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Zukunft Geist 2016

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ZUKUNFT GEIST<br />

VON IT BIS JAZZ – DIE VIELFALT DER GEISTESWISSENSCHAFTEN<br />

38<br />

finden. Und letztendlich hat sich das dann<br />

auch bewahrheitet.<br />

Die Entscheidung wie es nach dem<br />

Studium weiter gehen soll, stellt für<br />

Studierende einen großen Schritt dar.<br />

Was hat Ihnen geholfen, sich nach<br />

dem Studium beruflich zu orientieren?<br />

Ausstellungspräsentation im Bundeskanzleramt mit Staatsministerin Aydan Özoğus<br />

Die erste wichtige Weichenstellung<br />

ergab sich schon während meines Studiums.<br />

Zur Finanzierung arbeitete ich sehr<br />

lange als Stadtführer in Köln. Da ist mir<br />

bewusst geworden, wie wichtig es für<br />

mich ist, nicht nur zu forschen, sondern<br />

auch Geschichte zu vermitteln und nach<br />

außen zu tragen. Ich habe gesehen, wie<br />

viel Begeisterung man bei den Menschen<br />

für Geschichte und den Umgang damit<br />

wecken kann, wenn man das Ganze<br />

adäquat rüberbringt. Das war für mich die<br />

Initialzündung darüber nachzudenken, ob<br />

es wirklich die Wissenschaft ist, wo ich hin<br />

will oder etwas anderes. Ein zweiter ganz<br />

zentraler Punkt war ein Gespräch mit meiner<br />

Professorin direkt nach meiner Magister<br />

Arbeit. Ich wollte eigentlich doch<br />

direkt promovieren. Sie sagte dann, dass<br />

sie mir das fachlich durchaus zutraue,<br />

aber ich mir genau überlegen solle, wo<br />

ich hin möchte. Eine Promotion erfordert<br />

rund fünf Jahre Zeit und dann konkurriert<br />

man nachher auf dem Arbeitsmarkt mit<br />

Menschen, die vielleicht schon fünf Jahre<br />

praktische Erfahrung gesammelt haben.<br />

Aufgrund dieser Überlegung und meiner<br />

Erfahrung aus den Stadtführungen habe<br />

ich mich dann erst einmal dazu entschieden,<br />

nicht zu promovieren, sondern praktisch<br />

zu arbeiten.<br />

aufsaugen. Es stellte sich aber heraus,<br />

dass ich immer wegen mangelnder Erfahrung<br />

abgelehnt wurde. Es ist natürlich<br />

sehr frustrierend, wenn einem Berufseinsteiger<br />

gesagt wird, man hätte nicht die<br />

nötige Erfahrung. Die Praktika während<br />

der Studienzeit waren zwar erste Erfahrungen,<br />

aber es ist noch einmal etwas<br />

anderes, wenn man tatsächlich gearbeitet<br />

und damit auch seinen Lebensunterhalt<br />

verdient hat. Ich beschloss dann, doch<br />

noch einmal ein Praktikum vorzuschalten<br />

und ging für 3 Monate nach Bremerhaven<br />

in das Deutsche Auswandererhaus. Nach<br />

dem Praktikum bot man mir dann dort<br />

ein Volontariat an. Ein Volontariat ist im<br />

Museumsbereich der normale Weg zum<br />

Jobeinstieg und wurde auch meiner.<br />

Und dort haben Sie dann doch Ihre<br />

Promotion begonnen. Wie kam es<br />

dazu?<br />

Wenn ich<br />

etwas gut mache,<br />

dann werde ich<br />

da auch später<br />

einen Job finden<br />

Einige Studierende der <strong>Geist</strong>eswissenschaften<br />

machen sich Gedanken<br />

um ihre Arbeitsmarkteinstiegschancen.<br />

Wie waren Ihre Erfahrungen<br />

nach dem Studium?<br />

© Bundesregierung/Bilan<br />

Nach dem Studium war ich erst zunächst<br />

6 Monate arbeitslos. Meine Sachbearbeiterin<br />

beim Amt wollte mich zum Laubfegen<br />

in den Grüngürtel schicken. Das war<br />

keine witzige Erfahrung. Ich schrieb viele<br />

Bewerbungen und dachte, ich sei top qualifiziert<br />

und der Arbeitsmarkt würde mich<br />

Während des Volontariats habe ich<br />

gemerkt, wie viel Spaß mir die Arbeit im<br />

Bereich Museum macht. Und mir wurde<br />

klar, dass ich beruflich dort Fuß fassen<br />

wollte. Im Museumsbereich<br />

ist die<br />

Promotion meiner<br />

Meinung<br />

nach<br />

wichtig und hilfreich.<br />

Bis zu einer<br />

gewissen<br />

Stufe<br />

lassen sich auch<br />

ohne<br />

Doktortitel<br />

verantwortungsvolle<br />

erreichen.<br />

Positionen<br />

Aber<br />

wenn es dann<br />

weiter gehen soll,<br />

wird das ohne<br />

Promotion schwierig.<br />

Es ist zum<br />

Teil heute so, dass die Promotion sogar<br />

schon Voraussetzung für ein Volontariat<br />

ist. Dazu kam, dass mich das Thema –<br />

Heiratsverhalten von deutschen Migrantinnen<br />

und Migranten in den USA im<br />

19. Jahrhundert – einfach auch gepackt<br />

hatte. Das motivierte mich zusätzlich.<br />

Wie ging es nach dem Volontariat für<br />

Sie weiter?<br />

Meine Promotion lief zuerst parallel zum<br />

Volontariat. Als das endete und wenig<br />

später mein Stipendium auslief, begann<br />

ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

beim Caritasverband Bremen zu arbeiten.<br />

Dort schrieb ich eine Studie über die<br />

Heimerziehung im Lande Bremen von<br />

1945-75. Nach der Promotion arbeitete<br />

ich am Haus der Wannsee Konferenz an<br />

einem Dokumentar-Theater-Projekt mit.<br />

Sie haben einen Teil Ihres Studiums in<br />

England verbracht. Wie wichtig war<br />

diese Erfahrung rückblickend für Sie?<br />

Die Zeit in England war bis dato eines der<br />

besten Jahre meines Lebens und sowohl<br />

persönlich als auch fachlich eine tolle<br />

Erfahrung. Ich habe bis heute noch Kontakt<br />

zu vielen meiner damaligen Kommilitonen.<br />

Fachlich bin ich dort mit einem<br />

Als Team von Historikern, einem Theater- anderen Verständnis für Geschichte<br />

regisseur und einer Dramaturgin arbeiteten<br />

wir das Protokoll der Wannsee Konferenz<br />

auf. Dieses Dokument ist ein Ergebnisprotokoll,<br />

das ganz stark von Eichmann<br />

redigiert wurde. Unsere Aufgabe bestand<br />

darin, es zu dekonstruieren. Das heißt, wir<br />

haben immer an den Punkten, an denen<br />

verklausuliert wurde, diese Verklausulierung<br />

aufgeschlüsselt. Wenn zum Beispiel<br />

der Satz fiel „Der Rest wird nach Theresienstadt<br />

verbracht.“, beleuchteten wir den<br />

Satz mit einem Augenzeugenbericht, der<br />

veranschaulicht, was es bedeutete nach<br />

Theresienstadt „verbracht“ zu werden.<br />

Das Ganze haben wir dann auf die Bühne<br />

und Geschichtswissenschaft in Kontakt<br />

gekommen, was mich stark geprägt hat.<br />

In meinen Kursen dort spielten zum Beispiel<br />

‚Local History‘, ‚Alltagsgeschichte‘<br />

und eine ‚Button-Up-Perspektive‘ eine<br />

große Rolle. Das hat mich später dazu<br />

gebracht, mich mit Auswandererbriefen<br />

zu beschäftigen und die haben mich dann<br />

zu meinem Dissertationsthema geführt.<br />

Zusätzlich ist es in Großbritannien so, dass<br />

es bei aller Wissenschaftlichkeit auch stärker<br />

darum geht, Geschichten zu erzählen<br />

– also Themen für eine breites Publikum<br />

verständlich aufzubereiten und zu publizieren.<br />

gebracht, also auch selber aufgeführt.<br />

Das hatte eine ganz starke Emotionalisierung<br />

und ich habe noch einmal gemerkt,<br />

welche Möglichkeiten in der Geschichte<br />

schlummern und was man mit lebendiger<br />

Vermittlung leisten kann. Anschließend<br />

habe ich dann als freiberuflicher Autor im<br />

Bereich History Marketing gearbeitet und<br />

eine Unternehmensbiografie geschrieben.<br />

Einen Tag nach der Disputation habe ich<br />

hier mit einer Projektstelle bei DOMiD<br />

angefangen.<br />

Welche Eigenschaften sollte man für<br />

die Tätigkeit in Museen und Kultureinrichtungen<br />

mitbringen?<br />

Das hängt ganz von der Institution und<br />

der Tätigkeit ab. Sowohl Museen als auch<br />

Kultureinrichtungen allgemein können<br />

ganz unterschiedliche Voraussetzungen<br />

haben. Das betrifft beispielsweise die Vermittlungsziele,<br />

die Größe und die finanzielle<br />

Ausstattung dieser Häuser. Generell<br />

glaube ich, dass es eine Schlüsselqualifi-<br />

Blick in eine Werkhalle aus dem Trailer zum Virtuellen Migrationsmuseum<br />

© DOMiD-Archiv, Köln<br />

kation als <strong>Geist</strong>eswissenschaftler ist, sich<br />

schnell in Themengebiete unterschiedlichster<br />

Art einzuarbeiten. Das ist meiner<br />

Meinung nach ganz wichtig. Dazu kommt<br />

eine multiperspektivische Herangehensweise<br />

sowohl an Themen als auch an<br />

praktische Herausforderungen. Persönlich<br />

sollte man eine gewisse Neugierde und<br />

Offenheit für Themen und für Veränderungen<br />

mitbringen sowie Freude daran<br />

haben, mit Menschen zu kommunizieren.<br />

Entscheidend ist auch, dass man keine<br />

Angst vor der Übernahme von Verantwortung<br />

hat und die Fähigkeit mitbringt,<br />

selbständig Entscheidungen zu treffen.<br />

Was würden Sie jungen <strong>Geist</strong>eswissenschaftlerinnen<br />

und <strong>Geist</strong>eswissenschaftlern<br />

bezüglich der Berufsperspektiven<br />

im heutigen Arbeitsmarkt<br />

raten?<br />

Mit offenen Augen und Neugier durch<br />

die Welt gehen und keine Angst haben,<br />

wenn man am Anfang des Studiums noch<br />

nicht weiß, was für ein Beruf dabei rauskommen<br />

wird. Bildung sollte nicht der<br />

ökonomischen Verwertungslogik unterworfen<br />

und die Entwicklungspotentiale<br />

junger Menschen dadurch eingrenzt werden.<br />

Ich glaube, wer eine gute Ausbildung<br />

hat, fit in praktischen/praxisorientierten<br />

Bereichen ist und über die eben genannten<br />

Eigenschaften verfügt, hat immer<br />

Chancen. Allerdings halte ich mit Blick<br />

auf die Bachelor- und Master-Studiengänge<br />

einen Bachelorabschluss in einem<br />

geisteswissenschaftlichen Fach für wenig<br />

hilfreich. Da fehlt einfach etwas und eine<br />

Spezialisierung durch einen Master würde<br />

ich empfehlen.<br />

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