Zukunft Geist 2016
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<strong>2016</strong><br />
ZUKUNFT<br />
GEIST<br />
Das Magazin für Studierende der <strong>Geist</strong>es- und Kulturwissenschaften<br />
VON IT BIS JAZZ<br />
DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />
SELBSTSTÄNDIGKEIT –<br />
EINE GUTE PERSPEKTIVE?<br />
PASSION, PATIENCE<br />
& PRAGMATISM<br />
ZU GAST BEI DOKUMENTARFILMREGISSEUR<br />
ARNE BIRKENSTOCK<br />
MUT ZUR<br />
MITBESTIMMUNG<br />
WARUM SICH MEHR FRAUEN IN DIE CHEFETAGE<br />
TRAUEN SOLLTEN<br />
CORDELIA WAGNER, PRESSESPRECHERIN<br />
VON IP DEUTSCHLAND (MEDIENGRUPPE<br />
RTL) IM GESPRÄCH
EDITORIAL<br />
Die Treppe, die das Cover der zweiten Ausgabe von ZUKUNFT GEIST ziert, ist ein vielseitiges Symbol<br />
für den beruflichen Werdegang. Wenn man sie betritt, weiß man noch nicht genau, wohin<br />
sie führt. Doch hat man den Weg erst mal begonnen, geht es recht leicht voran und eh man<br />
sich versieht, hat man die ersten Etagen erklommen. Hier verweilen wir, manchmal für kürzere,<br />
manchmal für längere Zeit, bevor es wieder weiter geht. Der Aufstieg ist dabei nicht automatisch<br />
eine steile Karriereleiter, sondern einfach die Möglichkeit, sich von einem Ziel zum nächsten zu bewegen,<br />
ohne von Anfang an den kompletten Weg zu kennen. Häufig eröffnet erst das Erreichen<br />
eines Abschnittes die freie Sicht auf die weiteren Wege.<br />
Die berufliche Laufbahn kann ebenso eher gradlinig oder eher verschlungen sein, mit vielen kleinen<br />
oder wenigen großen Etappen – das ist für jeden Weg individuell. Das Ziel dabei ist, eine<br />
Tätigkeit zu finden, mit der man zufrieden ist, worin die persönliche Zufriedenheit auch immer<br />
liegen mag.<br />
<strong>Geist</strong>eswissenschaftlerinnen und <strong>Geist</strong>eswissenschaftler haben dabei ganz eigene Herausforderungen<br />
zu bewerkstelligen, da ihr Studium nicht auf einen konkreten Beruf zugeschnitten ist. Es<br />
ist wichtig, diese Offenheit als Chance zu begreifen, früh herauszufinden, was einem wirklich liegt<br />
und eigene Entscheidungen zu treffen. Die wenigsten Studierenden wissen schon im Studium,<br />
wohin ihr beruflicher Weg sie einmal führen wird. Es gilt daher, sich auszuprobieren, Chancen zu<br />
ergreifen, Kontakte zu knüpfen. Vieles findet sich dann im Laufe der Zeit und nicht selten landet<br />
man letztlich in einer Branche, an die man zu Beginn nicht mal gedacht hat. Das bestätigen auch<br />
viele Kandidatinnen und Kandidaten, die bereits für ZUKUNFT GEIST von ihren Werdegängen<br />
berichtet haben.<br />
3<br />
In diesem Heft portraitieren wir für Sie sieben <strong>Geist</strong>eswissenschaftlerinnen und <strong>Geist</strong>eswissenschaftler<br />
mit spannenden und zum Teil sehr verschlungenen Werdegängen – von der IT-Spezialistin<br />
bis zum Koordinator für Jazzorchester. Wir sprechen mit einer erfolgreichen Pressesprecherin<br />
über Chancen und Herausforderungen für Karrierefrauen und besuchen einen erfolgreichen Filmregisseur.<br />
Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen!<br />
Constanze Alpen<br />
© Tom Bayer - Fotolia.com<br />
Öffentlichkeitsarbeit & Kommunikation<br />
Philosophische Fakultät
© Constanze Alpen<br />
ZUKUNFT GEIST<br />
Grußwort<br />
Inhalt<br />
GRUßWORT<br />
5<br />
4<br />
TIPPS & TERMINE<br />
SERIE<br />
VON IT BIS JAZZ<br />
Die Vielfalt der <strong>Geist</strong>eswissenschaften<br />
Dominik Seidler – Den Jazz im Blut<br />
Stephanie Weisgerber – „Begeisterung lohnt sich“<br />
KARRIERE IN DEN MEDIEN<br />
PASSION, PATIENCE & PRAGMATISM<br />
Zu Gast bei Dokumentarfilmregisseur Arne Birkenstock<br />
MUT ZUR MITBESTIMMUNG<br />
Warum sich mehr Frauen in die Chefetage trauen sollten<br />
Anna Schneppenheim – Einmal Polarkreis und zurück<br />
Oliver Hinz – Crossmediales Know-how als Erfolgsrezept<br />
6<br />
8<br />
10<br />
14<br />
18<br />
22<br />
26<br />
30<br />
J<br />
ährlich informieren sich tausende Schülerinnen<br />
und Schüler, wo es nach dem Schulabschluss<br />
beruflich hingehen soll. Studium oder<br />
Ausbildung? – Die Möglichkeiten sind so vielfältig<br />
wie nie und es gilt, sich in einem Dschungel von<br />
Fächern, Modellen, Universitäten, Unternehmen<br />
und Akademien zurechtzufinden. Das Richtige für sich zu<br />
finden, ist gar nicht so leicht und nicht wenige schlagen<br />
zunächst einen Weg ein, um einige Zeit später festzustellen,<br />
dass sie doch lieber in eine andere Richtung gehen möchten.<br />
In dieser Suche liegt sicherlich ein Kern der Studienzeit. Zwar<br />
ist es eine Zeit der fachlichen Ausbildung und Qualifikation,<br />
aber es ist auch eine Zeit der Persönlichkeitsfindung und<br />
-entwicklung. Welcher Beruf passt zu mir? Wie und wo<br />
möchte ich arbeiten? Was ist mir wichtig?<br />
Die <strong>Geist</strong>eswissenschaften bieten eine vielfältige Bandbreite<br />
an Themen und Fächern von Sprachen, Musik und<br />
Medienwissenschaften, über Geschichte und Philosophie<br />
bis zur Linguistik. Da sie nicht auf einen konkreten Beruf<br />
zugeschnitten sind, empfiehlt es sich, im Studium Praktika<br />
zu machen, um verschiedene berufliche Tätigkeiten<br />
kennenzulernen. So lässt sich herausfinden, was den<br />
eigenen Fähigkeiten am ehesten entspricht. Absolventen der<br />
<strong>Geist</strong>eswissenschaften sind, außer in Forschung und Lehre, oft<br />
in Verlagen, Theatern, Museen und Galerien tätig, aber auch<br />
im diplomatischen Dienst oder in den Bereichen Personal,<br />
Public Relations, Kreativwirtschaft, Customer Service oder<br />
Beratung, um nur einige Beispiele zu nennen.<br />
Prof. Dr. Stefan Grohé<br />
(Dekan)<br />
© Roman Oranski © Constanze Alpen<br />
5<br />
In der zweiten Ausgabe von ZUKUNFT GEIST stellen wir Ihnen<br />
SEI DEIN EIGENER CHEF<br />
Selbstständigkeit: Eine gute Perspektive?<br />
34<br />
erneut eine Reihe ehemaliger Studierender unserer Fakultät<br />
vor, die von ihren Werdegängen und ihren Tätigkeiten<br />
berichten. Die Branchen sind dabei so vielfältig wie die<br />
Studienfächer – vom Museum über IT bis Tourismus ist alles<br />
Robert Fuchs – Geschichte lebendig werden lassen<br />
36<br />
dabei. Wir möchten Sie ermutigen, Ihren eigenen Weg zu<br />
finden und bei der Studienwahl ihren eigenen Interessen zu<br />
folgen. Denn nur wenn man etwas gerne tut, ist man auch<br />
AUS DER UNI<br />
GESCHICHTE UND BERUF<br />
Programmreihe für Studierende der Geschichte<br />
40<br />
wirklich gut darin. Seien Sie offen und neugierig und lernen<br />
Sie die vielseitigen Möglichkeiten kennen, die sich Ihnen mit<br />
einem geisteswissenschaftlichen Studium bieten.<br />
Prof. Dr. Anja Bettenworth<br />
(Studiendekanin)<br />
Gabi Dorner – Interdisziplinär auf ganzer Linie<br />
42<br />
Reiner Rasche – „Das Studium hat mich kommunizieren gelehrt“<br />
46<br />
IMPRESSUM<br />
50
ZUKUNFT GEIST<br />
TIPPS & TERMINE<br />
TIPPS & TERMINE<br />
Linkauswahl rund um Studienwahl, Hochschulen & Berufseinstieg<br />
Abi.de (Bundesagentur für Arbeit)<br />
6<br />
Wo gibt‘s was?<br />
BERATUNGS- UND INFORMATIONSANGEBOTE DER UNIVERSITÄT ZU KÖLN FÜR STUDIEN-<br />
INTERESSIERTE UND STUDIERENDE DER GEISTESWISSENSCHAFTEN IM ÜBERBLICK<br />
http://abi.de/index.htm<br />
blicksta | <strong>Zukunft</strong> blicken<br />
https://blicksta.de<br />
einstieg – meine zukunft. mein ding.<br />
http://www.einstieg.com/<br />
7<br />
STUDIEREN PROBIEREN<br />
Das Programm Studieren probieren bietet<br />
die Möglichkeit, einen Tag lang in den Alltag<br />
der Universität zu Köln einzutauchen.<br />
So können Studieninteressierte schon mal<br />
etwas Campus-Atmosphäre schnuppern,<br />
Professorinnen und Professoren bei der<br />
Lehre erleben und vielleicht sogar schon<br />
erste Kontakte knüpfen. Nähere Informationen<br />
finden Sie unter zsb.uni-koeln.de/<br />
studierenprobieren.<br />
UNIallTAG<br />
Im Programm UNIallTAG können Studieninteressierte<br />
eine Studentin oder einen<br />
Studenten des gewünschten Fachs einen<br />
Tag lang an der Uni begleiten. Neben<br />
einem ersten Eindruck von Vorlesungen<br />
und Seminaren stehen auch noch eine<br />
Campusführung und ein Mensa-Besuch<br />
auf dem Programm. Nähere Informationen<br />
finden Sie unter zsb.uni-koeln.de/<br />
unialltag.<br />
CAREERSERVICE<br />
Der CareerService weiß um die Anforderungen<br />
für <strong>Geist</strong>eswissenschaftlerinnen<br />
und <strong>Geist</strong>eswissenschaftler am Arbeitsmarkt.<br />
Studierende finden hier breit gefächerte<br />
Unterstützung von individueller<br />
Laufbahnberatung, Bewerbungsmappenchecks,<br />
Workshops, Networking uvm.<br />
career.phil-fak.uni-koeln.de<br />
PROFESSIONAL CENTER<br />
Das ProfessionalCenter der Universität zu<br />
Köln bietet den Studierenden mit Lehrveranstaltungen,<br />
Workshops in Unternehmen,<br />
Projekten im Service Learning<br />
sowie durch persönliche Coachings die<br />
Möglichkeit, sich beruflich zu orientieren<br />
und berufsqualifizierende Kompetenzen<br />
zu erwerben.<br />
www.professionalcenter.uni-koeln.de/<br />
STUDIENBERATUNG DER<br />
PHILOSOPHISCHEN FAKULTÄT<br />
Wenn Sie sich für ein Studium an der<br />
Philosophischen Fakultät der Uni Köln<br />
entschieden haben, steht Ihnen die fächerübergreifende<br />
Studienberatung der<br />
Fakultät zu Verfügung.<br />
http://phil-fak.uni-koeln.de/studienberatung.html<br />
ZENTRALE STUDIENBERATUNG<br />
Die Zentrale Studienberatung berät Studieninteressierte<br />
bei der Wahl des Studiums<br />
und steht den Studierenden während des<br />
gesamten Studienverlaufs beratend zur<br />
Seite. zsb.uni-koeln.de<br />
Hochschulkompass<br />
http://www.hochschulkompass.de/<br />
Hochschulkompass – Studium-Interessentest<br />
http://www.hochschulkompass.de/studium-interessentest.html<br />
Karrierebibel<br />
http://karrierebibel.de/studienwahl-studiengaenge/<br />
Studiengangssuchmaschine – Zeit Online<br />
http://studiengaenge.zeit.de/<br />
SIT-Studium Interessentest | Zeit Online<br />
http://studiengaenge.zeit.de/sit<br />
Studieren-im-Netz.org<br />
http://www.studieren-im-netz.org/<br />
Studium und Beruf – Informationsportal der Zentralen Studienberatung der Uni Köln<br />
http://verwaltung.uni-koeln.de/abteilung21/content/studierende/studium_und_beruf/index_ger.html<br />
Informationsveranstaltungen für<br />
Studieninteressierte in NRW<br />
Veranstaltung Datum Link<br />
OPEN CAMPUS – Informationsmesse 30.04.<strong>2016</strong> zsb.uni-koeln.de/opencampus<br />
der Universität zu Köln<br />
BACHELOR AND MORE<br />
Düsseldorf: 30.04.<strong>2016</strong><br />
Köln: 13.11.<strong>2016</strong><br />
http://www.bachelor-and-more.de/<br />
bachelor-messen/<br />
Münster: 15.01.2017<br />
STUZUBI <strong>2016</strong><br />
Dortmund: 21.05.<strong>2016</strong><br />
Köln: 03.09.<strong>2016</strong><br />
http://www.stuzubi.de/messe.html<br />
Düsseldorf: 17.09.<strong>2016</strong><br />
Studieren probieren (Uni Köln) Im Zeitraum vom 18.04.-08.07.<strong>2016</strong> zsb.uni-koeln.de/studierenprobieren<br />
möglich<br />
Medienfest.NRW 04.06.<strong>2016</strong> http://www.medienfest-nrw.de/medienfest/<br />
Langer Abend der Studienberatung 23.06.<strong>2016</strong> zsb.uni-koeln.de/langerabend<br />
(Uni Köln)<br />
HORIZON – Die Messe für Studium Diverse Termine deutschlandweit http://horizon-messe.de<br />
und Abiturientenausbildung<br />
UNIallTAG (Uni Köln) Während der Vorlesungszeit zsb.uni-koeln.de/unialltag<br />
© Fabian Stürtz
VON IT BIS JAZZ<br />
DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />
So vielfältig die Fächer im Bereich der <strong>Geist</strong>eswissenschaften sind, so divers sind auch die Werdegänge der<br />
Absolventinnen und Absolventen. Tatsächlich landen viele in Berufen, die man nicht auf den ersten Blick<br />
mit einem geisteswissenschaftlichen Studium assoziiert. Doch <strong>Geist</strong>eswissenschaftlerinnen und <strong>Geist</strong>eswissenschaftler<br />
bringen viele Vorteile mit und können in den unterschiedlichsten Branchen Fuß fassen.<br />
Oliver Hinz //<br />
Köln //<br />
Politikwissenschaften, Geschichte und Anglistik //<br />
Social Media-Redakteur für 1LIVE und die ARD Sportschau, //<br />
Gründer der Social-Media-Beratungsfirma socialeyes<br />
Interview S. 30<br />
E<br />
© WRD/ Brill<br />
© DOMiD-Archiv, Köln<br />
Dominik Seidler //<br />
Bonn //<br />
Musikwissenschaft, Ethnologie und Romanistik //<br />
Projektleiter des „Bundesjazzorchesters“ und der / /<br />
„Bundesbegegnung Jugend jazzt“<br />
Interview S. 10 E<br />
// Dr. Robert Fuchs<br />
// Köln<br />
// Geschichte, Politik, Germanistik<br />
// Projektleiter Migrationsmuseum im DOMiD<br />
(Dokumentationszentrum und Museum über die<br />
Migration in Deutschland e.V.<br />
F<br />
Interview S. 36<br />
© Florian Ross<br />
// Stephanie Weisgerber<br />
// Großburgwedel<br />
// Phonetik, Allgemeine Sprachwissenschaft, Pädagogik<br />
// IT-Branche, Software-Unternehmen, fest angestellt als<br />
Senior Quality Assurance Engineer<br />
Interview S.14<br />
F<br />
Gabi Dorner //<br />
Frankfurt am Main //<br />
Regionalwissenschaften Lateinamerika //<br />
Senior Manager Human Resource Services pwc //<br />
Interview S. 42<br />
E<br />
© Björn Weisgerber<br />
© pwc<br />
// Reiner Rasche<br />
Anna Schneppenheim //<br />
// Bonn<br />
Köln //<br />
// Philosophie, Germanistik, Erziehungswissenschaften<br />
Skandinavistik, Germanistik, Philosophie //<br />
Reiseleitung, Konzeption & Vertrieb für Skandinavienreisen //<br />
Interview S. 26 E<br />
©Anna Schneppenheim<br />
© Reiner Rasche<br />
// Deutsche Telekom, Leiter CRM Planung & Prozess-Steuerung<br />
F<br />
Interview S. 46
VON IT BIS JAZZ – DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />
© Florian Ross<br />
DOMINIK SEIDLER HAT SEINEN TRAUM-<br />
JOB GEFUNDEN: ALS PROJEKTLEITER<br />
BEIM DEUTSCHEN MUSIKRAT IN BONN<br />
IST ER DAFÜR VERANTWORTLICH,<br />
WUCHS-FÖRDERPROJEKTE<br />
DASS DIE BEIDEN JAZZ-SPITZENNACH-<br />
„BUNDES-<br />
JAZZORCHESTER“ UND DIE „BUNDESBE-<br />
GEGNUNG JUGEND JAZZT“ INHALTLICH,<br />
ORGANISATORISCH UND FINANZIELL<br />
FUNKTIONIEREN. IM INTERVIEW ERZÄHLT<br />
ER, WIE ES DAZU KAM.<br />
DEN JAZZ<br />
IM BLUT<br />
INTERVIEW: JULIA HALLMANN<br />
Bundesbegegnung Jugend jazzt 2015, Trio „First Circle“/Hessen | © Deutscher Musikrat/Christian Debus<br />
S<br />
ie sind Projektleiter des<br />
„Bundesjazzorchesters“<br />
und der „Bundesbegegnung<br />
Jugend jazzt“. Was<br />
genau hat man sich darunter<br />
vorzustellen?<br />
Das Bundesjazzorchester ist das offizielle<br />
Jugendjazzorchester der Bundesrepublik<br />
Deutschland. Man kennt es auch unter<br />
dem liebevollen Spitznamen „BuJazzO“.<br />
Es wurde im Jahr 1988 von Peter Herbolzheimer<br />
gegründet und führt den<br />
Spitzennachwuchs im Jazz für maximal<br />
zwei Jahre über Auswahlvorspiele in<br />
Arbeitsphasen und einer Konzertbesetzung<br />
zusammen. Unsere Mitglieder sind<br />
zwischen 15 und 24 Jahre alt. Man kann<br />
sagen, das BuJazzO ist der Rolly Royce<br />
unter den Jugendjazzorchestern. Man<br />
trifft sich dreimal im Jahr zum Proben und<br />
spielt danach ganzjährig Konzerte im In-<br />
und Ausland. Wir sind auch Patenorchester<br />
der WDR Big Band und Partner der<br />
nationalen Jugendjazzorchester England<br />
und Holland.<br />
Mein zweites Projekt „Jugend jazzt“ ist<br />
wie „Jugend musiziert“, nur anders. Die<br />
Bundesbegegnung „Jugend jazzt“ wird<br />
seit 1997 jährlich in einer anderen deutschen<br />
Stadt durchgeführt und dauert<br />
immer vier Tage: Neben dem eigentlichen<br />
Wettbewerbsdurchgang ist sie eine<br />
Mischung aus Festival, Konzertpodium,<br />
Kontakt- und Informationsbörse. Wir sind<br />
die Spitze der Pyramide: Zur Bundesbegegnung<br />
werden ausschließlich die ersten<br />
Preisträger der vorausgehenden Landeswettbewerbe<br />
„Jugend jazzt“ eingeladen,<br />
in geraden Jahren die großen Jazzorchester<br />
und in ungeraden Jahren die<br />
kleinen Combos. Eine Jury aus bekannten<br />
Jazzmusikerinnen und -musikern vergibt<br />
keine Punkte, sondern fördernde<br />
Anschlussmaßnahmen wie CD-Produktionen,<br />
Konzerte, Workshops etc.<br />
Nach dem Abitur haben Sie zunächst<br />
Musikwissenschaft, Ethnologie und<br />
Portugiesisch an der Universität zu<br />
Köln studiert. War dies eine Herzensentscheidung?<br />
Auf jeden Fall. Mir war vollkommen klar,<br />
dass ich Musikwissenschaft mit Schwerpunkt<br />
Musikethnologie studieren wollte.<br />
Musik entdecken, Musiker kennenlernen,<br />
Musik verstehen und machen – das hat<br />
mich seit frühester Jugend begeistert.<br />
Besonders der Jazz hat mich gepackt und<br />
nie mehr losgelassen. Auslöser war die<br />
Columbia-Schallplatte „Ellington ‘55“,<br />
ein Geschenk meiner Patentante zum<br />
10. Geburtstag. Das war ein neuer Kosmos.<br />
Da spürte ich, dass die Welt musikalisch<br />
mehr zu bieten hat als den mir bis<br />
dahin bekannten Standard der seltsamen<br />
80er-Jahre. Das weckte meine Neugier,<br />
damit wollte ich mich – zumindest eine<br />
gewisse Zeit meines Lebens – inhaltlich<br />
auseinandersetzen.<br />
Ein Jahr Ihres Studiums verbrachten<br />
Sie an der Universidade Nova in Lissabon.<br />
Hatte die Auslandserfahrung<br />
Auswirkungen auf Ihren Werdegang?<br />
Ja, sogar sehr konkrete Auswirkungen.<br />
Dieses Jahr war einerseits eine unvergessliche<br />
Zeit, andererseits hat es mir Klarheit<br />
über mich selbst verschafft. Für mein<br />
Feldforschungspraktikum bei den Musikethnologen<br />
an der Universidade Nova<br />
Lisboa hatte ich mich für ein Projekt mit<br />
angolanischen Gastarbeitern in Lissabon<br />
bzw. ihrer Musik „Soukous“ entschieden.<br />
Die Musiker lebten bei mir im Viertel<br />
und probten regelmäßig auf der Straße.<br />
Das Thema war inhaltlich sehr interessant,<br />
aber ich fühlte mich bald unwohl<br />
in meiner Rolle als reiner Beobachter und<br />
Beschreiber.<br />
In diesem Moment wurde klar, was ich<br />
nicht will: Ich wollte nicht mein Leben<br />
lang der sein, der anderen beim Machen<br />
zusieht, um sie zusätzlich mit Fragen zu<br />
nerven. Ich wollte nicht der sein, der über<br />
das Machen anderer forscht und schreibt.<br />
Im Gegenteil wollte ich selbst machen und<br />
dafür sorgen, dass Musik passiert. Auch<br />
wenn das noch nicht konkret zu Ende<br />
gedacht war – dort fiel meine Entscheidung<br />
in Richtung Kulturmanagement.<br />
Meine Sprachkenntnisse öffneten mir<br />
in Köln die Tür zu einem Studentenjob<br />
in einem Marktforschungsunternehmen.<br />
Dort wurden Personen gesucht, die Interviews<br />
auf Portugiesisch führen konnten.<br />
Am Ende habe ich 17 Jahre für dieses<br />
Unternehmen gearbeitet, vom Studentenjob<br />
über ein Online-Redaktionsprojekt<br />
bis zum Vertriebsleiter.<br />
Wie ging es nach dem Magister<br />
zunächst für Sie weiter?<br />
Da ging es Schlag auf Schlag. Mein Professor<br />
hatte mich zwar gefragt, ob ich<br />
nicht noch promovieren wollte, aber das<br />
stand zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zur<br />
Debatte. Meine Entscheidung gegen eine<br />
universitäre Laufbahn war längst gefallen.<br />
Meinen Magister machte ich im Juni<br />
1997. Einen Monat später heiratete ich<br />
und bekam auch bald das erste Kind, kurz<br />
darauf das zweite. Es folgten mehrere<br />
Stationen: Direkt im Anschluss an die Universität<br />
arbeitete ich projektbezogen in<br />
der Organisation des Jazz-Festival Viersen.<br />
Ende 1997 bekam ich die Chance, in eine<br />
Online-Redaktion beim WDR Fernsehen<br />
einzusteigen. Dort blieb ich acht Monate,<br />
bis der WDR entschied, das Projekt an<br />
einen externen Dienstleister zu vergeben.<br />
Als einziger Mitarbeiter ging ich damals<br />
mit dem Projekt zum Dienstleister und<br />
bekam plötzlich die Chance, dort eine<br />
neue Online-Redaktion mit sieben Mitarbeitern<br />
aufzubauen.<br />
Parallel zu dieser Tätigkeit studierte ich<br />
in den Jahren 1998/1999 abends und<br />
Bundesjazzorchester 2014 beim Konzert in der Deutschen Schule Guayaquil/Ecuador | © Deutscher Musikrat/Klaus Lönze<br />
11
ZUKUNFT GEIST<br />
VON IT BIS JAZZ – DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />
12<br />
am Wochenende vier Semester Kulturmanagement<br />
an der Verwaltungs- und<br />
Wirtschafts-Akademie Köln. Im Jahr 2000<br />
konnte ich zusätzlich als Orchestermanager<br />
des Bundesjazzorchesters loslegen.<br />
Zwei Jahre später wurde es wieder spannend:<br />
Von der Online-Redaktion wechselte<br />
ich innerhalb des gleichen Unternehmens<br />
in den Vertrieb, wo ich zehn Jahre<br />
blieb. Diese Jahre im Vertrieb haben mich<br />
sehr stark geprägt.<br />
Wie kam es zu der Entscheidung,<br />
nach Ihrem geisteswissenschaftlichen<br />
Studium noch ein Studium im Bereich<br />
Kulturmanagement zu absolvieren?<br />
Diese Entscheidung reifte bereits in mir, als<br />
ich vom Auslandsjahr zurückkam. Damals<br />
bot die Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie<br />
VWA in Köln alle zwei Jahre ein<br />
Studium im Bereich Kulturmanagement<br />
für Berufstätige an. Endlich hatte ich<br />
gefunden, was ich suchte. Es wurde konkret<br />
geredet. Wir hatten Unterricht in<br />
Jura, BWL, Marketing, Buchhaltung und<br />
so weiter. Dozenten sprachen über Projektmanagement,<br />
Versicherungsfragen<br />
oder Kosten- und Finanzierungspläne.<br />
Dieser Abschluss war für mich Gold wert,<br />
denn durch diesen wurde ich direkt beim<br />
Deutschen Musikrat als Orchestermanager<br />
des Bundesjazzorchesters engagiert.<br />
Ohne dieses Zusatzstudium hätte ich den<br />
Einstieg dort nicht gefunden.<br />
Sie haben bereits während des Studiums<br />
Praktika absolviert und gejobbt.<br />
Wie wichtig waren diese Erfahrungen<br />
in Bezug auf Ihre heutige Position?<br />
Praktika sind sehr wichtig. Sie öffnen<br />
Einblicke in noch unbekannte mögliche<br />
Berufsfelder. Man lernt neue Tätigkeiten<br />
und neue Menschen kennen. Praktika<br />
helfen herauszufinden, was man will und<br />
was nicht. Ich zum Beispiel habe diverse<br />
Praktika im Museum, im Messebereich<br />
und in der Veranstaltungsorganisation<br />
gemacht. Für mich war danach klar:<br />
Museum und Messe ist nicht meine Welt.<br />
Durch meine eigenen musikalischen Aktivitäten<br />
habe ich quasi ein lebenslanges<br />
Dauerpraktikum in Bigbands und Jazzcombos<br />
absolviert. Ich kenne diese Szene<br />
und ihre Protagonistinnen und Protagonisten<br />
schon seit frühester Jugend. Meine<br />
zwölf Jahre Orchestermanagement für<br />
das Bundesjazzorchester waren auch fast<br />
ein Dauerpraktikum. Dort habe ich so viel<br />
gelernt, dass mich in meinem jetzigen<br />
Beruf nicht mehr viel überrascht.<br />
Sie bezeichnen Ihren Beruf als „Traumjob“.<br />
Was macht ihn für Sie persönlich<br />
so einzigartig?<br />
Wenn ich alle Puzzleteile meines Lebens<br />
zusammensetze, ist dieser Job die logische<br />
Konsequenz. Dort kann ich meine<br />
gesamte Persönlichkeit und Erfahrung<br />
einbringen. Organisieren, kalkulieren, verhandeln,<br />
Sprachen sprechen bzw. schreiben,<br />
verkaufen und so weiter. Machen,<br />
dass Kultur passiert. Das spornt mich an.<br />
Jazz bedeutet für mich Glück, Kommunikation<br />
und Freiheit. Nach dem Hören und<br />
Spielen von Jazz fühle ich mich besser als<br />
vorher. Jazz ist gesund. Jazz vereint die<br />
Menschen über Grenzen und Schichten<br />
hinweg. Das Hören von Jazz und das<br />
aktive Spielen in Combos und Bigbands<br />
ist Teil meines Lebens.<br />
Ich bin dankbar, dass mir mein Beruf die<br />
Möglichkeit bietet, mich für eine Sache<br />
einzusetzen, die mir so viel bedeutet, vor<br />
allem im Bereich der Nachwuchsförderung.<br />
Welche Fähigkeiten zeichnen Ihrer<br />
Meinung nach <strong>Geist</strong>eswissenschaftler<br />
aus?<br />
Im Berufsleben geht es immer darum,<br />
Unternehmenskulturen zu verstehen, sich<br />
einzufinden, Bedürfnisse zu erkennen,<br />
zu beschreiben, Lösungen zu entwickeln<br />
und zu verkaufen – entweder ein Produkt,<br />
eine Dienstleistung oder sich selbst.<br />
Ich habe oft beobachtet, dass <strong>Geist</strong>eswissenschaftler<br />
hier im Vorteil sind: Sie sprechen<br />
mehrere Sprachen, hören zwischen<br />
den Zeilen, sind flexibel, verfügen über<br />
ein oft interessantes und breites Allgemeinwissen<br />
und sind dadurch geschätzte<br />
und gesuchte Gesprächspartner.<br />
Wenn sich <strong>Geist</strong>eswissenschaftler ihre<br />
Offenheit und Neugier bewahren, dann<br />
sind sie eigentlich überall einsatzfähig.<br />
Welchen Rat geben Sie jungen Menschen,<br />
die sich für ein geisteswissenschaftliches<br />
Studium interessieren<br />
oder dieses bereits studieren?<br />
Brennt für eine Sache. Das verschafft<br />
Glaubwürdigkeit. Willst Du Trompeter<br />
werden, dann übe Trompete. Möchtest<br />
Du am Theater oder in einem Verlag<br />
arbeiten, dann baue Dir in dieser Branche<br />
ein Netzwerk auf. Zeige Berufsethos, Interesse<br />
und Motivation. In einem Orchester<br />
würde ich sagen: Versuche immer mit<br />
anderen Menschen zu spielen, die besser<br />
spielen als Du selbst.<br />
Kümmert Euch selbst aktiv um die Dinge,<br />
die man Euch im geisteswissenschaftlichen<br />
Studium nicht beibringt. Entweder<br />
in Praktika oder einem Zusatzstudium.<br />
Lernt lebenslang. Findet durch Ausprobieren<br />
heraus, was ihr wollt und was ihr nicht<br />
wollt. Jagt und sammelt Erfahrungen.<br />
Dies kann auch bedeuten, eine gewisse<br />
Zeit eine – nur auf den ersten Blick – unattraktive<br />
Hilfstätigkeit auszuführen. Seid<br />
Euch nicht zu schade, Umwege in Kauf<br />
zu nehmen.<br />
Baut Euch ein Netzwerk auf. Pflegt die<br />
Adressen und die Kontakte, und zwar<br />
online wie offline. Nicht alles kann man<br />
mit dem Smartphone erledigen. Aus diesen<br />
Netzwerken entstehen Zufälle und<br />
Glück. Wenn das Glück vorbeikommt,<br />
dann greift zu.<br />
Und habt Geduld. Vielleicht kann mein<br />
krummer Lebenslauf ja als Beispiel dienen,<br />
am Ball zu bleiben, um am Ende die persönliche<br />
Nadel im Heuhaufen zu finden.<br />
13<br />
Bundesbegegnung Jugend jazzt 2013, Trio „moment‘s concept“/Sachsen © Christian Debus<br />
Bundesbegegnung Jugend jazzt 2014, Preisträgerkonzert mit SWR Big Band | © Deutscher Musikrat/Klaus Lönze
ZUKUNFT GEIST<br />
VON IT BIS JAZZ – DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />
14<br />
„BEGEISTERUNG<br />
© carloscastilla - Fotolia.com<br />
© Björn Weisgerber<br />
Frau Weisgerber, warum ist<br />
es Ihnen ein Anliegen, an<br />
ZUKUNFT GEIST mitzuwirken?<br />
Ich hätte es sehr zu schätzen<br />
gewusst, wenn es so ein Magazin schon<br />
zu meiner Studienzeit gegeben hätte –<br />
quasi als Mutmacher. Als Absolventin<br />
der Philosophischen Fakultät ist es für<br />
mich eine Herzensangelegenheit, für die<br />
<strong>Geist</strong>eswissenschaften zu werben. Viele<br />
Menschen wissen einfach zu wenig über<br />
die Möglichkeiten, die sich mit entsprechenden<br />
Abschlüssen eröffnen. Da gibt<br />
es großen Gesprächsbedarf.<br />
Trotzdem sind sie dabei geblieben.<br />
Ja. Vor allem in der Phonetik habe ich<br />
schnell einen Bereich gefunden, in dem<br />
ich mich sehr wohl gefühlt habe. Das<br />
anwendungsbezogene Arbeiten liegt mir<br />
einfach. Bisweilen musste ich zwar im<br />
Studium ganz schön die Zähne zusammenbeißen,<br />
aber die vielen kleinen<br />
Erfolgserlebnisse – zum Beispiel, wenn<br />
ein kleines, selbst programmiertes Skript<br />
plötzlich funktioniert – haben mich überzeugt,<br />
dabei zu bleiben.<br />
Heute arbeiten Sie als Senior Quality<br />
Assurance Engineer in einem großen,<br />
international agierenden Software-Unternehmen.<br />
Welchen Weg<br />
sind Sie bis dorthin gegangen?<br />
Um ehrlich zu sein: einen sehr holprigen.<br />
Nach meinem Abschluss wusste ich<br />
zunächst noch gar nicht, welche Möglichkeiten<br />
es für mich gibt. Ich habe während<br />
des Studiums nur wenige Praktika<br />
absolviert, weil ich – auch aufgrund der<br />
Bafög-Bestimmungen – so schnell wie<br />
möglich fertig werden wollte. Einblick<br />
in Arbeitsfelder für Phonetiker*innen<br />
abseits des Phonetischen Instituts, an dem<br />
ich als Studentische Hilfskraft gearbeitet<br />
habe, hat mir ein kurzes Praktikum bei<br />
einer Sprachakademie ermöglicht. Dort<br />
habe ich festgestellt, dass ich am liebsten<br />
im analytisch-phonetischen Bereich arbeiten<br />
möchte. Nach dem Studium war ich<br />
allerdings leider erst einmal ein Jahr lang<br />
arbeitslos.<br />
Zu erkennen,<br />
was einem<br />
liegt, ist eine<br />
wundervolle<br />
Entdeckung,<br />
aus der man<br />
viel Energie<br />
ziehen kann.<br />
Konnten Sie diese Phase durch Praktika<br />
oder Weiterbildungen nutzen?<br />
Unbezahlte Praktika konnte ich mir aus<br />
finanziellen Gründen nicht erlauben und<br />
ohne diese schien der Einstieg in klassische<br />
Arbeitsfelder als frische Absolventin<br />
15<br />
LOHNT SICH“<br />
NACH DEM ABITUR WUSSTE STEPHANIE WEISGERBER NOCH NICHT, WELCHEN BERUFLICHEN<br />
WEG SIE EINMAL EINSCHLAGEN WÜRDE. SIE VERSUCHTE ES MIT EINEM STUDIUM DER<br />
PHONETIK, DER ALLGEMEINEN SPRACHWISSENSCHAFT UND DER PÄDAGOGIK – UND FAND<br />
HERAUS, DASS ES DIE PERFEKTE ARBEITSSTELLE WIRKLICH GIBT.<br />
INTERVIEW: SILKE FEUCHTINGER<br />
Sie haben an der Uni Köln Phonetik,<br />
Allgemeine Sprachwissenschaft und<br />
Pädagogik studiert. Warum haben Sie<br />
sich für diese Fächer entschieden?<br />
Schon seit der Grundschule interessiere<br />
ich mich für Sprachen und auch für deren<br />
grammatische Strukturen. Das hat mich<br />
während meiner gesamten Schullaufbahn<br />
begleitet. In der Oberstufe habe ich<br />
schließlich ganz gezielt Deutsch und Englisch<br />
als Leistungskurse belegt. Die Richtung<br />
wurde dann immer klarer. Dennoch<br />
war mein Studium zu Beginn nicht leicht<br />
für mich. In der Schule bin ich in keiner<br />
Form auf Entsprechendes vorbereitet<br />
worden, sodass vieles wie ein Sprung ins<br />
kalte Wasser war.<br />
Elektromagnetischer Artikulograph zur Messung von Zungen-, Lippen- und<br />
© Fabian Stürtz<br />
Kieferbewegungen | Fachgebiet der Phonetik
ZUKUNFT GEIST<br />
VON IT BIS JAZZ – DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />
16<br />
© CSTRSK | pixabay.com<br />
kaum möglich. Um Geld zu verdienen,<br />
bin ich erst einmal freiberuflich als Dozentin<br />
an einem Bildungswerk eingestiegen.<br />
Dort habe ich für sehr heterogen zusammengesetzte<br />
und teilweise sozial recht<br />
schwierige Gruppen Bewerbungstrainings<br />
durchgeführt. Dadurch habe ich mir eine<br />
ganze Menge Durchsetzungsvermögen<br />
erworben. Verschwendete Zeit war das<br />
also mit Sicherheit nicht. Und mich selbst<br />
habe ich nebenbei natürlich auch trainiert.<br />
Als mir dann die richtige Stellenanzeige<br />
über den Weg lief, hat es gleich<br />
geklappt.<br />
Sie sind also von Plan B zu Plan A<br />
zurückgekehrt?<br />
Genau. Es hat sich gelohnt, dass ich das<br />
eigentliche Ziel nie aus den Augen verloren<br />
habe. Als ich die Ausschreibung las,<br />
dachte ich, das bin genau ich. Auch wenn<br />
man diesem Gefühl wahrscheinlich nicht<br />
immer Glauben schenken sollte, hat es<br />
Während eines Studiums<br />
der <strong>Geist</strong>eswissenschaften<br />
entwickelt man einen<br />
sehr weiten Horizont und<br />
einen breit gefächerten Blick.<br />
in meinem Fall einfach zugetroffen. Im<br />
Vorstellungsgespräch habe ich dann zum<br />
ersten Mal festgestellt, dass es tatsächlich<br />
Stellen gibt, die genau zu dem passen,<br />
was ich studiert habe. Das war wie eine<br />
Offenbarung – für mich ein ganz entscheidender<br />
Schlüsselmoment.<br />
Soundfile zum Sichtbarmachen akustischer Signale<br />
Wie darf ich mir Ihre tägliche Arbeit<br />
als Senior Quality Assurance Engineer<br />
vorstellen?<br />
Meine Arbeit ist die einer Test-Designerin.<br />
Ich beschäftige mich mit Sprachdialogsystemen,<br />
also mit der Kommunikation von<br />
Mensch und Maschine. Die Kund*innen<br />
meiner Firma kommen unter anderem<br />
aus der Telekommunikation, aus dem<br />
Finanzbereich oder aus dem behördlichen<br />
Sektor. Eine häufige Anforderung<br />
besteht darin, automatengesteuerte<br />
Servicezentralen zu entwickeln bzw. die<br />
entsprechende Software zu überprüfen<br />
oder auszubauen. In Abstimmung mit<br />
den jeweiligen Auftraggeber*innen wird<br />
dafür von einem Kollegen oder einer Kollegin<br />
zunächst ein Pseudo-Code verfasst,<br />
der sowohl alle technischen Anforderungen<br />
an die Software als auch den tatsächlichen<br />
Gesprächsablauf zwischen Mensch<br />
und Maschine beschreibt. Darauf aufbauend<br />
wird dann von einem Entwickler<br />
die eigentliche Software programmiert.<br />
Mir als Test-Designerin dient der Pseudo-Code<br />
als Grundlage für die Erstellung<br />
meiner Testfälle, mit denen ich die Software<br />
schließlich überprüfe. Dazu gehören<br />
sowohl die Entwicklung einer Test-Spezifikation<br />
als auch die tatsächliche Durchführung<br />
der Tests mit anschließender<br />
Ergebnisauswertung.<br />
Wie hat Sie Ihr Studium auf diese<br />
Arbeit vorbereitet?<br />
Das Handwerkszeug, das ich heute nutze,<br />
habe ich tatsächlich zu einem nicht unwesentlichen<br />
Teil aus meinem Studium mitgebracht.<br />
Mit Sprachaufnahmen und<br />
deren statistischer Auswertung haben<br />
wir an der Uni ganz intensiv gearbeitet.<br />
Das ging durchaus manchmal in Richtung<br />
Programmierung und hat mich sehr gut<br />
auf das vorbereitet, was ich heute mache.<br />
Hinzu kommt, dass man als <strong>Geist</strong>eswissenschaftler*in<br />
geradezu prädestiniert<br />
ist, eine gute, differenzierte Qualitätssicherung<br />
durchzuführen. Denn ohne sich<br />
einen kritischen Blick erworben zu haben,<br />
kommt man aus der Philosophischen<br />
Fakultät nicht raus.<br />
Können Sie auch von Schwierigkeiten<br />
berichten?<br />
In Bezug auf meine Tätigkeit fällt mir da<br />
wenig ein. Das hängt vor allem damit<br />
zusammen, dass ich von meinem Arbeitgeber<br />
sehr gut eingearbeitet worden bin<br />
und die Chemie von Anfang an gestimmt<br />
hat. Am Ende lernt man jeden Job erst im<br />
Job. Das kann man nicht häufig genug<br />
sagen und das gilt für jedes Berufsfeld,<br />
auch fernab der <strong>Geist</strong>eswissenschaften.<br />
Vieles muss man sich einfach zutrauen<br />
– dann ist der wichtigste Schritt schon<br />
getan.<br />
Wie sehen Sie Ihre Perspektiven?<br />
Ich fühle mich sehr wohl in der IT-Branche<br />
und bin auch ein bisschen stolz, es als<br />
Frau, vor allem als <strong>Geist</strong>eswissenschaftlerin,<br />
hierhin geschafft zu haben. Da ich<br />
auch hin und wieder neue Kolleg*innen<br />
einarbeiten kann, werde ich auch immer<br />
mal ein wenig als Pädagogin tätig und<br />
kann damit diesem Teil meiner Laufbahn<br />
ebenfalls gerecht werden. Das ist eine<br />
wunderbare Gelegenheit, mir selbst zu<br />
vergegenwärtigen, was ich inzwischen<br />
alles gelernt und zu vermitteln habe.<br />
Trotzdem zeichnet es nun mal <strong>Geist</strong>eswissenschaftler*innen<br />
insbesondere aus, sich<br />
und alles andere regelmäßig zu hinterfragen,<br />
neue Perspektiven zu entdecken und<br />
neuen Ideen offen gegenüber zu stehen.<br />
Das sollte man sich auch im Arbeitsleben<br />
erhalten. Zurzeit bin ich inhaltlich aber<br />
ganz und gar am richtigen Ort.<br />
Wenn Sie heute nochmal mit dem Abi<br />
in der Tasche vor der Frage nach den<br />
richtigen Studienfächern stehen würden:<br />
Würden Sie alles wieder genauso<br />
machen?<br />
Aus meiner heutigen Perspektive ist alles<br />
genau so gelaufen, wie es hätte laufen<br />
müssen. Als gebürtige Norddeutsche habe<br />
ich aus meinem Studium in Köln auch das<br />
Motto „Et hätt noch emmer joot jejange“<br />
mitgenommen. Egal wie schlimm es kam,<br />
gerade auch während der bitteren Phase<br />
der Arbeitslosigkeit: Etwas Positives habe<br />
ich aus allen Erfahrungen ziehen können.<br />
Sicherlich wäre das ein oder andere<br />
zusätzliche Praktikum hilfreich gewesen,<br />
aber es ist auch nicht falsch, sich auf<br />
© Björn Weisgerber<br />
sein Studium zu konzentrieren. Während<br />
eines Studiums der <strong>Geist</strong>eswissenschaften<br />
entwickelt man ohnehin einen sehr weiten<br />
Horizont und einen breit gefächerten<br />
Blick. Dessen positive Wirkung im Hinblick<br />
auf spätere Arbeitsmöglichkeiten<br />
sollte man nicht unterschätzen. Wichtig<br />
war außerdem, dass meine Familie mich<br />
immer unterstützt hat, obwohl meine<br />
Eltern sich als Nichtakademiker eigentlich<br />
kaum vorstellen konnten, was ich mit<br />
meinem Studium machen kann. Heute<br />
kann ich sagen: Es lohnt sich. Man muss<br />
einfach dranbleiben und sein Ziel nicht<br />
aus den Augen verlieren.<br />
Was möchten Sie heutigen Studienanfänger*innen<br />
mit auf den Weg<br />
geben?<br />
Zu erkennen, was einem liegt, ist eine<br />
wundervolle Entdeckung, aus der man viel<br />
Energie ziehen kann. Das sollte man nutzen.<br />
Wenn man etwas wirklich aus Überzeugung<br />
und mit Begeisterung macht,<br />
dann liefert man auch die gewünschten<br />
Resultate. Das merken auch die Arbeitgeber*innen.<br />
17
ZUKUNFT GEIST<br />
KARRIERE IN DEN MEDIEN<br />
18<br />
PASSION,<br />
19<br />
12 Tangos – Adiós Buenos Aires | © Fruitmarket<br />
© Fruitmarket / Wolfgang Ennenbach<br />
E<br />
in Dokumentarfilm ist die<br />
Kunst, gesellschaftliche, politische<br />
Themen auf den Punkt<br />
zu bringen, Persönlichkeiten<br />
und Lebenswelten authentisch<br />
abzubilden, Wahrheiten auszusprechen<br />
und Horizonte zu erweitern. Aber<br />
der Dokumentarfilm kann viel mehr als<br />
das: In den besten Fällen handelt es sich<br />
um eine kunstvolle Entfaltung der Wirklichkeit.<br />
Der Kölner Regisseur und Produzent<br />
Arne Birkenstock beherrscht diese<br />
Kunst in Perfektion. Seine Filme sind stimmungsvolle,<br />
anrührende und manchmal<br />
auch brisante Einsichten in die verschiedensten<br />
Szenarien und Persönlichkeiten.<br />
Am Ende hat man stets das Gefühl, den<br />
Charakteren des Films sehr nah zu sein,<br />
fast so als hätte man sie selbst über mehrere<br />
Wochen begleitet. Eine so intensive<br />
Beschäftigung mit Personen, die einem<br />
bis dato fremd waren, erfordert jede<br />
Menge Feingefühl, Geduld und natürlich<br />
eine große Portion Unvoreingenommenheit<br />
und Neugier.<br />
ZUKUNFT GEIST hat den Filmemacher<br />
in seiner Kölner Produktionsfirma ‚Fru-<br />
PATIENCE &<br />
PRAGMATISM<br />
ZU GAST BEI DOKUMENTARFILMREGISSEUR<br />
ARNE BIRKENSTOCK<br />
TEXT: CONSTANZE ALPEN<br />
itmarket‘ besucht und einen Blick auf Birkenstock. Nicht nur für Neueinsteiger<br />
das Leben und Wirken des erfolgreichen ist die Finanzierung ihrer Filme eine heikle<br />
Dokumentarfilmregisseurs und Produzenten<br />
geworfen.<br />
zu erstellen, das einerseits die richtigen<br />
Sache. Es gilt immer, ein gutes Konzept<br />
Leute zusammenbringt, die in die Produktion<br />
passen, und das andererseits poten-<br />
Es war die Liebe zur Musik, die Arne Birkenstock<br />
seine Berufung beim Film entdecken<br />
ließ. Ursprünglich hatte er Journalist überzeugt, zu investieren. Letzteres ist<br />
tielle Sender, Förderer und Sponsoren<br />
werden und als Korrespondent für eine immer ein hohes Risiko und entsprechend<br />
Zeitung schreiben wollen. Aber durch schwer ist es, Geld aufzutreiben. Folglich<br />
seine Musik bekam er Kontakte zum sind zwei Dinge das A und O der Branche:<br />
Erstens muss man über ein gutes<br />
WDR und begann, erste Filmerfahrungen<br />
zu sammeln. Hierbei stellte er schnell fest, Netzwerk verfügen, um ein passendes<br />
dass Musik und Rhythmus beim Film eine Paket zusammenstellen zu können. Und<br />
wichtige Rolle spielen und dass viele Filmemacher<br />
selbst einen Zugang zur Musik Feingefühl, wer an welchem Projekt Inte-<br />
zweitens benötigt man das strategische<br />
hatten. Der richtige Groove ist für einen resse haben könnte, und ob der jeweilige<br />
guten Film von großer Bedeutung, der Stoff wohl ein hohes Produktionsbudget<br />
braucht und akquirieren kann oder<br />
gibt das gewisse Etwas und das faszinierte<br />
ihn.<br />
mit niedrigen Mitteln produziert werden<br />
So verwundert es kaum, dass seine TV-Beiträge<br />
und Filme von Anfang an von Erfolg gelehrt, dass man Zusagen nur ernten<br />
sollte. Die Erfahrung hat Arne Birkenstock<br />
gekrönt waren und internationale Preise kann, wenn man in der Lage ist, punktgenaue<br />
Anfragen zu stellen.<br />
bekamen. Der erste Kinofilm 12 Tangos<br />
– Adiós Buenos Aires war ein ziemlicher Nachdem er für seinen zweiten Film<br />
Überraschungserfolg. Dennoch waren die Chandani und ihr Elefant den Deutschen<br />
ersten Jahre ziemlich hart, erinnert sich Filmpreis für den besten Kinderfilm erhalten<br />
hatte, lief es deutlich besser. Die<br />
Auszeichnung erwies sich als Turbo für<br />
die Karriere des Kölner Regisseurs. Heute<br />
kann er stolz auf diverse Dokumentarfilme<br />
und TV-Beiträge zurückblicken – allesamt<br />
Der richtige<br />
Groove ist für<br />
einen guten Film<br />
von großer<br />
Bedeutung<br />
sehr erfolgreich. Sein letzter Film Beltracchi<br />
– Die Kunst der Fälschung, der das<br />
Leben des gleichnamigen Kunstfälschers<br />
thematisiert, wurde 2014 von der Deutschen<br />
Filmakademie als „Bester Dokumentarfilm“<br />
ebenfalls mit dem Deutschen<br />
Filmpreis ausgezeichnet.<br />
Aber neben der Erfahrung bedarf es laut<br />
Birkenstock für den Erfolg einer Produktion<br />
weiterer Zutaten: Manchmal ist es<br />
die unerlässliche Portion Glück, vor allem<br />
aber braucht es ein Gespür für die richtigen<br />
Themen zum richtigen Zeitpunkt.<br />
Kino-Dokumentarfilme müssen einerseits<br />
thematisch den Zeitgeist treffen, dürfen<br />
aber andererseits – anders als TV-Reportagen<br />
– nicht von tagesaktuellen Ereignissen<br />
abhängig sein. Lange, über mehrere<br />
Jahre recherchierte, entwickelte und<br />
im Kino, bei Chortreffen und Orchesterfreizeiten.<br />
Diese Entwicklungen sind nicht vorhersehbar,<br />
produzierte Dokumentarfilme müssen<br />
als Filmproduzent kann man<br />
Geschichten erzählen, die über den Tag<br />
hinaus relevant bleiben und nicht nur das<br />
aktuelle Nachrichtengeschehen abbilden.<br />
Im besten Fall sind sie zum Zeitpunkt<br />
ihrer Entstehung ihrer Zeit sogar ein klein<br />
wenig voraus. Dann ist ein Filmthema<br />
plötzlich stärker als zu vor en vogue. Als<br />
Birkenstock einen Film über deutsche<br />
Volksmusik – Sound of Heimat – anbot,<br />
war die Skepsis zunächst groß. Das Genre<br />
war vom Musikantenstadl und Co. okkupiert<br />
und niemand konnte sich vorstellen,<br />
dass irgendwer einen Film über deutsche<br />
Volksmusik im Kino anschauen würde.<br />
Doch als der Film herauskam, hatten sich<br />
auch viele Zeitungen dem Thema verschrieben,<br />
Karaoke-Events wurden vielerorts<br />
durch kollektive Gesangsabende<br />
verdrängt und der Film läuft bis heute,<br />
vier Jahre nach seinem Start, regelmäßig<br />
lediglich Themen genau beobachten,<br />
um eventuelle Veränderungen abschätzen<br />
zu können. Aber eine Garantie gibt<br />
es nicht. Das ist ein Risiko mit dem man<br />
in der Branche kalkulieren muss. Eine<br />
wichtige Eigenschaft eines erfolgreichen<br />
Dokumentarfilmers ist es daher, offen<br />
auf Veränderungen reagieren zu können.<br />
Dies gilt sowohl für den Film als Ganzes,<br />
aber auch für die eigentlichen Produktionsabläufe<br />
im Detail. Da beim Dokumentarfilm<br />
stets mit Laien gearbeitet wird,<br />
ist hier die Herausforderung eine ganz<br />
andere als beim Spielfilm. Zwar sollte man<br />
auch hier mit detaillierten, dramaturgisch<br />
wohl überlegten Konzepten arbeiten,<br />
aber am Ende gilt es, spontan und offen<br />
zu sein. Nur so gelingt es, das Vertrauen<br />
der Protagonisten zu gewinnen, damit<br />
sie der Filmcrew Einblick in ihr Leben, ihr<br />
Dreharbeiten für Chandani und ihr Elefant | © Fruitmarket
ZUKUNFT GEIST<br />
KARRIERE IN DEN MEDIEN<br />
20<br />
Szenenbild Beltracchi – Die Kunst der Fälschung | © Fruitmarket/Wolfgang Ennenbach<br />
Innerstes geben. Mit der Gelassenheit<br />
und Neugier, die der Kölner Dokumentarfilmregisseur<br />
Arne Birkenstock ausstrahlt,<br />
kann man sich vorstellen, dass er diese<br />
Arbeit fabelhaft meistert. Das gehört<br />
für ihn auch nach vielen Jahren zu den<br />
spannendsten Dingen an seinem Beruf.<br />
Irgendwann ist der Punkt da, an dem sich<br />
die Darsteller öffnen und etwas preisgeben,<br />
das dem ganzen Film seine Richtung<br />
gibt. Dies geschieht meist ganz unverhofft.<br />
Birkenstock beschreibt es lächelnd<br />
als sein „dokumentarisches Glück“.<br />
Aus seinen Beschreibungen wird schnell<br />
klar, dass es so etwas wie Alltag in seinem<br />
Beruf nicht gibt. Während er in Köln ist,<br />
beschäftigen ihn Anträge, Abrechnungen<br />
und Verträge, er kümmert sich um die<br />
Kommunikation mit Sendern und Kameraleuten<br />
sowie die Organisation bevorstehender<br />
Drehs oder schreibt an neuen<br />
Projekten. Daneben nehmen natürlich die<br />
Drehtage einen großen Teil seiner Arbeit<br />
ein. Wenn er nicht gerade dreht oder in<br />
seinem Kölner Büro arbeitet, ist er viel<br />
unterwegs, beispielsweise für Filmschnitte<br />
bei Koproduktionen, zum Casten neuer<br />
Protagonisten oder bei Filmpräsentationen.<br />
Bei so einem turbulenten Arbeitsleben<br />
ist dem Kölner Dokumentarfilmer<br />
sein Team immer eine große Unterstützung.<br />
Aber egal ob innerhalb der eigenen<br />
Crew oder bei Koproduktionen, für<br />
ihn ist es generell wichtig, Teamplayer zu<br />
sein und sich auch mit solchen zu umgeben.<br />
Wer sich als King aufspielen will,<br />
macht seines Erachtens nach keine guten<br />
gewicht, da es einige Zeit braucht, sich<br />
zu etablieren. Für Arne Birkenstock sind<br />
gegenseitige Unterstützung und Kompromissbereitschaft<br />
die wichtigsten Zutaten<br />
für die Verwirklichung von Karriere und<br />
Familie. Heute genießt er es, als Freiberufler<br />
seine Zeit frei einteilen zu können und<br />
auch mal außer der Reihe Zeit mit seinen<br />
Söhnen verbringen zu können. Aber für<br />
seine Familie birgt der Erfolg auch seine<br />
Tücken. Durch seine Arbeit steht er auch<br />
bei privaten Festen öfter im Fokus des<br />
Interesses und das ist manchmal durchaus<br />
nervig für die Menschen an seiner Seite.<br />
Ein gewisses Maß an Eitelkeit bedarf es<br />
schon, um sich in dieser Rolle wohlzufühlen,<br />
davon ist Birkenstock überzeugt. Vor<br />
der Kamera sieht er sich allerdings nicht,<br />
aber er genießt das Interesse an seiner<br />
Person durchaus und ebenso dann und<br />
wann den roten Teppich und das Glamour<br />
der Filmbranche. Seiner Meinung<br />
nach ist jemand, der sein ganzes Streben<br />
darauf ausrichtet, mit seinen Filmen eine<br />
große Öffentlichkeit zu erreichen, in den<br />
meisten Fällen bis zu einem gewissen<br />
Grad eitel.<br />
Aber die Dokumentarfilmbranche unterscheidet<br />
sich durchaus von anderen Sparten<br />
des Films: Durch die häufigen Drehs<br />
mit Laien ist die Crew immer sehr dicht<br />
Dokumentarfilme. Auch die Fähigkeit,<br />
Kritik annehmen zu können, beschreibt<br />
er als etwas, das ihn schon häufig weiter<br />
gebracht hat, auch wenn es manchmal<br />
schmerzhaft sein kann.<br />
Aber nicht nur das berufliche Team, sondern<br />
auch die Familie spielt für den Filmemacher<br />
eine wichtige Rolle. Aus eigener<br />
Erfahrung weiß er, dass es am Anfang<br />
schwer ist, Fuß zu fassen. Gerade die<br />
jungen Kreativen haben es in der Medien-<br />
Szenenbild Beltracchi – Die Kunst der Fälschung | © Fruitmarket/Wolfgang Ennenbach<br />
branche nicht leicht. Bei der Familiengründung<br />
kann so viel berufliche Unsicherheit<br />
an ganz unterschiedlichen Leben und<br />
Schicksalen dran. Das hat etwas Echtes<br />
hinderlich sein. In den ersten Jahren<br />
und Unverfälschtes, das es beispielsweise<br />
besteht häufig ein finanzielles Ungleich-<br />
in der Form beim Spielfilm selten gibt.<br />
Die Aneignung des Filmthemas erfordert<br />
häufig viel Vorarbeit. Laut Birkenstock<br />
muss man im Schnitt 3-5 Jahre einplanen,<br />
in denen man sich ausschließlich diesem<br />
einen Thema widmet und dies auch<br />
gegen jede Zweifel verteidigt. Nur wer mit<br />
Leidenschaft bei der Sache ist, wird am<br />
Ende auch einen Film fertigstellen können.<br />
Seine goldene Regel für einen erfolgreichen<br />
Dokumentarfilmer lautet daher<br />
auch Passion, Patience and Pragmatism.<br />
Geduld zieht sich durch alle Etappen der<br />
Produktion, sowohl bei der Realisierung<br />
als auch beim Dreh selbst. Pragmatismus<br />
unterscheidet Filmschaffende nach Birkenstocks<br />
Ansicht am meisten vom bildenden<br />
Künstler. Um erfolgreich zu sein,<br />
Szenenbild Sound of Heimat | © Fruitmarket<br />
muss man als starke Persönlichkeit gut im<br />
Team mit anderen starken Persönlichkeiten<br />
arbeiten, man muss hohe Geldsummen<br />
akquirieren und man muss mit Sendern<br />
und anderen Verteilern verhandeln<br />
können, damit der Film möglichst viele<br />
Menschen erreicht. Für all das ist eine<br />
hohe Dosis an Pragmatismus notwendig.<br />
Wer hier zu kompromisslos und puristisch<br />
ran geht, verbaut sich seinen Erfolg. Man<br />
muss in der Lage sein, Kompromisse einzugehen,<br />
ohne sich selbst oder seinen<br />
Film zu verraten.<br />
Generell ist der Dokumentarfilm ein<br />
Nischengeschäft der Filmbranche und<br />
vielleicht ist es gerade deshalb ein besonders<br />
hartes Pflaster, da es immer leichter<br />
© Fruitmarket<br />
ist, mit Unterhaltungsfilmen das Publikum<br />
zu gewinnen als mit harten Wahrheiten.<br />
Aber der Dokumentarfilm ist auch ein<br />
besonders spannendes Feld, das immer<br />
wieder neue Herausforderungen bietet<br />
und dabei gleichzeitig jede Menge Mut,<br />
Motivation und Feingefühl für den richtigen<br />
Augenblick fordert.<br />
Arne Birkenstock studierte Regionalwissenschaften<br />
Lateinamerika an der<br />
Universität zu Köln. Seinen Berufseinstieg<br />
fand er beim WDR und der ARD,<br />
wo er erste eigene Beiträge drehte.<br />
Bereits 1999 erhielt er seine erste<br />
Auszeichnung. Sein erster Film 12<br />
Tangos – Adiós Buenos Aires erschien<br />
2005. Er betreibt seine eigene Produktionsfirma<br />
Fruitmarket – Kultur<br />
und Medien GmbH. Neben dem Film<br />
hat er sich der Musik verschrieben. Er<br />
lebt mit seiner Frau und zwei Kindern<br />
in Köln.<br />
21
© Arya Shirazi | Mediengruppe RTL<br />
ZUKUNFT GEIST<br />
KARRIERE IN DEN MEDIEN<br />
22<br />
MUT ZUR<br />
MITBESTIMMUNG<br />
WARUM SICH MEHR FRAUEN IN DIE CHEFETAGE TRAUEN SOLLTEN<br />
TROTZ VIELSEITIGER BEMÜHUNGEN, FRAUENQUOTEN UND NEUER ELTERNZEITMODELLE SIND<br />
WEIBLICHE FÜHRUNGSKRÄFTE NOCH IMMER NICHT DIE NORM. CORDELIA WAGNER, PRESSE-<br />
SPRECHERIN VON IP DEUTSCHLAND, DER VERMARKTUNGSGESELLSCHAFT DER MEDIENGRUPPE<br />
RTL, SPRACH MIT ZUKUNFT GEIST ÜBER DEN WEG IN DIE CHEFETAGE.<br />
INTERVIEW: CONSTANZE ALPEN<br />
W<br />
ürden Sie sagen,<br />
dass Frauen es<br />
generell schwerer<br />
haben, eine Führungsposition<br />
zu<br />
erreichen?<br />
Das kommt meines Erachtens sehr auf das<br />
Berufsfeld an. In eher männlich dominierten<br />
Branchen, wie Finanzen, Automobil<br />
oder auch Versicherungen, dürften es<br />
Frauen auch heute noch deutlich schwieriger<br />
haben als in der Medienbranche.<br />
Gerade das Fernsehen, aber auch die<br />
anderen Medienbereiche sind offener<br />
und Frauen haben es entsprechend leichter.<br />
Allerdings denke ich, dass es ganz<br />
wesentlich von der Person abhängt, die<br />
den Weg nach oben gehen will. Wenn ich<br />
ein Ziel habe, muss ich Gas geben und das<br />
ist vollkommen geschlechtsunabhängig.<br />
Wie erleben Sie die Situation in Ihrem<br />
Unternehmen?<br />
Wir haben schon recht viele Frauen in<br />
Führungspositionen, die meisten davon<br />
im Mittelbau. Das sind meist fachliche<br />
Führungskräfte, deren Team einen Job<br />
macht, den sie mindestens so gut können,<br />
im Idealfall sogar einen Hauch besser.<br />
Tendenziell bevorzugen Frauen diese<br />
fachlichen Führungsrollen gegenüber der<br />
Rolle des Geschäftsführers. Hier müsste<br />
man bereit sein, beispielsweise ein Team<br />
von Controllern zu führen, ohne dass<br />
man deren Materie im Detail kennt. Viele<br />
Frauen scheuen diese Führung qua Position<br />
– und das ist vollkommen Ordnung.<br />
Trotzdem denke ich, dass sich noch mehr<br />
Frauen etwas zutrauen sollten, auch im<br />
Hinblick auf die Geschäftsführerebene.<br />
Ich bin mir nicht sicher, inwieweit man<br />
auch die Männer da in die Pflicht nehmen<br />
sollte. Eins ist klar: Ich muss mich bemerkbar<br />
machen, wenn ich mitspielen möchte.<br />
Welche Ursachen gibt es Ihrer Ansicht<br />
nach noch dafür, dass weniger Frauen<br />
an der Spitze sind als Männer?<br />
Das hat ganz verschiedene Ursachen.<br />
Viele davon liegen in der Politik, die die<br />
Rahmenbedingungen schaffen müsste<br />
– Kitaplätze machen die Vereinbarkeit<br />
von Familie und Beruf sehr viel einfacher<br />
– in der Bezahlung, dann aber wiederum<br />
auch im Festhalten an bekannten Strukturen.<br />
Generell kann man sagen, dass<br />
das eigene Ego, das Durchsetzungs- und<br />
Durchhaltevermögen und die Motivation,<br />
die man in ein Ziel steckt, entscheidend<br />
sind. Es gibt so typisch weibliche Tugenden,<br />
die etwas hinderlich für den Aufstieg<br />
sind: Zu viele Frauen sind harmoniebedürftig,<br />
exzessive Teamplayer und wollen<br />
es allen recht machen. Das sind prinzipiell<br />
schöne Eigenschaften, aber wenn man<br />
bestimmte Ebenen erreichen will, darf<br />
man das nicht mehr so sanftmütig angehen.<br />
Ein expliziter Wille zur Durchsetzung<br />
ist da in jedem Fall unerlässlich.<br />
Bedarf es gewisser Charaktereigenschaften,<br />
um in die eine oder andere<br />
Führungsetage aufzusteigen?<br />
Das denke ich schon. Ein gewisses Maß<br />
an Machtbewusstsein oder Machtstreben<br />
muss man haben. Wenn man in ein<br />
Unternehmen kommt und das Gefühl<br />
hat, es geht nicht schnell genug und man<br />
hat Ideen, die man lieber sofort umsetzen<br />
würde als erst noch politische Schleifen<br />
zu drehen, dann ist auch klar, dass man<br />
eine bestimmte Position erreichen muss,<br />
um dies tun zu können. So war es jedenfalls<br />
bei mir. Und ich denke, die zentrale<br />
Eigenschaft ist, dass ich nicht gedacht<br />
habe ‚ach schade‘, sondern mir einen<br />
Weg überlegt habe, wie ich in die entsprechende<br />
Entscheiderposition komme. Aber<br />
Hierarchie um der Hierarchie Willen kann<br />
es auch nicht sein. Jeder sollte inhaltlich<br />
das machen, was ihm entspricht.<br />
Gibt es Regeln für Aufstieg und<br />
Erfolg?<br />
Das Mantra ist „Tu Gutes und rede darüber“.<br />
Nur durch gute Arbeit ohne gutes<br />
Selbstmarketing kommt man kein Stück<br />
weiter. Das ist meines Erachtens auch<br />
etwas, das Frauen noch viel mehr verinnerlichen<br />
müssen. Klassischerweise sind<br />
es eher die Männer, die herausposaunen,<br />
was sie alles Tolles machen und die<br />
Frauen, die vielleicht sogar mehr oder<br />
zumindest gleich viel machen, hoffen,<br />
dass einer sieht, was sie alles leisten. Nur<br />
so rum funktioniert es leider nicht. Man<br />
muss natürlich gute Arbeit leisten, das ist<br />
klar, aber dies auch sichtbar zu machen<br />
ist wichtig.<br />
Daneben gehören noch Gestaltungswille<br />
und die Fähigkeit, Chancen zu ergreifen<br />
dazu. Wenn man im Sinne des Unternehmens<br />
denkt und Dinge entwickelt<br />
und vorschlägt, die das Unternehmen<br />
Ohne gutes<br />
Selbstmarketing<br />
kommt man kein<br />
Stück weiter<br />
weiterbringen, oder auch Projekte aufgreift,<br />
die sonst keiner will, weil sie vielleicht<br />
arbeitsintensiv oder anspruchsvoll<br />
sind, macht man sich einen Namen und<br />
bekommt dadurch mehr Chancen. Es ist<br />
ganz wichtig aktiv zu- und anzupacken.<br />
Für den eigenen Werdegang würde ich<br />
auch noch den Perspektivwechsel nennen<br />
– und zwar in zweierlei Hinsicht: Steigt<br />
man innerhalb eines Unternehmens auf,<br />
bekommen das zwangsläufig nicht alle<br />
mit. Wenn man also zum Beispiel bisher<br />
dafür zuständig war, die Kekse für die<br />
Konferenzen zu bestellen, jetzt aber Projektleiter<br />
ist, kann es trotzdem gut sein,<br />
dass man immer noch gebeten wird,<br />
Kekse zu bestellen. Zum einen muss<br />
man sich selbst über<br />
seinen<br />
Aufstieg<br />
bewusst sein und<br />
sich<br />
behaupten.<br />
entsprechend<br />
Zum<br />
anderen hilft auch<br />
der Blick von außen.<br />
Wenn ich auf der<br />
Karriereleiter<br />
einen<br />
großen Schritt nach<br />
oben machen will,<br />
ist es ratsam, das<br />
(auch mal) in einem<br />
anderen Unternehmen<br />
zu tun. Zum<br />
einen, weil man dort<br />
direkt auf der neuen<br />
Ebene anfangen kann, und zum anderen<br />
sieht man sich dadurch auch selbst<br />
durch eine andere Brille. In der Regel<br />
leisten die meisten Menschen mehr als<br />
ihnen bewusst ist, und bei einem neuen<br />
Arbeitgeber bekommt man dann gespiegelt,<br />
dass das, was man selbst als 0815<br />
ansieht, weit mehr ist. Das stärkt immens<br />
das Selbstbewusstsein.<br />
Internetpräsenz von IP Deutschland<br />
23
ZUKUNFT GEIST<br />
KARRIERE IN DEN MEDIEN<br />
24<br />
© MGRTL / Stefan Menne<br />
Wie haben Sie diesen Weg bei sich<br />
selbst erlebt?<br />
Ich habe tatsächlich lange nicht gewusst,<br />
wo ich genau hin wollte. Ich habe immer<br />
viel gejobbt und mein Studium auch eher<br />
als Mittel zum Zweck angesehen. Aus<br />
meinem Jahrgang war ich die einzige, die<br />
nicht gesagt hat, dass sie in die Medien<br />
will und bin, glaube ich, letztlich die einzige,<br />
die dann doch dort gelandet ist. Eher<br />
zufällig habe ich kurz vor Studienende<br />
einen Job bei VOX bekommen. Als ich<br />
fertig war, wurde eine Stelle als Referentin<br />
in der Pressestelle frei, auf die ich mich<br />
erfolgreich beworben habe. Ich hatte dort<br />
sehr viel gestalterischen Spielraum und<br />
die Möglichkeit, Sachen auszuprobieren.<br />
In der Medienbranche trifft „selbst denken“<br />
immer auf offene Ohren. Das habe<br />
ich von Anfang an sehr geschätzt – und<br />
genutzt.<br />
Nachdem ich also beim Fernsehen gelandet<br />
war, habe ich schnell den Ehrgeiz<br />
entwickelt, nicht nur Redakteurin bzw.<br />
Referentin zu sein, sondern weiter nach<br />
oben zu kommen. Ich habe neue Wege<br />
vorgeschlagen, an der Verbesserung der<br />
Kommunikation mitgearbeitet. Ich wollte<br />
am Großen und Ganzen mitgestalten<br />
und eigenverantwortlich neue Strategien<br />
entwickeln. Daher bin ich nach einiger<br />
Eingangsfoyer der Mediengruppe RTL Deutschland in Köln<br />
Zeit nach München zu ProSiebenSat1<br />
gewechselt und habe nach etwas mehr<br />
als einem Jahr die stellvertretende Leitung<br />
der Unternehmenskommunikation übernommen.<br />
Vor 11 Jahren rief mich dann<br />
ein Headhunter mit einem sympathischen<br />
kölschen Singsang an und bot mir die Leitung<br />
der Pressestelle von IP Deutschland<br />
in Köln an.<br />
sicht tatsächlich schon prädestiniert. Ein<br />
Lkw-Fahrer kann seine Arbeit nicht von<br />
zu Hause aus erledigen, wenn das Kind<br />
mal krank ist, ein Pressesprecher kann das<br />
durchaus. Allerdings ist hier die Emanzipation<br />
der Männer gefordert, es auch zu<br />
tun und nicht automatisch von ihrer Frau<br />
zu erwarten, dass sie einspringt. Wenn<br />
jeder Mann, dem es theoretisch möglich<br />
wäre, von zu Hause aus zu arbeiten, das<br />
auch täte, wenn das Kind krank ist, wären<br />
Sie haben selbst zwei Kinder und<br />
scheinen die Vereinbarkeit von Beruf<br />
wir schon ein ganzes Stück weiter. Aber<br />
andererseits gehört auch dazu, dass der<br />
und Familie nicht als Problem wahrzunehmen.<br />
nächsten Mädchengeneration stärker<br />
Wie managen Sie das?<br />
Wenn man für sich entscheidet, dass es<br />
nicht ‚entweder oder’ sein muss, ist das<br />
(fast) ganz einfach. Mich ärgert immer,<br />
dass viele Frauen sich einreden lassen, sie<br />
müssten sich entscheiden. Bei Männern<br />
geht man ja auch davon aus, dass sie beides<br />
haben können. Ich habe sowohl Kinder<br />
als auch Karriere und finde, es klappt<br />
herausragend gut. Man kann doch erst<br />
mal mit seinem Wunschszenario antreten<br />
und schauen, wie weit man kommt,<br />
anstatt sich von vornherein das eine oder<br />
andere zu versagen. Wenn man einen<br />
Partner hat, der auf Augenhöhe ist, können<br />
beide beides haben!<br />
Die Medienbranche ist in dieser Hin-<br />
beigebracht wird, ihre Wünsche zu formulieren.<br />
Ich hoffe sehr, dass die Generation<br />
meiner Tochter ein anderes Selbstverständnis<br />
haben wird und dass mehr<br />
Frauen den Mut haben, ihre Ziele höher<br />
zu stecken.<br />
Im Ausland sind sie schon weiter: Beispielsweise<br />
in Frankreich ist es normal für<br />
Frauen in Führungspositionen mehrere<br />
Kinder zu haben. Da ticken die Unternehmen<br />
anders, sodass Frauen genau wie<br />
Männer Ansprüche anmelden können.<br />
In der Medienbranche gibt es glücklicherweise<br />
Vorbilder, denen man nacheifern<br />
kann. Die Frauen, die in den Männerdomänen<br />
erfolgreich sind, haben so<br />
außergewöhnliche Lebensläufe, dass sie<br />
sich dafür nicht gut eignen.<br />
Wie beschreiben Sie Ihren Arbeitsalltag?<br />
Den klassischen Arbeitstag gibt es zum<br />
Glück nicht, Routine sind tatsächlich nur<br />
20-30 Prozent. Ich gucke morgens was<br />
ansteht und regiere dann darauf. Einen<br />
guten Pressesprecher können<br />
Sie nachts um 3 Uhr wecken,<br />
und sie werden immer ein paar<br />
brauchbare Sätze bekommen.<br />
Wenn die Anfragen von Journalisten<br />
aber komplex sind,<br />
muss ich wissen, wen ich in<br />
der jeweiligen Fachabteilung<br />
ansprechen kann. Dieses vernetzte<br />
Denken und das sich<br />
tagtäglich auf viele verschiedene<br />
Menschen einlassen,<br />
macht mehr als die Hälfte meines<br />
Jobs aus. Wenn man einige<br />
Zeit bei einem Unternehmen ist, stößt<br />
man beim Recherchieren immer wieder<br />
auf etwas Bekanntes. Dann weiß man,<br />
dass man ein vollständiges Bild hat. Man<br />
kann sich das wie ein großes Fadenkreuz<br />
vorstellen: Wenn es eine Anfrage gibt,<br />
stülpe ich dieses Fadenkreuz nach außen<br />
und gucke, was wo andockt. Und natürlich<br />
muss man immer aufmerksam sein<br />
für neue Entwicklungen und wo man sein<br />
Wissen erweitern kann. Dafür entwickelt<br />
man über die Jahre ein Gefühl.<br />
Ein weiterer wichtiger Bereich sind neue<br />
© Arya Shirazi | Mediengruppe RTL<br />
Themen, ob Vermarktungsmodelle, Technologien<br />
oder Veränderungen im Portfolio.<br />
Zur Vorbereitung der Kommunikation<br />
nach außen bereiten wir alle Themen mitsamt<br />
den möglicherweise kritischen Fragen<br />
vor. Wer von uns oder dem Management<br />
mit der Presse spricht, ist so auf alle<br />
Eventualitäten vorbereitet und bekommt<br />
keine Schnappatmung, wenn kritische<br />
Fragen gestellt werden. Wir wissen, was<br />
für Journalisten relevant und spannend<br />
Frauen sollten sich<br />
mehr zutrauen und ihre<br />
Ziele höher stecken<br />
ist, aber auch was unsere Kommunikationsziele<br />
transportiert und wie man Themen<br />
vorbereiten muss, damit fair berichtet<br />
wird.<br />
Wie würden Sie ihr Arbeitsumfeld<br />
charakterisieren? Ist die Medienbranche<br />
ein guter Anlaufpunkt für <strong>Geist</strong>eswissenschaftlerinnen<br />
und <strong>Geist</strong>eswissenschaftler?<br />
Als <strong>Geist</strong>eswissenschaftler hat man keine<br />
klassische Berufsausbildung, bringt aber<br />
eine gute inhaltliche Bandbreite mit und<br />
kann sich auch in abgefahrene Themen<br />
reindenken. Das passt gut in die Medienbranche.<br />
Das Wichtigste ist, neugierig<br />
zu sein und gerne zu kommunizieren –<br />
häufig auch mit Menschen, die man noch<br />
nie gesehen hat, man sollte also smalltalktauglich<br />
sein, um das Eis zu brechen.<br />
Das gilt zum einen hausintern, aber auch<br />
in Bezug auf die Journalisten. Ein Journalist,<br />
mit dem ich auf einer Veranstaltung<br />
mal ein semipersönliches<br />
Gespräch geführt habe,<br />
geht hinterher ganz anders<br />
mit den Themen um.<br />
Daneben sollte man natürlich<br />
die Branche mögen. Im<br />
Prinzip funktionieren die<br />
Pressestellen großer Unternehmen<br />
ähnlich, dennoch<br />
tickt jede Branche anders.<br />
Das bringe ich am besten<br />
durch Praktika oder durch<br />
Gespräche auf Jobmessen<br />
in Erfahrung. Im Gespräch<br />
kann man schon mal seine Eignung für<br />
„Kaltakquise“ testen und man wird<br />
schnell feststellen, ob die Branche für<br />
einen passt. Jemand, der gerne in die<br />
Pressestelle eines Museums möchte, wird<br />
nach zehn Sätzen mit einem von uns feststellen,<br />
dass das nichts für ihn ist.<br />
Sehr viele unserer Redakteure, ob in den<br />
Senderredaktionen oder Pressestellen,<br />
sind <strong>Geist</strong>eswissenschaftler. Absolventen<br />
dieser Fächer bringen prinzipiell viel für<br />
den Pressesprecherjob mit, dabei spielt<br />
das Fach gar keine so große Rolle. Wenn<br />
jemand studiert hat, gehe ich davon aus,<br />
dass er sich organisieren und komplexe<br />
Dinge so präsentieren kann, dass sie jeder<br />
versteht. In der Medienbranche findet<br />
man sehr unterschiedliche Werdegänge,<br />
häufig sind es gerade die ungewöhnlichen<br />
oder besonderen Kompetenzen, die<br />
in die Medien führen. Auch unsere Personaler<br />
suchen nach Leuten, die aus der<br />
Masse herausstechen. Und da bieten die<br />
<strong>Geist</strong>eswissenschaftler viel Potenzial. Die<br />
Sorge als <strong>Geist</strong>eswissenschaftler nicht auf<br />
einen konkreten Job hin ausgebildet zu<br />
sein, sollte man positiv sehen. Wir haben<br />
bewiesen, dass wir intelligent und strukturiert<br />
sind, man kann uns beinahe jeden<br />
Inhalt geben und wir machen daraus<br />
etwas Sinnhaftes, etwas Kommunizierbares.<br />
Das können nicht viele von sich<br />
behaupten.<br />
25
ZUKUNFT GEIST<br />
VON IT BIS JAZZ – DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />
26<br />
EINMAL<br />
POLARKREIS<br />
UND ZURÜCK<br />
ANNA SCHNEPPENHEIM ENTDECKTE FRÜH IHRE LEIDENSCHAFT FÜR SKANDINAVIEN. NACH<br />
IHREM STUDIUM DER SKANDINAVISTIK IN KÖLN GELANG IHR DER BERUFSEINSTIEG IN DIE<br />
TOURISMUSBRANCHE. FÜR ZUKUNFT GEIST ERZÄHLT SIE VON IHREM SPANNENDEN UND<br />
VIELSEITIGEN ARBEITSALLTAG ZWISCHEN SCHWEDISCH-LAPPLAND UND KÖLN.<br />
TEXT: SARAH JÜLICH<br />
M<br />
inus 30°C, Polarlichter,<br />
Rentiere und<br />
Hundeschlittenfahrten,<br />
so könnte<br />
man einen Teil des<br />
Arbeitsalltages von<br />
Anna Schneppenheim beschreiben. Jeden<br />
Winter verbringt sie einige Wochenenden<br />
in einem kleinen Örtchen namens Jokkmokk<br />
im Schwedischen Lappland direkt<br />
am Polarkreis. Dort besucht sie zusammen<br />
mit den Wochenendgästen ein Hotel aus<br />
Schnee und Eis, dass jedes Jahr aufs Neue<br />
gebaut und von verschiedenen internationalen<br />
Künstlern gestaltet wird, leitet<br />
Schneeschuh-Wanderungen durch die<br />
unberührte Natur oder erkundet die verschneite<br />
Landschaft mit dem Hundeschlitten.<br />
Auch der Besuch einer samischen<br />
Familie und ihrer Rentierfarm gehören<br />
zum festen Programm der Wochenendreisen.<br />
Die Samen sind ein eher unbekanntes<br />
Ursprungsvolk im Norden Fennoskandinaviens,<br />
erklärt die sympathische<br />
Kölnerin. Während der Reise lässt sie für<br />
ihre Gäste die samische Kultur ein Stück<br />
weit lebendig werden. Bei der Vermittlung<br />
von Wissen über die bereisten Länder,<br />
Kulturen und Traditionen ist es ihr<br />
wichtig, die Informationen didaktisch<br />
wertvoll aufzubereiten und unterhaltsam<br />
zu vermitteln. Sie setzt dabei auf Anekdoten,<br />
schöne Geschichten, Anschauungsmaterial,<br />
Musik oder auch Geschmacksproben.<br />
Die Gäste erhalten beispielsweise<br />
die Gelegenheit, schwedische Pfefferkuchen<br />
oder getrocknetes Rentierfleisch zu<br />
probieren oder den Klängen traditionell<br />
samischer Musik, den Joiks, zu lauschen.<br />
Der Reiseleiterin ist es wichtig, dass alle<br />
Sinne angesprochen werden und dass<br />
der Urlaub für ihre Gäste zu einem tollen<br />
Erlebnis wird. Damit dies gelingt hat sie<br />
nicht nur ein offenes Ohr für die Gäste<br />
und bringt ihnen die skandinavische Kultur<br />
nahe, sondern sorgt nebenher auch<br />
dafür, „dass einfach alles rund läuft“.<br />
Wenn Anna Schneppenheim nicht<br />
zusammen mit ihren Gästen in Jokkmokk<br />
ist oder gerade andere Teile Skandinaviens<br />
erkundet, arbeitet sie im Büro in der<br />
Nähe von Köln und organisiert das operative<br />
Geschäft. Der Tagesablauf richtet<br />
sich nach dem, was gerade ansteht. Typische<br />
Aufgaben sind dabei die Konzeption<br />
von Reisen samt Preisverhandlungen mit<br />
Hotelpartnern und Beförderern, das Formulieren<br />
von Textbausteinen für Kataloge<br />
und Internetseiten von Geschäftskunden<br />
sowie der direkte Kundenkontakt mit<br />
Privatkunden. Besonders bei der Konzeption<br />
von Reisen und der Betreuung<br />
neuer Reiseleiter kann die Skandinavien-Expertin<br />
von ihrer praktischen Tätigkeit<br />
als Reiseleiterin während der Saison<br />
profitieren. Bei der Planung von Reisen<br />
sind nicht nur die Flugverbindungen und<br />
Übernachtungsmöglichkeiten zu berücksichtigen,<br />
sondern auch die Lenkzeiten<br />
der Busfahrer sowie die lokalen Gegebenheiten.<br />
In Norwegen beispielsweise sind<br />
die Straßenverhältnisse oft so schwierig,<br />
dass man nur ca. 60km in einer Stunde<br />
zurücklegen kann. In Lappland kommt<br />
es immer mal wieder vor, dass plötzlich<br />
eine Herde Rentiere die Straße blockiert<br />
und die Reisenden warten müssen, bis die<br />
Straße wieder frei ist. All dieses Wissen<br />
bringt die junge Kölnerin aufgrund ihrer<br />
Praxiserfahrung mit. Weiterhin kommen<br />
27
ZUKUNFT GEIST<br />
VON IT BIS JAZZ – DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />
sich selbst erarbeiten. Dabei sei es natürlich<br />
wichtig, auf fundierte und seriöse<br />
Informationen zurückzugreifen, sodass<br />
sich in der Vorbereitung für den Einsatz<br />
als Reiseleiterin immer wieder Strukturen<br />
des wissenschaftlichen Arbeitens finden.<br />
28<br />
ihr die Sprachkenntnisse aus dem Skandinavistikstudium,<br />
die während der Einsätze<br />
als Reiseleitung immer weiter ausgebaut<br />
und perfektioniert werden, zugute. So<br />
kann sie mit den Kooperationspartnern<br />
Absprachen auf Schwedisch treffen oder<br />
Informationen für die Reiseleitung, die<br />
oft nur auf Schwedisch verfügbar sind,<br />
ausführlich recherchieren. Zum Tagesgeschäft<br />
gehört natürlich auch die Vermarktung<br />
der Reisen. So bloggt sie zum<br />
Beispiel über ihre Erlebnisse in Skandinavien<br />
auf www.andersweg.reisen, stellt die<br />
zahlreichen Reisen auf dem Nordischen<br />
Weihnachtsmarkt in Leverkusen vor oder<br />
hält die Kunden via Social Media auf dem<br />
Laufenden.<br />
Auf die Frage, was ihr an ihrem Job am<br />
besten gefällt, hebt sie als erstes die<br />
Vielseitigkeit hervor. Sie findet es toll,<br />
dass sie sehr praxisbezogen arbeitet und<br />
dabei sowohl auf ihre Sprachkenntnisse<br />
als auch auf fachliche Kenntnisse, die sie<br />
während des Studiums erworben hat,<br />
zurückgreifen kann. Durch Ihre Sprachkenntnisse<br />
hat sie auf Reisen so manchen<br />
Vorteil: Mit den schwedischen Busfahrern<br />
und Leistungsträgern fällt es ihr sehr<br />
leicht, ein Team zu bilden und durch den<br />
unmittelbaren Kontakt zu den Einheimischen<br />
konnte sie schon manche tolle<br />
Insider-Story erfahren, die sie dann an<br />
ihre Gäste weitergeben konnte. Weiterhin<br />
schätzt sie, dass sie für beide Bereiche<br />
ihres Jobs fest angestellt ist, was gerade<br />
im Bereich der Reiseleitung eher selten sei.<br />
Durch ihre Doppelrolle im Büro und bei<br />
der Reiseleitung kann sie in beiden Bereichen<br />
von Erfahrungen und Kenntnissen<br />
des jeweils anderen Bereichs profitieren,<br />
was zu einer sowohl sehr gut geplanten<br />
als auch gelungen durchgeführten Reise<br />
führt. Außerdem freut sie sich, so oft in<br />
Skandinavien zu sein und den Reisenden<br />
die skandinavische Kultur nahebringen zu<br />
können. Dabei gefällt ihr besonders, dass<br />
der Fokus nicht wie in der Uni allein auf<br />
Theorien und Modellen, sondern unmittelbar<br />
auf den Inhalten liegt, die wiederum<br />
auch zu ihrem persönlichen Interessensgebiet<br />
gehören.<br />
Es ist bereits angeklungen, dass die junge<br />
Kölnerin in ihrem Beruf insbesondere von<br />
den Sprachkenntnissen, die sie während<br />
des Studiums an der Universität zu Köln<br />
erworben hat, profitiert. Aber, so erklärt<br />
sie, auch die Fähigkeit, selbstständig und<br />
organisiert zu arbeiten und sich Informationen<br />
zu beschaffen, seien für ihren Job<br />
sehr wichtig. Denn alles, was sie den Gästen<br />
während der Reise erzählt, muss sie<br />
Als weitere gewinnbringende Fähigkeit,<br />
die sie im Rahmen des Studiums erworben<br />
hat, empfindet sie das zielgerichtete<br />
Denken und die Fähigkeit, bei einer<br />
großen Datenmenge den Fokus auf die<br />
wichtigen Dinge zu legen. Dies ist für die<br />
Skandinavien-Expertin besonders wichtig,<br />
da sie eine sinnvolle Balance aus Wissensvermittlung<br />
und Unterhaltung schaffen<br />
muss, damit die Reisenden auch etwas<br />
aus dem Urlaub mitnehmen. Am bedeutsamsten<br />
für ihren bisherigen beruflichen<br />
Werdegang war für sie jedoch ihr Auslandssemester<br />
in Schweden. Hier konnte<br />
sie zum einen ihre Sprachkenntnisse vertiefen<br />
und sich zum anderen der Herausforderung<br />
stellen, allein in einem fremden<br />
Land zurechtzukommen. Das schafft in<br />
jedem Fall Selbstvertrauen. Zusätzlich<br />
habe sie während ihrer Zeit in Uppsala<br />
angefangen, sich wirklich für eine Destination<br />
zu interessieren: Sie besuchte<br />
Museen, schaute sich Sehenswürdigkeiten<br />
an und erkundete die Stadt und das<br />
Land. Nachdem die Begeisterung nicht<br />
nur für Schweden sondern auch für die<br />
Tourismusbranche geweckt war, zögerte<br />
die damalige Studentin nicht lange, als<br />
das Institut für Skandinavistik und Fennistik<br />
der Universität zu Köln eine Stellenausschreibung<br />
als Reiseleitung bei ihrem<br />
heutigen Arbeitgeber veröffentlichte.<br />
Sie bewarb sich erfolgreich auf den Job.<br />
Damit war der Grundstein für ihren weiteren<br />
beruflichen Werdegang gelegt, wie<br />
sich später zeigen sollte.<br />
Anna Schneppenheim studierte<br />
Skandinavistik, Germanistik und<br />
Philosophie an der Universität zu<br />
Köln. Sie verbrachte ein Semester<br />
in Uppsala (Schweden), wo sie ihr<br />
Interesse für die Region entdeckte<br />
und vertiefte. Als Reisebegleitung<br />
auf einer Reise zum Nordkap sowie<br />
durch ihre Tätigkeit als Stadtführerin<br />
in Köln sammelte sie erste Erfahrungen<br />
im touristischen Bereich, die<br />
sie nach ihrem Abschluss während<br />
eines dreimonatigen Praktikums in<br />
der Touristikbranche weiter vertiefte.<br />
Anschließend bekam sie einen Job<br />
als Reiseleiterin für Skandinaven bei<br />
der Zonista GmbH, woraus sich eine<br />
Festanstellung ergab. Seit Juni 2014<br />
arbeitet die junge Kölnerin dort während<br />
der Sommer-/Wintersaison als<br />
Reiseleiterin in Skandinavien und<br />
zwischen den Saisons im Büro in der<br />
Nähe von Köln, wo sie unter anderem<br />
damit beauftragt ist, Reisen zu<br />
planen und organisieren.<br />
29<br />
Auf die abschließende Frage, was die<br />
junge Kölnerin den Studienanfängern und<br />
Berufseinsteigern aufgrund ihrer eigenen<br />
Erfahrung raten kann, antwortet sie kurz<br />
und prägnant, dass es wichtig sei, etwas<br />
zu machen, das einen wirklich interessiert<br />
und auch Spaß macht, denn dann ist man<br />
automatisch gut darin. Und wenn man<br />
gut ist, zieht dies mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
auch berufliche Erfolge nach sich.<br />
Alle Bilder © Anna Schneppenheim
© irfanahmad1989 | pixabay.com<br />
ZUKUNFT GEIST<br />
VON IT BIS JAZZ – DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />
30<br />
© WDR/Brill<br />
Crossmediales<br />
Know-how als<br />
Erfolgsrezept<br />
Berufserfahrung gesammelt. Woher<br />
kam die Motivation?<br />
Heute mag das aussehen wie ein großer<br />
Plan. Aber das war es nicht, es war Zufall.<br />
Ich wusste vor allem, was ich nicht werden<br />
wollte – aber nicht so sehr, was mein<br />
Ziel war. Zunächst einmal war ich Student<br />
und brauchte Geld. Ich wohnte im Studentenwohnheim<br />
und hatte eine Freundin,<br />
die beim WDR-Videotext arbeitete.<br />
Sie erzählte von einem neuen Bereich:<br />
dem „Online Service Center“, wie die<br />
Onlineredaktion damals hieß. Da startete<br />
ich als studentische Aushilfe, mein erster<br />
Kontakt mit dem WDR.<br />
Der Einstieg in eine Medienkarriere…<br />
Ja, ich habe im Studium erkannt, dass man<br />
sich seine Berufserfahrung parallel aneignen<br />
muss, mit Praktika hier und da, denn<br />
niemand in den Medien würde gezielt<br />
Anglisten oder Germanisten suchen. Für<br />
den Beruf habe ich an der Universität vor<br />
allem eine Methode erlernt. Aber über<br />
den Studentenjob bin ich beim WDR reingekommen<br />
und bis heute da geblieben.<br />
Im Nachhinein ergibt es natürlich alles<br />
Sinn, was ich da gemacht habe.<br />
des Studiums.<br />
Wie ließen sich Studium und journalistischer<br />
Job vereinbaren?<br />
Das ist, glaube ich, Fluch und Segen, weil<br />
man natürlich auf der einen Seite Geld<br />
verdient, sich aber auch disziplinieren und<br />
zur Uni gehen muss. Ich war am Ende des<br />
Studiums schon relativ gut im Geschäft,<br />
und habe viel gearbeitet. Mit meinem ersten<br />
Auslandseinsatz bei der Fußball-EM<br />
2004 in Portugal gab es auch so etwas<br />
wie einen Aha-Effekt für mich. Parallel<br />
dazu meinen Abschluss zu machen, sich<br />
mit Professoren rumzustreiten, das war<br />
nicht so einfach. Das war auch ein Akt<br />
der Selbstüberwindung – und ich glaube,<br />
darum geht es im Studium ja auch: Dass<br />
man sich und seine Grenzen kennenlernt<br />
und weiß, wie man tickt. Man sollte aus<br />
meiner Sicht am Ende das Studium auch<br />
nicht aufgeben. Ich glaube, ohne den<br />
amerika schreibst – es geht doch darum,<br />
sich ein Thema zu suchen, zu erfassen,<br />
und Aspekte herauszugreifen, die für die<br />
Fragestellung relevant sind. Das macht<br />
man als Journalist auch. Insofern ist dieses<br />
Studium der <strong>Geist</strong>eswissenschaften eine<br />
gute Vorbereitung. Und das merke ich<br />
auch in meiner Arbeit. Ich mache nichts<br />
mehr über Semantik oder politische Systeme,<br />
aber die Methode ist vergleichbar<br />
und das nützt mir auch.<br />
Sie haben sich als Social-Media-Redakteur<br />
beim WDR profiliert. Wie lief<br />
Ihr Weg?<br />
Wichtig war, dass ich mich mit einem Einsatz<br />
bei der Fußball-EM in Portugal profiliert<br />
hatte. Da hatte ich eine Reise auf gut<br />
Glück gebucht und dann den Leuten beim<br />
Sender gesagt, dass ich sowieso dort sei<br />
und für sie arbeiten könne. Sie nahmen<br />
an, ich bekam eine Akkreditierung und<br />
31<br />
DURCH ZUFALL GELANG OLIVER HINZ NOCH WÄHREND DES STUDIUMS DER EINSTIEG IN DIE MEDIEN.<br />
MIT ENGAGEMENT UND BISS FASSTE ER DORT FUß UND PROFILIERTE SICH ERFOLGREICH ALS SOCIAL<br />
MEDIA EXPERTE. SCHLIEßLICH GRÜNDETE ER SOGAR SEINE EIGENE FIRMA. DOCH ER MUSSTE AUCH<br />
FESTSTELLEN, DASS MAN FÜR DEN ERFOLG EINEN GEWISSEN PREIS BEZAHLT.<br />
INTERVIEW: MYRIEL DESGRANGES, LINDA IGNACZ, LAILA KEUTHAGE<br />
Was haben Sie in den Nebenjobs konkret<br />
gelernt?<br />
Vor allem die redaktionellen Abläufe. Ich<br />
kann jedem empfehlen, das zu probieren.<br />
Je nachdem, wie man sich einbringt und<br />
wie die Redaktion drauf ist, kriegt man<br />
auch anderes zu tun als nur Kaffeekochen<br />
und Kopieren.<br />
DAS GESPRÄCH IST ERGEBNIS EINES INTERVIEW-WORKSHOPS DES JOURNALISTEN UND TRAINERS<br />
TIM FARIN IM SCHREIBART-PROGRAMM DER UNIVERSITÄT ZU KÖLN.<br />
S<br />
ie haben in Köln Politikwissenschaft,<br />
Geschichte Angefangen habe ich mit Malaiologie im<br />
Norddeutschland, wo ich herkomme.<br />
und Anglistik studiert. Nebenfach, das aber bald gewechselt zu<br />
Haben Sie das Studium<br />
mit der konkreten Hauptfach, aber es gab noch nicht das<br />
Anglistik. Von Beginn an war Politik mein<br />
Absicht begonnen, Journalist<br />
zu werden?<br />
Ziel, Journalist zu werden.<br />
Nein, überhaupt nicht. Zunächst habe<br />
ich auch was ganz anderes studiert, erst Sondern?<br />
in Hamburg und danach hier in Köln. Da Ich wusste damals gar nicht genau, in<br />
wollte ich einfach was anderes sehen als welchen Beruf ich wollte. Politik habe<br />
ich auch nicht studiert, weil ich mich<br />
dafür übermäßig als Berufsziel interessiert<br />
hätte, sondern weil es mir Spaß gemacht<br />
hat, Geschichte ebenfalls, und in Anglistik<br />
hatte ich irgendwann einen Professor,<br />
der Seminare mit englischen Filmen und<br />
ihrer Analyse gemacht hat. Das fand ich<br />
zugänglich. Das berufliche Ziel entwickelte<br />
sich nebenher.<br />
Sie haben während des Studiums viel<br />
Was haben Sie konkret gemacht?<br />
Beim WDR-Onlineteam fing ich mit dem<br />
Thema Bildrecherche an, daneben entwarf<br />
ich kurze Teasertexte, Fotounterschriften,<br />
Bildergalerien und Fotostrecken.<br />
Da habe ich wahrscheinlich einen guten<br />
Eindruck hinterlassen. Außerdem habe<br />
ich überzeugt, weil die meisten Mitarbeiter<br />
eher text- und bildbasiert arbeiteten,<br />
ich aber auch Video- und Audioschnitt<br />
machen konnte. Ich schnitt etwa Ton aus<br />
dem WDR-Programm für die Internetseite.<br />
Nach einem guten Jahr habe ich<br />
dann angefangen, als Autor journalistisch<br />
zu arbeiten. Das war alles noch während<br />
Abschluss wäre ich jetzt auch beruflich<br />
nicht da, wo ich bin. Ein abgeschlossenes<br />
Hochschulstudium ist oft Einstiegsvoraussetzung.<br />
Was hat Ihnen denn das Studium für<br />
den Job gebracht?<br />
Die Art, wie man hier arbeitet, sich Wissen<br />
erschließt und aufarbeitet, egal ob<br />
du über Kamel-Nomaden im Sudan oder<br />
Brandrodungswanderfeldbau in Latein-<br />
Social-Media-Dashboard<br />
durfte aus allen Stadien von vielen Spielen<br />
berichten. Das war eine große Sache für<br />
mich. Nach so einem Event ist man erst<br />
mal gefragt, weil man eben dort war.<br />
So hat dann meine Karriere angefangen<br />
und ich bin Redakteur geworden. Ich war<br />
lange beim Hörfunk und habe bei 1LIVE<br />
die Social-Media-Aktivitäten und Communities<br />
mitkonzipiert und aufgebaut<br />
und wurde für diese Themen der Experte<br />
– es ging um neues, crossmediales Erzählen<br />
in Social Media.
ZUKUNFT GEIST<br />
VON IT BIS JAZZ – DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />
32<br />
Sie verantworten nun seit einigen<br />
Jahren die Social-Media-Angelegenheiten<br />
der Sportschau. Was ist das für<br />
eine Arbeit?<br />
Die Sportschau kam vor einigen Jahren<br />
auf mich zu, weil sie eine Facebook-Seite<br />
mit vielen Likes, aber ohne Konzept und<br />
Strategie hatte. Die Verantwortlichen<br />
haben mich gefragt, ob ich das ändern<br />
wolle. Da bin ich komplett in dieses Social-Media-Ding<br />
eingestiegen und habe<br />
Strategien entwickelt. Wie verstehen wir<br />
Social Media – als Distributionskanal oder<br />
nur als Selbstvermarktungskanal?<br />
Können wir auch<br />
Inhalte zurückgewinnen<br />
für unsere<br />
journalistische<br />
Arbeit? Und die<br />
wichtige Komponente:<br />
Wie sieht<br />
Social Media im<br />
Fernsehen<br />
aus?<br />
Kommt dann der<br />
Twitter-Kollege<br />
ins Bild und liest Tweets vor oder gibt es<br />
nicht vielleicht intelligentere Wege? Gibt<br />
es im Fernsehen nicht auch technische<br />
Möglichkeiten, Tweets einzubetten und<br />
wie kann man sie moderativ und inhaltlich<br />
in eine Sendung wie die Sportschau<br />
einbauen? Das war im Prinzip die Arbeit.<br />
Das habe ich festangestellt gemacht bis<br />
Ende letzten Jahres und jetzt bin ich nach<br />
neun Jahren WDR wieder freiberuflich<br />
unterwegs. Ich betreue immer noch die<br />
Social-Media-Aktivitäten der Sportschau,<br />
aber eben jetzt auf Honorarbasis.<br />
Was machen Sie denn heute zusätzlich?<br />
Gemeinsam mit einem Partner habe ich<br />
das Unternehmen socialeyes gegründet.<br />
Ich bin jetzt 39, vielleicht würde ich das<br />
in fünf oder sechs Jahren nicht mehr<br />
machen, denn Firmengründung ist auch<br />
anstrengend – andere machen das mit<br />
Anfang 20. Aber ich glaube, es ist ein<br />
guter Zeitpunkt, weil gerade der Bereich<br />
Social Media in vielen Firmen als „müssen<br />
wir machen, aber wir haben gar keine<br />
Ahnung wie das geht“ gilt. Da komme ich<br />
ins Spiel und kann sagen, wie es gemacht<br />
wird.<br />
Was sagen Sie Unternehmen?<br />
Nicht nur einfach nur posten nach dem<br />
Motto: „Oh wow, wir haben ein tolles<br />
Produkt!“, das reicht eben nicht. Da<br />
hilft mir auch mein journalistischer Background.<br />
Ich habe über Jahre gelernt,<br />
Geschichten zu erzählen, um damit Leser,<br />
Zuhörer oder Zuschauer zu packen. Das<br />
Ziel ist es, einen Rezipienten zu haben,<br />
der einsteigt, den man richtig mitnimmt.<br />
Das hilft auch in anderen Erzählformen<br />
der sozialen Medien, wo man vielleicht<br />
Ich spreche<br />
gerne von<br />
Beruf und Berufung<br />
in Tweets nur 140 Zeichen zur Verfügung<br />
hat – aber man kann auch in 140<br />
Zeichen eine gute Geschichte erzählen.<br />
Neben dieser Beratung im konkreten Fall<br />
biete ich den Firmen jetzt auch Schulungen<br />
an. Diese Projekte geben mir einen<br />
neuen Kick.<br />
Sie unterrichten auch an der TH in<br />
Köln. Was machen Sie da?<br />
In dem Projekt geht es um Social Media<br />
und Sport und die Recherche von Social-Media-Accounts<br />
von Sportlern um<br />
in einem zweiten Schritt Interviews mit<br />
diesen anzuleiern. Prinzipiell arbeite ich<br />
auch in Seminaren anwendungsorientiert.<br />
Da geht es dann darum, junge Leute für<br />
etwas zu begeistern und sie zu animieren,<br />
selbst etwas Neues auszuprobieren. Sie<br />
sollen nicht nur wissen, dass es so etwas<br />
wie „Periscope“ gibt, sondern es selber<br />
auch mal testen.<br />
Fassen wir mal zusammen: Sie sind<br />
Hochschuldozent,<br />
Unternehmensgründer,<br />
freier Journalist und Social-Media-Experte.<br />
Wenn man all das<br />
hört, klingt das schon nach einer<br />
Menge Arbeit. Bleibt da überhaupt<br />
noch Zeit für Sie selbst?<br />
Hier treffen Sie gerade einen wunden<br />
Punkt. Im Moment kommt einiges<br />
zusammen. Die Firma ist neu, das ist sehr<br />
anstrengend. Verstehen Sie mich nicht<br />
falsch, ich bin froh darüber, dass die Firma<br />
gut läuft und wir viele Aufträge annehmen<br />
können. Ich spreche gerne von Beruf<br />
und Berufung. Wenn man in einer Sache<br />
total aufgeht, ist das wirklich super und<br />
dann kommt es einem auch nicht wie<br />
Arbeit vor. Und weil mir meine Arbeit so<br />
gut gefällt, fällt es mir oft schwer, auch<br />
mal ‚Nein‘ zu sagen<br />
und mich auf andere<br />
Dinge zu konzentrieren.<br />
Jedoch sollte man<br />
sich immer überlegen,<br />
was man will und was<br />
man nicht will. Und eins<br />
steht fest, was ich nicht<br />
will, das sind auf Dauer<br />
Arbeitswochen, die auch<br />
am Wochenende nicht<br />
enden.<br />
Apropos, was sagt denn Ihre Frau<br />
dazu?<br />
Sie wünscht sich natürlich, dass ich die<br />
Zeit am Wochenende mit ihr und meinem<br />
Kleinen verbringe. Natürlich gebe ich ihr<br />
da Recht und das kann ich auch nur jedem<br />
raten, denn die Zeit mit der Familie ist viel<br />
wichtiger, als nur Geld zu verdienen. Ich<br />
glaube, dass ich in diesem ersten Jahr<br />
der Firmengründung den Fehler gemacht<br />
habe, viele Sachen anzunehmen, die ich<br />
jetzt nicht mehr absagen kann.<br />
Aber ich denke, dass die Erfahrung einen<br />
lehrt, sich auch gewisse Freiräume zu<br />
nehmen. Vielleicht nehme ich mir nochmal<br />
vor, morgens früher da zu sein und<br />
bis 12 viel zu schaffen, damit ich dann<br />
nachmittags mehr Zeit für andere Dinge<br />
habe.<br />
Kommen wir nochmal auf Ihr Studium<br />
zurück. Heute gibt es ja viele neue,<br />
medienbezogene Studiengänge –<br />
auch hier in Köln, etwa Medienkulturwissenschaften<br />
oder Intermedia.<br />
Wenn Sie sich nochmal entscheiden<br />
müssten, würden Sie sich wieder für<br />
Ihre einstige Fächerkombination einschreiben?<br />
Das ist schwierig. Wichtig ist mir aber,<br />
dass es meiner Meinung nach auf die<br />
wissenschaftliche Methode ankommt, die<br />
man hier an der Uni lernt, die teilweise<br />
vielleicht wichtiger ist als das Fach selbst.<br />
Natürlich finde ich diese neuen Studiengänge<br />
super, weil man genau weiß,<br />
was dahinter steckt und demnach ist die<br />
Erwartungshaltung auch eine andere. Ich<br />
kann mir aber auch vorstellen, dass hinter<br />
solchen Studiengängen eine Marketingstrategie<br />
der Uni steckt und dass es heutzutage<br />
für ein Ranking wichtig ist, dass<br />
solche Studiengänge überhaupt angeboten<br />
werden.<br />
Was wären die drei wichtigsten Ratschläge<br />
Ihrerseits, um Studierenden<br />
den Einstieg in den Journalismus zu<br />
erleichtern?<br />
Erstens: niemals Angst davor zu haben,<br />
auch mal zu scheitern, denn so findet<br />
man eben gerade heraus, was man will<br />
und was man nicht will. Zweitens sollte<br />
man immer ehrlich zu sich sein und nicht<br />
sieben oder acht Semester das Falsche<br />
studieren, nur weil das Umfeld oder die<br />
Eltern dazu raten, denn das könnte nachher<br />
wirklich schmerzhaft enden. Und das<br />
Dritte wäre, neugierig zu sein und Erfahrungen<br />
zu sammeln. Als Journalist muss<br />
man neugierig sein, neugierig auf Menschen,<br />
neugierig auf Themen oder neugierig<br />
auf andere Länder. Ich wollte zum<br />
Beispiel immer viel reisen, was ich dann<br />
in den Semesterferien auch getan habe<br />
und diese Erfahrungen kann mir niemand<br />
mehr nehmen. Praktika sind der beste<br />
Weg, nebenher Erfahrungen zu sammeln<br />
und wenn man dann seinen zukünftigen<br />
Arbeitgeber kennenlernt, bevor das Studium<br />
zu Ende ist, ist das natürlich super!<br />
© WDR/Zanettini<br />
33
ZUKUNFT GEIST<br />
SEI DEIN EIGENER CHEF<br />
34<br />
SEI DEIN EIGENER<br />
CHEF!<br />
FÜR GEISTESWISSENSCHAFTLER KANN DER SCHRITT IN DIE SELBSTSTÄNDIGKEIT EINE<br />
GUTE OPTION SEIN – SIE MÜSSEN SICH NUR TRAUEN!<br />
TEXT: LOUISA GOLDSTEIN<br />
© sbp321 - Fotolia.com<br />
Integrationsangebote für Flüchtlinge sein.<br />
Ein Teil davon ist auch die Green Economy,<br />
die sich Umweltschutz und Nachhaltigkeit<br />
auf die Fahne geschrieben hat.<br />
Hier wäre beispielsweise die Eindämmung<br />
von Lebensmittelverschwendung ein<br />
Ansatzpunkt für StartUps, wie beispielsweise<br />
FoodLoop zeigt, das von einem<br />
Studierenden der Medienkulturwissenschaften<br />
der Uni Köln gegründet wurde.<br />
Auch der Träger des erstmals vergebenen<br />
Sonderpreises „Soziale Innovation und<br />
Nachhaltigkeit“ im Ideenwettbewerb der<br />
Kölner Hochschulen 2015 ist ein gutes<br />
Beispiel. Das Gründerteam ‚Insecubator‘<br />
hat das Ziel, Insekten als akzeptierte<br />
Nahrungsquelle in der westlichen Kultur<br />
zu etablieren. Dazu wollen sie gemahlene<br />
Insekten aus Südostasien als Bestandteil<br />
bereits akzeptierter Lebensmittel anbieten<br />
und somit gesunde, ökologisch und sozial<br />
nachhaltige Alternativen schaffen.<br />
Studierende, Absolvent*innen und Wissenschaftler*innen<br />
der Partner kostenlos<br />
– und damit auch für die Uni Köln. Dazu<br />
gehören Experten Speed Dating, Erfahrungsberichte,<br />
Gründungsworkshops,<br />
Networking- und Matchingrunden oder<br />
der Ideenwettbewerb. Außerdem stellt<br />
das GATEWAY Arbeitsplätze für Gründer*innen<br />
der Partner bereit. Sowohl das<br />
GATEWAY als auch das hgnc unterstützen<br />
diese dann vor Ort, beispielsweise bei<br />
der Beantragung des EXIST Gründerstipendiums.<br />
<strong>Geist</strong>eswissenschaftler*innen sollten ermutigt<br />
werden, die Karriereoption Selbstständigkeit<br />
in Betracht zu ziehen und sich<br />
damit die Möglichkeit offen halten, für<br />
etwas zu arbeiten, das ihnen wirklich am<br />
Herzen liegt. Nicht nur Absolvent*innen<br />
von BWL oder Informatik können gründen<br />
– bei <strong>Geist</strong>eswissenschaftler*innen<br />
verändert sich nur die Ausgangslage.<br />
Das Potenzial mit einer Idee erfolgreich<br />
zu sein, steckt in jedem, der bereit ist<br />
sich diesem anspruchsvollen Anliegen<br />
zu widmen. Der erste Schritt ist jedoch,<br />
sich dies bewusst zu machen. Sowohl die<br />
verschiedenen Veranstaltungen als auch<br />
die Beratung des GATEWAY Gründungsservice<br />
und des hgnc können daher für<br />
<strong>Geist</strong>eswissenschaftler*innen eine erste<br />
Anlaufstelle sein, um sich selbst und ihre<br />
Idee vorzustellen, neue Mitstreiter zu finden<br />
oder ihr Projekt konkret in Angriff zu<br />
nehmen.<br />
35<br />
S<br />
tartUps sind in aller Munde.<br />
Doch wie funktioniert<br />
die Gründung von Facebook<br />
oder Trivago? Eine<br />
Geschäftsidee zu entwickeln<br />
ist keine Raketenwissenschaft.<br />
Im Gegenteil – gesunder<br />
Menschenverstand und der Blick<br />
für noch un- oder nur teilweise gelöste<br />
gesellschaftliche und ökologische Probleme<br />
sind häufig die Ausgangspunkte<br />
eines StartUps. Gerade als Studierender,<br />
Absolvent*in oder Wissenschaftler*in der<br />
Universität zu Köln, die als Exzellenzhochschule<br />
qualifiziertes Wissen vermittelt,<br />
ist die Ausgangsbasis für wissensbasierte<br />
Gründungen gelegt – sei es als Freiberufler*in<br />
oder im Team. Natürlich heißt das<br />
nicht, dass eine Gründung kinderleicht ist,<br />
aber wenn man bereit ist, hart an einer<br />
Sache, die einem wirklich wichtig ist, zu<br />
arbeiten, kann dies sich am Ende eines<br />
auch steinigen Wegs auszahlen.<br />
<strong>Geist</strong>eswissenschaftler*innen sind durch<br />
ihre oft interdisziplinäre Ausbildung<br />
nicht auf einen Anwendungs- oder Wissensbereich<br />
festgelegt. Sie können eine<br />
Social Media App oder eine e-Commerce<br />
Plattform für Schuhe gründen. Sie können<br />
digitale Strategien und Produkte<br />
für Kultureinrichtungen vermarkten, wie<br />
beispielsweise die pausanio GmbH, eine<br />
Ausgründung der Uni Köln. Sie können<br />
aber auch im Bereich soziale Innovation<br />
und Nachhaltigkeit versuchen, der<br />
Gesellschaft oder der Natur etwas zurückzugeben.<br />
In diesen Bereichen sind <strong>Geist</strong>eswissenschaftler*innen<br />
studiums- und<br />
erfahrungsbedingt meist gut aufgestellt.<br />
Außerdem bringen sie, im Gegensatz zu<br />
den „klassischen“ Gründer*innen aus<br />
BWL und Informatik, oftmals mehr Wortgewandtheit<br />
und einen interdisziplinären<br />
Blickwinkel mit sich.<br />
StartUps mit eben diesem Fokus auf Social<br />
Entrepreneurship geht es um mehr als<br />
reine Gewinnmaximierung. Sie wollen ein<br />
gesellschaftliches oder ökologisches Problem<br />
in Angriff nehmen, um beispielsweise<br />
Ungleichheiten abzubauen oder Integration<br />
zu leisten und somit einen gesellschaftlichen<br />
oder ökologischen Mehrwert<br />
zu erzeugen. Beispiele könnten die Resozialisierung<br />
von Langzeithäftlingen oder<br />
© EBS Business School<br />
Anlaufstelle zu allen Fragen rund um<br />
den Start in die Selbstständigkeit und<br />
der Entwicklung einer Geschäftsidee ist<br />
für Studierende, Absolvent*innen (bis<br />
zu fünf Jahre nach Abschluss) und Wissenschaftler*innen<br />
der GATEWAY Gründungsservice<br />
der Universität zu Köln.<br />
Als Mitinitiator des seit 2011 bestehenden<br />
hochschulgründernetz cologne e.V.<br />
(hgnc) ist es sein Bestreben, vor allem<br />
unter Studierenden eine Begeisterung für<br />
das Unternehmertum zu entfachen. Das<br />
hgnc steht damit für eine positive Gründungskultur<br />
im Wissenschaftsbereich.<br />
Gelingen soll dies mit einem umfassenden<br />
Angebot an Vorträgen, Workshops, Seminaren,<br />
Wettbewerben und Individualberatungen.<br />
Der Clou: Alle Angebote sind für<br />
Mehr Informationen zu Angeboten und<br />
Service gibt es unter www.hgnc.de und<br />
unter www.gateway.uni-koeln.de.
© DOMiD-Archiv, Köln<br />
ZUKUNFT GEIST<br />
VON IT BIS JAZZ – DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />
Titelbild: Impression aus dem Trailer zum Virtuellen Migrationsmuseum<br />
36<br />
© DOMiD-Archiv, Köln<br />
GESCHICHTE<br />
LEBENDIG<br />
WERDEN LASSEN<br />
ALS BERUFSEINSTEIGER HATTE ES DR. ROBERT FUCHS<br />
ZUNÄCHST NICHT LEICHT. DOCH DURCHHALTEN UND<br />
DRANBLEIBEN HABEN SICH BEZAHLT GEMACHT.<br />
SEIN WERDEGANG ZEIGT, WIE VIELSEITIG HISTORIKER<br />
ARBEITEN KÖNNEN UND WIE SPANNEND ES SEIN<br />
KANN, GESCHICHTE FÜR DIE GESELLSCHAFT ERLEBBAR<br />
ZU MACHEN.<br />
INTERVIEW: YVONNE KAHL<br />
H<br />
err Fuchs, Sie arbeiten<br />
im Dokumentationszentrum<br />
und<br />
Museum über die<br />
Migration in Deutschland<br />
– kurz DOMiD.<br />
Wie können wir uns einen Arbeitstag<br />
bei Ihnen vorstellen?<br />
DOMiD ist ein von Migranten und Migrantinnen<br />
gegründeter Verein mit begrenzten<br />
personellen und finanziellen Ressourcen.<br />
Das heißt, dass meine Aufgaben ein<br />
breites Spektrum umfassen. Das beginnt<br />
mit allgemeinen Tätigkeiten der Presseund<br />
Öffentlichkeitsarbeit wie zum Beispiel<br />
die Betreuung unserer Homepage und<br />
aller Social Media Kanäle sowie die Herstellung<br />
und Pflege von Pressekontakten.<br />
Zusätzlich bin ich in die Strategieentwicklung<br />
des Vereins bzw. der Geschäftsstelle<br />
eingebunden, führe durch die Räumlichkeiten,<br />
halte Vorträge bei Tagungen und<br />
konzipiere und betreue Ausstellungen –<br />
zuletzt im Bundeskanzleramt. Hauptsächlich<br />
koordiniere ich aber die notwendigen<br />
Schritte, um unser Ziel – den Aufbau eines<br />
Migrationsmuseums – zu verwirklichen.<br />
Das umfasst unter anderem die Produktion<br />
von entsprechendem Info-Material<br />
sowie ausgeprägte Netzwerktätigkeiten<br />
mit Politik, Verwaltung, Stiftungen<br />
und der freien Wirtschaft. Ich verfasse<br />
Texte oder Aufsätze bei Anfragen, stelle<br />
Anträge und plane die Strategie für die<br />
Realisierung des Museums.<br />
Können Sie uns Ihre Funktion bei der<br />
Planung des Museums noch näher<br />
beschreiben?<br />
DOMiD hat als erste Institution mit<br />
der Sammlung und Dokumentation<br />
der Migrationsgeschichte Deutschlands<br />
begonnen und verfügt über eine einzigartige<br />
Sammlung alltagsgeschichtlicher<br />
Zeugnisse zur Einwanderungsgeschichte.<br />
Wir haben mittlerweile über 100.000<br />
Objekte, Dokumente, Fotos und Interviews.<br />
Gleichzeitig verfügen wir über ein<br />
starkes Know-how, was Ausstellungen<br />
zu dem Thema angeht. Wir haben unter<br />
anderem die erste Ausstellung zur Migration<br />
in Deutschland überhaupt gemacht.<br />
Das Ziel, ein Museum zu errichten,<br />
besteht schon seit 25 Jahren. Ein wichtiger<br />
Schritt in diese Richtung bildete unser<br />
virtuelles Migrationsmuseum. Als ich im<br />
Jahr 2013 hier anfing, war ich im Rahmen<br />
einer Machbarkeitsstudie verantwortlich<br />
für die Konzeption dieses virtuellen<br />
Museums. Zuerst in den virtuellen Raum<br />
zu gehen, bot verschiedene Vorteile: Ein<br />
virtuelles Museum ist jederzeit von überall<br />
erreichbar und kostet im Aufbau und in<br />
der Nachhaltigkeit wesentlich weniger als<br />
ein reales Gebäude mit realen Personen.<br />
Ziel war es, die Bevölkerung zu sensibilisieren,<br />
Aufmerksamkeit zu generieren<br />
und unsere Botschaft nach außen zu<br />
tragen. Wir ließen einen Trailer produzieren<br />
und bauten eine Blogstruktur auf.<br />
Das war dann derartig erfolgreich, dass<br />
von verschiedenen Seiten auf uns eingewirkt<br />
wurde, jetzt sei die Zeit, ein reales<br />
Museum auf den Weg zu bringen. Die<br />
Entscheidung dafür fiel Anfang letzten<br />
Jahres. Wir konnten Rita Süssmuth als<br />
Schirmherrin gewinnen und schafften es,<br />
die Gelder für eine Machbarkeitsstudie<br />
zu generieren. Diese koordiniere ich nun.<br />
Wir setzen den inhaltlichen und fachlichen<br />
Rahmen, indem wir klar definieren,<br />
was dieses Haus beinhalten soll, was die<br />
Kernbotschaften sind und wie wir uns<br />
das vorstellen. Ein externes Unternehmen<br />
klärt dann Punkte wie die Kostenkalkulation,<br />
den Standort und juristische Fragen<br />
wie zum Beispiel, ob das Museum dann<br />
eine Stiftung, eine gemeinnützige GmbH<br />
oder AG werden soll.<br />
Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit am<br />
meisten Freude?<br />
Mein Werdegang zeigt, wie wichtig es<br />
für mich ist, in der Vermittlung zu arbeiten<br />
und mit meiner<br />
Tätigkeit Impulse<br />
in die Gesellschaft<br />
zu setzen. Deshalb<br />
habe ich mich dazu<br />
entschieden, weniger<br />
stark in der<br />
Wissenschaft zu<br />
arbeiten, sondern<br />
tatsächlich in dem<br />
Bereich, in dem ich<br />
gerade bin. Meine<br />
Stelle bei DOMiD ist<br />
ein Glücksfall. Denn<br />
es ist die Synthese<br />
Podiumsdiskussion auf der Jungen Islam Konferenz in Berlin<br />
meiner wissenschaft-<br />
2014 (mit Esra Küҫük (links) und Barbara John (mitte))<br />
lichen Expertise, meiner Erfahrung im<br />
musealen Bereich und meiner Freude an<br />
Geschichtsvermittlung, Kommunikation<br />
mit anderen Menschen und am Troubleshooting.<br />
Die Projektleitung für den<br />
Aufbau eines realen Museums, in dem<br />
sich unsere Gesellschaft als Migrationsgesellschaft<br />
entdecken und erleben kann, ist<br />
wahnsinnig spannend.<br />
Sie haben an der Universität zu Köln<br />
Geschichte, Germanistik und Politik<br />
studiert. Hatten Sie zu Beginn des<br />
Studiums schon einen klaren Berufswunsch?<br />
Als ich mein Studium anfing, war mir<br />
noch gar nicht so klar, wo die Reise hin<br />
gehen sollte. Ein geisteswissenschaftliches<br />
Studium legt einen beruflich nicht<br />
so direkt fest, wie das vielleicht bei einem<br />
Mediziner, Juristen oder Lehrer der Fall ist.<br />
Das habe ich als große Chance gesehen<br />
und denke auch immer noch, dass dies<br />
ein großer Vorteil ist. Um diese Wahlmöglichkeit<br />
zu haben, wählte ich auch<br />
bewusst nicht das Lehramt, sondern den<br />
Magister. Während des Studiums absolvierte<br />
ich unterschiedliche Praktika, im<br />
Unternehmensarchiv der Bayer AG, bei<br />
der NGO Germanwatch, bei den Blättern<br />
für Deutsche und internationale Politik.<br />
Das war ein guter Weg, um einzugrenzen,<br />
wo es für mich tatsächlich hingehen<br />
könnte. Außerdem bin ich mit dem<br />
jugendlichen Optimismus ins Studium<br />
gegangen, dass wenn ich etwas mache,<br />
was mir liegt und Spaß macht, ich das gut<br />
mache. Und wenn ich etwas gut mache,<br />
dann werde ich da auch später einen Job<br />
37
ZUKUNFT GEIST<br />
VON IT BIS JAZZ – DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />
38<br />
finden. Und letztendlich hat sich das dann<br />
auch bewahrheitet.<br />
Die Entscheidung wie es nach dem<br />
Studium weiter gehen soll, stellt für<br />
Studierende einen großen Schritt dar.<br />
Was hat Ihnen geholfen, sich nach<br />
dem Studium beruflich zu orientieren?<br />
Ausstellungspräsentation im Bundeskanzleramt mit Staatsministerin Aydan Özoğus<br />
Die erste wichtige Weichenstellung<br />
ergab sich schon während meines Studiums.<br />
Zur Finanzierung arbeitete ich sehr<br />
lange als Stadtführer in Köln. Da ist mir<br />
bewusst geworden, wie wichtig es für<br />
mich ist, nicht nur zu forschen, sondern<br />
auch Geschichte zu vermitteln und nach<br />
außen zu tragen. Ich habe gesehen, wie<br />
viel Begeisterung man bei den Menschen<br />
für Geschichte und den Umgang damit<br />
wecken kann, wenn man das Ganze<br />
adäquat rüberbringt. Das war für mich die<br />
Initialzündung darüber nachzudenken, ob<br />
es wirklich die Wissenschaft ist, wo ich hin<br />
will oder etwas anderes. Ein zweiter ganz<br />
zentraler Punkt war ein Gespräch mit meiner<br />
Professorin direkt nach meiner Magister<br />
Arbeit. Ich wollte eigentlich doch<br />
direkt promovieren. Sie sagte dann, dass<br />
sie mir das fachlich durchaus zutraue,<br />
aber ich mir genau überlegen solle, wo<br />
ich hin möchte. Eine Promotion erfordert<br />
rund fünf Jahre Zeit und dann konkurriert<br />
man nachher auf dem Arbeitsmarkt mit<br />
Menschen, die vielleicht schon fünf Jahre<br />
praktische Erfahrung gesammelt haben.<br />
Aufgrund dieser Überlegung und meiner<br />
Erfahrung aus den Stadtführungen habe<br />
ich mich dann erst einmal dazu entschieden,<br />
nicht zu promovieren, sondern praktisch<br />
zu arbeiten.<br />
aufsaugen. Es stellte sich aber heraus,<br />
dass ich immer wegen mangelnder Erfahrung<br />
abgelehnt wurde. Es ist natürlich<br />
sehr frustrierend, wenn einem Berufseinsteiger<br />
gesagt wird, man hätte nicht die<br />
nötige Erfahrung. Die Praktika während<br />
der Studienzeit waren zwar erste Erfahrungen,<br />
aber es ist noch einmal etwas<br />
anderes, wenn man tatsächlich gearbeitet<br />
und damit auch seinen Lebensunterhalt<br />
verdient hat. Ich beschloss dann, doch<br />
noch einmal ein Praktikum vorzuschalten<br />
und ging für 3 Monate nach Bremerhaven<br />
in das Deutsche Auswandererhaus. Nach<br />
dem Praktikum bot man mir dann dort<br />
ein Volontariat an. Ein Volontariat ist im<br />
Museumsbereich der normale Weg zum<br />
Jobeinstieg und wurde auch meiner.<br />
Und dort haben Sie dann doch Ihre<br />
Promotion begonnen. Wie kam es<br />
dazu?<br />
Wenn ich<br />
etwas gut mache,<br />
dann werde ich<br />
da auch später<br />
einen Job finden<br />
Einige Studierende der <strong>Geist</strong>eswissenschaften<br />
machen sich Gedanken<br />
um ihre Arbeitsmarkteinstiegschancen.<br />
Wie waren Ihre Erfahrungen<br />
nach dem Studium?<br />
© Bundesregierung/Bilan<br />
Nach dem Studium war ich erst zunächst<br />
6 Monate arbeitslos. Meine Sachbearbeiterin<br />
beim Amt wollte mich zum Laubfegen<br />
in den Grüngürtel schicken. Das war<br />
keine witzige Erfahrung. Ich schrieb viele<br />
Bewerbungen und dachte, ich sei top qualifiziert<br />
und der Arbeitsmarkt würde mich<br />
Während des Volontariats habe ich<br />
gemerkt, wie viel Spaß mir die Arbeit im<br />
Bereich Museum macht. Und mir wurde<br />
klar, dass ich beruflich dort Fuß fassen<br />
wollte. Im Museumsbereich<br />
ist die<br />
Promotion meiner<br />
Meinung<br />
nach<br />
wichtig und hilfreich.<br />
Bis zu einer<br />
gewissen<br />
Stufe<br />
lassen sich auch<br />
ohne<br />
Doktortitel<br />
verantwortungsvolle<br />
erreichen.<br />
Positionen<br />
Aber<br />
wenn es dann<br />
weiter gehen soll,<br />
wird das ohne<br />
Promotion schwierig.<br />
Es ist zum<br />
Teil heute so, dass die Promotion sogar<br />
schon Voraussetzung für ein Volontariat<br />
ist. Dazu kam, dass mich das Thema –<br />
Heiratsverhalten von deutschen Migrantinnen<br />
und Migranten in den USA im<br />
19. Jahrhundert – einfach auch gepackt<br />
hatte. Das motivierte mich zusätzlich.<br />
Wie ging es nach dem Volontariat für<br />
Sie weiter?<br />
Meine Promotion lief zuerst parallel zum<br />
Volontariat. Als das endete und wenig<br />
später mein Stipendium auslief, begann<br />
ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
beim Caritasverband Bremen zu arbeiten.<br />
Dort schrieb ich eine Studie über die<br />
Heimerziehung im Lande Bremen von<br />
1945-75. Nach der Promotion arbeitete<br />
ich am Haus der Wannsee Konferenz an<br />
einem Dokumentar-Theater-Projekt mit.<br />
Sie haben einen Teil Ihres Studiums in<br />
England verbracht. Wie wichtig war<br />
diese Erfahrung rückblickend für Sie?<br />
Die Zeit in England war bis dato eines der<br />
besten Jahre meines Lebens und sowohl<br />
persönlich als auch fachlich eine tolle<br />
Erfahrung. Ich habe bis heute noch Kontakt<br />
zu vielen meiner damaligen Kommilitonen.<br />
Fachlich bin ich dort mit einem<br />
Als Team von Historikern, einem Theater- anderen Verständnis für Geschichte<br />
regisseur und einer Dramaturgin arbeiteten<br />
wir das Protokoll der Wannsee Konferenz<br />
auf. Dieses Dokument ist ein Ergebnisprotokoll,<br />
das ganz stark von Eichmann<br />
redigiert wurde. Unsere Aufgabe bestand<br />
darin, es zu dekonstruieren. Das heißt, wir<br />
haben immer an den Punkten, an denen<br />
verklausuliert wurde, diese Verklausulierung<br />
aufgeschlüsselt. Wenn zum Beispiel<br />
der Satz fiel „Der Rest wird nach Theresienstadt<br />
verbracht.“, beleuchteten wir den<br />
Satz mit einem Augenzeugenbericht, der<br />
veranschaulicht, was es bedeutete nach<br />
Theresienstadt „verbracht“ zu werden.<br />
Das Ganze haben wir dann auf die Bühne<br />
und Geschichtswissenschaft in Kontakt<br />
gekommen, was mich stark geprägt hat.<br />
In meinen Kursen dort spielten zum Beispiel<br />
‚Local History‘, ‚Alltagsgeschichte‘<br />
und eine ‚Button-Up-Perspektive‘ eine<br />
große Rolle. Das hat mich später dazu<br />
gebracht, mich mit Auswandererbriefen<br />
zu beschäftigen und die haben mich dann<br />
zu meinem Dissertationsthema geführt.<br />
Zusätzlich ist es in Großbritannien so, dass<br />
es bei aller Wissenschaftlichkeit auch stärker<br />
darum geht, Geschichten zu erzählen<br />
– also Themen für eine breites Publikum<br />
verständlich aufzubereiten und zu publizieren.<br />
gebracht, also auch selber aufgeführt.<br />
Das hatte eine ganz starke Emotionalisierung<br />
und ich habe noch einmal gemerkt,<br />
welche Möglichkeiten in der Geschichte<br />
schlummern und was man mit lebendiger<br />
Vermittlung leisten kann. Anschließend<br />
habe ich dann als freiberuflicher Autor im<br />
Bereich History Marketing gearbeitet und<br />
eine Unternehmensbiografie geschrieben.<br />
Einen Tag nach der Disputation habe ich<br />
hier mit einer Projektstelle bei DOMiD<br />
angefangen.<br />
Welche Eigenschaften sollte man für<br />
die Tätigkeit in Museen und Kultureinrichtungen<br />
mitbringen?<br />
Das hängt ganz von der Institution und<br />
der Tätigkeit ab. Sowohl Museen als auch<br />
Kultureinrichtungen allgemein können<br />
ganz unterschiedliche Voraussetzungen<br />
haben. Das betrifft beispielsweise die Vermittlungsziele,<br />
die Größe und die finanzielle<br />
Ausstattung dieser Häuser. Generell<br />
glaube ich, dass es eine Schlüsselqualifi-<br />
Blick in eine Werkhalle aus dem Trailer zum Virtuellen Migrationsmuseum<br />
© DOMiD-Archiv, Köln<br />
kation als <strong>Geist</strong>eswissenschaftler ist, sich<br />
schnell in Themengebiete unterschiedlichster<br />
Art einzuarbeiten. Das ist meiner<br />
Meinung nach ganz wichtig. Dazu kommt<br />
eine multiperspektivische Herangehensweise<br />
sowohl an Themen als auch an<br />
praktische Herausforderungen. Persönlich<br />
sollte man eine gewisse Neugierde und<br />
Offenheit für Themen und für Veränderungen<br />
mitbringen sowie Freude daran<br />
haben, mit Menschen zu kommunizieren.<br />
Entscheidend ist auch, dass man keine<br />
Angst vor der Übernahme von Verantwortung<br />
hat und die Fähigkeit mitbringt,<br />
selbständig Entscheidungen zu treffen.<br />
Was würden Sie jungen <strong>Geist</strong>eswissenschaftlerinnen<br />
und <strong>Geist</strong>eswissenschaftlern<br />
bezüglich der Berufsperspektiven<br />
im heutigen Arbeitsmarkt<br />
raten?<br />
Mit offenen Augen und Neugier durch<br />
die Welt gehen und keine Angst haben,<br />
wenn man am Anfang des Studiums noch<br />
nicht weiß, was für ein Beruf dabei rauskommen<br />
wird. Bildung sollte nicht der<br />
ökonomischen Verwertungslogik unterworfen<br />
und die Entwicklungspotentiale<br />
junger Menschen dadurch eingrenzt werden.<br />
Ich glaube, wer eine gute Ausbildung<br />
hat, fit in praktischen/praxisorientierten<br />
Bereichen ist und über die eben genannten<br />
Eigenschaften verfügt, hat immer<br />
Chancen. Allerdings halte ich mit Blick<br />
auf die Bachelor- und Master-Studiengänge<br />
einen Bachelorabschluss in einem<br />
geisteswissenschaftlichen Fach für wenig<br />
hilfreich. Da fehlt einfach etwas und eine<br />
Spezialisierung durch einen Master würde<br />
ich empfehlen.<br />
39
© geralt | pixabay.com<br />
ZUKUNFT GEIST<br />
AUS DER UNI<br />
40<br />
„H<br />
istoriker/Historikerin“<br />
– ist<br />
das eigentlich<br />
ein Beruf?<br />
Würde man<br />
den Absolventinnen<br />
und Absolventen historischer<br />
Studiengänge diese Frage stellen, wäre<br />
die ganz überwiegende Antwort: Nein.<br />
Und das, obwohl die Berufsaussichten laut<br />
jüngerer Absolventenstudien gut sind.<br />
Auch werten junge Berufseinsteigerinnen<br />
und Berufseinsteiger ihr Geschichtsstudium<br />
häufig als gute Vorbereitung für<br />
ihren Job. Nur beginnen die allermeisten<br />
ihr Berufsleben in Bereichen, die mit historischen<br />
Inhalten wenig zu tun haben.<br />
Und zwar nicht als Plan B und gezwungenermaßen,<br />
sondern hoch zufrieden,<br />
für erlernte Kompetenzen geschätzt und<br />
bezahlt zu werden.<br />
Fragt man hingegen die Studierenden,<br />
ist die Antwort nicht so eindeutig. Viele<br />
vermeiden den Gedanken an die Zeit<br />
nach dem Studium, und natürlich ist es<br />
völlig legitim, sich erst einmal auf das<br />
Studieren selbst zu konzentrieren. Einige<br />
wenige haben klare Berufsvorstellungen<br />
und qualifizieren sich ganz gezielt für<br />
bestimmte Bereiche. Die meisten reagieren<br />
eher unruhig auf die „Berufsfrage“,<br />
weil sie gar nicht wissen, wo sie anfangen<br />
sollen, um eine Schneise in das Dickicht<br />
der beruflichen Orientierung zu schlagen.<br />
Genau dafür hat das Historische<br />
Institut vor sechs Jahren die ‚Berufspraktische<br />
Vorbereitung‘ als eigenen Bereich<br />
gegründet.<br />
Seit daher bietet das Historische Institut<br />
der Uni Köln eine sehr breite Unterstützung<br />
in Fragen der Berufsvorbereitung<br />
an. Das Angebot ist hierbei außerordentlich<br />
vielfältig: Der zentrale Baustein der<br />
‚Berufspraktischen Vorbereitung‘ ist dabei<br />
eine große Auswahl an Lehrveranstaltungen.<br />
Das Praxis-Angebot umfasst sowohl<br />
Themen der grundlegenden Berufsorientierung,<br />
bei der unterschiedliche Berufe<br />
vorgestellt werden, als auch die Vermittlung<br />
von historischen Spezialkenntnissen,<br />
so z. B. der Schriftkunde („Paläographie“).<br />
Programmreihe<br />
für Studierende<br />
der Geschichte<br />
TEXT: IMKE STURM-MARTIN<br />
Wichtig ist auch der unmittelbare Kontakt<br />
mit der Berufswelt. Historiker und Historikerinnen,<br />
die im Beruf stehen, kommen<br />
als Gäste am Historischen Institut mit den<br />
Studierenden ins Gespräch. Sie berichten<br />
zum Beispiel von individuellen Wegen in<br />
den Beruf und von ihrem Arbeitsalltag.<br />
In den vergangenen Jahren haben 45<br />
Historiker und Historikerinnen über ihre<br />
Praxis-Erfahrungen in unterschiedlichen<br />
Berufen referiert. Für die Studierenden<br />
sind diese oft sehr persönlichen Berichte<br />
inspirierend. Sie bekommen hier die<br />
Chance einer Innenansicht, wie sie sich<br />
sonst eigentlich nur im Bekanntenkreis<br />
bietet. Sie können durch Fragen an die<br />
Gäste abklopfen, ob die vorgestellten<br />
Bereiche auch für sie selbst als Berufsweg<br />
in Frage kämen. Sie erfahren, auf welche<br />
Qualifikationen besonderer Wert gelegt<br />
wird und welche Einstiegswege erfolgversprechend<br />
sind. Nicht zuletzt können sie<br />
hier einen ersten Kontakt knüpfen – und<br />
tatsächlich werden in informellen Gesprächen<br />
am Rande der Gastvorträge immer<br />
wieder auch Praktika direkt vereinbart.<br />
Neben diesen Gesprächen an der Uni kann<br />
natürlich auch der Eindruck vor Ort viele<br />
wichtige Informationen über Institutionen,<br />
Unternehmen und manchmal ganze<br />
Berufsbereiche vermitteln. Deshalb haben<br />
die Studierenden des Historischen Instituts<br />
im Rahmen der ‚Berufspraktischen<br />
Vorbereitung‘ auch die Möglichkeit, an<br />
Exkursionen im Kölner Raum teilzunehmen.<br />
Besucht werden Institutionen und<br />
Unternehmen, in denen (auch) Historiker<br />
und Historikerinnen arbeiten. Sie führen<br />
die Studierenden durch ihre Arbeitsumgebung<br />
und können Insider-Tipps geben.<br />
Durch diese Besuche werden einerseits<br />
Barrieren abgebaut, andererseits können<br />
Studierende ihre Vorstellungen vom<br />
Berufsalltag hier mit der Realität vergleichen.<br />
Ganz zentral im Angebot des Historischen<br />
Instituts ist natürlich die individuelle Beratung.<br />
Bachelor- und Masterstudierende<br />
können sich individuell über Praktikumsmöglichkeiten,<br />
Qualifizierungsstrategien<br />
und mögliche Berufsfelder beraten lassen.<br />
Als Vorbereitung kann eine Datenbank<br />
mit Kurzzusammenfassungen aus<br />
neueren Praktikumsberichten konsultiert<br />
werden, die über die E-Learning-Plattform<br />
der Uni Köln ILIAS zugänglich ist.<br />
Wer bei der ‚Berufspraktischen Vorbereitung‘<br />
Rat sucht, profitiert von einem<br />
breiten außeruniversitären Netzwerk, das<br />
seit der Gründung des Bereichs aufgebaut<br />
wurde. Hier fließen die Informationen aus<br />
den Praktikumsberichten, der Austausch<br />
mit Absolventen sowie die Projektzusammenarbeit<br />
mit außeruniversitären<br />
Unternehmen und Institutionen zusammen<br />
und bilden einen sehr reichhaltigen<br />
Pool an Wissen und Informationen über<br />
Berufsperspektiven (und manchmal auch<br />
die direkte Vermittlung in ein Praktikum)<br />
für Geschichtsstudierende.<br />
Eine kleine Anzahl von Absolventen wird<br />
dann doch zu „Historikern“ und „Historikerinnen“<br />
– so nennen sich diejenigen,<br />
die in der Wissenschaft bleiben oder sich<br />
um deren Vermittlung kümmern, ob an<br />
der Uni, im Archiv, in Gedenkstätten oder<br />
Historischen Museen – in der Regel mit<br />
einem Master, oft mit einer Promotion<br />
ausgestattet. Das Studium der Geschichte<br />
führt zu vielen möglichen Berufen. Am<br />
Historischen Institut werden Studierende<br />
auf dem Weg in die Praxis begleitet und<br />
unterstützt.<br />
© OpenClipArtVectors | pixabay.com<br />
41
INTERDISZIPLINÄR<br />
AUF GANZER<br />
LINIE<br />
© pwc © pwc<br />
GABI DORNER SETZTE VON ANFANG AN<br />
AUF DIE INTERDISZIPLINÄRE KARTE UND<br />
ENTSCHIED SICH FÜR EIN STUDIUM DER<br />
REGIONALWISSENSCHAFTEN LATEINAMERIKA.<br />
HIER KONNTE SIE IHRE AFFINITÄT ZU SPRACHEN<br />
UND ZAHLEN GLEICHERMASSEN EINSETZEN.<br />
HEUTE ARBEITET SIE ERFOLGREICH IN EINEM<br />
INTERNATIONALEN UMFELD, SCHAFFT LOCKER<br />
DIE BALANCE ZWISCHEN FAMILIE UND KARRIERE<br />
UND IST MIT ALL DEM HOCHZUFRIEDEN.<br />
INTERVIEW: YVONNE KAHL<br />
Frau Dorner, Sie haben in Berührung mit den Wirtschaftswissenschaften.<br />
Insofern war der Weg vielleicht im Job aus- und weiterbildet.<br />
ist ohnehin ein Berufsfeld, wo man sich<br />
Köln Regionalwissenschaften<br />
Lateinamerika studiert etwas kürzer als für jemanden, der ein<br />
und arbeiten heute bei pwc, rein geisteswissenschaftliches Fach wählt.<br />
einem Unternehmen, das Das was ich heute mache – das Entsende-Management<br />
Die Interdisziplinarität Ihres Studiums<br />
im Bereich Wirtschaftsprüfung/Unternehmensberatung<br />
tätig ist. Ist das<br />
nicht eher ein ungewöhnlicher Beruf<br />
für eine <strong>Geist</strong>eswissenschaftlerin?<br />
Ja und Nein. Das eine ist: Ich habe mit<br />
oder die Betreuung von<br />
Mitarbeitern vom Unternehmen, die ins<br />
Ausland entsandt werden, respektive,<br />
die aus dem Ausland nach Deutschland<br />
kommen – ist ohne hin etwas, wo sich<br />
war demnach ein Vorteil für Sie?<br />
Ja. Es genau das, was ich heute auch tue.<br />
Ich spanne den kompletten Bogen von<br />
der Personalwirtschaft über personalstrategische<br />
Themen bis hin zu rein betriebswirtschaftlichen<br />
Regionalwissenschaften Lateinamerika ganz viele Disziplinen kreuzen und was<br />
Fragestellungen wie „Hat<br />
einen Studiengang gewählt, der auch<br />
die Wirtschaftswissenschaften mit hinzunimmt.<br />
Damals hatten wir die Schwerpunkte<br />
Lateinamerikanische Geschichte,<br />
die Sprachen Spanisch und Portugiesisch,<br />
man so nicht studieren kann. Alle, die bei<br />
uns in diesem Feld tätig sind, haben ganz<br />
unterschiedliche Studiengänge absolviert.<br />
Da sind die klassischen BWLer, aber auch<br />
Personalwirtschaftler, Psychologen und<br />
sich eine Entsendung am Ende auch wirtschaftlich<br />
gerechnet?“. Es war sicherlich<br />
gut, von Anfang an diese doppelte Sicht<br />
zu haben und wirtschaftswissenschaftliche<br />
mit geisteswissenschaftlichen Themen<br />
Politikwissenschaften und Volkswirtschaft.<br />
andere Mitarbeiter, die z.B. den Schwer-<br />
und Fragestellungen zu verbinden.<br />
Ich hatte also da schon die erste punkt auf Sprachen gelegt haben. Und<br />
es<br />
Sie sind Senior Manager im Human<br />
Resource Service. Wie kann man sich<br />
Ihren Arbeitsalltag vorstellen?<br />
Mein Team und ich betreuen die entsandten<br />
Mitarbeiter von Unternehmen,<br />
also Deutsche im Ausland und Ausländer<br />
in Deutschland, steuerlich und sozialversicherungsrechtlich.<br />
Das heißt, wir helfen<br />
ihnen, das deutsche Steuerrecht zu<br />
verstehen. Zu meinen Aufgaben gehört<br />
die klassische Kundenakquise<br />
und anschließende<br />
Betreuung<br />
bestehender<br />
Mandate. Mein Schwerpunkt<br />
ist die Beratung<br />
von Unternehmen bei der<br />
Betreuung der gesamten<br />
Entsendepopulation.<br />
Dafür erstelle ich Entsenderichtlinien,<br />
in denen<br />
zusammenfasst wird, was<br />
die jeweiligen Mitarbeiter<br />
während ihrer Auslandsentsendung<br />
an Leistungen<br />
erhalten. Als ein praktisches<br />
Beispiel: Das Unternehmen<br />
bezahlt die internationale<br />
Schule für die<br />
Kinder, wenn die gesamte<br />
Familie mitgeht. Ich unterstütze<br />
die Unternehmen<br />
dabei, die Entsendeprozesse<br />
aufzusetzen, damit<br />
auch jeder im Unternehmen zum richtigen<br />
Zeitpunkt weiß, was er zu tun hat,<br />
und dass die Person xy am Soundsovielten<br />
von A nach B kommt. Am Ende unterstützen<br />
wir auf Wunsch die Kostenkontrolle<br />
einer solchen Entsendung und prüfen bei<br />
weiterer Planung, ob solche Entsendungen<br />
auch zukünftig durchgeführt werden<br />
sollen, ob sie sich ganz klassisch gerechnet<br />
haben. Es ist also eine Mischung aus<br />
reiner Beratertätigkeit für den Kunden,<br />
klassischem Key Account Management<br />
und der internen Rolle Teamführung.<br />
Die Vereinbarkeit von Familie und<br />
Beruf ist nicht immer leicht. Wie<br />
würden Sie die Work-Life-Balance in<br />
Ihrem Beruf beschreiben?<br />
Für mich persönlich sehr gut. Ich habe drei<br />
kleine Jungs, jetzt 6 und zweimal 3 Jahre<br />
alt, und arbeite auf einer 75%-Stelle mit<br />
einer 30-Stunden-Woche. Ich habe die<br />
Möglichkeit, auch vom Home Office aus<br />
zu arbeiten, was bei meiner Tätigkeit<br />
wegen der Zeitverschiebung oft sehr gut<br />
ist. Weder gegenüber meinem Arbeitgeber<br />
noch meiner Kunden war es je problematisch<br />
zu sagen: „Ich bin zwischen<br />
15:30 Uhr und 19:30 Uhr nur in dringenden<br />
Fällen erreichbar.“ Dadurch habe ich<br />
den Nachmittag so gut wie immer frei und<br />
Ich trenne gar nicht<br />
so sehr zwischen<br />
Work und Life.<br />
Mir macht die<br />
Arbeit wirklich<br />
Freude und sie ist<br />
Teil meines Lebens.<br />
widme mich ganz den Kindern. Bei Ganztagsterminen<br />
springen die Tagesmutter<br />
oder mein Mann ein. Ich hatte nie das<br />
Gefühl, mich zwischen Karriere und Beruf<br />
entscheiden zu müssen. Und zu guter<br />
Letzt muss ich auch sagen, ich trenne gar<br />
nicht so sehr zwischen Work und Life.<br />
Mir macht die Arbeit wirklich Freude und<br />
sie ist Teil meines Lebens. Das gehört für<br />
mich einfach zusammen.<br />
Haben Sie das Studium mit einem festen<br />
Berufswunsch begonnen oder hat<br />
sich Ihnen erst im Verlauf eine Berufsperspektive<br />
erschlossen?<br />
Also, ich habe mit 18 Jahren Abitur<br />
gemacht und war etwas<br />
erschlagen von der Thematik,<br />
mich entscheiden<br />
zu müssen, was ich mein<br />
Leben lang als Beruf ausüben<br />
wollte. Ich habe<br />
das dann darauf reduziert,<br />
dass ich mich schon<br />
immer in den Sprachen<br />
und im Umgang mit Menschen<br />
sehr wohl gefühlt<br />
habe, aber auch ein gutes<br />
Zahlenverständnis<br />
hatte.<br />
Die reine Wirtschaftswissenschaft<br />
wäre mir damals<br />
viel zu trocken gewesen.<br />
An ein reines Sprachenstudium<br />
habe ich mich<br />
nicht ran getraut. Als ich<br />
dann von dem damals<br />
noch relativ neuen Studiengang<br />
‚Regionalwissenschaften<br />
Lateinamerika‘<br />
gehört habe, fand ich darin die ideale<br />
Kombination von beidem. Und dann bin<br />
ich ins kalte Wasser gesprungen und habe<br />
mit dem Studium angefangen ohne den<br />
ganz konkreten Plan zu haben, was ich<br />
hinterher wirklich damit werden wollte.<br />
© Gabi Dorner<br />
© anmide | pixabay.com
Durch meine Praktika in der Internationalen<br />
Handelskammer in São Paulo in Brasilien<br />
und in Bonn bei der Botschaft von<br />
Bolivien wurde mir dann auch bestätigt,<br />
dass es Tätigkeiten gibt, die ich mit meiner<br />
Ausbildung sehr gut ausüben kann.<br />
Ich hatte dadurch stets das Gefühl, sehr<br />
breit und sehr gut aufgestellt zu sein und<br />
damit auch immer eine <strong>Zukunft</strong>sperspektive<br />
zu haben.<br />
Was unterscheidet Ihrer Meinung<br />
nach Absolventen eines geisteswissenschaftlichen<br />
Studiums von denen<br />
anderer Studiengänge?<br />
Ich glaube nicht, dass <strong>Geist</strong>eswissenschaftler<br />
es nötig haben, sich im direkten<br />
Vergleich mit wirtschaftswissenschaftlichen<br />
Studierenden klein zu machen. Sie<br />
bringen einfach andere Qualifikationen<br />
mit. Der BWL-Studierende bringt Steuerkenntnisse<br />
mit, hat aber vielleicht Defizite<br />
darin, Wissen in einen breiteren Kontext<br />
zu setzen. Studierende der <strong>Geist</strong>eswissenschaften<br />
dagegen besitzen gute Sprachund<br />
Kulturkenntnisse, müssen aber eventuell<br />
im Bereich ökonomisches Denken<br />
noch dazu lernen. Das Charakteristische<br />
eines geisteswissenschaftlichen Studiums<br />
ist das Thema ‚ganzheitliches Denken‘.<br />
Dinge werden stets hinterfragt und in<br />
einen größeren Zusammenhang gesetzt.<br />
Ich selbst setze diese geisteswissenschaftliche<br />
Brille im Arbeitsalltag sehr häufig<br />
auf. Zum Beispiel wenn es um das Thema<br />
Kostenkontrolle geht. Dann schaue ich<br />
nicht nur, ob sich die Entsendung rein<br />
rechnerisch gelohnt hat, sondern auch,<br />
ob sich der entsandte Mitarbeiter dabei<br />
persönlich weiterentwickelt hat. Diese<br />
Kombination aus Wirtschaftswissenschaften<br />
und <strong>Geist</strong>eswissenschaften hat mich<br />
sehr gut auf meine heutigen Aufgaben<br />
vorbereitet.<br />
Welchen Tipp würden Sie jungen Studieninteressierten<br />
oder Studierenden<br />
bezüglich eines geisteswissenschaftlichen<br />
Studiums und der Berufswahl<br />
geben?<br />
Das eine ist, dass man wirklich das studieren<br />
sollte, was man studieren möchte –<br />
unabhängig davon, ob man sich im ersten<br />
Semester schon die Frage stellt, was man<br />
am Ende des Studiums damit für einen<br />
Beruf erlangen müsste. Ich habe erlebt,<br />
dass Kommilitonen etwas studiert haben,<br />
nur weil sie sich damit große Berufschancen<br />
erhofften und damit am Ende dann<br />
kreuzunglücklich waren. Man sollte den<br />
Mut haben zu tun,<br />
was man selber als<br />
Berufung empfindet,<br />
und dann wird man<br />
damit schon einen<br />
passenden Beruf<br />
finden. Weil man,<br />
wenn man etwas<br />
gerne tut, das auch<br />
immer gut macht.<br />
Und wenn man<br />
etwas gut macht,<br />
dann wird man auch<br />
darin seinen Weg<br />
finden. Praktika sind<br />
eine gute Chance,<br />
Berufsfelder kennenzulernen<br />
und sich<br />
darin auszuprobieren.<br />
Viele Germanisten<br />
sind am Ende<br />
vielleicht in der<br />
Marketingabteilung,<br />
weil sie herausragende<br />
Texte schreiben.<br />
Dafür hätte man auch Marketing<br />
studieren können. Aber das sind dann<br />
zwei Wege, die zum gleichen Ziel führen<br />
können. Man sollte sich auch selber überlegen,<br />
wo die eigenen Stäken und auch<br />
Schwächen liegen und ein eigenes Profil<br />
herausbilden.<br />
Heutzutage fordern viele Stellenausschreibungen<br />
schon erste Berufsoder<br />
Praxiserfahrung durch Praktika<br />
oder Studentenjobs. Haben Sie einen<br />
Insider-Tipp als Personalerin, worauf<br />
in einer Bewerbung noch geachtet<br />
wird?<br />
Ich hatte damals mit den zwei Praktika,<br />
einem Auslandssemester und Jobben<br />
während des Studiums schon überdurchschnittliche<br />
Erfahrungen in der Arbeitswelt<br />
gemacht. Wenn ich mir heute die<br />
Bewerbungen anschaue, die ich auf den<br />
Tisch bekomme, ist das, was mich damals<br />
ausgezeichnet hat, fast schon der Standard.<br />
Wenn ich einstelle oder diese Entscheidung<br />
mit treffe, bevorzuge ich auch<br />
Bewerber, die schon die entsprechenden<br />
Praktika gemacht haben. Der Vorteil ist,<br />
dass diese Bewerber dann schon wissen,<br />
was sie erwartet und dass die Stelle das<br />
Richtige für sie ist. Aber ich schaue auch<br />
immer auf das Gesamtbild. Ich möchte<br />
einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin<br />
haben, der/die in mein Team passt, eine<br />
reife Persönlichkeit ist und weiß, was er/<br />
sie tut. Wenn er/sie mir das belegen kann,<br />
ist das schon eine hervorragende Qualifikation.<br />
Dann spielt das Studienfach, das<br />
Alter oder ein Zickzack im Lebenslauf<br />
auch nur eine untergeordnete Rolle. Das<br />
reine Fachwissen bringen wir den Leuten<br />
dann bei. Ich habe mir mein Steuerwissen<br />
auch erst in den letzten mittlerweile 8<br />
Jahren angeeignet, die ich hier bin. Fließendes<br />
Englisch ist jedoch eine notwendige<br />
Voraussetzung für einen Jobeinstieg<br />
bei uns.<br />
Für viele Studierende stellt sich nach<br />
dem Bachelor die Frage: Master ja<br />
oder nein? Welche Empfehlung würden<br />
Sie Studierenden der <strong>Geist</strong>eswissenschaften<br />
geben?<br />
Ich glaube, es ist eine ganz persönliche<br />
Frage, ob man sich selber mit dem Bachelor<br />
als fertig ausgebildet empfindet oder<br />
ob man sich noch weiter bilden möchte.<br />
Aber die Frage ist auch, ob man sich noch<br />
einmal auf ein Studium konzentrieren<br />
mag. Wir stellen sowohl Master als auch<br />
Bachelor ein. Es gibt zum Teil in Unternehmen<br />
– so wie bei uns – geförderte<br />
Masterprogramme, wenn man im Berufsleben<br />
merkt, man möchte oder muss, um<br />
weiter aufzusteigen, noch einen Master<br />
machen. Es ist auch die Frage, welche<br />
weiteren Abschlüsse für den Beruf wichtig<br />
sind. Bei uns ist beispielsweise oft ein<br />
Steuerberater-Examen wichtiger als ein<br />
Masterabschluss. Wenn Bachelor-Bewerber<br />
keine Spezialisierung haben, tun sie<br />
sich manchmal schwerer zu entscheiden,<br />
was sie wollen. Wer sich noch nicht sicher<br />
ist, wohin der Weg gehen soll, für den ist<br />
der Master gar nicht so schlecht. Man<br />
sollte die Studienzeit auch etwas genießen<br />
und nutzen, um sich auszuprobieren<br />
und Lebenserfahrungen zu sammeln, sei<br />
es durch ehrenamtliches Engagement,<br />
Praktika, Auslandsstudium oder Work &<br />
Travel.<br />
Sie haben ein Semester in Lissabon<br />
studiert. Hilft Ihnen diese Erfahrung<br />
auch heute in Ihrem jetzigen Beruf,<br />
wo Sie sich um die Belange von Entsandten<br />
kümmern, die mit einem<br />
anderen kulturellen Hintergrund<br />
alleine in ein fremdes Land kommen?<br />
Es war spannend ganz auf sich alleine<br />
gestellt in einer fremden Stadt zu sein.<br />
Ich habe noch nie in so kurzer Zeit so viel<br />
gelernt. Durch diese Erfahrung kann ich<br />
heute sehr gut nach empfinden, welche<br />
Fragen, Sorgen und Probleme die nach<br />
Deutschland Entsandten haben. Es tut<br />
gut, sich selber auch mal fremd zu fühlen.<br />
In Gesprächen mit den Assignees<br />
Man sollte den Mut<br />
haben zu tun, was<br />
man selber als<br />
Berufung empfindet,<br />
und dann wird<br />
man damit schon<br />
einen passenden<br />
Beruf finden.<br />
oder entsprechenden Abteilungsleitern<br />
in den Unternehmen merke ich, dass es<br />
gleich eine Augenhöhe schafft. Damals<br />
den Sprung in eiskaltes Wasser gewagt<br />
zu haben, das hat mich persönlich weiter<br />
gebracht und irgendwie hat es auch bis<br />
heute meine Passion für dieses Beratungsthema<br />
aufrechterhalten. Es erfüllt mich,<br />
tagtäglich mit den unterschiedlichsten<br />
Auslandsfällen zu tun zu haben.<br />
Das klingt nach Zufriedenheit. Sind<br />
Sie hier mit Ihrer Position im Entsende-Management<br />
beruflich angekommen?<br />
Ich bin auf jeden Fall angekommen. Also<br />
ich will nicht ausschließen, dass, wenn<br />
ich mal in Rente bin, ich auch noch mal<br />
eine Reisegruppe durch Bolivien begleiten<br />
würde. Das sollte man nie ausschließen.<br />
Aber was mein Berufsleben betrifft,<br />
würde ich sagen, bin ich im Entsende-Management<br />
auf jeden Fall da angekommen,<br />
wo ich mich wirklich 100%ig wiederfinde.<br />
© anmide | pixabay.com
ZUKUNFT GEIST<br />
VON IT BIS JAZZ – DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />
46<br />
„DAS STUDIUM HAT MICH<br />
KOMMUNIZIEREN GELEHRT“<br />
REINER RASCHE HATTE SICH EIGENTLICH EINE FÜR LAUFBAHN ALS LEHRER ENTSCHIEDEN,<br />
ERKANNTE ABER BALD, DASS ER LIEBER IN DIE FREIE WIRTSCHAFT WOLLTE. IN DER<br />
TELEKOMMUNIKATION SCHAFFTE ER ES BIS IN DIE FÜHRUNGSETAGE.<br />
BEREUT HAT ER SEIN STUDIUM DENNOCH NICHT.<br />
INTERVIEW: BIANCA MÜNCH, MARIUS WENDZEL, HANNAH ZWISCHENBERGER<br />
DAS GESPRÄCH IST ERGEBNIS EINES INTERVIEW-WORKSHOPS DES JOURNALISTEN UND TRAINERS TIM FARIN<br />
IM SCHREIBART-PROGRAMM DER UNIVERSITÄT ZU KÖLN.<br />
Herr Rasche, Sie haben viewseminar. Denken Sie oft an Ihr Es sieht genauso aus wie damals. Es hat<br />
hier in Köln vor fast Studium zurück?<br />
sich nichts verändert. Ich erinnere mich,<br />
zehn Jahren Ihr Studium<br />
der Germanistik seit ich wusste, dass dieses Interview total verloren war. Es wurde einem nichts<br />
Relativ selten – aber in letzter Zeit schon, wie ich zu Beginn meiner Studienzeit hier<br />
und Philosophie auf ansteht. Ich habe überlegt, wie es früher so wirklich erklärt. Man musste sich alles<br />
Lehramt beendet. Jetzt sind Sie wieder<br />
in einem Seminarraum Ihrer alten Ich habe mich gefragt, wie es jetzt hier lich lange gebraucht, um eine Struktur in<br />
war und dass ich ewig nicht mehr hier war. selbst zusammensuchen. Ich habe ziem-<br />
Universität zu Gast, in einem Inter-<br />
wohl aussieht – und das Interessante war: meinen Uni-Alltag zu bekommen.<br />
© ra2 studio | Fotolia.com<br />
Wie kamen Sie eigentlich dazu, der<br />
Lehrerlaufbahn den Rücken zu kehren<br />
und als Berater in der Telekommunikationsbranche<br />
tätig zu werden?<br />
Ich bin mit bestem Gewissen und dem<br />
klaren Wunsch, Lehrer zu werden, in<br />
den Beruf eingestiegen. Allerdings hatte<br />
das Studium keinerlei Praxisbezug für<br />
die Schule gehabt, man konnte sich um<br />
Pädagogik auch weitgehend drücken. So<br />
fiel ich mit Beginn des Referendariats ins<br />
kalte Wasser. Ich hatte etwa 24 Wochenstunden,<br />
davon direkt ein Drittel eigener<br />
Unterricht – und das war wieder wie zu<br />
Beginn des Studiums: Wir bekamen alle<br />
nicht viel erklärt und wussten gar nicht so<br />
recht, wie denn so ein Schüler-Lehrer Dialog<br />
eigentlich idealerweise funktioniert.<br />
Nach den zwei Jahren Referendariat habe<br />
ich mich aber dann gegen dieses Berufsbild<br />
entschieden.<br />
Sie wechselten in die Telekommunikationswirtschaft…<br />
Ja, denn ich wollte sehen, wie es in der<br />
Wirtschaft zugeht. Ich habe mich auch<br />
nicht gegen das Lehramt entschieden,<br />
sondern dafür, andere Möglichkeiten<br />
auszuprobieren. Ich hatte ja auch schon<br />
während des Studiums ganz unterschiedliche<br />
Praktika absolviert.<br />
Hatten Sie schon während des Studiums<br />
Kontakt zu Ihrem ersten Arbeitgeber,<br />
der Clintworld GmbH – oder<br />
wie konnten Sie das Unternehmen<br />
überzeugen?<br />
Nein, das war ein Zufall. Ich überlegte:<br />
Was kann ich noch mit meinem Studium<br />
der Philosophie und Germanistik<br />
machen? Es ist nicht unbedingt so, dass<br />
die großen Unternehmen auf jemanden<br />
mit diesem Studium warten. Allerdings<br />
sind Beratungsunternehmen relativ offen.<br />
Ich hatte im Bewerbungsgespräch mit<br />
dem Geschäftsführer das Glück, dass er<br />
Wirtschaftsmathematik studiert hatte. Er<br />
war der Meinung, dass Mathematik und<br />
Philosophie im Grunde das Gleiche seien,<br />
dass wir beide logisch denken können<br />
müssten und ich das wohl könne – und er<br />
mir den Rest schon beibringe. Dann war<br />
ich eingestellt.<br />
In welchem Bereich haben Sie zu<br />
Beginn gearbeitet?<br />
Direkt in der Telekommunikation. Clintworld<br />
berät Telekommunikationsunternehmen:<br />
Es analysiert die Daten der<br />
Kunden und überlegt, was man daraus<br />
schließen kann, welche Direktmarketingkampagnen<br />
sinnvoll sind und so weiter.<br />
Der Anfang war hier endlich einmal echte<br />
Lehrzeit: Da habe ich im Büro gesessen,<br />
Daten analysiert und gewissermaßen<br />
„von links nach rechts“ geschoben.<br />
Können Sie sagen, was Ihnen aus<br />
Ihrem Studium geholfen hat, ein<br />
guter Berater zu werden?<br />
Das Studium hat mich Kommunizieren<br />
gelehrt und ich habe auch erfahren, wie<br />
man sich auf verschiedenste Ansprechpartner<br />
einstellt. Es ist natürlich ein<br />
Unterschied, ob Sie mit einem Techniker,<br />
dem Geschäftsführer eines Kunden oder<br />
mit einem Werbefachmann reden: Die<br />
Ansprache muss sich ändern. So ist das<br />
ja auch im Lehramt, wo man auf Schüler,<br />
Eltern, Kollegen und Behörden unterschiedlich<br />
eingeht. Das war sehr lehrreich<br />
und hat mir immer wieder geholfen.<br />
Heute sind Sie bei der Telekom in leitender<br />
Position: Wie kamen Sie dorthin?<br />
Nach knapp drei Jahren bei Clintworld in<br />
Hamburg wollte ich mich stärker weiterentwickeln.<br />
Das Unternehmen war klein<br />
und fokussiert, so konnte ich schnell viel<br />
lernen – aber ich wollte andere Projekte<br />
aus anderen Gebieten kennenlernen.<br />
Außerdem lernte ich damals meine jetzige<br />
Frau kennen. Sie wohnte in Bonn. Ich<br />
wollte näher zu ihr. Ich bewarb mich bei<br />
der Detecon, einer zum Telekom-Konzern<br />
gehörenden Unternehmensberatung. Das<br />
gelang – so bin ich zur Telekom gekommen.<br />
Heute verantworten Sie bei der Telekom<br />
die Kündigerprävention und das<br />
Loyalitätsmanagement. Was genau<br />
können wir uns darunter vorstellen?<br />
Loyalitätsmanagement heißt, Dinge mit<br />
den Kunden zu tun, die sie positiv an uns<br />
binden. Das können Aktionen mit spielerischen<br />
Elementen sein. Es kann aber auch<br />
© Reiner Rasche<br />
sein, dass wir den Kunden einfach mal<br />
ein Geschenk zum Geburtstag schicken<br />
oder sie zum Einzug Salz und Brot von<br />
uns bekommen. Mein Team sorgt dafür,<br />
dass Kunden etwas Positives mit der Telekom<br />
verbinden. Außerdem reden wir von<br />
uns aus proaktiv mit Kunden über Fehler<br />
oder Probleme. Falls es welche gibt, bitten<br />
wir um Entschuldigung und entwickeln<br />
gemeinsam Lösungen für unsere Kunden.<br />
Welche Zusatzqualifikationen würden<br />
Sie Studierenden der <strong>Geist</strong>eswissenschaften<br />
empfehlen, die in einem<br />
ähnlichen Bereich arbeiten möchten?<br />
Generell hilft es, frühzeitig Praktika zu<br />
machen und neben dem Studium zu<br />
arbeiten – möglichst in der Richtung, in<br />
die man auch möchte. Auch völlig studienfremde<br />
Jobs in einem Unternehmen<br />
sind interessant um herauszufinden, ob<br />
man dort erfolgreich sein kann. Ich sehe<br />
das auch in meinem jetzigen Job: Die<br />
Praktikanten studieren meist BWL - was<br />
auch gut ist. Aber ihr Studium polt sie<br />
teilweise in eine Richtung. Ich fände es<br />
auch spannend, hier mehr <strong>Geist</strong>eswissenschaftler<br />
zu sehen.<br />
Ist es denn ein Vorurteil, dass man<br />
BWL studieren sollte, um als Führungskraft<br />
tätig zu werden?<br />
Das Studium ist vielleicht gar nicht so<br />
wichtig wie die Affinität zu den Themen<br />
– als Führungskraft setzen Sie sich täglich<br />
mit vielen Themen und vielen unterschiedlichen<br />
Menschen auseinander. Es<br />
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ZUKUNFT GEIST<br />
VON IT BIS JAZZ – DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />
48<br />
ist außerdem sehr wichtig zu verstehen,<br />
wie ein Unternehmen tickt. Das kann<br />
man sich aber aneignen. Ich glaube, dass<br />
es besonders für Führungskräfte immer<br />
unwichtiger wird, was man studiert hat.<br />
Je weiter Sie in der Hierarchie nach oben<br />
kommen, desto weniger zentral wird das.<br />
Gilt das für jeden Bereich?<br />
Nein, das hängt natürlich schon etwas<br />
von der jeweiligen Branche ab. Wenn ich<br />
versuchen würde, im Finanzsektor Karriere<br />
zu machen, würde das ohne BWL-Studium<br />
vermutlich schwierig.<br />
Reden wir nochmal über Ihre Führungsposition:<br />
Was für Zusatzqualifikationen<br />
aus dem Studium helfen<br />
Ihnen?<br />
Als Führungskraft brauche ich spezielle<br />
Qualifikationen – solche, die oft mit<br />
denen des Lehrers verwandt sind.<br />
Wie meinen Sie das?<br />
Sie brauchen ein Gefühl für Menschen,<br />
müssen Stimmungen mitbekommen oder<br />
© edar | pixabay.com<br />
deeskalieren und Konflikte auch aushalten<br />
können. Hier ist kein BWL-Wissen<br />
nötig, sondern eine Mischung aus Erfahrung<br />
und sensiblem Eingehen auf Menschen.<br />
Man ist als Führungskraft auch ein<br />
bisschen vom Arbeitsalltag entkoppelt.<br />
Man muss bereit sein, nicht konkret ein<br />
Thema zu bearbeiten, Themen loslassen<br />
und Verantwortung übergeben zu können.<br />
Da sehe ich den Zusammenhang<br />
zum Lehrer und dessen Philosophie, denn<br />
als Lehrer gibt man möglichst viel Verantwortung<br />
an die Schüler ab, sodass diese<br />
ihre eigenen Erfahrungen machen und<br />
sich mit der Zeit entwickeln können.<br />
Eine Frage zur Philosophie: Es gibt<br />
den Begriff „Firmenphilosophie“ – hat<br />
der mit der klassischen Philosophie<br />
wie bei Kant und Hegel etwas zu tun?<br />
Nein, das hat vorderhand nichts mit klassischer<br />
Philosophie zu tun. Aber irgendwie<br />
dann doch wieder, zumindest in meinem<br />
Fall. Ich habe meine Überzeugungen im<br />
Studium ausgeprägt und ich habe mich<br />
natürlich an bestimmten philosophischen<br />
Richtlinien orientiert. Das prägt meinen<br />
Arbeitsstil. Trotzdem bin ich natürlich beispielsweise<br />
kein „Kantianer“, der streng<br />
nach normativen Grundsätzen lebt und<br />
nicht von diesen abweicht.<br />
Sondern?<br />
Ich bin von der Postmoderne, dem Poststrukturalismus<br />
geprägt – Derrida oder<br />
Foucault, wo man erkennt, dass Dinge<br />
sehr stark im Fluss sind. Erst durch das<br />
Aufzeigen der strukturellen Zusammenhänge<br />
von Themen entsteht so etwas<br />
wie Wahrheit. Das gilt auch in meinem<br />
Arbeitsalltag.<br />
Also lassen Sie Freiräume.<br />
Wenn Mitarbeiter fragen, ob sie links oder<br />
rechts herum mit einem Thema verfahren<br />
sollen, gebe ich idealerweise keinen<br />
Weg vor, sondern gebe Denkanstöße. Da<br />
kommt sicherlich die Inspiration meines<br />
Studiums zum Tragen.<br />
Sie reklamieren für sich auch die Kompetenzen<br />
„internationale Erfahrung“<br />
und „diplomatisches Geschick“ – wird<br />
so etwas im geisteswissenschaft-<br />
lichen Studium ausreichend vermittelt?<br />
Ich glaube, der Schlüssel ist hier Auslandserfahrung<br />
– da habe ich damals im<br />
Studium zu wenig gemacht. Ich glaube,<br />
es hilft, verschiedenste Zugangsformen<br />
zu Studieninhalten zu lernen. Wenn man<br />
immer nur in der Uni Köln studiert, lernt<br />
man auch immer wie an der Uni Köln. Ich<br />
habe mich beispielsweise in meiner ersten<br />
Staatsarbeit mit Marcel Mauss auseinander<br />
gesetzt, einem französischen Ethnologen<br />
vom Anfang des 20. Jahrhunderts,<br />
der beschrieb, wie Kulturen auf abgelegenen<br />
Inseln miteinander interagieren.<br />
Scheint weit weg von Ihrem Studium…<br />
Ja, und als Germanist denken Sie erstmal:<br />
„Was ist das denn?“ Aber Sie merken<br />
über diese Erfahrung, die jemand in so<br />
einem Text vermittelt, wie ganz anders<br />
man sich mit kulturellen Phänomenen<br />
auseinander setzen kann. Meine zweite<br />
Staatsarbeit handelte von Graffiti. Es war<br />
auch für mich nicht selbstverständlich,<br />
dass man darüber eine germanistische<br />
Arbeit schreiben kann. Aber irgendwann<br />
merken Sie über die Erfahrung mit anderen<br />
Kulturformen und über die Erfahrung<br />
mit verschiedenen Zugängen zu Texten,<br />
dass alles kulturell bedeutsam ist und man<br />
sich damit auseinander setzen kann. Den<br />
Impuls bekommen Sie aber nur, wenn Sie<br />
sich neuen Eindrücken aussetzen.<br />
Wenn man sich Ihren Lebenslauf<br />
anschaut gewinnt man den Eindruck,<br />
dass Sie Ihre Karriereleiter mit viel<br />
Planungsgeschick und Zielstrebigkeit<br />
erklommen haben. Haben Sie auch<br />
ein großes, ein erklärtes Karriereziel?<br />
Ja, aber es ist keine konkrete Position,<br />
sondern besteht darin, mich permanent<br />
weiterzuentwickeln Das will ich nicht an<br />
Es geht darum,<br />
jedes Thema<br />
mit Leidenschaft<br />
und Konsequenz<br />
anzugehen<br />
der Höhe des Gehalts oder der Mitarbeiterzahl<br />
messen. Natürlich habe ich aber<br />
auch den Wunsch, noch ein bisschen weiter<br />
„nach oben“ zu kommen.<br />
Was bedeutet Zielstrebigkeit für Sie?<br />
Ich glaube, es geht darum, jedes Thema<br />
mit Leidenschaft und Konsequenz anzugehen.<br />
Als Berufsanfänger bringt es nichts<br />
zu sagen: Ich will in zehn Jahren genau in<br />
dem Unternehmen in jener Position sein.<br />
Das können Sie nicht alleine beeinflussen.<br />
Wenn Sie aber permanent zielstrebig und<br />
konsequent arbeiten, werden sich immer<br />
Möglichkeiten ergeben, auf die man sich<br />
einlassen sollte.<br />
Welche Möglichkeiten beispielsweise?<br />
Meine aktuelle Rolle ergab sich durch<br />
eine Personalveränderung. Man hat mich<br />
einfach gefragt, ob ich dazu bereit wäre,<br />
ohne mir das Thema im Detail zu erklären.<br />
Ich habe mich ohne Vorbehalte darauf<br />
eingelassen und es war eine große<br />
Chance. So, glaube ich, macht man Karriere.<br />
Wenn Sie heute noch einmal studieren<br />
würden: Für welches Fach oder welche<br />
Fächer würden Sie sich entscheiden?<br />
Ich glaube, es gibt heute an den Unis viel<br />
mehr Fächer als früher. Ich denke, ich<br />
würde heute eine Mischform aus Kulturwissenschaften,<br />
vielleicht auch mehr<br />
Soziologie und rückblickend auch BWL<br />
oder VWL wählen. Diese Fächer helfen, in<br />
der heutigen komplexen Welt die Abläufe<br />
in Unternehmen oder Wirtschaftssystemen<br />
zu verstehen. Am Ende glaube ich aber,<br />
dass viel wichtiger als die Fächerkombination<br />
die Frage ist, wie man studiert und<br />
was man bereit ist, aus dem Studium und<br />
den begleitenden Erfahrungen im Beruf<br />
mitzunehmen.<br />
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ZUKUNFT GEIST<br />
© Fabian Stürtz<br />
IMPRESSUM<br />
50<br />
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