunstlieder und Musicals bis hin zu Film- und<br />

Bühnenmusik. Stilistisch habe ich dabei sowohl klassische<br />

Formen und Besetzungen bedient, als auch viel<br />

„Crossover“ gemacht: Mein Requiem „Der unbekannte<br />

Krieg“ beispielsweise kombiniert Orchester und Chöre<br />

<strong>mit</strong> Elektrobeats und Synthesizern. Außerdem habe ich<br />

im vergangenen Jahrzehnt drei Rockmusicals<br />

geschrieben, bei denen ich je nach Thematik Elemente<br />

<strong>mit</strong>telalterlicher Musik (sehr präsent bei „Genoveva“),<br />

Polka oder Jazz eingebaut und <strong>mit</strong> unterschiedlichsten<br />

Spielarten von Rockmusik kombiniert habe – von<br />

sanften Balladen über Funk, Ska und Prog bis hin zu<br />

Hard Rock und Heavy Metal.<br />

Hast du musikalische Vorbilder?<br />

Auf jeden Fall! Diese sind so unterschiedlich wie das,<br />

was ich selbst bediene. Der zeitgenössische britische<br />

Komponist John Rutter ist für mich ein gutes Beispiel<br />

dafür, wie man zeitgenössisch komponieren, anspruchsvolle<br />

Formen und Sätze schreiben und dennoch<br />

gefällig sein kann. Außerdem haben mich französische<br />

Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts (Duruflé,<br />

Vierne, der frühe Messiaen) <strong>mit</strong> ihrer Klangsinnlichkeit<br />

sehr beeindruckt. Deutsche Musik der gleichen Zeit ist<br />

oftmals sehr herb, akademisch, mathematisch. Ihre<br />

französischen Kollegen haben dabei immer etwas<br />

Mystisches, das mich sehr anspricht. Last, but not least,<br />

sind da sicher noch Keyboarder und Komponisten des<br />

Progressive Rock zu nennen. Tony Banks von Genesis<br />

hat mein Verständnis für Harmonik und Rhythmik vermutlich<br />

mehr geprägt als mehrere Semester Studium.<br />

Auch Ken Hensley (Uriah Heep) und Keith Emerson<br />

(ELP) sollten hier genannt werden. Filmmusik hat da<br />

– auch wenn ich diese Klangästhetik in einigen<br />

Passagen des Gloria bewusst anstrebe – einen geringeren<br />

Einfluss. Die Ausnahme stellt dabei John<br />

Williams dar, der tonsetzerisch wohl anspruchsvollste<br />

und „klassischste“ lebende Hollywood-Komponist.<br />

Wie kam es zur Zusammenarbeit <strong>mit</strong> dem Konzertchor<br />

Köln?<br />

Jonas Pinto und ich hatten uns ein paar Jahre aus den<br />

Augen verloren. Als wir uns im Sommer 2015 wiedertrafen,<br />

merkten wir direkt, dass die „alte Chemie“ noch<br />

da war. Etwa im Februar 2016 erzählte Jonas dann vom<br />

Konzertchor Köln und davon, dass er <strong>mit</strong> diesem<br />

Ensemble regelmäßig Kompositionsaufträge für Uraufführungen<br />

vergibt. Quasi im selben Atemzug fragte er<br />

1<br />

mich, ob ich Interesse hätte, für ein Konzert im März<br />

2018 ein chorsinfonisches Stück zu schreiben. Ich<br />

musste nicht lange darüber nachdenken und sagte sofort<br />

zu.<br />

Ohne zu viel über dein zu verraten: Was erwartet die<br />

Zuhörer am 18. März 2018?<br />

Zunächst kann ich dich beruhigen: Zu viel verraten kann<br />

man gar nicht, wenn man über noch unbekannte Musik<br />

spricht. Wenn ich für eine Geschichte werben wollte,<br />

die ich geschrieben habe, müsste ich aufpassen, dass ich<br />

nicht das Ende vorwegnehme und die Spannung da<strong>mit</strong>


in Luft auflöse. Aber in Bezug auf eine Komposition<br />

besteht diese Gefahr ja nicht. Ich fasse mich aber<br />

dennoch so kurz wie möglich und versuche, weitgehend<br />

auf Fachbegriffe und Tonsetzerlatein zu verzichten!<br />

Entstanden ist das Gloria im Frühling und Sommer<br />

2017, danach habe ich noch die Instrumentierung<br />

komplettiert und das Notenmaterial erstellt. Nach<br />

mehreren Musicals und funktionaler Musik war ich<br />

unglaublich froh, wieder ohne äußere Zwänge Musik<br />

nur aus ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten heraus<br />

entwickeln – oder sollte ich besser sagen: SICH<br />

ENTWICKELN lassen – zu können. Daher auch meine<br />

Wahl, Kirchenmusik zu schreiben und da<strong>mit</strong> etwas, das<br />

so lange „aktuell“ ist und im Repertoire von Chören<br />

seinen Platz finden kann, wie es Chöre und Christen<br />

gibt. Das Gloria als Teil einer Messe ist unglaublich<br />

häufig vertont worden. Ein Gloria als eigenständiges,<br />

mehrsätziges Werk hingegen in dieser Größenordnung<br />

so gut wie noch nie. Vivaldis Standardwerk sowie die<br />

18.03.2018, 20 Uhr, Kölner Philharmonie<br />

<strong>Carsten</strong> <strong>Braun</strong><br />

Gloria (Uraufführung)<br />

für Soli, Chor und Orchester<br />

Ludwig van Beethoven<br />

Messe in C-Dur op. 86<br />

für Soli, Chor und Orchester<br />

Margareta Köllner (Sopran)<br />

Anne-Kathrin Herzog (Alt)<br />

Thomas Jakobs (Tenor)<br />

Florian Rosskopp (Bass)<br />

Konzertchor Köln<br />

Neues Rheinisches Kammerorchester Köln<br />

Ltg. Jonas Manuel Pinto<br />

Glorias von Poulenc und Rutter sind hier zu nennen,<br />

allerdings teilen auch diese Werke (<strong>mit</strong> Ausnahme<br />

Vivaldis) den Text nicht so akribisch in einzelne,<br />

präzise ausgearbeitete musikalische Sätze auf, wie ich es<br />

getan habe. Und selbst Vivaldi schreibt teilweise recht<br />

knappe Sätze („Gratias agimus tibi“ sei hier als Beispiel<br />

genannt). Ich hatte den Anspruch, jeder Aussage der<br />

Textvorlage eine gründliche musikalische Bearbeitung<br />

zukommen zu lassen.<br />

Bei einer solchen Dimension ist es selbstverständlich<br />

wichtig, die Zuhörer über die gesamte Aufführungsdauer<br />

(wir sprechen von ca. einer Stunde) „bei der Stange<br />

zu halten“ und sie immer wieder neu zu überraschen<br />

und zu fesseln. Das Stück ist so komponiert, dass es<br />

un<strong>mit</strong>telbar wirkt. Themen, Melodien und Rhythmen<br />

sind zum großen Teil eingängig, ohne dabei anspruchslos<br />

zu sein. Die Instrumentierung und einige Klangeffekte<br />

lassen Assoziationen an Filmmusik aufkommen,<br />

Schlaginstrumenten kommt eine zentrale Aufgabe zu.<br />

Andererseits ist mein Gloria nicht oberflächlich. Wer<br />

die Gelegenheit erhält, es mehrfach zu hören oder gar<br />

die Partitur zu studieren, wird immer mehr Details,<br />

polyphone Strukturen und motivische Arbeit entdecken<br />

können. Mein Faible für die musikalische Form prägt<br />

das Gloria ebenso: <strong>Im</strong> Großen wie im Kleinen gibt es<br />

immer wieder Reprisen, das heißt, Themen oder<br />

Passagen werden zu einem späteren Zeitpunkt wieder<br />

auf-gegriffen und dabei meist leicht variiert<br />

weitergeführt. Einerseits sorgt das bei einem noch unbekannten<br />

Stück für das wohlige Gefühl, sich als Hörer<br />

auf (relativ) vertrautem Terrain zu befinden, es trägt zur<br />

Eingängigkeit desselben bei. Andererseits entstehen so<br />

komplexe Verbindungen und Beziehungen zwischen<br />

Abschnitten und Sätzen, die sich erst bei näherer Betrachtung<br />

erschließen. Insgesamt möchte ich also eine<br />

direkte Wirkung erzeugen, andererseits aber auch noch<br />

genug Potenzial für eine weitergehende Beschäftigung<br />

<strong>mit</strong> meinem Stück bieten.<br />

Bleibt die Frage nach der Tonsprache und der<br />

Modernität. Zeitgenössische Komponisten sind ja quasi<br />

2<br />

verpflichtet, die Frage nach dem Dissonanzgrad ihrer<br />

Musik zu beantworten, und je nachdem müssen sie sich<br />

entweder für die „vielen falschen Töne“ oder die sehr<br />

traditionelle Harmonik rechtfertigen. Ich versuche,<br />

dieser Inquisition dadurch zu entkommen, dass ich eher<br />

auf dem Gebiet der Rhythmik und durch den Flirt <strong>mit</strong><br />

Rockmusik zu einer modernen Tonsprache gelange, als<br />

durch den Verzicht auf Tonalität oder nachvollziehbare<br />

Themen. Synkopen und zusammengesetzte oder wechselnde<br />

Taktarten prägen das rhythmische Gesicht des<br />

Gloria. Die Harmonik dagegen verwendet Dissonanzen<br />

vornehmlich als Farbe und in ähnlicher Funktion, wie<br />

Jazz und Rockmusik dies tun. Tonalität ist meist<br />

vorhanden, wenn auch in der Regel nicht als reines Dur<br />

oder Moll. Die Kirchentonarten (oder besser „Modi“,<br />

denn als solche sind sie auch im Jazz in Gebrauch)<br />

sowie Mixturen (Quartklänge, gerückte Dur- bzw. Moll-<br />

Akkorde <strong>mit</strong> oder ohne Septimen oder Nonen) treten an<br />

ihre Stelle. Sie bilden jeweils kurzzeitig geltende tonale<br />

Zentren, die aber meist fast augenblicklich wieder<br />

aufgelöst und verlassen werden. Wichtiger als ein<br />

Akkord oder ein Thema an sich ist für mich ohnehin<br />

dessen Position innerhalb einer Entwicklung. Nach einer<br />

entsprechend effektvollen Hinführung und Vorbereitung<br />

KANN ein Thema nur gigantisch klingen, wenn es<br />

wuchtig instrumentiert endlich erscheint. Die einleitende<br />

Passage hat dabei also einen ähnlichen Effekt wie die<br />

Laudatio bei einer Preisverleihung.<br />

Nun stelle ich ernüchtert fest, dass es mir leider nicht<br />

gelungen ist, auf „Tonsetzerlatein“ zu verzichten. Wenn<br />

ich aber dennoch – oder gerade deswegen – auf mein<br />

Stück neugierig machen konnte, ist ja alles gut! Wenn<br />

nicht, sagen Sie mir bitte kräftig Ihre Meinung! Am<br />

besten am 18. März 2018 in der Kölner Philharmonie.<br />

Dort trifft man mich dann nämlich ...<br />

… und wir freuen uns drauf! Vielen Dank für deine Zeit!

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